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9.7 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. 1 StR 33/02
  3. BESCHLUSS
  4. vom
  5. 6. Juni 2002
  6. in der Strafsache
  7. gegen
  8. wegen gewerbs- und bandenmäßigen Einschleusens von Ausländern
  9. -2-
  10. Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 6. Juni 2002 gemäß § 349
  11. Abs. 4 StPO beschlossen:
  12. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 24. September 2002 mit den zugehörigen
  13. Feststellungen aufgehoben.
  14. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
  15. über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer
  16. des Landgerichts zurückverwiesen.
  17. Gründe:
  18. I.
  19. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gewerbs- und bandenmäßigen Einschleusens von mehreren Ausländern in zehn Fällen zu
  20. der Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Die Revision des
  21. Angeklagten hat mit einer Verfahrensrüge (§ 261 StPO) Erfolg.
  22. Nach den Feststellungen des Landgerichts vermittelte der Angeklagte im Rahmen einer vielköpfigen Schleuserorganisation zusammen
  23. mit seiner Ehefrau gegen Bezahlung von seiner Bar in S.
  24. /Schweiz
  25. aus Ausländer, die nicht die für einen Aufenthalt in Deutschland erforderlichen Papiere hatten, an Fahrer, welche die Einreisewilligen von Italien
  26. nach Deutschland brachten.
  27. -3-
  28. Dazu gewann der Angeklagte
  29. und
  30. J.
  31. führte
  32. C.
  33. ,
  34. . In der Zeit vom 19. Mai 1999 bis zum 5. Juni 1999
  35. C.
  36. zwei Schleusungsfahrten durch mit fünfzehn bzw.
  37. sieben Ausländern. Am 2. Juli 1999 transportierten
  38. St.
  39. St.
  40. C.
  41. und
  42. dreiundzwanzig Jugoslawen über den Grenzüber-
  43. gang Kiefersfelden-Autobahn illegal nach Deutschland. Zwischen dem
  44. 30. September und dem 18. November 1999 schleuste
  45. J.
  46. sechs-
  47. mal jeweils mindestens vier Ausländer und am 28. November 1999 drei
  48. Jugoslawen und vier Iraner. Die geständigen Fahrer wurden wegen ihrer
  49. Taten - J.
  50. bislang nur wegen der Tat vom 28. November 1999 - be-
  51. reits rechtskräftig zu vergleichsweise geringen Freiheitsstrafen verurteilt.
  52. II.
  53. Das angefochtene Urteil hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
  54. a) Die Beweiswürdigung des Landgerichts ist lückenhaft, wie die
  55. zulässig erhobene Verfahrensrüge aufweist. Die Revision beanstandet mit
  56. Erfolg, daß das Landgericht ein wesentliches Ergebnis der Beweisaufnahme - hier eine als wahr unterstellte Behauptung - nicht in die Beweiswürdigung eingestellt und nicht erwogen hat.
  57. aa) Die Verurteilung des Angeklagten beruht ausschließlich auf
  58. den Angaben der drei oben genannten Fahrer, die den Angeklagten jeweils als Auftraggeber identifizierten. Den Urteilsgründen ist zwar nicht zu
  59. entnehmen, ob und ggf. wie sich der Angeklagte eingelassen hat. Der
  60. Gesamtzusammenhang ergibt jedoch, daß geständige Einlassungen je-
  61. -4-
  62. denfalls nicht vorlagen. Die Feststellungen zur Tatbeteiligung der Ehefrau
  63. des Angeklagten, die sich noch in Italien in Auslieferungshaft befindet,
  64. basieren vor allem auf Angaben des
  65. C.
  66. . In der Hauptver-
  67. handlung gegen den Angeklagten konnte nur der Zeuge
  68. als Zeuge vernommen werden.
  69. C.
  70. St.
  71. und
  72. J.
  73. erschienen nicht, obgleich beide die Ladung in der Schweiz erhalten hatten. Deren „polizeiliche und richterliche Aussagen“ (in den gegen diese
  74. gerichteten Verfahren) wurden verlesen.
  75. bb) Der Angeklagte beantragte während der Hauptverhandlung,
  76. Rechtsanwalt
  77. der Tatsache, daß
  78. Ce.
  79. Ce.
  80. aus Lugano zu vernehmen, zum Beweis
  81. C.
  82. am 12. März 2001 bei Rechtsanwalt
  83. erschienen ist und folgende - schriftliche und von C.
  84. un-
  85. terschriebene - Erklärung abgegeben hat:
  86. „Mit heutigem Datum werde ich von Fräulein G.
  87. Da.
  88. ,
  89. Tochter der G.
  90. Sl.
  91. , in Kenntnis gesetzt, dass letztere von
  92. den italienischen Behörden auf Anweisung der deutschen Behörden
  93. wegen Verletzung des deutschen Bundesgesetzes über die Einwanderung festgenommen worden ist. Für dieses Vorgehen haben die
  94. Behörden auch von Protokollen Gebrauch gemacht, die angeblich
  95. von mir diktiert und unterschrieben worden sind. Aus diesem Grund
  96. erkläre ich hiermit, dass meine Bekanntschaft mit Frau G.
  97. Sl.
  98. sich allein auf die Tatsache beschränkt, dass ich seit über 10
  99. Jahren Kunde des Cafés bin, das dem Ehemann der oben genannten Person gehört. Ich erkläre daher, dass die Protokolle, die meine
  100. persönlichen Daten angeben, nicht der Wirklichkeit entsprechen, da
  101. die Vergehen, für die mich die deutschen Behörden zu einer Freiheitsstrafe von 30 Monaten verurteilt haben, ohne Beihilfe der oben
  102. erwähnten G.
  103. SL.
  104. , bosnische Staatsbürgerin, 1956,
  105. wohnhaft in
  106. S.
  107. Schweiz begangen wurden, und ich bestätige, dass ich nie davon Kenntnis hatte, dass G.
  108. Sl.
  109. diese
  110. -5-
  111. Arten illegaler Aktivitäten ausgeübt hätte.“ (So der Wortlaut der
  112. Übersetzung des ebenfalls übergebenen Originals in italienischer
  113. Sprache.)
  114. Die Vernehmung des Zeugen hat die Strafkammer gemäß § 244
  115. Abs. 3 Satz 2 letzte Alt. StPO abgelehnt. „Das Beweisthema wird als wahr
  116. unterstellt.“
  117. In den Urteilsgründen findet sich zu der als wahr unterstellten Tatsache kein Wort. Die Erklärung wird nicht erwähnt.
  118. cc) Dies ist nicht frei von Rechtsfehlern.
  119. Der Beweiswürdigung sind alle in der Hauptverhandlung erhobenen Beweise zugrunde zu legen (§ 261 StPO). In den schriftlichen Urteilsgründen muß sich dies widerspiegeln unter Darlegung der wesentlichen Aspekte der Beweisführung, soweit dies zu deren Verständnis und
  120. zur Überprüfung des Urteils notwendig ist (§ 267 Abs. 1 Satz 2 StPO).
  121. Beweiserhebungen, die sich für die Beweisführung als bedeutungslos
  122. herausstellen, bedürfen keiner Erwähnung. Dies gilt auch für - zunächst
  123. als erheblich angesehene - entlastende Tatsachen, deren Vorhandensein
  124. nach einem entsprechenden Beweisantrag als wahr unterstellt wurde.
  125. Die Urteilsgründe müssen sich somit nicht stets mit einer als wahr
  126. unterstellten Behauptung auseinandersetzen. Eine Stellungnahme ist
  127. aber dann erforderlich, wenn nicht ohne weiteres zu ersehen ist, wie die
  128. Beweiswürdigung mit der Wahrunterstellung in Einklang gebracht werden
  129. kann, oder wenn aus sonstigen Gründen ohne ausdrückliche Erörterung
  130. -6-
  131. der als wahr unterstellten Tatsache die Überlegungen des Gerichts zur
  132. Beweisführung lückenhaft bleiben (BGHSt 28,310,311; BGHR StPO § 261
  133. Beweiswürdigung, unzureichende, 11; BGH NStZ-RR 2001,261).
  134. Hier war zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit des „Zeugen“
  135. C.
  136. eine Auseinandersetzung mit seiner bei Rechtsanwalt Ce.
  137. in Lugano am 12. März 2001 abgegebenen schriftlichen Erklärung im
  138. Rahmen der Beweiswürdigung unverzichtbar.
  139. Die Strafkammer stützte nicht nur den Schuldspruch im ersten Tatkomplex ausschließlich auf diesen Zeugen. Sie sah durch seine Angaben
  140. zudem die Glaubwürdigkeit des Zeugen St.
  141. bestätigt und meinte
  142. deshalb einem Alibibeweis für die -gewichtigste- Tat am 2. Juli 2001
  143. durch Vernehmung eines Auslandszeugen gemäß § 244 Abs. 5 Satz 2
  144. StPO nicht nachgehen zu müssen. Demgegenüber bezichtigte sich
  145. C.
  146. in seiner schriftlichen Erklärung nunmehr der Lüge, er habe
  147. die Ehefrau des Angeklagten mit seinen Angaben in Deutschland zu Unrecht belastet. Darüber hinaus distanzierte sich
  148. C.
  149. von sei-
  150. nen früheren Angaben insgesamt. Dies hätte eingehender Erörterung bedurft. In diese wäre einzubeziehen gewesen, daß
  151. C.
  152. es vor-
  153. gezogen hatte, in der Hauptverhandlung nicht zu erscheinen, deshalb auf
  154. die Verlesung seiner früheren Aussagen bei Polizei und Richter zurückgegriffen werden mußte und daß es sich dabei lediglich um Beschuldi gtenvernehmungen handelte.
  155. Die Lücke in der Beweiswürdigung wird nicht durch die Verweisung
  156. in den Urteilsgründen „auf den Beschluß der Kammer in der Hauptver-
  157. -7-
  158. handlung zu diesem Beweisantrag“ im Zusammenhang mit den Darlegungen zum Verzicht auf die Ladung des als Alibizeuge benannten Professor
  159. Dr. Jo.
  160. , Belgrad. Eine Verweisung auf andere Dokumente ist in den
  161. Urteilsgründen nur im Umfang des § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO, d.h. bei Abbildungen, statthaft. Hinweise auf Schriften sind in den Urteilsgründen für
  162. das Revisionsgericht grundsätzlich unbeachtlich (vgl. LR-Gollwitzer StPO
  163. 25. Aufl. § 267 Rdn. 9). Zwar teilt hier die Revisionsbegründung mit einer
  164. der Verfahrensrügen den Inhalt des Ablehnungsbeschlusses mit, so daß
  165. der Senat von dessen Inhalt Kenntnis hat. Doch genügen auch die darin
  166. enthaltenen knappen Ausführungen zur Glaubwürdigkeit des
  167. C.
  168. nicht. Der Satz, „Dessen Glaubwürdigkeit wird trotz der vorgelegten
  169. Erklärung von ihm bezüglich einer falschen Mittäterschaft von Frau G.
  170. vom Gericht bezüglich seiner Aussage gegen G.
  171. nicht bezweifelt“,
  172. mag ein mögliches Ergebnis der gebotenen Erörterung wiedergeben, ersetzt diese aber nicht.
  173. Der Senat vermag nicht auszuschließen, daß die Strafkammer bei
  174. Einbeziehung der Erklärung des
  175. C.
  176. in die Beweiswürdigung
  177. dessen Angaben auch hinsichtlich des Angeklagten anders beurteilt hätte. Damit ist auch eine andere Bewertung der Aussagen der Zeugen St.
  178. und J.
  179. nicht auszuschließen. Auf den Angaben dieser drei
  180. Personen beruht das Urteil. Die Sache muß deshalb insgesamt neu verhandelt und entschieden werden.
  181. b) Auf die weiteren Rügen kommt es deshalb nicht mehr an, insbesondere nicht auf die ebenfalls beanstandete Ablehnung der Vernehmung
  182. des Zeugen Professor Dr.
  183. Jo.
  184. , Belgrad, zum Beweis dafür,
  185. -8-
  186. daß sich der Angeklagte vom 15. Juni bis zum 8. Juli 1999 -also auch
  187. während der Haupttat am 2. Juli 1999- im „Serbischen Klinikzentrum“ in
  188. Belgrad befand gemäß § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO. Ob der dazu vorgelegte
  189. „Entlassungsschein“ echt ist bzw. ob der Angeklagte während der angegebenen Zeit tatsächlich in der Klink in Belgrad lag, wird die nunmehr mit
  190. der Sache befaßte Strafkammer sinnvollerweise schon vor der Hauptverhandlung im Freibeweis herauszufinden versuchen. Denn zur Klärung der
  191. Voraussetzungen des § 244 Abs. 5 Satz 2 StPO steht auch das Freibeweisverfahren zur Verfügung (BGHR StPO § 244 Abs. 5 Satz 2, Auslandszeuge, 5 und 6).
  192. Herr RiBGH Nack ist
  193. erkrankt.
  194. Schäfer
  195. Schäfer
  196. Schluckebier
  197. Boetticher
  198. Hebenstreit