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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. 2 StR 235/07
  4. vom
  5. 8. August 2007
  6. in dem Sicherungsverfahren
  7. gegen
  8. -2-
  9. Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 8. August 2007 gemäß
  10. § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
  11. 1. Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Mainz vom 8. Februar 2007 mit den Feststellungen aufgehoben.
  12. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
  13. über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
  14. Gründe:
  15. Das Landgericht hat im Sicherungsverfahren die Unterbringung des Be-
  16. 1
  17. schuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus im Hinblick auf zwei rechtswidrige Taten der exhibitionistischen Handlung gemäß § 183 StGB angeordnet.
  18. Die Revision des Beschuldigten führt mit der Sachrüge zur Aufhebung des Urteils.
  19. 2
  20. 1. Auf der Grundlage der Feststellungen des Landgerichts steht schon
  21. die Annahme mit natürlichem Vorsatz begangener rechtswidriger Anlasstaten
  22. gemäß § 63 StGB nicht außer Zweifel.
  23. 3
  24. a) Im Fall 1 der Urteilsgründe hielt sich der Beschuldigte unbekleidet am
  25. Fenster seiner Wohnung auf und schaute zu drei weiblichen Jugendlichen, die
  26. auf einem gegenüber liegenden Balkon saßen. Ob das Fenster geöffnet war,
  27. -3-
  28. hat das Landgericht nicht festgestellt. Die Mädchen konnten das Geschlechtsteil des Beschuldigten sehen; sie begaben sich dann vom Balkon in
  29. die Wohnung, um den Beschuldigten zu fotografieren. Nachdem die Mädchen
  30. den Balkon verlassen hatten, beobachtete eines von ihnen, dass der Angeklagte onanierende Bewegungen ausführte. Die Mädchen fühlten sich belästigt.
  31. 4
  32. Hier ist ein zumindest natürlicher Tatvorsatz des Beschuldigten nicht hinreichend sicher festgestellt:
  33. 5
  34. Der Täter des § 183 Abs. 1 StGB muss hinsichtlich der Wahrnehmung
  35. durch eine andere Person mit direktem Vorsatz handeln (Tröndle/Fischer StGB
  36. 54. Aufl. § 183 Rdn. 7; MüKo-Hörnle § 183 Rdn. 7, 9; jew. m.w.N.). Feststellungen hierzu enthält das Urteil nicht; es ergibt sich im Hinblick auf die Möglichkeit,
  37. dass der Beschuldigte am geschlossenen Fenster seiner Wohnung stand, auch
  38. nicht ohne Weiteres. Auch zum erforderlichen zumindest bedingten Vorsatz der
  39. Belästigung enthält das angefochtene Urteil keinerlei Feststellung.
  40. 6
  41. b) Im Fall 2 der Urteilsgründe hielt sich der Beschuldigte in unbekleidetem Zustand von 12.00 Uhr bis 21.00 Uhr vor einer Wohnungstür im Erdgeschoss des Hauses auf, in dem er selbst eine seiner Schwester gehörende
  42. Wohnung bewohnt; er wurde dabei von einer in der Wohnung anwesenden
  43. Wohnungsinhaberin gesehen, die sich erheblich belästigt fühlte. Das Landgericht hat insoweit im Anschluss an einen Sachverständigen festgestellt, der Beschuldigte habe auf Grund der bei ihm vorliegenden schizophrenen Psychose
  44. entweder mit sexueller Motivation und in diesem Fall ohne Steuerungsfähigkeit
  45. oder mit der Motivation des "Protestes" gegen eine wahnhaft erlebte angebliche
  46. Verfolgung durch die Wohnungsnachbarin und in diesem Fall ohne Einsichtsfähigkeit gehandelt.
  47. -4-
  48. 7
  49. Auch aus diesen Feststellungen ergibt sich die vom Landgericht angenommene Verwirklichung einer Straftat nach § 183 Abs. 1 StGB nicht. Eine exhibitionistische Handlung im Sinne von § 183 Abs. 1 StGB ist nicht allein ein
  50. äußerer Vorgang, sondern eine Handlung mit sexueller Motivation (vgl. Tröndle/Fischer aaO Rdn. 5). Die Motivation des Beschuldigten konnte daher nicht
  51. offen bleiben; wenn sie nicht sicher festgestellt werden konnte, war der Zweifelssatz anzuwenden. Im Übrigen fehlen auch insoweit jegliche Feststellungen
  52. zum Tatvorsatz.
  53. 8
  54. 2. Unabhängig davon sind, wie im Ergebnis auch der Generalbundesanwalt zutreffend angenommen hat, die Voraussetzungen einer Maßregelanordnung gemäß § 63 StGB nicht rechtsfehlerfrei festgestellt. Die Anordnung der
  55. den Betroffenen außerordentlich belastenden Maßregel setzt eine sorgfältige
  56. und kritische Prüfung insbesondere auch der Gefährlichkeitsprognose unter
  57. Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (§ 62 StGB) voraus; in keinem
  58. Fall ausreichend ist die Feststellung einer "Behandlungs-Bedürftigkeit" oder vage Prognosen gemeinlästigen Verhaltens.
  59. 9
  60. Vorliegend mangelt es, wie der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt hat, schon an einer hinreichend nachvollziehbaren Feststellung des "Zustands" im Sinne von § 63 StGB im Zusammenhang mit der Prognose. Da die
  61. Gefährlichkeits-Prognose des Landgerichts wohl eher an die vom Sachverständigen für möglich gehaltene "zweite Deutungsmöglichkeit" anknüpft (UA S. 15),
  62. konnten diese Möglichkeiten der "Deutung" - d. h. die Feststellung der beim Beschuldigten gegebenen psychischen Erkrankung - nicht offen nebeneinander
  63. stehen bleiben, ohne ihre jeweils unterschiedliche prognostische Bedeutung zu
  64. erörtern.
  65. -5-
  66. Im Übrigen wird die Annahme des Landgerichts, vom Beschuldigten sei-
  67. 10
  68. en erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten, von den Feststellungen nicht
  69. getragen. Dass der Zeuge Dr. G. den Beschuldigten als nach seiner Ansicht
  70. "unberechenbar" bezeichnet hat (UA S. 16), war hierfür ohne Gewicht, denn
  71. konkrete Anhaltspunkte hat der Zeuge nicht genannt. Seine Bekundung, die
  72. Aggressionsbereitschaft des Beschuldigten ergebe sich aus dessen gelegentlich "gereiztem Tonfall" (im Rahmen einer gegen seinen Willen angeordneten
  73. Unterbringung nach dem landesrechtlichen Unterbringungsgesetz), deutet darauf hin, dass der Zeuge mit den für § 63 StGB geltenden Maßstäben nicht vertraut ist. Das Landgericht durfte die Bewertungen des Zeugen daher nicht ohne
  74. Weiteres seiner Beurteilung als Feststellungen zugrunde legen, indem es die
  75. Begriffe ("Aggressionspotenzial"; "unberechenbar") ungeprüft übernahm.
  76. Der 67-jährige Beschuldigte ist in der Vergangenheit vielfach wegen ex-
  77. 11
  78. hibitionistischen Handlungen aufgefallen. Im Jahr 1972 griff er einem Kind über
  79. der Kleidung an das Geschlechtsteil (UA S. 5). Eine Aggressionshandlung beging er im Jahr 1975, als er sich einer Festnahme durch Polizeibeamte körperlich widersetzte (UA S. 6). Im Jahr 1994 wurde er wegen einer - nicht näher beschriebenen - Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 25 Tagessätzen verurteilt. Sonstige Vortaten, welche die Annahme des Landgerichts stützen könnten,
  80. vom Beschuldigten gehe im Hinblick auf seine "gravierenden Vortaten" eine
  81. "erhebliche Gefahr" aus (UA S. 16), sind nicht festgestellt. Die Annahme, es sei
  82. "mit Gewalttaten zu rechnen" (UA S. 16), ist nicht belegt. Die Gefahr zukünftiger
  83. exhibitionistischer Handlungen begründet, wie das Landgericht zutreffend gesehen hat, für sich allein eine die Maßregelanordnung rechtfertigende Prognose
  84. nicht.
  85. 12
  86. c) Sollte der neue Tatrichter erneut zur grundsätzlichen Annahme der
  87. Voraussetzungen des § 63 StGB gelangen, wird er schließlich Gelegenheit ha-
  88. -6-
  89. ben, im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit den Stand des betreuungsrechtlichen Verfahrens über die Unterbringung des Beschuldigten zu berücksichtigen.
  90. Rissing-van Saan
  91. Bode
  92. Fischer
  93. Otten
  94. Roggenbuck