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8.3 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. 1 StR 82/02
  4. URTEIL
  5. vom
  6. 30. Juli 2002
  7. in der Strafsache
  8. gegen
  9. wegen Vergewaltigung u.a.
  10. -2-
  11. Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 30. Juli 2002,
  12. an der teilgenommen haben:
  13. Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
  14. Dr. Schäfer
  15. und die Richter am Bundesgerichtshof
  16. Nack,
  17. Dr. Wahl,
  18. Schluckebier,
  19. Dr. Kolz,
  20. Staatsanwalt
  21. als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
  22. Rechtsanwalt
  23. als Verteidiger,
  24. Justizangestellte
  25. als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
  26. für Recht erkannt:
  27. -3-
  28. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 30. Oktober 2001 wird verworfen.
  29. Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten dadurch
  30. entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur
  31. Last.
  32. Von Rechts wegen
  33. Gründe:
  34. I. Das Landgericht hat den Angeklagten unter anderem wegen Förderung der Prostitution, Zuhälterei und Menschenhandel zu der Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Vom Vorwurf der Vergewaltigung hat es den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Die Staatsanwaltschaft wendet sich mit ihrer
  35. auf die Sachrüge und Verfahrensrügen gestützten Revision gegen den Freispruch und beanstandet die Strafzumessung; das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
  36. 1. Der Angeklagte betrieb ein Lokal, in welchem Prostituierte tätig waren. Gegenstand der Verurteilung ist die Beschäftigung der Prostituierten
  37. S.
  38. im Juli 2000 und der 17-jährigen Prostituierten
  39. K.
  40. im
  41. -4-
  42. August 2000; der Freispruch vom Vorwurf der Vergewaltigung betrifft
  43. K.
  44. .
  45. Im August 2000 verbrachten Bekannte des Angeklagten, die anderweitig
  46. verfolgten F.
  47. und R.
  48. ,
  49. K.
  50. in das Lokal des Angeklagten.
  51. Bereits am ersten Tag führte K.
  52. mit einem Freier im Kellerzimmer des
  53. beim Angeklagten beschäftigten E.
  54. den Geschlechtsverkehr durch. In der-
  55. selben Nacht kam es auch zum Geschlechtsverkehr mit E.
  56. . Der Vorwurf der
  57. Vergewaltigung geht dahin, daß der Angeklagte, nachdem der Freier gegangen
  58. war, in das Kellerzimmer gekommen und K.
  59. gewaltsam zum Ge-
  60. schlechtsverkehr gezwungen haben soll.
  61. 2. Der Angeklagte hat den Vorwurf der Vergewaltigung bestritten. Er habe K.
  62. erst am zweiten Tag kennengelernt und sich mit ihr angefreundet.
  63. Am späten Nachmittag sei er mit K.
  64. in das Kellerzimmer gegangen und
  65. es sei zum einvernehmlichen Geschlechtsverkehr gekommen.
  66. Nachdem E.
  67. K.
  68. in der Hauptverhandlung nicht vernommen
  69. werden konnte, hat das Landgericht die Ermittlungsrichterin und den Polizeibeamten, die K.
  70. am 17. und 18. August 2000 vernommen hatten, sowie Be-
  71. kannte von K.
  72. gehört. Aufgrund der Angaben der Vernehmungspersonen
  73. und der weiteren Zeugen konnte sich das Landgericht keine zweifelsfreie
  74. Überzeugung zu dem Vorwurf der Vergewaltigung bilden. Es hat lediglich folgende Feststellungen zu treffen vermocht: Zu einem nicht näher bestimmbaren
  75. Zeitpunkt am späten Abend eines Tages Anfang August 2000 habe K.
  76. im
  77. Kellerzimmer nacheinander mit mindestens drei Männern den Geschlechtsverkehr ausgeführt. Ob dabei Gewalt angewendet wurde, habe nicht zuverlässig
  78. festgestellt werden können.
  79. -5-
  80. II. Freispruch vom Vorwurf der Vergewaltigung
  81. 1. Die Rüge, mit der die Staatsanwaltschaft geltend macht, das Landgericht hätte weitere Bemühungen entfalten müssen, die Zeugin K.
  82. zu errei-
  83. chen, versagt. Die in Deutschland unerreichbare Zeugin hatte im Ermittlungsverfahren angegeben, sie wohne bei ihrer Mutter in Polen und könne dort geladen werden. Telefonisch war sie dort indes nicht erreichbar. Die polnischen
  84. Behörden hatten zudem mitgeteilt, daß die Zeugin sich dort nicht aufhalte. Die
  85. unter dieser Adresse erfolgte Ladung kam mit dem Vermerk zurück: „Genaue
  86. Adresse angeben“. Weshalb unter diesen Umständen eine erneute Ladung
  87. über die Mutter der Zeugin unter derselben Anschrift, aber mit deren Nachnamen, erfolgversprechender gewesen wäre, ist nicht ersichtlich. Die Beschwerdeführerin trägt auch nicht vor, daß sie eine solche Ladung angeregt hätte (vgl.
  88. BGH NStZ 2001, 604). Die Mitteilung der Staatsanwaltschaft Frankfurt/Oder,
  89. aus der die Beschwerdeführerin eine erfolgreiche Aufenthaltsermittlung herleitet, ging bei der Staatsanwaltschaft München I mehr als einen Monat nach der
  90. Urteilsverkündung ein.
  91. 2. Die Beweiswürdigung des Landgerichts ist rechtsfehlerfrei. Sie entspricht den Grundsätzen, die der Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung für Fallgestaltungen aufgestellt hat, bei denen Aussage gegen Aussage
  92. steht (vgl. nur BGH NStZ 2002, 161) und berücksichtigt insbesondere die Besonderheit des vorliegenden Falles, daß die Aussage der
  93. K.
  94. nur
  95. durch deren Verhörspersonen eingeführt wurde. Aufgrund der zur Verfügung
  96. stehenden Beweismittel genügt die Sachdarstellung auch den Anforderungen
  97. an ein freisprechendes Urteil (§ 267 Abs. 5 Satz 1 StPO). Der Erörterung bedarf lediglich folgendes:
  98. -6-
  99. Darauf, ob das Landgericht im Hinblick auf die Beeinträchtigung des
  100. Fragerechts – der Angeklagte wurde nach § 168c Abs. 3 und Abs. 5 StPO von
  101. der ermittlungsrichterlichen Zeugenvernehmung ausgeschlossen und davon
  102. auch nicht benachrichtigt – zu Unrecht die Grundsätze von BGHSt 46, 93 (siehe auch EGMR EuGRZ 2002, 37) angewendet hat, kommt es im vorliegenden
  103. Fall nicht an. Die dort aufgestellten erhöhten Beweisanforderungen kommen
  104. erst dann zur Anwendung, wenn der Tatrichter die Schuldfeststellung auf die
  105. Angaben des Ermittlungsrichters stützt (vgl. BGHSt 46, 93 – Leitsatz). Reichen
  106. dem Tatrichter hingegen die Bekundungen des Belastungszeugen vor dem
  107. Ermittlungsrichter – in der Gesamtschau mit dem übrigen Ergebnis der Beweisaufnahme – zur Überzeugung nicht aus, hat er also trotz dieser Beweismittel vernünftige Zweifel an der Schuld, dann gelten die allgemeinen Grundsätze für die tatrichterliche Glaubhaftigkeitsbeurteilung.
  108. So liegt der Fall hier. Zwar hat das Landgericht auf die nach BGHSt 46,
  109. 93 erhöhten Anforderungen an die Beweiswürdigung „ergänzend“ hingewiesen
  110. (UA S. 34); es hat sich indes ersichtlich schon aufgrund der vorhandenen Beweismittel nicht von der Schuld des Angeklagten überzeugen können (UA
  111. S. 31). Insbesondere vermochte das Landgericht eine Schuldfeststellung nicht
  112. auf die Angaben K.
  113. s vor der Ermittlungsrichterin stützen.
  114. Dafür sei ausschlaggebend, daß
  115. K.
  116. im Ermittlungsverfah-
  117. ren widersprüchliche Angaben gemacht habe. So habe sie etwa bei ihrer ersten Vernehmung bekundet, der Täter habe sie ganz ausgezogen, bei der Vernehmung am Folgetag habe sie angegeben, der Täter habe lediglich ihre Hose
  118. bis zu den Knien heruntergezogen. Zudem seien ihre Aussagen in wesentlichen Punkten nicht bestätigt worden. Während der Vergewaltiger ein „Mischmasch aus türkisch und deutsch“ gesprochen habe, spreche der Angeklagte
  119. -7-
  120. fließend deutsch. Diese Ausdrucksweise entspreche – wie das Landgericht
  121. festgestellt hat – der des E.
  122. , den die Zeugin einerseits einmal belastet, ihm
  123. andererseits aber auch Geschenke gemacht habe. Ihrer Angabe, den Täter
  124. zuvor nie gesehen zu haben, stünden die Aussagen der Zeugen F.
  125. R.
  126. und
  127. entgegen, wonach sie den Angeklagten gleich zu Beginn ihrer Tätigkeit
  128. kennengelernt habe. Außerdem habe sie den Angeklagten bei der Lichtbildvorlage – einer Einzellichtbildvorlage – nicht sicher identifizieren können. Als
  129. sie F.
  130. und R.
  131. gegenüber davon gesprochen habe, von drei Männern
  132. vergewaltigt worden zu sein, hätten diese den Eindruck gehabt, diese Äußerung habe ihren Grund in dem Ärger über die nicht erfolgte Bezahlung gehabt.
  133. Daß sich das Landgericht bei dieser Beweislage von der Zuverlässigkeit
  134. der Angaben K.
  135. s nicht überzeugen konnte, ist nachvollziehbar und vom
  136. Revisionsgericht hinzunehmen.
  137. III. Soweit die Revision die Strafzumessung angreift, ist sie offensichtlich
  138. unbegründet. Erwähnt sei nur, daß die Wendung „Bei der Strafzumessung war
  139. ferner auch zu berücksichtigen, daß E.
  140. zu einer Freiheitsstrafe von
  141. 2 Jahren mit Bewährung verurteilt worden war“, anders als die Beschwerdeführerin
  142. an-
  143. -8-
  144. nimmt, gerade nicht besagt, daß sich das Landgericht ausschließlich an der
  145. Strafe des E.
  146. orientiert hat. Im übrigen darf der Gesichtspunkt, daß gegen
  147. Mittäter verhängte Strafen auch in einem gerechten Verhältnis zueinander stehen sollen, bei der Strafzumessung durchaus Berücksichtigung finden (BGH
  148. wistra 2001, 57).
  149. Schäfer
  150. Nack
  151. Schluckebier
  152. Wahl
  153. Kolz