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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. 3 StR 231/03
  4. vom
  5. 5. August 2003
  6. in der Strafsache
  7. gegen
  8. wegen schweren Raubes u. a.
  9. -2-
  10. Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 5. August 2003 gemäß
  11. § 349 Abs. 2 StPO einstimmig beschlossen:
  12. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
  13. Verden vom 10. Dezember 2002 wird verworfen; jedoch wird der
  14. Schuldspruch dahin neu gefaßt, daß der Angeklagte wegen
  15. schweren Raubes und versuchten Diebstahls verurteilt ist.
  16. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
  17. Gründe:
  18. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen "gemeinschaftlichen
  19. schweren Raubes und wegen versuchten besonders schweren Falls des Diebstahls" zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Die Gesamtstrafe wurde gebildet aus der Einsatzstrafe für den schweren Raub von sechs
  20. Jahren, einer Einzelstrafe für den versuchten Diebstahl von zehn Monaten sowie aus zwei einbezogenen Einzelstrafen von zwei Jahren sechs Monaten und
  21. zwei Jahren aus einer früheren Entscheidung. Die Nachprüfung des Urteils auf
  22. Grund der Revisionsrechtfertigung hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des
  23. Angeklagten ergeben. Der Senat hat lediglich den Schuldspruch neu gefaßt,
  24. weil die Bezeichnung einer Tat als gemeinschaftlich begangen sowie das Vorliegen gesetzlicher Regelbeispiele für besonders schwere Fälle nicht in die
  25. Urteilsformel aufzunehmen ist (Meyer-Goßner, StPO 46. Aufl. § 260 Rdn. 25
  26. m. w. N.).
  27. -3-
  28. 1. Näherer Erörterung bedarf nur die Rüge, das Landgericht habe gegen
  29. den Grundsatz des fairen Verfahrens verstoßen, weil es den Angeklagten und
  30. seinen Verteidiger über den Inhalt einer verfahrensbeendenden Absprache im
  31. Unklaren gelassen habe. Ihr liegt folgender von der Revision vorgetragener
  32. und insoweit durch die dienstliche Erklärung des Vorsitzenden der Strafkammer bestätigter Sachverhalt zugrunde:
  33. Vor der Hauptverhandlung hatte es mehrere Telefonate zwischen dem
  34. Verteidiger und dem Vorsitzenden darüber gegeben, ob das Verfahren "einvernehmlich" beendet werden könnte. Dabei wurde eine Einigung dahingehend
  35. erzielt, daß der Angeklagte wegen der beiden angeklagten Taten (schwerer
  36. Raub und versuchter Diebstahl) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von höchstens
  37. vier Jahren und neun Monaten verurteilt werden würde, sofern er umfassend
  38. geständig sei. In diesen Gesprächen, in denen sich die Beteiligten der Notwendigkeit, weitere Strafen einzubeziehen, noch nicht bewußt waren, wurde
  39. auch erörtert, ob der Angeklagte die beiden Mitangeklagten belasten werde.
  40. Dieser Aussageinhalt war erneut Gegenstand eines Telefonats kurz vor dem
  41. Hauptverhandlungstermin sowie eines Gesprächs unmittelbar vor Beginn der
  42. Hauptverhandlung, bei dem der Vorsitzende den Verteidiger fragte, ob "alles
  43. beim Alten bleibe". In der Hauptverhandlung hat der Angeklagte sodann, ohne
  44. daß zuvor die Gespräche zwischen dem Verteidiger und dem Vorsitzenden
  45. zum Gegenstand der Erörterung gemacht worden waren, (teil)geständige Angaben gemacht. Nach Abschluß des ersten Hauptverhandlungstages hat der
  46. Vorsitzende dem Verteidiger mit den Worten, "auch im Strafrecht" gebe es "den
  47. Wegfall der Geschäftsgrundlage", mitgeteilt, er fühle sich nicht mehr an die
  48. vorherige Absprache gebunden.
  49. -4-
  50. Der Revisionsvortrag, es sei von Seiten der Strafkammer nachgefragt
  51. worden, ob auch eine Belastung der Mitangeklagten erfolgen würde, worauf die
  52. Verteidigung mit dem Hinweis reagiert habe, der Angeklagte könne aus eigenem Wissen dazu wenig sagen, wird durch die dienstliche Erklärung des Vorsitzenden nicht bestätigt. Dieser hat erklärt: Es sei der Verteidiger gewesen,
  53. der auf die Mitteilung, die Kammer nehme bei geständiger Einlassung des Angeklagten eine Strafobergrenze von fünf bis fünfeinhalb Jahren in Aussicht,
  54. nachgefragt habe, ob eine weitere Strafmilderung in Betracht käme, wenn sein
  55. Mandant auch die Mitangeklagten belaste. Daraufhin habe die Kammer für den
  56. Fall einer Belastung auch der Mitangeklagten im Umfang des Anklagevorwurfs
  57. eine Strafobergrenze von vier Jahren und neun Monaten in Aussicht gestellt. In
  58. der Folgezeit hätten die Informationen des Verteidigers, ob eine solche Drittbelastung erfolgen werde, mehrfach gewechselt, das Gespräch mit dem Verteidiger unmittelbar vor Beginn der Hauptverhandlung habe er, der Vorsitzende,
  59. so verstanden, daß ein volles Geständnis und eine Drittbelastung im Sinne der
  60. Anklage erfolgen werden. Wegen der gleichwohl bestehenden Unsicherheit
  61. über den Inhalt der Aussage habe er aber eine abgesprochene Verständigung
  62. in der Hauptverhandlung nicht protokolliert.
  63. Der Revisionsvortrag, der Angeklagte habe gleich zu Beginn der Hauptverhandlung umfassend gestanden, wird durch die dienstliche Erklärung des
  64. Vorsitzenden ebenfalls nicht bestätigt. Darin heißt es: Der Angeklagte habe am
  65. ersten Hauptverhandlungstag weder die ihm vorgeworfene Tat umfassend eingeräumt noch die Mitangeklagten belastet. Unter dem Eindruck dieser Einlassung habe der Verteidiger gegenüber ihm, dem Vorsitzenden, Verständnis dafür geäußert, daß die Kammer an die Strafrahmenobergrenze nicht mehr ge-
  66. -5-
  67. bunden sei. Erst nach der Vernehmung der Geschädigten habe der Angeklagte
  68. an späteren Hauptverhandlungstagen ein volles Geständnis abgelegt.
  69. Die Revision rügt, der Grundsatz des fairen Verfahrens sei dadurch
  70. verletzt, daß das Landgericht nicht klargestellt habe, welche inhaltlichen Anforderungen es an das Geständnis gestellt hatte. Auf diese Weise habe sich der
  71. Angeklagte in Erwartung einer Strafe von vier Jahren und neun Monaten für die
  72. angeklagten Taten mit seinem Geständnis zu Beginn der Hauptverhandlung
  73. jeder weiteren Verteidigungsmöglichkeit begeben.
  74. 2. Die Rüge bleibt ohne Erfolg. Der Grundsatz des fairen Verfahrens ist
  75. nicht verletzt. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Angeklagte auch hinsichtlich seines eigenen Tatbeitrags ein Geständnis erst abgelegt hat, nachdem eine Beweisaufnahme durchgeführt worden war, also die auch aus seiner
  76. Sicht vereinbarte Leistung nicht erbracht hat.
  77. a) Der Angeklagte kann sich - wie der Senat bereits in einer anderen
  78. Sache (BGH NStZ 2001, 555) entschieden hat - im Hinblick auf die verhängte
  79. Strafe (Einzelstrafen von sechs Jahren und von zehn Monaten für die angeklagten Taten) schon deshalb nicht auf die mit dem Strafkammervorsitzenden
  80. geführten Gespräche berufen, weil die Mindestbedingungen, die der Bundesgerichtshof für Verständigungen im Strafverfahren aufgestellt hat (BGHSt 43,
  81. 195), nicht gewahrt sind. Danach muß eine Verständigung unter Mitwirkung
  82. aller Verfahrensbeteiligten in öffentlicher Hauptverhandlung stattfinden. Das
  83. Ergebnis der Absprache ist - da es sich um einen wesentlichen Verfahrensvorgang handelt - im Protokoll über die Hauptverhandlung festzuhalten (BGHSt
  84. 43, 195, 206; 45, 227). Da dies nicht geschehen ist, kann der Angeklagte aus
  85. Erklärungen des Vorsitzenden nichts für sich herleiten (vgl. auch BVerfG StV
  86. -6-
  87. 2000, 3; BGH NStZ 2000, 495 mit Anm. Weider StV 2000, 540; Kuckein/Pfister
  88. in FS 50 Jahre BGH, S. 641, 659). Ein Vertrauenstatbestand ergibt sich nur
  89. aus einer in öffentlicher Hauptverhandlung protokollierten Zusage einer Strafobergrenze (vgl. BGH StV 2003, 268).
  90. b) Auch dadurch, daß der Strafkammervorsitzende das (Teil)Geständnis
  91. des Angeklagten entgegennahm, ohne zuvor die Gespräche zwischen ihm und
  92. dem Verteidiger offenzulegen, ist das Gebot fairer Verfahrensführung nicht
  93. verletzt worden. Zwar wäre der Strafkammervorsitzende verpflichtet gewesen,
  94. die Gespräche zum Gegenstand der Hauptverhandlung zu machen: Wie sich
  95. aus seiner Erklärung gegenüber dem Verteidiger nach dem ersten Verhandlungstag ergibt, wonach er sich aufgrund des Einlassungsverhaltens des Angeklagten nicht mehr an die Verständigung gebunden fühle, ging der Vorsitzende zu Beginn der Verhandlung davon aus, sich mit dem Verteidiger verständigt zu haben. Allein die Unsicherheit des Vorsitzenden "hinsichtlich der zu
  96. erwartenden Aussage" (wie es in seiner dienstlichen Äußerung wörtlich heißt)
  97. bzw. seine Unsicherheit über den genauen Inhalt der getroffenen Abrede in
  98. Bezug auf den Umfang des Geständnisses und das Ausmaß der Belastung der
  99. Mitangeklagten konnte die Verpflichtung, die Gespräche zum Gegenstand einer Erörterung in der öffentlichen Hauptverhandlung zu machen, entgegen seiner Einschätzung nicht beseitigen; diese Zweifel drängten im Gegenteil zu einer klärenden Erörterung. Indes durfte sich - wie in der Rechtsprechung anerkannt ist (vgl. BVerfG StV 2000, 3) - der Angeklagte insoweit nicht allein auf
  100. das Verhalten des Vorsitzenden verlassen, sondern hätte durch seinen Verteidiger - ggf. durch Anrufung des Gerichts gem. § 238 Abs. 2 StPO - eine Offenlegung herbeiführen müssen. Dies hätte dann zu einer Aufdeckung des zwischen dem Strafkammervorsitzenden und dem Verteidiger möglicherweise be-
  101. -7-
  102. stehenden Dissenses und im Anschluß daran entweder zu einer unter
  103. Einschluß aller Verfahrensbeteiligten erfolgten und nach den Mindestbedingungen der Entscheidung BGHSt 43, 195 in der Hauptverhandlung protokollierten Verständigung geführt oder dem Angeklagten erlaubt, über sein Verteidigungsverhalten neu zu entscheiden.
  104. Tolksdorf
  105. Miebach
  106. Pfister
  107. Winkler
  108. Becker