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395 lines
17 KiB

  1. Nachschlagewerk: ja
  2. BGHSt:
  3. ja
  4. Veröffentlichung: ja
  5. ________________
  6. StPO § 52 Abs. 1 Nr. 3, §§ 252, 373
  7. Verweigert eine Tatzeugin in der Hauptverhandlung das Zeugnis, dürfen ihre Angaben, die sie bei der Exploration für die Glaubhaftigkeitsprüfung zum Tatgeschehen
  8. gemacht hat (Zusatztatsachen), nicht für Feststellungen zum Tathergang verwertet
  9. werden, indem die Sachverständige als Zeugin gehört wird; das gilt auch für die erneute Hauptverhandlung nach der Wiederaufnahme des Verfahrens.
  10. BGH, Urt. vom 3. November 2000 - 2 StR 354/00 - Landgericht Bonn
  11. BUNDESGERICHTSHOF
  12. IM NAMEN DES VOLKES
  13. URTEIL
  14. 2 StR 354/00
  15. vom
  16. 3. November 2000
  17. in der Strafsache
  18. gegen
  19. -2-
  20. wegen sexuellen Mißbrauchs eines Kindes
  21. -3-
  22. Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 3. November
  23. 2000, an der teilgenommen haben:
  24. Vizepräsident des Bundesgerichtshofes
  25. Dr. Jähnke
  26. als Vorsitzender,
  27. die Richter am Bundesgerichtshof
  28. Detter,
  29. Dr. Bode,
  30. die Richterinnen am Bundesgerichtshof
  31. Dr. Otten,
  32. Elf
  33. als beisitzende Richter,
  34. Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
  35. als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
  36. Justizangestellte
  37. Justizhauptsekretärin
  38. in der Verhandlung,
  39. bei der Verkündung
  40. als Urkundsbeamtinnen der Geschäftsstelle,
  41. für Recht erkannt:
  42. -4-
  43. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bonn vom 21. März 2000 mit den Feststellungen aufgehoben.
  44. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
  45. über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendschutzkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
  46. Von Rechts wegen
  47. Gründe:
  48. I.
  49. Das Landgericht Köln hatte den Angeklagten mit Urteil vom 20. April
  50. 1994, rechtskräftig seit dem 24. November 1994, wegen sexuellen Mißbrauchs
  51. von Kindern in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit sexuellem
  52. Mißbrauch von Schutzbefohlenen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren
  53. und sechs Monaten verurteilt. Nach den Feststellungen hatte der Angeklagte
  54. die Taten in den Jahren 1988 bis 1990 in E.
  55. am 15. Juli 1977 geborenen Enkelin N.
  56. P.
  57. und in W.
  58. an seiner
  59. begangen. Die Verurteilung
  60. beruhte im wesentlichen auf den belastenden Angaben der Zeugin N.
  61. P.
  62. .
  63. -5-
  64. Am 13. Februar 1995 beantragte der Angeklagte die Wiederaufnahme
  65. des Verfahrens, weil N.
  66. P.
  67. ihre den Angeklagten belastende Aussage in
  68. einem Schreiben an die Staatsanwaltschaft Köln vom 17. Dezember 1994 als
  69. falsch widerrufen hatte. Im Probationsverfahren wurde N.
  70. P.
  71. zu ihrem
  72. Widerruf am 16. Mai 1995 richterlich vernommen. Am 8. Februar 1996 verwarf
  73. das Landgericht Bonn den Wiederaufnahmeantrag als unbegründet. Auf die
  74. sofortige Beschwerde des Angeklagten ordnete das Oberlandesgericht Köln
  75. am 7. Mai 1996 die Wiederaufnahme des Verfahrens und die Erneuerung der
  76. Hauptverhandlung an.
  77. Mit Urteil vom 21. März 2000 hat das Landgericht Bonn das Urteil des
  78. Landgerichts Köln aufgehoben und den Angeklagten - nach Fortfall der fortgesetzten Handlung - im wesentlichen wegen desselben Tatgeschehens wegen
  79. sexuellen Mißbrauchs eines Kindes in elf Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe
  80. von drei Jahren verurteilt. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts.
  81. II.
  82. Die Revision hat mit der Verfahrensrüge Erfolg, das Landgericht habe
  83. die Angaben der Enkelin des Angeklagten nicht verwerten dürfen, die diese
  84. gegenüber der früheren Sachverständigen und jetzigen Zeugin J.
  85. Glaubwürdigkeitsprüfung gemacht hat, weil N.
  86. P.
  87. bei der
  88. in der neuen Haupt-
  89. verhandlung von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht habe.
  90. 1. Die Verfahrensrüge genügt den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz
  91. 2 StPO, weil auf Grund der zulässig erhobenen Sachrüge der Urteilsinhalt ergänzend zum Vorbringen der Revisionsbegründung herangezogen werden
  92. kann.
  93. -6-
  94. 2. Der Rüge liegen folgende Verfahrensvorgänge zu Grunde:
  95. Im Ermittlungsverfahren hatte die Staatsanwaltschaft Köln die Sachverständige J.
  96. ben von N.
  97. mit einem Gutachten zur Glaubhaftigkeit der belastenden AngaP.
  98. beauftragt. Bei der Exploration äußerte sich die Zeugin
  99. am 14. September 1993 ausführlich zum Tatgeschehen. Auch in der Hauptverhandlung vor dem Landgericht Köln machte N.
  100. P.
  101. ausführliche bela-
  102. stende Angaben zum Tatgeschehen, die das Landgericht in Übereinstimmung
  103. mit der damaligen Sachverständigen J.
  104. für glaubhaft erachtete und seinen
  105. Feststellungen zu Grunde legte.
  106. Zur Vorbereitung der Entscheidung im Probationsverfahren beauftragte
  107. das Landgericht die Sachverständige J.
  108. mit einem ergänzenden Gutach-
  109. ten zur Glaubhaftigkeit des Aussagewiderrufs. Auch bei der hierzu erfolgten
  110. Exploration äußerte sich N.
  111. P.
  112. am 8. Dezember 1995.
  113. Wegen Bedenken der Verteidigung gegen die Unbefangenheit der
  114. Sachverständigen J.
  115. beauftragte das Landgericht Bonn zur Vorbereitung
  116. der erneuten Hauptverhandlung im Wiederaufnahmeverfahren die Sachverständige M.
  117. mit der Erstattung eines weiteren Glaubhaftigkeitsgutach-
  118. tens. Diese Sachverständige wurde in der Hauptverhandlung gehört. Ihr stand
  119. die Zeugin P.
  120. jedoch nicht mehr zu einer Exploration zur Verfügung.
  121. In der abgebrochenen Hauptverhandlung vom 7. Oktober 1997 machte
  122. N.
  123. P.
  124. nach Belehrung über ihr Zeugnisverweigerungsrecht zunächst
  125. Angaben zu ihren persönlichen Verhältnissen und zur Vernehmungsfähigkeit
  126. und verweigerte schließlich weitere Angaben. Auch in der neu anberaumten
  127. Hauptverhandlung am 14. März 2000 machte sie nach Belehrung von ihrem
  128. Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch. Die Strafkammer hat in der dem ange-
  129. -7-
  130. fochtenen Urteil zugrunde liegenden Hauptverhandlung u.a. den Vorsitzenden
  131. und den Berichterstatter der Strafkammer des Landgerichts Köln, vor der N.
  132. P.
  133. nach Belehrung über ihr Zeugnisverweigerungsrecht ausgesagt hatte,
  134. und die frühere Sachverständige J.
  135. N.
  136. P.
  137. als Zeugen dazu vernommen, was
  138. ihnen gegenüber zum Tatgeschehen ausgesagt hat, und die
  139. Sachverständige M.
  140. gehört.
  141. In seiner Beweiswürdigung (UA S. 29 ff.) stützt sich das Landgericht
  142. Bonn in weiten Teilen auf die Angaben der Zeugin J.
  143. P.
  144. über das, was N.
  145. ihr gegenüber bei der Exploration und in der Hauptverhandlung als
  146. Zeugin vor dem Landgericht Köln zum Tatgeschehen ausgesagt hat. Ihre Angaben stimmten mit dem überein, was die beiden als Zeugen gehörten Richter
  147. der damals erkennenden Strafkammer über den Inhalt der Aussage in der
  148. Hauptverhandlung berichtet haben. Das Landgericht Bonn hat sich für die
  149. Glaubhaftigkeitsbeurteilung aber maßgeblich auf die hohe Konstanz in der
  150. Aussage N.
  151. P.
  152. gestützt und diese als wesentliches Glaubhaftigkeitskriteri-
  153. um gewertet. Zum Beleg nennt das Urteil 45 Details zum Tatgeschehen, die die
  154. Zeugin sowohl bei der Exploration als auch in der Hauptverhandlung in Köln
  155. übereinstimmend geschildert habe. Diese Konstanz konnte nur unter Heranziehung der Angaben der Zeugin J.
  156. über das Ergebnis ihrer Exploration fest-
  157. gestellt werden.
  158. 3. Das angefochtene Urteil stützt sich somit bei seiner Beweiswürdigung
  159. auf die Ausführungen der Zeugin und früheren Sachverständigen J.
  160. den Angaben, die N.
  161. P.
  162. zu
  163. ihr gegenüber bei der Exploration am 14. Sep-
  164. tember 1993 insbesondere zum Tatgeschehen gemacht hat. Darin liegt ein
  165. Verstoß gegen § 252 in Verbindung mit § 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO.
  166. -8-
  167. a) Seit der Entscheidung BGHSt 2, 99 ist es ständige Rechtsprechung
  168. und einhellige Meinung im Schrifttum, daß § 252 StPO nicht nur ein Verlesungs-, sondern ein Verwertungsverbot enthält, das nach der berechtigten
  169. Zeugnisverweigerung auch jede andere Verwertung der bei einer nichtrichterlichen Vernehmung gemachten Aussage, insbesondere die Vernehmung von
  170. Verhörspersonen, ausschließt (vgl. BGHSt 45, 203, 205 m.w.N.). Mitteilungen
  171. eines gemäß § 52 StPO zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigten Zeugen gegenüber einem Sachverständigen über Zusatztatsachen (vgl. hierzu
  172. BGHSt 18, 107, 108), zu denen regelmäßig auch die Tatschilderung eines auf
  173. seine Glaubwürdigkeit zu begutachtenden Zeugen gehört (BGH NStZ 1997, 95
  174. = StV 1996, 522), stehen einer Aussage im Sinn des § 252 StPO gleich. Soweit
  175. die Rechtsprechung ausnahmsweise die Vernehmung der Richter zuläßt, die
  176. an der früheren Vernehmung mitgewirkt haben (BGHSt 2, 99; 27, 231), kann
  177. diese Ausnahme auf die Befragung durch den Sachverständigen, die einer
  178. richterlichen Vernehmung nicht gleich gesetzt werden kann, keine Anwendung
  179. finden (BGHSt 13, 1, 4). Macht der Zeuge später sein Zeugnisverweigerungsrecht geltend, dürfen seine Mitteilungen über Zusatztatsachen daher weder
  180. durch das Sachverständigengutachten noch durch die Vernehmung des Sachverständigen als Zeugen in die Hauptverhandlung eingeführt und bei der richterlichen Überzeugungsbildung verwertet werden (BGHSt 13, 1, 3; 250; 18,
  181. 107, 109; 36, 217, 219; 36, 384, 385 f.; 45, 203, 206; StV 1984, 453; 1996, 522
  182. = NStZ 1997, 95; BGHR StPO § 252 Verwertungsverbot 1 [= StV 1987, 328]
  183. und 2 [= MDR 1987, 625 = NStZ 1988, 19]; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO
  184. 44. Aufl. § 252 Rdn. 10; Diemer in KK § 252 Rdn. 18; Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 24. Aufl. § 252 Rdn. 32 jeweils m.w.N.).
  185. Da sich die Enkelin des Angeklagten in der neuen Hauptverhandlung
  186. berechtigt auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht (§ 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO) berief,
  187. -9-
  188. waren ihre Angaben zum Tatgeschehen, die sie gegenüber der früheren Sachverständigen J.
  189. gemacht hat, nicht verwertbar.
  190. b) Das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 10. Oktober 1957 (BGHSt 11,
  191. 97) rechtfertigt keine andere Beurteilung. In dieser Entscheidung hatte der
  192. 4. Strafsenat in einem unverbindlichen Hinweis an den neuen Tatrichter Äußerungen eines richterlich über sein Zeugnisverweigerungsrecht belehrten Zeugen gegenüber dem Sachverständigen trotz inzwischen erklärter Zeugnisverweigerung bei der Erstattung eines Glaubwürdigkeitsgutachtens auch in Bezug
  193. auf die "Anklagetatsachen" für verwertbar erachtet. Der 4. Strafsenat hat jedoch in seinem bereits genannten späteren Urteil BGHSt 13, 1, in dem er erstmals die Vernehmung des Gutachters über Zusatztatsachen nach der Zeugnisverweigerung des Untersuchten weder als Sachverständiger noch als Zeuge
  194. für zulässig erachtete, selbst darauf hingewiesen, daß sich die zugrundeliegenden Fragestellungen unterschieden: In BGHSt 11, 97 sei es um die Frage
  195. gegangen, ob die von einem über sein Aussageverweigerungsrecht belehrten
  196. Zeugen gegenüber dem Sachverständigen gemachten Angaben auch dann der
  197. Begutachtung über seine Glaubwürdigkeit zugrundegelegt werden dürften,
  198. wenn der Zeuge nachträglich seine Aussage verweigert. Davon sei die in
  199. BGHSt 13, 1 entschiedene Frage zu unterscheiden, ob der Sachverständige
  200. als solcher oder als Zeuge vom Untersuchten erfahrene Belastungstatsachen
  201. unter den gleichen Voraussetzungen in die Hauptverhandlung einführen dürfe.
  202. Es kann dahinstehen, ob dieser Abgrenzung zu folgen ist oder ob darin nicht
  203. vielmehr eine Aufgabe des Hinweises in BGHSt 11, 97 zu sehen ist, denn es ist
  204. kaum vorstellbar, daß einem Sachverständigengutachten Tatsachen oder Äußerungen zugrundegelegt werden dürfen, die nicht auch sonst als Verfahrensstoff in die Hauptverhandlung eingeführt werden dürfen. Selbst wenn man aber
  205. unterstellt, daß die früheren Angaben für die Erstattung des Glaubwürdigkeits-
  206. - 10 -
  207. gutachtens (begrenzt) verwertbar seien, könnte dies auch nach der vom
  208. 4. Strafsenat vertretenen Ansicht allenfalls dazu führen, daß die fraglichen Angaben für das Glaubwürdigkeitsgutachten verwertet werden dürfen. Im vorliegenden Fall wurden die Angaben jedoch für die Feststellungen des Landgerichts zum Tatgeschehen verwendet. Zudem wurde das Gutachten in der
  209. Hauptverhandlung vor dem Landgericht Bonn nicht von der Zeugin J.
  210. sondern von der Sachverständigen M.
  211. ,
  212. erstattet.
  213. Deshalb läßt sich auch mit dem Beschluß des 1. Strafsenats vom
  214. 20. Juli 1995 (StV 1995, 564 = NJW 1998, 838 mit krit. Anm. von Wohlers StV
  215. 1996, 192; Eisenberg/Kopatsch NStZ 1997, 297; Schmidt-Ricla NJW 1998,
  216. 800), der sich auf BGHSt 11, 97 beruft und mit dem das angefochtene Urteil
  217. die Verwertbarkeit der Äußerungen N.
  218. P.
  219. gegenüber der Zeugin J.
  220. zu rechtfertigen versucht, die Verwertbarkeit der Angaben zum Tatgeschehen nicht begründen. Zudem ging es in der Entscheidung des 1. Strafsenats
  221. nicht um die Verwertung von Zusatztatsachen zum Tatgeschehen, sondern um
  222. Angaben des Vaters zur Persönlichkeit und zum Lebenslauf des Beschuldigten, die bei einem Gutachten über seine Schuldfähigkeit verwendet wurden.
  223. c) Der Senat hat ferner erwogen, ob wegen der besonderen Verfahrenskonstellation im Wiederaufnahmeverfahren eine Einschränkung des Verwertungsverbots für die von der Zeugin J.
  224. berichteten Zusatztatsachen zum
  225. Tatgeschehen gerechtfertigt ist. Hierfür könnte sprechen, daß auf Grund der
  226. belastenden Angaben der Enkelin des Angeklagten zum Tatgeschehen bereits
  227. ein rechtskräftiges Urteil des Landgerichts Köln bestand, das erst im Wiederaufnahmeverfahren beseitigt wurde, weil die Tatzeugin ihre belastenden Angaben inzwischen widerrufen hatte. Erst in der neuen Hauptverhandlung hat die
  228. Zeugin sodann von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht.
  229. - 11 -
  230. Trotz dieses Verfahrensgangs kommt aber eine Einschränkung des in ständiger Rechtsprechung anerkannten Verwertungsverbots nicht in Betracht.
  231. aa) Der Bundesgerichtshof hat seit BGHSt 2, 99 daran festgehalten, daß
  232. eine Ausnahme von dem Verwertungsverbot des § 252 StPO nur für solche
  233. Angaben gerechtfertigt ist, die nach Belehrung über das Zeugnisverweigerungsrecht vor einem
  234. Richter
  235. gemacht wurden. Nur der Richter selbst
  236. kann dann im Falle einer Zeugnisverweigerung als Zeuge über den Aussageinhalt vernommen werden. Zu Recht hat das Landgericht Bonn daher in der
  237. erneuten Hauptverhandlung den Ermittlungsrichter des Amtsgerichts Waldbröl
  238. und zwei Richter der erkennnenden Strafkammer des Landgerichts Köln als
  239. Zeugen vernommen. Eine Vernehmung des Sachverständigen als Zeugen zu
  240. Zusatztatsachen ist hingegen seit BGHSt 13, 1 in ständiger Rechtsprechung
  241. für ausgeschlossen erachtet worden (vgl. oben II, 3 a). Der wesentliche Grund
  242. für die unterschiedliche Behandlung von richterlichen und nichtrichterlichen
  243. Vernehmungen wird nach der neueren Rechtsprechung darin gesehen, daß
  244. schon das Gesetz - wie aus § 251 Abs. 1 und 2 StPO zu entnehmen - richterlichen Vernehmungen ganz allgemein höheres Vertrauen entgegenbringt. Dieser Grund ist auch nach Einführung der Belehrungspflicht für Polizeibeamte
  245. und Staatsanwälte durch § 161 a Abs. 1 und § 163 a Abs. 5 StPO nicht entfallen (BGHSt 45, 342, 345 f.; 36, 384, 386; 21, 218, 219). Für diese Unterscheidung ist es aber ohne Bedeutung, ob sich das Verfahren in der ersten Instanz
  246. oder im Wiederaufnahmeverfahren befindet.
  247. bb) Im übrigen wird der Umfang des Verwertungsverbots des § 252
  248. StPO aus Sinn und Zweck der Norm und durch eine Abwägung zwischen den
  249. gegenläufigen Belangen, einerseits den durch das Zeugnisverweigerungsrecht
  250. geschützten Interessen an einer Nichtverwertung, andererseits der für weitest-
  251. - 12 -
  252. gehende Verwertung sprechenden Pflicht zur Wahrheitsermittlung im Strafverfahren bestimmt (BGHSt 2, 99, 105; 45, 342, 345). Es sind aber keine durchgreifenden Gründe dafür erkennbar, diese Belange deshalb anders zu gewichten und den Interessen der Wahrheitsfindung im Strafverfahren deshalb
  253. größere Bedeutung beizumessen, weil es sich um ein wiederaufgenommenes
  254. Verfahren handelt und zuvor ein rechtskräftiges Urteil bestand. Durch die Wiederaufnahme wurde das Verfahren in die Lage zurückversetzt, die es durch
  255. den Eröffnungsbeschluß erreicht hatte (BGHSt 14, 64, 66). In der neuen
  256. Hauptverhandlung war ohne Bindung an das frühere Urteil in jeder Hinsicht
  257. neu und selbständig zu verhandeln und zu entscheiden (Kleinknecht/MeyerGoßner a.a.O. § 373 Rdn. 2 m.w.N.). Es spricht nichts dafür, dem Interesse der
  258. Strafverfolgung und der Wahrheitsfindung in der neuen Hauptverhandlung im
  259. Wiederaufnahmeverfahren ein größeres Gewicht zu geben als in einer früheren Hauptverhandlung. Die Situation unterscheidet sich nicht grundlegend von
  260. einer neuen Hauptverhandlung in einer zurückverwiesenen Sache oder in der
  261. Berufungshauptverhandlung, in der ein Zeuge erstmals sein Zeugnisverweigerungsrecht in Anspruch nimmt.
  262. cc) Schließlich lassen sich den Urteilsgründen auch keine hinreichenden
  263. Anzeichen dafür entnehmen, daß dem Aussageverhalten der Zeugin eine Manipulationsabsicht zugrundeliegen könnte (vgl. hierzu BGHSt 45, 342, 347 ff.).
  264. 3. Da das angefochtene Urteil schon wegen des dargelegten Verfahrensfehlers keinen Bestand hat, kommt es auf die übrigen Verfahrensrügen
  265. und die Sachrüge nicht mehr an.
  266. Der Senat verweist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung
  267. zurück. Auch ohne die Angaben der Zeugin J.
  268. über die Explorationser-
  269. gebnisse zum Tatgeschehen ist eine erneute Verurteilung des Angeklagten
  270. - 13 -
  271. nicht unwahrscheinlich. Als Zeugen für Feststellungen zum Tatgeschehen stehen insbesondere die Richter zur Verfügung, die N.
  272. P.
  273. wiederholt zum
  274. Tatvorwurf und zum späteren Widerruf ihrer Beschuldigung vernommen haben.
  275. Jähnke
  276. Detter
  277. Otten
  278. Bode
  279. Elf