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9.2 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. 1 StR 79/18
  5. vom
  6. 26. Juni 2018
  7. in der Strafsache
  8. gegen
  9. wegen Diebstahls
  10. ECLI:DE:BGH:2018:260618U1STR79.18.0
  11. -2-
  12. Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 26. Juni
  13. 2018, an der teilgenommen haben:
  14. Richter am Bundesgerichtshof
  15. Prof. Dr. Graf
  16. als Vorsitzender,
  17. die Richter am Bundesgerichtshof
  18. Prof. Dr. Jäger,
  19. Prof. Dr. Radtke,
  20. die Richterin am Bundesgerichtshof
  21. Dr. Fischer
  22. und der Richter am Bundesgerichtshof
  23. Dr. Bär,
  24. Staatsanwältin
  25. – in der Verhandlung –,
  26. Staatsanwältin
  27. – bei der Verkündung –
  28. als Vertreterinnen der Bundesanwaltschaft,
  29. Rechtsanwalt
  30. als Verteidiger,
  31. Justizobersekretärin
  32. als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
  33. für Recht erkannt:
  34. -3-
  35. 1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil
  36. des Landgerichts Tübingen vom 20. Oktober 2017, soweit es den Angeklagten A.
  37. betrifft, im Straf-
  38. ausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
  39. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des
  40. Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
  41. Von Rechts wegen
  42. Gründe:
  43. 1
  44. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Diebstahls zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je fünf Euro verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten und auf den Strafausspruch beschränkten Revision, mit der sie eine
  45. deutlich höhere Strafe erstrebt. Sie beanstandet im Wesentlichen, dass die
  46. Strafkammer die Voraussetzungen eines besonders schweren Falls des Diebstahls nach § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 StGB verneint und sodann auch einen
  47. unbenannten besonders schweren Fall nach § 243 Abs. 1 Satz 1 StGB abgelehnt hat.
  48. 2
  49. Ihr Rechtsmittel hat Erfolg.
  50. -4-
  51. I.
  52. 3
  53. Nach den Urteilsfeststellungen beschlossen der Angeklagte und der Mitangeklagte Al.
  54. , im Elektronikfachmarkt von der Aktionsware ein Tablet der
  55. Marke Samsung Galaxy Tab 6 zu entwenden. Um die ca. 18 × 30 cm große
  56. Verpackung waren Elektrodrähte angebracht (sog. Sicherungsspinne). Bei
  57. Durchtrennen der Drähte oder Passieren des Kassenbereichs löst die Sicherungsvorrichtung ein Alarmsignal aus.
  58. 4
  59. Der Angeklagte entfernte mit einer von ihm gewohnheitsmäßig als Drogenutensil verwendeten 3,2 cm langen und in einem Bereich von 2 cm scharfgeschliffenen Skalpellklinge die Sicherungsspinne an der Verpackung des Tablets. Anschließend entnahm der Mitangeklagte Al.
  60. das Tablet aus der
  61. Verpackung und steckte es unter sein T-Shirt in den Hosenbund. Die leere
  62. Verpackung legte er in einem Gang des Marktes ab.
  63. 5
  64. Der Angeklagte wollte nun auch ein Tablet für sich haben. Deshalb begaben sich beide erneut zu der Aktionsware. Der Mitangeklagte Al.
  65. nahm
  66. ein weiteres Tablet desselben Modells, bei dem sich allerdings die Sicherungsspinne ohne Werkzeugeinsatz entfernen ließ. Zusammen mit dem verpackten
  67. Tablet gingen die Angeklagten in die DVD-Abteilung. Absprachegemäß deckte
  68. der Angeklagte den Mitangeklagten Al.
  69. ab, während dieser versuchte, die
  70. Verpackung zu öffnen. Da er das Siegel nicht entfernen konnte, nahm er sein
  71. Taschenmesser, von dem der Angeklagte keine Kenntnis hatte, aus der Hosentasche, schnitt das Siegel auf, riss die Verpackung auf und steckte das Tablet
  72. ebenfalls unter sein T-Shirt in den Hosenbund. Die leere Verpackung legte er
  73. zu den DVDs. Anschließend gingen beide in Richtung Ausgang und verließen
  74. ohne zu bezahlen den Markt.
  75. -5-
  76. 6
  77. Die Strafkammer hat das Regelbeispiel des § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2
  78. StGB nicht für gegeben erachtet, weil die Sicherungsspinne in ihrer Funktionsweise den an Kleidungsstücken verwendeten Sicherungsetiketten gleiche, also
  79. nicht den Gewahrsam des Berechtigten gegen den Bruch durch einen Unbefugten sichern solle, sondern der Wiedererlangung des Gewahrsams diene, der
  80. bereits an den Täter verloren gegangenen war.
  81. 7
  82. Einen unbenannten besonders schweren Fall i.S.d. § 243 Abs. 1 Satz 1
  83. StGB hat die Strafkammer nach einer umfassenden Gesamtabwägung der zu
  84. Gunsten und zulasten des Angeklagten sprechenden Umstände abgelehnt.
  85. II.
  86. 8
  87. Die Beschränkung der Revision auf den Strafausspruch ist wirksam. Eine isolierte Überprüfung der Strafzumessung ist möglich, ohne dass der
  88. Schuldspruch hiervon berührt wird.
  89. III.
  90. 9
  91. Die Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.
  92. 10
  93. Der Strafausspruch hält revisionsgerichtlicher Überprüfung nicht stand,
  94. weil die getroffenen Feststellungen dem Revisionsgericht keine Prüfung ermöglichen, ob die Strafkammer das Regelbeispiel des § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2
  95. StGB ohne Rechtsfehler verneint hat. Nach dieser Vorschrift liegt ein besonders schwerer Fall des Diebstahls in der Regel dann vor, wenn der Täter eine
  96. Sache stiehlt, die durch ein verschlossenes Behältnis oder eine andere Schutzvorrichtung gegen Wegnahme besonders gesichert ist. Die Schutzvorrichtung
  97. muss tatsächlich funktionsfähig und aktiviert sein. Deshalb ist ein offenes
  98. -6-
  99. Schloss oder ein geöffneter Tresor keine Schutzvorrichtung gegen Wegnahme
  100. (z.B. BGH, Beschluss vom 20. April 2005 – 1 StR 123/05; Fischer, StGB,
  101. 65. Aufl., § 243 Rn. 16a; LK-StGB/Vogel, 12. Aufl., § 243 Rn. 29).
  102. 11
  103. Schutzvorrichtungen i.S.d. § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 StGB sind – wie
  104. das als Beispiel erwähnte Behältnis – solche, die nach ihrer Beschaffenheit dazu geeignet und bestimmt sind, die Wegnahme einer Sache erheblich zu erschweren. Nicht ausreichend ist es, wenn die Schutzvorrichtung erst wirksam
  105. wird, wenn der Gewahrsam bereits gebrochen ist. Deshalb sind Sicherheitsetiketten an Waren in Kaufhäusern, die akustischen oder optischen Alarm erst
  106. auslösen, wenn der Täter das Kaufhaus verlässt, keine Schutzvorrichtungen.
  107. Sie sind nicht dazu geeignet und bestimmt, den Gewahrsamsbruch, der bei
  108. handlichen und leicht beweglichen Sachen in der Regel mit dem Verbergen des
  109. Diebesguts in der Kleidung des Täters oder in einem von diesem mitgeführten
  110. Behältnis innerhalb des Kaufhauses vollendet ist (vgl. hierzu z.B. BGH, Beschluss vom 16. September 2014 – 3 StR 373/14, Vollendung des Diebstahls
  111. durch Einstecken des Notebooks in den mitgeführten Jute-Beutel; Urteil vom
  112. 6. November 1974 – 3 StR 200/74, BGHSt 26, 24, 25 f.; Fischer, aaO, Rn. 16
  113. und § 242 Rn. 18 mwN; Schönke/Schröder/Eser/Bosch, 29. Aufl., § 243
  114. Rn. 25), zu verhindern, sondern sie dienen der Wiederbeschaffung des bereits
  115. an den Täter verlorenen Gewahrsams (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 5. Dezember 1997, 2 Ss 347/97 – 98/97 II, NJW 1998, 1002; OLG Stuttgart, Beschluss vom 29. Oktober 1984 – 1 Ss 672/84, NStZ 1985, 76; OLG Frankfurt,
  116. Beschluss vom 16. Januar 1993 – 3 Ss 396/92, MDR 1993, 671, 672).
  117. 12
  118. Hat die Sicherungsspinne bei Durchtrennen mit dem Skalpell keinen
  119. Alarm ausgelöst, weil sie defekt oder nicht aktiviert war, handelt es sich nicht
  120. um eine Schutzvorrichtung i.S.d. § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 StGB. Ob dies der
  121. Fall war oder die Sicherungsspinne ohnehin erst beim Verlassen des Elektro-
  122. -7-
  123. nikfachmarkts Alarm ausgelöst hätte, lässt sich den Feststellungen nicht entnehmen. Hätte sie erst beim Verlassen des Markts Alarm ausgelöst, ist sie in
  124. der Funktionsweise den Sicherungsetiketten vergleichbar. Hat sie aber bereits
  125. beim Durchtrennen der Drähte Alarm ausgelöst, ist zu prüfen, ob diese Funktion bereits den Bruch des Gewahrsams erschwert. So sind Einbruchsmelder an
  126. Gebäuden oder Autoalarmanlagen Schutzvorrichtungen, da sie dazu dienen,
  127. den Gewahrsamswechsel durch Alarmierung hilfsbereiter Dritter zu erschweren
  128. (Vogel, aaO, § 243 Rn. 30). Allerdings kann bei kleineren Gegenständen im
  129. Kaufhaus der Gewahrsamsbruch bei Ertönen des Alarmsignals bereits vollzogen sein oder noch vollzogen werden; denn es macht das Personal nur auf eine stattgefundene Manipulation oder einen erfolgten Gewahrsamsbruch aufmerksam. Das Personal kann, wenn es ihm gelingt, den Täter rechtzeitig zu
  130. erkennen und zugriffsbereite Personen vorhanden sind, Maßnahmen zu dessen Ergreifung und Wiedererlangung des Gegenstands einleiten.
  131. 13
  132. Der Senat hebt auch die Feststellungen zum Strafausspruch insgesamt
  133. auf, um dem neuen Tatrichter widerspruchsfreie Feststellungen zu ermöglichen.
  134. IV.
  135. 14
  136. Der neue Tatrichter wird, soweit erneut die Verhängung einer Geldstrafe
  137. in Betracht kommen sollte, zu bedenken haben, dass zunächst unter Berücksichtigung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters das
  138. Nettoeinkommen zu bestimmen ist, das der Täter an einem Tag hat oder haben
  139. könnte (§ 40 Abs. 2 Satz 1 und 2 StGB). Zum Einkommen gehört auch die vom
  140. Jobcenter bezahlte Miete als Teil der allgemeinen Lebenshaltungskosten (vgl.
  141. -8-
  142. MüKo-StGB/Radtke, 3. Aufl., § 40 Rn. 100). Von den anzurechnenden Einkünften sind jedenfalls damit zusammenhängende Ausgaben (wie z.B. Werbungskosten und Betriebsausgaben, Sozialversicherungsbeiträge) abzuziehen; außergewöhnliche Belastungen sind in der Regel ebenfalls zu berücksichtigen
  143. (Radtke, aaO, § 40 Rn. 65 ff.), nicht aber Stromkosten als allgemeine Lebenshaltungskosten. Ratenzahlungen für Rechtsanwaltskosten und Verurteilungen
  144. zu Geldstrafen sind Anlass dafür, Zahlungserleichterungen nach § 42 StGB zu
  145. prüfen.
  146. Richter am Bundesgerichtshof
  147. Prof. Dr. Graf ist in den Ruhestand
  148. getreten und daher gehindert zu
  149. unterschreiben.
  150. Jäger
  151. Jäger
  152. Fischer
  153. Radtke
  154. Bär