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19 KiB

1 year ago
  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. BESCHLUSS
  3. X ARZ 208/02
  4. vom
  5. 10. Dezember 2002
  6. in der Sache
  7. Nachschlagewerk:
  8. BGHZ
  9. :
  10. BGHR
  11. :
  12. ja
  13. ja
  14. ja
  15. ZPO § 32
  16. Nach Inkrafttreten von § 17 Abs. 2 GVG in der Fassung des Gesetzes vom
  17. 17. Dezember 1990 (BGBl. I S. 2809) hat das nach § 32 ZPO örtlich zuständige
  18. Gericht den Rechtsstreit unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten zu entscheiden, wenn im Gerichtsstand der unerlaubten Handlung im Rahmen der Darlegung eines Anspruchs aus unerlaubter Handlung ein
  19. einheitlicher prozessualer Anspruch geltend gemacht wird.
  20. BGH, Beschl. v. 10. Dezember 2002 - X ARZ 208/02 - Hanseatisches OLG
  21. Hamburg
  22. -2-
  23. Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 10. Dezember 2002
  24. durch den Vorsitzenden Richter Dr. Melullis, die Richter Prof. Dr. Jestaedt,
  25. Scharen, die Richterin Mühlens und den Richter Dr. Meier-Beck
  26. beschlossen:
  27. Der Antrag auf Bestimmung des zuständigen Gerichts wird auf Kosten der Antragstellerin zurückgewiesen.
  28. Gründe:
  29. I. Die Antragstellerin will die Beklagten als Gesamtschuldner im Wege
  30. des Gesamtschuldner-Regresses in Anspruch nehmen. Nach ihrer Darstellung
  31. beruht ihr Begehren auf folgender Begebenheit: Zwischen einem Rettungswagen der Antragstellerin und einem von dem in H.
  32. zu 2 gelenkten PKW kam es in H.
  33. leasten PKWs war die in P.
  34. wohnenden Antragsgegner
  35. zu einem Verkehrsunfall. Halter des ge-
  36. ansässige Antragsgegnerin zu 1. Die Antrag-
  37. stellerin ersetzte der Leasinggeberin den am Leasingfahrzeug entstandenen
  38. Schaden in voller Höhe. Sie meint, die Antragsgegner hätten sich jedenfalls in
  39. Höhe einer Haftungsquote von 30 % (entsprechend 2.541,90
  40. diese Weise entstandenen Kosten zu beteiligen.
  41.   
  42. -3-
  43. Die Antragstellerin hat am 10. April 2002 bei dem Hanseatischen Oberlandesgericht Hamburg beantragt, für die beabsichtigte Klage einen gemeinsamen Gerichtsstand zu bestimmen.
  44. Das Oberlandesgericht möchte diesen Antrag ablehnen, weil seiner Ansicht nach ein gemeinsamer besonderer Gerichtsstand besteht. An dem gemäß
  45. § 32 ZPO begründeten Gerichtsstand der unerlaubten Handlung in H.
  46. könnten auch konkurrierende Ansprüche aus § 426 Abs. 1 BGB geltend gemacht werden.
  47. Das Oberlandesgericht sieht sich an der beabsichtigten Entscheidung
  48. gehindert
  49. durch
  50. den
  51. Beschluß
  52. des
  53. Senats
  54. vom
  55. 19. Februar
  56. 2002
  57. (X ARZ 334/01, NJW 2002, 1425) und durch Entscheidungen verschiedener
  58. anderer Oberlandesgerichte.
  59. II. Die Vorlage ist nach § 36 Abs. 3 Satz 1 ZPO zulässig.
  60. Die vom vorlegenden Oberlandesgericht vertretene Rechtsauffassung,
  61. wonach im Gerichtsstand der unerlaubten Handlung auch über konkurrierende
  62. materiell-rechtliche Ansprüche nicht deliktsrechtlicher Art entschieden werden
  63. darf, steht in Widerspruch zu Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (z.B.
  64. Urt. v. 11.2.1980 - II ZR 259/78, VersR 1980, 846; Urt. v. 4.2.1986
  65. - VI ZR 220/84, NJW 1986, 2436, 2437) aus der Zeit vor Inkrafttreten von § 17
  66. Abs. 2 GVG in der Fassung des Gesetzes vom 17. Dezember 1990 (BGBl. I
  67. S. 2809; zukünftig: n.F.) und der Rechtsprechung verschiedener Oberlandesgerichte (OLG Hamm NJW-RR 2002, 1291; KG KGR 1995, 202; OLG Karlsruhe
  68. TranspR 1997, 166; OLG Köln MDR 2000, 170).
  69. -4-
  70. III. Der Antrag auf Bestimmung eines gemeinsamen Gerichtsstands ist
  71. unbegründet. Die Voraussetzungen des § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO sind nicht erfüllt.
  72. Für alle materiellen Ansprüche, die mit der beabsichtigten Klage geltend gemacht werden sollen, ist ein gemeinsamer Gerichtsstand am Ort des Unfalls
  73. (H.
  74. ) begründet.
  75. 1. Voraussetzung für die örtliche Zuständigkeit nach § 32 ZPO ist, daß
  76. der Kläger sein Begehren auf eine unerlaubte Handlung stützt, d.h. daß er einen materiellen Anspruch aus unerlaubter Handlung darlegt (vgl. Sen.Beschl. v.
  77. 19.2.2002 - X ARZ 334/01, NJW 2002, 1425). Eine dadurch begründete örtliche
  78. Zuständigkeit erstreckt sich nach dem Wortlaut der Bestimmung auf die "Klage". Der Gesetzeswortlaut knüpft damit insoweit nicht an materiell-rechtliche
  79. Kategorien an, sondern an den mit der Klage geltend gemachten prozessualen
  80. Streitgegenstand. Wird bei Darlegung einer unerlaubten Handlung mit der hierauf gestützten Klage ein einheitlicher prozessualer Anspruch geltend gemacht,
  81. hat das insoweit örtlich zuständige Gericht deshalb den Rechtsstreit nicht nur
  82. unter dem Gesichtspunkt der unerlaubten Handlung, sondern unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten zu prüfen und zu entscheiden.
  83. 2. Das ist auch hier der Fall. Die Darlegung der Antragstellerin ergibt,
  84. daß gegen beide Antragsgegner sowohl ein im Wege der Legalzession nach
  85. § 426 Abs. 2 BGB erworbener materieller Schadensersatzanspruch nach dem
  86. Straßenverkehrsgesetz, für den die örtliche Zuständigkeit jeweils nach § 32
  87. ZPO am Unfallort H.
  88. begründet ist, als auch ein Ausgleichsanspruch nach
  89. § 426 Abs. 1 BGB in Betracht kommt. Die hiernach möglichen materiellen
  90. Rechte bilden einen einheitlichen prozessualen Anspruch. Nach heutigem Ver-
  91. -5-
  92. ständnis sind hierfür maßgeblich der Klageantrag, in dem sich die vom Kläger in
  93. Anspruch genommene Rechtsfolge konkretisiert, und der Lebenssachverhalt
  94. (Anspruchsgrund), aus dem der Kläger die begehrte Rechtsfolge herleitet (st.
  95. Rspr., vgl. z.B. BGHZ 117, 1, 5 m.w.N.; auch Sen.Urt. v. 18.7.2000
  96. - X ZR 62/98, NJW 2000, 3492, 3493). Insoweit decken sich die hier in materieller Hinsicht einmal auf das StVG in Verbindung mit § 426 Abs. 2 BGB, zum
  97. anderen auf § 426 Abs. 1 BGB gestützten Begehren. Der materielle Anspruch
  98. aus § 426 Abs. 1 BGB ist zwar zunächst darauf gerichtet, daß der andere Gesamtschuldner seinem Anteil entsprechend zur Befriedigung des Gläubigers
  99. mitwirkt, also bei Fälligkeit der Schuld einen seinem Anteil entsprechenden Betrag an den Gläubiger zahlt und dadurch so handelt, daß es überhaupt nicht zu
  100. einem Rückgriff zu kommen braucht (st. Rspr., vgl. z.B. BGH, Urt. v. 7.11.1985
  101. - III ZR 142/84, NJW 1986, 978, 979; RGZ 79, 288, 290, 291). Sobald ein Gesamtschuldner mehr als den von ihm im Innenverhältnis geschuldeten Anteil an
  102. den Gläubiger gezahlt hat, kann jedoch unter Berufung auf ein und denselben
  103. Sachverhalt derselbe Klageantrag sowohl nach dem StVG in Verbindung mit
  104. § 426 Abs. 2 BGB als auch nach § 426 Abs. 1 BGB begründet sein.
  105. 3. Soweit vor Inkrafttreten des § 17 Abs. 2 GVG n.F. in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs - dem Reichsgericht (RGZ 27, 385) folgend aus § 32 ZPO entnommen wurde, im Gerichtsstand der unerlaubten Handlung
  106. dürfe trotz Geltendmachung eines einheitlichen prozessualen Anspruchs nur
  107. über die deliktsrechtlichen materiellen Anspruchsgrundlagen entschieden werden (BGH, Urt. v. 4.2.1986 - VI ZR 220/84, NJW 1986, 2436, 2437; BGH, Urt. v.
  108. 11.2.1980 - II ZR 259/78, VersR 1980, 846, jeweils m.w.N.; vgl. auch BGHZ 98,
  109. 362; BGH, Beschl. v. 3.3.1983 - I ARZ 682/82, NJW 1983, 1799), kann hieran
  110. nicht mehr festgehalten werden. Die dieser Auffassung zu Grunde liegende
  111. -6-
  112. Auslegung von § 32 ZPO, die zur Folge hat, daß dasselbe Begehren im allgemeinen Gerichtsstand des Beklagten unter Berufung auf nicht deliktsrechtliche
  113. Anspruchsgrundlagen erneut geltend gemacht werden kann (BGH, Urt. v.
  114. 5.7.1977 - VI ZR 268/75, VersR 1978, 59), ist in Anbetracht von § 17 Abs. 2
  115. GVG in der seit dem 1. Januar 1991 geltenden Fassung nicht mehr sachgerecht.
  116. a) Nach dieser Vorschrift muß ein Gericht, zu dem für ein bestimmtes
  117. Begehren der Rechtsweg eröffnet ist, den Streitgegenstand auch unter anderen, an sich nicht zur Zuständigkeit seines Rechtswegs gehörenden rechtlichen
  118. Gesichtspunkten prüfen und entscheiden. Hierdurch wird vermieden, daß es
  119. über denselben Streitgegenstand zu mehreren Verfahren in verschiedenen Gerichtszweigen kommt (BGHZ 114, 1, 2). Dabei wird in Kauf genommen, daß das
  120. zur Entscheidung berufene Gericht über Sachverhalt und Rechtsfragen zu befinden hat, die nicht zu seinem angestammten Zuständigkeitsbereich gehören
  121. und für die ein anderer Gerichtszweig möglicherweise größere Sachnähe besäße.
  122. Der darin zum Ausdruck kommende Rechtsgedanke muß im Zusammenhang mit der örtlichen Zuständigkeit ebenfalls zur Anwendung kommen.
  123. Wenn nach der Entscheidung des Gesetzgebers ein Gericht befugt und verpflichtet ist, über "rechtswegfremde" Anspruchsgrundlagen zu entscheiden,
  124. muß es erst recht befugt sein, über in seine Rechtswegzuständigkeit fallende
  125. Anspruchsgrundlagen zu entscheiden, die für sich gesehen seine örtliche Zuständigkeit nicht begründen würden.
  126. -7-
  127. Diesem Unstimmigkeiten zwischen den Regelungsbereichen von § 32
  128. ZPO einerseits und § 17 Abs. 2 GVG n.F. andererseits vermeidenden Schluß
  129. steht die Entstehungsgeschichte des Gesetzes vom 17. Dezember 1990 nicht
  130. entgegen. Danach sollten die Regelungen der ZPO über Verweisungen wegen
  131. örtlicher und sachlicher Zuständigkeit von den Regelungen über die Rechtswegzuständigkeit unberührt bleiben. Das zielte insbesondere auf § 281 ZPO,
  132. nicht auf § 32 ZPO; denn diese Vorschrift beinhaltet keine Regelung über Verweisungen; sie betrifft die einer Verweisung vorgelagerte Frage, ob ein Gericht
  133. zur Entscheidung zuständig ist. Zwischen der Frage, ob ein Gericht als örtlich
  134. zuständiges entscheiden darf, und der Frage, wie im Falle der Unzuständigkeit
  135. zu verfahren ist, besteht auch kein Zusammenhang, der es verlangte, von einer
  136. der Sache nach gebotenen Auslegung in dem einen Bereich abzusehen, solange die Regelungen im anderen Bereich unverändert bleiben.
  137. b) Allerdings haben sich auch nach Inkrafttreten von § 17 Abs. 2 GVG
  138. n.F. zahlreiche Stimmen für eine Beibehaltung der bisherigen Rechtsprechung
  139. zu § 32 ZPO ausgesprochen (vgl. die bereits zitierten Entscheidungen verschiedener Oberlandesgerichte; ferner OLG Hamburg OLG-Rep Hamburg
  140. 1996, 347, 348 sowie aus der Literatur MünchKomm.ZPO/Patzina, 2. Aufl., § 32
  141. Rdn. 19; Musielak/Smid, ZPO, 3. Aufl., § 12 Rdn. 8 ff. u. § 32 Rdn. 10; Stein/
  142. Jonas/Schumann, ZPO, 21. Aufl., § 32 Rdn. 17; Jauernig, Zivilprozeßrecht,
  143. 26. Aufl., § 12 II, S. 42; Würthwein, ZZP 106 (1993), 51, 75 f.; Hager, Festschrift
  144. Kissel, 1994, S. 327, 340 m. Fn. 51; Banniza v. Bazan, Der Gerichtsstand des
  145. Sachzusammenhangs im EUGVÜ, dem Lugano-Abkommen und im deutschen
  146. Recht, 1995, S. 152 ff. (mit dem Vorschlag, das Gesetz zu ändern); Spickhoff,
  147. ZZP 109 (1996), 493, 495 ff.; Mankowski, IPRax 1997, 173, 178; Peglau, MDR
  148. 2000, 723). Die hierfür angeführten Gründe stehen einer Auslegung des § 32
  149. -8-
  150. ZPO nach Maßgabe des § 17 Abs. 2 GVG in der seit dem 1. Januar 1991 geltenden Fassung jedoch nicht entgegen (im Ergebnis ebenso: BayObLG
  151. NJW-RR 1996, 509; OLG Koblenz ZMR 1997, 77; OLG Frankfurt NJW-RR
  152. 1996, 1341; OLG Hamburg MDR 1997, 884; OLG Köln NJW-RR 1999, 1081,
  153. 1082; OLG Hamm NJW-RR 2000, 727 f.; KG MDR 2000, 413; MünchKomm.ZPO/Lüke, 2. Aufl., vor § 253 Rdn. 39 u. § 261 Rdn. 59; Zimmermann,
  154. ZPO, 5. Aufl., § 32 Rdn. 5; Zöller/Vollkommer, ZPO, 23. Aufl., § 12 Rdn. 21 u.
  155. § 32
  156. Rdn. 20;
  157. Rosenberg/Schwab/Gottwald,
  158. Zivilprozeßrecht,
  159. 15. Aufl.,
  160. § 36 VI 2, S. 181; Schwab, Festschrift Zeuner, 1994, S. 499, 505 ff.; Hoffmann,
  161. ZZP 107 (1994), 3, 11 ff.; Geimer, LM § 29 ZPO Nr. 8; Gottwald, JZ 1997, 92,
  162. 93; U. Wolf, ZZP Int. 2 (1997), 125, 134 f.; Windel, ZZP 111 (1998), 3, 13 f.;
  163. Vollkommer, Festschrift Deutsch, 1999, S. 385, 395 ff.).
  164. Maßgeblicher Gesichtspunkt ist, daß der Gesetzgeber durch § 17 Abs. 2
  165. GVG n.F. zum Ausdruck gebracht hat, daß das Interesse an einer möglichst
  166. schnellen und einfachen Beilegung des Rechtsstreits höher zu bewerten ist als
  167. das Anliegen, das Bestehen von Rechten stets von demjenigen Gericht beantworten zu lassen, das zu der jeweiligen Rechtsmaterie die engsten Beziehungen hat. Das kann seitdem auch bei der Auslegung von § 32 ZPO nicht unberücksichtigt bleiben. Denn auch im Hinblick auf die örtliche Zuständigkeit besteht die durch § 17 Abs. 2 GVG n.F. im Sinne der Prozeßökonomie gelöste
  168. Interessenlage. Auch hier könnte es - wie ausgeführt - ansonsten dazu kommen, daß derselbe Streitgegenstand mehrfach Gegenstand eines Rechtsstreits
  169. werden kann.
  170. c) Demgegenüber ist nicht entscheidend (so aber OLG Hamburg OLGRep Hamburg 1996, 347, 348; OLG Karlsruhe TranspR 1997, 166, 167 f.;
  171. -9-
  172. Peglau, MDR 2000, 723; Spickhoff, ZZP 109 (1996), 493, 498; Würthwein, ZZP
  173. 106 (1993), 51, 76), daß der Kläger im Zivilprozeß - anders als in den Fällen
  174. des § 17 Abs. 2 GVG n.F. - jedenfalls bei Inanspruchnahme lediglich eines Beklagten - die Möglichkeit hat, eine einheitliche Entscheidung über alle Anspruchsgrundlagen herbeizuführen, indem er im allgemeinen Gerichtsstand des
  175. Beklagten klagt. Der Kläger braucht diese Möglichkeit nämlich nicht zu nutzen;
  176. für ihn mag es im Einzelfall sogar verlockend sein, eine "zweite Chance" zu haben. Demgegenüber ist der Beklagte regelmäßig und berechtigter Weise daran
  177. interessiert ist, daß er nach einer ersten Klage und deren Abweisung nicht erneut mit demselben, auf denselben Sachverhalt gestützten Begehren gerichtlich
  178. konfrontiert werden kann.
  179. Vor diesem Hintergrund vermag es auch nicht zu überzeugen, wenn eine
  180. umfassende Entscheidungsbefugnis des Gerichts im Gerichtsstand der unerlaubten Handlung als unberechtigte Bevorzugung des Klägers angesehen wird
  181. (so aber OLG Köln MDR 2000, 170; Peglau, MDR 2000, 723; Würthwein, ZZP
  182. 106 (1993), 51, 75 f.). Die vor Inkrafttreten von § 17 Abs. 2 GVG n.F. in der
  183. Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu § 32 ZPO vertretene Meinung wie
  184. die nunmehr vorgenommene Auslegung der Bestimmung bieten sowohl für den
  185. Kläger als auch für den Beklagten Vor- und Nachteile (vgl. Vollkommer, Festschrift Deutsch, 1999, S. 385, 398; Windel, ZZP 111 (1998), 3, 14). Keiner dieser Nachteile ist so gravierend, daß die eine oder andere Lösungsmöglichkeit
  186. von vornherein ausschiede. Im Ergebnis gibt deshalb die in § 17 Abs. 2 GVG in
  187. der seit dem 1. Januar 1991 geltenden Fassung zum Ausdruck kommende
  188. sachbezogene Wertung den Ausschlag zugunsten einer umfassenden Entscheidungskompetenz des berechtigter Weise angerufenen Gerichts des Gerichtsstands der unerlaubten Handlung.
  189. - 10 -
  190. Hieran ändert auch die verschiedentlich hervorgehobene Gefahr einer
  191. mißbräuchlichen Erschleichung von Zuständigkeiten (OLG Hamburg OLG-Rep
  192. Hamburg 1996, 347, 348; MünchKomm.ZPO/Patzina, § 32 Rdn. 19; Spickhoff,
  193. ZZP 109 (1996), 493, 502; Würthwein, ZZP 106 (1993), 51, 76 f.) nichts. Ihr
  194. wird schon dadurch begegnet, daß die Zuständigkeit nach § 32 ZPO nur dann
  195. besteht, wenn der Kläger einen Anspruch aus unerlaubter Handlung darlegt
  196. (Sen.Beschl. v. 19.2.2002 - X ARZ 334/01, NJW 2002, 1425). Hat der Kläger
  197. seiner Darlegungslast insoweit genügt und ist lediglich ein einheitlicher Streitgegenstand zu beurteilen, führt eine Klage im Gerichtstand der unerlaubten
  198. Handlung überdies regelmäßig dazu, daß der Streit insgesamt von einem ortsnahen Gericht erledigt werden kann, was die zu beurteilenden Handlungen anbelangt. Das dient nicht nur der Prozeßökonomie, sondern kann auch eine
  199. sachgerechte Entscheidung des Einzelfalls fördern.
  200. d) Der vorgenommenen Auslegung von § 32 ZPO steht die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur internationalen Zuständigkeit nicht entgegen. Danach ist die Entscheidungsbefugnis der deutschen Gerichte allerdings
  201. auf deliktsrechtliche Anspruchsgrundlagen beschränkt, soweit § 32 ZPO zur
  202. Begründung der internationalen Zuständigkeit herangezogen wird (BGHZ 132,
  203. 105, 112 f.; zur entsprechenden Rechtsprechung des EuGH zu Art. 5 EuGVÜ
  204. vgl. EuGH, Beschl. v. 27.9.1998 - Rs. 189/87, NJW 1988, 3088, 3089). Die Entscheidung über die internationale Zuständigkeit ist aber mit besonders weitreichenden Konsequenzen verknüpft. Von ihr hängt ab, welche nationalen Vorschriften für das Verfahrensrecht und das Kollisionsrecht anwendbar sind. Auch
  205. unabhängig davon ist es für die Beteiligten in aller Regel von besonderer Bedeutung, ob sie in ihrem Heimatstaat oder im Ausland vor Gericht stehen (vgl.
  206. - 11 -
  207. BGHZ 132, 105, 113 f.). Schon die Entscheidung, ob im Inland die ordentlichen
  208. Gerichte oder die Gerichte eines anderen Rechtswegs zuständig sind, ist demgegenüber von deutlich geringerem Gewicht. Erst recht gilt dies, wenn es allein
  209. um die örtliche Zuständigkeit innerhalb desselben Gerichtszweigs geht. Die
  210. Folge, daß die Entscheidungsbefugnis des Gerichts weniger weit reicht, wenn
  211. § 32 ZPO nicht für die örtliche, sondern für die internationale Zuständigkeit
  212. maßgeblich ist, kann deshalb hingenommen werden. Zwar leitet sich nach innerstaatlichem Recht die internationale Zuständigkeit gesetzestechnisch aus
  213. der örtlichen Zuständigkeit ab. Dennoch bleibt die internationale Zuständigkeit
  214. eine selbständige Prozeßvoraussetzung, bei der sich im Vergleich zur örtlichen
  215. Zuständigkeit unterschiedliche Interessen der Parteien ergeben können und zu
  216. beachten sind.
  217. e) Die vorgenommene Auslegung von § 32 ZPO steht schließlich auch
  218. nicht im Widerspruch zu Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. Diese Vorschrift verlangt,
  219. daß sich der für den Einzelfall zuständige Richter möglichst eindeutig aus einer
  220. allgemeinen Norm ergibt (BVerfGE 48, 246, 253). Ist die Zuständigkeit in einem
  221. förmlichen Gesetz geregelt, sind die insoweit geltenden allgemeinen Auslegungsgrundsätze heranzuziehen. Danach hat sich die Auslegung nicht auf den
  222. Wortlaut der Norm zu beschränken; zur Erfassung ihres Sinns sind vielmehr
  223. auch alle anderen Auslegungskriterien heranzuziehen (BVerfGE aaO, 254). Sie
  224. ergeben hier - wie ausgeführt - eine umfassende Entscheidungszuständigkeit
  225. im Gerichtsstand der unerlaubten Handlung. Dabei kann dahingestellt bleiben,
  226. ob Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG es zuläßt, von einer ständigen höchstrichterlichen
  227. Rechtsprechung zur Auslegung einer Zuständigkeitsnorm ohne Anlaß abzuweichen. Ein solcher Fall ist hier nämlich nicht gegeben. Der Wortlaut des § 32
  228. ZPO ist zwar unverändert geblieben. Durch das Inkrafttreten des § 17 Abs. 2
  229. - 12 -
  230. GVG n.F. ist die Norm aber in einen anderen Regelungszusammenhang gestellt worden. Dies erlaubt und gebietet, sie in anderem Sinne auszulegen als
  231. es in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bis dahin geschehen ist.
  232. f) § 132 Abs. 2 GVG hindert nicht, daß der für Gerichtstandsbestimmungen geschäftsplanmäßig zuständige X. Zivilsenat die gebotene Entscheidung
  233. ohne Vorlage an den Großen Senat trifft. Auch dies folgt aus dem soeben Ausgeführten. Durch Inkrafttreten von § 17 Abs. 2 GVG n.F. stellt sich die Rechtsfrage der Tragweite von § 32 ZPO auf Grund einer geänderten Gesetzeslage
  234. neu; bis dahin ergangene Entscheigungen anderer Senate des Bundesgerichtshofs sind gleichsam überholt. Wie bei anderem zu Grunde liegendem
  235. Sachverhalt fehlt es mithin an der nach § 132 Abs. 2 GVG erforderlichen Identität der Rechtslage (vgl. BVerfG, Beschl. v. 2.7.1992 - 2 BvR 972/92, NStZ
  236. 1993, 90; Beschl. v. 16.8.1994 - 2 BvR 647/93, NStZ 1995, 76).
  237. 3. Da nach allem im vorliegenden Fall gemäß § 32 ZPO für alle geltend
  238. zu machenden Anspruchsgrundlagen ein gemeinsamer Gerichtsstand in H.
  239. besteht und es deshalb einer Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichts
  240. nicht bedarf, ist der Antrag auf Zuständigkeitsbestimmung kostenpflichtig
  241. - 13 -
  242. (vgl. BGH, Beschl. v. 5.2.1987 - I ARZ 703/86, MDR 1987, 735) durch den nach
  243. § 36 Abs. 3 Satz 2 ZPO zur Entscheidung berufenen Bundesgerichtshof zurückzuweisen.
  244. Melullis
  245. Jestaedt
  246. Mühlens
  247. Scharen
  248. Meier-Beck