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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. 1 StR 445/03
  4. vom
  5. 17. Dezember 2003
  6. in der Strafsache
  7. gegen
  8. wegen Betrugs u. a.
  9. -2-
  10. Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 17. Dezember 2003 beschlossen:
  11. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
  12. München I vom 23. April 2003 wird als unbegründet verworfen, da
  13. die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben
  14. hat (§ 349 Abs. 2 StPO).
  15. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
  16. Ergänzend bemerkt der Senat:
  17. Die Strafbemessung begegnet auch unter dem Gesichtspunkt der Dauer
  18. des Strafverfahrens keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
  19. 1. Das Landgericht hat die lange Zeitspanne zwischen den Taten des
  20. Angeklagten und der nunmehrigen Aburteilung ebenso strafmildernd berücksichtigt wie den Umstand, daß diese nicht vom Angeklagten zu vertreten ist
  21. (UA S. 44, 45).
  22. 2. Soweit die Revision meint, es liege eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung (gemeint: im Sinne des Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 MRK) vor, deren einzelne Ursachen in den Urteilsgründen näherer Feststellung und Erörterung bedurft hätten, und dabei die Zeiträume zwischen verschiedenen Verfahrensereignissen anspricht, gilt folgendes:
  23. a) Die Rüge ist schon nicht in zulässiger Weise erhoben. Will ein Beschwerdeführer beanstanden, durch das Verfahren sei das Beschleunigungs-
  24. -3-
  25. gebot des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK verletzt und die Verfahrensverzögerung sei
  26. im Urteil nicht berücksichtigt worden, so hat er die Tatsachen, die den behaupteten Verfahrensverstoß belegen, in der Revisionsbegründung darzulegen, um dem Revisionsgericht eine entsprechende Nachprüfung zu ermöglichen (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Entsprechendes gilt, wenn der Beschwerdeführer wie hier beanstandet, das Urteil sei zwar eher allgemein vom Vorliegen
  27. einer Verfahrensverzögerung ausgegangen, aber Art, Ausmaß und Umstände
  28. dieser Verzögerung seien nicht oder nicht genügend festgestellt (so BGHR
  29. MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Verfahrensverzögerung 7 m.w.Rspr.Nw.).
  30. Dem wird die Revisionsbegründung nicht gerecht. So heißt es dort etwa,
  31. der Zeitraum von ca. einem Jahr für das Zwischenverfahren und derjenige von
  32. 14 Monaten zwischen der ersten Revisionsentscheidung und dem Beginn der
  33. erneuten Hauptverhandlung seien erörterungsbedürftig gewesen. Hier wäre
  34. vorzutragen gewesen, was die Aktenlage insoweit zur Sachbehandlung und
  35. Verfahrensförderung konkret ergibt. Es ist nicht Aufgabe des Senats, von Amts
  36. wegen das - hier mehr als 60 Stehordner umfassende - Aktenwerk auf Verzögerungen durchzusehen oder auch nur in Teilabschnitten zu sichten, um die
  37. allgemein unter Hinweis auf zeitliche Eckdaten aufgestellte Behauptung einer
  38. Verzögerung zu prüfen. Beispielhaft zeigt sich gerade hinsichtlich des Zeitraums zwischen der ersten Revisionsentscheidung und der erneuten Hauptverhandlung, daß insoweit die Hinweise bedeutsam sein können, die in dem in
  39. dieser Sache ergangenen Senatsbeschluß vom 7. Februar 2002 - 1 StR 222/01
  40. - unter IV.3.d) enthalten sind. Diese können naheliegenderweise zunächst, vor
  41. der Neuverhandlung, weitere Ermittlungen veranlaßt haben. Hierzu wäre konkret vorzutragen gewesen. Wäre dies geschehen, ergäbe sich eine andere Beurteilung als auf der Grundlage des unvollständigen Revisionsvortrages. Auch
  42. soweit sich die Revision darauf bezieht, daß die Strafkammer im Urteil aus-
  43. -4-
  44. führt, nach dem 13. Oktober 1995 sei ein "vorübergehender faktischer Stillstand" in den polizeilichen Ermittlungen eingetreten, hätte die Revision dazu
  45. Einzelheiten darlegen müssen, insbesondere auch zur Frage der genauen
  46. Dauer dieses Stillstandes.
  47. b) Die Rüge hat auch deshalb keinen Erfolg, weil das Landgericht von
  48. einer "überlangen Verfahrensdauer" ausgeht und diese bei der Bemessung der
  49. Gesamtstrafe konkret, bei der Zumessung der Einzelstrafen in allgemeiner
  50. Form kompensiert hat.
  51. Der Senat entnimmt dem Zusammenhang der Urteilsgründe, daß die
  52. Strafkammer unter dem Oberbegriff der "überlangen Verfahrensdauer" neben
  53. dem reinen Zeitablauf auch eine "rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung"
  54. feststellen wollte. Dafür spricht die vorgenommene Kompensation bei der Gesamtstrafbildung. Zudem umfaßt der verwendete Oberbegriff in der älteren
  55. Rechtsprechung (vgl. BGH NStZ 1999, 181) durchaus auch die rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerungen, wie sich an der Veröffentlichung von einschlägigen Entscheidungen und Stellungnahmen im Schrifttum unter entsprechenden Überschriften und Leitsätzen zeigt (so schon BGHR StGB § 46 Abs. 2
  56. Verfahrensverzögerung 12 m.w.N.).
  57. Das Landgericht hat auf der Grundlage dieser Bewertung das Maß der
  58. Kompensation bei der Straffindung hinreichend bestimmt. Bei der Bildung der
  59. Gesamtstrafe hat es den Strafabschlag von einem Jahr und sechs Monaten
  60. ausdrücklich festgehalten und im Urteil als solchen ausgewiesen. Daß dies bei
  61. den Einzelstrafen - obgleich grundsätzlich erforderlich - nicht konkret in Form
  62. einer Gegenüberstellung verschiedener Strafmaße geschehen ist, vermag den
  63. Bestand des Strafausspruches hier nicht zu gefährden. Die Strafkammer hat
  64. ausdrücklich hervorgehoben, sie hätte höhere Einzelstrafen angesetzt, wenn
  65. -5-
  66. nicht eine Kompensation erfolgt wäre (UA S. 48). Deshalb steht nicht zu besorgen, daß der Angeklagte etwa im Falle der späteren Notwendigkeit einer anderweitigen nachträglichen Gesamtstrafenbildung beim Wegfall der jetzt in Rede stehenden Gesamtstrafe benachteiligt werden könnte. Angesichts der eher
  67. milden Einzelstrafen und des straffen Zusammenzuges bei der Gesamtstrafenbildung vermag der Senat zudem sicher auszuschließen, daß das Verhältnis
  68. zwischen den ermäßigten wie nicht ermäßigten Einzelstrafen und den beiden
  69. gegenübergestellten Gesamtstrafen unstimmig sein könnte (vgl. dazu BGH
  70. NStZ 2002, 589).
  71. c) Der Senat sieht indessen auf der Grundlage der Urteilsausführungen
  72. keinen Grund zur Annahme einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung,
  73. weil das Verfahren von außergewöhnlicher Komplexität und auch sonst schwierig war. Durch die gegenteilige Wertung des Landgerichts und die darauf gestützte, genau bemessene Milderung der Gesamtstrafe ist der Angeklagte jedoch nicht beschwert.
  74. Soweit sich aus dem Urteil des Landgerichts selbst einige zeitliche
  75. Spannen zwischen Verfahrensabschnitten ergeben (UA S. 44 f.), erweisen sich
  76. diese in einer Gesamtschau nicht als von solcher Qualität, daß dies die Annahme der Rechtsstaatswidrigkeit und der Unangemessenheit (im Sinne von
  77. Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK) begründen könnte. In Fällen solcher Art hat der Tatrichter zu prüfen, ob die Sache insgesamt in angemessener Frist verhandelt
  78. worden ist, wobei eine gewisse Untätigkeit innerhalb einzelner Verfahrensabschnitte dann nicht zu einer Verletzung von Artikel 6 Abs. 1 Satz 1 MRK führt,
  79. wenn dadurch die Gesamtdauer des Verfahrens nicht unangemessen lang
  80. wird. Dabei beginnt die "angemessene Frist" im Sinne der Konvention, wenn
  81. der Beschuldigte von den Ermittlungen in Kenntnis gesetzt wird; sie endet mit
  82. -6-
  83. dem rechtskräftigen Abschluß des Verfahrens. Neben der gesamten Dauer
  84. vom Beginn bis zum Ende der Frist kommen für die Frage der Angemessenheit
  85. die Schwere und die Art des Tatvorwurfs, der Umfang und die Schwierigkeit
  86. des Verfahrens, die Art und Weise der Ermittlungen, das Verhalten des Beschuldigten sowie das Ausmaß der mit dem andauernden Verfahren verbundenen Belastungen für den Beschuldigten als maßgebende Kriterien in Betracht
  87. (siehe nur BGHR MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Verfahrensverzögerung 9; vgl. zusammenfassend Franke in MünchKomm. StGB § 46 Rdn. 62 mit weiteren
  88. Rechtsprechungsnachweisen).
  89. Hier handelt es sich um eine umfangreiche, schwierige Wirtschaftsstrafsache, die zunächst wegen mehrerer Tatkomplexe gegen vier Angeklagte geführt wurde. Die erste tatrichterliche Hauptverhandlung dauerte vom Oktober
  90. 1999 bis zum August des Jahres 2000. Das erste, vom Senat später teilweise
  91. aufgehobene Urteil umfaßte in seiner schriftlichen Begründung 510 Seiten. Das
  92. Gewicht des gegen den Angeklagten jetzt noch bestehenden, abgeurteilten
  93. Tatvorwurfs erweist sich zumal im Blick auf die außergewöhnliche Schadenshöhe von 128 Mio DM als erheblich. Angesichts der Komplexität der Vorgänge
  94. ist es auch nicht zu beanstanden, daß die Erstellung des polizeilichen Schlußberichts, die Anklageerhebung und die Entscheidung über die Eröffnung des
  95. Hauptverfahrens sowie die Vorbereitung der beiden Hauptverhandlungen, aber
  96. auch das erste Revisionsverfahren mehrmonatige Zeiträume in Anspruch genommen haben. Schließlich ist zu bedenken, daß die Ausschöpfung der von
  97. der Dauer der ersten Hauptverhandlung mitbestimmten Frist zur Absetzung der
  98. Urteilsgründe ebensowenig eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung
  99. mitzubegründen vermag wie die auf Revision des Angeklagten hin erfolgte teilweise Aufhebung des ersten Urteils und die Zurückverweisung der Sache zu
  100. neuer Verhandlung und Entscheidung. Dies ist Ausfluß der Gesetzeslage und
  101. -7-
  102. eines rechtsstaatlichen Rechtsmittelsystems (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 2
  103. Verfahrensverzögerung 15). Der Angeklagte war zwar ersichtlich über wenigstens sieben Jahre hin (ausgehend von der im Urteil erwähnten ersten Beschuldigten-Vernehmung) dem Verfahren ausgesetzt, befand sich aber - im
  104. Jahr 1997 - nur etwa dreieinhalb Monate in Untersuchungshaft.
  105. Soweit der Senat von Amts wegen auf die zulässige Revision hin Verfahrensverzögerungen nach Erlaß des angefochtenen tatrichterlichen Urteils zu
  106. berücksichtigen hat (BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verfahrensverzögerung 8), worauf die Revision zutreffend hinweist, vermag er indes in dem Zeitraum von
  107. etwa drei Monaten zwischen dem Eingang der Revisionsbegründung beim
  108. Landgericht und der Übersendung des gesamten Vorganges an den Generalbundesanwalt nichts Beanstandungswürdiges zu sehen. Diese Dauer erklärt
  109. sich hier zwanglos aus den zu beachtenden Regularien (vgl. § 347 StPO,
  110. Nr. 163 ff. RiStBV) und dem großen Umfang des Aktenwerks, das auch drei
  111. Andere betraf.
  112. Nack
  113. Wahl
  114. Kolz
  115. Schluckebier
  116. Elf