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6.8 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. 1 StR 205/00
  5. vom
  6. 19. September 2000
  7. in der Strafsache
  8. gegen
  9. wegen Totschlags
  10. -2-
  11. Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 19. September 2000, an der teilgenommen haben:
  12. Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
  13. Dr. Schäfer
  14. und die Richter am Bundesgerichtshof
  15. Dr. Maul,
  16. Nack,
  17. Dr. Boetticher,
  18. Hebenstreit,
  19. Staatsanwalt
  20. als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
  21. Rechtsanwalt
  22. als Verteidiger,
  23. Rechtsanwalt
  24. als Vertreter der Nebenklägerin,
  25. Justizangestellte
  26. ,
  27. Justizangestellte
  28. als Urkundsbeamtinnen der Geschäftsstelle,
  29. für Recht erkannt:
  30. -3-
  31. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Landshut vom 6. Dezember 1999 mit den Feststellungen
  32. aufgehoben.
  33. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
  34. über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
  35. Von Rechts wegen
  36. Gründe:
  37. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags, begangen an
  38. seiner Lebensgefährtin, zu einer Freiheitsstrafe von elf Jahren verurteilt. Die
  39. Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg; eines näheren Eingehens auf die daneben erhobene Verfahrensrüge bedarf es nicht.
  40. 1. Der Angeklagte hat die Tat geleugnet; das Landgericht hält ihn auf
  41. Grund einer Reihe von Indizien überführt. Den Halbbruder des Angeklagten,
  42. H.
  43. , hat es als möglichen Täter ausgeschlossen. Die dazu
  44. angeführten Erwägungen unterliegen durchgreifenden Bedenken.
  45. Nach den Feststellungen hatte der Angeklagte in der gemeinschaftlichen
  46. Wohnung seine Lebensgefährtin
  47. S.
  48. am Morgen des 20. Januar
  49. 1999 in der Zeit zwischen 8.30 Uhr und 13.00 Uhr, vermutlich gegen 9.30 Uhr,
  50. nach einem heftigen Streit körperlich angegriffen, gewürgt und schließlich mit
  51. einem textilen Gegenstand von hinten erdrosselt. Um einen Selbstmord vorzu-
  52. -4-
  53. täuschen, legte er die Leiche in die mit Wasser gefüllte Badewanne in der gemeinsamen Wohnung und warf einen eingeschalteten Fön hinein. Gegen
  54. 13.00 Uhr verließ er die Wohnung und begab sich zu seiner Arbeitsstelle, die
  55. er erst gegen 23.00 Uhr wieder verließ.
  56. Gegen 15.00 Uhr desselben Tages sah die Mutter des Angeklagten, die
  57. ihren
  58. H.
  59. im
  60. selben
  61. Haus
  62. wohnenden
  63. weiteren
  64. Sohn,
  65. nämlich
  66. , einen Halbbruder des Angeklagten, besuchen wollte, durch die
  67. Glastür der Tatortwohnung einen sich dort bewegenden Schatten; zur gleichen
  68. Zeit hörte eine weitere Bewohnerin des Hauses in der Wohnung Schritte.
  69. Das Landgericht kommt auf Grund einer Reihe von Umständen zu dem
  70. Schluß, daß es H.
  71. war, der sich um diese Zeit in der Wohnung auf-
  72. hielt. Sie schließt jedoch aus, daß H.
  73. , der zur Getöteten ein Verhält-
  74. nis unterhalten hatte, der Täter sei, weil er kein irgendwie erkennbares Motiv
  75. für die Tat gehabt habe. Es komme anders als beim Angeklagten auch keine
  76. emotionale Ausgangslage in Frage, die ein Gewaltdelikt nahelege; vielmehr
  77. habe zwischen
  78. H.
  79. und
  80. S.
  81. am Abend vor der
  82. Tat bestes Einvernehmen geherrscht. Die festgestellte Anwesenheit des
  83. H.
  84. in der Wohnung, in der nach den Feststellungen die zu die-
  85. sem Zeitpunkt bereits Getötete
  86. S.
  87. lag, erklärt das Schwurgericht
  88. damit, der Angeklagte habe seinen Halbbruder in die Tat eingeweiht und ihn
  89. gebeten, in der Zeit seiner Abwesenheit entweder weitere Spuren zu beseitigen oder "das getroffene Arrangement zu überprüfen".
  90. Diese für die Anwesenheit des
  91. H.
  92. angenommenen
  93. Gründe finden jedoch in den Feststellungen des Urteils keine ausreichende
  94. Stütze. Weder ist in irgendeiner Weise belegt, daß der Angeklagte seinen
  95. Halbbruder eingeweiht hat, noch gibt es Anhaltspunkte für die Notwendigkeit
  96. -5-
  97. weiterer Spurenbeseitigung oder eine Überprüfung des "Arrangements". Sind
  98. aber die Gründe, mit denen das Landgericht die Anwesenheit H.
  99. s
  100. erklärt, nicht tragfähig, ist damit auch dessen Ausschluß als Täter in Frage gestellt. Das Landgericht hätte sich vielmehr mit der Frage auseinandersetzen
  101. müssen, welche anderen Gründe als eine Absprache mit seinem Halbbruder
  102. H.
  103. haben konnte, die Wohnung aufzusuchen. Insoweit konnte ein
  104. sexuelles Motiv in Frage kommen; so hatte er am Abend vor der Tat mit der
  105. später Getöteten noch Zärtlichkeiten ausgetauscht.
  106. Sollte H.
  107. allerdings einen Schlüssel für die Wohnung seines
  108. Halbbruders besessen haben, konnte er auch ohne Absprache mit dem Angeklagten und als
  109. etwa um
  110. S.
  111. S.
  112. bereits tot war, die Wohnung betreten haben,
  113. zu besuchen. Dazu sagt das Urteil aber nichts.
  114. 2. Darauf, ob eine andere Person als Täter in Erwägung zu ziehen sein
  115. könnte, würde es freilich nicht ankommen, wenn die Täterschaft des Angeklagten aus sich heraus zweifelsfrei festgestellt wäre. Dafür könnte sprechen,
  116. daß die medizinischen, physikalischen und chemischen Sachverständigengutachten es als sehr wahrscheinlich, wenn auch nicht zwingend einschätzen, daß
  117. die Leiche der Getöteten vor 13.00 Uhr in das Wasser der Badewanne gelegt
  118. worden sei. Dabei war Ausgangspunkt für das grundlegende physikalische
  119. Gutachten, daß das Badewasser durch den in der Wanne zunächst weiterlaufenden Fön aufgewärmt wurde und um 3.00 Uhr morgens des darauffolgenden
  120. Tages noch eine Temperatur von 25 Grad aufwies. Bei den auf diesem Messergebnis basierenden Versuchen hatte der Sachverständige die Originalbadewanne jeweils bis zum Schmutzrand mit ca. 170 Liter Wasser gefüllt, einen
  121. laufenden Fön hineingelegt und sodann Temperaturmessungen vorgenommen.
  122. Die Revision macht zu Recht geltend, daß diese Versuchsanordnung fehlerhaft
  123. -6-
  124. war. Der Angeklagte hatte die Getötete gegen 0.16 Uhr aus der Badewanne
  125. herausgehoben; bis zur Messung der Wassertemperatur um 3.00 Uhr lag der
  126. Wasserspiegel in der Wanne daher für die Zeit von 2 3/4 Stunden nicht unerheblich unter dem Schmutzrand mit der wahrscheinlichen Folge, daß das Wasser ab diesem Zeitpunkt schneller abkühlte. Zudem war der Versuch nur mit
  127. einem homogenen Wärmeträger, nämlich Wasser, durchgeführt worden. Tatsächlich gab es von 13.00 Uhr bis 0.16 Uhr des nächsten Tages zwei Wärmeträger, nämlich Wasser und die in der Badewanne liegenden Leiche; wie sich
  128. diese Abweichungen von der Versuchsanordnung auf die Erwägungs- und Abkühlungsphase des Wassers auswirken konnten, wird nicht erörtert. Die Annahme, es sei sehr wahrscheinlich, daß die Leiche bereits vor 13.00 Uhr in das
  129. Badewasser gelegt wurde, ist damit in Frage gestellt.
  130. -7-
  131. Insgesamt kann wegen dieser Mängel in der Beweiswürdigung das Urteil
  132. des Landgerichts daher keinen Bestand haben. Für die neue Hauptverhandlung wird darauf hingewiesen, daß die Verwertung der Angaben, die der Angeklagte als Zeuge gemacht hat, davon abhängen kann, ob ihm vor der späteren
  133. staatsanwaltlichen Vernehmung eine qualifizierte Belehrung erteilt worden ist
  134. (vgl. dazu BGH NStZ 1996, 290; Boujong in KK 4. Aufl. § 136 Rdn. 29; Neuhaus NStZ 1997, 312).
  135. Schäfer
  136. Maul
  137. Boetticher
  138. Nack
  139. Hebenstreit