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9.6 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. 2 StR 482/02
  5. vom
  6. 9. April 2003
  7. in der Strafsache
  8. gegen
  9. wegen schweren Raubes
  10. -2-
  11. Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 9. April 2003,
  12. an der teilgenommen haben:
  13. Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
  14. Dr. Rissing- van Saan
  15. als Vorsitzende,
  16. die Richterin am Bundesgerichtshof
  17. Dr. Otten,
  18. die Richter am Bundesgerichtshof
  19. Rothfuß,
  20. Prof. Dr. Fischer,
  21. und die Richterin am Bundesgerichtshof
  22. Roggenbuck,
  23. Bundesanwalt
  24. als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
  25. Justizhauptsekretärin
  26. als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
  27. für Recht erkannt:
  28. -3-
  29. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 14. Juni 2002 mit den Feststellungen aufgehoben.
  30. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
  31. über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer
  32. des Landgerichts zurückverwiesen.
  33. Von Rechts wegen
  34. Gründe:
  35. I.
  36. Der Angeklagte war durch Urteil des Landgerichts Köln vom 11. Mai
  37. 1998, das der Senat am 23. September 1998 bestätigt hatte, wegen schweren
  38. Raubes zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt worden.
  39. Mit Beschluß vom 17. Januar 2000 hat das Landgericht Aachen die
  40. Wiederaufnahme des Verfahrens zugunsten des Angeklagten und die Erneuerung der Hauptverhandlung angeordnet. Das nunmehr zuständige Landgericht
  41. Aachen hat den Angeklagten freigesprochen. Gegen den Freispruch richtet
  42. sich die Revision der Staatsanwaltschaft – welche der Generalbundesanwalt
  43. vertritt – mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat
  44. Erfolg.
  45. -4-
  46. II.
  47. Nach den Feststellungen des Landgerichts überfielen der damals 23
  48. Jahre alte
  49. I.
  50. und der damals 21 Jahre alte
  51. 7. Mai 1997 gegen 20.10 Uhr die Geldbotin des N.
  52. D.
  53. am Abend des
  54. -Marktes in T.
  55. -
  56. , als sie gerade eine Geldbombe, in der sich 4000 DM befanden, bei der
  57. Bank einwerfen wollte. I.
  58. tole, D.
  59. S.
  60. bedrohte die Frau mit einer ungeladenen Gaspis-
  61. entriß ihr die Geldbombe. Die Freundin des Angeklagten,
  62. , hatte I. und D.
  63. mit ihrem Pkw zum Tatort gefahren, mit dem alle
  64. drei auch nach dem Überfall flüchteten. Da das Kennzeichen von einer Zeugin
  65. notiert worden war, wurde Frau S.
  66. am selben Abend verhaftet. Sie be-
  67. zeichnete I. als Mittäter und gab an, den Namen des zweiten Täters nicht zu
  68. kennen. I. erfuhr vom Angeklagten von der Verhaftung und versteckte sich in
  69. der Folgezeit. Zwei bis drei Tage nach der Tat brachte der Angeklagte I.
  70. 2000 DM sowie eine Tageszeitung, in der über den Überfall berichtet wurde.
  71. I. wurde am 22. Mai 1997 in den Niederlanden verhaftet. Über seinen
  72. Verteidiger ließ er sich am 20. Oktober 1997 geständig ein, benannte D.
  73. als
  74. Mittäter und den Angeklagten als Initiator der Tat. Im wesentlichen schilderte er
  75. das Vortatgeschehen so, wie es in der diesem Verfahren zugrunde liegenden
  76. Anklageschrift dargestellt ist. Danach soll sich der Angeklagte am frühen Abend des Tattages in Begleitung der Frau S.
  77. in R.
  78. mit I.
  79. und D.
  80. auf dem Parkplatz am Bahnhof
  81. getroffen und beide zu dem Überfall überredet
  82. haben, wobei er ihnen eine Beute von 100.000 DM in Aussicht gestellt und ihnen zur Tatausführung eine nicht geladene Gaspistole, Jogginganzüge, Baseballkappen und Sonnenbrillen ausgehändigt haben soll.
  83. Am Abend des 30. Oktober 1997 suchte der Angeklagte mit Frau
  84. S.
  85. den D.
  86. auf und versuchte ihn dazu zu überreden, I. als Initiator
  87. -5-
  88. der Tat zu bezeichnen und ihn und Frau S.
  89. "rauszuhalten". D.
  90. und der
  91. Angeklagte wurden am 3. November 1997 aufgrund der Einlassung des I.
  92. festgenommen. Die geständigen Beteiligten I.
  93. , D.
  94. und S.
  95. wurden
  96. am 19. November 1997 vom Landgericht Bonn rechtskräftig wegen Raubes
  97. verurteilt, wobei der Umstand, daß der Angeklagte der Initiator der Tat war, bei
  98. allen strafmildernd berücksichtigt wurde.
  99. Der Angeklagte hat eine Tatbeteiligung bestritten. Es habe Gespräche
  100. zwischen Frau S.
  101. und I.
  102. über einen Überfall gegeben und er sei zur
  103. Beteiligung aufgefordert worden, habe aber abgelehnt. Nach der Tat habe er
  104. Frau S.
  105. helfen wollen. Das Landgericht geht davon aus, daß der Ange-
  106. klagte an Gesprächen im Vorfeld der Tat teilgenommen hat, vermochte sich
  107. jedoch nicht von einer Tatbeteiligung zu überzeugen.
  108. III.
  109. Die Beweiswürdigung ist rechtsfehlerhaft.
  110. 1. Spricht das Gericht einen Angeklagten frei, weil es Zweifel an seiner
  111. Täterschaft nicht zu überwinden vermag, so ist dies durch das Revisionsgericht
  112. in der Regel hinzunehmen. Die Beweiswürdigung ist grundsätzlich Sache des
  113. Tatrichters. Die revisionsrechtliche Beurteilung ist auf die Prüfung beschränkt,
  114. ob dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind. Das
  115. ist in sachlichrechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen die Denkgesetze oder gegen
  116. gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder an die zur Verurteilung erforderliche
  117. Gewißheit übertriebene Anforderungen gestellt worden sind (st. Rspr., vgl.
  118. BGHSt 10, 208 f.; BGH StV 1994, 580 m.w.N.; BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung 22, 25 und Beweiswürdigung 16). Ein Sachmangel kann vorlie-
  119. -6-
  120. gen, wenn sich das Urteil im Rahmen der Beweiswürdigung nicht mit allen festgestellten Umständen auseinandersetzt, die den Angeklagten be- oder entlasten. Liegen mehrere Beweisanzeichen vor, so genügt es nicht, sie jeweils einzeln abzuhandeln. Auf einzelne Indizien ist der Grundsatz "in dubio pro reo"
  121. nicht isoliert anzuwenden (BGHSt 25, 285, 286 f.; 35, 308, 316; 36, 286, 289
  122. ff.; BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 24). Das einzelne Indiz darf nicht isoliert gewürdigt werden, sondern ist mit allen anderen Beweisanzeichen in eine
  123. Gesamtprüfung einzubringen. Erst die Würdigung des gesamten Beweisstoffes
  124. entscheidet darüber, ob der Richter die Überzeugung von der vollen Schuld
  125. des Angeklagten und den sie tragenden Feststellungen gewinnt. Auch wenn
  126. keine der jeweiligen Indiztatsachen für sich allein zum Nachweis der Täterschaft des Angeklagten ausreichen würde, besteht die Möglichkeit, daß sie in
  127. ihrer Gesamtheit dem Gericht die entsprechende Überzeugung vermitteln können (BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 2).
  128. 2. Ein solcher Rechtsfehler liegt hier vor. Nicht nachvollziehbar ist bereits, warum das Landgericht den den Angeklagten belastenden Angaben des
  129. Zeugen D. , die dieser im wesentlichen konstant bekundet hat, und den die
  130. Strafkammer nach seiner Person durchaus für überzeugend und glaubwürdig
  131. hält (UA S. 23), keinen entscheidenden Beweiswert beimißt. Vor allem aber hat
  132. die Strafkammer es versäumt, eine Gesamtwürdigung der in den Urteilsgründen jeweils einzeln und für sich genommen dargestellten und gewürdigten
  133. Zeugenaussagen vorzunehmen und sich dabei auch mit den festgestellten belastenden Umständen auseinanderzusetzen. Insbesondere zwei Umstände
  134. hätte die Strafkammer im Rahmen der Beweiswürdigung erörtern und bewerten
  135. müssen, die im Zusammenhang mit den Aussagen der Belastungszeugen für
  136. eine Tatbeteiligung des Angeklagten sprechen könnten: Die Strafkammer sieht
  137. es als erwiesen an, daß der Angeklagte zwei bis drei Tage nach der Tat, ent-
  138. -7-
  139. sprechend einer mit dem Zeugen I.
  140. zuvor telefonisch getroffenen Verabre-
  141. dung, mit einem unbekannt gebliebenen Bekannten nach H.
  142. gekommen ist, wo er in der N.
  143. D.
  144. traf und dem I.
  145. straße die Zeugen I.
  146. und
  147. einen Betrag von 2.000 DM sowie eine Tageszeitung
  148. übergab, in der über den Überfall berichtet wurde (UA S. 9). Dieser Betrag entsprach genau der Hälfte der Tatbeute, auch wenn die Kammer nicht sicher
  149. feststellen konnte, daß es sich um einen Teil der erbeuteten 4.000 DM handelte. Das Landgericht hat sich nicht mit der Frage auseinandergesetzt, aus
  150. welchem Grund der verschuldete und von Arbeitslosenhilfe lebende Angeklagte dem ihm flüchtig bekannten Zeugen I. eine für seine Verhältnisse so
  151. hohe Geldsumme überbracht hat. Ebensowenig geht die Beweiswürdigung der
  152. Strafkammer auf den Umstand ein, daß der Angeklagte in Begleitung der Zeugin S.
  153. versucht hat, auf den Zeugen D.
  154. Einfluß zu nehmen, "im Rah-
  155. men seiner Zeugenaussage in der anstehenden Hauptverhandlung den Zeugen I. als Initiator der Tat darzustellen und insbesondere ihn, den Angeklagten, und die Zeugin S.
  156. ´rauszuhalten´" (UA S. 10 f.). Das ausdrücklich fest-
  157. gestellte Anliegen des Angeklagten, auch ihn selbst aus der Sache "rauszuhalten", wird durch die Einlassung des Angeklagten, er habe nach der Tat der
  158. Zeugin S.
  159. helfen wollen, nicht erklärt. Es spricht vielmehr dafür, daß der
  160. Angeklagte selbst mit der Straftat sehr wohl etwas zu tun hatte.
  161. Soweit die Kammer meint, aufgrund der Aussagen der Alibizeugen sei
  162. nicht mit der erforderlichen Sicherheit zu widerlegen, daß der Angeklagte am
  163. Nachmittag des Tattages sein Haus nicht verlassen habe, räumt sie bereits
  164. selbst den Alibizeugen kein allzu großes Gewicht ein, weil der Angeklagte für
  165. das Treffen am Bahnhof R.
  166. nur eine geringe Distanz von ca. 300 m
  167. überbrücken mußte und eine etwa halbstündige Abwesenheit von seinem Besuch möglicherweise gar nicht wahrgenommen worden wäre (UA S. 33). Im
  168. -8-
  169. übrigen ergeben die Urteilsgründe nicht, daß das von den Zeugen I.
  170. D.
  171. bekundete Treffen am Hauptbahnhof in R.
  172. und
  173. nicht nach 18.30 Uhr
  174. stattgefunden haben kann. Zu den einzelnen Zeitpunkten ist lediglich festgestellt, daß die Zeugin S.
  175. in T.
  176. I.
  177. und D.
  178. am früheren Abend zum N. -
  179. fuhr (UA S. 7) und der eigentliche Überfall um 20.10
  180. Uhr stattfand. Worauf die Annahme beruht, der Angeklagte habe sich gegen
  181. 18.00 Uhr mit den Tatausführenden am Bahnhof in R.
  182. getroffen (UA
  183. S. 29), erschließt sich aus den Urteilsgründen nicht.
  184. 3. Die Sache muß deshalb neu verhandelt werden.
  185. Rissing-van Saan
  186. Otten
  187. Fischer
  188. RiBGH Rothfuß ist
  189. wegen Urlaubs an
  190. der Unterschrift
  191. gehindert
  192. Rissing-van Saan
  193. Roggenbuck