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1 year ago
  1. BUNDESGERICHTSHOF
  2. IM NAMEN DES VOLKES
  3. URTEIL
  4. 1 StR 288/05
  5. vom
  6. 20. September 2005
  7. in der Strafsache
  8. gegen
  9. wegen Körperverletzung mit Todesfolge
  10. -2-
  11. Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 20. September 2005, an der teilgenommen haben:
  12. Richter am Bundesgerichtshof
  13. Dr. Wahl
  14. als Vorsitzender
  15. und die Richter am Bundesgerichtshof
  16. Schluckebier,
  17. Dr. Kolz,
  18. Hebenstreit,
  19. Dr. Graf,
  20. Bundesanwalt
  21. als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
  22. Rechtsanwalt
  23. als Verteidiger,
  24. Rechtsanwalt
  25. als Vertreter der Nebenklägerin,
  26. Justizangestellte
  27. als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
  28. für Recht erkannt:
  29. -3-
  30. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin
  31. wird das Urteil des Landgerichts Tübingen vom 1. Dezember 2004
  32. mit den Feststellungen aufgehoben.
  33. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch
  34. über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
  35. Von Rechts wegen
  36. Gründe:
  37. Der Angeklagte wurde wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu Freiheitsstrafe verurteilt. Er hatte am 5. Oktober 2003
  38. T.
  39. so schwer ver-
  40. letzt, dass dieser am 15. Oktober 2003 verstorben ist. Mit ihren auf die Sachrüge gestützten Revisionen erstreben die Staatsanwaltschaft und die Nebenklägerin eine Verurteilung wegen eines vorsätzlichen Tötungsdelikts. Die auch
  41. vom Generalbundesanwalt vertretenen Rechtsmittel haben im Ergebnis Erfolg.
  42. 1. Folgendes ist festgestellt:
  43. Um seine Aggressionen abzureagieren, versuchte der „in Schlägereien
  44. erfahrene“ Angeklagte vergeblich, mit dem nie „durch Schlägereien ... aufgefal-
  45. -4-
  46. lenen“
  47. T.
  48. grundlos in einem Lokal Streit anzufangen. Als T.
  49. später
  50. das Lokal verließ, traf er vor dem Lokal auf den Angeklagten, der ihn mit
  51. Faustschlägen niederschlug und ihn dann mehrfach äußerst wuchtig ins Gesicht trat. Anschließend schleifte der Angeklagte den besinnungslosen und aus
  52. Mund und Nase blutenden T.
  53. von dem erleuchteten Tatort in eine schlecht
  54. einsehbare Grünanlage in der Nähe, wo er ihn liegen ließ. Nach etwa 10 bis 15
  55. Minuten wurde er dort aufgefunden, verstarb dann aber an den Folgen eines
  56. schweren Schädelhirntraumas ohne das Bewusstsein wiedererlangt zu haben.
  57. Angesichts der Schwere seiner Verletzungen hätte ihm auch eine unmittelbar
  58. nach den Tritten einsetzende ärztliche Hilfe nichts geholfen.
  59. 2. Die Strafkammer konnte sich von der - nahe liegenden (vgl. nur BGH,
  60. Beschluss vom 28. Juni 2005 - 1 StR 178/05) - Möglichkeit eines auch nur bedingten Tötungsvorsatzes bei den Tritten nicht überzeugen und führt hinsichtlich des späteren Geschehens aus: „Ein vorsätzliches Tötungsdelikt kam auch
  61. nicht im Sinne einer Unterlassungstat für den Fall in Betracht, dass der Angeklagte ...., als er T.
  62. wegschleifte und dann liegen ließ, billigend in Kauf ge-
  63. nommen hätte, dass dieser versterben würde, da ... das Leben des Verletzten
  64. ... nicht mehr zu retten war“.
  65. 3. Damit hat die Strafkammer die Möglichkeit eines (auf der Grundlage
  66. ihrer Bewertung der Rettungschancen) untauglichen Versuchs eines Tötungsverbrechens nicht gesehen.
  67. Anzumerken ist insoweit lediglich, dass nicht erkennbar ist, warum gegebenenfalls der Schwerpunkt des vorwerfbaren Verhaltens des Angeklagten
  68. nicht in aktivem Tun läge, wenn er T.
  69. (mit dem zumindest bedingten Vor-
  70. satz, dadurch seine Überlebenschancen zu zerstören) in die dunkle Anlage
  71. geschleift hat, wo nur eine geringere Rettungschance bestand.
  72. -5-
  73. 4. Der aufgezeigte Mangel wäre für den Bestand des Urteils nur dann
  74. unschädlich, wenn die Feststellungen zweifelsfrei die Überzeugung der Strafkammer ergäben, dass der Angeklagte beim Wegschleifen T.
  75. s davon aus-
  76. ging, dass dieser bereits tot war. Dies ist jedoch nicht der Fall, wie schon allein
  77. die genannten Ausführungen der Strafkammer im Rahmen ihrer rechtlichen
  78. Würdigung zeigen (vgl. oben 2 a. E.). Im Übrigen hat der Angeklagte in der
  79. Hauptverhandlung keine Angaben gemacht, im Ermittlungsverfahren zunächst
  80. in unterschiedlichen Versionen jede Tatbeteiligung bestritten und zuletzt behauptet, T.
  81. habe ihn angegriffen. Im Rahmen seiner unterschiedlichen
  82. Schilderungen hatte der Angeklagte auch einzelne Angaben gemacht, die
  83. darauf hindeuten könnten, dass er T.
  84. bereits für tot hielt, als er ihn weg-
  85. schleifte. So hat er z. B. auf die Frage, ob es in der gegebenen Situation nicht
  86. „das normale Verhalten sei, ... Hilfe zu holen“, damit beantwortet, „das sei
  87. doch nicht normal, denn wenn er den geschlagen habe und der tot sei, habe er
  88. besser nichts damit zu tun“. Der Angeklagte hatte übrigens schon früher T.
  89. einmal grundlos von hinten niedergeschlagen und dies aber jahrelang ihm gegenüber abgeleugnet. Schließlich versteht sich auch nicht von selbst, dass
  90. T.
  91. keinerlei Lebenszeichen mehr von sich gab, als ihn der Angeklagte über
  92. den Boden schleifte.
  93. Nach alledem können einzelne Äußerungen des Angeklagten im Ermittlungsverfahren, die die Strafkammer nicht ausdrücklich gewürdigt hat und die
  94. sie von ihrem Standpunkt nicht zu würdigen brauchte, nicht Grundlage für die
  95. Annahme sein, die Strafkammer sei - unbeschadet ihrer lückenhaften rechtlichen Ausführungen - davon überzeugt gewesen, dass der Angeklagte T.
  96. bereits für tot hielt, als er ihn fortschleifte.
  97. -6-
  98. 5. Der aufgezeigte Mangel führt zur Aufhebung des gesamten Urteils.
  99. Dies ergibt sich schon daraus, dass die von der Strafkammer letztlich verneinte
  100. Frage eines Tötungsvorsatzes bei den Tritten offenbar in anderem Licht erscheinen kann, wenn von einem Tötungsvorsatz beim Wegschleifen auszugehen wäre. Jedenfalls läge aber insgesamt die Annahme von Tateinheit (natürliche Handlungseinheit) nicht fern (vgl. generell zu Gewalttätigkeiten, die innerhalb eines dynamischen Geschehensablaufs ohne erkennbare Zäsur in einem
  101. Tötungsdelikt kulminieren, Schneider in MünchKomm § 211 Rdn. 180 ff.;
  102. Lackner/Kühl StGB 25. Aufl. § 211 Rdn. 12 jew. m. w. N.). Wird ein Urteil aufgehoben, weil eine möglicherweise gebotene Verurteilung wegen einer Tat unterblieben ist, die gegebenenfalls mit einer abgeurteilten Tat in Tateinheit stehen kann, kann das Urteil auch hinsichtlich der abgeurteilten Tat keinen Bestand haben (vgl. BGH bei Kusch NStZ-RR 1998, 257, 262 f.; Kuckein in KK
  103. 5. Aufl. § 353 Rdn. 16 jew. m. w. N.).
  104. Wahl
  105. Schluckebier
  106. Hebenstreit
  107. Kolz
  108. Graf