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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. 3 StR 91/06
  4. vom
  5. 4. April 2006
  6. in der Strafsache
  7. gegen
  8. wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u. a.
  9. -2-
  10. Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 4. April 2006 gemäß § 349 Abs. 4
  11. StPO einstimmig beschlossen:
  12. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
  13. Oldenburg vom 3. November 2005 mit den Feststellungen aufgehoben.
  14. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
  15. über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer
  16. des Landgerichts zurückverwiesen.
  17. Gründe:
  18. 1
  19. I. Das Urteil unterliegt auf die Sachbeschwerde des Angeklagten der
  20. Aufhebung, weil es mehrere durchgreifende Rechtsfehler aufweist:
  21. 2
  22. 1. Die Strafkammer hat den Angeklagten wegen insgesamt 23 Fällen des
  23. Betäubungsmittelhandels verurteilt, jedoch dabei nicht geprüft, ob und gegebenenfalls inwieweit die einzelnen Taten zu einer Bewertungseinheit zusammenzufassen gewesen wären. Bestehen konkrete Anhaltspunkte dafür, dass Einzelverkäufe von Betäubungsmitteln mehreren größeren Erwerbsmengen entstammen, so erfordert dies die Bildung von Bewertungseinheiten. Dazu hat der
  24. Tatrichter die Zahl und Frequenz der Erwerbsvorgänge sowie die Zuordnung
  25. der einzelnen Verkäufe zu ihnen an Hand der Tatumstände festzustellen. Kann
  26. er genaue Feststellungen nicht treffen, hat er innerhalb des feststehenden Gesamtschuldumfangs die Zahl der Einkäufe und die Verteilung der Verkäufe auf
  27. sie zu schätzen (vgl. BGH NJW 2002, 1810). Konkrete Hinweise auf das Vorlie-
  28. -3-
  29. gen solcher Bewertungseinheiten ergeben sich hier insbesondere in den Fällen,
  30. in denen die Abverkäufe entweder am gleichen Tage (Fälle 9 und 10) oder zumindest in engem zeitlichem Abstand (Fälle 1 und 2; 9 bis 13) erfolgten. Auch in
  31. den Fällen 22 und 23 kommt Bewertungseinheit in Betracht, da nach den Feststellungen auf Grund eines Gesamtplanes die gesamte Menge an einen bestimmten Abnehmer geliefert werden sollte und sich so beide Erwerbsvorgänge
  32. auf ein bestimmtes einheitliches Rauschgiftgeschäft bezogen.
  33. 3
  34. 2. Der Schuldumfang ist in allen Fällen außer den Nr. 21 bis 23 unzureichend festgestellt. Neben der Art der Betäubungsmittel sind dabei die Menge
  35. und der Wirkstoffgehalt der gehandelten Rauschmittel maßgeblich. Auf deren
  36. Feststellung kommt es nicht nur für die Bestimmung einer nicht geringen Menge, sondern auch für die Strafrahmenwahl und die Strafzumessung im engeren
  37. Sinne an; auf sie kann daher regelmäßig nicht verzichtet werden. Auch wenn
  38. die Betäubungsmittel nicht sichergestellt sind und eine Untersuchung daher
  39. nicht möglich ist, sind alle Aufklärungsmöglichkeiten auszuschöpfen (vgl. dazu
  40. im Einzelnen Weber, BtMG 2. Aufl. § 29 Rdn. 741 ff. m. w. N.). Da der Angeklagte geständig war, liegt die Möglichkeit weitergehender Feststellungen auf
  41. der Hand.
  42. 4
  43. In den Fällen Nr. 1 bis 20 fehlt es an der Feststellung des konkreten
  44. Wirkstoffgehalts. Die Angabe, dass nach dem "Geständnis" des Angeklagten in
  45. den Fällen 17 bis 20 jedenfalls der Grenzwert zur nicht geringen Menge überschritten worden sei, ist unzureichend. Darüber hinaus wird in den Fällen 6, 8
  46. und 14 die Menge des Heroins mit der Zahl der "Päckchen" angegeben, deren
  47. Gewicht aber nicht mitgeteilt. In den Fällen 5 und 14 sind die Angaben von
  48. Mengen und Preisen angesichts der festgestellten Gewinnerzielungsabsicht
  49. -4-
  50. nicht ohne weiteres miteinander vereinbar. Danach hätte der Angeklagte
  51. 6 Gramm Kokain für 270 € gekauft und 5 Gramm Kokain für nur 20 € verkauft.
  52. 3. Im Fall 19 kommt die Strafkammer rechtsfehlerfrei zur Annahme eines
  53. 5
  54. Versuchs des Handeltreibens in nicht geringer Menge. Nicht dargelegt wird jedoch, warum es zu dem beabsichtigten Ankauf nicht gekommen ist. Dies lässt
  55. die Möglichkeit eines strafbefreienden Rücktritts offen, der nicht geprüft worden
  56. ist.
  57. 6
  58. 4. Im Fall 21 bleibt unklar, welchen Straftatbestand die Strafkammer angenommen hat. Nach den Feststellungen hatte der Angeklagte für einen anderen Drogenhändler in einem Versteck 500 Gramm einer weißen Substanz gegen ein Entgelt von 200 € aufbewahrt, die er fälschlich für Kokain mittlerer Qualität gehalten hat, die jedoch nur Stoffe enthielt, die nicht unter das Betäubungsmittelgesetz fallen.
  59. 7
  60. In der rechtlichen Würdigung hat das Landgericht ausgeführt, dass sich
  61. der Angeklagte wegen Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge
  62. schuldig gemacht hat. Ein entsprechender Schuldspruch findet sich in der Urteilsformel nicht. Dort ist diese Tat wohl in die Zahl der sechs Fälle des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge eingereiht. Tatsächlich
  63. belegen die Feststellungen bislang keinen der beiden Straftatbestände:
  64. 8
  65. a) Da es sich nicht um Betäubungsmittel handelte, kommt vollendeter
  66. Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge nach § 29 a Abs. 1 Nr. 2
  67. BtMG nicht in Betracht.
  68. -5-
  69. b) Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind
  70. 9
  71. zwar eigennützige Tätigkeiten, die auf den Umsatz von Betäubungsmitteln gerichtet sind, auch dann als vollendetes Handeltreiben zu beurteilen, wenn sie
  72. sich auf Scheindrogen beziehen (vgl. BGH NStZ 1992, 191 m. N. zur Kritik in
  73. der Literatur). Der Senat hat Bedenken, diese sehr weitgehende Rechtsprechung fortzuführen. Er kann dies jedoch offen lassen, da die auf der Grundlage
  74. dieser Auffassung in Fällen lediglich untergeordneter Tatbeiträge erforderliche
  75. Abgrenzung von Täterschaft und Beihilfe im angefochtenen Urteil unterblieben
  76. ist (vgl. Nachw. bei Winkler NStZ 2005, 315; 2004, 376). Da der Angeklagte die
  77. Substanz für
  78. H.
  79. , einen anderen Händler, lediglich aufbewahrte,
  80. nicht einmal über ihre Beschaffenheit informiert wurde und schließlich nur ein
  81. geringes Entgelt von 200 € erhielt, das bei einem Geschäft mit 500 Gramm Kokaingemisch eher für eine kleine Hilfeleistung als für einen Mittäteranteil spricht,
  82. liegt die Annahme nur einer Gehilfenstellung nahe.
  83. 5. Die aufgezeigten Rechtsfehler erfordern die Aufhebung des Urteils
  84. 10
  85. insgesamt. Da bereits die Sachrüge erfolgreich ist, kommt es auf die teils unklaren und teils abwegigen Verfahrensrügen nicht mehr an.
  86. 11
  87. II. Für die neue Hauptverhandlung werden folgende Hinweise gegeben:
  88. 12
  89. 1. Sofern der neue Tatrichter zu Fall 21 nicht ohnehin zu völlig neuen
  90. Feststellungen gelangt, sondern nach den oben aufgezeigten Maßstäben eine
  91. Gehilfenstellung des Angeklagten in Bezug auf die Handelstätigkeit des Haupttäters
  92. H.
  93. annimmt, wird er zu dessen Vorstellungen und Absich-
  94. ten nähere Feststellungen zu treffen haben, insbesondere ob er gleichfalls über
  95. die Beschaffenheit irrte oder wusste, dass es sich um Streckmittel handelte. Bei
  96. zutreffender Vorstellung des Haupttäters wird zu beachten sein, dass die bloße
  97. -6-
  98. Aufbewahrung von Streckmitteln noch keine Straftat darstellt, folglich auch eine
  99. Beihilfe mangels Haupttat ausscheidet. Anders wäre es, wenn die Aufbewahrung im Hinblick auf ein konkretes Rauschgiftgeschäft erfolgt wäre. Dann würde
  100. allerdings die Annahme einer Beihilfehandlung des Angeklagten zu diesem
  101. Rauschgiftgeschäft voraussetzen, dass er darüber wenigstens in Umrissen Bescheid wusste. Bei dieser schwierigen Sach- und Rechtslage könnte es sich
  102. anbieten, den möglichen Vorwurf einer Beihilfe zum Handeltreiben auszuscheiden und die Verfolgung gemäß § 154 a Abs. 2 StPO auf den (untauglichen)
  103. Versuch des Besitzes einer nicht geringen Menge nach § 29 a Abs. 1 Nr. 2
  104. BtMG zu beschränken.
  105. 13
  106. 2. Die Bezeichnung "gewerbsmäßig" gehört nicht in die Urteilsformel.
  107. Soweit es um Handeltreiben nach § 29 Abs. 1 BtMG geht, ist "Gewerbsmäßigkeit" nur ein Regelbeispiel für die Annahme eines besonders schweren Falles
  108. nach Absatz 3 dieser Vorschrift, das in die Urteilsformel nicht aufgenommen
  109. wird (BGH NStZ 1994, 39). Beim Qualifikationstatbestand des Handeltreibens in
  110. nicht geringer Menge nach § 29 a Abs. 1 Nr. 2 BtMG kommt der Gewerbsmäßigkeit ohnehin nur die Bedeutung eines Strafzumessungsumstandes zu.
  111. Tolksdorf
  112. von Lienen
  113. RiBGH Miebach ist urlaubsbedingt
  114. an der Unterzeichnung gehindert.
  115. Tolksdorf
  116. Winkler
  117. Becker