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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. 2 StR 275/17
  4. vom
  5. 21. September 2017
  6. in der Strafsache
  7. gegen
  8. wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.
  9. ECLI:DE:BGH:2017:210917B2STR275.17.0
  10. -2-
  11. Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 21. September 2017
  12. gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
  13. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
  14. Gera vom 3. März 2017 mit den Feststellungen aufgehoben.
  15. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
  16. über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Jugendschutzkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
  17. Gründe:
  18. 1
  19. Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen
  20. wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern, versuchten schweren
  21. sexuellen Missbrauchs von Kindern, jeweils in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Kindern und wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in vier
  22. Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und zwei Monaten verurteilt.
  23. 2
  24. Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte
  25. Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg; auf die Verfahrensrügen
  26. kommt es nicht an.
  27. -3-
  28. 3
  29. 1. Die durch das Landgericht vorgenommene Beweiswürdigung hinsichtlich der sexuellen Übergriffe des Angeklagten gegenüber der Enkelin seiner
  30. Lebensgefährtin hält – auch unter Berücksichtigung des beschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsumfangs (vgl. Senat, Beschluss vom 10. Januar 2017
  31. - 2 StR 235/16, StV 2017, 367, 368) – sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht
  32. stand.
  33. 4
  34. a) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts. Ihm allein obliegt es,
  35. das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen (Senat,
  36. Beschluss vom 10. Januar 2017 - 2 StR 235/16, aaO). Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind (Senat,
  37. Beschluss vom 10. Januar 2017 - 2 StR 235/16, aaO). Die revisionsgerichtliche
  38. Prüfung ist darauf beschränkt, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind.
  39. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung
  40. widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen die Denkgesetze oder
  41. gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. Senat, Urteil vom
  42. 6. November 1998 - 2 StR 636/97, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 16;
  43. weitere Nachw. bei Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 60. Aufl., § 261, Rn. 3 und
  44. 38).
  45. 5
  46. In Fällen, in denen – wie hier – "Aussage gegen Aussage" steht, hat der
  47. Bundesgerichtshof zudem besondere Anforderungen an die Darlegung einer
  48. zur Verurteilung führenden Beweiswürdigung formuliert. Die Urteilsgründe
  49. müssen in einem solchen Fall erkennen lassen, dass das Tatgericht alle
  50. Umstände, welche die Entscheidung zugunsten oder zuungunsten des
  51. Angeklagten zu beeinflussen geeignet sind, erkannt, in seine Überlegungen
  52. einbezogen (vgl. BGH, Beschluss vom 22. April 1987 - 3 StR 141/87, BGHR
  53. StPO § 261 Beweiswürdigung 1; Beschluss vom 22. April 1997 - 4 StR 140/97,
  54. BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 13; Senat, Beschluss vom 10. Januar
  55. -4-
  56. 2017 - 2 StR 235/16, aaO) und auch in einer Gesamtschau gewürdigt hat (st.
  57. Rspr.; vgl. nur Senat, Beschluss vom 10. Januar 2017 - 2 StR 235/16, aaO
  58. mwN). Dabei sind gerade bei Sexualdelikten die Entstehung und die Entwicklung der belastenden Aussage aufzuklären (vgl. BGH, Urteil vom 16. Mai 2002
  59. - 1 StR 40/02, NStZ 2002, 656, 657; Senat, Beschluss vom 10. Januar 2017
  60. - 2 StR 235/16, aaO).
  61. 6
  62. b) Den danach an die Beweiswürdigung zu stellenden strengen Anforderungen ist das Landgericht nicht gerecht geworden. Seine Beweiswürdigung
  63. leidet unter durchgreifenden Erörterungsmängeln. Der Generalbundesanwalt
  64. hat insoweit in seiner Antragsschrift vom 19. Juli 2017 ausgeführt:
  65. 7
  66. „Hinsichtlich des Kerngeschehens der sechs festgestellten
  67. Taten liegt eine ‚Aussage gegen Aussage‘-Situation vor. Anders
  68. als die Feststellungen zur Aussageentstehung sind die Feststellungen und Erwägungen zur Aussageentwicklung, die für die
  69. Bewertung der Aussage von Geschädigten des sexuellen
  70. Missbrauchs von besonderer Bedeutung sind (vgl. auch BGH,
  71. Beschluss vom 24. April 2014 - 5 StR 113/14, NStZ-RR 2014,
  72. 219), lückenhaft.
  73. 8
  74. Das Landgericht führt aus, dass die Geschädigte ihre Erlebnisse zunächst gegenüber dem Zeugen
  75. M. , dann auch
  76. detailreicher gegenüber der Polizei und schließlich ebenfalls
  77. umfassend vor der Kammer geschildert hat (UA S. 9). Aufgrund
  78. der Aussage der Kriminalhauptkommissarin B.
  79. stellt die
  80. Kammer sodann fest, dass die von der Geschädigten vor der
  81. Kammer gemachten Angaben mit denen übereinstimmen, die sie
  82. schon bei der Polizei gemacht hat. Auch hier habe sie schon die
  83. genaueren Details dazu - gemeint sind die als sexuelle Übergriffe
  84. bezeichneten Handlungen des Angeklagten - mitgeteilt. Dem Urteil
  85. sind jedoch diese genaueren Details der Aussage insbesondere
  86. zum Kerngeschehen nicht zu entnehmen. Ansatzweise werden
  87. lediglich die Situation nach dem letzten erlebten Übergriff im Jahr
  88. 2011, als die Geschädigte ihre Mutter aufgefordert hatte, sie abzuholen (UA S. 11) und die Vorkommnisse geschildert, in denen der
  89. Angeklagte die Geschädigte an der Brust gestreichelt und mit der
  90. -5-
  91. Zunge berührt hat (UA S. 25, 29). Ebenso nur in Ansätzen (UA
  92. S. 15, 27 f.) wird wiedergegeben, was die Geschädigte gegenüber
  93. ihrem Vater und ihrer Mutter zu den Taten des Angeklagten erzählt
  94. hat, als sie sich diesen anvertraut hatte.
  95. 9
  96. Die Konstanz der Aussage der Geschädigten ist jedoch für
  97. die Verurteilung des Angeklagten von besonderer Bedeutung.
  98. Diese muss für das Revisionsgericht nachprüfbar sein, wodurch
  99. detaillierte Angaben zu den verschiedenen Aussagen der Zeugin
  100. erforderlich sind. Dies gilt umso mehr, als die Kammer im Zusammenhang mit den Feststellungen der Taten 5 und 6 selbst von
  101. Abweichungen zwischen der Aussage der Geschädigten vor
  102. Gericht und ihrer polizeilichen Vernehmung ausgegangen ist (UA
  103. S. 29).
  104. 10
  105. Die von der Kammer nachvollziehbar (UA S. 9, 18 ff.) als
  106. widerlegt angesehene Einlassung des Angeklagten und als
  107. unglaubwürdig angesehenen Ausführungen der Zeugin
  108. U.
  109. (UA S. 11 f., 15 ff.) vermögen diese Mängel in einer
  110. Gesamtschau ebenso wenig (zu) beseitigen, wie die Aussagen der
  111. Zeugen
  112. M.
  113. und
  114. M. -U.
  115. zu vergleichbaren
  116. Taten des Angeklagten zum Nachteil der Zeugin
  117. Mü. .“
  118. 11
  119. Diesen zutreffenden Ausführungen schließt sich der Senat an.
  120. 12
  121. 2. Der Senat kann nicht ausschließen, dass der Tatrichter bei Einhaltung
  122. der sachlich-rechtlichen Erörterungspflichten zu einer anderen Beurteilung der
  123. Glaubhaftigkeit der Geschädigten gelangt wäre. Die Sache bedarf daher der
  124. Verhandlung und Entscheidung durch einen neuen Tatrichter.
  125. -6-
  126. 13
  127. 3. Zur sprachlichen Abfassung eines Urteils verweist der Senat auf
  128. Meyer-Goßner/Appl, Die Urteile in Strafsachen, 29. Aufl., Rn. 207 ff.
  129. Appl
  130. RiBGH Prof. Dr. Krehl
  131. ist wegen Urlaubs an
  132. der Unterschrift
  133. gehindert.
  134. Appl
  135. Grube
  136. RiBGH Schmidt ist
  137. wegen Urlaubs an
  138. der Unterschrift
  139. gehindert.
  140. Appl
  141. Zeng