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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
V ZB 141/11
vom
1. Juli 2011
in der Abschiebungshaftsache
-2 -
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 1. Juli 2011 durch den
Vorsitzenden
Richter
Prof.
Dr.
Krüger,
die
Richter
Dr. Lemke
und
Prof. Dr. Schmidt-Räntsch, die Richterin Dr. Stresemann und den Richter
Dr. Czub
beschlossen:
Die Vollziehung der mit Beschluss des Amtsgerichts Rathenow
vom
7. April
2011
angeordneten
und
mit
Beschluss
der
12. Zivilkammer des Landgerichts Potsdam vom 20. April 2011
aufrechterhaltenen Sicherungshaft wird einstweilen eingestellt.
Gründe:
I.
1
Der Betroffene, ein vietnamesischer Staatsangehöriger, reiste am
6. März 2009 ohne erforderliche Einreisepapiere erstmals in das Bundesgebiet
ein. Sein Asylantrag wurde - bestandskräftig - als offensichtlich unbegründet
zurückgewiesen.
Einem
Termin
zur
Vorführung
bei
Vertretern
der
vietnamesischen Botschaft blieb er unentschuldigt fern. Spätestens seit dem
20. Juni 2010 ist er "unbekannt" verzogen gewesen.
2
Aufgrund einer Fahndungsausschreibung wurde der Betroffene am
6. April 2011 durch die Polizei festgenommen. Auf Antrag der beteiligten
Behörde von demselben Tag hat das Amtsgericht am 7. April 2011 gegen den
-3 -
Betroffenen die Haft zur Sicherung der Abschiebung für die Dauer von drei
Monaten und die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung angeordnet. Die
Beschwerde
ist
ohne
Erfolg
geblieben.
Dagegen
richtet
sich
die
Rechtsbeschwerde, mit der der Betroffene auch die einstweilige Aussetzung der
Vollziehung der Sicherungshaft beantragt.
II.
3
Nach Ansicht des Beschwerdegerichts ist der Haftantrag zulässig und
begründet. Es lägen die in § 62 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und Nr. 5 AufenthG genannten Haftgründe vor.
III.
4
1. Der Aussetzungsantrag ist in entsprechender Anwendung von § 64
Abs. 3 FamFG statthaft (st. Rspr., siehe nur Senat, Beschluss vom 18. August
2010 - V ZB 211/10, InfAuslR 2010, 440).
5
2. Er ist auch begründet. Bei der gebotenen summarischen Prüfung ist
davon auszugehen, dass die Rechtsbeschwerde Erfolg haben wird, weil die
Haftanordnung und die Entscheidung des Beschwerdegerichts den Anspruch
des Betroffenen auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt haben dürften.
6
3. Die Haftanordnung erscheint jedenfalls deshalb rechtswidrig, weil der
Betroffene ausweislich des Protokolls über seine Anhörung vor dem Amtsgericht erst zu Beginn der Anhörung "mit dem Antrag der Ausländerbehörde vom
heutigen Tage vertraut gemacht" und ihm der Antrag nicht ausgehändigt worden ist. Er war deshalb nicht in der Lage, zu der Begründung des Haftantrags
ausreichend Stellung zu nehmen.
-4 -
7
a) Der Zeitpunkt, zu dem das Gericht des ersten Rechtszugs dem Betroffenen nach § 23 Abs. 2 FamFG den Haftantrag der beteiligten Behörde zuzuleiten hat, bestimmt sich einerseits danach, was zu der dem Richter im Freiheitsentziehungsverfahren obliegenden Sachaufklärung erforderlich ist, andererseits danach, was den Betroffenen in die Lage versetzt, das ihm von Verfassungs wegen zukommende rechtliche Gehör auch effektiv wahrzunehmen. Ist
der Betroffene ohne vorherige Kenntnis des Antragsinhalts nicht in der Lage,
zur Sachaufklärung beizutragen und seine Rechte wahrzunehmen, muss ihm
der Antrag vor der Anhörung übermittelt werden; dagegen genügt die Eröffnung
des Haftantrags zu Beginn der Anhörung, wenn dieser einen einfachen, überschaubaren Sachverhalt betrifft, zu dem der Betroffene auch unter Berücksichtigung einer etwaigen Überraschung ohne weiteres auskunftsfähig ist (Senat,
Beschluss vom 4. März 2010 - V ZB 222/09, BGHZ 184, 323, 330 Rn. 16 mwN).
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b) Ob dieser zweite Fall hier vorliegt, ist zweifelhaft. Den Zweifeln
braucht jedoch nicht nachgegangen zu werden. Denn dem Protokoll über die
Anhörung ist nicht zu entnehmen, dass der Haftantrag dem Betroffenen übersetzt und damit der gesamte Antragsinhalt bekannt gegeben worden ist. Eine
solche Bekanntgabe ist jedoch Voraussetzung für die ausreichende Gewährung
rechtlichen Gehörs. Anderenfalls - und so liegt es hier - kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Betroffene nicht in der Lage war, sich zu sämtlichen Angaben der beteiligten Behörde (vgl. § 417 Abs. 2 FamFG) zu äußern.
9
4. Nach dem Akteninhalt ist dem Betroffenen der Haftantrag auch nicht
später ausgehändigt worden. Die Akteneinsicht, durch die er Kenntnis von dem
vollständigen Antrag hätte erlangen können, ist seinem damaligen Verfahrensbevollmächtigten erst im Laufe der Anhörung vor dem Beschwerdegericht angeboten worden. Dass dieser sich darauf nicht eingelassen hat, ist verständlich
und kann dem Betroffenen nicht zum Nachteil gereichen. Denn das Beschwerdegericht wollte nach dem Protokoll der Anhörung nicht etwa Akteneinsicht und
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dem Betroffenen eine Frist zur Stellungnahme gewähren, sondern - wie geschehen - sogleich am Schluss der Anhörung eine Entscheidung treffen. Dass
diese Verfahrensweise insbesondere angesichts des Umstands, dass der
Haftantrag zunächst dem Betroffenen hätte übersetzt werden müssen, dessen
Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs eklatant verletzt hat, liegt auf der
Hand.
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5. Das Fehlen der ordnungsgemäßen Anhörung des Betroffenen in beiden Vorinstanzen drückt der gleichwohl angeordneten und aufrechterhaltenen
Haft den Makel einer rechtswidrigen Freiheitsentziehung auf (vgl. Senat, Beschluss vom 4. März 2010 - V ZB 184/09, FGPrax 2010, 152, 154 Rn. 16). Daher ist die weitere Vollziehung der Haftanordnung auszusetzen.
Krüger
Lemke
Stresemann
Schmidt-Räntsch
Czub
Vorinstanzen:
AG Rathenow, Entscheidung vom 07.04.2011 - 7 XIV V 4/11 LG Potsdam, Entscheidung vom 20.04.2011 - 12 T 196/11 -