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176 lines
12 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. 1 StR 331/04
  5. vom
  6. 23. November 2004
  7. in der Strafsache
  8. gegen
  9. wegen Mordes
  10. -2-
  11. Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 23. November 2004, an der teilgenommen haben:
  12. Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
  13. Nack
  14. und die Richter am Bundesgerichtshof
  15. Dr. Wahl,
  16. Dr. Boetticher,
  17. Dr. Kolz,
  18. die Richterin am Bundesgerichtshof
  19. Elf,
  20. Staatsanwalt
  21. als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
  22. Rechtsanwalt
  23. als Verteidiger,
  24. Justizangestellte
  25. als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
  26. für Recht erkannt:
  27. -3-
  28. 1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des
  29. Landgerichts Ravensburg vom 20. Februar 2004 im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
  30. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
  31. über die Kosten dieses Rechtsmittels, an eine andere als
  32. Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
  33. Von Rechts wegen
  34. Gründe:
  35. Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Heimtückemordes unter Bezugnahme auf die vom Großen Senat für Strafsachen (BGHSt 30, 105) entwickelten Grundsätze zur außergewöhnlichen Strafmilderung zu einer zeitigen
  36. Freiheitsstrafe von 12 Jahren verurteilt. Mit ihrer auf den Strafausspruch beschränkten Revision rügt die Staatsanwaltschaft die Verletzung materiellen
  37. Rechts und beanstandet, daß das Landgericht keine lebenslange Freiheitsstrafe verhängt hat. Das Rechtmittel hat Erfolg.
  38. -4-
  39. I.
  40. 1. Nach den Feststellungen erschoß die Angeklagte in den frühen Morgenstunden des 16. August 2003 ihren mit geschlossenen Augen auf der
  41. Couch liegenden Ehemann im Wohnzimmer des von ihnen gemeinsam bewohnten Hauses mit dessen Revolver. Der Ehemann war zuvor alkoholisiert
  42. nach Hause gekommen und hatte die Angeklagte wie üblich beschimpft. Er hatte sie danach auch aufgefordert, den ihr zuwider gewesenen Oralverkehr zu
  43. vollziehen. Dies hatte die Angeklagte jedoch sofort verweigert, ohne daß der
  44. Ehemann daraufhin nachhaltig darauf bestanden hätte. Er hatte sich dann
  45. vielmehr auf die im Wohnzimmer befindliche Couch gelegt, um dort, wie üblich,
  46. gemeinsam mit der Angeklagten zu nächtigen. Die Angeklagte, die wie ihr
  47. Ehemann in ihrer Freizeit der Jagd nachging, holte wenig später aus dem Waffenschrank einen Revolver und schoß mit der großkalibrigen Waffe dem nach
  48. wie vor schlafenden Mann in den Kopf. Um die Tötung ihres Ehemannes als
  49. unglückliche Folge eines vorangegangenen Streits, verbunden mit einer Attakke mit einem Jagdmesser und einer sexuellen Nötigung darzustellen, schnitt
  50. sie sich mit einer Schere einige Haarbüschel am Kopf ab und brachte sich mit
  51. dem Jagdmesser mehrere Verletzungen im Gesicht und am Körper bei. Um die
  52. Darstellung der versuchten sexuellen Nötigung glaubhaft zu machen, entblößte
  53. sie das Geschlechtsteil des Ehemannes, wobei sie Schutzhandschuhe benutzte, um keine Spuren zu hinterlassen. Dabei entging ihr nicht, daß ihr Ehemann
  54. zunächst noch lebte. Schließlich legte sie den Revolver auf der Couch in der
  55. Nähe des Oberschenkels ihres Ehemanns ab und rief ihren Sohn mit der Behauptung an, sie sei mit der Waffe bedroht worden und dabei sei ein Schuß
  56. losgegangen. Motiv für die Handlungsweise der Angeklagten war neben den
  57. seit vielen Jahren erfolgten, sie zermürbenden ständigen Beschimpfungen
  58. -5-
  59. durch den Ehemann und auch dessen Verlangen nach Oralverkehr. Auch wenn
  60. ihre erwachsenen Kinder sie aufgenommen hätten, wollte die Angeklagte das
  61. gemeinsam mit dem Ehemann erbaute Haus nicht verlassen.
  62. 2. Die Strafkammer hat die Tat der Angeklagten rechtlich als Heimtükkemord gemäß § 211 StGB angesehen. Die Voraussetzungen für das Vorliegen einer rechtfertigenden Notwehr oder eines rechtfertigenden Notstandes hat
  63. die Kammer verneint, weil aufgrund der Gesamtsituation keine akute Lebensgefahr für die Angeklagte oder Dritte bestanden habe. Die Schwurgerichtskammer hat auch das Vorliegen der Voraussetzungen für die Annahme eines
  64. entschuldigenden Notstandes verneint. Zunächst sei schon die Annahme einer
  65. "gegenwärtigen Gefahr" im Sinne des § 35 Abs. 1 StGB fernliegend. Im übrigen
  66. sei die Gefahr für die Angeklagte anders als durch die Tat abwendbar gewesen. Als anderweitige Abwendungsmöglichkeit sei hier ersichtlich der jederzeit
  67. mögliche Auszug der Angeklagten zu ihrer Tochter in Betracht gekommen. Ihr
  68. sei es ohne weiteres möglich gewesen, sich durch einen Auszug sofort - auch
  69. am Tattag - aus der von ihr geschilderten bedrängten Lage zu befreien. Im übrigen hätte ihr angesichts der seit langem anhaltenden Beleidigungen und Demütigungen auch eine entsprechend lange Überlegungsfrist zur Verfügung gestanden, in der sie Erkundigungen über Möglichkeiten zur anderweitigen Abwendbarkeit der Gefahr und Rat auch bei weiteren Personen hätte einholen
  70. können.
  71. 3. Die Strafkammer hat jedoch anstelle der zu verhängenden lebenslangen Freiheitsstrafe wegen Vorliegens außergewöhnlicher Umstände, unter denen die Angeklagte die Tat begangen hat, die Strafe dem entsprechend § 49
  72. Abs. 1 Nr. 1 StGB gemilderten Strafrahmen entnommen. Sie hat dies damit be-
  73. -6-
  74. gründet, daß der getötete Ehemann der Angeklagten gegenüber sexuelle
  75. Wünsche, wie Partnertausch und ähnliches geäußert habe, die diese als besonders nachhaltig demütigend empfunden habe. Ebenso sei die Angeklagte
  76. von ihm in der Vergangenheit des öfteren sexuell in massiver Weise angegangen und zum Oralverkehr aufgefordert worden. Die Demütigungen hätten sich
  77. gerade in letzter Zeit unter der zunehmenden alkoholischen Beeinflussung gehäuft. Dabei habe der Ehemann auch bei seiner meist spät abendlichen Rückkehr der auf dem Sofa schlafenden Angeklagten die Decke weggezogen, so
  78. daß diese erwachen mußte. Er habe als Raucher auch nur bedingt auf ihre Erkrankung Rücksicht genommen. Die schweren Kränkungen hätten insgesamt
  79. zu einer nicht unerheblichen psychischen Belastung - wenngleich ohne Krankheitswert - geführt. Sie stellten solche Entlastungsfaktoren dar, die den Charakter außergewöhnlicher Umstände hätten, auch wenn die besonders belastenden sexuellen Wünsche ihres Ehemannes zum Tatzeitpunkt bereits über 20
  80. Jahre zurückgelegen hätten und die Angeklagte nicht davon abgehalten hätten,
  81. nach einem Auszug aus der gemeinsamen Wohnung aufgrund eigenen Entschlusses wieder zu ihm zurückzukehren.
  82. Das Gewicht des Mordmerkmals Heimtücke erfahre auch deshalb eine
  83. Verringerung, weil die an multipler Sklerose erkrankte Angeklagte gerade in
  84. letzter Zeit vor der Tat zunehmenden Beleidigungen und Demütigungen ihres
  85. meist alkoholisierten Ehemannes ausgesetzt gewesen sei. So habe der Ehemann bis unmittelbar vor dem Tattag eine Woche Urlaub in Italien gemacht und
  86. sei nach seiner Rückkehr angetrunken nach Hause gekommen, habe herumgeschrieen, die Angeklagte beleidigt, ihr die Decke weggezogen und von ihr
  87. den schon früher nur widerwillig praktizierten Oralverkehr verlangt. Diese Verhaltensweise ihres Mannes sofort nach seinem Urlaub habe bei ihr "das Faß
  88. -7-
  89. zum überlaufen" gebracht.
  90. -8-
  91. II.
  92. Die Wertung der Strafkammer, dies seien außergewöhnliche Umstände,
  93. aufgrund welcher die Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe als unverhältnismäßig erscheint, hält rechtlicher Prüfung nicht stand.
  94. 1. Die vom Großen Senat des Bundesgerichtshofs (BGHSt 30, 105) entwickelte Rechtsfolgenlösung trägt dem Umstand Rechnung, daß das Mordmerkmal der Heimtücke auch in Fällen erfüllt sein kann, bei denen die Verhängung der lebenslangen Freiheitsstrafe wegen des sonstigen Gepräges der Tat
  95. das aus dem Grundgesetz abzuleitende Verbot unverhältnismäßigen staatlichen Strafens verletzen würde. Eine abschließende Definition oder eine Aufzählung der außergewöhnlichen Umstände, die in Fällen heimtückischer Tötung zur Verdrängung der lebenslangen Freiheitsstrafe führen können, hat der
  96. Große Senat für Strafsachen für unmöglich gehalten, jedoch auf beispielhaft in
  97. Betracht kommende Fallkonstellationen hingewiesen. Dazu gehören in großer
  98. Verzweiflung begangene oder aus gerechtem Zorn auf Grund einer schweren
  99. Provokation verübte Taten, ebenso Taten, die in einem vom Opfer verursachten und ständig neu angefachten, zermürbenden Konflikt oder in schweren
  100. Kränkungen des Täters durch das Opfer, die das Gemüt immer wieder heftig
  101. bewegen, ihren Grund haben. Allerdings reicht nicht jeder Entlastungsfaktor,
  102. der nach § 213 StGB Berücksichtigung finden würde, zur Annahme der Unverhältnismäßigkeit der lebenslangen Freiheitsstrafe aus. Auf die vom Großen
  103. Senat für Strafsachen im Wege verfassungskonformer Rechtsanwendung eröffnete Möglichkeit, anstatt der an sich verwirkten lebenslangen Freiheitsstrafe
  104. eine Strafe aus dem in analoger Anwendung des § 49 Abs. 1 Nr. 1 StGB bestimmten Strafrahmen zuzumessen, darf nicht voreilig ausgewichen werden
  105. -9-
  106. (BGH NStZ 2003, 482; 484; NStZ 1984, 20). Vielmehr kann das Gewicht des
  107. Mordmerkmals der Heimtücke nur durch Entlastungsfaktoren, die den Charakter außergewöhnlicher Umstände haben, so verringert werden, daß jener
  108. Grenzfall eintritt, in welchem die Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe trotz
  109. der Schwere des tatbestandsmäßigen Unrechts wegen erheblich gemilderter
  110. Schuld unverhältnismäßig wäre (vgl. BGH NStZ 1982, 69). Ob diese Voraussetzungen vorliegen, hat der Tatrichter aufgrund einer umfassenden Würdigung der Tat sowie der zu ihr hinführenden Umstände zu prüfen (BGH NStZ
  111. 1982, 69; BGH NStZ 1984, 20; BGHR StGB § 211 Abs. 1 Strafmilderung 2 und
  112. 3).
  113. 2. Wie der Generalbundesanwalt zutreffend dargelegt hat, wird das angefochtene Urteil dieser Anforderung nicht gerecht. Der Beschluß des Großen
  114. Senats für Strafsachen hat nichts daran geändert, daß im Regelfall für eine
  115. heimtückisch begangene Tötung auf lebenslange Freiheitsstrafe zu erkennen
  116. ist. Durch die Entscheidung wurde nicht allgemein ein Sonderstrafrahmen für
  117. minder schwere Fälle eingeführt. Die in dem Beschluß entwickelten Grundsätze für die Anwendung des gemilderten Strafrahmens betreffen nur solche Fälle,
  118. in denen das Täterverschulden soviel geringer ist, daß die Verhängung der
  119. lebenslangen Freiheitsstrafe das verfassungsrechtliche Gebot schuldangemessenen Strafens mißachten würde. Es müssen schuldmindernde Umstände
  120. besonderer Art vorliegen, die in ihrer Gewichtung gesetzlichen Milderungsgründen vergleichbar sind (vgl. BGH NStZ 1984, 20).
  121. Die Feststellungen rechtfertigen die Annahme solcher außergewöhnlicher Umstände nicht. Wie die Strafkammer in den Urteilsgründen zum Vorliegen der Voraussetzungen der §§ 34 und 35 StGB selbst ausführt, kam es zu
  122. - 10 -
  123. Gewalttätigkeiten des Ehemanns in Form von Schlägen nach der zwischenzeitlichen Trennung im Jahr 1998 allenfalls noch einmal. Der Angeklagten stand
  124. eine Möglichkeit zur Konfliktlösung hinsichtlich der verbalen Beschimpfungen
  125. und der sexuellen Übergriffe ihres Ehemannes mit einem ihr möglichen Auszug
  126. aus dem Wohnhaus und der Aufnahme durch die Tochter zur Verfügung. Das
  127. Landgericht hat festgestellt, daß ein Auszug der Angeklagten ohne weiteres
  128. noch am Tattag möglich gewesen wäre und sie sich dieser Möglichkeit nach
  129. einem Gespräch mit ihren Kindern bewußt gewesen ist. Diese ihr zumutbare
  130. Ausweichmöglichkeit ergriff die Angeklagte deshalb nicht, weil sie das gemeinsam erbaute Haus nicht verlassen wollte, das es ihr auch erlaubte, ihre Jagdhunde, an denen sie sehr hing, weiterhin artgerecht halten zu können. Sie war
  131. ferner der Meinung, daß letztlich "der Böse" gehen müsse. Angesichts dieser
  132. Sachlage kann von außergewöhnlichen Umständen, die zu einer Strafrahmenverschiebung führen können, nicht ausgegangen werden.
  133. Nack
  134. Wahl
  135. Kolz
  136. Boetticher
  137. Elf