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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. 2 StR 104/06
  5. vom
  6. 25. Oktober 2006
  7. in der Strafsache
  8. gegen
  9. wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung u. a.
  10. -2-
  11. Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Hauptverhandlungen vom 18. Oktober und 25. Oktober 2006, an denen teilgenommen haben:
  12. Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
  13. Dr. Rissing-van Saan
  14. und die Richterin am Bundesgerichtshof
  15. Dr. Otten,
  16. die Richter am Bundesgerichtshof
  17. Rothfuß,
  18. Prof. Dr. Fischer,
  19. die Richterin am Bundesgerichtshof
  20. Roggenbuck,
  21. Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
  22. als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
  23. Rechtsanwalt
  24. als Verteidiger,
  25. Justizangestellte
  26. in der Hauptverhandlung vom 18. Oktober 2006,
  27. Justizhauptsekretärin
  28. in der Hauptverhandlung vom 25. Oktober 2006
  29. als Urkundsbeamtinnen der Geschäftsstelle,
  30. für Recht erkannt:
  31. -3-
  32. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
  33. Limburg a. d. Lahn vom 20. Dezember 2005 wird auf seine Kosten
  34. verworfen.
  35. Von Rechts wegen
  36. Gründe:
  37. 1
  38. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchter schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen
  39. unter Einbeziehung der rechtskräftigen Einzelstrafen aus dem Urteil des Landgerichts Limburg vom 11. November 2004 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von
  40. vier Jahren und neun Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Dagegen wendet sich die Revision des Angeklagten mit der Sachrüge und einer Verfahrensrüge.
  41. 2
  42. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg. Soweit die Revision die Sachrüge
  43. erhebt, ist sie aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts
  44. vom 20. März 2006 unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO. Die zeitlich
  45. nach der Antragsschrift des Generalbundesanwalts erhobenen Einwendungen
  46. gegen die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt zeigen
  47. keinen Rechtsfehler des Urteils auf. Näherer Erörterung bedarf lediglich die Rüge der vorschriftswidrigen Besetzung des erkennenden Gerichts (§ 338 Nr. 1
  48. StPO).
  49. -4-
  50. 3
  51. 1. Die 2. große Strafkammer des Landgerichts Limburg hatte den Angeklagten am 11. November 2004 wegen erpresserischen Menschenraubs in Tateinheit mit versuchter schwerer räuberischer Erpressung und gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen sowie wegen weiterer Taten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Auf die Revision des Angeklagten hatte
  52. der Senat mit Beschluss vom 8. April 2005 das Urteil im Schuldspruch wegen
  53. erpresserischen Menschenraubs, im Gesamtstrafenausspruch und soweit eine
  54. Maßregel nach § 64 StGB nicht angeordnet worden war, aufgehoben und die
  55. Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an
  56. eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
  57. 4
  58. Nach dem Geschäftsverteilungsplan des Landgerichts Limburg vom
  59. 13. Dezember 2004 für das Geschäftsjahr 2005 war für aufgehobene und zurückverwiesene Schwurgerichtssachen und Strafsachen der 2. Strafkammer die
  60. 1. Strafkammer zuständig. Durch nicht begründeten Präsidiumsbeschluss vom
  61. 27. Juli 2005 wurde die Zuständigkeit für zurückverwiesene Strafsachen auf die
  62. 5. Strafkammer übertragen, auch für Zurückverweisungen vor dem 1. August
  63. 2005, soweit noch kein Hauptverhandlungstermin bestimmt worden war. Mit
  64. Schriftsatz vom 2. November 2005 übersandte der Verteidiger des Angeklagten
  65. der 1. Strafkammer den Entwurf einer Besetzungsrüge, der u. a. der Präsidiumsbeschluss vom 27. Juli 2005 und ein Auszug aus dem Geschäftsverteilungsplan betreffend die 1. Strafkammer beigefügt waren. Gerügt wurde, dass
  66. der Präsidiumsbeschluss vom 27. Juli 2005 keine Begründung für die Umverteilung enthalte, dass es sich um eine unzulässige Einzelzuweisung handele und
  67. dass die Voraussetzungen des § 21 e Abs. 3 GVG nicht vorgelegen hätten. Als
  68. Hintergrund für die Übertragung wurde in dem Entwurf einer Besetzungsrüge
  69. mitgeteilt, dass man nach Auskunft des Vorsitzenden der 1. Strafkammer zu
  70. Beginn des Geschäftsjahres vergessen hätte, der 1. Strafkammer für aufgehobene Strafsachen der 2. Strafkammer Schöffen zuzulosen. Dies sei dem Vorsit-
  71. -5-
  72. zenden erst bei der Bearbeitung der ersten zurückverwiesenen Sache aufgefallen. In diesem Fall hätten nach Auffassung der Verteidigung gemäß § 46 GVG
  73. Schöffen aus der Hilfsschöffenliste ausgelost werden müssen.
  74. 5
  75. Mit Beschluss vom 17. November 2005, der Verteidigung am selben Tage übersandt, begründete das Präsidium die Änderung der Geschäftsverteilung
  76. nachträglich. In der Hauptverhandlung vom 24. November 2005 vor der
  77. 5. Strafkammer erhob der Verteidiger sodann die im Schriftsatz vom 22. November 2005 formulierte Besetzungsrüge.
  78. 6
  79. 2. Die auf § 338 Nr. 1 StPO gestützte Rüge, das Gericht sei mit den in
  80. der Besetzungsrüge mitgeteilten Gerichtspersonen der 5. Strafkammer nicht
  81. vorschriftsmäßig besetzt, hat keinen Erfolg. Die Rüge ist präkludiert, weil der
  82. Angeklagte den Einwand der vorschriftswidrigen Besetzung in der Hauptverhandlung nicht in der vorgeschriebenen Form gemäß § 222 b Abs. 1 Satz 2
  83. StPO erhoben hat.
  84. 7
  85. a) Die Zulässigkeit einer Besetzungsrüge setzt voraus (§ 338 Abs. 1
  86. Nr. 1 b StPO), dass der Besetzungseinwand bereits in der Hauptverhandlung
  87. vor dem Landgericht "rechtzeitig und in der vorgeschriebenen Form geltend
  88. gemacht worden ist". Die Vorschrift des § 338 Abs. 1 Nr. 1 b StPO nimmt damit
  89. Bezug auf § 222 b Abs. 1 Satz 2 StPO, der bestimmt, dass die Tatsachen, aus
  90. denen sich die vorschriftswidrige Besetzung ergeben soll, anzugeben sind. Mit
  91. den durch das Strafverfahrensänderungsgesetz 1979 eingeführten Rügepräklusionsvorschriften der §§ 338 Nr. 1, 222 b Abs. 1 StPO wollte der Gesetzgeber
  92. erreichen, dass Besetzungsfehler bereits in einem frühen Verfahrensstadium
  93. erkannt und geheilt werden, um zu vermeiden, dass ein möglicherweise mit
  94. großem justiziellem Aufwand zustande gekommenes Strafurteil allein wegen
  95. eines Besetzungsfehlers im Revisionsverfahren aufgehoben und in der Folge
  96. -6-
  97. die gesamte Hauptverhandlung – mit erheblichen Mehrbelastungen sowohl für
  98. die Strafjustiz als auch für den Angeklagten – wiederholt werden muss (BTDrucks. 8/976 S. 24 ff.). Deshalb müssen alle Beanstandungen gleichzeitig geltend gemacht werden (§ 222 b Abs. 1 Satz 3 StPO). Ein Nachschieben von
  99. Gründen ist nicht statthaft (Meyer-Goßner StPO 49. Aufl. § 222 b Rdn. 7;
  100. Tolksdorf in KK-StPO 5. Aufl. § 222 b Rdn. 7; Gollwitzer in LR 25. Aufl. § 222 b
  101. Rdn. 18). Diese Grundsätze gelten auch bei evidenten Besetzungsmängeln, die
  102. allen Verfahrensbeteiligten ohne weiteres erkennbar oder sogar bekannt sind.
  103. Auch in diesen Fällen sind deshalb alle konkreten Tatsachen, aus denen sich
  104. die Fehlerhaftigkeit der Besetzung ergeben soll, zur Erhaltung der Besetzungsrüge im Einzelnen vorzubringen. Die Rechtsprechung stellt mit Blick auf den
  105. Normzweck und im Sinne der Intentionen des Gesetzgebers hohe Anforderungen an den Inhalt des Besetzungseinwands. Die Begründungsanforderungen
  106. an den Besetzungseinwand entsprechen weitgehend den Rügevoraussetzungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO (BGHSt 44, 161, 162; BT-Drucks. 8/976 S.
  107. 47). Fehlt die erforderliche umfassende Begründung, insbesondere ein hinreichend substantiierter Tatsachenvortrag, so ist der Besetzungseinwand nicht in
  108. der vorgeschriebenen Form geltend gemacht, mithin nicht zulässig erhoben
  109. worden.
  110. 8
  111. b) In der Hauptverhandlung vor der 5. Strafkammer wurde als Besetzungseinwand der Schriftsatz vom 22. November 2005 verlesen, wie von der
  112. Revision vorgetragen und vom Protokoll belegt wird; darüber hinaus wurden
  113. keine Einwendungen mündlich vorgetragen und auch nicht auf sonstige Schriftstücke oder Aktenbestandteile (mündlich) Bezug genommen.
  114. 9
  115. Die Ausführungen des Schriftsatzes vom 22. November 2005 genügen
  116. den Anforderungen an einen formgerechten Besetzungseinwand nicht. Aus ihnen wird schon nicht deutlich, unter welchem rechtlichen Aspekt die Übertra-
  117. -7-
  118. gung der Zuständigkeit für zurückverwiesene allgemeine Strafsachen von der
  119. 1. Strafkammer auf die 5. Strafkammer beanstandet werden soll, und welche
  120. Tatsachen dem zugrunde liegen. Die Verteidigung behauptet darin nur, diese
  121. Übertragung der Zuständigkeit auf eine andere Strafkammer sei von § 21 e
  122. Abs. 3 GVG nicht erfasst, trägt aber keine Tatsachen dafür vor, um welche
  123. Fallgestaltung es sich hier handelt.
  124. 10
  125. aa) In der kurzen Schilderung des Verfahrensablaufs wird zwar durch
  126. kursives Schriftbild hervorgehoben, dass der Präsidiumsbeschluss vom 27. Juli
  127. 2005 keine weitere Begründung für die Übertragung der Zuständigkeit enthalte,
  128. ferner wird mitgeteilt, dass die Übertragung auch für Zurückverweisungen vor
  129. dem 1. August 2005 gelten solle. Ob damit (auch) die fehlende Begründung und
  130. eine rechtsfehlerhafte Einzelzuweisung gerügt werden sollen, bleibt aber unklar,
  131. nachdem in dem Schriftsatz weiter geschildert wird, dass das Präsidium mit
  132. Beschluss vom 17. November 2005 eine Begründung nachgeholt habe, die aber die Änderung der Geschäftsverteilung nicht rechtfertige. Dass das Nachholen einer Begründung unzulässig sei, wird nicht geltend gemacht. Dass von der
  133. Übertragung lediglich eine einzige Sache – die vorliegende – betroffen war, wird
  134. nicht dargelegt. In dem zuvor der 1. Strafkammer übersandten Entwurf einer
  135. Besetzungsrüge hatte der Verteidiger die Besetzung hingegen ausdrücklich
  136. auch unter diesen beiden Aspekten gerügt und näher erläutert.
  137. 11
  138. bb) In dem Schriftsatz vom 22. November 2005 wird der Inhalt des Präsidiumsbeschlusses vom 17. November 2005 zudem nur auszugsweise wie
  139. folgt mitgeteilt: "… der Vorsitzende der 1. Strafkammer habe sich an einem
  140. Vorgehen nach § 46 GVG mangels Fehlens einer planwidrigen Regelungslücke
  141. im Hinblick auf die Möglichkeit der Änderung der Geschäftsverteilung gehindert
  142. gesehen. Dieser Ansicht habe sich das Präsidium angeschlossen." Dazu äußert
  143. die Verteidigung in dem Besetzungseinwand die Auffassung, dass diese Be-
  144. -8-
  145. gründung die Änderung der Geschäftsverteilung nicht rechtfertige, da ein Grund
  146. nach § 21 e Abs. 3 GVG nicht vorliege und der Katalog des § 21 e Abs. 3 GVG
  147. abschließend sei.
  148. 12
  149. Diese Beanstandung ist für sich allein gesehen nicht verständlich, ihr
  150. Rügeinhalt erschließt sich nur demjenigen, der die vorangegangenen Verfahrensvorgänge, insbesondere den "Entwurf" einer Besetzungsrüge vom 2. November 2005 und den Präsidiumsbeschluss vom 17. November 2005 kennt. In
  151. dem Besetzungseinwand wird lediglich vorgetragen, dass das Gesetz in § 46
  152. GVG eine Regelung zur Behandlung "des vorliegenden Problems" enthalte,
  153. ohne dieses "Problem" näher darzulegen. Die im Präsidiumsbeschluss geschilderten Hintergründe für die Zuständigkeitsübertragung – dass für die
  154. 1. Strafkammer keine Schöffen gewählt seien für die Verhandlung zurückverwiesener allgemeiner Strafsachen der 2. Strafkammer – teilt die Verteidigung
  155. mit dem Besetzungseinwand nicht mehr mit, ebenso wenig den mit dem "Entwurf" der Besetzungsrüge zunächst vorgelegten Auszug aus dem Geschäftsverteilungsplan betreffend die 1. Strafkammer, der auch Angaben zu deren
  156. sonstigen Zuständigkeiten und ihren Sitzungstagen enthält. Es kann dahingestellt bleiben, ob insoweit eine Bezugnahme auf Unterlagen bei den Strafakten
  157. der Kammer ausreichen würde (vgl. BGHSt 44, 161, 163), denn eine solche
  158. Bezugnahme wird von der Revision nicht behauptet und ergibt sich auch nicht
  159. aus dem Inhalt des Schriftsatzes vom 22. November 2005. Auch das Protokoll
  160. enthält hierzu keine Angaben.
  161. 13
  162. Dem tatsächlich erhobenen Besetzungseinwand mangelt es mithin an
  163. dem erforderlichen umfassenden und substantiierten Tatsachenvortrag. Ohne
  164. Kenntnis von den zugrundeliegenden tatsächlichen Umständen und den rechtlichen Erwägungen des Präsidiums für die Übertragung der Zuständigkeit von
  165. der einen auf die andere Strafkammer lässt sich nicht beurteilen, ob zum Zeit-
  166. -9-
  167. punkt des Präsidiumsbeschlusses die Voraussetzungen des § 21 e Abs. 3 GVG
  168. vorlagen und die Strafkammer den Besetzungseinwand zu Recht zurückgewiesen hat oder ob die (tatsächlichen oder vermeintlichen) Besetzungsmängel der
  169. 1. Strafkammer rechtlich anders hätten gelöst werden können oder müssen.
  170. Rissing-van Saan
  171. Otten
  172. Fischer
  173. Rothfuß
  174. Roggenbuck