Search on legal documents using Tensorflow and a web_actix web interface
You can not select more than 25 topics Topics must start with a letter or number, can include dashes ('-') and can be up to 35 characters long.

303 lines
11 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. 3 StR 37/18
  5. vom
  6. 18. Oktober 2018
  7. in der Strafsache
  8. gegen
  9. wegen Totschlags
  10. ECLI:DE:BGH:2018:181018U3STR37.18.0
  11. -2-
  12. Der
  13. 3. Strafsenat
  14. des
  15. Bundesgerichtshofs
  16. hat
  17. in
  18. der
  19. Sitzung
  20. 18. Oktober 2018, an der teilgenommen haben:
  21. Richter am Bundesgerichtshof
  22. Gericke
  23. als Vorsitzender,
  24. Richterin am Bundesgerichtshof
  25. Dr. Spaniol,
  26. die Richter am Bundesgerichtshof
  27. Dr. Tiemann,
  28. Dr. Berg,
  29. Hoch
  30. als beisitzende Richter,
  31. Richter am Landgericht
  32. - in der Verhandlung -,
  33. Staatsanwältin
  34. - bei der Verkündung als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
  35. Rechtsanwalt
  36. als Verteidiger,
  37. Rechtsanwalt
  38. als Vertreter der Nebenklägerin P.
  39. Rechtsanwältin
  40. als Vertreterin des Nebenklägers B.
  41. T.
  42. Justizfachangestellte
  43. als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
  44. für Recht erkannt:
  45. ,
  46. T.
  47. ,
  48. vom
  49. -3-
  50. 1. Auf die Revisionen der Nebenkläger wird das Urteil des
  51. Landgerichts Verden vom 15. Juni 2017 mit den Feststellungen aufgehoben.
  52. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung,
  53. auch über die Kosten dieser Rechtsmittel, an eine andere
  54. Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
  55. 2. Die Revision des Angeklagten wird verworfen.
  56. 3. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und die
  57. den Nebenklägern hierdurch entstandenen notwendigen
  58. Auslagen zu tragen.
  59. Von Rechts wegen
  60. Gründe:
  61. 1
  62. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von elf Jahren und sechs Monaten verurteilt und seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Dagegen richten sich die jeweils auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revisionen der
  63. Nebenkläger P.
  64. T.
  65. und B.
  66. T.
  67. , die geltend machen,
  68. dass das Landgericht den Angeklagten zu Unrecht nicht wegen Mordes verurteilt habe. Der Angeklagte wendet sich mit der allgemeinen Sachrüge gegen
  69. -4-
  70. seine Verurteilung. Die Revisionen der Nebenkläger führen zur Aufhebung des
  71. Urteils; das Rechtsmittel des Angeklagten hat keinen Erfolg.
  72. I.
  73. 2
  74. 1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
  75. 3
  76. Der Angeklagte befand sich seit Januar 2013 aufgrund einer früheren
  77. Verurteilung, mit der auch seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt und
  78. die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet worden waren, im
  79. Maßregelvollzug in Rehburg-Loccum.
  80. 4
  81. Am 12. September 2015 hatte er unbegleiteten Tagesausgang und traf
  82. spätestens gegen 15:00 Uhr an einem Waldstück südlich des Loccumer
  83. Klosters auf die später getötete J.
  84. T.
  85. . Ob die beiden sich bereits kann-
  86. ten und verabredet hatten oder ob sie einander zufällig begegneten, hat das
  87. Landgericht nicht feststellen können. Es ist jedenfalls zugunsten des Angeklagten davon ausgegangen, dass das Opfer ihm freiwillig zu einem im Wald
  88. gelegenen Platz folgte, der sich etwa 120 Meter abseits des befestigten
  89. Wegs befindet. Dort kam es zum Austausch sexueller Handlungen, wobei das
  90. Landgericht wiederum zugunsten des Angeklagten angenommen hat, dass
  91. dies freiwillig geschah. Während des Zusammentreffens entschloss sich der
  92. Angeklagte, J.
  93. T.
  94. durch Erwürgen zu töten. Zugunsten des Angeklag-
  95. ten hat die Strafkammer unterstellt, dass er sich hierzu spontan entschloss; ein
  96. Motiv hat sie nicht festzustellen vermocht. Der Angeklagte würgte das Opfer so
  97. heftig und lange, dass es einen Zungenbiss erlitt und infolge des Angriffs gegen
  98. ihren Hals erstickte. Im Rahmen seiner Gegenwehr fügte es dem Angeklagten
  99. Kratzer an der linken Wange zu.
  100. -5-
  101. 5
  102. Nachdem der Angeklagte Frau T.
  103. getötet hatte, trug er ihren mit
  104. Ausnahme einer Socke am linken Fuß unbekleideten Leichnam ca. 30 Meter
  105. weiter in den Wald hinein und bedeckte ihn mit Stöcken und Ästen. Sodann entfernte er am Tatort die Spuren, übersah dabei jedoch zum einen die Brille des
  106. Opfers sowie zum anderen ein Kaugummipapier mit DNA-Anhaftungen, die mit
  107. einer Wahrscheinlichkeit von eins zu 14,5 Quadrillionen von ihm stammen.
  108. Anschließend fuhr er mit seinem Fahrrad zum Maßregelvollzugszentrum zurück.
  109. 6
  110. 2. Das Landgericht hat die Tat als Totschlag (§ 212 StGB) gewertet. Von
  111. der Verwirklichung eines Mordmerkmals gemäß § 211 Abs. 2 StGB hat es sich
  112. nicht zu überzeugen vermocht.
  113. 7
  114. Hinsichtlich des Merkmals der Verdeckungsabsicht hat die Strafkammer
  115. im Rahmen der Beweiswürdigung ausgeführt, dass eine Straftat, die hätte verdeckt werden sollen, nicht festzustellen gewesen sei. Zwar sei es "durchaus
  116. vorstellbar, dass der Angeklagte eine sexuelle Nötigung oder Vergewaltigung
  117. zum Nachteil der J.
  118. J.
  119. T.
  120. T.
  121. begangen hat und nach dieser Tat befürchtete,
  122. werde ihn anzeigen" (UA S. 59 f.); ebenfalls sei denkbar, "dass
  123. sich der Angeklagte aus Angst vor einer Strafverfolgung entschloss, J.
  124. T.
  125. zu töten" (UA S. 60). Jedoch handle es sich bei dieser Annahme nur um
  126. ein mögliches, nicht aber um ein sicher feststehendes Geschehen (UA S. 60).
  127. Letztlich erscheine es auch möglich, "ohne dass dies… positiv festzustellen
  128. oder zu Gunsten des Angeklagten anzunehmen" sei, dass der Angeklagte und
  129. Frau T.
  130. aus einem nicht bekannten Grund in Streit geraten seien und er
  131. sich deshalb entschlossen habe, sie zu töten (UA S. 61).
  132. -6-
  133. II.
  134. 8
  135. Die Revisionen der Nebenkläger, die die unterbliebene Verurteilung des
  136. Angeklagten wegen Mordes gemäß § 211 StGB beanstanden, haben Erfolg.
  137. 9
  138. Die Begründung, mit der das Landgericht die Annahme des Mordmerkmals der Verdeckungsabsicht abgelehnt hat, begegnet - auch unter Berücksichtigung des eingeschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsmaßstabs (vgl.
  139. hierzu BGH, Beschluss vom 31. Mai 2016 - 3 StR 86/16, juris Rn. 11; Urteil vom
  140. 2. Februar 2017 - 4 StR 423/16, juris Rn. 8) - durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die Beweiswürdigung des Landgerichts erweist sich als lückenhaft,
  141. denn die Strafkammer hat nicht sämtliche Umstände, die dazu geeignet waren,
  142. die Entscheidung zu beeinflussen, in ihre Überlegungen einbezogen und
  143. einer umfassenden Gesamtwürdigung zugeführt (vgl. BGH, Urteil vom
  144. 2. Februar 2017 - 4 StR 423/16, juris Rn. 8). Sie hat es insbesondere verabsäumt, das strafrechtlich relevante Vorleben des Angeklagten in den Blick zu
  145. nehmen (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 27. September 2017 - 2 StR 146/17,
  146. NStZ-RR 2017, 383).
  147. 10
  148. Den Feststellungen des Landgerichts zu den persönlichen Verhältnissen
  149. des Angeklagten ist zu entnehmen, dass dieser in der Vergangenheit wiederholt
  150. wegen Sexualdelikten verurteilt worden ist, bei denen er Zufallsopfer auswählte
  151. und diese zur Durchsetzung seiner sexuellen Interessen gewaltsam am Hals
  152. würgte. So griff er in einem Fall in einem Waldstück die ihm nicht bekannte
  153. Geschädigte von hinten an, indem er ihr einen Arm um den Hals legte und so
  154. fest zudrückte, dass diese für kurze Zeit das Bewusstsein verlor. Sodann
  155. schleppte er sie einige Meter hinter einen Baum und versuchte, sexuelle Handlungen an ihr zu vollziehen, wobei er ihr mehrfach damit drohte, ihr die Kehle
  156. durchzuschneiden und sie umzubringen. In einem anderen Fall näherte sich der
  157. -7-
  158. Angeklagte auf der Straße einer ihm fremden Geschädigten, umfasste mit
  159. einem Arm von hinten ihren Hals, drückte ihr mit der anderen Hand den Mund
  160. zu und nahm anschließend unter fortwährender Gewalteinwirkung sexuelle
  161. Handlungen an ihr vor. Und schließlich riss der Angeklagte in einem weiteren
  162. Fall eine ihm nicht bekannte Geschädigte auf einem Parkplatz von ihrem Auto
  163. weg, indem er einen Arm von hinten um ihren Hals legte und so fest zudrückte,
  164. dass sie keine Luft mehr bekam. Als die Geschädigte seiner Aufforderung, das
  165. Auto zu öffnen, nicht nachkam, drückte er fester zu. Im Fahrzeug umgriff er
  166. sodann mit seinen Händen ihren Hals und äußerte, dass sie tun solle, was er
  167. von ihr verlange, wenn sie nicht sterben wolle. Weil die Geschädigte sich weiter
  168. weigerte, drückte der Angeklagte ihr wieder mit der Hand den Hals, so dass sie
  169. keine Luft mehr bekam. Zudem sagte er zu ihr: "Entweder Du lässt locker, oder
  170. Du bist weg!".
  171. 11
  172. In Anbetracht der erkennbaren Parallelen zwischen dem äußeren Erscheinungsbild des hier verfahrensgegenständlichen Geschehens und der in
  173. den aufgeführten Vortaten wiederholt zu Tage getretenen gleichartigen Vorgehensweise des Angeklagten hätte es sich aufgedrängt, das strafrechtliche Vorleben des Angeklagten im Rahmen der gebotenen Gesamtwürdigung der Beweise und Indizien zu erörtern (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 27. September 2017
  174. - 2 StR 146/17, NStZ-RR 2017, 383). Dies gilt insbesondere mit Blick auf diejenigen Sachverhaltsteile, zu denen die Strafkammer keine Feststellungen zu
  175. treffen vermocht hat und stattdessen von der jeweils für den Angeklagten günstigsten Möglichkeit ausgegangen ist. Denn hinsichtlich dieser Aspekte war die
  176. Erkenntnisgrundlage ohne Berücksichtigung der Vorstrafentaten nicht vollständig ausgeschöpft. So hätte es etwa nahe gelegen, das bei diesen Taten gezeigte Verhalten des Angeklagten bei der Beurteilung der Fragen, ob der Angeklagte und die Geschädigte einander zufällig begegneten und die Geschädigte
  177. -8-
  178. freiwillig sexuell mit dem Angeklagten verkehrte, zu erörtern und in die Gesamtwürdigung einzustellen.
  179. 12
  180. In diesem Zusammenhang ist erneut darauf hinzuweisen, dass es nach
  181. der stetigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs weder aufgrund des
  182. Zweifelssatzes noch sonst geboten ist, zu Gunsten des Angeklagten von
  183. Annahmen auszugehen, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine
  184. konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte erbracht hat (vgl. hierzu
  185. BGH,
  186. Urteile vom 10. Mai 2017 - 2 StR 258/16, juris Rn. 17; vom 19. Oktober 2017
  187. - 3 StR 158/17, juris Rn. 24 mwN).
  188. 13
  189. Vor diesem Hintergrund hätte sich die Strafkammer auch hinsichtlich eines möglichen Motivs für die Tötung die Frage stellen müssen, welchen Grund
  190. der Angeklagte gehabt haben sollte, die Geschädigte unmittelbar nach einem
  191. einvernehmlichen sexuellen Kontakt zu töten. Für die vom Landgericht hierzu
  192. angeführte Überlegung, dass der Angeklagte und die Geschädigte aus einem
  193. unbekannten Grund in Streit geraten sein könnten, und der Angeklagte sich
  194. deshalb dazu entschlossen haben könnte, die Geschädigte zu töten, lassen
  195. sich den Urteilsgründen keine Anhaltspunkte entnehmen.
  196. III.
  197. 14
  198. Die Revision des Angeklagten ist unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2
  199. StPO. Die sachlichrechtliche Nachprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler
  200. zu seinem Nachteil aufgedeckt. Das Landgericht hat sich mit einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung von der Täterschaft des Angeklagten überzeugt. Auch
  201. die Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung begegnet
  202. keinen rechtlichen Bedenken. Dem steht nicht entgegen, dass bereits das
  203. Landgericht Aurich mit Urteil vom 19. November 2012 diese Maßregel gegen
  204. -9-
  205. den Angeklagten verhängt hat (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 31. August 1995
  206. - 4 StR 292/95, BGHR StGB § 66 Vollzug 1; LK/Rissing-van Saan/Peglau,
  207. StGB, 12. Aufl., § 66 Rn. 225). Die Voraussetzungen für die (zweite) Anordnung
  208. der Sicherungsverwahrung sind erfüllt. Es handelt sich um einen Fall der obligatorischen Anordnung nach § 66 Abs. 1 StGB. Dabei hat das Landgericht auch
  209. dem für den Ausspruch einer zweiten Sicherungsverwahrung in besonderem
  210. Maße geltenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatz hinreichend Rechnung getragen, indem es die Regelung des § 67d StGB in den Blick genommen
  211. hat (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 17. September 1998 - 5 StR 404/98,
  212. juris Rn. 3 f.).
  213. Gericke
  214. Spaniol
  215. Berg
  216. Tiemann
  217. Hoch