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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. 2 StR 295/04
  4. vom
  5. 3. November 2004
  6. in der Strafsache
  7. gegen
  8. wegen Totschlags
  9. -2-
  10. Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung der Beschwerdeführerin am 3. November 2004
  11. gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
  12. 1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Wiesbaden vom 5. März 2004 im Strafausspruch mit den
  13. Feststellungen aufgehoben.
  14. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts
  15. zurückverwiesen.
  16. 3. Die weitergehende Revision wird verworfen.
  17. Gründe:
  18. Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Nach den Feststellungen hat die Angeklagte am 4. Dezember 2002 auf der Toilette ihrer Arbeitsstelle ein Kind geboren und dieses erstickt. Die Schwurgerichtskammer geht davon aus, daß bei
  19. der Angeklagten im Hinblick auf ihre Borderline-Persönlichkeit im Zusammenhang mit einer Polytoxikomanie und deren hirnorganischen Folgen die Voraussetzungen einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) vorlagen.
  20. -3-
  21. Gegen diese Entscheidung wendet sich die Angeklagte mit ihrer auf die
  22. Verletzung formellen und sachlichen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel ist unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO, soweit es sich gegen
  23. den Schuldspruch richtet. Keinen Bestand haben kann aber der Strafausspruch.
  24. Das Landgericht hat strafschärfend gewertet:
  25. "Auf der anderen Seite war jedoch zu Lasten der Angeklagten nicht zu
  26. übersehen, daß sie durch ihr Beharren auf der ihr genehmen, aber keineswegs
  27. zu billigenden Lebensführung die Tatsituation selbst heraufbeschworen hat
  28. und auch bei einer im unteren Normbereich liegenden Intelligenz die hieraus
  29. entstehenden Gefahren hätte erkennen können. Sie hat sich nicht nur den
  30. Mahnungen und Vorhalten ihrer Eltern verschlossen, sondern deren Fürsorge
  31. schlecht honoriert. Weitergehend scheint sie auch durch das Tatgeschehen
  32. und die erlittene Untersuchungshaft nicht allzu sehr beeindruckt worden zu
  33. sein, da sie alsbald in den alten Lebenszuschnitt derart zurückfiel, daß sie den
  34. Außervollzugsetzungsauflagen des Amtsgerichts zuwiderhandelte, wiederum
  35. sich keinerlei Verhütungsmaßnahmen unterzog und auch die erforderliche
  36. Kontrolle durch die Eltern unterlief, so daß die psychiatrische Sachverständige
  37. ihr zunächst eine negative Sozialprognose bescheinigen mußte. Erst auf massiven Druck von Seiten der Staatsanwaltschaft war sie bereit, sich wenigstens
  38. ein verhütendes Implantat einsetzen zu lassen. Die Art, wie sich die Angeklagte positiven Einflüssen zu widersetzen versteht, läßt angesichts ihrer Persönlichkeitsstruktur auch für die Zukunft besorgen, das schon im Vorfeld der Tat
  39. erkennbare soziale Abgleiten werde sich fortsetzen und zu neuer Kriminalität
  40. führen."
  41. -4-
  42. Diese Strafzumessungsgründe sind nicht frei von Rechtsfehlern.
  43. Der Senat kann offen lassen, ob die Strafzumessungsgründe besorgen
  44. lassen, daß das Landgericht rechtsfehlerhaft Umstände der allgemeinen Lebensführung bei der Strafzumessung berücksichtigt hat (vgl. dazu BGH StV
  45. 2001, 228; Tröndle/Fischer StGB 52. Aufl. Rdn. 37 a zu § 46 m.w.N.). Rechtsfehlerhaft war es jedenfalls, der Angeklagten ihr Verhalten nach der Tat in vollem Umfang strafschärfend anzulasten.
  46. Tatmodalitäten und Tatmotive dürfen einem Angeklagten nur dann strafschärfend zur Last gelegt werden, wenn sie vorwerfbar sind, nicht aber, wenn
  47. ihre Ursache in einer von ihm nicht zu vertretenden geistig-seelischen Beeinträchtigung liegt. Ihm dürfen demgemäß solche Umstände nicht strafschärfend
  48. angelastet werden, die unverschuldete Folgen dieses Zustands darstellen. Allerdings ist auch der im Sinne des § 21 StGB erheblich vermindert schuldfähige
  49. Täter für die von ihm begangene Tat in ihrer konkreten Ausgestaltung verantwortlich, so daß für eine strafschärfende Verwertung durchaus Raum bleibt,
  50. jedoch nur nach dem Maß der geminderten Schuld (vgl. Tröndle/Fischer, StGB
  51. 52. Aufl. § 46 Rdn. 28; 33 m.w.N.; st. Rspr. vgl. u.a. BGHSt 16, 360, 364; BGH
  52. NStZ 1992, 538; NStZ-RR 2003, 104, 105). Für einem Angeklagten strafschärfend angelastetes Nachtatverhalten kann nichts anderes gelten.
  53. Die Ausführungen des Landgerichts zum Verhalten der Angeklagten
  54. nach der Tat, vor allem nach der Außervollzugsetzung des Haftbefehls, lassen
  55. besorgen, daß das Landgericht dabei die psychische Verfassung der Angeklagten außer acht gelassen hat. Nach den Feststellungen weist die Angeklag-
  56. -5-
  57. te nämlich eine "unreife Persönlichkeitsakzentuierung" auf, ihre Sichtweise ist
  58. eingeengt, bei ihr handelt es sich um eine "Borderline-Persönlichkeit". Vieles
  59. spricht dafür, daß die Grundlage des von der Schwurgerichtskammer strafschärfend gewerteten Verhaltens gerade in der Persönlichkeit der Angeklagten
  60. zu sehen ist. Es liegt daher nahe, daß gerade der psychopathologische Zustand der Angeklagten, der zur erheblichen Minderung ihrer Schuldfähigkeit
  61. führte, Ursache der vom Landgericht als schulderhöhend gewerteten Modalitäten des Nachtatverhaltens gewesen ist. In diesem Fall durfte das Verhalten als
  62. Ausfluß dieser Persönlichkeitsstörung jedenfalls nicht in vollem Umfang strafschärfend gewertet werden.
  63. Der Senat kann nicht ausschließen, daß auf diesem Rechtsfehler die
  64. verhängte Strafe beruht, da die Schwurgerichtskammer gerade das Nachtatverhalten ersichtlich als bestimmend für die Strafzumessung zu Lasten der Angeklagten angesehen hat.
  65. Rissing-van Saan
  66. Detter
  67. Fischer
  68. Otten
  69. Roggenbuck