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11 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. 2 StR 402/14
  4. vom
  5. 9. April 2015
  6. in der Strafsache
  7. gegen
  8. wegen versuchten Totschlags u.a.
  9. -2-
  10. Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 9. April 2015 gemäß § 349 Abs. 4
  11. StPO beschlossen:
  12. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hanau vom 8. Juli 2014 mit den Feststellungen aufgehoben.
  13. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
  14. über die Kosten des Rechtsmittels sowie die dem Nebenkläger im
  15. Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen, an eine
  16. andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
  17. Gründe:
  18. 1
  19. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in
  20. Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs
  21. Jahren verurteilt. Die hiergegen gerichtete und auf die Rüge der Verletzung
  22. sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat Erfolg.
  23. I.
  24. 2
  25. Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
  26. 3
  27. 1. Erstmals am Nachmittag des Tattages, dem 10. Dezember 2013,
  28. suchte der später Geschädigte den Angeklagten an seinem Arbeitsplatz auf und
  29. beleidigte ihn lautstark unter anderem als Zuhälter, den er "ficken" werde. Am
  30. Abend gegen 21 Uhr erschien er erneut und setzte seine Beleidigungen fort. Es
  31. -3-
  32. entwickelte sich eine verbale Auseinandersetzung, im Rahmen derer sich nunmehr auch der Angeklagte beleidigend äußerte. Der Streit wurde durch das Erscheinen des Arbeitgebers des Angeklagten unterbrochen, der den Geschädigten zum Gehen aufforderte. Diesem gelang es jedoch noch, sich mit dem erheblich aufgebrachten Angeklagten zu einem klärenden Gespräch nach dessen
  33. Dienstende auf dem in der Nähe gelegenen Schützenplatz zu verabreden.
  34. 4
  35. Um 21.45 Uhr begab sich der immer noch sehr verärgerte Angeklagte
  36. mit einem am Arbeitsplatz ergriffenen Döner-Messer in der Jacke zum verabredeten Platz. Er traf dort auf den Geschädigten, der sogleich seine Beschimpfungen fortsetzte und schließlich versuchte, mit beiden Fäusten auf den Angeklagten einzuschlagen. Dem Angeklagten gelang es auszuweichen. Er zog sogleich das mitgebrachte Messer und stach dem Geschädigten in den Oberschenkel, der daraufhin unmittelbar zur Flucht ansetzte. Der Angeklagte verfolgte ihn und versetzte ihm - seinen Tod billigend in Kauf nehmend - drei weitere
  37. Stiche und zwar in den Oberschenkel, in den Beckenkamm und in den Rücken.
  38. Der Geschädigte, der zwischendurch zu Boden gegangen war, rannte schließlich über die Fahrbahn der M. straße auf das Gebäude eines Finanzamts zu.
  39. Der Angeklagte verfolgte ihn weiter und stach ihm ein letztes Mal in den Oberschenkel.
  40. 5
  41. Der Geschädigte lehnte sich nach Überquerung der M. straße und Erreichen des nur wenige Meter entfernten Gebäudes des Finanzamts an dessen
  42. Mauer. Er zog seine Hose herunter und hielt seine Hände auf die Wunden, aus
  43. denen er stark blutete. Er atmete nur noch röchelnd und war im Begriff, das
  44. Bewusstsein zu verlieren. Während dessen versuchte der Angeklagte ein am
  45. Halteplatz M. straße parkendes Taxi zu öffnen, was ihm aber nicht gelang,
  46. weil der Taxifahrer die Tür von innen verriegelte. In diesem Moment lief laut
  47. schreiend ein Busfahrer hinzu. Er sowie einige Taxifahrer eilten zu dem zwi-
  48. -4-
  49. schenzeitlich bewusstlosen Geschädigten. Der Angeklagte entfernte sich zu
  50. Fuß.
  51. 6
  52. 2. Das Landgericht hat angenommen, der Versuch des Angeklagten, den
  53. Geschädigten zu töten, sei fehlgeschlagen, weshalb ein strafbefreiender Rücktritt im Sinne von § 24 Abs. 1 StGB nicht in Betracht komme. Spätestens als der
  54. Geschädigte das Gebäude des Finanzamts erreicht habe und ihm heraneilende
  55. Personen geholfen hätten, sei es dem Angeklagten nicht mehr möglich gewesen, weiter ungehindert auf den Geschädigten einzuwirken. Überdies habe der
  56. Angeklagte die für einen beendeten Versuch erforderlichen Rettungsbemühungen nicht unternommen. Es sei für ihn bereits aufgrund der dem Geschädigten
  57. zugefügten Stiche, dessen stark blutenden Wunden, seinem bereits röchelnden
  58. Atmen und der Tatsache, dass er gerade im Begriff war, das Bewusstsein zu
  59. verlieren, deutlich erkennbar gewesen, dass er alles Erforderliche getan habe,
  60. um den tatbestandlichen Erfolg herbeizuführen. Ein Rücktritt scheide schließlich
  61. auch mangels Vorliegens autonomer Motive aus, denn der Angeklagte habe
  62. den Tatort letztlich unfreiwillig verlassen.
  63. II.
  64. 7
  65. Die Feststellungen des Landgerichts tragen zwar die Annahme eines
  66. versuchten Totschlags durch den Angeklagten, nicht aber den Ausschluss eines strafbefreienden Rücktritts von diesem Versuch.
  67. 8
  68. 1. Schon die Annahme eines Fehlschlags des Versuchs hat keinen Bestand. Zwar ist das Landgericht im rechtlichen Ansatzpunkt zutreffend davon
  69. ausgegangen, dass ein fehlgeschlagener Versuch dann vorliegt, wenn die Tat
  70. nach Misslingen des zunächst vorgestellten Tatablaufs mit den bereits eingesetzten oder anderen naheliegenden Mitteln objektiv nicht mehr vollendet werden kann und der Täter dies erkennt, oder wenn er subjektiv die Vollendung
  71. -5-
  72. nicht mehr für möglich hält (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Mai 2014 - 4 StR
  73. 105/14, NStZ-RR 2014, 240).
  74. 9
  75. Entgegen der Auffassung der Strafkammer kam es hierbei aber nicht auf
  76. den Zeitpunkt an, als der Geschädigte bereits das Finanzamt erreicht hatte und
  77. ihm dort heraneilende Personen halfen. Zur Beurteilung eines möglichen Fehlschlags ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichthofs vielmehr auf
  78. das Vorstellungsbild des Täters nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung abzustellen (sogenannter Rücktrittshorizont; vgl. BGH, Beschluss vom
  79. 26. Februar 2014 - 4 StR 40/14, NStZ-RR 2014, 171, 172 mwN; Senatsbeschluss vom 2. Juli 2013 - 2 StR 91/13, NStZ 2013, 639, 640). Nur wenn der
  80. Täter zu diesem Zeitpunkt erkennt oder die subjektive Vorstellung hat, dass es
  81. zur Herbeiführung des Erfolgs eines erneuten Aussetzens bedürfte, etwa mit
  82. der Folge einer zeitlichen Zäsur und einer Unterbrechung des unmittelbaren
  83. Handlungsfortgangs, liegt ein Fehlschlag vor (vgl. BGH, Urteil vom 25. Oktober
  84. 2012 - 4 StR 346/12; NStZ 2013, 156, 157 f. mwN).
  85. 10
  86. Letzte Ausführungshandlung war vorliegend der fünfte Messerstich, den
  87. der Angeklagte während der Flucht des Geschädigten in dessen Oberschenkel
  88. setzte. Den Urteilsgründen ist nicht zu entnehmen, dass der Angeklagte den
  89. Geschädigten anschließend weiter verfolgte, um ihn noch einmal zu stechen.
  90. Denn während der Geschädigte nach dem letzten Stich wenige Meter weiter in
  91. Richtung Finanzamt lief, versuchte der Angeklagte schon die Tür eines Taxis zu
  92. öffnen, um sich vom Tatort zu entfernen. Er hatte mithin die Tatausführung bereits abgebrochen, als der Geschädigte das Finanzamt erreichte und ihm heraneilende Personen zu Hilfe kamen, weshalb das Landgericht auf diese Umstände nicht abstellen durfte.
  93. -6-
  94. 11
  95. Dazu, ob der Angeklagte den Tötungsversuch als endgültig gescheitert
  96. ansah, als er nach seinem letzten Stich zur Flucht ansetzte, verhält sich das
  97. Urteil demgegenüber nicht.
  98. 12
  99. 2. Auch die Annahme eines beendeten Versuchs beruht auf der Anwendung eines unzutreffenden rechtlichen Maßstabs und wird letztlich von den
  100. Feststellungen nicht getragen.
  101. 13
  102. a) Die Strafkammer hat bereits übersehen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein strafbefreiender Rücktritt von vornherein
  103. ausgeschlossen ist, wenn - wovon die Kammer ausgegangen ist - der Versuch
  104. fehlgeschlagen ist. Liegt ein Fehlschlag vor, scheidet ein Rücktritt vom Versuch
  105. nach allen Varianten des § 24 Abs. 1 oder Abs. 2 StGB aus; umgekehrt kommt
  106. es nur dann, wenn ein Fehlschlag nicht gegeben ist, auf die Unterscheidung
  107. zwischen unbeendetem und beendetem Versuch an (vgl. Senatsbeschluss vom
  108. 2. November 2007 - 2 StR 336/07, NStZ 2008, 393 mwN; Senatsurteil vom
  109. 19. Mai 2010 - 2 StR 278/09, NStZ 2010, 690, 691 mwN).
  110. 14
  111. b) Die Annahme eines beendeten Versuchs ist aber auch für sich genommen rechtlich nicht tragfähig.
  112. 15
  113. Das Landgericht hat bei der Prüfung der Vorliegens eines beendeten
  114. Versuchs unter anderem auf den Zeitpunkt abgestellt, als der Geschädigte bereits das Finanzamt erreicht hatte, dort röchelnd atmete, stark blutete und im
  115. Begriff war, das Bewusstsein zu verlieren. Dies war rechtsfehlerhaft, denn auch
  116. bei der Beurteilung, ob der Tatversuch beendet ist, ist allein das Vorstellungsbild des Täters nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung maßgeblich
  117. (vgl. Senatsurteil vom 3. Dezember 1982 - 2 StR 550/82, BGHSt 31, 170, 175;
  118. BGH, Beschluss vom 21. Oktober 2008 - 3 StR 401/08, NStZ-RR 2009, 42). Ein
  119. Versuch ist mithin nur dann beendet, wenn der Täter nach der letzten Ausfüh-
  120. -7-
  121. rungshandlung die tatsächlichen Umstände, die den Erfolgseintritt nahelegen,
  122. erkennt oder wenn er den Erfolgseintritt in Verkennung der tatsächlichen Ungeeignetheit der Handlung für möglich hält.
  123. 16
  124. Das Vorstellungsbild des Angeklagten zu dem Zeitpunkt, als er nach dem
  125. letzten Stich den Angriff gegen den Geschädigten einstellte, lässt sich dagegen
  126. den Urteilsgründen nicht entnehmen. Soweit der Generalbundesanwalt meint,
  127. schon aus den objektiven Tatumständen, namentlich der Massivität und Gefährlichkeit der mit bedingtem Tötungsvorsatz ausgeführten fünf Messerstiche, von
  128. denen zwei konkret lebensgefährlich waren, ergebe sich, dass der Angeklagte
  129. den Versuch für beendet, den Erfolgseintritt also zumindest für möglich gehalten hätte, lässt sich dies auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen nicht
  130. mit hinreichender Sicherheit annehmen. Zwar wird sich in Fällen offenkundig
  131. besonders gefährlicher Tathandlungen, deren Erfolgseignung der Täter erkennt,
  132. seine Vorstellung von der Möglichkeit des Erfolgseintritts oft schon aus den objektiven Umständen der Tat erschließen lassen (vgl. BGH, Urteil vom
  133. 26. Januar 2011 - 2 StR 458/10). Bei einem dynamischen Geschehen versteht
  134. sich dies aber nicht von selbst, insbesondere weil sich der Geschädigte hier
  135. noch nach dem dritten Stich auf dem Boden liegend aus der Umklammerung
  136. des Angeklagten lösen konnte, es ihm auch nach dem vierten Stich noch gelang, sich vom Boden zu erheben und über die Fahrbahn der M.
  137. straße zu
  138. laufen und er schließlich auch nach dem fünften Stich noch weiter zum Gebäude des Finanzamts lief.
  139. 17
  140. Bei dieser Sachlage wäre es erforderlich gewesen, weitere Feststellungen, insbesondere zum Zustandsbild des Geschädigten sowie zur Erkennbarkeit der Verletzungsfolgen für den Angeklagten im Zeitpunkt des Ablassens von
  141. seinem Opfer zu treffen. Dies ist nicht geschehen. Die Sache bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung (vgl. BGH, Urteil vom 19. März
  142. -8-
  143. 2013 - 1 StR 647/12). Die Aufhebung erfasst dabei auch die für sich genommen
  144. rechtsfehlerfreie Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung.
  145. 18
  146. 3. Ergänzend weist der Senat auf Folgendes hin: Sollte das neue Tatgericht wiederum eine der Tat vorausgehende erhebliche Provokation durch den
  147. Geschädigten und eine aufgrund dessen anhaltende starke Erregung des Angeklagten feststellen, so wäre bei der Strafrahmenwahl zunächst die erste Alternative des § 213 StGB in den Blick zu nehmen, da eine Strafmilderung nach
  148. dieser Vorschrift - unabhängig von einer ansonsten vorzunehmenden Gesamtwürdigung - zwingend geboten ist, wenn ihre Voraussetzungen vorliegen.
  149. Fischer
  150. Cierniak
  151. Ott
  152. Krehl
  153. Eschelbach