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508 lines
22 KiB

  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. 1 StR 198/17
  5. vom
  6. 5. September 2017
  7. in der Strafsache
  8. gegen
  9. wegen Urkundenfälschung u.a.
  10. ECLI:DE:BGH:2017:050917U1STR198.17.0
  11. -2-
  12. Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 5. September
  13. 2017, an der teilgenommen haben:
  14. Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
  15. Dr. Raum,
  16. die Richter am Bundesgerichtshof
  17. Prof. Dr. Jäger,
  18. Bellay
  19. und die Richterinnen am Bundesgerichtshof
  20. Cirener,
  21. Dr. Fischer,
  22. Staatsanwalt
  23. als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
  24. der Angeklagte persönlich - in der Verhandlung -,
  25. Rechtsanwalt
  26. - in der Verhandlung -,
  27. Rechtsanwalt
  28. - in der Verhandlung -
  29. als Verteidiger,
  30. Justizangestellte
  31. als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
  32. für Recht erkannt:
  33. -3-
  34. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten
  35. wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom
  36. 12. Dezember 2016 mit den Feststellungen aufgehoben.
  37. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
  38. über die Kosten beider Rechtsmittel, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
  39. Von Rechts wegen
  40. Gründe:
  41. 1
  42. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen acht Fällen der Urkundenfälschung, jeweils in Tateinheit mit Beihilfe zur Steuerhinterziehung, und einem
  43. weiteren Fall der Urkundenfälschung in Tateinheit mit Beihilfe zur versuchten
  44. Steuerhinterziehung zu einer Gesamtgeldstrafe von 320 Tagessätzen zu je
  45. 25 Euro verurteilt. Hiervon hat es als Kompensation für eine rechtsstaatswidrige
  46. Verfahrensverzögerung 80 Tagessätze für vollstreckt erklärt. Der Angeklagte,
  47. der seine Freisprechung erstrebt, beanstandet mit seiner Revision die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten
  48. eingelegten Revision, die vom Generalbundesanwalt vertreten wird, rügt die
  49. Staatsanwaltschaft die Verletzung materiellen Rechts. Beide Rechtsmittel haben Erfolg.
  50. -4-
  51. I.
  52. 2
  53. Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
  54. 3
  55. 1. Der Angeklagte hatte in Bulgarien als Alleingesellschafter die Gesellschaft X-T.
  56. EOOD (im Folgenden: X-.
  57. ), eine GmbH nach bul-
  58. garischem Recht, gegründet. Deren Geschäftsgegenstand war der Handel mit
  59. Pkw. Geschäftsführer war der Vater des Angeklagten. Im März/April 2008 meldete der Angeklagte in F.
  60. für die X-.
  61. sung an. Er eröffnete bei einer Bank in F.
  62. eine Zweigniederlas-
  63. ein Geschäftskonto mit Konto-
  64. vollmacht für sich und seinen Vater. Das Geschäftsmodell des Angeklagten bestand darin, für Kunden aus Bulgarien in Deutschland durch die Niederlassung
  65. der X-.
  66. Pkw zu erwerben, diese nach Bulgarien zu verbringen und dort an
  67. die bulgarischen Kunden zu übereignen.
  68. 4
  69. Da die Geschäfte mit dem Fahrzeughandel seine Erwartungen nicht erfüllten, übertrug der Angeklagte am 27. Januar 2009 seine Geschäftsanteile an
  70. der X-.
  71. an den gesondert verfolgten M.
  72. . Dieser kannte sich weder mit
  73. den administrativen Geschäftsabläufen des von der X-.
  74. betriebenen Ge-
  75. schäftsmodells in Deutschland aus, noch beherrschte er die deutsche Sprache.
  76. Der Angeklagte und M.
  77. vereinbarten deshalb, dass der Angeklagte die
  78. Kommunikation für die Niederlassung der X-.
  79. – insbesondere im Zusam-
  80. menhang mit den Umsatzsteuervoranmeldungen – in der Folge weiterführen
  81. sollte. An der Initiierung und Abwicklung der Geschäfte in Bulgarien nahm der
  82. Angeklagte nicht mehr teil. Er stellte jedoch die Daten der Umsatzsteuervoranmeldungen für die Niederlassung der X-.
  83. zusammen und veranlasste die
  84. elektronische Weiterleitung der Voranmeldungen an das Finanzamt.
  85. -5-
  86. 5
  87. Bei Nachfragen stand der Angeklagte mit den Mitarbeitern des Finanzamts telefonisch und per E-Mail im Kontakt und reichte erforderlichenfalls weitere Unterlagen ein, die er teilweise unterschrieb oder mit einem Faksimile seiner
  88. Unterschrift versah. Den Geschäftsführer- und Gesellschafterwechsel bei der
  89. X-.
  90. zeigte der Angeklagte dem Finanzamt nicht an. Er behielt ebenso wie
  91. sein Vater umfassende Kontovollmacht über das Geschäftskonto bei der Bank
  92. in F.
  93. , auf das auch die Vorsteuererstattungen des Finanzamts erfolgten.
  94. Von diesem Konto nahm der Angeklagte Barabhebungen vor und tätigte Überweisungen auf sein Privatkonto. Demgegenüber hatte der anderweitig verfolgte
  95. M.
  96. 6
  97. für das Geschäftskonto zu keinem Zeitpunkt eine Kontovollmacht.
  98. 2. Für die Monate Februar sowie August bis Dezember 2009 und Febru-
  99. ar bis April 2010 veranlasste der Angeklagte die elektronische Übermittlung unrichtiger Umsatzsteuervoranmeldungen der X-.
  100. an das Finanzamt. Obwohl
  101. es in diesem Zeitraum keine reguläre Geschäftstätigkeit der Niederlassung der
  102. Gesellschaft gab, machte der Angeklagte in den Steueranmeldungen jeweils
  103. die Vorsteuer für den Erwerb von Pkw geltend und erklärte als Ausgangsumsatz ausschließlich die (steuerfreie) innergemeinschaftliche Lieferung dieser
  104. Pkw. Zum Nachweis der geltend gemachten Vorsteuerbeträge legte der Angeklagte dem Finanzamt Unterlagen wie Auftragsbestätigungen, verbindliche Bestellungen oder Rechnungen vor. Diese Unterlagen wiesen im Briefkopf jeweils
  105. Autohäuser aus, welche die Unterlagen nicht erstellt und auch keine Fahrzeuge
  106. an die X-.
  107. geliefert hatten. Bevor der Angeklagte die Unterlagen beim Fi-
  108. nanzamt einreichte, brachte er auf den darunter befindlichen verbindlichen Bestellungen sowie einem Kaufvertrag seine Unterschrift bzw. ein Faksimile seiner
  109. Unterschrift an.
  110. -6-
  111. 7
  112. In den neun für die X-.
  113. eingereichten Umsatzsteuervoranmeldungen
  114. machte der Angeklagte zu Unrecht Vorsteuerbeträge in Höhe von insgesamt
  115. 152.222,83 Euro geltend. Das Finanzamt erstattete jeweils die geltend gemachten Vorsteuerbeträge an die X-.
  116. . Lediglich auf die Vorsteueranmeldung für
  117. den Monat April 2010 hin kam es zu keiner Zustimmung des Finanzamts und
  118. Auszahlung der geltend gemachten Vorsteuerbeträge von 35.748,74 Euro
  119. mehr, weil das Finanzamt zuvor die Unrichtigkeit der Angaben durch Anfragen
  120. bei den Autohäusern ermitteln konnte. Das Finanzamt erstattete damit im Tatzeitraum zu Unrecht geltend gemachte Vorsteuerbeträge in einer Gesamthöhe
  121. von 115.474,09 Euro auf das Geschäftskonto der X-.
  122. . Obwohl der Ange-
  123. klagte nicht mehr Geschäftsführer und Gesellschafter der X-.
  124. war, nahm er
  125. im Tatzeitraum Barabhebungen in Höhe von mindestens 47.100 Euro von dem
  126. Geschäftskonto vor. Zudem überwies er von diesem Konto Beträge von
  127. 9.000 Euro sowie 10.000 Euro mit dem Verwendungszweck „Rückzahlung Darlehen
  128. 8
  129. S.
  130. “ auf sein Privatkonto.
  131. 3. Nach den Feststellungen des Landgerichts hatte es M.
  132. Erwerb der X-.
  133. mit dem
  134. und ihrer deutschen Niederlassung darauf angelegt, in
  135. Deutschland Steuern zu hinterziehen. Er wollte durch falsche Angaben einen
  136. Vorsteuererstattungsanspruch der Niederlassung der X-.
  137. vortäuschen und
  138. sich an den nicht gerechtfertigten Vorsteuererstattungen bereichern. Zu diesem
  139. Zweck stellten er oder seine Hintermänner dem Angeklagten die für die Einreichung beim Finanzamt zum Nachweis der Fahrzeugerwerbe erforderlichen Unterlagen zu Verfügung. M.
  140. war dabei bewusst, dass den angemeldeten
  141. Vorsteuern keine Fahrzeugankäufe zugrunde lagen.
  142. -7-
  143. 9
  144. 4. Das Landgericht hat die Handlungen des Angeklagten als neun Fälle
  145. der Urkundenfälschung gewertet, davon in acht Fällen in Tateinheit mit Beihilfe
  146. zur Steuerhinterziehung und in einem Fall, in dem das Finanzamt der Vorsteuererstattung nicht mehr zugestimmt hatte (§ 168 Satz 2 AO), mit Beihilfe zum
  147. Versuch der Steuerhinterziehung.
  148. 10
  149. a) Der Angeklagte sei in jedem der Fälle Täter einer Urkundenfälschung
  150. (§ 267 Abs. 1 StGB) gewesen, weil er zum Nachweis vermeintlicher Fahrzeugankäufe verfälschte oder unrichtige Urkunden gebraucht habe. Aus den beim
  151. Finanzamt eingereichten Rechnungen, verbindlichen Bestellungen sowie einem
  152. Kaufvertrag seien jeweils als Aussteller Autohäuser hervorgegangen, von denen diese Unterlagen nicht gestammt hätten.
  153. 11
  154. b) Zudem hat das Landgericht den Angeklagten jeweils als Gehilfen einer
  155. Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO, § 27 StGB) angesehen, weil er
  156. durch die elektronische Weiterleitung der Umsatzsteuervoranmeldungen unter
  157. Geltendmachung unberechtigter Vorsteuererstattungsansprüche die Steuerhinterziehungen des als Geschäftsführer der X-.
  158. erklärungspflichtigen M.
  159. gefördert habe. Der Angeklagte sei nicht Täter der Steuerhinterziehungen,
  160. weil er – abgesehen von den von ihm auf Unterlagen angebrachten Unterschriften – lediglich die von M.
  161. oder weiteren Hintermännern mitgeteilten Ge-
  162. schäftsdaten an das Finanzamt weitergeleitet habe, ohne selbst Einfluss auf Art
  163. und Umfang der gefälschten Dokumente sowie der Besteuerungsgrundlagen
  164. genommen zu haben. Außerdem habe er keine nachweisbaren Tatvorteile erzielt.
  165. -8-
  166. II.
  167. 12
  168. Revision der Staatsanwaltschaft
  169. 13
  170. 1. Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.
  171. 14
  172. a) Bereits die Beweiswürdigung, aufgrund derer das Landgericht festgestellt hat, dass der Angeklagte (nur) Steuerhinterziehungen des M.
  173. fördern
  174. wollte, weist durchgreifende Rechtsfehler zum Vorteil des Angeklagten auf.
  175. 15
  176. aa) Allerdings muss es das Revisionsgericht grundsätzlich hinnehmen,
  177. wenn der Tatrichter Zweifel an der Täterschaft des Angeklagten nicht zu überwinden vermag. Dies gilt nicht nur im Falle eines Freispruchs, sondern auch
  178. dann, wenn sich der Tatrichter lediglich von einem Gehilfenvorsatz überzeugen
  179. kann. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters. Es kommt nicht darauf
  180. an, ob das Revisionsgericht angefallene Erkenntnisse anders gewürdigt oder
  181. Zweifel überwunden hätte. Vielmehr hat es die tatrichterliche Überzeugungsbildung selbst dann hinzunehmen, wenn eine andere Beurteilung näher gelegen
  182. hätte oder überzeugender gewesen wäre (vgl. BGH, Urteil vom 24. März 2015
  183. – 5 StR 521/14, NStZ-RR 2015, 178). Dem Tatrichter obliegt es, das Ergebnis
  184. der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind (st.
  185. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 12. Februar 2015 – 4 StR 420/14, NStZ-RR 2015,
  186. 148 mwN). Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob dem
  187. Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht
  188. der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist
  189. oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.;
  190. vgl. nur BGH, Urteile vom 11. November 2015 – 1 StR 235/15, NZWiSt 2017,
  191. 36 und vom 23. Juli 2008 – 2 StR 150/08, NJW 2008, 2792 mwN).
  192. -9-
  193. 16
  194. bb) Solche Rechtsfehler liegen hier indes vor; denn die Beweiswürdigung
  195. des Landgerichts zur Frage, ob der Angeklagte (lediglich) M.
  196. bei seinen
  197. Steuerstraftaten unterstützen wollte oder aus den Taten (auch) eigene wirtschaftliche Vorteile erstrebte, ist lückenhaft. Ein Erörterungsmangel und damit
  198. eine Lücke sind dann gegeben, wenn sich der Tatrichter mit tatsächlich vorhandenen Anhaltspunkten für nahe liegende andere Möglichkeiten nicht auseinandergesetzt hat (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 26. Januar 2017 – 1 StR
  199. 385/16 mwN). So verhält es sich hier.
  200. 17
  201. Der Angeklagte räumte in seiner Einlassung weder einen Hinterziehungs- noch einen Gehilfenvorsatz ein. Er ließ sich vielmehr ein, „nicht genauer
  202. hingeschaut und die erhaltenen Informationen und Unterlagen nicht genauer
  203. geprüft zu haben“ (UA S. 18). Das Landgericht hält diese Einlassung für widerlegt. Der Angeklagte sei kein uninformierter „Sachbearbeiter“ gewesen, sondern
  204. sei nach wie vor gegenüber dem Finanzamt als Ansprechpartner aufgetreten,
  205. habe Auskünfte gegeben und habe Steuererklärungen unterschrieben (UA
  206. S. 27). Er habe erkannt, dass die ihm mitgeteilten Geschäfte fingiert waren (UA
  207. S. 29) und gewusst, dass die Unterlagen gefälscht waren, weil die jeweils unter
  208. dem Briefkopf der Lieferanten gemachten Abrechnungen und rechtsgeschäftlichen Erklärungen nicht von den Autohäusern herrührten (UA S. 30). Die Barabhebungen des Angeklagten von dem Geschäftskonto und die Überweisungen
  209. auf das Privatkonto des Angeklagten seien mit der Einlassung des Angeklagten
  210. nicht erklärbar. Die abgehobenen Beträge ließen sich weder betragsmäßig
  211. noch zeitlich in einen unmittelbaren Zusammenhang mit den erstatteten Umsatzsteuerbeträgen setzen (UA S. 29). Auch die Überweisungen auf das Privatkonto des Angeklagten mit dem Verwendungszweck „Rückzahlung Darlehen
  212. S.
  213. “ seien nicht mit der vom Angeklagten angegebenen Rückzah-
  214. lung an bulgarische Kunden in Einklang zu bringen (UA S. 30). Schließlich hält
  215. das Landgericht die Einlassung des Angeklagten nicht für nachvollziehbar, dass
  216. - 10 -
  217. er für seine Tätigkeit bei der Niederlassung der X-.
  218. keine Vergütung erhal-
  219. ten habe (UA S. 30).
  220. 18
  221. Ausgehend von diesen Erwägungen hätte das Landgericht nicht ohne
  222. jegliche Begründung davon ausgehen dürfen, der Angeklagte habe ohne nachweisbare Tatvorteile gehandelt (UA S. 31 f.) und habe mit seinem Tun (lediglich) eine fremde Tat unterstützen wollen. Es hätte vielmehr die nahe liegende
  223. Möglichkeit in Betracht ziehen müssen, dass der Angeklagte die von ihm vom
  224. Geschäftskonto der X-.
  225. abgehobenen und die auf sein Privatkonto über-
  226. wiesenen Geldbeträge für sich selbst behalten und nicht an M.
  227. herausge-
  228. geben haben könnte. Sofern nicht ein Tatbeteiligter bereits alle Tatbestandsmerkmale in eigener Person verwirklicht, handelt er bei Beteiligung mehrerer
  229. täterschaftlich, wenn er seinen eigenen Tatbeitrag dergestalt in die gemeinschaftliche Tat einfügt, dass sein Beitrag als Teil der Tätigkeit des anderen und
  230. umgekehrt dessen Tun als Ergänzung des eigenen Tatanteils erscheint (st.
  231. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 7. Oktober 2014 – 1 StR 182/14, Rn. 35, wistra
  232. 2015, 188).
  233. 19
  234. b) Der Schuldspruch (lediglich) wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung
  235. könnte im Übrigen auch auf der Grundlage der vom Landgericht getroffenen
  236. Feststellungen keinen Bestand haben. Denn bereits die festgestellte elektronische Einreichung vom Angeklagten erstellter unrichtiger Umsatzsteuervoranmeldungen bei den Finanzbehörden würde eine Verurteilung wegen täterschaftlich begangener Steuerhinterziehung tragen.
  237. 20
  238. aa) Angaben im Sinne von § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO macht, wer eine Tatsache gegenüber den bezeichneten Behörden bekundet. Gegenüber den Finanzbehörden dienen dazu in der Regel die nach §§ 149 ff. AO vorgesehenen Erklärungen, die der Steuerpflichtige (§ 33 AO) oder sonst Erklärungspflichtige
  239. - 11 -
  240. (§§ 34, 35 AO) auszufüllen und abzugeben hat (vgl. BGH, Beschluss vom
  241. 3. August 1995 – 5 StR 63/95, BGHR AO § 370 Abs. 1 Nr. 1 Angaben 5). Der
  242. Straftatbestand des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO ist kein Sonderdelikt und setzt die
  243. Eigenschaft als Steuerpflichtiger nicht voraus. Täter einer Steuerhinterziehung
  244. durch aktives Tun (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO) kann daher auch derjenige sein, den
  245. selbst keine steuerlichen Pflichten treffen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom
  246. 6. Juni 2007 – 5 StR 127/07, Rn. 17, BGHSt 51, 356, 359 und Beschluss vom
  247. 3. September 1970 – 3 StR 155/69, BGHSt 23, 319, 322 zu § 392 RAO; Jäger
  248. in Klein, AO, 13. Aufl., § 370 Rn. 25; jeweils mwN). Ausreichend ist, dass er
  249. durch unrichtige Angaben auf ein steuerliches Verfahren Einfluss nimmt (vgl.
  250. BGH aaO, BGHSt 51, 356, 359).
  251. 21
  252. Nach dem Gesetzeswortlaut des § 25 Abs. 1 StGB („wer die Straftat
  253. selbst ... begeht“) ist derjenige, der einen Tatbestand eigenhändig verwirklicht,
  254. stets Täter und nicht Gehilfe (vgl. BGH, Urteile vom 26. November 1986 – 3 StR
  255. 107/86, BGHR AO § 370 Abs. 1 Nr. 1 Täter 1; vom 15. September 1988
  256. – 4 StR 352/88, BGHSt 35, 347; vom 19. Februar 1992 – 2 StR 568/91, BGHR
  257. BtMG § 30 Abs. 1 Nr. 4 Täter 1 und vom 17. August 1993 – 1 StR 266/93,
  258. BGHR StGB § 25 Abs. 1 Begehung, eigenhändige 3; OLG Stuttgart, Urteil vom
  259. 16. September 1977 – 3 Ss (10) 497/77, NJW 1978, 715; Schünemann in LKStGB, 12. Aufl., § 25 StGB Rn. 53; Fischer, StGB, 64. Aufl., Vor § 25 Rn. 4a;
  260. Joecks in Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8. Aufl., § 369 Rn. 75; Joecks
  261. in MüKo-StGB, 3. Aufl., § 25 Rn. 37). In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist anerkannt, dass wer den Tatbestand mit eigener Hand erfüllt,
  262. grundsätzlich selbst dann Täter ist, wenn er es unter dem Einfluss und in Gegenwart eines anderen nur in dessen Interesse tut (BGH, Urteile vom
  263. 10. Januar 1956 – 5 StR 529/55, BGHSt 8, 393; vom 22. Juli 1992 – 3 StR
  264. 35/92, BGHSt 38, 315, 317 mwN; vom 14. Oktober 1992 – 3 StR 311/92, NStZ
  265. 1993, 138; vom 25. Mai 1994 – 3 StR 79/94, BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 1
  266. - 12 -
  267. Einfuhr 34 und vom 12. August 1998 – 3 StR 160/98, BGHR BtMG § 29 Abs. 1
  268. Nr. 1 Einfuhr 36).
  269. 22
  270. bb) Diese Voraussetzungen waren nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen erfüllt. Der Angeklagte hatte nicht nur die Daten für die Umsatzsteuervoranmeldungen eigenständig zusammengestellt und war für die
  271. Kommunikation mit den Finanzbehörden zuständig, sondern hatte auch die alleinige Tatherrschaft über die elektronische Einreichung der inhaltlich unrichtigen Umsatzsteuervoranmeldungen (UA S. 6). Ihm sind die unrichtigen Umsatzsteuervoranmeldungen daher als eigene, für die X-.
  272. abgegebene, Erklä-
  273. rungen zuzurechnen. Demgegenüber lieferte der Hintermann M.
  274. , welcher
  275. die deutsche Sprache nicht beherrschte, lediglich inhaltlich unrichtige Unterlagen über den angeblichen Kauf von Kraftfahrzeugen, wobei der Angeklagte die
  276. Unterlagen erst noch mit seiner Unterschrift versehen musste, bevor er sie
  277. – wiederum in eigener Person – bei den Finanzbehörden einreichte.
  278. 23
  279. c) Eine entsprechende Abänderung des Schuldspruchs kommt hier
  280. gleichwohl nicht in Betracht, weil auch die Verurteilung des Angeklagten wegen
  281. jeweils tateinheitlich begangener Urkundenfälschung keinen Bestand hat. Zwar
  282. stünden die vom Landgericht angenommenen Urkundenfälschungen hier jeweils in Tateinheit mit der Steuerstraftat (vgl. BGH, Beschluss vom
  283. 11. September 2003 – 5 StR 253/03, wistra 2003, 429). Jedoch lassen die Urteilsfeststellungen nicht erkennen, ob die dem Finanzamt übermittelten Unterlagen die Merkmale von Urkunden im Sinne von § 267 Abs. 1 StGB aufwiesen.
  284. 24
  285. Dabei ist es ohne Bedeutung, ob die verfälschten oder gefälschten Unterlagen – wie die Verteidigung geltend macht und nach den Urteilsfeststellungen nicht auszuschließen ist – möglicherweise den Finanzbehörden nicht in
  286. Papierform, sondern auf elektronischem Weg vorgelegt worden sind. Denn in
  287. - 13 -
  288. der Übertragung auf elektronischem Weg – wie dies auch bei einem Telefax der
  289. Fall ist – kann ein Gebrauchmachen von der Urschrift liegen (vgl. BGH, Urteile
  290. vom 16. Juni 2016 – 1 StR 20/16, wistra 2017, 20 mwN und vom 11. Mai 1971
  291. – 1 StR 387/70, BGHSt 24, 140). Dies setzt jedoch voraus, dass die erstellten
  292. oder verfälschten Schriftstücke die Merkmale einer Urkunde im Sinne des § 267
  293. Abs. 1 StGB aufweisen (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Juli 1999 – 5 StR 684/98,
  294. NStZ 1999, 620). Selbst mit computertechnischen Maßnahmen – wie der Veränderung eingescannter Dokumente – erstellten Schriftstücken ist mangels
  295. Beweiseignung kein Urkundencharakter beizumessen, wenn sie nach außen
  296. als bloße Reproduktion erscheinen (vgl. BGH, Urteil vom 16. Juni 2016 – 1 StR
  297. 20/16, wistra 2017, 20 und Beschluss vom 9. März 2011 – 2 StR 428/10, wistra
  298. 2011, 307 mwN). Sie sind aber dann (unechte) Urkunden, wenn die (veränderten) Reproduktionen Originalurkunden so ähnlich sind, dass die Möglichkeit
  299. einer Verwechslung nicht ausgeschlossen werden kann (vgl. BGH aaO).
  300. 25
  301. Ob dies bei den vom Angeklagten verwendeten Schriftstücken der Fall
  302. war, ergeben die Urteilsfeststellungen nicht. Ihnen ist lediglich zu entnehmen,
  303. dass die vorgefertigten Texte unter der Firma des jeweiligen Autohauses angebracht waren (UA S. 11). Ob die Unterlagen als Originale erschienen oder als
  304. Reproduktionen zu erkennen waren, geht aus den Urteilsgründen nicht hervor.
  305. 26
  306. Der Schuldspruch kann daher insgesamt keinen Bestand haben und ist
  307. mit den Feststellungen aufzuheben. Die Sache bedarf insgesamt neuer tatrichterlicher Prüfung.
  308. - 14 -
  309. III.
  310. 27
  311. Revision des Angeklagten
  312. 28
  313. Das Rechtsmittel des Angeklagten hat ebenfalls bereits mit der Sachrüge
  314. Erfolg.
  315. 29
  316. 1. Die Feststellungen tragen aus den zur Revision der Staatsanwaltschaft genannten Gründen den Schuldspruch wegen Urkundenfälschung in
  317. neun Fällen nicht. Für keinen der Fälle lässt sich den Urteilsfeststellungen entnehmen, ob die für die Vorlage an das Finanzamt verwendeten Schriftstücke
  318. die erforderlichen Merkmale einer Urkunde im Sinne von § 267 Abs. 1 StGB
  319. aufwiesen. Damit belegen die Urteilsgründe nicht, dass der Angeklagte gegenüber den Finanzbehörden von verfälschten oder unechten Urkunden Gebrauch
  320. gemacht hat. Zudem lassen die Urteilsgründe nicht erkennen, ob die Schriftstücke den Finanzbehörden in Papierform oder auf elektronischem Wege (etwa
  321. per Telefax oder nach Einscannen als Dateianhang zu einer E-Mail) vorgelegt
  322. worden sind.
  323. 30
  324. 2. Neben der somit gebotenen Aufhebung des Schuldspruchs wegen der
  325. neun Urkundenfälschungen kann auch die jeweils tateinheitliche Verurteilung
  326. des Angeklagten wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung keinen Bestand haben. Dies zieht auch die Aufhebung des gesamten Strafausspruchs nach sich.
  327. Angesichts der Lückenhaftigkeit der Feststellungen zu wesentlichen Umständen
  328. der Tathandlung hebt der Senat auch alle Urteilsfeststellungen auf, um dem
  329. neuen Tatrichter insgesamt neue und widerspruchsfreie Feststellungen zu ermöglichen.
  330. - 15 -
  331. 31
  332. 3. Auf die vom Angeklagten erhobene Verfahrensrüge kommt es daher
  333. nicht mehr an. Dasselbe gilt für den Umstand, dass die vom Landgericht vorgenommene Bestimmung der Höhe des Tagessatzes nicht den Begründungsanforderungen entsprach (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 25. April 2017 – 1 StR
  334. 147/17, StraFo 2017, 338 und Urteil vom 13. Juli 2017 – 1 StR 536/16, jeweils
  335. mwN).
  336. IV.
  337. 32
  338. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
  339. 33
  340. Der neue Tatrichter wird besonderes Augenmerk auf die Fragen zu legen
  341. haben, auf welche konkrete Art und Weise und durch wen die Umsatzsteuervoranmeldungen beim Finanzamt eingereicht wurden und welche Unterlagen
  342. (verbindliche Bestellungen, Rechnungen, Kaufverträge) mit welchem Inhalt und
  343. welchen Urkundenmerkmalen, auf welchem Wege und durch wen an die
  344. Finanzbehörden übermittelt wurden.
  345. Raum
  346. Jäger
  347. Cirener
  348. Bellay
  349. Fischer