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9.9 KiB

  1. Nachschlagewerk:
  2. BGHSt:
  3. Veröffentlichtung:
  4. ja
  5. nein
  6. ja
  7. _________________________________
  8. StPO §§ 100a, 100b
  9. Die Strafverfolgungsbehörden können im Rahmen einer nach §§ 100a, 100b StPO angeordneten Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikation mit einem Mobilfunktelefon von dem Netzbetreiber die Bereitstellung von Informationen darüber, in
  10. welcher Funkzelle sich das Telefon befindet, auch dann verlangen, wenn mit diesem
  11. nicht telefoniert wird.
  12. BGH, Ermittlungsrichter, Beschluß vom 21. Februar 2001 – 2 BGs 42/2001 –
  13. Bundesgerichtshof
  14. Ermittlungsrichter
  15. 2 BGs 42/2001
  16. 3 BJs 30/00-1 (8)
  17. BESCHLUSS
  18. vom 21. Februar 2001
  19. im Ermittlungsverfahren
  20. gegen
  21. wegen
  22. -2Verdachts der geheimdienstlichen Agententätigkeit
  23. hier:
  24. Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikation
  25. betroffene Netzbetreiberin:
  26. betroffener Anschlußinhaber:
  27. Die Gegenvorstellung der Netzbetreiberin wird
  28. zurückgewiesen.
  29. -3-
  30. Gründe:
  31. I.
  32. Mit Beschluß vom 25. Januar 2001 - 2 BGs 15/2001 - hat der Ermittlungsrichter des
  33. Bundesgerichtshofs auf Antrag des Generalbundesanwalts die Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikation des Mobiltelefonanschlusses ..................... “einschließlich der Mitteilung der regelmäßig erfolgenden Positionsmeldungen (Bewegungsdaten)” gemäß §§ 100a, 100b, 169 Abs. 1 StPO gestattet. Gegen diesen Beschluß wendet sich die betroffene Netzbetreiberin mit ihrer als Gegenvorstellung bezeichneten Eingabe vom 26. Januar 2001, soweit er die Mitteilung der Positionsmeldungen betrifft.
  34. Sie macht geltend, die Mitteilung dieser Daten werde, wenn sie nicht im Rahmen eines
  35. Telefongesprächs anfallen, von § 100a StPO nicht erfaßt, weil sie dann nicht im Rahmen eines Telekommunikationsvorgangs entstünden. Auch sei die Erhebung dieser
  36. Daten aus technischen Gründen nicht möglich.
  37. Dem tritt die Bundesanwaltschaft entgegen.
  38. II.
  39. Die sich gegen eine nicht mit der Beschwerde anfechtbare (§ 304 Abs. 4 StPO) Anordnung der Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikation richtende Eingabe
  40. ist als Gegenvorstellung zulässig.
  41. Sie ist jedoch nicht begründet. Die Netzbetreiberin ist aufgrund der nach §§ 100a, 100b
  42. StPO ergangenen Anordnung verpflichtet, den Ermittlungsbehörden die zur Standortbestimmung des (eingeschalteten) Mobiltelefons erforderlichen geographischen
  43. Daten der betroffenen Funkzellen unabhängig davon mitzuteilen, ob mit dem Mobilgerät telefoniert wird oder nicht (vgl. LG Dortmund NStZ 1998, 577; LG Ravensburg
  44. NStZ-RR 1999, 84; LG Aachen StV 1999, 590 m. abl. Anm. Bernsmann; Nack in K/KStPO 4. Aufl. § 100a Rdnr. 13; Pfeiffer, StPO 3. Aufl. § 100a Rdnr. 1; Artkämper, Kriminalistik 1998, 202).
  45. -4-
  46. 1. Der Überwachung und Aufzeichnung nach §§ 100a, 100b StPO unterliegen alle
  47. Formen der Nachrichtenübermittlung unter Raumüberwindung in nicht-körperlicher
  48. Weise mittels technischer Einrichtungen (BGH [Ermittlungsrichter] NStZ 1997, 247;
  49. Nack aaO Rdnr. 4, 6; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 44. Aufl. § 100a Rdnr. 2).
  50. Der Gesetzgeber hat diese Vorschriften auch für neue, zunächst noch nicht bekannte Techniken der Nachrichtenübertragung bewußt offen gehalten. Das ergibt
  51. sich insbesondere aus der Ersetzung der Formulierung “Aufnahme auf Tonträger”
  52. durch das umfassendere Wort “Aufzeichnung” durch das am 1. Juli 1989 in Kraft
  53. getretene Poststrukturgesetz (BGBl. I S. 1026, 1050) sowie aus der Ersetzung des
  54. Wortes “Fernmeldeverkehr” durch “Telekommunikation” durch das Begleitgesetz
  55. zum Telekommunikationsgesetz vom 17. Dezember 1997 (BGBl. I S. 3108, 3113).
  56. Da die §§ 100a, 100b StPO mit ihrem weiteren Anwendungsbereich eine gesetzliche Ermächtigung zu Eingriffen in das durch Art. 10 Abs. 1 GG geschützte Fernmeldegeheimnis darstellen, muß sich ihre Auslegung, insbesondere des nunmehr
  57. maßgebenden Begriffs der Telekommunikation, in erster Linie an diesem Grundrecht ausrichten (BVerfGE 46, 120, 143; BGH [Ermittlungsrichter] aaO). Das
  58. Grundrecht des Fernmeldegeheimnisses ist seinerseits gegenüber den technischen Entwicklungen, wie sie sich z.B. in den heutigen Möglichkeiten der Speicherung und Verarbeitung von Informationen jeglicher Art durch Digitalisierung zeigen,
  59. offen und dynamisch (vgl. Jarass/Pieroth, GG 3. Aufl. Art. 10 Rdnr. 5). Die Einbeziehung neuer Formen der Telekommunikation in § 100a StPO überschreitet deshalb nicht die Grenzen, die der Auslegung dieser Vorschrift durch Art. 10 GG nach
  60. der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gezogen sind (vgl. BGHSt 31, 296,
  61. 298; 34, 39, 51). Es ist heute auch unstreitig, daß das Grundrecht des Fernmeldegeheimnisses nicht nur den Kommunikationsinhalt, sondern ebenso die Kommunikationsumstände umfaßt; hierzu gehört insbesondere, ob und gegebenenfalls wann
  62. und wie oft zwischen welchen Personen oder Fernmeldeanschlüssen Fernmeldeverkehr stattgefunden hat oder versucht worden ist (BVerfGE 67, 157, 172; 85,
  63. 386, 396; 100, 313, 358; vgl. auch BGH StV 1998, 173).
  64. Der Gesetzgeber hat dies inzwischen einfachgesetzlich in § 85 Abs. 1 TKG – wortgleich in § 206 Abs. 5 Satz 2, 3 StGB – ausdrücklich geregelt. Diese wie auch
  65. weitere Bestimmungen des Telekommunikationsgesetzes und die aufgrund dieses
  66. Gesetzes ergangenen Rechtsverordnungen können bei der Auslegung der grundrechtseinschränkenden Norm des § 100a StPO jedenfalls als wesentliche Orientierungshilfe herangezogen werden.
  67. -5-
  68. Als nähere Umstände der Telekommunikation stellen sich nach diesen Regelungen
  69. insbesondere die Verbindungsdaten eines Kommunikationsvorgangs dar (Büchner
  70. in Beck TKG-Kommentar, 2. Aufl. § 85 Rdnr. 3), wie sie in § 89 Abs. 2 Nr. 1 Buchst.
  71. b TKG – in Abgrenzung zu den Bestandsdaten im Sinne von § 89 Abs. 2 Nr. 1
  72. Buchst. a TKG – umschrieben sind. Die neue TelekommunikationsDatenschutzverordnung (TDSV) vom 18. Dezember 2000 (BGBl. I S. 1740) definiert in § 2 Nr. 4 die Verbindungsdaten nunmehr ausdrücklich als “bei der Bereitstellung und Erbringung von Telekommunikationsdiensten erhoben”. Hierunter
  73. können, wie sich aus dem Begriff Bereitstellung deutlich ergibt, auch Daten fallen,
  74. die bereits im Vorfeld eines (potentiellen) Telefongesprächs erhoben werden.
  75. Die technisch bedingten Positionsmeldungen nicht telefonierender Mobilgeräte
  76. stellen derartige Verbindungsdaten dar. Sie erfüllen die Legaldefinition des § 3
  77. Nr. 16 TKG, wonach Telekommunikation “der technische Vorgang des Aussendens, Übermittels und Empfangens von Nachrichten jeglicher Art in der Form von
  78. Zeichen, Sprachen, Bildern oder Tönen mittels Telekommunikationsanlagen” ist.
  79. Die Positionsmeldungen sind, auch wenn nicht telefoniert wird, kommunikationserheblich, weil sie die Betriebsbereitschaft des im sog. Stand-by-Betriebs befindlichen Mobiltelefons sicherstellen. Es gehört zwingend zu dem Telefonieren mit einem Mobilgerät, dieses empfangsbereit zu halten, da sonst der Empfang von Gesprächen nicht möglich ist. Um ständig empfangsbereit zu sein, muß das Mobiltelefon seine Position regelmäßig dem Netz mitteilen.
  80. Da es sich folglich auch insoweit um Telekommunikationsvorgänge in dem vom
  81. Gesetzgeber vorgegebenen weiten Rahmen handelt, steht nichts entgegen, daß
  82. die Strafverfolgungsbehörden unter den Voraussetzungen des § 100a StPO auf die
  83. technisch bedingten Positionsmeldungen von Mobilgeräten auch dann zurückgreifen, wenn mit diesen nicht telefoniert wird. Angesichts der im Vergleich zu anderen
  84. strafprozessualen Eingriffsmaßnahmen engen Zulässigkeitsvoraussetzungen einer
  85. Maßnahme nach § 100a StPO und des bedeutend geringeren Gewichts der Offenbarung von Standortdaten gegenüber dem inhaltlichen Abhören von Telefongesprächen bestehen hiergegen auch im Hinblick auf den hohen Rang des Grundrechts des Fernmeldegeheimnisses keine Bedenken, zumal § 100a StPO auch
  86. ausdrücklich die Möglichkeit zur Aufenthaltsermittlung des Beschuldigten eröffnet.
  87. Daß die verfassungsrechtliche Problematik derartiger Standortbestimmungen durch
  88. Überwachung der digitalen “Kommunikation von Maschinen” auch bei dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG) liegt, steht dem
  89. nicht entgegen, da das Grundrecht des Art. 10 GG, das in seiner durch die techni-
  90. -6-
  91. schen Entwicklungen bedingten heutigen Bedeutung gesehen werden muß, gegenüber dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht das speziellere Grundrecht darstellt
  92. (vgl. Nack aaO Rdnr. 13; a.A. Bernsmann, StV 1999, 592).
  93. Die Netzbetreiberin leitet Einwände gegen ihre Verpflichtung zur Mitteilung von
  94. Positionsmeldungen auch aus § 3 Abs. 2 Nr. 4 der FernmeldeverkehrÜberwachungsverordnung (FÜV) vom 18. Mai 1995 (BGBl. I S. 722) her. Diese
  95. Regelung verpflichtet die Netzbetreiber, bei überwachten Mobilanschlüssen Informationen (nur) zu den Funkzellen mitzuteilen, “über die die Verbindung abgewikkelt wird”. Diese Einwände greifen schon deshalb nicht durch, weil die FÜV die sich
  96. aus §§ 100a, 100b StPO ergebenden Eingriffsbefugnisse (das “Ob”) weder ergänzt
  97. noch einschränkt, sondern lediglich – wie in § 1 FÜV formuliert - “die Anforderungen und das Verfahren zur technischen Umsetzung von Überwachungsmaßnahmen” (das “Wie”) regelt. Davon abgesehen betrifft § 3 Abs. 2 Nr. 4 FÜV mit dem
  98. Begriff “Verbindung” bei sachgerechter systematischer Auslegung der Bestimmungen der FÜV nicht nur die Zeiträume, während derer telefoniert wird, sondern den
  99. gesamten Zeitraum der richterlichen Anordnung (LG Dortmund aaO; Nack aaO
  100. Rdnr. 13; Artkämper aaO S. 206).
  101. 2. Daß die zur Standortbestimmung erforderlichen Daten bei der Netzbetreiberin nicht
  102. automatisch erfaßt werden und deshalb den Strafverfolgungsbehörden nicht “online” zugänglich gemacht werden können, hindert die Netzbetreiberin nicht, ihren
  103. gesetzlichen Mitwirkungspflichten durch Feststellung und Mitteilung von Funkbereichen nachzukommen. Eine unzumutbare Belastung kann darin nicht gesehen
  104. werden.
  105. Zur Klarstellung sei allerdings darauf hingewiesen, daß die Netzbetreiberin nur zur
  106. Mitteilung der Funkzelle im Sinne des § 2 Nr. 5 FÜV und nicht zu weitergehenden
  107. Peilungen oder Messungen innerhalb der Funkzelle verpflichtet ist.
  108. Dr. Kolz
  109. Richter am Bundesgerichtshof