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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. 1 StR 195/02
  3. BESCHLUSS
  4. vom
  5. 2. Juli 2002
  6. in der Strafsache
  7. gegen
  8. wegen versuchten Mordes u.a.
  9. -2-
  10. Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 2. Juli 2002 gemäß § 349
  11. Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
  12. 1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 15. Januar 2002 im Rechtsfolgenausspruch
  13. mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
  14. 2. Die weitergehende Revision des Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil wird als unbegründet verworfen.
  15. 3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung
  16. und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an
  17. eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
  18. Gründe:
  19. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit schwerem Raub, räuberischem Angriff auf Kraftfahrer und gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt. Nach
  20. den Feststellungen des Landgerichts dirigierte der Angeklagte den Taxifahrer
  21. H.
  22. R.
  23. als dessen Fahrgast auf einen Feldweg, stach dort mit einem
  24. Messer auf diesen ein, brachte dessen Barschaft an sich und flüchtete mit dem
  25. nun von ihm gesteuerten Taxi. Die Voraussetzungen erheblich verminderter
  26. Schuldfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit und der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt hat die Strafkammer verneint. Die Revision
  27. -3-
  28. des Angeklagten, die die Verletzung sachlichen Rechts rügt, hat zum Rechtsfolgenausspruch Erfolg.
  29. 1. Die Strafzumessung des Landgerichts hält rechtlicher Nachprüfung
  30. nicht stand. Die Strafkammer hat dem Angeklagten straferschwerend angelastet, daß er nach der Tat mit großem Aufwand deren Spuren zu verwischen
  31. suchte. Er habe die von ihm getragene Tatkleidung weggeworfen, das Taxi in
  32. einem Hohlweg im Wald verborgen und seine Fingerspuren mittels Öl entfernt,
  33. welches er nach nochmaliger Rückkehr an den Abstellort von zu Hause mitgebracht habe (UA S. 37).
  34. Das ist rechtsfehlerhaft. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist allein der Versuch, sich selbst durch Beseitigung von Tatspuren
  35. der Strafverfolgung zu entziehen, kein zulässiger Strafschärfungsgrund. Zu
  36. Recht weist der Generalbundesanwalt darauf hin, daß dies selbst dann gilt,
  37. wenn die Spurenbeseitigung umsichtig oder kaltblütig vorgenommen wird (vgl.
  38. dazu nur BGHR StGB § 46 Abs. 2 - Nachtatverhalten 13, 17, 18). Anders kann
  39. es sich allenfalls dann verhalten, wenn der Täter dadurch neues Unrecht
  40. schafft oder mit seinem Verhalten weitergehende Ziele verfolgt, die ein ungünstiges Licht auf ihn werfen (BGH aaO). Solches läßt sich den Urteilsfeststellungen hier indessen nicht entnehmen.
  41. Der Senat vermag nicht auszuschließen, daß sich die in Rede stehende,
  42. zu beanstandende Straffindungserwägung auf die Höhe der verhängten Freiheitsstrafe ausgewirkt haben kann. Deshalb unterliegt der Strafausspruch der
  43. Aufhebung.
  44. 2. Durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet der Rechtsfolgenausspruch auch im übrigen, weil die Erwägungen des Landgerichts zur
  45. Verneinung erheblich verminderter Schuldfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit
  46. -4-
  47. und eines Hanges im Sinne des § 64 Abs. 1 StGB unter Erörterungsmängeln
  48. leiden.
  49. a) Aus den Urteilsgründen ergibt sich, daß der 1976 geborene Angeklagte, der mit seiner Familie 1995 nach Deutschland übergesiedelt war, trinkgewohnt war. Er nahm bereits in Kasachstan Marihuana. 1995 kamen Erfahrungen mit Ecstacy, Kokain und Heroin hinzu. Im Jahr 1998 begann er, Heroin
  50. zunächst zu schniefen, später dann zu injizieren. Ab dem Jahr 1999 nahm er
  51. auch Kokain, das er später ebenfalls spritzte. Höhere Dosen als 1 g Heroin
  52. oder Kokain auf den Tag verteilt führte er sich indessen nicht zu. In den Jahren
  53. 2000 und 2001 gab es immer wieder Abstinenzzeiten, wobei es ihm jedoch
  54. nicht möglich war, diese über einen Zeitraum von mehr als einem Monat durchzuhalten. Am Nachmittag und Abend vor der Tat, gegen 14.00 Uhr und
  55. 21.00 Uhr, injizierte er sich Heroin. Beweggrund für den Überfall auf den Taxifahrer am folgenden Morgen war, daß er sich in einer schwierigen finanziellen
  56. Situation befand. Tags zuvor fühlte er sich schlecht und hatte Entzugserscheinungen. Seine Handyrechnung in Höhe von 822 DM konnte er nicht bezahlen.
  57. Sein Girokonto bei der Kreissparkasse stand mit 6.000 DM im Soll. Nach der
  58. am 27. Mai 2001 begangenen Tat und noch vor dem Versuch der Spurenbeseitigung besorgte sich der Angeklagte von einem Dealer für 50 DM Heroin
  59. und spritzte es sich. Im Anschluß an die Spurenbeseitigung erwarb er nochmals für 50 DM 0,2 g Heroin, das er sich injizierte, kaufte in den folgenden Tagen nochmals Heroin und hatte bei seiner Festnahme am 31. Mai 2001 aus
  60. dem erbeuteten Geld noch 100 DM zur Verfügung. Der Drogenkonsum des
  61. Angeklagten wurde durch die festgestellten Drogenwerte im Urin und in den
  62. Haaren belegt, in denen sich bei der chemischen Analyse sehr hohe Werte von
  63. Kokain und hohe Werte von Heroin fanden.
  64. Die Strafkammer folgert mit dem Sachverständigen aus dem Umstand,
  65. daß der Angeklagte das gesamte erbeutete Geld nicht binnen kurzem in Dro-
  66. -5-
  67. gen umgesetzt habe, sondern bei seiner Ergreifung wenige Tage später noch
  68. 100 DM aus der Beute - in Höhe von ca. 1.100 DM - zur Verfügung hatte, daß
  69. beim Angeklagten keine erhebliche Entzugsproblematik vorgelegen habe. Daraus ergebe sich auch, daß es sich bei der Tat nicht um eine klassische Beschaffungstat gehandelt habe, auch wenn eine beabsichtigte Drogenbeschaffung "mit Motiv für die Tat" gewesen sei. Der Angeklagte habe das Geld neben
  70. dem Erwerb von Drogen auch noch zur Bezahlung seiner Handyrechnung und
  71. für die Rückführung des Sollsaldos seines Girokontos benötigt.
  72. Im Rahmen der Erörterung einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt hat die Strafkammer ausgeführt, zwischen der Tat und der Alkohol- bzw.
  73. Drogensucht des Angeklagten bestehe kein "direkter unmittelbarer Kausalzusammenhang". Die vorhandene Alkohol- und Drogensucht erreiche nach ihren
  74. aufgetretenen Symptomen keinen solchen Schwergrad, daß sie als psychische
  75. Störung und psychiatrische Erkrankung im Sinne eines Hanges, alkoholische
  76. Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen,
  77. gewertet werden könne. Dafür spreche auch in diesem Zusammenhang der
  78. "Rest von 100 DM der Beute", welche der Angeklagte trotz seines Drogenkonsums in den Tagen zuvor noch als Restgeld aus der Beute zur Verfügung gehabt habe, ohne sie schon zuvor für Drogenerwerb verwendet zu haben (UA
  79. S. 38).
  80. b) Diese Ausführungen werden den an eine Prüfung der Voraussetzungen des § 21 StGB sowie des § 64 StGB zu stellenden Anforderungen nicht in
  81. jeder Hinsicht gerecht. Nach den getroffenen Feststellungen ist es nicht ausgeschlossen, daß der Angeklagte bei Begehung der Straftat von der Angst vor
  82. ihm bekannten und sich steigernden Entzugserscheinungen beherrscht war.
  83. Ein derartiger Zustand kann die Hemmungsfähigkeit erheblich einschränken
  84. und deshalb für die Annahme der Voraussetzungen von § 21 StGB ausreichen.
  85. -6-
  86. Ein völliges Fehlen der Hemmungsfähigkeit ist indessen ersichtlich auszuschließen.
  87. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs begründet die
  88. Abhängigkeit von Betäubungsmitteln für sich allein zwar noch nicht die erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit (§ 21 StGB). Derartige Folgen sind bei
  89. einem Rauschgiftsüchtigen nur ausnahmsweise gegeben, wenn langjähriger
  90. Betäubungsmittelgenuß zu schwerster Persönlichkeitsveränderung geführt hat
  91. oder der Täter unter starken Entzugserscheinungen leidet und durch sie dazu
  92. getrieben wird, sich mittels einer Straftat Drogen zu verschaffen; ferner unter
  93. Umständen dann, wenn er das Delikt im Zustand eines aktuellen Rausches
  94. verübt. Zu bedenken ist aber auch der Sonderfall, daß die Angst des Täters vor
  95. nahe bevorstehenden körperlichen Entzugserscheinungen, die er schon als
  96. "grausamst" erlitten hat, die Annahme einer erheblichen Verminderung der
  97. Steuerungsfähigkeit ermöglicht (vgl. BGH NStZ 2001, 83; 1989, 430; BGHR
  98. StGB § 21 - BtM-Auswirkungen 11, 12). Nach den vom Landgericht im übrigen
  99. getroffenen Feststellungen hätte es sich auf der Grundlage dieses Maßstabes
  100. auch damit auseinandersetzen müssen.
  101. Darüber hinaus ist zu besorgen, daß die Strafkammer bei der Prüfung
  102. der Voraussetzungen des § 64 StGB nicht in jeder Hinsicht von einem zutreffenden rechtlichen Maßstab ausgegangen ist. Ein "Hang" im Sinne dieser Vorschrift ist nicht nur - wovon das Landgericht möglicherweise ausgeht - eine
  103. chronische, auf körperlicher Sucht beruhende Abhängigkeit; es genügt vielmehr eine eingewurzelte, aufgrund psychischer Disposition bestehende oder
  104. durch Übung erworbene intensive Neigung, immer wieder Rauschmittel im
  105. Übermaß zu sich zu nehmen. Diese Neigung muß noch nicht den Grad phys ischer Abhängigkeit erreicht haben (vgl. BGHR StGB § 64 - Hang 4, 5).
  106. -7-
  107. Diese rechtlichen Mängel führen dazu, daß der Rechtsfolgenausspruch
  108. insgesamt neu verhandelt werden muß.
  109. Schäfer
  110. Wahl
  111. Schluckebier
  112. Boetticher
  113. Hebenstreit