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277 lines
11 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. 2 StR 605/13
  5. vom
  6. 20. August 2014
  7. in der Strafsache
  8. gegen
  9. wegen Totschlags
  10. -2-
  11. Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 20. August
  12. 2014, an der teilgenommen haben:
  13. Richter am Bundesgerichtshof
  14. Dr. Appl
  15. als Vorsitzender,
  16. die Richter am Bundesgerichtshof
  17. Prof. Dr. Schmitt,
  18. Prof. Dr. Krehl,
  19. Dr. Eschelbach,
  20. Zeng,
  21. Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof
  22. als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
  23. Rechtsanwalt
  24. als Verteidiger,
  25. der Nebenkläger H.
  26. S.
  27. ,
  28. Rechtsanwalt
  29. als Vertreter des Nebenklägers H.
  30. S.
  31. ,
  32. Rechtsanwältin
  33. als Vertreterin der Nebenklägerin A.
  34. Justizangestellte
  35. als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
  36. für Recht erkannt:
  37. S.
  38. ,
  39. -3-
  40. Die Revisionen der Nebenkläger gegen das Urteil des Landgerichts Marburg vom 26. August 2013 werden verworfen.
  41. Die Beschwerdeführer haben die Kosten ihrer Rechtsmittel und
  42. die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
  43. Von Rechts wegen
  44. Gründe:
  45. 1
  46. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Jugendstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt und ausgesprochen,
  47. dass er ein Schmerzensgeld in Höhe von 5.000 Euro nebst Zinsen an die Nebenkläger als Gesamtgläubiger zu zahlen habe. Hiergegen richten sich die auf
  48. die Sachrüge gestützten Revisionen der Nebenkläger, die den Adhäsionsausspruch vom Rechtsmittelangriff ausgenommen haben. Die Rechtsmittel haben
  49. keinen Erfolg.
  50. I.
  51. 2
  52. 1. Nach den Feststellungen des Landgerichts schuldete der Angeklagte
  53. dem später getöteten P.
  54. S.
  55. einen Geldbetrag, vertröstete diesen
  56. aber wiederholt. Am 19. März 2013 hielt sich der Angeklagte bei Freunden auf
  57. und trank Bier und Jägermeister. Der nicht anwesende S.
  58. teilte dem
  59. Angeklagten über eine Internetplattform mit, dass er mit dessen Freundin geschlafen habe, was zu wechselseitigen Beleidigungen führte. Die Kommunikation im Internet mündete in der Abrede, "dass ein Faustkampf Mann gegen
  60. -4-
  61. Mann um 22.10 Uhr am Spielplatz in N.
  62. stattfinden sollte".
  63. Kurz vor dem Aufbruch zum "Duell" schrieb der Angeklagte seiner Freundin
  64. eine Kurznachricht, in der er ihr mitteilte: "… Ich schlag den tot …". Sie antwortete, "dass er es lassen soll und sie nicht mit P.
  65. S.
  66. geschlafen ha-
  67. be". Er erwiderte: "Egal, ich geh jetzt zu dem …".
  68. 3
  69. Gemeinsame Bekannte wollten als Zuschauer dem Geschehen beiwohnen, bei dem es sich aus ihrer Sicht um einen Kampf ohne Waffen handeln
  70. sollte. P.
  71. S.
  72. war größer als der Angeklagte und trainierte "Muay-
  73. Thai-Boxen". Der Angeklagte hatte Angst vor seinem Gegner, was aber seinen
  74. Entschluss zum Kampf nicht hinderte. Beim Verlassen der Wohnung steckte er
  75. ein Klappmesser mit einhändig feststellbarer Klinge ein. Einer seiner Freunde
  76. beobachtete dies und forderte ihn auf, das Messer zurückzulassen, kümmerte
  77. sich im Folgenden aber nicht mehr darum. Als der Angeklagte gegen 22.07 Uhr
  78. am Spielplatz eintraf, wollte er sich auch mit einem Plastikrohr bewaffnen, was
  79. ihm von einem Begleiter mit der Bemerkung, es solle ein fairer Kampf stattfinden, verwehrt wurde.
  80. 4
  81. Während des nun folgenden Kampfgeschehens versetzte S.
  82. zu-
  83. erst dem Angeklagten Faustschläge ins Gesicht und einen Tritt gegen den
  84. Oberkörper. "Der Angeklagte wehrte sich, indem er mit gleichsam rudernden
  85. Fäusten auf P.
  86. S.
  87. losging". Dabei hielt er das Messer in seiner
  88. Hand, jedoch so, dass nur drei bis vier Zentimeter der Klinge herausragten.
  89. Seine Schlagbewegungen wurden von dem Geschädigten pariert, der sich dabei - von ihm selbst unbemerkt - leichte Schnittverletzungen am Unterarm zuzog.
  90. 5
  91. Aufgrund der Kampfhandlungen fiel der Angeklagte rückwärts zu Boden,
  92. worauf der Geschädigte einige Schritte zurücktrat und die Reaktion des Angeklagten abwartete. Dieser war erregt und wütend. Aufgrund einer Persönlichkeitsstörung und leichter Alkoholisierung sowie Drogeneinwirkung stand er un-
  93. -5-
  94. ter besonderer Anspannung. Er sprang sofort wieder auf und ging zum Angriff
  95. über. Dabei holte er seitlich aus und führte das Messer in der rechten Hand. Er
  96. wollte sich für den raschen Niederschlag rächen und den Platz nicht als Verlierer verlassen. Mit einer sichelförmigen Bewegung stach er dem Geschädigten
  97. in den Bauch und sofort anschließend in die linke Seite des Brustkorbs. Dabei
  98. traf er die Herzkammer, was alsbald zum Tode führte. Dem Angeklagten war
  99. bei Ausführung der Stiche bewusst, dass er seinen Gegner tödlich treffen konnte, womit er sich aber abfand.
  100. 6
  101. 2. Das Landgericht hat die Handlung nur als Totschlag und nicht als
  102. Mord im Sinne von § 211 Abs. 2 StGB bewertet.
  103. 7
  104. Heimtücke sei nicht anzunehmen. Zwar sei der Getötete, der nur mit einem Faustkampf gerechnet habe, zurzeit der Stiche arg- und wehrlos gewesen.
  105. Aufgrund starker Wut- und Rachegefühle, seiner Persönlichkeitsstörung sowie
  106. seiner Alkoholisierung habe der Angeklagte aber nicht mit dem Bewusstsein
  107. der Ausnutzung der Arglosigkeit des Opfers gehandelt.
  108. Im Übrigen sei bereits objektiv nicht notwendig von einem Handeln des
  109. Angeklagten aus niedrigen Beweggründen auszugehen; jedenfalls habe ihm
  110. zur Tatzeit die Fähigkeit der Beherrschung solcher Beweggründe gefehlt.
  111. II.
  112. 8
  113. Die Revisionen der Nebenkläger, die eine Verurteilung des Angeklagten
  114. wegen Mordes erstreben, sind unbegründet.
  115. 9
  116. 1. Die Verneinung von Heimtücke ist rechtsfehlerfrei.
  117. 10
  118. a) Dabei kann offen bleiben, ob das Landgericht den objektiven Tatbestand des Mordmerkmals der Heimtücke zu Recht bejaht hat.
  119. -6-
  120. 11
  121. Heimtücke ist gegeben, wenn der Täter die Arg- und Wehrlosigkeit des
  122. Opfers bewusst zur Ausführung des tödlichen Angriffs ausnutzt. Arglos ist das
  123. Tatopfer, wenn es bei Beginn des ersten mit Tötungsvorsatz geführten Angriffs
  124. nicht mit einem gegen seine körperliche Unversehrtheit gerichteten schweren
  125. oder doch erheblichen Angriff rechnet (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom
  126. 29. April 2014 - 3 StR 21/14 mwN). Hat das Opfer in der Tatsituation mit ernsthaften Angriffen auf seine körperliche Unversehrtheit gerechnet, scheidet Arglosigkeit im Allgemeinen aus (vgl. BGH, Beschluss vom 9. April 2002 - 5 StR
  127. 5/02, NStZ-RR 2002, 233, 234). Ob die Arglosigkeit auch dann ausgeschlossen
  128. ist, wenn die Kontrahenten ausdrücklich oder zumindest konkludent einen
  129. Faustkampf ohne Waffen verabredet haben, aber der Täter abredewidrig und
  130. überraschend mit Tötungsvorsatz eine Waffe einsetzt (vgl. Hofmann NStZ
  131. 2011, 66 f.; NK/Neumann, StGB, 4. Aufl., § 211 Rn. 60; Matt/Renzikowski/
  132. Safferling, StGB, 2013, § 211 Rn. 42), muss der Senat nicht entscheiden, weil
  133. das Landgericht jedenfalls ohne Rechtsfehler das Bewusstsein des Angeklagten zur Ausnutzung von Arg- und Wehrlosigkeit des Geschädigten gegenüber
  134. dem auf sein Leben zielenden Angriff ausgeschlossen hat.
  135. 12
  136. b) Voraussetzung heimtückischer Begehungsweise ist nämlich auch,
  137. dass der Täter die von ihm erkannte Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tatbegehung ausnutzt (vgl. BGH, Beschluss vom 2. Dezember 1957
  138. - GSSt 3/57, BGHSt 11, 139, 144; Urteil vom 11. Dezember 2012
  139. - 5 StR 438/12, NStZ 2013, 232, 233). Er muss die Lage nicht nur in einer äußerlichen Weise wahrgenommen, sondern in ihrer Bedeutung für die Tatbegehung erfasst haben und ihm muss bewusst gewesen sein, einen durch Ahnungslosigkeit gegenüber dem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen
  140. (vgl. Senat, Urteil vom 29. April 2009 - 2 StR 470/08, NStZ 2009, 569, 570); das
  141. kann allerdings "mit einem Blick" geschehen (BGH, Urteil vom 8. Oktober 1969
  142. - 3 StR 90/69, BGHSt 23, 119, 121).
  143. -7-
  144. 13
  145. Dabei kann die Spontanität des Tatentschlusses im Zusammenhang mit
  146. der Vorgeschichte der Tat und dem psychischen Zustand des Täters ein Beweisanzeichen dafür sein, dass ihm das Ausnutzungsbewusstsein fehlte. Andererseits hindert nicht jede affektive Erregung oder heftige Gemütsbewegung
  147. einen Täter daran, die Bedeutung der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers für die
  148. Tat zu erkennen (vgl. Senat, Urteil vom 11. Juni 2014 - 2 StR 117/14); dies ist
  149. vielmehr eine vom Tatgericht zu bewertende Tatfrage (BGH, Urteil vom 11. Dezember 2012 - 5 StR 438/12, NStZ 2013, 232, 233 mwN). Insoweit können
  150. auch psychische Ausnahmezustände unterhalb der Schwelle des § 21 StGB
  151. der Annahme des Ausnutzungsbewusstseins entgegenstehen (vgl. BGH, Urteil
  152. vom 12. Juni 2014 - 3 StR 154/14 mwN).
  153. 14
  154. Das Landgericht ist hinsichtlich der mit Tötungsvorsatz begangenen
  155. Handlung von einer "Augenblickstat" ausgegangen. Es hat die starken Wutund Rachegefühle des Angeklagten berücksichtigt, die "in ihm hochgekommen"
  156. sind, als er vom Geschädigten zu Boden geschlagen wurde; seine Persönlichkeitsstörung vom emotional-instabilen Typ hat die Anspannung verstärkt und
  157. die Alkoholisierung ist als enthemmender Faktor hinzugekommen. Zwar erscheint jeder dieser Faktoren für sich genommen nicht notwendigerweise geeignet, das Ausnutzungsbewusstsein des Angeklagten hinsichtlich der Arglosigkeit des Geschädigten gegenüber einem tödlichen Angriff auszuschließen.
  158. Das Landgericht hat die Umstände aber in ihrem Zusammenwirken bewertet.
  159. Dagegen ist rechtlich nichts zu erinnern.
  160. 15
  161. c) Auch die Beweiswürdigung des Landgerichts ist rechtsfehlerfrei.
  162. 16
  163. Die Ankündigung des Angeklagten gegenüber seiner Freundin: "Ich
  164. schlag den tot", liefert keinen aussagekräftigen Hinweis darauf, dass er vorausgeplant hatte, den Gegner beim Kampf zu erstechen. Dass der tödliche Messereinsatz erst erfolgte, nachdem der Angeklagte niedergeschlagen worden
  165. war, spricht ebenso gegen eine vorausgeplante Tat, wie die Feststellung, dass
  166. -8-
  167. er beim Eintreffen am Kampfplatz ein Plastikrohr mitnehmen wollte, das ihm
  168. zwar einen Vorteil verschafft hätte, zu einer - zudem heimlichen - Tötung jedoch eher ungeeignet war. Vor diesem Hintergrund ist die Annahme des Landgerichts, der Tatentschluss zu einem mit Tötungsvorsatz geführten Messerangriff sei erst während des Kampfes gefasst worden, rechtlich nicht zu beanstanden.
  169. 17
  170. 2. Ein Handeln des Angeklagten aus niedrigen Beweggründen hat das
  171. Landgericht ebenfalls rechtsfehlerfrei verneint.
  172. 18
  173. Bei Motiven wie Wut und Erregung kommt es darauf an, ob diese Gefühlsregungen jedes nachvollziehbaren Grundes entbehren und das Handlungsmotiv wegen eines krassen Missverhältnisses zum Anlass in deutlich weiter reichendem Maß als bei einem Totschlag verachtenswert erscheint (vgl. Senat, Beschluss vom 30. Juli 2013 - 2 StR 5/13, NStZ 2013, 709, 710). Dies ist
  174. mit Blick auf die Provokation des Angeklagten durch den Getöteten vor dem
  175. Kampf und die Reaktion des Angeklagten auf die Wirkung der Schläge und Tritte des Geschädigten bereits zweifelhaft.
  176. 19
  177. Jedenfalls hat das Landgericht die subjektive Seite des Mordmerkmals
  178. rechtsfehlerfrei verneint. So muss zur objektiven Bewertung der Handlungsantriebe als "niedrige Beweggründe" hinzukommen, dass sich der Täter bei der
  179. Begehung der Tat auch der Umstände bewusst ist, die seine Beweggründe für
  180. die Rechtsgemeinschaft als niedrig erscheinen lassen (vgl. Senat, Urteil vom
  181. 19. Oktober 2001 - 2 StR 259/01, BGHSt 47, 128, 133). Er muss diese Beweggründe gedanklich beherrschen und willensmäßig steuern können (vgl. BGH,
  182. Urteil vom 1. März 2012 - 3 StR 425/11, NStZ 2012, 691, 692). Das kann bei
  183. einer affektiven Anspannung auch aufgrund einer Persönlichkeitsstörung ausgeschlossen sein (vgl. BGH, Beschluss vom 17. April 2007 - 5 StR 548/06,
  184. -9-
  185. NStZ 2007, 525), erst recht, wenn weitere Faktoren, wie eine Alkoholisierung,
  186. hinzukommen. Die entsprechende Würdigung der hier relevanten Umstände
  187. hat das Landgericht rechtsfehlerfrei vorgenommen.
  188. Appl
  189. Schmitt
  190. Eschelbach
  191. Krehl
  192. Zeng