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343 lines
18 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. 1 StR 470/08
  4. vom
  5. 14. Januar 2009
  6. in der Strafsache
  7. gegen
  8. wegen Steuerhinterziehung u.a.
  9. -2-
  10. Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 14. Januar 2009 beschlossen:
  11. 1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Bochum vom 22. August 2007 wird
  12. a) das Verfahren auf Antrag des Generalbundesanwalts gemäß
  13. § 154 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Nr. 1 StPO vorläufig eingestellt,
  14. soweit der Angeklagte S.
  15. wegen Bestechung verurteilt
  16. worden ist. Insoweit trägt die Staatskasse die Kosten des
  17. Verfahrens und die diesem Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen;
  18. b) das genannte Urteil, soweit es den Angeklagten S.
  19. be-
  20. trifft, im Ausspruch über die Gesamtstrafe mit der Maßgabe
  21. aufgehoben, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach §§ 460, 462 StPO zu treffen ist.
  22. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen, da die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung insoweit
  23. keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat
  24. (§ 349 Abs. 2 StPO).
  25. 3. Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittels bleibt dem
  26. für das Nachverfahren nach §§ 460, 462 StPO zuständigen Gericht vorbehalten.
  27. -3-
  28. Gründe:
  29. 1
  30. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Urkundenfälschung in 778
  31. Fällen, wegen Bestechung, wegen Steuerhinterziehung in sieben Fällen und
  32. wegen Beihilfe zum Gebrauch gefälschter Gesundheitszeugnisse in 45 Fällen
  33. zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt.
  34. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und sachlichen
  35. Rechts. Zudem hat er sofortige Beschwerde gegen die Kostenentscheidung im
  36. genannten Urteil erhoben. Die Revision des Angeklagten führt zu einer Teileinstellung des Verfahrens gemäß § 154 StPO und zur Aufhebung des ihn betreffenden Gesamtstrafausspruchs; damit ist seine sofortige Beschwerde gegenstandslos (vgl. Meyer-Goßner, StPO 51. Aufl. § 464 Rdn. 20). Im Übrigen bleibt
  37. die Revision des Angeklagten aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts ohne Erfolg.
  38. 2
  39. 1. Soweit das Landgericht den Angeklagten wegen Bestechung gemäß
  40. § 334 StGB verurteilt hat, weil er der Geschäftsführerin der M.
  41. GmbH Vorteile
  42. für pflichtwidrige Diensthandlungen versprochen habe, stellt der Senat das Verfahren gemäß § 154 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Nr. 1 StPO ein. Die hierfür vom Landgericht verhängte Strafe von einem Jahr Freiheitsstrafe fällt im Hinblick auf die
  43. übrigen - rechtsfehlerfrei verhängten - 830 Einzelstrafen nicht beträchtlich ins
  44. Gewicht.
  45. 3
  46. a) Zum Tatvorwurf der Bestechung hat das Landgericht im Wesentlichen
  47. Folgendes festgestellt:
  48. -4-
  49. 4
  50. Der Angeklagte betrieb ein Netz aus bundesweit tätigen Vermittlern, die
  51. ihm insbesondere türkischsprachige Kunden zuführten, von denen im Zusammenhang mit der Erteilung der Fahrerlaubnis eine medizinisch-psychologische
  52. Prüfung abzulegen war. Diesen Kunden garantierte der Angeklagte gegen Zahlung eines Entgelts das Bestehen der Prüfung bei der in R.
  53. sässigen M.
  54. an-
  55. GmbH. Bei dieser Gesellschaft handelt es sich um eine nach
  56. § 66 Fahrerlaubnisverordnung (FeV) amtlich anerkannte und nach § 72 FeV
  57. akkreditierte medizinisch-psychologische Begutachtungsstelle für die Fahreignung. Um den versprochenen Erfolg sicherzustellen, nahm der Angeklagte in
  58. unterschiedlicher Weise auf den Prüfungsablauf bei der M.
  59. GmbH Einfluss.
  60. Mit deren Geschäftsführerin vereinbarte er unter anderem, dass er der Gesellschaft eine Vielzahl von Probanden zuführen sollte, wodurch das Unternehmen
  61. gegenüber Konkurrenten einen Wettbewerbsvorsprung erlangen und dadurch
  62. erheblich höhere Einnahmen erzielen konnte. Als Gegenleistung eröffnete die
  63. Geschäftsführerin der M.
  64. GmbH dem Angeklagten im Rahmen der Begutach-
  65. tung, in deren Rahmen der Angeklagte u.a. als Dolmetscher tätig wurde, Handlungsspielräume, mit denen gewährleistet wurde, dass auch Probanden eine
  66. positive medizinisch-psychologische Begutachtung erhielten, die keine ausreichende Eignung für die Teilnahme am Straßenverkehr hatten.
  67. 5
  68. b) Die vom Landgericht nicht näher begründete rechtliche Würdigung
  69. des Verhaltens des Angeklagten als Bestechung gemäß § 334 StGB hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand; die Urteilsfeststellungen belegen nicht, dass die
  70. Geschäftsführerin der M.
  71. GmbH oder ihre Mitarbeiter Amtsträger im Sinne
  72. von § 11 Abs. 1 Nr. 2 StGB waren.
  73. -5-
  74. 6
  75. aa) Deren Amtsträgereigenschaft ergibt sich nicht aus § 11 Abs. 1 Nr. 2
  76. Buchst. c 3. Var. StGB; denn die M.
  77. GmbH als medizinisch-psychologische
  78. Begutachtungsstelle wurde nicht im Auftrag der Fahrerlaubnisbehörde tätig.
  79. 7
  80. Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken gegen die Eignung oder Befähigung eines Bewerbers für eine Fahrerlaubnis oder eines Inhabers einer
  81. Fahrerlaubnis begründen, kann die zuständige Fahrerlaubnisbehörde nach näherer Maßgabe der §§ 11 bis 14 FeV anordnen, dass der Bewerber oder Fahrerlaubnisinhaber innerhalb einer angemessenen Frist ein Gutachten oder
  82. Zeugnis eines Facharztes oder Amtsarztes, ein Gutachten einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung oder eines amtlichen anerkannten Sachverständigen oder Prüfers für den Kraftfahrzeugverkehr beibringt (§ 2
  83. Abs. 8, § 3 Abs. 1 Satz 3 StVG, § 46 Abs. 3 FeV). Nach § 11 Abs. 6 FeV legt
  84. dabei die Fahrerlaubnisbehörde bereits in der Anordnung zur Beibringung des
  85. Gutachtens fest, welche Fragen im Hinblick auf die Eignung des Betroffenen
  86. zum Führen von Kraftfahrzeugen zu klären sind (§ 11 Abs. 6 Satz 1 FeV). Sie
  87. teilt dem Betroffenen unter Darlegung der Gründe für die Zweifel an seiner Eignung und unter Angabe der für die Untersuchung in Betracht kommenden Stelle
  88. oder Stellen mit, dass er sich innerhalb einer von ihr festgelegten Frist auf seine
  89. Kosten der Untersuchung zu unterziehen und das Gutachten beizubringen hat
  90. (§ 11 Abs. 6 Satz 2 FeV). Der Betroffene hat die Fahrerlaubnisbehörde darüber
  91. zu unterrichten, welche Stelle er mit der Untersuchung beauftragt hat (§ 11 Abs.
  92. 6 Satz 3 FeV). Die Fahrerlaubnisbehörde teilt ihrerseits der untersuchenden
  93. Stelle mit, welche Fragen im Hinblick auf die Eignung des Betroffenen zum Führen von Kraftfahrzeugen zu klären sind (§ 11 Abs. 6 Satz 4 FeV). Die Untersuchung erfolgt dabei auf Grund eines Auftrages durch den Betroffenen an die
  94. Begutachtungsstelle (§ 11 Abs. 6 Satz 5 FeV), nicht aber - was für eine Amts-
  95. -6-
  96. trägereigenschaft der Mitarbeiter der Begutachtungsstelle sprechen könnte - im
  97. Auftrag der Fahrerlaubnisbehörde.
  98. 8
  99. bb) Die Amtsträgereigenschaft der Mitarbeiter der M.
  100. GmbH ergibt
  101. sich auch nicht aus § 11 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c 1. oder 2. Var. StGB.
  102. 9
  103. (1) Es ist bereits zweifelhaft, ob die Mitarbeiter der M.
  104. GmbH Aufgaben
  105. der öffentlichen Verwaltung wahrnehmen. Zwar erfolgt die Beibringung des medizinisch-psychologischen Gutachtens im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens. Im Hinblick auf die bei der Verwaltungsbehörde verbleibende Befugnis der
  106. Bestimmung, in welchen Fällen eine Begutachtung stattzufinden hat, und der
  107. Entscheidung, welche Folgen aus dem Ergebnis der Begutachtung gezogen
  108. werden, erweist sich jedoch die Gutachtenerstellung selbst nicht ohne weiteres
  109. als Dienstverrichtung, die aus der Staatsgewalt abgeleitet ist und staatlichen
  110. Zwecken dient (vgl. BGHSt 38, 199, 201).
  111. 10
  112. Die Anordnung der Fahrerlaubnisbehörde, dass der Betroffene ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen hat, stellt keinen Verwaltungsakt dar. Sie konkretisiert vielmehr lediglich die aus § 2 Abs. 6 StVG folgende
  113. Mitwirkungspflicht des Betroffenen im Antragsverfahren nach § 2 StVG bzw. im
  114. Fahrerlaubnisentziehungsverfahren nach § 3 StVG (vgl. OVG Münster NZV
  115. 2001, 396, 398 m.w.N.). Die Anordnung gehört daher - wie auch die Gesetzessystematik belegt - nicht zu den behördlichen Ermittlungsmaßnahmen der
  116. Fahrerlaubnisbehörden nach § 2 Abs. 7 StVG, sondern knüpft an das Bekanntwerden von Tatsachen an, die Bedenken gegen die Eignung oder Befähigung
  117. eines Bewerbers für eine Fahrerlaubnis oder eines Inhabers einer Fahrerlaubnis
  118. begründen (§ 2 Abs. 8, § 3 Abs. 1 Satz 3 StVG). Wenngleich die Anordnung der
  119. Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens Eingriffscharakter
  120. -7-
  121. hat (BVerfG NZV 1993, 413, 414 zum früheren § 15b Abs. 2 StVZO), kann die
  122. Mitwirkungspflicht nicht zwangsweise durchgesetzt werden (vgl. OVG Münster
  123. a.a.O.). Legt der Betroffene das angeordnete Gutachten nicht vor, darf die
  124. Fahrerlaubnisbehörde lediglich auf die Nichteignung des Betroffenen schließen
  125. (§ 11 Abs. 8 FeV). Eine Herausgabe des Gutachtens durch die Begutachtungsstelle an die Fahrerlaubnisbehörde kommt im Hinblick auf das - gemäß § 203
  126. StGB
  127. auch
  128. strafrechtlich
  129. geschützte
  130. -
  131. Vertrauensverhältnis
  132. (vgl.
  133. Bouska/Laeverenz, Fahrerlaubnisrecht 3. Aufl. § 11 FeV Anm. 32), das zwischen dem Betroffenen und der Begutachtungsstelle besteht, ohne Einverständnis des Betroffenen nicht in Betracht (vgl. VG Neustadt SVR 2006, 273,
  134. 275). Damit erfüllt die Begutachtungsstelle im Rahmen der Begutachtung nicht
  135. einen Teil der an sich staatlichen Stellen obliegenden Aufgaben, sondern unterstützt lediglich den Betroffenen bei Erfüllung einer ihm im konkreten Verwaltungsverfahren treffenden Obliegenheit.
  136. 11
  137. (2) Eine Amtsträgerstellung der Mitarbeiter der M.
  138. GmbH scheidet je-
  139. denfalls deshalb aus, weil es sich bei dieser Gesellschaft nicht nur um keine
  140. Behörde, sondern auch nicht um eine sonstige Stelle i.S.v. § 11 Abs. 1 Nr. 2
  141. Buchst. c StGB handelt.
  142. 12
  143. (a) Eine sonstige Stelle in diesem Sinne ist eine behördenähnliche Institution, die unabhängig von ihrer Organisationsform befugt ist, bei der Ausführung von Gesetzen mitzuwirken, ohne dabei eine Behörde im verwaltungsrechtlichen Sinne zu sein. Bei einer juristischen Person des Privatrechts sind diese
  144. Voraussetzungen nur dann erfüllt, wenn bei ihr Merkmale vorliegen, die eine
  145. Gleichstellung mit einer Behörde rechtfertigen. Nach ständiger Rechtsprechung
  146. des Bundesgerichtshofs muss sie bei einer Gesamtbetrachtung "als verlängerter Arm des Staates erscheinen" (BGHSt 43, 370, 377; 45, 16, 19; 46, 310,
  147. -8-
  148. 312 f.; 49, 214, 219; 50, 299, 303; BGH NStZ 2006, 628, 630). Einzubeziehen
  149. sind dabei alle wesentlichen Merkmale der Gesellschaft, namentlich, ob diese
  150. gewerblich tätig ist und mit anderen im Wettbewerb steht (BGHSt 38, 199, 204),
  151. ob im Gesellschaftsvertrag eine öffentliche Zwecksetzung festgeschrieben ist
  152. (BGHSt 43, 370, 372 f.), ob sie im Eigentum der öffentlichen Hand steht und
  153. ihre Tätigkeit aus öffentlichen Mitteln finanziert wird (BGHSt 45, 16, 20) sowie,
  154. in welchem Umfang staatliche Steuerungs- und Einflussnahmemöglichkeiten
  155. bestehen (BGHSt 43, 370, 378 f.; 45, 16, 20 f.; 49, 214, 224 f.).
  156. 13
  157. (b) Eine Rolle als "verlängerter Arm des Staates" ergibt sich für die M.
  158. GmbH aus den vom Landgericht getroffenen Feststellungen unabhängig von
  159. der Frage nicht, ob Privatrechtssubjekte, an denen der Staat nicht beteiligt ist,
  160. überhaupt "sonstige Stelle" i.S.v. § 11 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c 2. Var. StGB sein
  161. können (vgl. dazu einerseits MüKo-Radtke StGB § 11 Rdn. 55, andererseits
  162. BGHSt 43, 96, 102 ff.; BGH NJW 1998, 2373, 2374). Zwar sind durch das Erfordernis der staatlichen Anerkennung der Begutachtungsstelle nach § 66 FeV
  163. und der Akkreditierung nach § 72 FeV Umstände gegeben, die eine Kontrolle
  164. der Begutachtungsstellen durch die öffentliche Hand ermöglichen. Auch teilt die
  165. Fahrerlaubnisbehörde nach § 11 Abs. 6 Satz 4 FeV der Begutachtungsstelle
  166. jeweils konkret mit, welche Fragen im Hinblick auf die Eignung des Betroffenen
  167. zum Führen von Kraftfahrzeugen zu klären sind. Diese Umstände sind indes
  168. nicht von solchem Gewicht, dass sie eine Gleichstellung der Begutachtungsstelle mit einer Behörde rechtfertigen könnten, zumal da die - nach § 66 FeV anerkannten - Begutachtungsstellen untereinander im Wettbewerb stehen (vgl. auch
  169. BGHSt 38, 199, 204). Maßgebliche Bedeutung kommt dem Umstand zu, dass
  170. die Entscheidung über die Eignung des Betroffenen nach der Begutachtung der
  171. Fahrerlaubnisbehörde vorbehalten bleibt; das Gutachten entfaltet als vorbereitendes Privatgutachten, das im Auftrag des Betroffenen und auf dessen Kosten
  172. -9-
  173. erstellt wird, keine Bindungswirkung. Allein der Umstand, dass das Ergebnis der
  174. Begutachtung für die Entscheidung der Fahrerlaubnisbehörde von zentraler
  175. Bedeutung ist, lässt die Begutachtungsstelle nicht als „verlängerten Arm des
  176. Staates“ erscheinen. Nichts anderes gilt für den Umstand, dass die Begutachtungsstellen für die Erstattung des Gutachtens nach der Gebührenordnung für
  177. Maßnahmen im Straßenverkehr (GebOSt) vergütet werden (vgl. § 1 GebOSt
  178. i.V.m. Gebührennummern 451 ff. der Anlage zu § 1 GebOSt). Insoweit ist lediglich ein Kostenrahmen für die Begutachtung festgelegt.
  179. 14
  180. c) Ein Teilfreispruch ist gleichwohl nicht veranlasst, weil eine Strafbarkeit
  181. des Angeklagten unter einem anderen rechtlichen Gesichtspunkt als dem der
  182. Bestechung gemäß § 334 StGB in Betracht kommen kann (etwa einer Strafbarkeit gemäß § 299 StGB oder §§ 26, 278 StGB). Einer Zurückverweisung an das
  183. Landgericht zur Aufklärung, ob ergänzende Feststellungen zum Verhalten des
  184. Angeklagten im Zusammenhang mit der Gewährung von Vorteilen an Mitarbeiter der M.
  185. GmbH getroffen werden können, bedarf es aber deshalb nicht, weil
  186. angesichts der Vielzahl der gegen den Angeklagten rechtsfehlerfrei verhängten
  187. Einzelstrafen eine insoweit in Betracht kommende Einzelstrafe nicht beträchtlich
  188. ins Gewicht fiele.
  189. 15
  190. 2. Allerdings hält der Ausspruch über die verhängte Gesamtfreiheitsstrafe trotz des straffen Zusammenzugs der Einzelstrafen rechtlicher Nachprüfung
  191. nicht stand. Zwar kann der Senat angesichts des Zusammenzugs der übrigen
  192. Einzelstrafen, darunter 181 Strafen von je zwei Jahren und sechs Monaten
  193. Freiheitsstrafe sowie 597 Strafen von je zwei Jahren Freiheitsstrafe, in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO ausschließen, dass das Landgericht ohne die für die Bestechung festgesetzte Strafe von einem Jahr Freiheitsstrafe eine niedrigere als die festgesetzte Gesamtfreiheitsstrafe verhängt hätte.
  194. - 10 -
  195. Jedoch begegnet die Zumessung der Gesamtfreiheitsstrafe durchgreifenden
  196. rechtlichen Bedenken.
  197. 16
  198. a) Ohne Rechtsfehler hat sich allerdings das Landgericht nicht mehr an
  199. eine zugesagte Strafobergrenze gebunden gesehen. Dem liegt folgendes Geschehen zugrunde:
  200. 17
  201. Nach den Urteilsfeststellungen sicherte die Strafkammer am 9. November 2006, während des Laufs der Hauptverhandlung, im Hinblick auf die zu diesem Zeitpunkt verfahrensgegenständlichen Tatvorwürfe aus der Anklageschrift
  202. vom 12. Mai 2006 für den Fall einer geständigen Einlassung eine Strafobergrenze von vier Jahren Gesamtfreiheitsstrafe zu (UA S. 5). Unter dem 31. Juli
  203. 2007 erhob die Staatsanwaltschaft Bochum eine weitere Anklage gegen den
  204. Angeklagten, in der gegen ihn der Vorwurf der Steuerhinterziehung in 18 Fällen,
  205. des Betruges und der Beihilfe zur Ausstellung eines unrichtigen Gesundheitszeugnisses erhoben wurde. Die Anklage wurde mit dem laufenden Verfahren
  206. zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden. Unter dem 13.
  207. August 2007 wurde das Strafverfahren auf Antrag der Staatsanwaltschaft durch
  208. Beschluss der Strafkammer hinsichtlich der Taten, die den Gegenstand der Anklage vom 31. Juli 2007 bildeten sowie hinsichtlich weiterer Taten gemäß § 154
  209. Abs. 2 StPO vorläufig eingestellt.
  210. 18
  211. Bei dieser Sachlage war die Strafkammer nicht mehr an die zugesagte
  212. Strafobergrenze gebunden. Insoweit gelten folgende Grundsätze:
  213. 19
  214. aa) Wurde eine Urteilsabsprache getroffen, auf deren Grundlage seitens
  215. des Tatgerichts eine Zusage hinsichtlich der Strafobergrenze abgegeben wurde, kommt ein Abweichen von einer solchen Zusage nur dann in Betracht, wenn
  216. - 11 -
  217. schon bei der Urteilsabsprache vorhandene relevante tatsächliche oder rechtliche Aspekte übersehen wurden oder wenn sich in der Hauptverhandlung neue,
  218. dem Gericht bisher unbekannte schwerwiegende Umstände zu Lasten des Angeklagten ergeben haben (BGHSt 50, 40, 50). In einem solchen Fall muss das
  219. Gericht unter Darlegung der Umstände auf diese Möglichkeit hinweisen (BGHSt
  220. 43, 195, 210).
  221. 20
  222. bb) Eines Hinweises bedarf es aber nur dann, wenn sich die Abweichung
  223. von der Urteilsabsprache allein auf Taten bezieht, die zu diesem Zeitpunkt Gegenstand der Hauptverhandlung waren. Denn nur insoweit kann eine Zusicherung für den Angeklagten einen schutzwürdigen Vertrauenstatbestand schaffen.
  224. Keines Hinweises bedarf es indes, wenn sich in der Hauptverhandlung der Verfahrensstoff durch neu angeklagte Tatvorwürfe erweitert, die Gegenstand des
  225. Verfahrens geworden sind. In einem solchen Fall ist für alle Verfahrensbeteiligten ohne weiteres erkennbar, dass die bisherige Zusage, die die neu angeklagten Taten nicht zum Gegenstand hatte, wegen der veränderten Sachlage für
  226. das Tatgericht nicht mehr verbindlich sein kann. So verhält es sich auch hier.
  227. Der Angeklagte war durch den Wegfall der Zusicherung auch nicht benachteiligt, da die Einbeziehung einer neuen Anklage nur mit seiner Zustimmung zulässig war (§ 266 Abs. 1 StPO; vgl. auch Meyer-Goßner, StPO 51. Aufl. § 266
  228. Rdn. 4).
  229. 21
  230. b) Die Gesamtfreiheitsstrafe kann aber deshalb keinen Bestand haben,
  231. weil die Strafkammer rechtsfehlerhaft durch Teileinstellung gemäß § 154 Abs. 2
  232. StPO ausgeschiedene Verfahrensteile zum Nachteil des Angeklagten bei der
  233. Zumessung der Gesamtfreiheitsstrafe strafschärfend berücksichtigt hat.
  234. - 12 -
  235. Zwar ist es zulässig, gemäß § 154 Abs. 2 StPO ausgeschiedenen Pro-
  236. 22
  237. zessstoff nach einem entsprechenden Hinweis (BGH StV 2000, 656) in der
  238. Strafzumessung straferschwerend zu berücksichtigen. Dies kommt indes nur in
  239. Betracht, wenn die in den ausgeschiedenen Verfahrensteilen enthaltenen Tatvorwürfe prozessordnungsgemäß festgestellt und in den Urteilsgründen dargelegt sind (BGH StV 1995, 520 f). Dem genügt das angefochtene Urteil nicht. Es
  240. berücksichtigt von der Teileinstellung erfasste Tatvorwürfe strafschärfend (UA
  241. S. 54), ohne die den Taten zugrunde liegenden Tatsachen im Urteil auch nur
  242. ansatzweise darzustellen. Dies ermöglicht dem Revisionsgericht nicht, die
  243. strafschärfende Berücksichtigung dieser Taten auf mögliche Rechtsfehler hin zu
  244. überprüfen (BGH StV 1995, 520 f.). Darin liegt ein auf die Sachrüge hin zu berücksichtigender Rechtsfehler, auf dem das Urteil auch beruht.
  245. 3. Der Senat macht von der Möglichkeit Gebrauch, nach § 354 Abs. 1 b
  246. 23
  247. Satz 1 StPO zu entscheiden. Damit ist die neue Gesamtstrafe im Beschlussverfahren gemäß §§ 460, 462 StPO zu bilden, in dem auch eine Entscheidung über die Pflicht zur Tragung der Kosten der Revision des Beschwerdeführers zu
  248. treffen ist.
  249. Nack
  250. Wahl
  251. Jäger
  252. Graf
  253. Sander