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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
V ZB 212/12
vom
26. September 2013
in der Zurückschiebungshaftsache
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
FamFG § 419 Abs. 1 Satz 1
Verständigungsschwierigkeiten mit dem Betroffenen rechtfertigen ebenso wie die
Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage nicht die Bestellung eines Verfahrenspflegers.
GG Art. 103 Abs. 1
Ist dem Verfahrenspfleger vor seiner Teilnahme an der Anhörung des Betroffenen ein
Haftantrag übermittelt worden, ist der Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör auch dann gewahrt, wenn ihm der Haftantrag nicht ausgehändigt wurde.
BGH, Beschluss vom 26. September 2013 - V ZB 212/12 - LG Kaiserslautern
AG Kaiserslautern
-2-
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 26. September 2013 durch die
Vorsitzende
Richterin
Dr. Stresemann
und
die
Richter
Dr. Lemke,
Prof. Dr. Schmidt-Räntsch, Dr. Czub und Dr. Kazele
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird festgestellt, dass
der
Beschluss
des
Amtsgerichts
Kaiserslautern
vom
30. Oktober 2012 ihn bis zum 5. November 2012 in seinen Rechten verletzt hat. Die weitergehende Rechtsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur
zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen
des Betroffenen in allen Instanzen werden dem Freistaat Sachsen
zu 60 % auferlegt. Im Übrigen findet eine Auslagenerstattung nicht
statt.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt
3.000 €.
- 3 -
Gründe:
I.
1
Der Betroffene ist tunesischer oder libyscher Staatsangehöriger und
wurde - nach Ablehnung seines Asylantrages - am 21. Juni 2012 nach Italien
abgeschoben. Am 29. Oktober 2012 wurde er in Kaiserslautern festgenommen.
2
Auf Antrag der beteiligten Behörde vom 30. Oktober 2012 hat das Amtsgericht nach Anhörung des Betroffenen mit Beschluss vom gleichen Tage Abschiebungshaft bis längstens 22. Januar 2013 angeordnet.
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Das Landgericht hat, nachdem es dem Betroffenen einen Verfahrenspfleger bestellt und ihn durch ein beauftragtes Mitglied der Kammer angehört
hat, mit Beschluss vom 5. November 2012 die Beschwerde zurückgewiesen.
Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des - am 9. November 2012 aus
der Haft entlassenen - Betroffenen, mit der er die Feststellung der Verletzung
seiner Rechte erreichen will.
II.
4
Das Beschwerdegericht meint, der Haftantrag sei zulässig, insbesondere
von der zuständigen Behörde gestellt. Auch lägen die Voraussetzungen für die
Anordnung von Sicherungshaft vor. Die Haftanordnung sei dem Grunde und der
Dauer nach verhältnismäßig.
III.
5
Die Rechtsbeschwerde ist nach Erledigung der Hauptsache mit dem
Feststellungsantrag analog § 62 FamFG ohne Zulassung nach § 70 Abs. 3
Nr. 3 FamFG statthaft (vgl. nur Senat, Beschluss vom 29. April 2010
- 4 -
- V ZB 218/09, InfAuslR 2010, 359, 360) sowie form- und fristgerecht gemäß
§ 71 FamFG eingelegt. Sie ist teilweise begründet.
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1. Der Betroffene ist durch den die Haft anordnenden Beschluss des
Amtsgerichts in seinen Rechten verletzt worden, weil ihm der Haftantrag nicht
zu Beginn der Anhörung ausgehändigt worden ist. Zwar kann der Antrag einem
Betroffenen erst zu Beginn der Anhörung eröffnet werden, wenn er einen einfachen, überschaubaren Sachverhalt betrifft, zu welchem der Betroffene auch
unter Berücksichtigung einer etwaigen Überraschung ohne weiteres auskunftsfähig ist. Daraus folgt jedoch nicht, dass sich der Haftrichter in einem solchen
Fall darauf beschränken darf, den Inhalt des Haftantrags mündlich vorzutragen.
Vielmehr muss dem Betroffenen in jedem Fall eine Ablichtung des Antrags ausgehändigt, erforderlichenfalls (mündlich) übersetzt und dies in dem Anhörungsprotokoll oder an einer anderen Aktenstelle schriftlich dokumentiert werden
(Senat, Beschluss vom 14. Juni 2012 - V ZB 284/11, InfAuslR 2012, 369 Rn. 9;
Beschluss vom 6. Dezember 2012 - V ZB 142/12, InfAuslR 2013, 157 Rn. 5).
An der Aushändigung einer Ablichtung des Haftantrages fehlt es hier. Dem Protokoll über die Anhörung des Betroffenen durch das Amtsgericht ist nur zu entnehmen, dass der Antrag dem Betroffenen eröffnet wurde.
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2. Unbegründet ist die Rechtsbeschwerde, soweit der Betroffene festgestellt wissen will, dass auch die Entscheidung des Landgerichts ihn in seinen
Rechten verletzt hat. Der Verfahrensfehler ist im Beschwerdeverfahren - mit
Wirkung für die Zukunft - geheilt worden, da das Beschwerdegericht dem Betroffenen einen Verfahrenspfleger bestellt hat, diesem eine Ablichtung des
Haftantrages ausgehändigt und der Betroffene in dessen Anwesenheit durch
das Beschwerdegericht erneut angehört worden ist (vgl. Senat, Beschluss vom
30. März 2012 - V ZB 59/12, juris Rn. 12; Beschluss vom 6. Dezember 2012
- V ZB 142/12, InfAuslR 2013, 157 Rn. 7).
- 5 -
8
a) Das Beschwerdegericht hat dem Betroffenen auf der Grundlage von
§ 419 Abs. 1 Satz 1 FamFG einen Rechtsanwalt als Verfahrenspfleger bestellt.
Die Voraussetzungen für eine derartige Bestellung lagen allerdings nicht vor.
9
Nach § 419 Abs. 1 Satz 1 FamFG hat die Bestellung eines Verfahrenspflegers zu erfolgen, wenn sie zur Wahrnehmung der Interessen des Betroffenen in dem Verfahren erforderlich ist. Anders als in Unterbringungs- und Betreuungssachen kommt der Bestellung eines Verfahrenspflegers in Freiheitsentziehungssachen ein Ausnahmecharakter zu (BT-Drucks. 16/6308, S. 292).
In Unterbringungs- und Betreuungssachen stehen Maßnahmen in Rede, die
wegen einer psychischen Erkrankung oder Behinderung des Betroffenen angeordnet werden sollen. Da der Gesundheitszustand des Betroffenen zugleich
seine Fähigkeit zur Wahrnehmung seiner Interessen in dem Verfahren beeinträchtigen wird, ist die Bestellung eines Verfahrenspflegers erforderlich. Eine
krankhafte Störung der Fähigkeit des Betroffenen zur eigenverantwortlichen
Wahrnehmung der Interessen besteht in Freiheitsentziehungssachen in der
Regel nicht (vgl. Keidel/Budde, FamFG, 17. Aufl., § 419 Rn. 4 unter Hinweis auf
BT-Drucks. 16/6308, S. 291). Der Zusammenhang der Erforderlichkeit der Bestellung eines Verfahrenspflegers mit dem Gesundheitszustand des Betroffenen
findet seinen Ausdruck auch in dem Regelbeispiel des § 419 Abs. 1 Satz 2
FamFG. Danach ist die Bestellung eines Verfahrenspflegers erforderlich, wenn
von einer persönlichen Anhörung des Betroffenen nach § 420 Abs. 2 FamFG
abgesehen werden soll. In diesem Fall kann die persönliche Anhörung des Betroffenen unterbleiben, wenn von ihr erhebliche Nachteile für dessen Gesundheit zu besorgen sind oder wenn er an einer übertragbaren Krankheit leidet.
Dem Regelbeispiel gleichzustellen sind Fälle, in denen dem Betroffenen aus
gesundheitlichen Gründen die Fähigkeit zur eigenverantwortlichen Interessenwahrnehmung fehlt.
- 6 -
10
Bloße sprachliche Verständigungsschwierigkeiten rechtfertigen daher
noch nicht die Bestellung eines Verfahrenspflegers (Keidel/Budde, FamFG,
17. Aufl., § 419 Rn. 6). Macht die Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage die
Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich, so ist dem Betroffenen auf
seinen Antrag hin nach § 78 Abs. 2 FamFG ein Rechtsanwalt beizuordnen.
Dabei kommt es nicht nur auf die objektiven Umstände, sondern auch auf die
subjektiven Fähigkeiten des Betroffenen an. Dem unbemittelten Betroffenen ist
deshalb ein Rechtsanwalt beizuordnen, wenn ein bemittelter Betroffener in seiner Lage vernünftigerweise einen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung seiner
Interessen beauftragt hätte (Senat, Beschluss vom 28. Februar 2013
- V ZB 138/12, InfAuslR 2013, 287 Rn. 14 mwN). Allerdings führt das Fehlen
der Voraussetzungen des § 419 Abs. 1 FamFG nicht dazu, dass die Bestellung
des Verfahrenspflegers unwirksam ist. Er ist vielmehr durch seine Bestellung
als Beteiligter zum Verfahren hinzugezogen worden (§ 418 Abs. 2 FamFG).
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b) Die Aufgabe eines Verfahrenspflegers besteht darin, die verfahrensmäßigen Rechte des Betroffenen zur Geltung zu bringen; dazu gehört insbesondere der Anspruch des Betroffenen auf Gewährung rechtlichen Gehörs
(BGH, Urteil vom 22. Juli 2009 - XII ZR 77/06, BGHZ 182, 116 Rn. 45). Dem
Betroffenen soll eine Person zur Seite gestellt werden, die aus der objektiven
Sicht eines Dritten dafür Sorge trägt, dass seine Vorstellungen und Interessen
in dem Verfahren sachgerecht zum Ausdruck gebracht werden können (vgl.
Keidel/Budde, FamFG, 17. Aufl., § 419 Rn. 2). Dies rechtfertigt es, von einer
Heilung einer verfahrensfehlerhaften Anhörung des Amtsgerichts auszugehen,
wenn das Beschwerdegericht - wie vorliegend geschehen - dem Verfahrenspfleger den Haftantrag übermittelt und er an der erneuten persönlichen Anhörung des Betroffenen im Beschwerdeverfahren teilnimmt. Damit ist die sachgerechte Wahrnehmung des rechtlichen Gehörs durch den Betroffenen gewahrt.
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c) Die von dem Beschwerdegericht nach § 68 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 420
Abs. 1 FamFG durchgeführte Anhörung des Betroffenen ist schließlich ordnungsgemäß erfolgt. Sie kann unter den - hier gegebenen - Voraussetzungen
des § 375a Abs. 1a ZPO auch in Freiheitsentziehungssachen durch ein Mitglied
des Beschwerdegerichts als beauftragten Richter erfolgen (Senat, Beschluss
vom 17. Juni 2010 - V ZB 9/10, InfAuslR 2010, 384 Rn. 13 f.; Beschluss vom
17. Juni 2010 - V ZB 127/10, juris Rn. 12 f. insoweit nicht in NVwZ 2010, 1318
abgedruckt).
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3. Soweit die Rechtsbeschwerde auf die Schriftsätze vom 8. und 9. November 2012 verweist, in denen die Zurückschiebung nach Italien wegen der
humanitären Situation der Flüchtlinge und der fehlenden Gewährleistung eines
fairen Asylverfahrens als unzulässig dargestellt wird, können diese bei der Entscheidungsfindung nicht berücksichtigt werden. Diese sind dem Beschwerdegericht zu einem Zeitpunkt übermittelt worden, als es in der Sache schon entschieden hatte. Damit handelt es sich bei der Darstellung der tatsächlichen
Verhältnisse in Italien um einen neuen Vortrag, der nach § 74 Abs. 3 Satz 4
FamFG i.V.m. § 559 Abs. 1 ZPO nicht der Beurteilung durch das Rechtsbeschwerdegericht unterliegt.
IV.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 81 Abs. 1, § 83 Abs. 2, § 430
FamFG, Art. 5 EMRK analog, § 128c Abs. 3 Satz 2 KostO. Unter Berücksichtigung der Regelung in Art. 5 Abs. 5 EMRK entspricht es billigem Ermessen, die
beteiligte Behörde zur Erstattung eines Teils der notwendigen Auslagen des
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Betroffenen zu verpflichten. Die Kostenquote entspricht dem Verhältnis von Obsiegen und Unterliegen des Betroffenen. Die Festsetzung des Beschwerdewerts bestimmt sich nach § 128c Abs. 2 KostO, § 30 Abs. 2 KostO.
Stresemann
Lemke
Czub
Schmidt-Räntsch
Kazele
Vorinstanzen:
AG Kaiserslautern, Entscheidung vom 30.10.2012 - 1 XIV 221/12 LG Kaiserslautern, Entscheidung vom 05.11.2012 - 1 T 207/12 -