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8.5 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. 1 StR 548/01
  3. BESCHLUSS
  4. vom
  5. 15. Januar 2002
  6. in der Strafsache
  7. gegen
  8. wegen versuchten Totschlags u.a.
  9. -2-
  10. Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 15. Januar 2002 beschlossen:
  11. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München II vom 13. September 2001 im Strafausspruch mit
  12. den Feststellungen aufgehoben.
  13. Die weitergehende Revision wird verworfen.
  14. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung
  15. und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an
  16. eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
  17. Gründe:
  18. Der Angeklagte wurde wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit
  19. gefährlicher Körperverletzung zum Nachteil von
  20. S.
  21. (Einzel-
  22. strafe sieben Jahre) sowie zwei (weiteren) Fällen der gefährlichen Körperverletzung zum Nachteil seiner Ehefrau (Einzelstrafe jeweils zwei Jahre), zu einer
  23. Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt.
  24. Seine auf die Sachrüge gestützte Revision bleibt zum Schuldspruch erfolglos (§ 349 Abs. 2 StPO), hat aber zum Strafausspruch Erfolg (§ 349 Abs. 4
  25. StPO).
  26. -3-
  27. 1. Folgendes ist festgestellt:
  28. Im Rahmen des von der Ehefrau des Angeklagten eingeleiteten Scheidungsverfahrens kam es unter den Eheleuten zu Streitigkeiten vor allem über
  29. das Sorgerecht für die 1990 und 1992 geborenen Söhne und die Tilgung von
  30. Schulden in Höhe von mehreren hunderttausend DM. Diese rührten wesentlich
  31. von einem Hausbau her sowie von einem Darlehen über 80.000 DM, das für
  32. ein "Ayurveda-Studio" der Ehefrau aufgenommen worden war. Ein nennenswertes Einkommen erzielte diese nicht.
  33. Nach der Trennung der Eheleute verblieben dem Angeklagten, der in einem Zimmer zur Miete wohnte, von seinem Nettoverdienst von etwa 4.400 DM
  34. noch etwa 460 DM. Als die Zwangsversteigerung des Hauses anstand, verweigerte die Ehefrau ihre für einen freihändigen Verkauf erforderliche Zustimmung, ohne daß ein Grund hierfür festgestellt wäre, obwohl bei einer Zwangsversteigerung ein wesentlich geringerer Erlös zu erwarten war als bei einem
  35. freihändigen Verkauf. In dem nunmehr von der Ehefrau und den Söhnen bewohnten Haus hielt sich zumindest zeitweite
  36. S.
  37. , der Freund
  38. der Ehefrau, auf, dem diese auch den vom Angeklagten für sie und die Kinder
  39. geleasten Pkw - für den der Angeklagte monatliche Leasingraten bezahlte - zur
  40. Nutzung überlassen hatte.
  41. Als der Angeklagte erfuhr, daß die Söhne gegenüber dem Familiengericht erklärt hatten, im Fall einer Scheidung bei der Mutter bleiben zu wollen,
  42. war er enttäuscht und verzweifelt, nachdem diese bis zuletzt immer wieder versichert hatten, bei einer Scheidung bei ihm leben zu wollen. Wie es zu diesem
  43. Sinneswandel gekommen war, ist nicht mitgeteilt. Der Angeklagte vermutete
  44. "gleichfalls eine Intrige seiner Frau und ihres Freundes".
  45. -4-
  46. Der Angeklagte geriet über die ganze Situation so in Wut, daß er noch
  47. in derselben Nacht zu seinem früheren Wohnhaus und zu seiner Ehefrau fuhr,
  48. "um sie notfalls auch mit Schlägen zu zwingen, dem Verkauf des Hauses zuzustimmen"; er nahm ein Küchenmesser mit, "um seiner Forderung Nachdruck
  49. verleihen zu können". Vor dem Haus steigerte sich seine Wut weiter, als er dort
  50. den von ihm geleasten und von S.
  51. benutzten Pkw stehen sah. Es ging
  52. ihm jetzt nicht mehr nur um den Hausverkauf, sondern er wollte "die Situation
  53. auf der Stelle unter Einsatz von Gewalt bereinigen" und dabei seine Ehefrau
  54. und S.
  55. "angreifen". Er betrat über die Garage die Waschküche, nach-
  56. dem er zuvor einen aufgefundenen Radmutterschlüssel als Schlagwerkzeug an
  57. sich genommen hatte. In der Waschküche trat ihm seine Ehefrau entgegen, der
  58. er mit den Worten: "Jetzt hast Du erreicht, was Du wolltest, Du Drecksau!" den
  59. Radmutterschlüssel zweimal auf den Kopf schlug. Einen Tötungsvorsatz
  60. konnte die Strafkammer nicht feststellen. Als die Ehefrau S.
  61. um Hilfe
  62. rief, wandte sich der Angeklagte von ihr ab und lief in das Wohnzimmer, wo er
  63. mit den Worten: "Ich bring Dich um, Du Drecksau!" mit dem mitgebrachten
  64. Messer mehrfach auf S.
  65. sich S.
  66. einstach. Es kam zu einem Kampf, bei dem
  67. zwar letztlich erfolgreich wehren, tiefe Schnitt- und weniger tiefe
  68. Stichverletzungen aber nicht verhindern konnte. Am Ende konnte S.
  69. trotz Verfolgung durch den Angeklagten fliehen.
  70. Der Angeklagte kehrte zum Haus zurück und wandte sich wieder, diesmal auch mit dem Messer, gegen die Ehefrau, der er, noch immer ohne Tötungsvorsatz, trotz ihrer Gegenwehr Verletzungen am Ellenbogen und am Unterarm zufügte. Das Eingreifen der durch den Lärm aufgewachten Kinder ermöglichte dann auch der Ehefrau die Flucht.
  71. -5-
  72. 2. Der Schuldspruch ist rechtsfehlerfrei. Der näheren Ausführung bedarf
  73. nur folgendes:
  74. Die Annahme, es liege nicht Tateinheit (natürliche Handlungseinheit),
  75. sondern Tatmehrheit hinsichtlich der drei Tatkomplexe vor, ist entgegen der
  76. Auffassung der Revision nicht zu beanstanden.
  77. Höchstpersönliche Rechtsgüter verschiedener Personen sind einer additiven Betrachtungsweise, wie sie der natürlichen Handlungseinheit zu Grunde
  78. liegt, nur ausnahmsweise zugänglich. Greift der Täter daher einzelne Menschen nacheinander an, so besteht selbst bei einheitlichem Tatentschluß und
  79. engem räumlichen und zeitlichen Zusammenhang regelmäßig kein Anlaß, di ese Vorgänge rechtlich als eine Tat zusammenzufassen (BGH StV 1999, 351,
  80. 352, StV 1994, 537, 538 jew. m.w.N.). Besonderheiten, die eine andere Beurteilung rechtfertigen könnten (vgl. BGH StV 1994 aaO), sind nicht ersichtlich.
  81. Insbesondere ergibt sich dies auch nicht daraus, daß der Angeklagte zweimal
  82. seine Ehefrau angriff, da der zwischenzeitliche Angriff gegen S.
  83. inso-
  84. weit eine Zäsur bildet.
  85. 3. Der Strafausspruch kann dagegen keinen Bestand haben.
  86. a) Hinsichtlich des Totschlagsversuchs ist ausgeführt, ein minder schwerer Fall (§ 213 StGB) liege nicht vor. Ein Anlaß, der den in § 213 StGB genannten Umständen auch nur annähernd vergleichbar sei, sei nicht ersichtlich.
  87. S.
  88. habe dem Angeklagten "keinerlei Anlaß" zur Tat gegeben, der
  89. Strafrahmen sei jedoch wegen Versuchs gemäß §§ 23, 49 StGB zu mildern.
  90. Dabei geht die Strafkammer von einem unzutreffenden Ansatz aus, da
  91. bei der Frage, ob ein sonstiger minder schwerer Fall im Sinne von § 213 StGB,
  92. zweite Alternative, vorliegt, nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs
  93. -6-
  94. nicht auf die Vergleichbarkeit mit den Fällen einer Provokation abzustellen ist.
  95. Entscheidend hierfür ist vielmehr, ob das gesamte Tatbild einschließlich aller
  96. subjektiven Momente und der Täterpersönlichkeit vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß gewöhnlich vorkommenden Fälle in einem Maße abweicht, daß
  97. die Anwendung des Ausnahmestrafrahmens geboten ist (BGH, Beschluß vom
  98. 21. Dezember 1992 - 5 StR 645/92 -; NStZ 1985, 310 m.w.N.). In diesem Zusammenhang können auch die Vorgeschichte der Tat und die gesamten Beziehungen zwischen den Beteiligten von Bedeutung sein (Eser in Schönke/
  99. Schröder StGB, 26. Aufl. § 213 Rdn. 13 m.w.N.). Bereits bei Vorliegen eines
  100. "vertypten Milderungsgrundes" (hier: Versuch) kann die Annahme eines minder
  101. schweren Falles in Betracht kommen (st. Rspr., vgl. die Nachw. bei Tröndle/
  102. Fischer StGB, 50. Aufl. § 50 Rdn. 2).
  103. b) Nach diesen Grundsätzen hätte die Strafkammer bei der Prüfung des
  104. minder schweren Falles die dazu aufgezeigten Besonderheiten der Vorgeschichte der Tat in die Erörterung einbeziehen müssen. Die Strafkammer sieht
  105. zwar die finanzielle und familiäre Lage des Angeklagten als wesentlich zu
  106. Gunsten des Angeklagten sprechenden Gesichtspunkt an, erörtert diesen Umstand aber nicht - wie geboten - bereits bei der Prüfung des Strafrahmens sondern erst bei der Strafzumessung innerhalb des bereits gefundenen Strafrahmens. Schließlich hat S.
  107. selbst, für das Opfer eines Tötungsversuchs
  108. ungewöhnlich, "ein gewisses Verständnis" für die Gesamtsituation des Angeklagten gezeigt.
  109. c) Allerdings gebietet der hohe Rang des durch § 212 StGB geschützten
  110. Rechtsguts die Schwelle des § 213 StGB - auch nach der Strafrahmenverschärfung durch das 6. StrRG - nicht zu niedrig anzusetzen (Tröndle/Fischer
  111. aaO § 213 Rdn. 13 m.w.N.). Gleichwohl kann der Senat unter den hier gege-
  112. -7-
  113. benen Umständen nicht ausschließen, daß es sich im Ergebnis zu Gunsten
  114. des Angeklagten ausgewirkt hätte, wenn die Strafkammer die genannten Gesichtspunkte schon bei der Strafrahmenbestimmung erwogen hätte.
  115. d) Die überwiegend auf dieselben Erwägungen wie die Strafe wegen
  116. versuchten Totschlags gestützten Einzelstrafen wegen der gefährlichen Körperverletzungen zum Nachteil der Ehefrau können schon im Hinblick auf den
  117. engen inneren Zusammenhang des gesamten Tatgeschehens keinen Bestand
  118. haben.
  119. Schäfer
  120. Nack
  121. Schluckebier
  122. Wahl
  123. Kolz