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8.6 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. 3 StR 41/11
  5. vom
  6. 30. Juni 2011
  7. in der Strafsache
  8. gegen
  9. wegen besonders schwerer Vergewaltigung
  10. -2-
  11. Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 30. Juni
  12. 2011, an der teilgenommen haben:
  13. Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
  14. Becker,
  15. die Richter am Bundesgerichtshof
  16. Pfister,
  17. von Lienen,
  18. Dr. Schäfer,
  19. Mayer
  20. als beisitzende Richter,
  21. Staatsanwalt (GL)
  22. als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
  23. Rechtsanwalt
  24. als Verteidiger,
  25. Justizangestellte
  26. als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
  27. für Recht erkannt:
  28. -3-
  29. 1.
  30. Auf die Revision der Nebenklägerin wird das Urteil des
  31. Landgerichts Duisburg vom 19. Juli 2010 mit den Feststellungen aufgehoben.
  32. 2.
  33. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die
  34. dem Angeklagten und der Nebenklägerin dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
  35. Von Rechts wegen
  36. Gründe:
  37. 1
  38. Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf der besonders
  39. schweren Vergewaltigung aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Mit ihrer
  40. hiergegen gerichteten Revision beanstandet die Nebenklägerin das Verfahren
  41. und rügt die Verletzung sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit der
  42. Sachrüge Erfolg. Auf die Verfahrensrügen kommt es daher nicht mehr an.
  43. -4-
  44. I.
  45. 2
  46. 1. Mit der unverändert zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklageschrift vom 9. November 2009 hat die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten zur
  47. Last gelegt, die Nebenklägerin - seine ehemalige Lebensgefährtin - mit einem
  48. Messer an Leib und Leben bedroht und dadurch zum Geschlechtsverkehr gezwungen zu haben (§ 177 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2, Abs. 4 Nr. 1 StGB). Dieser habe
  49. am 7. August 2008 gegen 15.00 Uhr der Geschädigten in deren Wohnung aufgelauert und von ihr unter Vorhalt eines Messers verlangt, die Beziehung zu
  50. ihm wieder aufzunehmen. Nachdem die Frau aus Angst dies versprochen hatte, habe der Angeklagte von ihr die Ausübung des Geschlechtsverkehrs gefordert. Als die Nebenklägerin sich geweigert habe, habe er ihr das Messer an den
  51. Hals gehalten und sie in das Schlafzimmer gezerrt, wo er gegen den Willen der
  52. Frau den Geschlechtsverkehr bis zum Samenerguss durchgeführt habe.
  53. 3
  54. 2. Der Angeklagte hat die ihm zur Last gelegte Tat bestritten und sich
  55. dahin eingelassen, die Nebenklägerin habe ihn immer wieder gedrängt, sich
  56. scheiden zu lassen und den Kontakt zu seiner Familie abzubrechen. Sie hätten
  57. sich häufig gestritten, sich getrennt und dann wieder versöhnt. Es sei immer
  58. wieder zum Geschlechtsverkehr gekommen, wenn er sie besucht habe, um die
  59. gemeinsame Tochter zu sehen. Die Nebenklägerin habe mehrfach gedroht, sie
  60. würde ihn anzeigen und ins Gefängnis bringen, wenn er nicht mache, was sie
  61. von ihm verlange. Am 7. August 2008 habe er sich in der Wohnung der Zeugin
  62. I.
  63. aufgehalten. Diese habe von ihm verlangt, ein Treffen, das er mit seiner
  64. damaligen Freundin vereinbart hatte, abzusagen. Als sie später zur Arbeit gegangen sei, sei er auf ihre Bitte hin in der Wohnung geblieben, um auf den
  65. Hund aufzupassen. In dieser Zeit habe sie bei der Polizei Anzeige gegen ihn
  66. erstattet.
  67. -5-
  68. 4
  69. 3. In den Urteilsgründen hat die Strafkammer nach der Wiedergabe des
  70. Tatvorwurfs und der Einlassung des Angeklagten die Bekundungen der Nebenklägerin zur Tatvorgeschichte sowie zum Tatgeschehen, die den Angeklagten
  71. im Sinne der Anklage belasten, und die Aussagen weiterer Zeugen dargestellt.
  72. Anschließend hat das Landgericht die Beweise gewürdigt und hierzu im Wesentlichen ausgeführt: Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei dem Angeklagten die ihm zur Last gelegte Tat nicht mit der für eine Verurteilung erforderlichen, jeden vernünftigen Zweifel ausschließenden Sicherheit nachzuweisen. In der vorliegenden Konstellation "Einlassung gegen Aussage" habe sie
  73. - die Strafkammer - Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Angaben der Nebenklägerin nicht überwinden können, auch wenn die Sachverständige in ihrem Gutachten zu dem Ergebnis gekommen sei, aus aussagepsychologischer Sicht sei
  74. es das Wahrscheinlichste, dass deren Angaben auf einem realen Erlebnis beruhten. Denn die Geschädigte habe zu wesentlichen Details des Tatgeschehens - zu dem Zeitpunkt, ab dem der Angeklagte das Messer in der Hand gehalten habe sowie zum Verbleib des Messers während des Tatgeschehens und zur Vorgeschichte der Tat, nämlich dem gemeinsamen Besuch des
  75. Schwimmbades "Blaue Lagune", nicht konstant ausgesagt und insoweit falsche
  76. Angaben gemacht, als sie in Abrede gestellt habe, vor der Tat von sich aus
  77. immer wieder den Kontakt zum Angeklagten gesucht zu haben. Außerhalb der
  78. Aussage der Nebenklägerin gebe es keine Indizien, welche für die Richtigkeit
  79. ihrer Angaben sprächen.
  80. II.
  81. 5
  82. Der Freispruch unterliegt schon deshalb der Aufhebung, weil die Ausführungen des Landgerichts nicht den Anforderungen gerecht werden, die gemäß
  83. § 267 Abs. 5 Satz 1 StPO an ein freisprechendes Urteil zu stellen sind.
  84. -6-
  85. 6
  86. 1. Bei einem Freispruch aus tatsächlichen Gründen muss die Begründung des Urteils so abgefasst sein, dass das Revisionsgericht überprüfen kann,
  87. ob dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind.
  88. Deshalb hat der Tatrichter in der Regel nach dem Tatvorwurf und der Einlassung des Angeklagten zunächst in einer geschlossenen Darstellung diejenigen
  89. Tatsachen zum objektiven Tatgeschehen festzustellen, die er für erwiesen hält,
  90. bevor er in der Beweiswürdigung darlegt, aus welchen Gründen die für einen
  91. Schuldspruch erforderlichen - zusätzlichen - Feststellungen zur objektiven und
  92. subjektiven Tatseite nicht getroffen werden konnten (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil
  93. vom 17. Mai 1990 - 4 StR 208/90, BGHR StPO § 267 Abs. 5 Freispruch 4;
  94. BGH, Urteil vom 4. Juli 1991 - 4 StR 233/91, BGHR StPO § 267 Abs. 5 Freispruch 7). Hierauf kann nur ausnahmsweise verzichtet werden, wenn Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen überhaupt nicht möglich waren (vgl. BGH,
  95. Urteil vom 26. November 1996 - 1 StR 405/96, BGHR StPO § 267 Abs. 5 Freispruch 12) oder bei einem Freispruch aus subjektiven Gründen die Urteilsgründe ohne Feststellungen zum objektiven Sachverhalt ihrer Aufgabe gerecht werden, dem Revisionsgericht die Überprüfung der Beweiswürdigung auf Rechtsfehler zu ermöglichen (vgl. BGH, Urteil vom 9. Juni 2005 - 3 StR 269/04, BGHR
  96. StPO § 267 Abs. 5 Freispruch 14).
  97. 7
  98. 2. Diese Mindestanforderungen an die Darstellung eines freisprechenden Urteils sind hier nicht erfüllt.
  99. -7-
  100. 8
  101. Eine geschlossene Darstellung derjenigen Tatsachen, die das Landgericht zur Tatvorgeschichte, zur Tatnachgeschichte und vor allem zum objektiven
  102. Tatgeschehen für erwiesen hält, fehlt völlig. Dass solche Feststellungen überhaupt nicht möglich waren, ist eher fernliegend und ergibt sich aus den Urteilsgründen nicht. In dem angefochtenen Urteil schließt sich nach der Mitteilung
  103. des Anklagevorwurfs und der Zeugenaussagen unmittelbar die Beweiswürdigung an.
  104. 9
  105. Es bleibt daher schon offen, von welcher Tatvorgeschichte, welche der
  106. Angeklagte und die Nebenklägerin in entscheidenden Punkten unterschiedlich
  107. schilderten, das Landgericht ausgeht. Insbesondere bleibt unklar, wie sich nach
  108. seiner Überzeugung die Beziehung zwischen dem Angeklagten und der Nebenklägerin tatsächlich gestaltete und ob sie - wie der Angeklagte in seiner Einlassung behauptet hat - trotz der Trennung weiterhin regelmäßig geschlechtlich
  109. miteinander verkehrten. Auch lässt sich den Urteilsgründen nicht entnehmen,
  110. ob die Strafkammer der Aussage der Nebenklägerin geglaubt hat, der Angeklagte habe ihr die Zähne ausgeschlagen, sie habe wegen dessen wiederholten
  111. aggressiven Verhaltens mehrmals bei der Staatsanwaltschaft Duisburg vorgesprochen.
  112. 10
  113. Vor allem fehlen objektive Feststellungen zum Ablauf des Tattages. Das
  114. Landgericht teilt nicht mit, ob nach seiner Überzeugung der Angeklagte von der
  115. Nebenklägerin freiwillig in die Wohnung gelassen wurde oder er sich gegen
  116. deren Willen Zugang verschaffte. Die Urteilsgründe lassen insbesondere offen,
  117. ob es am Tattag zwischen dem Angeklagten und der Nebenklägerin zu sexuellen Handlungen kam und nur die Frage der Freiwilligkeit ungeklärt ist.
  118. -8-
  119. 11
  120. Die Strafkammer gibt auch nicht an, von welchen Feststellungen zum
  121. Tatnachgeschehen sie ausgeht. So befassen sich die Urteilsgründe nicht mit
  122. dem Ergebnis der Untersuchung, die nach der Aussage der Nebenklägerin am
  123. Tattag im
  124. Krankenhaus O.
  125. durchgeführt worden sein
  126. soll. Einerseits will die Geschädigte nach der Tat keinen Kontakt mehr zu dem
  127. Angeklagten gehabt haben, andererseits soll dieser - wie sie in einem Hilfsbeweisantrag behauptete - gegen ihren Willen mehrfach zu ihr gekommen sein.
  128. 12
  129. Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung.
  130. Becker
  131. Pfister
  132. Schäfer
  133. von Lienen
  134. Mayer