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  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. 1 StR 109/11
  4. vom
  5. 31. März 2011
  6. in der Strafsache
  7. gegen
  8. wegen gefährlicher Körperverletzung
  9. -2-
  10. Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 31. März 2011 gemäß den
  11. §§ 349 Abs. 2 und 4, 354 Abs. 1 StPO beschlossen:
  12. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
  13. Kempten (Allgäu) vom 30. November 2010 wird mit der Maßgabe
  14. als unbegründet verworfen, dass die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt entfällt.
  15. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die
  16. dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
  17. Gründe:
  18. 1
  19. 1. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu sechs Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Außerdem hat es ihn in einer
  20. Entziehungsanstalt untergebracht sowie zu einer Schadensersatz- und einer
  21. Schmerzensgeldzahlung an den Geschädigten verurteilt. Die hiergegen gerichtete, ausschließlich auf die nicht näher ausgeführte Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten führt zum Wegfall der Unterbringungsanordnung (§ 349
  22. Abs. 4 StPO) und bleibt im Übrigen erfolglos (§ 349 Abs. 2 StPO).
  23. 2
  24. 2. Nach den landgerichtlichen Feststellungen war der Angeklagte am
  25. 24. Oktober 2009 gegen 5.00 Uhr einer Spielhalle verwiesen worden, nachdem
  26. er das in einem Automaten steckende Geld eines anderen Gastes eigenmächtig verspielt hatte. Aus „Frust“ hierüber entschloss er sich, den ihm unbekannten, zufällig begegnenden
  27. A.
  28. zusammenzuschlagen. Während dieser
  29. deutlich alkoholisiert war, hatte der Angeklagte eine die Steuerungsfähigkeit
  30. -3-
  31. nicht beeinträchtigende Blutalkoholkonzentration zwischen 0,27 und 0,69 Promille. In der Folge schlug und trat der Angeklagte seinem Zufallsopfer derart ins
  32. Gesicht, dass es mit mehreren Frakturen „regungslos und röchelnd“ am Boden
  33. liegen blieb und mehrfach operiert werden musste.
  34. 3
  35. Zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten hat das Landgericht
  36. festgestellt: Dieser ist im Oktober 2002 nach Deutschland übergesiedelt. Sowohl in den ersten sechs Monaten hier als auch zuvor in seinem Herkunftsland
  37. Kasachstan hat er „fast jeden Tag“ vor allem Bier und Wodka konsumiert, „bis
  38. er betrunken war“. Bereits in der Folge hat er seinen Alkoholkonsum reduziert,
  39. weil er deshalb „Probleme im Zusammenhang mit Schlägereien bekam“ und
  40. deswegen verurteilt wurde. Den Vorstrafen des Angeklagten, der letztmals am
  41. 2. Januar 2006 straffällig geworden ist, liegen dementsprechend u.a. drei im
  42. Jahr 2003 jeweils unter Alkoholeinfluss begangene - mit zwei Geldstrafen zu je
  43. 50 Tagessätzen sowie einer zweimonatigen Freiheitsstrafe geahndete - Körperverletzungen zugrunde. Nach der jetzigen Tat hat er seinen Alkoholkonsum auf
  44. „ein bis zwei halbe Bier an drei Tagen unter der Woche“ reduziert und an Wochenenden lediglich noch im Kreis seiner Familie Alkohol getrunken. Der Angeklagte hat Ende 2006 geheiratet und lebt mit seiner Frau und seiner im Folgejahr geborenen Tochter zusammen. Seit Ende 2005 ist er ununterbrochen bei
  45. einer Firma als angelernter Fassadenbauarbeiter beschäftigt.
  46. 4
  47. 3. Die vom Landgericht bejahten Voraussetzungen der Unterbringung in
  48. einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) liegen danach nicht vor. Es fehlt jedenfalls an einem Hang, Alkohol „im Übermaß“ zu sich zu nehmen. Deshalb
  49. braucht der Senat der Frage, ob die gefährliche Körperverletzung hier als Symptomtat i.S.d. § 64 StGB angesehen werden könnte, nicht nachzugehen.
  50. -4-
  51. 5
  52. a) Ein Hang i.S.d. § 64 StGB liegt nämlich nur vor, wenn entweder eine
  53. chronische, auf Sucht beruhende körperliche Abhängigkeit gegeben ist - hierfür
  54. bestehen keinerlei Anhaltspunkte - oder ohne körperliche Abhängigkeit eine
  55. eingewurzelte,
  56. auf
  57. psychische
  58. Disposition
  59. zurückgehende
  60. oder
  61. durch
  62. Übung erworbene intensive Neigung besteht, immer wieder Alkohol (oder andere berauschende Mittel) zu konsumieren, und zwar „im Übermaß“. Dies wäre zu
  63. bejahen, wenn der Angeklagte aufgrund einer - allein in Betracht kommenden psychischen Abhängigkeit sozial gefährdet oder gefährlich erschiene. Da er
  64. keine sog. Beschaffungstat begangen hat (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 10. November 2004 - 2 StR 329/04, NStZ 2005, 210), könnte hierauf indiziell hindeuten, wenn der Angeklagte Alkohol in einem solchen Umfang zu sich nehmen
  65. würde, dass seine Gesundheit, Arbeits- und Leistungsfähigkeit dadurch erheblich beeinträchtigt wird (vgl. BGH, Beschluss vom 6. November 2003 - 1 StR
  66. 406/03, BGHR StGB § 64 Hang 2; BGH, Beschluss vom 6. November 2003
  67. - 1 StR 451/03, NStZ 2004, 384; BGH, Beschluss vom 1. April 2008 - 4 StR
  68. 56/08).
  69. 6
  70. b) Solches lässt sich dem Urteil nicht entnehmen. Das Landgericht hat
  71. vielmehr festgestellt, dass der Angeklagte seit Ende 2005 ohne Unterbrechung
  72. beim selben Arbeitgeber im Fassadenbau arbeitet, nachdem es ihm bereits etwa zwei Jahre zuvor, also im Alter von 20 Jahren, gelungen war, weniger Alkohol zu trinken. Der Angeklagte lebt seit mehreren Jahren mit seiner Familie zusammen. Auch der Umstand, dass er im Anschluss an die mehr als 13 Monate
  73. vor dem Urteil begangene Tat seinen Alkoholkonsum durchaus steuern, nämlich auf „ein bis zwei halbe Bier an drei Tagen unter der Woche“ erneut reduzieren und an Wochenenden lediglich noch auf im Kreis der Familie getrunkenen
  74. Alkohol beschränken konnte, spricht gegen eine psychische Abhängigkeit (vgl.
  75. BGH, Beschluss vom 13. Juni 2008 - 2 StR 111/08). Die Tat selbst hat der Angeklagte nur geringfügig alkoholisiert, insbesondere ohne erhebliche Einschrän-
  76. -5-
  77. kung seiner Steuerungsfähigkeit verübt. Da maßgeblich für die Feststellung des
  78. Hanges der Zeitpunkt des Urteils ist, kam den im Jahr 2003 unter Alkoholeinfluss begangenen drei Körperverletzungen entgegen der Ansicht des Landgerichts keine maßgebliche Bedeutung mehr zu. Nach alledem ist für eine Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt kein Raum.
  79. 7
  80. 4. Da das Landgericht die für die Beurteilung eines Hanges wesentlichen
  81. Umstände festgestellt hat, kann der Senat vorliegend ausschließen, dass eine
  82. neue Verhandlung Feststellungen ergeben könnte, die ein anderes Ergebnis
  83. rechtfertigen würden. Er erkennt daher entsprechend § 354 Abs. 1 StPO auf
  84. den Wegfall der Unterbringungsanordnung (vgl. BGH, Beschluss vom 6. November 2003 - 1 StR 451/03, NStZ 2004, 384 mwN).
  85. -6-
  86. 8
  87. 5. Trotz dieses Teilerfolges der Revision hält es der Senat nicht für unbillig, den Angeklagten mit den vollen Rechtsmittelkosten zu belasten (§ 473
  88. Abs. 4 StPO). Es ist nicht erkennbar, dass der Angeklagte das Urteil nicht angefochten hätte, wenn von einer Unterbringung abgesehen worden wäre (vgl.
  89. BGH aaO).
  90. Richter am Bundesgerichtshof
  91. Dr. Wahl ist wegen Urlaubsabwesenheit an der Unterschriftsleistung
  92. gehindert.
  93. Rothfuß
  94. Rothfuß
  95. Elf
  96. Graf
  97. Sander