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<title>Bundesgerichtshof legt Europ&auml;ischem Gerichtshof Fragen zum Umfang des urheberrechtlichen Zitatrechts der Presse vor </title>
<meta name="author" content="Pressestelle des BGH">
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<meta name="subject" content="Nr. 124 vom 27.07.17">
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<meta name="LfdNr" content="124">
<meta name="Jahr" content="2017">
<meta name="Senat" content="I. Zivilsenat">
<meta name="Aktenzeichen" content="I ZR 228/15">
<meta name="Datum" content="27.07.17">
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<h1>Bundesgerichtshof</h1>
<h2>Mitteilung der Pressestelle</h2>
<hr noshade size="1">
<p align="justify">Nr. 124/2017 </p>
<p><div align="center"><font size="+2"><b>Bundesgerichtshof legt Europ&auml;ischem Gerichtshof Fragen </b></font></div></p>
<p><div align="center"><font size="+2"><b> zum Umfang des urheberrechtlichen Zitatrechts </b></font></div></p>
<p><div align="center"><font size="+2"><b> der Presse vor </b></font></div></p>
<p align="justify"><b>Beschluss vom 27.&nbsp;Juli 2017 - I&nbsp;ZR&nbsp;228/15 - Reformistischer Aufbruch </b></p>
<p align="justify">Der unter anderem f&uuml;r das Urheberrecht zust&auml;ndige I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat dem Gerichtshof der Europ&auml;ischen Union Fragen zur Abw&auml;gung zwischen dem Urheberrecht und den Grundrechten auf Informations- und Pressefreiheit sowie zum urheberrechtliche Zitatrecht der Presse und zur Schutzschranke der Berichterstattung &uuml;ber Tagesereignisse vorgelegt. </p>
<p align="justify">Der Kl&auml;ger ist seit dem Jahr 1994 Mitglied des Bundestags. Er ist Verfasser eines Manuskripts, in dem er sich gegen die radikale Forderung einer vollst&auml;ndigen Abschaffung des Sexualstrafrechts wandte, aber f&uuml;r eine teilweise Entkriminalisierung gewaltfreier sexueller Handlungen Erwachsener mit Kindern eintrat. Der Text erschien im Jahr 1988 als Buchbeitrag. Im Mai 1988 beanstandete der Kl&auml;ger gegen&uuml;ber dem Herausgeber des Buchs, dieser habe ohne seine Zustimmung &Auml;nderungen bei den &Uuml;berschriften vorgenommen, und forderte ihn auf, dies bei der Auslieferung des Buchs kenntlich zu machen. In den Folgejahren erkl&auml;rte der Kl&auml;ger auf kritische Resonanzen, der Herausgeber habe die zentrale Aussage seines Beitrags eigenm&auml;chtig wegredigiert und ihn dadurch im Sinn verf&auml;lscht. </p>
<p align="justify">Im Jahr 2013 wurde in einem Archiv das Originalmanuskript des Kl&auml;gers aufgefunden und ihm wenige Tage vor der Bundestagswahl zur Verf&uuml;gung gestellt. Der Kl&auml;ger &uuml;bermittelte das Manuskript an mehrere Zeitungsredaktionen als Beleg daf&uuml;r, dass es seinerzeit f&uuml;r den Buchbeitrag ver&auml;ndert worden sei. Einer Ver&ouml;ffentlichung der Texte durch die Redaktionen stimmte er nicht zu. Er stellte allerdings auf seiner Internetseite das Manuskript und den Buchbeitrag mit dem Hinweis ein, er distanziere sich von dem Beitrag. Mit einer Verlinkung seiner Internetseite durch die Presse war er einverstanden. </p>
<p align="justify">Vor der Bundestagswahl ver&ouml;ffentlichte die Beklagte in ihrem Internetportal einen Pressebericht, in dem die Autorin die Ansicht vertrat, der Kl&auml;ger habe die &Ouml;ffentlichkeit jahrelang hinters Licht gef&uuml;hrt. Die Originaldokumente belegten, dass das Manuskript nahezu identisch mit dem Buchbeitrag und die zentrale Aussage des Kl&auml;gers keineswegs im Sinn verf&auml;lscht worden sei. Die Internetnutzer konnten das Manuskript und den Buchbeitrag &uuml;ber einen elektronischen Verweis (Link) herunterladen. Die Internetseite des Kl&auml;gers war nicht verlinkt. </p>
<p align="justify">Der Kl&auml;ger sieht in der Ver&ouml;ffentlichung der Texte eine Verletzung seines Urheberrechts. Er hat die Beklagte auf Unterlassung und Schadensersatz in Anspruch genommen. </p>
<p align="justify"><b>Bisheriger Prozessverlauf: </b></p>
<p align="justify">Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten ist erfolglos geblieben. Das Oberlandesgericht hat angenommen, die Ver&ouml;ffentlichung der urheberrechtlich gesch&uuml;tzten Texte des Kl&auml;gers ohne seine Zustimmung sei auch unter Ber&uuml;cksichtigung der Meinungs- und Pressefreiheit der Beklagten weder unter dem Gesichtspunkt der Berichterstattung &uuml;ber Tagesereignisse (&sect; 50 UrhG*) noch durch das gesetzliche Zitatrecht (&sect; 51 UrhG**) gerechtfertigt. Mit ihrer vom Bundesgerichtshof zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter. </p>
<p align="justify"><b>Vorlage des Bundesgerichtshofs an den Europ&auml;ischen Gerichtshof: </b></p>
<p align="justify">Der Bundesgerichtshof hat das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europ&auml;ischen Union Fragen zur Auslegung der Richtlinie 2001/29/EG des Europ&auml;ischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft vorgelegt. </p>
<p align="justify">Zum einen sind im Streitfall die Fragen entscheidungserheblich, die der Senat bereits in der Sache &quot;Afghanistan Papiere&quot; zum Gegenstand eines Vorlagebeschlusses gemacht hat (BGH, Beschluss vom 1. Juni 2017 - I ZR 139/15, vgl. Pressemitteilung Nr. 87/2017 vom 1. Juni 2017). Dar&uuml;ber hinaus umfasst der Vorlagebeschluss Fragen zu den Voraussetzungen der Schutzschranken der Berichterstattung &uuml;ber Tagesereignisse und des Zitatrechts. </p>
<p align="justify">So hat der Bundesgerichtshof dem EuGH die Frage vorgelegt, ob die &ouml;ffentliche Zug&auml;nglichmachung von urheberrechtlich gesch&uuml;tzten Werken im Internetportal eines Presseunternehmens bereits deshalb nicht als erlaubnisfreie Berichterstattung &uuml;ber Tagesereignisse gem&auml;&szlig; Art. 5 Abs. 3 Buchst. c Fall 2 der Richtlinie 2001/29/EG*** anzusehen ist, weil es dem Presseunternehmen m&ouml;glich und zumutbar war, vor der &ouml;ffentlichen Zug&auml;nglichmachung der Werke des Urhebers seine Zustimmung einzuholen. </p>
<p align="justify">Nach Ansicht des Bundesgerichtshof stellt sich im Streitfall weiter die Frage, ob es an einer Ver&ouml;ffentlichung zum Zwecke des Zitats gem&auml;&szlig; Art. 5 Abs. 3 Buchst. d der Richtlinie 2001/29/EG**** fehlt, wenn zitierte Textwerke oder Teile davon nicht - beispielsweise durch Einr&uuml;ckungen oder Fu&szlig;noten - untrennbar in den neuen Text eingebunden werden, sondern im Internet im Wege der Verlinkung als selbst&auml;ndig abrufbare PDF-Dateien &ouml;ffentlich zug&auml;nglich gemacht und unabh&auml;ngig von der Berichterstattung der Beklagten wahrnehmbar werden. </p>
<p align="justify">Der Bundesgerichtshof hat dem EuGH ferner die Frage vorgelegt, wann Werke im Sinne von Art. 5 Abs. 3 Buchst. d der Richtlinie 2001/29/EG der &Ouml;ffentlichkeit rechtm&auml;&szlig;ig zug&auml;nglich gemacht wurden und ob darauf abzustellen ist, dass die Werke in ihrer konkreten Gestalt bereits zuvor mit Zustimmung des Urhebers ver&ouml;ffentlicht waren. Das ist vorliegend fraglich, weil der Buchbeitrag des Kl&auml;gers im Sammelband in einer ver&auml;nderten Fassung erschienen und das Manuskript des Kl&auml;gers auf seiner Internetseite mit den Distanzierungsvermerken ver&ouml;ffentlicht ist. </p>
<p align="justify">Vorinstanzen: </p>
<p align="justify">LG Berlin - Urteil vom 17. Juni 2014 - 15 O 546/13 </p>
<p align="justify">Kammergericht Berlin - Urteil vom 7. Oktober 2015 - 24 U 124/14 </p>
<p align="justify"><b>*&sect; 50 UrhG lautet: </b></p>
<p align="justify">Zur Berichterstattung &uuml;ber Tagesereignisse durch Funk oder durch &auml;hnliche technische Mittel, in Zeitungen, Zeitschriften und in anderen Druckschriften oder sonstigen Datentr&auml;gern, die im Wesentlichen Tagesinteressen Rechnung tragen, sowie im Film, ist die Vervielf&auml;ltigung, Verbreitung und &ouml;ffentliche Wiedergabe von Werken, die im Verlauf dieser Ereignisse wahrnehmbar werden, in einem durch den Zweck gebotenen Umfang zul&auml;ssig. </p>
<p align="justify"><b>**&sect; 51 UrhG lautet: </b></p>
<p align="justify">Zul&auml;ssig ist die Vervielf&auml;ltigung, Verbreitung und &ouml;ffentliche Wiedergabe eines ver&ouml;ffentlichten Werkes zum Zweck des Zitats, sofern die Nutzung in ihrem Umfang durch den besonderen Zweck gerechtfertigt ist. […] </p>
<p align="justify"><b>***Art. 5 Abs. 3 Buchst. c Fall 2 der Richtlinie 2001/29/EG lautet: </b></p>
<p align="justify">Die Mitgliedstaaten k&ouml;nnen f&uuml;r die Nutzung von Werken in Verbindung mit der Berichterstattung &uuml;ber Tagesereignisse in Bezug auf die in den Artikeln 2 und 3 vorgesehenen Rechte Ausnahmen und Beschr&auml;nkungen vorsehen, soweit es der Informationszweck rechtfertigt und sofern - au&szlig;er in F&auml;llen, in denen sich dies als unm&ouml;glich erweist - die Quelle, einschlie&szlig;lich des Namens des Urhebers, angegeben wird. </p>
<p align="justify"><b>***Art. 5 Abs. 3 Buchst. d der Richtlinie 2001/29/EG lautet: </b></p>
<p align="justify">Die Mitgliedstaaten k&ouml;nnen f&uuml;r Zitate zu Zwecken wie Kritik oder Rezensionen in Bezug auf die in den Artikeln 2 und 3 vorgesehenen Rechte Ausnahmen und Beschr&auml;nkungen vorsehen, sofern sie ein Werk betreffen, das der &Ouml;ffentlichkeit bereits rechtm&auml;&szlig;ig zug&auml;nglich gemacht wurde, sofern - au&szlig;er in F&auml;llen, in denen sich dies als unm&ouml;glich erweist - die Quelle, einschlie&szlig;lich des Namens des Urhebers angegeben wird und sofern die Nutzung den anst&auml;ndigen Gepflogenheiten entspricht und in ihrem Umfang durch den besonderen Zweck gerechtfertigt ist. </p>
<p align="justify">Karlsruhe, den 27. Juli 2017 </p>
<p><font size="-1">
Pressestelle des Bundesgerichtshofs <br>
76125 Karlsruhe<br>
Telefon (0721) 159-5013<br>
Telefax (0721) 159-5501</font></p>
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</html>