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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. 2 ARs 383/03
  4. 2 AR 249/03
  5. vom
  6. 3. Dezember 2003
  7. in der Strafsache
  8. gegen
  9. wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln
  10. Az.: 4 Ds 173 Js 32088/02 Amtsgericht Zerbst
  11. Az.: 173 Js 32088/02 Staatsanwaltschaft Dessau
  12. Az.: 6002 Js 558/02 Staatanwaltschaft Hamburg
  13. Az.: 621-285/03 Amtsgericht Hamburg-Harburg
  14. -2-
  15. Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts am 3. Dezember 2003 beschlossen:
  16. Die Beschlüsse des Amtsgerichts - Jugendrichter - Zerbst vom
  17. 26. Juni und 22. Juli 2003 werden aufgehoben. Zuständig für die
  18. Untersuchung und Entscheidung der Sache bleibt das Amtsgericht - Jugendrichter - Zerbst.
  19. Gründe:
  20. Die Staatsanwaltschaft Dessau hat gegen den im Bezirk des Amtsgerichts Zerbst wohnhaften Angeklagten als strafrechtlich verantwortlichen Jugendlichen mit Anklageschrift vom 25. Februar 2003 Anklage wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 16 Fällen, begangen jeweils in Hamburg,
  21. erhoben. Das Amtsgericht - Jugendrichterin - in Zerbst hat mit Beschluß vom
  22. 9. Mai 2003 die Anklage zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet. In der
  23. Hauptverhandlung vom 26. Juni 2003 hat die Jugendrichterin nach Verlesung
  24. eines Gutachtens zur Altersbestimmung, wonach von einem wahrscheinlichen
  25. Lebensalter des Angeklagten von 25 Jahren auszugehen sei, auf Antrag der
  26. Staatsanwaltschaft und nach Anhörung des Angeklagten das Verfahren durch
  27. Beschluß nach § 270 Abs. 1 StPO an das "zuständige Schöffengericht Hamburg als das Gericht höherer Ordnung" unter Hinweis auf diese Altersbestimmung und auf die Straferwartung bei "gewerbsmäßigem" Handeltreiben verwiesen. Mit weiterem Beschluß vom 22. Juli 2003 hat es diesen Beschluß aufgehoben und das Verfahren stattdessen gemäß § 270 Abs. 1 StPO an das Amtsgerichts Hamburg-Harburg verwiesen. Das Amtsgericht Hamburg-Harburg hat
  28. -3-
  29. die Übernahme abgelehnt und die Sache dem Bundesgerichtshof zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt.
  30. Die Beschlüsse des Amtsgerichts - Jugendrichterin - Zerbst sind in
  31. mehrfacher Hinsicht fehlerhaft und entfalten keine Rechtswirkungen:
  32. a) Eine Verweisung wegen örtlicher Unzuständigkeit kam hier von vornherein nicht in Betracht. Abgesehen davon, daß § 270 Abs. 1 StPO allein die
  33. Verweisung wegen sachlicher Unzuständigkeit betrifft, kann die örtliche Unzuständigkeit nach Eröffnung des Hauptverfahrens nur noch auf Einwand des
  34. Angeklagten ausgesprochen werden (§ 16 StPO). Zudem ist das Amtsgericht
  35. Zerbst hier auch örtlich zuständig, weil der Angeklagte im Bezirk des Amtsgerichts seinen Wohnsitz hat (§ 8 StPO). Die Sondervorschrift der Abgabe nach
  36. § 42 Abs. 3 JGG bei Wohnsitzwechsel von Jugendlichen und Heranwachsenden nach Eröffnung des Hauptverfahrens griff hier ohnehin nicht ein.
  37. b) Hinsichtlich der Verweisung wegen fehlender sachlicher Zuständigkeit
  38. gilt folgendes:
  39. aa) Stellt sich nach Eröffnung des Hauptverfahrens heraus, daß nicht
  40. das Jugendgericht, sondern ein Erwachsenengericht zuständig gewesen wäre
  41. - etwa weil Anklage und Eröffnungsbeschluß von einer falschen Altersangabe
  42. ausgegangen sind -, so verbleibt es nach § 47 a Satz 1 JGG grundsätzlich bei
  43. der Zuständigkeit des Jugendgerichts, auch wenn eigentlich die Zuständigkeit
  44. eines Erwachsenengerichts gleicher oder niedrigerer Ordnung gegeben gewesen wäre (Brunner/Dölling, JGG, 11. Aufl. § 47 a Rdn. 1 JGG; Schoreit in Diemer/Schoreit/Sonnen, JGG 4. Aufl. § 47 a Rdn. 3, Eisenberg, JGG 6. Aufl.
  45. -4-
  46. §§ 33-33 b Rdn. 35). § 47 a JGG übernimmt den Rechtsgedanken des § 269
  47. StPO auf das Verhältnis von Jugendgerichten und gleichrangigen Gerichten
  48. der Erwachsenengerichtsbarkeit. Das Gesetz geht davon aus, daß Jugendgerichte ebenso wie Erwachsenengerichte in der Lage sind, Strafsachen gegen
  49. Erwachsene zu verhandeln. Die fortbestehende Zuständigkeit des Jugendgerichts liegt im Interesse der zügigen Erledigung anhängiger Verfahren (vgl. Begründung zum StVÄG 1979 BT-Drucks. 8/976 S. 69).
  50. bb) Die Abgabe an ein Erwachsenengericht höherer Ordnung - außerhalb der Hauptverhandlung durch Vorlage der Akten über die Staatsanwaltschaft an das Gericht höherer Ordnung zur Entscheidung über die Übernahme
  51. bzw. innerhalb der Hauptverhandlung durch Beschluß nach § 270 Abs. 2
  52. StPO - hindert § 47 a JGG hingegen nicht. Im Verhältnis vom Jugendrichter
  53. zum Erwachsenenschöffengericht ist aber folgendes zu beachten:
  54. Der Jugendrichter hat bei Anwendung des allgemeinen Strafrechts die
  55. gleiche Rechtsfolgenkompetenz wie der Strafrichter (vgl. Eisenberg aaO § 108
  56. Rdn. 9). Der Strafrichter hat zwar bei Eröffnung des Hauptverfahrens die
  57. Rechtsfolgenerwartung des § 25 Nr. 2 GVG zu prüfen, kann aber nach Eröffnung des Hauptverfahrens jede in die Strafgewalt des Amtsgerichts fallende
  58. Strafe verhängen (BGHSt 16, 248; 42, 205, 213). Nach h.M. und Rechtsprechung kommt deshalb eine Verweisung vom Strafrichter an das Schöffengericht
  59. nicht in Betracht, wenn der Strafrichter eine höhere Strafe als von zwei Jahren
  60. Freiheitsstrafe (aber von nicht mehr als vier Jahren Freiheitsstrafe) verhängen
  61. will (Meyer-Goßner, StPO 46. Aufl. § 225 a Rdn. 5, § 270 Rdn. 5; Tolksdorf in
  62. KK 5. Aufl. § 225 a Rdn. 5; Siolek in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 25
  63. GVG Rdn. 12 m.w.N.; OLG Düsseldorf NStZ-RR 2001, 222). Dies muß im In-
  64. -5-
  65. teresse einer zügigen Erledigung der Verfahren auch im Verhältnis Jugendrichter zum (Erwachsenen)Schöffengericht gelten. § 47 a Satz 1 JGG, der - wie
  66. ausgeführt - dem Rechtsgedanken des § 269 StPO Rechnung trägt und lediglich das Verhältnis vom Jugendgericht zum Jugendgericht niedrigerer Ordnung
  67. oder zum Erwachsenengericht gleichrangiger oder niedrigerer Ordnung regelt,
  68. steht nicht entgegen. Die Verweisung durch den Jugendrichter an das Erwachsenenschöffengericht, weil er bei Anwendung allgemeinen Strafrechts eine
  69. Freiheitsstrafe bis zu vier Jahren verhängen will, entbehrt danach eines rechtfertigenden Grundes.
  70. Vors. Richterin am BGH
  71. Dr. Rissing-van Saan ist
  72. erkrankt und kann deshalb nicht unterschreiben.
  73. Detter
  74. Detter
  75. Otten
  76. Bode
  77. Rothfuß