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319 lines
13 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. 2 StR 394/15
  4. vom
  5. 21. April 2016
  6. in der Strafsache
  7. gegen
  8. 1.
  9. 2.
  10. wegen zu 1.: gefährlicher Körperverletzung
  11. zu 2.: gefährlicher Körperverletzung u.a.
  12. ECLI:DE:BGH:2016:210416B2STR394.15.0
  13. -2-
  14. Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung der Beschwerdeführer und des Generalbundesanwalts - zu 4. auf dessen Antrag - am 21. April
  15. 2016 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
  16. 1. Auf die Revision des Angeklagten Y.
  17. E.
  18. wird das
  19. Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 16. Februar
  20. 2015, soweit es ihn betrifft, aufgehoben
  21. a) im Einzelstrafausspruch zu Fall II. 2. der Urteilsgründe
  22. (Tat am Wendehammer) und
  23. b) im Gesamtstrafenausspruch.
  24. 2. Auf die Revision des Angeklagten L.
  25. E.
  26. wird das
  27. vorgenannte Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main, soweit
  28. es ihn betrifft, aufgehoben
  29. a) im Einzelstrafausspruch zu Fall II. 2. der Urteilsgründe
  30. (Tat am Wendehammer),
  31. b) im Fall II. 5. der Urteilsgründe mit den zugehörigen
  32. Feststellungen und
  33. c) im Gesamtstrafenausspruch.
  34. 3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel,
  35. an eine allgemeine Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
  36. 4. Die weiter gehenden Revisionen werden verworfen.
  37. -3-
  38. Gründe:
  39. 1
  40. Das Landgericht hat den Angeklagten Y.
  41. E.
  42. wegen gefähr-
  43. licher Körperverletzung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht
  44. Jahren und neun Monaten und dessen Bruder, den Angeklagten L.
  45. E.
  46. , wegen gefährlicher Körperverletzung, Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung und wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer
  47. Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren und sechs Monaten
  48. verurteilt. Gegen die Verurteilung richten sich die auf die Verletzung formellen
  49. und materiellen Rechts gestützten Revisionen der Angeklagten. Die Rechtsmittel haben in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im
  50. Übrigen sind sie unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
  51. 2
  52. 1. Die von dem Angeklagten Y.
  53. rügen und die von dem Angeklagten L.
  54. E.
  55. E.
  56. erhobenen Verfahrensbeanstandete Verlesung
  57. und Verwertung der Verteidigererklärung seines Bruders bleiben aus den zutreffenden Gründen der Antragsschriften des Generalbundesanwalts vom
  58. 19. Oktober 2015 ohne Erfolg. Auch die Schuldsprüche wegen gefährlicher
  59. Körperverletzung in zwei Fällen (hinsichtlich des Angeklagten Y.
  60. E.
  61. ) und wegen gefährlicher Körperverletzung und Beihilfe zur gefährlichen
  62. Körperverletzung (hinsichtlich des Angeklagten L.
  63. E.
  64. ) weisen kei-
  65. nen die Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler auf; entsprechendes gilt für
  66. die Tat im Einkaufszentrum bzw. auf der Brücke wegen der jeweils verhängten
  67. Einzelstrafen.
  68. 3
  69. 2. Die Einzelstrafaussprüche im Fall II. 2. der Urteilsgründe (Tat am
  70. Wendehammer) haben hingegen keinen Bestand. Das Landgericht hat zu Lasten beider Angeklagter berücksichtigt, dass § 224 StGB „gleich in drei Tatbestandsvarianten“ (scil. § 224 Abs. 1 Nr. 2, Nr. 4 und Nr. 5 StGB) verwirklicht
  71. -4-
  72. worden sei. Soweit das Landgericht davon ausgeht, (auch) die Tatvariante des
  73. § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB sei erfüllt, begegnet dieses durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
  74. 4
  75. a) Den Qualifikationstatbestand des § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB verwirklicht,
  76. wer die Tat mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich begeht. Weder Eigenhändigkeit noch Mittäterschaft wird vorausgesetzt; ausreichend ist vielmehr
  77. schon das gemeinsame Wirken eines Täters und eines Gehilfen bei der Begehung der Körperverletzung (vgl. BGH, Urteil vom 3. September 2002 - 5 StR
  78. 210/02, BGHSt 47, 383, 386; Beschluss vom 8. März 2016 - 3 StR 524/15,
  79. NStZ-RR 2016, 139). Dies folgt aus dem Sinn und Zweck des Qualifikationstatbestandes des § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB, wonach durch ein solches Zusammenwirken - nicht anders als durch mittäterschaftliche Begehung - eine verstärkte Gefährlichkeit der Körperverletzung für das Opfer begründet wird (vgl.
  80. BGH, Urteil vom 3. September 2002 - 5 StR 210/02, BGHSt 47, 383, 386).
  81. 5
  82. Allerdings ist eine gemeinschaftliche Begehung in dieser Beteiligungsform regelmäßig erst dann anzunehmen, wenn der am Tatort anwesende Gehilfe die Wirkung der Körperverletzungshandlung des Täters - physisch oder psychisch (vgl. BGH, Urteil vom 22. Dezember 2005 - 4 StR 347/05, NStZ 2006,
  83. 572, 573) - bewusst in einer Weise verstärkt, welche die Lage des Verletzten zu
  84. verschlechtern geeignet ist. Dies wird in der Regel vor allem durch eine Schwächung der Abwehrmöglichkeiten verwirklicht, wenn das Opfer durch die Präsenz
  85. mehrerer Personen auf der Verletzerseite insbesondere auch wegen des erwarteten Eingreifens des oder der anderen Beteiligten in seinen Chancen beeinträchtigt wird, dem Täter der Körperverletzung Gegenwehr zu leisten, ihm auszuweichen oder zu flüchten.
  86. -5-
  87. 6
  88. b) Nach den Feststellungen stand der Angeklagte L.
  89. E.
  90. bei
  91. seinem am Wendehammer abgestellten Pkw und sah, dass sein Bruder den
  92. Geschädigten „durch hin und herschwingende Hiebe mit dem Schlachtermesser“ bedrohte. Der Angeklagte L.
  93. E.
  94. forderte seinen Bruder auf,
  95. „schnell in das Auto einzusteigen und mit ihm zu fliehen. Sein Bruder kam der
  96. Aufforderung jedoch nicht nach, sondern fragte den Mitangeklagten L.
  97. lediglich, ob die Polizei schon da sei. Als der Angeklagte L.
  98. E.
  99. E.
  100. die Frage verneinte und zusätzlich von sich aus noch darauf hinwies, dass
  101. hier auch keine Kameras befindlich seien, schwang der Angeklagte Y.
  102. E.
  103. im Beisein seines Bruders das Schlachtermesser mit der scharfen Klinge voraus mehrfach“ gegen den Geschädigten, dem er sodann u.a. eine Skalpierungsverletzung zufügte.
  104. 7
  105. Unbeschadet des Umstandes, dass schon nicht erkennbar ist, ob sich
  106. das Landgericht des oben unter 2. a) dargelegten Maßstabes bewusst gewesen
  107. ist, ist den Feststellungen ein gemeinsames Einwirken auf das Opfer bei der
  108. Begehung der Körperverletzungshandlung nicht hinreichend zu entnehmen;
  109. insoweit erscheinen indes ergänzende Feststellungen möglich.
  110. 8
  111. 3. Die Verurteilung des Angeklagte L.
  112. E.
  113. wegen Handeltrei-
  114. bens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge im Fall II. 5. der Urteilsgründe hat ebenfalls keinen Bestand. Insoweit rügt der Beschwerdeführer zu
  115. Recht, dass sich das Landgericht bei seiner Überzeugungsbildung auf Beweise
  116. gestützt hat, die es nicht hätte verwerten dürfen, da sie bei einer Durchsuchung
  117. gewonnen worden waren, die unter Verstoß gegen den Richtervorbehalt (§ 105
  118. Abs. 1 Satz 1 StPO) durchgeführt wurden und daher rechtswidrig waren.
  119. 9
  120. a) Folgendes liegt zugrunde: Am 14. Oktober 2013 bewahrte der Angeklagte L.
  121. E.
  122. in seinem in der Nähe seiner Wohnung abgestellten
  123. -6-
  124. Fahrzeug der Marke Ford Sierra in einer in der Mittelkonsole versteckten Plastiktüte 93,07g Kokain mit einem Kokainhydrochloridanteil von 79,5% auf, das
  125. zum gewinnbringenden Weiterverkauf bestimmt war.
  126. 10
  127. b) Das Landgericht hat seine Überzeugung von diesem Sachverhalt trotz
  128. des Widerspruchs des Angeklagten gegen die Beweisverwertung in der Hauptverhandlung im Wesentlichen auf die bei der Durchsuchung des genannten
  129. Pkw erlangten Erkenntnisse und auf die Aussage der Ermittlungsbeamten gestützt. Zu dieser Durchsuchung kam es wie folgt:
  130. 11
  131. Nachdem der Angeklagte L.
  132. E.
  133. am 4. Oktober 2013 vorläufig
  134. festgenommen worden war und sich sodann in Untersuchungshaft befand, stießen die Ermittlungsbeamten im Rahmen der strafrechtlichen Ermittlungen wegen der am selben Tag begangenen gefährlichen Körperverletzung am
  135. 14. Oktober 2013 (Montag) zufällig auf einen weiteren, auf den Angeklagten
  136. L.
  137. E.
  138. zugelassenen und in dessen Wohnortnähe abgestellten Pkw,
  139. zu dem die passenden Fahrzeugschlüssel zuvor sichergestellt worden waren.
  140. Da die Ermittlungsbeamten vermuteten, dass sich in diesem Fahrzeug insbesondere die bei der Straftat verwendeten Tatwaffen befinden, informierten sie
  141. Oberstaatsanwalt
  142. , der als Vertreter der an sich zuständigen Dezer-
  143. nentin zuständig war. Oberstaatsanwalt
  144. , dem nicht bewusst war, dass
  145. die den Ermittlungen zugrunde liegende Straftat bereits zehn Tage zurücklag,
  146. ordnete wegen Gefahr in Verzug die sofortige Durchsuchung des Pkw des Angeklagten L.
  147. E.
  148. an, ohne zuvor zu versuchen, eine richterliche An-
  149. ordnung zu erlangen; die Anordnung des Oberstaatsanwalts ist zudem weder
  150. schriftlich dokumentiert noch sind die die Dringlichkeit rechtfertigenden Tatsachen (schriftlich) begründet. Um 13.35 Uhr durchsuchten Ermittlungsbeamte
  151. den Pkw des Angeklagten L.
  152. E.
  153. und fanden dabei zufällig das ver-
  154. steckte Kokain; Tatwaffen fanden sie nicht.
  155. -7-
  156. 12
  157. c) Vor diesem Hintergrund unterliegen die aus der Durchsuchung erlangten Erkenntnisse - entgegen der Ansicht des Landgerichts - einem Beweisverwertungsverbot.
  158. 13
  159. aa) Die montags am 14. Oktober 2013 um 13.35 Uhr durchgeführte
  160. Durchsuchung war wegen Missachtung des Richtervorbehalts rechtswidrig. Eine gemäß § 105 Abs. 1 Satz 1 StPO grundsätzlich erforderliche richterliche
  161. Durchsuchungsanordnung lag nicht vor. Wie auch der Generalbundesanwalt in
  162. seiner Antragsschrift vom 19. Oktober 2015 zutreffend ausgeführt hat, rügt die
  163. Revision zu Recht, dass die Anordnung des Oberstaatsanwalts nicht auf einer
  164. rechtmäßigen Inanspruchnahme seiner sich aus § 105 Abs. 1 Satz 1 StPO ergebenden Eilkompetenz beruhte, weil Gefahr im Verzug objektiv nicht vorlag.
  165. 14
  166. bb) Das Fehlen einer richterlichen Durchsuchungsanordnung führt hier
  167. zu einem Beweisverwertungsverbot hinsichtlich der bei der Durchsuchung gewonnenen Beweismittel.
  168. 15
  169. Die Annahme eines Beweisverwertungsverbots ist von Verfassungs wegen zumindest bei schwerwiegenden, bewussten oder willkürlichen Verfahrensverstößen, bei denen die grundrechtlichen Sicherungen planmäßig oder systematisch außer Acht gelassen worden sind, geboten (BVerfG, Beschluss vom
  170. 12. April 2005 - 2 BvR 1027/02, BVerfGE 113, 29, 61; Beschluss vom 16. März
  171. 2006 - 2 BvR 954/02, NJW 2006, 2684, 2686; Beschluss vom 20. Mai 2011
  172. - 2 BvR 2072/10, NJW 2011, 2783, 2784). Ein solcher schwerwiegender Verstoß liegt aufgrund der oben geschilderten Umstände vor. Der Gesichtspunkt,
  173. wonach dem anordnenden Oberstaatsanwalt nicht bewusst gewesen sei, dass
  174. die den Ermittlungen zugrunde liegende Straftat bereits zehn Tage zurücklag,
  175. ändert an dieser Bewertung nichts. Unbeschadet dessen, dass eine solche
  176. Fehlvorstellung auf - nicht nachzuvollziehender - nicht vollständiger Information
  177. -8-
  178. beruht hat, die der Sphäre der Ermittlungsbehörden zuzurechnen ist, kann dieser Umstand es nicht rechtfertigen, dass noch nicht einmal der Versuch unternommen worden ist, an einem Werktag zu dienstüblichen Zeiten eine richterliche Entscheidung zu erlangen, zumal der Angeklagte sich in Untersuchungshaft befunden hatte.
  179. 16
  180. cc) Anders als der Generalbundesanwalt meint, kann dem Aspekt eines
  181. möglichen hypothetisch rechtmäßigen Ermittlungsverlaufs (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 18. November 2003 - 1 StR 455/03, BGHR StPO § 105 Abs. 1
  182. Durchsuchung 4) bei - wie hier - solcher Verkennung des Richtervorbehalts keine Bedeutung zukommen (vgl. auch BGH, Urteil vom 18. April 2007 - 5 StR
  183. 546/06, BGHSt 51, 285, 295 f.; Beschluss vom 30. August 2011 - 3 StR 210/11,
  184. BGHR StPO § 105 Abs. 1 Durchsuchung 8). Die Einhaltung der durch § 105
  185. Abs. 1 Satz 1 StPO festgelegten Kompetenzregelung könnte in diesen Fällen
  186. bei Anerkennung des hypothetisch rechtmäßigen Ersatzeingriffs als Abwägungskriterium bei der Prüfung des Vorliegens eines Beweisverwertungsverbots stets unterlaufen und der Richtervorbehalt sogar letztlich sinnlos werden.
  187. Bei Duldung grober Missachtungen des Richtervorbehalts entstünde gar ein
  188. Ansporn, die Ermittlungen ohne Einschaltung des Ermittlungsrichters einfacher
  189. und möglicherweise erfolgversprechender zu gestalten. Damit würde das wesentliche Erfordernis eines rechtstaatlichen Ermittlungsverfahrens aufgegeben,
  190. dass Beweise nicht unter bewusstem Rechtsbruch oder gleichgewichtiger
  191. Rechtsmissachtung erlangt werden dürfen (BGH, Urteil vom 18. April 2007
  192. - 5 StR 546/06, BGHSt 51, 285, 296; Beschluss vom 30. August 2011 - 3 StR
  193. 210/11, BGHR StPO § 105 Abs. 1 Durchsuchung 8).
  194. 17
  195. d) Die Verurteilung wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht
  196. geringer Menge kann danach keinen Bestand haben. Eine eigene Sachentscheidung gemäß § 354 Abs. 1 StPO ist dem Senat nicht möglich. Er kann den
  197. -9-
  198. Angeklagten nicht vom Vorwurf des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in
  199. nicht geringer Menge freisprechen, denn es ist nicht völlig auszuschließen, dass
  200. in der neuen Hauptverhandlung auch ohne Verwertung aller anlässlich der
  201. Durchsuchung gewonnenen Erkenntnisse noch Feststellungen getroffen werden können, die einen Schuldspruch tragen.
  202. 18
  203. 4. Die Aufhebung der Einzelstrafen im Fall II. 2. der Urteilsgründe (Tat
  204. am Wendehammer) und - soweit es den Angeklagten L.
  205. E.
  206. betrifft -
  207. die Aufhebung des Schuldspruchs im Fall II. 5. der Urteilsgründe zieht die Aufhebung der jeweiligen Gesamtstrafen nach sich.
  208. 19
  209. 5. Ein die Zuständigkeit des Schwurgerichts begründender Tatvorwurf
  210. steht nicht mehr in Frage; der Senat verweist die Sache entsprechend § 354
  211. Abs. 3 StPO deshalb an eine allgemeine Strafkammer des Landgerichts zurück
  212. (vgl. Senat, Beschluss vom 13. Mai 2015 - 2 StR 488/14).
  213. Fischer
  214. Appl
  215. Zeng
  216. Eschelbach
  217. Bartel