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285 lines
12 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. 1 StR 43/12
  5. vom
  6. 21. März 2012
  7. in der Strafsache
  8. gegen
  9. wegen gefährlicher Körperverletzung
  10. -2-
  11. Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 21. März
  12. 2012, an der teilgenommen haben:
  13. Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
  14. Nack
  15. und der Richter am Bundesgerichtshof
  16. Dr. Wahl,
  17. die Richterin am Bundesgerichtshof
  18. Elf,
  19. die Richter am Bundesgerichtshof
  20. Prof. Dr. Jäger,
  21. Prof. Dr. Sander,
  22. Richter am Landgericht
  23. als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
  24. Rechtsanwalt
  25. Rechtsreferendar
  26. als Verteidiger,
  27. Justizangestellte
  28. als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
  29. für Recht erkannt:
  30. und
  31. -3-
  32. Die Revision der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Weiden i.d.OPf. vom 6. Oktober 2011 wird verworfen.
  33. Die Angeklagte hat die Kosten ihres Rechtsmittels zu tragen.
  34. Von Rechts wegen
  35. Gründe:
  36. 1
  37. Das Landgericht hat die Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt.
  38. Hiergegen wendet sie sich mit ihrer Revision. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg. Die auf die allgemeine Sachrüge vorgenommene Überprüfung des Urteils
  39. hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben. Näherer Erörterung bedarf allein die im Ergebnis nicht durchdringende Verfahrensrüge, das
  40. Landgericht habe die §§ 261, 252, 52 StPO verletzt.
  41. 2
  42. 1. Nach den landgerichtlichen Feststellungen begann die nicht berufstätige Angeklagte am 14. Februar 2011 in der gemeinsamen Wohnung einen
  43. Streit mit ihrem Ehemann M.
  44. H.
  45. , einem Sergeant der US-Army, weil
  46. dieser entgegen seiner Zusicherung nach der Rückkehr von seinem Dienst die
  47. Wohnung nicht gereinigt hatte. Im Verlauf der Auseinandersetzung schrie die
  48. „erheblich gereizte“ Angeklagte ihren Mann an und versetzte ihm eine Ohrfeige
  49. („Watsche“). Dieser versuchte erfolglos, sie durch Rütteln an ihren Schultern zu
  50. -4-
  51. beruhigen. Stattdessen begab sich die Angeklagte in die Küche und ergriff aus
  52. dem dortigen Messerblock ein spitz zulaufendes, einseitig geschliffenes Küchenmesser mit einer Gesamtlänge von 18,5 Zentimetern und einer Klingenlänge von acht Zentimetern.
  53. 3
  54. Nach einem kurzen Gerangel, in dessen Verlauf M.
  55. H.
  56. ver-
  57. geblich versucht hatte, seiner Frau das Messer wegzunehmen, standen sich
  58. beide „von Angesicht zu Angesicht gegenüber“. In dieser Situation versetzte die
  59. Angeklagte ihrem Ehemann - ohne Tötungsvorsatz - einen wuchtigen Stich mit
  60. dem Küchenmesser in den linken Halsbereich. Der drei Zentimeter breite Einstich führte zu einem acht Zentimeter tiefen Stichkanal, womit die Angeklagte
  61. gerechnet hatte. Wäre die nur wenige Millimeter daneben verlaufende große
  62. Halsvene getroffen worden, wäre M.
  63. H.
  64. infolge des dann hohen
  65. Blutverlustes mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit noch vor dem
  66. Eintreffen des Notarztes verstorben. So musste die Wunde zwar in einer Notfalloperation behandelt werden; der Geschädigte konnte aber noch gemeinsam
  67. mit der Angeklagten die in der Küche befindlichen Blutspuren wegwischen. Er
  68. hat vor, die Ehe fortzusetzen.
  69. 4
  70. 2. Der Verfahrensrüge, das Landgericht habe gegen die §§ 261, 252, 52
  71. StPO verstoßen, liegt folgendes Prozessgeschehen zugrunde:
  72. 5
  73. Der geschädigte Ehemann der Angeklagten hat in der Hauptverhandlung
  74. als Zeuge lediglich bekundet, er habe „seiner Ehefrau absolut verziehen“, und
  75. sich im Übrigen auf sein Zeugnisverweigerungsrecht berufen (§ 52 Abs. 1 Nr. 2
  76. StPO). Das Landgericht hat daher den Ermittlungsrichter zeugenschaftlich dazu
  77. gehört, was M.
  78. H.
  79. ihm gegenüber im Rahmen der am Tag nach der
  80. Tat durchgeführten Vernehmung - als mit der Angeklagten verheirateter Zeuge
  81. -5-
  82. ordnungsgemäß belehrt - angegeben hat. Dieser hat zwar ausgesagt, keine
  83. genaueren Erinnerungen an den ihm berichteten Geschehensablauf mehr zu
  84. haben. Neben den äußeren Umständen der Vernehmung konnte er aber noch
  85. das Kerngeschehen schildern, nämlich dass es sich um eine eheliche Auseinandersetzung gehandelt habe, in deren Verlauf die Angeklagte ein Messer
  86. geholt und ihr Ehemann ihr dies wegzunehmen versucht habe. Nach der Darstellung M.
  87. H.
  88. ´ „seien beide gestanden, als es zu dem Stich ge-
  89. kommen sei“ (UA S. 24, 26). Im Übrigen habe er nur das protokolliert, was der
  90. Zeuge ausgesagt hat. Das Protokoll der ermittlungsrichterlichen Vernehmung
  91. M.
  92. H.
  93. ´ war dem Ermittlungsrichter in der Hauptverhandlung vorge-
  94. halten, aber nicht verlesen worden. Dennoch hat das Landgericht die Ansicht
  95. vertreten, dass in einer Konstellation wie der vorliegenden - Ermittlungsrichter
  96. erinnert sich an das Kerngeschehen und gibt an, dass das Protokollierte auch
  97. so ausgesagt wurde - eine ergänzende Verwertung der protokollierten Aussage
  98. (zumindest teilweise [UA S. 4]) zulässig sei (UA S. 27). Es hat sich insbesondere aufgrund „der über den Ermittlungsrichter eingeführten Aussage des Zeugen
  99. H.
  100. 6
  101. “ von der festgestellten Tat der Angeklagten überzeugt (UA S. 33).
  102. 3. a) Die Revision hält dies vor allem deswegen für rechtsfehlerhaft, weil
  103. der Inhalt des ermittlungsrichterlichen Protokolls nur vorgehalten, jedoch „zu
  104. keinem Zeitpunkt formell in Gänze in das Verfahren eingeführt wurde“. Es reiche im Übrigen nicht aus, wenn der Richter bekunde, dass die damalige Aussage richtig aufgenommen worden sei.
  105. 7
  106. b) Auch der Generalbundesanwalt sieht die Verfahrensrüge als begründet an. Denn das Geschehen direkt nach der Tat, während dessen M.
  107. H.
  108. seine Frau zu Boden ringen konnte, so dass diese sich in gebückter
  109. Haltung vor ihm befand und sich Blut auf ihren Kopf- und Brustbereich ergoss,
  110. -6-
  111. habe das Landgericht bei der bestehenden Beweislage nur aufgrund der protokollierten Angaben des Geschädigten beim Ermittlungsrichter feststellen können.
  112. 8
  113. 4. Die Verfahrensrüge ist zwar zulässig erhoben (§ 344 Abs. 2 Satz 2
  114. StPO; vgl. BGH, Beschluss vom 4. April 2001 - 5 StR 604/00, StV 2001, 386),
  115. aber im Ergebnis unbegründet. Denn das Urteil beruht auf dem geltend gemachten Verfahrensfehler jedenfalls nicht (§ 337 Abs. 1 StPO).
  116. 9
  117. a) Allerdings trifft es zu, dass frühere Vernehmungen eines die Aussage
  118. gemäß § 52 StPO verweigernden Zeugen grundsätzlich nicht verwertet werden
  119. dürfen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs darf dann nur
  120. das herangezogen werden, was ein vernehmender Richter über die vor ihm
  121. gemachten Angaben des über sein Zeugnisverweigerungsrecht ordnungsgemäß belehrten Zeugen aus seiner Erinnerung bekundet. Hierzu darf ihm sein
  122. Vernehmungsprotokoll - notfalls durch Verlesen - vorgehalten werden. Dies darf
  123. allerdings nicht dazu führen, den Inhalt der Niederschrift selbst für die Beweiswürdigung heranzuziehen. Verwertbar ist vielmehr nur das, was auf den Vorhalt
  124. hin in die Erinnerung des Richters zurückkehrt, und es genügt nicht, wenn er
  125. lediglich erklärt, er habe die Aussage richtig aufgenommen (BGH, Urteil vom
  126. 2. April 1958 - 2 StR 96/58, BGHSt 11, 338, 341; BGH, Urteil vom 7. Oktober
  127. 1966 - 1 StR 305/66, BGHSt 21, 149, 150; BGH, Urteil vom 30. März 1994
  128. - 2 StR 643/93, StV 1994, 413; BGH, Beschluss vom 4. April 2001 - 5 StR
  129. 604/00, StV 2001, 386).
  130. 10
  131. b) Nach diesen Grundsätzen hat das Landgericht bei seiner Beweiswürdigung ohne Rechtsfehler berücksichtigt, woran sich der Ermittlungsrichter bei
  132. seiner eigenen Zeugenvernehmung erinnern konnte. Hierzu gehörten insbe-
  133. -7-
  134. sondere wesentliche Teile des Kerngeschehens, nämlich dass die Angeklagte
  135. im Rahmen einer ehelichen Auseinandersetzung ein Messer geholt habe und
  136. sie sowie ihr Ehemann sich gegenüber gestanden hätten, als es zu dem
  137. Messerstich kam.
  138. 11
  139. c) Soweit das Landgericht für die vorliegende Fallgestaltung eine diese
  140. Erinnerung ergänzende Verwertung der protokollierten Aussage als (zumindest
  141. teilweise) zulässig angesehen hat, steht diese Auffassung mit der dargestellten
  142. Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zwar nicht im Einklang. Der Senat
  143. kann aber ausschließen, dass sich dies auf das gefällte Urteil ausgewirkt hat.
  144. Denn das Landgericht hat allenfalls die Darstellung M.
  145. H.
  146. ´, nach
  147. dem Stich habe er seine Frau zu Boden gerungen und diese habe sich dann in
  148. gebückter Haltung vor ihm befunden (UA S. 12; oben 3. b), und somit einen für
  149. die Gesamtwürdigung der Beweise wenig bedeutsamen Umstand dem ermittlungsrichterlichen Vernehmungsprotokoll entnommen.
  150. 12
  151. Dem Urteil liegt eine insgesamt sorgfältige und umfassende Beweiswürdigung zugrunde. Das Landgericht hat alle wesentlichen Gesichtspunkte gegeneinander abgewogen. Dabei ist es zutreffend von der Einlassung der Angeklagten ausgegangen. Diese hat in ihren Vernehmungen bei der Polizei, beim
  152. Ermittlungsrichter und in der Hauptverhandlung sowie gegenüber der Sachverständigen stets eingeräumt, ihren Ehemann mit einem Messerstich verletzt zu
  153. haben. Auch das von der Strafkammer festgestellte „Geschehen vor der Tat“
  154. hat sie dabei in den wesentlichen Punkten konstant geschildert (UA S. 15 ff.).
  155. 13
  156. Die Angeklagte hat allerdings jeweils angegeben, ihr Mann habe sich
  157. hinter ihr befunden, als sie den Stich ausgeführt habe. In der Hauptverhandlung
  158. hat sie insofern - anders als zuvor - nicht mehr behauptet, sie habe zu diesem
  159. -8-
  160. Zeitpunkt am Boden gekniet. Im Kern hat sie sich damit aber stets auf eine
  161. rechtfertigende oder zumindest die Schuld mindernde Lage berufen. Das
  162. Landgericht hat dies erkannt und seine Prüfung daher auf die Frage konzentriert, in welcher Situation sich die beiden an der Auseinandersetzung Beteiligten unmittelbar vor dem Messerstich befanden. Es hat letztlich der - rechtsfehlerfrei in die Hauptverhandlung eingeführten (oben b) - Darstellung M.
  163. H.
  164. ´ geglaubt, er und seine Frau hätten sich gegenüber gestanden. Dabei
  165. hat das Landgericht plausibel darauf abgestellt, dass der Geschädigte der Angeklagten verziehen hat und an deren Strafverfolgung vom Beginn der Ermittlungen an keinerlei Interesse hatte (UA S. 23, 33). Vor allem hat es die mehrfach erfolgte Schilderung der Angeklagten, sie habe bei der Tatbegehung gekniet, überzeugend als widerlegt angesehen. Denn wie die Beweisaufnahme
  166. durch entsprechenden Sachverständigenbeweis erbracht hat, konnte weder die
  167. vom Geschädigten erlittene Verletzung, d.h. der konkrete Stichkanal, noch das
  168. entstandene Blutspurenbild durch einen in dieser Position nach hinten geführten Stich verursacht worden sein (UA S. 5, 28 ff.).
  169. 14
  170. Angesichts dieser klaren Beweislage besorgt der Senat nicht, dass sich
  171. das Nachtatgeschehen maßgeblich auf die landgerichtliche Überzeugungsbildung ausgewirkt hat. Es kommt deshalb nicht darauf an, dass das Landgericht
  172. in diesem Zusammenhang zudem festgestellt hat, M.
  173. H.
  174. habe we-
  175. nige Minuten nach der Tat gegenüber der zu Hilfe gekommenen Nachbarin C.
  176. M.
  177. u.a. geäußert, er habe die Angeklagte nach dem Messerstich „zu
  178. Boden gedrückt“ (UA S. 13).
  179. 15
  180. Ergänzend bemerkt der Senat: Ein zeugnisverweigerungsberechtigter
  181. Zeuge wird regelmäßig deshalb durch den Ermittlungsrichter vernommen, weil
  182. bei einer späteren - aus welchen Gründen auch immer erfolgten - Zeugnisver-
  183. -9-
  184. weigerung nur die Aussage des Ermittlungsrichters über die Angaben des Zeugen verwertbar ist. In derartigen Fällen, erfahrungsgemäß oft Gewalt- und/oder
  185. Sexualdelikte zum Nachteil von Frauen oder Kindern, hat der Ermittlungsrichter
  186. daher die Pflicht, sich schon während der von ihm durchgeführten Vernehmung
  187. intensiv darum zu bemühen, sich den Aussageinhalt einzuprägen. Ausfluss
  188. dieser Pflicht des Ermittlungsrichters ist es auch, dann, wenn seine Vernehmung als Zeuge ansteht, die Vernehmungsniederschriften einzusehen, um sich
  189. erforderlichenfalls die Einzelheiten ins Gedächtnis zurückzurufen (vgl. hierzu
  190. zusammenfassend Meyer-Goßner, StPO, 54. Aufl., § 69 Rn. 8 mwN).
  191. Nack
  192. Wahl
  193. Jäger
  194. Elf
  195. Sander