laywerrobot/gensim_w2v/books/[Birgit_Eckardt_(auth.)]_Fachsprache_als_Kommunika(b-ok.xyz).pdf.txt
2020-08-27 21:55:39 +02:00

6188 lines
No EOL
444 KiB
Text
Raw Blame History

This file contains invisible Unicode characters

This file contains invisible Unicode characters that are indistinguishable to humans but may be processed differently by a computer. If you think that this is intentional, you can safely ignore this warning. Use the Escape button to reveal them.

Birgit Eckardt
Fachsprache als Kommunikationsbarriere?
~
Sprachwissenschaft
Birgit Eckardt
Fachsprache als
Kommunikationsbarriere?
Verstiindigungsprobleme
zwischen Juristen und Laien
Mit einem Geleitwort von HDoz. Dr. Christine Romer
Deulscher Universilils-Verlag
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
Eckardt, Birgit:
Fachsprache als Kommunikationsbarriere : Verstandigungsprobleme zwischen Juristen und Laien / Birgit Eckardt. Mit einem
Geleitw. von Christine Romer. - Wiesbaden : DUV, Dt. Univ.-Verl., 2000
(DUV : Sprachwissenschaft)
lugl.: Jena, Friedrich-Schiller-Univ., Diss. 1999
ISBN-13:978-3-8244-4399-4
e-ISBN-13:978-3-322-81264-3
001: 10.1007/978-3-322-81264-3
Aile Rechte vorbehalten
© Deutscher Universitats-Verlag GmbH, Wiesbaden, 2000
Lektorat: Ute Wrasmann / Sebastian Hammelsbeck
Der Deutsche Universitats-Verlag ist ein Unternehmen der
Fachverlagsgruppe BertelsmannSpringer.
Das Werk einschliel3lich aller seiner Teile ist urheberrechtlich
geschutzt. Jede Verwertung aul3erhalb der engen Grenzen des
Urheberrechtsgesetzes ist ohne lustimmung des Verlages unzu1.9ssi9 und strafbar. Das gilt insbesondere fUr Vervielfaltigungen,
Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und
Verarbeitung in elektronischen Systemen.
www.duv.de
Hochste inhaltliche und technische Qualitat unserer Produkte ist unser liel. Bei der
Produktion und Verbreitung unserer Bucher wollen wir die Umwelt schonen. Dieses Buch
ist deshalb auf saurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier gedruckt. Die Einschweil3folie besteht aus Polyathylen und damit aus organischen Grundstoffen, die weder bei der
Herstellung noch bei der Verbrennung Schadstoffe freisetzen.
Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in
diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme,
dass sole he Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als
frei zu betrachten waren und daher von jedermann benutzt werden durften.
ISBN-13:978-3-8244-4399-4
Geleitwort
Jeder Sprachbenutzer hat es schon erlebt, daB er auf einern Gebiet, wo er Laie ist, mit Fachleuten
kein richtiges Gesprach filhren konnte, well ihm der Jargon das Faches nicht bekannt war. Dies
erkliiren sich dann viele mit dern stetig anwachsenden Fachwortschatz, der zur Kommunikationsbarriere wird.
Birgit Eckardt beschii.ftigt sich irn vorliegenden Buch mit den Kommunikationsstorungen im Gesprlich tiber juristische Sachverhalte zwischen juristischen Fachleuten (Anwiilte und Richter) und
Laien (Mandanten und Verfahrensparteien). Dies verlangt neben der linguistischen Fachkompetenz
auch juristisches WJSSen und filhrt zwangslliufig zu einern interdiszipliniiren Ansatz, der neben
sprachwissenschaftlichen und juristischen Aspekten auch psychologische und soziologische Erklarungsmodelle einbezieht.
Das ermoglicht die empirischen Daten, die aus dern Ehescheidungsrecht herrOhren, eindrucksvoll
zu durchdringen. Die Kommunikationsstorungen zwischen juristischen Laien und Fachleuten erweisen sich dabei in der Mehrzahl nicht als Storungen auf der Sachverhaltsebene sondern vie1mehr
a1s solche, die auf der Beziehungsebene liegen. Sie sind oftmals nicht irn Fachwortschatz a1s solchen
begrOndet.
Wichtig ist auch, daB die Autorin nicht bei der Analyse stehenbleibt, sie unterbreitet auch eine Reihe
von Vorschlagen, wie die aufgezeigten Mangel abgestellt werden konnen. Diese Vorschlage betreffen sowohl den Gesetzgeber als auch die Kommunikationsteilnehmer.
Das vorliegende Buch wurde 1999 von der Philosophischen Fakultat der Friedrich-SchillerUniversitat Jena als Dissertation angenommen. Birgit Eckardt hat sich damit auch der UniversitiltsOffentlichkeit als eine kompetente WJSSenSChaftierin vorgestel1t, die ihre Ergebnisse, die sowohl
fur die Iinguistisch a1s auch rechtswissenschaftlich interessierte Offentlichkeit relevant sind, ansprechend und anschaulich darzuste1len weill. Ich freue mich deshalb, diese Ergebnisse einer f1eilligen
und begabten jungen Wissenschaftlerin einer breiteren Leserschaft ernpfehlen zu konnen.
Christine Romer
Vorwort
Die interdiszipliniire Auseinandersetzung mit der juristischen Fachsprache ist fUr mich das Ergebnis
meines wissenschaftlichen Werdeganges und des Einflusses meiner akademischen Lehrer in der
Germanistik sowie in der Rechtswissenschaft.
Mein besonderer Dank gilt daher HDoz Dr. Christine Romer, die mir die Moglichkeiten interdisziplinarer Arbeit erotfuet hat und mir mit ihrer bestli.tigenden Kritik jederzeit zur Seite stand.
Bedanken m6chte ich mich auch bei Prof Dr. OlafWemer, der mir wichtige rechtswissenschaftliche Anregungen gab und mir insbesondere durch meine Tiitigkeit a1s wissenschaft\iche Mitarbeiterin an seinem Lehrstuhl wesentIiche Einblick:e in die juristischen Arbeits- und Forschungsmethoden
ermoglichte.
Birgit Eckardt
Inhaltsverzeichnis
Abkiirrungsverzeichnis
A. Einleitung
1. Gegenstand und Ziel der Arbeit
II. Methodik
B. Einftihrung in die Fachsprachenforschung
1. Fachsprache als Sprachbarriere
II. Das Nachrichtenquadrat oder der "vierohrige"Emptanger
III. Nichtverstehen und MiBverstehen sprachlicher A.uBerungen
1. MiBverstandnisse auf der gegenstandlichen Ebene
2. MiBverstiindnisse auf der intersubjektiven Ebene
XII
1
1
2
5
8
10
11
13
14
C. Ausgewiihlte Aspekte der juristischen Methodenlehre
17
D. Die sprachliche Charakterisierung der Fachsprache des Rechts
21
1. Die historische Entwicklung der Fachsprachen
21
II. Linguistische Charakterisierung der Fachsprache des Rechts
1. Lexik
24
26
a) Lexikalische Merkmale der Fachsprache des Rechts
b) Lexikalische Merkmale des Ehescheidungsrechts
2. Syntax und Morphologie
26
30
33
a) Syntaktische und morphologische Merkmale der Fachsprache des Rechts
33
b) Syntaktische und morphologische Merkmale des Ehescheidungsrechts
34
3. Pragmatik: Textsorten und Sti1istik
a) Pragmatische Merkmale der Fachsprache des Rechts
36
36
b) Pragmatische Merkmale des Ehescheidungsrechts
37
4. Die Priifung der Rechtsformlichkeit von Gesetzentwiirfen durch das
Bundesministerium der Justiz
E. Der soziolinguistische Ansatz und die Varietiiten des Deutschen
1. Einfuhrung in die Sozio1inguistik
38
43
43
II. Das soziolinguistische Varietatenmodell von LoIDer
45
III. Einordnung def Fachspfache des Rechts in die Varietatenstruktur des Deutschen
46
x
l. Funktiolekt
2. Mediolekt und Situolekt
a) Gesprochene Sprache
b) Geschriebene Sprache
3. Soziolekt
4. Anwendung des Lofflerschen Modells am Beispiel des Ehescheidungsrechts
F. Das Familienrecht
1. Regelungsbereich
II. Rechtsquellen
III. Die historische Entwickiung des Familienrechts
1. Die historische Entwickiung des Eherechts
2. Das Eherecht in der DDR
3. Neue Tendenzen im Eherecht
a) Das neue Familiennamensrechtsgesetz
b) Die Neuordnung des EheschlieBungsrechts
4. Die historische Entwickiung des Kindschaftsrechts
5. Neue Tendenzen im Kindschaftsrecht
6. Die historische Entwickiung des Vormundschaftsrechts
N. Die sprachliche Entwickiung des Familienrechts
1. Vom "unehelichen" zum ,,nichtehelichen" Kind
2. Von der "viiterlichen Gewalt" zur "elterlichen Sorge"
G. Empirische Untersuchung zur Fachsprache des Rechts dargesteUt am Beispiel des
Ehescheidungsrechts
1. Ubersicht iiber die wichtigsten Fachtermini des Ehescheidungsrechts
im Vergleich zwischen Bundesrepublik und ehema\iger DDR
II. Empirische Untersuchung der Fachsprache des Familienrechts
1. Rechtlicher Korpus und sprachwissenschaft1iche Methodik
2. Die Kommunikation zwischen Anwalt und Mandanten
a) Soziologische Angaben
b) Scheidungsvoraussetzungen
c) Scheidungsfolgen 1
d) Scheidungsfolgen 2
3. Die Kommunikation im Scheidungsverfahren
a) Die schriftliche gerichtliche Kommunikation
b) Die miindliche Verhandlung
46
49
50
52
54
55
61
61
62
62
62
70
75
75
77
79
88
93
96
96
98
101
101
105
105
106
106
109
113
119
125
126
128
XI
c) Die anwaltliche und die gerichtliche Kommunikation aus Sicht
der Mandantenl Parteien
130
H. Sprachpflegerische Aspekte der Fachsprache des Rechts unter Beriicksichtigung
der Ergebnisse der empirischen Untersuchung
133
1. Die Kommunikation im Mediationsverfahren
1. Mediation als Konfliktlosungsverfahren
2. Grundsiitze und Ablauf der Mediation
a) Die Mediation in der anwaltlichen Praxis
b) Mediative Elemente im gerichtlichen Verfahren
ll. Die Vermittlerposition des Anwalts
ill. Die gerichtliche Kommunikation
133
133
135
136
139
141
145
J. Zusammenfassung und Ausblick
147
Literaturverzeichnis
149
Weitere verwendete Quellen
Rechtsgrundlagen
155
156
Abkiirzungsverzeichnis
a.F.
alte Fassung
Allgemeines Landrecht fur die PreuBischen Staaten
Art.
Artikel
Bundesarbeitsgemeinschaft fur Familien-Mediation
BAFM
BGB
Biirgerliches Gesetzbuch
BGB-E
BGB-Entwurf; bezeichnet die durch das Gesetz zur Neuordnung des EheschlieBungsrechts zu andemden Paragraphen des Biirgerlichen Gesetzbuches
BGBI.
Bundesgesetzblatt
BR
Bundesrat
BT
Bundestag
BVerfG
Bundesverfassungsgericht
BVerfGE
Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts
EGBGB
Einfiihrungsgesetz zum Biirgerlichen Gesetzbuch
EheG
Ehegesetz
1. EheRG
Erstes Gesetz zur Reform des Ehe- und Familienrechts
f
folgende (Seite)
FamNamRG Gesetz zur Neuordnung des Familiennamensrechts
FamRZ
Zeitschrift fur das gesarnte Familienrecht
if
folgende (Seiten)
FGB
Familiengesetzbuch der DDR
FNA
Fundstellennachweis A
FPR
Familiel Partnerschaft/ Recht
FuR
Familie und Recht
ALR
GG
i.d.F.
i.S.d.! i.S.v.
i.V.m.
GVG
JWG
Grundgesetz
in der Fassung
im Sinne des! im Sinne von
in Verbindung mit
Gerichtsverfassungsgesetz der DDR
Gesetz fur Iugendwohlfa1ut
KRABI.
n.F.
NJW
Rdnr.
RGBI.
Amtsblatt des Kontrollrats
neue Fassung
Neue Iuristische Wochenschrift
Randnummer
Reichsgesetzblatt
StPO
StraIProzeBordnung
XIII
u.U
unter Umstiinden
v.a.
vor allern
ZGB
Zivilgesetzbuch der DDR
ZPO
ZivilprozeBordnung
A. Einleitung
L Gegenstand ond Ziel der Arbeit
"Der Zaun, der Germanisten und Juristen in ihrer Arbeit voneinander trennt, ist hoch. Selten wagt
es heute ein Gelehrter, sich mit Gegenstiinden zu beschiiftigen, fur die eine andere Fachwissenschaft
als zustandig gilt. Dber diesem Takt, der in Wahrheitoft Feigheit ist, bleiben leicht Forschungsfelder unbearbeitet, auf denen bei gemeinsamer Arbeit viel zu emten ware"', so trefl'end beschreibt der
Jurist Hans Hattenhauer das Dilemma des interdiszipliniiren (Nicht)zusammenarbeitens von Sprachund Rechtswissenschaft\em. Doch jeder Gartenzaun verfiigt auch iiber eine Gartentiir, durch die
man wechselseitig das jeweilige Nachbargrundsruck betreten und sich darin urnschauen kann. Die
vorliegende Arbeit soli aufZeigen, welchen Vorteil Germanisten und Juristen aus der Benutzung
dieser Gartentiir und aus dem Betreten des Nachbargrundsruckes ziehen konnen. Eine fachiiber!:,'feifende Zusammenarbeit ist heute wichtiger denn je, denn die Rechtsordnung tangiert alle Lebensbereiche und hat eine besondere Beziehung zur Kommunikation und zur Sprache iiberhaupt.
Nur mittels Sprache ist es moglich, bestimmte Rechtsnormen festzuschreiben. Dabei ist es unwesentlich, ob diese Rechtsnormen zum Privatrecht gehOren, das die Ausgesta1tung der Rechtsbeziehungen zwischen den Biirgem auf einer Ebene der G1eichordnung regelt, oder ob es sich urn offentlich rechtliche Normen handelt, die das Verhiiltnis des Staates und seiner Institutionen a1s Hoheitstrager zu den Biirgem im Rahmen eines Uber-I Unterordnungsverhiiltnisses regein.
Wie jede Wissenschaft bedient sich auch die Rechtswissenschaft einer Fachsprache, die dem Laien
nicht ohne weiteres zugiingIich ist. Ziel der vorliegenden Arbeit ist daher eine niihere Untersuchung
ausgesuchter Aspekte dieser Fachsprache und wer sprachIichen Besonderheiten sowohl in der
miindlichen a1s auch in der schriftlichen Sprachverwendung: "Wiihrend sich die Fachsprachenforschung traditionellerweise eher mit morphologischen, syntaktischen und lexiko-sernantischen
Aspekten des schriftIichen Fachsprachengebrauchs ... sowie deren EinfluB auf die sogenannte "Gemeinsprache" und nur sporadisch und unsystematisch mit dem miindIichen Fachsprachengebrauch
beschaftigte, wird zunehmend eine Ausweitung des Gegenstands- und Forschungsbereichs gefordert .... Hiermit tritt die Untersuchung miindlicher Kommunikation wie auch die Beschiiftigung mit
Verstiindigungsprozessen in miindlicher und schriftlicher Kommunikation in den Vordergrund.
GemiiB der Unterscheidung zwischen fachintemer und fachextemer Kommunikation wird die Beriicksichtigung des sozialen Kontextes bei der Analyse und Kritik fachsprachlicher Texte hinsichtlich ihre "SchwerverstandIichkeit" verlangt. ,,2
Hattenhauer, R: Denkfehler zeigen sich in Stilfehlem Frankfurter Allgemeine Zeitung. Nr. 286 yom
8.12.1995.
2
Sclling, M.: Verstandiguogsprobleme. Tiibingen 1987. S. 20.
2
Die Arbeit soIl weiterhin dazu beitragen, bestehende Vorurteile gegeniiber berechtigter Sprachkritik
abzubauen, denn "Sprachkritik ist nicht, wie viele glauben, ein Akt der SchuImeisterei oder einer
iisthetischen Rhetorik, die den schOnen Ausdruck verlangt, sondern der Versuch, Verstandlichkeit
durchzusetzen. Eine wahrhaft simple Forderung, bis zu deren Erfi.illung jedoch ganze Berge von
Verschleierungen, Vorurteilen und Beschwichtigungen abzutragen sind."3 1m Mittelpunkt steht
dabei der Schltisselbegri£f "Verstandigung". Betrachtet wird die Kommunikation zwischen Fachleuten und Laien tiber rechtIiche Sachverhalte und dabei auftretende Kommunikationsschwierigkeiten, die zu einer gestorten Verstiindigung fuhren konnen. Gegenstand der Untersuchung sind die
sprachlichen und auBersprachlichen Faktoren, die das Auftreten von Verstandigungsproblemen
beeinflussen sowie Moglichkeiten zur Minirnierung dieser Kommunikationsstorungen. Aus Sicht
von Juristen stellt sich die Situation folgendermaBen dar: "Es giibe zwar eine Verstandigungsbarriere beijuristischen Texten, die sich auch in sprachlichen Besonderheiten zeige. Sie sei aber in Gesetzestexten nicht besonders groB .... Soweit eine Barriere vorhanden se~ beruhe diese eher auf der
Fachterminologie a1s aufBesonderheiten in der Syntax. Ein entscheidender Abbau der Barriere sei
dariiberhinaus letztIich wegen der Unverzichtbarkeit der Terminologie und der nur marginalen
Rolle der Satz- und Textkonstruktion nicht moglich. Er sei auch nicht notig, weil die Juristen weder
mit der Terminologie der Texte noch mit deren komplizierten Konstruktionen Schwierigkeiten
hatten. AuBenstehende aber seien in KontliktfaIlen ohnehin auf einen Anwalt a1s Vermittler angewiesen, der neben dem rein rechtlichen Bereich auch das fachsprachliche Unvermogen von Angeklagten oder Rechtsuchenden ausgleichen konne.'" Auch dieses Meinungsbild wird einer kritischen
Priifung unterzogen.
ll. Methodik
Die vorliegende Arbeit ist interdiszipliniir angelegt und enthillt deshalb sowohl sprachwissenschaflliche a1s auch rechtswissenschaft1iche Aspekte. Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf der sprachwissenschaft1ichen Analyse der Fachsprache des Rechts, rechtswissenschaft1iche Aspekte erganzen
diese Untersuchung. 5 Dabei bezieht sich die Analyse rechtssprachlicher Strukturen auf den Bereich
des Familienrechts. Diese Auswahl begriindet sich folgendermaBen: Gerade das Familienrecht hat
vielfaltige Auswirkungen auf das Leben der Menschen. Starker a1s in anderen Bereichen des Rechts
tangiert diese Rechtsmaterie den Laien und zwingt fun zur Auseinandersetzung, die oft nur durch
die fachsprachliche Vermittlung des Anwaltes erfolgen kann. Der nicht zu unterschatzende EinfluB
des Familienrechts auf die Privatsphiire des einzelnen fuhrt dazu, daB sich gerade in diesem Bereich
4
Heckmann, H.: Pliidoyer fiir eine biirgemahe Gesetzessprache. In: Der offentIiche Sprachgebrauch. Slultgllrl
198I.S.II.
Dobnig-Jiilch, E.: Fachsprachenbarrieren. In: Gcbrauchsliteratur - Inlerferenz - KontrastivitilL Frankfurt am
Main, Bern 1982. S. 323.
3
die unterschiedlichen Kommunikationsebenen besonders gut beschreiben und naher untersuchen
lassen. Dariiber hinaus unterliegt insbesondere das Familienrecht dUTCh verschiedene Refonnen im
Kindschaftsrecht und im EheschlieBungsrecht einer Dynamik, die sich auch auf die sprachliche
Entwicklung und auf das Kommunikationsverhalten auswirkt.
Die Arbeit gliedert sich in vier Schwerpunktbereiche: Den ersten Bereich bildet die theoretische
Untersuchung der sprachwissenschaftlichen Grundlagen der Fachsprachenforschung. Dazu gehOrt
unter anderem die Problematik von Fachsprachen als Sprachbarrieren, die Analyse des Kommunikationsmodells von Friedemann Schulz von Thun unter Bemcksichtigung der Frage, wie Verstiindif,'llIlg reaIisiert wird und unter weIchen Voraussetzungen es zum Nichtverstehen oder Millverstehen von sprachlichen AuBerungen kommt. AuBerdem wird die Fachsprache des Rechts in Bezug
aufLexik, Syntax und Morphologie sowie Pragmatik sprachlich charakterisiert und die so gewonnenen Merkmale auf den Teilbereich des Ehescheidungsrechts angewandt. Dieser erste Schwerpunkt wird durch die Analyse des soziolinguistischen Varietaten-Modells von Uiffler und dessen
Anwendung auf das Ehescheidungsrecht abgerundet.
Den zweiten Schwerpunkt bilden ausgewiihlte Aspekte der juristischen Methodenlehre insbesondere unter Beachtung der Auslegungsmethoden und Gesetze. Hinzu kommt ein historischer AbriB
iiber die Entwicklung des Familienrechts mit den Teilbereichen Eherecht, Kindschaftsrecht und
Vonnundschaftsrecht. Dabei wird insbesondere auch die Entwicklung dieses Rechtsgebietes in der
ehemaligen DDR, soweit dies fur den Fortgang der Untersuchung von Relevanz ist, betrachtet. Der
zweite Schwerpunktbereich wird dUTCh eine DarsteUung der neuesten Tendenzen und Refonnbestrebungen im Familienrecht sowie dUTCh eine Analyse der sprachlichen Entwicklung dieses
Rechtsgebietes an zwei ausgewiihlten Beispielen ergiinzt.
Der dritte Themenschwerpunkt und Hauptteil der Arbeit ist die empirische Untersuchung der Fachsprache des Rechts am Beispiel des Ehescheidungsrechts. In diesem Teil werden die zuvor theoretisch analysierten sprach- und rechtswissenschaftlichen Erkenntnisse mit den empirisch gewonnenen
Daten aus dem Bereich der Kommunikation zwischen Anwalt und Mandanten sowie der gerichtlichen Kommunikation verglichen und auf ihre Anwendbarkeit auf das Ehescheidungsrecht hin iiberpmft.
Aus den Ergebnissen dieser empirischen Untersuchung leitet sich der letzte Themenschwerpunkt
ab, der die sprachpflegerischen Aspekte der Fachsprache des Rechts urnfaBt. In diesem Teil wird
unter Bemcksichtigung der erlangten theoretischen und empirischen Ergebnisse eine Anwort auf
die Frage gegeben, weIche sprachlichen Ansiitze denkbar sind, urn im Bereich des Ehescheidungsrechts zukiinftig Kommunikationsst6rungen zu verringem oder ganz zu venneiden.
5
Insowcil richtet sich auch die Zilierweise der verwendeteu Literatur nnch den fur die Germauislik cmpfohlcncn
Krilerien.
B. Einfiihrung in die Fachspracbenforscbung
Die modeme Fachsprachenforschung ist eine jiingere TeildiszipJin der Linguistik, die zu Beginn der
dreiBiger Jahre in das Blickfeld der Forschung geriet. Am Beginn steht die Dissertation Eugen
Wiisters, "die die modeme Terminologiefurschung begriindete und die wohl auch mit dazu beigetragen haben diirfte, dass lange Fachsprache iiberhaupt weitgehend mit Terminologie gleichgesetzt
wurde."" Die Terminologieforschung wurde in dem MaBe notwendig, wie sich die Bediirfuisse der
modemen Naturwissenschaften und der industriellen Technik weiterentwickelten.
In den vierziger Jahren stagnierte die Fachsprachenforschung, und erst "die zunehrnende internationale Verflechtung und die Ausweitung des Welthande1s in den fiinfziger und sechziger Jahren
brachten es dann mit sich, dass filchsprachliche Fremdsprachenkenntnisse in vielen Bereichen unerliiBlich wurden. Zugleich erhOhte sich der Bedarf an Ubersetzungen filchsprachlicher Texte, und das
Bediirfuis, Fachsprachendidaktik und filchsprachliche Ubersetzung auf eine wissenschaft1iche
Grundlage zu stellen, diirfte zu den wichtigsten Triebkraften zu ziih1en sein, die den Aufschwung
mit herbeifiihrten, den die Fachsprachenforschung damals nahrn.,,7 Diese Entwicklung wurde unterstiitzt durch die Abwendung der Sprachwissenschaft von der "primiir historisch-diachronisch orientierten Betrachtung von Sprache" und einem wachsenden Interesse an einer "synchronisch angelegten Erforschung der Gegenwartssprache, wobei natiirlich die Fachsprache nicht ausgespart
werden konnte".8 In den siebziger Jahren war die fachsprachliche Forschung dann soweit gediehen,
daB die ersten Gesamtdarstellungen publiziert wurden, auf die sich die wissenschaft1ichen Untersuchungen stiitzen konnten:
Weitere fachsprachliche Forschungsgebiete sollen an dieser Stelle nur kurz erwalmt werden, da sie
fur die vorliegende Arbeit eine untergeordnete Rolle spielen. Ausgehend von unterschiedlichen
methodischen Herangehensweisen werden verschiedene filchsprachliche Fragestellungen ana1ysiert,
wie beispielsweise die Bemiihungen urn eine wissenschaft1iche Grundlegung der Terminologielehre
oder Frequenzuntersuchungen zum Wortschatz in fachsprachlichen Texten sowie Arbeiten zur Gestaltung zwei- und mehrsprachiger Worterbiicher. Unverkennbar ist auch, daB sich die Fachsprachenforschung auf textuelle sti1istische Eigenschaften ausgedehnt hat.
Viele fachsprachliche Arbeiten der letzten 25 Jahre bemiihen sich urn eine Wesensbestinnnung von
Fachsprache und versuchen, eine Abgrenzung zwischen Fach- und Allgemeinsprache vorzunehrnen.
Diesen Definitionsversuchen ist gemeinsam, daB sie meist widerspruchlich, verwirrend und unzuliinglich sind. So konstatiert Hartmann: ,,Immer wieder wird in einschliigigen Arbeiten darauf hingewiesen, daB zwei so grundlegende Fragen wie einrna1 die Abgrenzung zwischen Fach- und Ge6
7
8
9
Rossenbeck, K: Zwn Stand der FachsprachenforNchung. Germanist.isches Bulletin (1984) H.7, S. 65.
Rossenbeck, K: Zum Stand der Fachsprachenforschung. S. 66.
Rossenbeck, K: Zwn Stand der Fachsprachenforschung. S. 66.
So z.B. Fluck, H.-R: Fachsprachen. 4. Aufl. Tiibingen 1991.
6
meinsprache und zum anderen eine niihere Iinguistische Charakterisierung von Gemeinsprache nicht
gelost sind. Dieses Defizit betriffi: aber nicht nur die notwendige Gegenstandsbestimmung auf der
sprachtheoretischen Ebene, sondem auch die Abgrenzung des Gegenstandsbereichs seIber und
zwar so, daB dieser fur empirische Arbeiten zuganglich ist."'o
Ein zentrales Problem der Definition von Allgemeinsprache besteht darin, daB dieser Begriff meist
in der Ausgrenzung aIles AuBerfachsprachlichem quasi als Sammel- und Restkategorie dieses
nichtfachsprachlichen Bereichs verwendet wird."
Demnach ist unter Allgemeinsprache der Kembereich einer Sprache zu verstehen, an dem aile
Mitglieder der Sprachgemeinschaft teilhaben.12 Abgrenzend dazu wird Fachsprache wie folgt definiert: ,,Jede Sprache umfaBt auBer dem aIlgemeinsprachigen Kern viele Teilsprachen, die jeweils
nur einem kleinen Teil der Sprachgemeinschaft geliiufig sind. Teilsprachen sind entweder Fachsprachen oder Sondersprachen. Eine Fachsprache ergiinzt die Allgemeinsprache durch zusiitzliche
Begriffe und ihre Benennungen.,,13 Die letztgenannte Definition verweist dartiber hinaus auf ein
weiteres Problem, die Reduzierung der Fachsprache auf ihre spezielle Terminologie.
Dieser kurze Einblick soli genugen, urn zu zeigen, daB aIlein die Gegenuberstellung der zwei nicht
eindeutig definierten Begriffe Fachsprache und Allgemeinsprache fur eine gezielte fachsprachliche
Untersuchung nicht ausreicht. Dobnig-Jiilch wendet deshalb zu Recht ein: ,,Bei kritischer Sicht ist
Z.B. schon merkwiirdig, daB dem groBen, ungegliederten Block der deutschen Gemeinsprache so
viele "Sprachen" ... gegeniiberstehen sollen."'4 Und Bolten spricht von einem "Unbehagen in der
Linguistik" gegeniiber der "Sinnhaftigkeit der Bezeichnung Fachsprache"15: nEs bestehe inzwischen
weitgehend Konsens, daB der Begriff Fachsprache allenfhlls heuristisch zu verwenden, sicherlich
aber nicht als Terminus im Sinne der Fachsprachenforschung zu verstehen sei. Wahrend Wiister
Fachsprache noch im Sinne eines terminologischen Additivs zur Gemeinsprache und damit als Teilsprache definieren konntel6, gOOen spiUestens diachronisch angelegte Untersuchungen zur Determinologisierung zu erkennen, daB eine eindeutige Grenzziehung zwischen Gemein- und Fachsprache nicht moglich sei."'? Dobnig-Jiilch fordert aufgrund dieser Schwierigkeiten, "daB ein bestimmtes MaB an MiBtrauen gegen Fachsprachendefinitionen mit weitreichendem Anspruch ange-
10
II
12
13
14
15
16
17
Hartmann, D.: Uber den Einflufl von Fachsprachen auf die Gemeinspracbe. Semantische und variationstheoretische Uberlegungen zu einem wenig erforschten Zusanuneohang. In: Fachsprachen und ihre Anwendung. Tiibingen 1980. S. 30r.
Vgl. Hartmann, D.: Uber den Einflufl von Fachsprachen auf die Gemeinsprache. S. 31.
Vgl. Drozd.. L.; Seibicke, W.: Deutsche Fach- und Wissenschaftssprache. 1. Anfl. Wiesbaden 1973. Geleitworl
S. VIII.
Drozd.. L.; Seibicke, W.: Deutsche Fach- und Wissenschaftssprache. Geleitwort S. VIII.
Dobnig-Jiilch. E.: Fachsprachenharrieren. S. 317.
Bollen, J.: "Fachsprache" oder "Sprachbereich"? Empirisch-pragmatische Grundlagen zur Bescbreibung der
deulschen Wirtschafts-, Medizin- und Rechtssprache. In: Beitrllge zur Fachsprachenfurschung.Tostedl 1992.
S.58.
Vgl. dazu das zu Fuflnot.e 6 gehiirige Zitat
Siehe Bolten, J.: ,,Facbsprache" oder "Sprachbereich"? S. 58.
7
bracht ist und die Versuche solcher Definitionen durcbaus mit nur intuitiv a1s fachsprachlich identifiziertem Material gepriift werden konnen".18 Sie schluBfoigert deshalb, "daB Fachsprache aIs generelies Phiinomen bei einem urnfassenden Verstlindnis von Sprache noch nicht hinreichend definiert
werden kann"19.
Trotz dieser Definitionssehwierigkeiten sollte der Begriff "Fachsprache" nicht aufgegeben werden.
Es gibt verschiedene Fachbereiche in den WJSSenSChaften sowie auch unterschiedliche Berufe, die
zu Besonderheiten in der Sprache fiihren und somit den Begriff ,,Fachsprache" determinieren.
Insofem wird auch deutlich, daB es eine Vielzahl von Fachsprachen gibt, die an den jeweiligen
Fachbereich oder Beruf gebunden sind.
Verscharft wird die Problematik von AlIgemeinsprache und Fachsprache dadurch, daB bestimmte
Fachsprachen, so auch die Sprache des Rechts, die AlIgemeinsprache immer stiirker durchdringen:
,,Die Feststellung, daB unser heutiges Deutsch in stiirkerem MaBe aIs friiher von den Fachsprachen
mitbestimmt wire\, Ilillt sich fur die Lexik, die Syntax und gewisse Denkformen im einzelnen nachweisen. Exakte Daten fiber den GesamteinfluB oder die Zahl fachsprachlicher E1emente in der
Gemeinsprache liegen aIlerdings nicht vor. Dieser Mangel hiingt mit der Schwierigkeit der Abgrenzung beider Realisationssysteme und ihrer Definition zusammen.... In vielen Einzelfii1len wird es
deshalb umstritten bleiben, ob man nun ein Fachwort noch aIs speziaIsprachlich oder bereits a1s
gemeinsprachlich, das heiBt a1s voll integriertes (aktiv und passiv) Element im gemeinsamen Zeichenvorrat ailer Sprachteilhaber, betrachtet.'ao Dec fachsprachliche EinfluB auf die AlIgemeinsprache zeigt sich im lexika1ischen Bereich vor aIlem durch einen sprunghaften Anstieg des Wortschatzes. A1s Multiplikatoren wirken verstiirk.t die Massenmedien, Fach- und Sachbiicher sowie die
Wirtschaftswerbung. Fachsprachliche Lexik kommt besonders aus Bereichen, die den Biirger unmittelbar tangieren, wie Politik, WJrtschaft, Recht, Technik und WJSSenSChaft. Breiten Raum nimmt
daneben auch der unmittelbare Arbeits- und Freizeitbereich ein. Der EinfI.uB fachsprachlicher Lexik
kann zu Kommunikationsbarrieren fiihren, wenn ec zu einer ,,'Obersattigung des passiven Wortschatzes,al fi.ihrt: Das nur passiv rezipierte Wort Wird dann :fulsch oder ungenau gebraucht. Dadurch entsteht die Gefahr, daB die' allgemeine Spracbkompetenz eingeschriinkt wird und dadurch
Manipulationen moglich werden. Deshalb wird die berechtigte Focderung nach einer Vermittlung
zwischen Fach- und A1Igemeinsprache, also auch zwischen Fachleuten und Laien, immer lauter. Die
vorliegende Arbeit soIl dazu einen Beitrag Ieisten.
Eng verbunden mit dem Problem der Abgrenzung zwischen Fach- und AlIgemeinsprache bleibt die
Frage nach der ,,horizontaIen Gliederung" von Fachsprachen, das heiBt, ob es eine Fachsprache an
18 Dobnig-Jillch, E.: Fachsprachenbarreren. S. 320.
19 Dobnig-Jillch, E.: Fachsprachenbarrieren. S. 320.
20 Fluck, H-R: Fachsprachen. S. 161.
21 Fluck, H-R: Fachsprachen. S. 42.
8
sich gibt oder ob verschiedene an gewisse Fachgebiete gebundene Fachsprachen existieren.22 Seit
den sechziger Jahren treten ausgehend von der sogenannten Funktionalstilistik und einer kommunikationsorientierten Sichtweise weitere Fragestellungen hervor, "die als Ausgangspunkt die Kommunikation im Fach wahlen".23 So kommt es zur Bestimmung von ,,Funktionalstilen" und zur Untersuchung der "vertikalen Schichtung" von Fachsprache. Schrittweise wurde die isolierte Wortschatzbetrachtung zugunsten eines "aIle sprachlichen Erscheinungen umfassenden Ansatzes,a4
aufgehoben. Fiir die in diesem Zusammenhang zu beantwortenden Fragestellungen bietet die gerrnanistische Soziolinguistik einen erfulgversprechenden Ansatz, der in den nii.chsten Kapiteln entwickelt und auf seine Anwendbarkeit beziiglich der Charakterisierung der Fachsprache des Rechts
iiberpriift werden soil.
Eng damit verbunden ist die Problematik der Fachsprachen als Sprachbarrieren, die in den folgenden Kapiteln untersucht wird. Ein sich anschlieBender kurzer historischer AbriB gibt Einblick in die
geschichtliche Entwicklung der Fachsprachen. Es folgt eine sprachsystembezogene Erorterung des
Begriffes ,,Fachsprache", die im Hinblick auffuchsprachliche Erscheinungsformen AufschluB iiber
die innere Struktur der Fachsprache des Rechts geben soil.
L Fachsprache aIs Sprachbarriere
Ein wesentlicher Bereich der Fachsprachenforschung, der im Mittelpunkt insbesondere des empirischen Tells der vorliegenden Arbeit stehen soil, ist die Untersuchung von sogenannten Sprachbarrieren25 , die die Verstiindigung innerhalb kommunikativer Prozesse erschweren oder gii.nzlich
verhindem. Dabei muB unterschieden werden zwischen Informationsbarrieren, kommunikativen
Barrieren sowie Sprach- und Handlungsbarrieren. Die immer weitergehende Spezia\isierung innerhalb der einzelnen Fachsprachen fiihrt dazu, daB selbst Spezialisten ein und desselben Faches einander nicht verstehen (Informationsbarriere). Kommunikationsbameren treten immer dann auf; "wenn
Fachsprachen in die gesamtgesellschaftliche Diskussion einflie13en, ihr Wissen aber nicht allgemein
vermitteln,,26.
Genau diese Situation findet sich in der kommunikativen Anwendung der Rechtssprache zwischen
Fachleuten und Laien. Das Auftreten solcher Sprachbarrieren hat entweder ein Nichtverstehen oder
ein Mi13verstehen des Kommunikationspartners zur Folge und zwar unter der Voraussetzung, daB
22
23
24
25
Vgl. Rossenbeck, K: Zum Stand der Fachsprachenforschung. S. 67.
Miilm, D.; Pelka, R: Fachsprachen. Tiibingen 1984. S. 2.
Miilm, D.; Pelka, R: Fachsprachen. S. 2.
Der BegriJI "Sprachbarriere" stammt urspriinglich aus der Kodetheorie Bemsteins. Daoach sollen Sprecher der
sogenannten Unterschicht auf Grund der Verwendung eines restringierten Kodes iiber eingescbrilnkte sprachliche und kognitive Fiihigkeiten verfiigen, wodnrch ihr beruflicher oder sozia1er Anfstieg gehenunt oder blockiert
26
Fluck, H.-R: Fachsprachen. S. 39.
wird
9
Verstandigung ganz a1lgemein immer dann vorliegt, "wenn der Rezipient eine ihm mitgeteilte Aussage so versteht, wie sie vom Kommunikator gemeint ist'<27.
Urn das Auftreten von Sprach- und Handlungsbarrieren genau analysieren zu konnen, ist es notwendig, den ProzeB des Verstehens zu kennen: ,,Das Verstehen einer sprachlich vermittelten Aussage, also das Erkennen dessen, was mit einer sprachlichen AuBerung tatsiichlich gemeint ist, hiingt
sowohl vom Erkennen des Bedeutungsgehaltes der sprachlichen Zeichen(folge), a1s auch von einer
kommunikatorgerechten Interpretation der gesetzten Sprechakte28 abo Verstandigung zwischen
zwei Gespriichspartnern setzt somit nicht nur eine Ubereinstimmung von Sprecher und Horer in
bezug auf den semantischen Gehalt sowie die syntaktischen Kornbinationsmoglichkeiten sprachlicher Zeichen voraus; Verstandigung erfordert auch eine Einigung iiber den pragmatischen Verwendungssinn der jeweils geiiuBerten Zeichen bzw. Zeichenkornbinationen. Eine Verstandigung
zwischen Sprecher und Horer erfordert also eine Begegnung auf zwei ,,Ebenen" der Kommunikation."29 Die beiden Ebenen sind in der Grafik dargestellt:
Ebene der Gegenstiinde
Ebene der Intersubjektivitat
Verstandigung Gber den mitzuteilenden
Verstandigung Gber den Typus des ge-
Sachverhalt
setzten Sprechaktes
Tabclle 1
Verstandigung ist deshalb nur moglich, "wenn beide Kommunikationspartner irn Moment der
Kommunikation in gleicher Weise beide Ebenen betreten".30
Erschwert wird die Verstandigung oft durch die eigentiimliche ,,Doppelstruktur umgangssprachlicher Kommunikation"31. Darunter ist zu verstehen, daB der eigentliche Sprechakt meist nur impliziter Bestandteil der sprachlichen .AuBerung ist: ,,Die Schwierigkeit im Hinblick auf die herzustellende Verstiindigung besteht nun darin, daB der vom Sprecher intendierte pragmatische Verwendungssinn einer Botschaft vom Horer auch dann erkannt werden muB, wenn er nicht in expli-
Burkart, R: Kommunikationswissenscbaft. 3. iiberarb. AutI. Wien, KOln, Weimar 1998. S. 75.
Die von Austin begriindete "Sprechakttheorie" basiert auf der Erkenntnis, daB das Sprecben einer Spracbe eine
Form des menschlichen Handelns darstelh. Siehe dazu auch Hensinger, S.: Pragmalinguistik. Frankfurt am
Main 1995. S. 15 f..
29 Burkart. R: Kommunikationswissenschaft. S. 78.
30 Burkart, R: Kommunikationswissenscbaft. S. 79.
31 Habcrmas, 1.; Lulunann, N.: Vorbereitende Bemerlrungen zu einer Theorie der konmrunikativen Kompetenz.
Frankfurt am Main 1971. S. 105.
27
28
10
ziter Form Bestandteil der jeweiligen sprachlichen AuBerung ist.,m Diese Interpretation erfolgt
meist tiber den Kontext, in den die sprachliche AuBerung eingebettet ist. Eine wesentliche Rolle
dabei spielt der sogenannte Beziehungsaspekt33 . Ausschlaggebend ist die soziale Position, in der der
Kommunikationsteilnehmer in Erscheinung tritt. Diese soziale Position lost eine Erwartungshaltung
des Gegentibers aus und aktiviert bei ibm gewisse Verhaltensmuster, von denen aus "das Verhalten
des jeweiligen Interaktionspartners gedeutet werden kann'''4.
II. Das Nachrichtenquadrat oder der "vierohrige" Empfiinger
Einen iihnlichen, aber priizisierten und anschaulicheren Ansatz, der auch dem empirischen Teil
dieser Arbeit zugrunde liegt, verfolgt Friedemann Schulz von Thun. Auch er geht davon aus, daB
Kommunikation auf mehreren Ebenen stattfindet. Schulz von Thun kombiniert nun die Auffassung
von Watzlawickl5 und Biihler6 und kommt so zurn nachstehenden Nachrichtenquadrat:
Sachinhalt
Selbstoffenbarung
Nachricht
Appell
Beziehung
Ein und dieselbe Nachricht enthiilt demzufolge mehrere Botschaften aufvier verschiedenen Ebenen,
die in der folgenden Obersicht kurz erliiutert werden:
32
33
34
35
Burkart, R: Kommunikationswissenschaft. S. 80.
Watzlawick fiihrt analog zu den schon genannten kommunikativen Ebenen einen Inhalts- Wld einen BeziehWlgsaSpekt ein. Der Inhaltsaspekt vennittelt die ''Daten''. Der BeziehWlgsaspekt erkliirt , wie diese Daten aufzufassen sind. Fiir den BeziebWlgsaspekt ist dabei wichtig, wie Sender WId Empflinger die BeziehWlg zwischen
sich definiereIL Vgl. Watzlawick, P.; Beavin, HI; Jackson, D.O.: MenscWiche KommWlkatioIL Nachdr. der
8. Wlveliind Auf!. Bern, Stuttgart, Toronto 1993. S. 53 ff..
Burkart, R: Kommunikationswissenschaft. S. 81.
Oer "Inhnltsaspekt" bei Watzlawick ist danach gleichbedeutend mit dem "Sachinhalt" des Schulz von 11lUnschen Modells. Der "BeziehWlgsaspekt" ist bei Watzlawick weiter definiert WId umfullt die "SelbstolIenbarung",
die ''Beziehung" Wld den "Appell" im Schulz von ThWlSChen Modell.
11
Sachinhaltsebene
Selbstoffenbarungsebene
Beziehungsebene
Appellebene
Woriiber informiere ich?
Was gebe ich selbst von mir kund?
Was halte ich von meinem Kommunikationspartner und wie stehen wir zueinander?
wozu mochte ich meinen Kommunikationspartner veranlassen?
Tabellc 2
ffi. Nichtverstehen nnd Millverstehen sprachlicher Anllerungen
Die eben ausgefiibrte Betrachtung des Nachrichtenquadrats beziehungsweise der vier Kommunikationsebenen wurde iiberwiegend aus Sicht des Senders dargestellt. Der kommunikationsfahige
Sender rnuJ3 immer alle vier Ebenen beherrschen. Dominiert bei ihm nur eine der vier Ebenen, kann
das zu KommunikationsstOrungen fuhren. Fiir den Empfanger gilt dasselbe. Urn angernessen kornrnunizieren zu konnen, rnuJ3 er die vier Ebenen beachten, er rnuJ3 quasi auf "vier Ohren"" horen
konnen. Dabei hat er beziiglich seiner Reaktion die fide Auswahl, auf we\che der vier Ebenen der
Nachricht er reagieren will. Diese freie Auswahl fiihrt dann zu Kommunikationsproblernen, "wenn
der Ernpfanger auf eine Seite Bezug nimmt, auf die der Sender das Gewicht nicht legen wollte.
Oder wenn der Ernpfanger iiberwiegend nur mit einern Ohr hbrt, und darnit taub ist (oder sich taub
stellt) fur alle Botschaften, die sonst noch ankommen."38 Die Verstiindigung wird immer dann
gestort, wenn gesendete und ernpfangene Nachricht nicht iibereinstimmen. Nach dern Schulz von
Thunschen Modell ist das immer der Fall, wenn der Ernpfanger nicht iiber eine "ausgewogene
Vierohrigkeit,,39 verfiigt. Dann kommt es zu Kommunikationsschwierigkeiten, wobei zwischen
Nichtverstehen oder Millverstehen des Kommunikationspartners differenziert werden rnuJ3. Worin
36
37
38
39
Bubier unterscheidet "drei Aspekte der Sprache: "Darstellung" (= Sachinl13lt), "Ausdruck" ( = Selbstolrenharung) und "Appell". Vgl. BtihIer, K: Sprachtheorie. Ungekiirzter Neudrnck d Ansg. Jena, Fischer 1934. Stuttgart, New York 1982. S. 28 if..
Schulz von ThUll, F.: Miteinander reden 1. Reinbeck bei Hambnrg 1981. S. 44.
Schnlzvon ThUll, F.: Miteianderreden 1. S. 46.
Schulz von ThUll, F.: Miteinander reden 1. S. 46.
12
dabei die Unterschiede liegen, zeigt die folgende Ubersicht anhand des Burkartschen Modells der
zwei Kommunikationsebenen:'o
Gegenstiindliche Ebene
Intersubjektive Ebene
sprachliche AuBerungen werden
die
Nichtverstehen
Kommunikationspartner
verfGgen
Gber unterschied-
liche Zeichenvoll"iite
nicht als solche erkannt; Unvermogen
des Empfangers,
sprachliche
Manifestation
die
zu
identifizieren
die
Kommunikationspartner
verfGgen zwar grundsalzlich
MiBverstehen
Gber die gleichen Zeichenvorrate, verbinden aber damit
unterschiedliche
gen
8edeutun-
die Kommunikationspartner interpretieren
die
geselzten
Sprechakte unterschiedlich; d.h.
der Harer erkennt den yom
Sprecher intendierten pragmatischen
Verwendungssinn
der
Aussage nicht
Tabcllc 3
Die Ursachen fur die genannten Sprachbarrieren zu erlautem, fiillt fur den Bereich des Nichtverstehens verhiUtnismii/3ig leicht: ,,Einerseits fehlt ein MindestmaB an Deckungsgleichheit im Zeichenvorrat von Sprecher und Harer (= gegenstandliche Ebene). Sprache kann ihre kommunikative
Funktion eben nicht erfullen, wenn der Sprecher Zeichen verwendet, iiber deren semantischen
Gehalt der Horer nicht verfiigt.... Andererseits fehlen die Voraussetzungen, eine sprachliche Manifestation iiberhaupt als solche zu erkennen (= intersubjektive Ebene), sei dies nun aus mangelndem Wissen heraus (anderer Kulturkreis) oder infolge eines physischen Gebrechens (Storung des
entsprechenden Rezeptionskana1s). «'I
Im Bereichs des MiBverstehens sind die Erklarungsansatze weitaus komp1izierter und komplexer.
Fraglich ist, warum trotz gleicher Zeichenvorrate beider Kommunikationspartner "Diiferenzen im
Bereich der semantischen Zeichendimension auftreten; bzw. warum es trotz der Fahigkeit des
40
41
Vgl. auch Burkart, R: Kommunikationswissenschaft. S.84 f .. - In Anwendung des Schulz von TImnschcn
Ansalzes enlsprichl dabei - wie schon im vorangegangenen Kapitel herausgearbeilet - die "gegeusllindliche
Ebene" der "SachiulJaltsebene". Die "intersubjektive Ebene" umfiIJ}t die Schulz von Thunschen Ebcnen dcr
"SclbstotIenbarung", der ''Beziehung'' sowie des "Appells".
Burkart. R: KOIlUUunikationswissenschaft. S. 85 f..
13
Horers, Sprechakte zu identifizieren, zu keiner kommunikatorgerechten Interpretation des pragmatischen Verwendungssinns der jeweiligen Aussage kommt"42.
1. MiBverstandnisse auf der gegenstandlichen Ebene
Hier wird schwerpunktmlillig die Frage zu kliiren sein, wanun zwei Kommunikationspartner, die
grundsiitzlich i.iber den gleichen Zeichenvorrat verfiigen, den sprachlichen Symbolen unterscbiedliche Bedeutungen zuordnen.
Wichtig ist dabei der ProzeB der Bedeutungszuordnung, der bei zwei Kommunikationspartnem "im
Moment des wechselseitigen Realisierens sprachlicher Symbole"43 beginnt. Dabei werden bei beiden Gespriichspartnem jeweils "subjektiv klassifizierte Umwelterfahrungen - d.h. aufgrund persOnlicher Erfabrung gebildete Begriffe"" in das BewuBtsein gerufen. Verstandigung ist aber nur dann
moglich, "wenn das sprachliche Symbol im BewuBtsein beider Kommunikationspartner die gleichen
Begriffiichkeiten wachrufen kann"45.
Unterschieden werden muB in diesem Zusammenhang zwischen der ,,niiheren" und der "weiteren
Umwelt" des Menschen: ,,Diese nahere Umwelt urnfaBt jeweils einen Teil bzw. jene Teilaspekte der
Realitiit, der/die dem einzelnen Menschen in seinem Denken und/oder Handeln unmittelbar zugiingIich istlsind. Hier entsteht das Insgesarnt an persOnlichen Erfabrungen, die ein Mensch im Zuge der
standigen Auseinandersetzung mit seiner Umgebung macht, bier bildet sich aber v.a. auch jene ganz
spezifische (subjektive) Personlichkeitsstruktur aus, welche die Qualitiit der Selektion beim Wahrnehmen der Wirklichkeit bestimmt."46
In Abgrenzung zur naheren Umwelt steht die weitere Umwelt, "die allen Menschen in der jeweiligen Gesellschaft oder soziokulturellen Gruppierung gemeinsam ist, und von der ... die Bezeichnungen, also die (sprachlichen) Symbole bereitgestellt werden, mit denen jeder einzelne seine subjektiven Erfabrungen benennen und damit auch anderen Menschen zugiinglich machen (= mit anderen Menschen teilen) kann."47
Jeder der beiden Kommunikationspartner lebt zuerst in seiner naheren Umwelt. Das bedeutet, daB
er Begriffe aktuaIisiert, die er infolge eigener subjektiver Erfabrungen gebildet hat. Die Bezeichnungen dafUr stammen jedoch aus der weiteren Umwelt, die jeder Kommunikationspartner mit
anderen Menschen teilt. Verstandigung ist folglich aber nur dann moglich, wenn beide Kommunikationsteilnelnner gleiche oder zurnindest sehr iihnIiche Begriffe aktivieren konnen: "Unschwer nach42
43
44
45
46
47
Burkart, R: Kommunikationswissenscbaft S.86.
Burkart, R: Kommunikationswissensclmft. S. 107.
Burkart, R: Kommunikationswissenscbaft S. 107.
Burkart, R: Kommunikationswissenscbaft S. 104 - Mead neont solcbe Symbole, die eine ,,"dahinterstebende
Idee" ausdriicken und diese Idee aucb im BewuIltsein des Komrnunikationspartners wachrufen konnen, "signi[tkante Symbole". Vgl. Mead, G.H.: Geist, Identitlit und Gesellscbaft aus Sicht des SoziaIbehaviorismus.
8. Aufi. Frankfurt am Main 1991. S.85.
Burkart, R: Kommunikationswissenscbaft S. 108 f..
Burkart. R: Kommunikationswissenscbaft S. 109.
14
vollziehbar sind nunmehr MiBverstandnisse zwischen zwei Kommunikationspartnern, die tiber
unterschiedliche Sprachvarianten ein und derselben Einheitssprache verfiigen: Infolge der Wechselbeziehung zwischen Sprache und sozialer Umwelt fehlt dem Besitzer eines ausschlieBlich restringierten Codes eine - mit dem elaborierten Code einhergehende - differenzierte Wirklichkeitserfabrung und damit vielfach auch die Moglichkeit, Symbolen und Symbolkombinationen aus
dem Bereich des elaborierten Codes Bedeutungen zuzuordnen. ,,48
Erklarbar wird jetzt auch die eingangs gestellte Frage nach der unterschiedlichen Bedeutungszuordnung bei Kommunikationspartnern, die grundsatzlich tiber das gleiche Codesystem verfiigen
und deren Sprachvariante~ sich entsprechen: ,,Hier bestehen Dilferenzen im pers6nlichen Erfahrungsbereich der beiden Kommunikationspartner; d.h. ihre niiheren Umwelten sind einander so
uniihnlich, daB ein wechselseitiges Aktualisieren unterschiedlicher Begrifilichkeiten die Folge sein
muB."49
2. MiBverstiindnisse auf der intersubjektiven Ebene
Bei MiBverstiindnissen auf der intersubjektiven Ebene steht die Frage im Vordergrund, warum zwei
Kommunikationspartner, die derselben sprachlichen Gemeinschaft angehoren, den pragmatischen
Verwendungssinn einer sprachlichen Aussage unterschiedlich interpretieren. Urn diese Frage zu
beantworten, miissen jene Faktoren analysiert werden, die die Bedeutung einer sprachlichen Handlung bestimmen. Es wurde schon darauf verwiesen, daB sprachliche Handlungen nicht isoliert betrachtet werden diirfen, sondem daB sie immer in einem Urnfeld, dem sogenannten Kontext, stehen.
Nach Burkart besitzt dieser Kontext sowohl eine individuelle a1s auch eine gesellschaft1iche Perspektive. Beide Gesichtspunkte stehen in engem Zusanunenhang und folglich mtissen auch beide
betrachtet werden. In bezug auf die individuelle Komponente spielt die soziale Position, in der sich
die beiden Kommunikationspartner gegeniibertreten, eine groBe Rolle: "So ist die jeweilige soziale
Position des Gespriichspartners nicht nur fur das eigene kommunikative Handeln (hier: die Art der
potentiellen Sprechakte) von Bedeutung, sondern bestimmt v.a. auch die Erwartungen, die man
seinem Gegeniiber entgegenbringt."so
Dieser Auffassung entspricht im Schulz von Thunschen Modell die Beziehungsebene sowie die
Selbstoffenbarungsebene. In einer Kommunikationssituation wird immer etwas tiber die Beziehung
der beiden Kommunikationspartner zueinander ausgesagt. Diese Beziehung priigt die Kommunikation genauso wie die Selbstoffenbarung des Senders, die sowohl "die gewollte Selbstdarstellung,<51
als auch "die unfreiwillige Selbstenthii1lung,<52 einschlieBen.
48
49
50
51
52
Burkart, R: Kommunikationswissenscbaft. S. Ill.
Burkart, R: Kommunikationswissenscbaft. S. Ill.
Burkart, R: Kommunikationswissenscbaft. S. Il6.
Schulz von ThUD, F.: Miteumnder reden I. S. 27.
Schulz von ThUD, F.: Miteilmnder reden I. S. 27.
15
Damit wird aber zugleich die gesellschaftliche Komponente angesprochen: ,,Bier stehen v.a. die
wechselseitigen Erwartungen und das jeweilige Wert- und Normgefuge, aus dem diese erwachsen,
im Mittelpunkt.,,53 1m Zuge der menschlichen Entwicklung vom Kind zum Erwachsenen werden
bestimmte Vorstellungen gepriigt, welche soziale Positionen ein Mensch innehaben kann und wie
man diesen Menschen in ihren jeweiligen sozialen Positionen entgegentreten muB. Diese Vorstellungen pragen auch das kommunikative Handeln: "Treten daber nun zwei Menschen kommunikativ
zueinander in Beziehung, dann beeintluBt dieses normativ (vor)gepriigte Verhiiltnis, das sie zueinander haben (oder zu haben glauben), und die sich daraus ergebende - wechselseitige (in der Regel)
vorweg bereits definierte - Kommunikationssituation ihr jeweiliges kommunikatives Handeln, hier:
die Wahl und die Interpretation gesetzter Sprechakte. '" Dabei werden die vom jeweiligen (gesellschaftlich bereitgestellten) Wert- und Normgefuge gepriigten Erwartungen aktiviert: man weiB
ungefiihr, mit welcher Art von Sprechakten (seines Gegeniibers) man rechnen muB.""
Das eben Gesagte liillt sich am Beispiel der Kommunikation zwischen Fachmann und Laien im
Bereich der juristischen Fachsprache verdeutlichen. Sowohl der Fachmann als auch der Laie haben
eine gewisse Vorstellung voneinander. Besonders der Laie geht oft mit der Erwartungshaltung zum
Anwalt, daB dieser Fachmann ihm auch ,,fachmiinnisch" gegentibertritt, d.h., daB er tiber entsprechende Sachkenntnisse verfiigt, die sich auch in komplizierten - fur den Laien unverstiindlichen
Fachtermini - auBern. Kommunikationsstorungen sind denkbar, wenn diese Erwartungshaltung
nicht erfiillt win\, der Fachmann also "unfachmiinnisch" auftritt, und folglich seine Kompetenz in
Frage gestellt wird. Andererseits verweist Giilich - allerdings fur die medizinische Fachsprache darauf, daB gerade der Laie auch Fachmann ist, niimlich fur seinen konkreten Fall." Ahniiches gilt
auch fur die Rechtssprache. Nur der Mandant hat die spezifischen und detaillierten Informationen
zu dem ihn betreffenden Sachverhalt, auf deren Grundlage ihm der Anwalt die Rechtslage erlautem
kann. Qhne den Kenntnisstand seines Mandanten zu haben, wird dem Anwalt dieses Unterfangen
schwerlich gelingen. Dazu gehort auch, daB sich der Anwalt in die spezifische Lage seines Mandanten versetzen muB. Dabei muB er immer die personiiche Betroffenheit des Mandanten einbeziehen.
Verallgemeinemd heiBt das, bevor ein Sprechakt interpretiert win\, deuten beide Kommunikationspartner wechselseitig ihre sozialen Positionen. Das ist die Grundiage fur die Interpretation der
Kommunikationssituation: ,,Nur wenn diese Kommunikationssituation von heiden Kommunikationspartnem in gleicher Weise definiert win\, kann Verstiindigung tiber den pragmatischen Verwendungssinn der gemachten Aussage zustande kommen.,,56 MiBverstiindnisse auf der intersuhjektiven
53
54
55
56
Burkart, R: Kommunikationswissensehaft. S. 116 f ..
Burkart. R: Kommunikationswissenschaft. S. 118 f ..
Giilieh, Elisabetll: "E"1Jerten" und ''Laien'': Der Umgang mit Kompetenzunterscbieden am Beispiel medizinischer Kommunikation. Tagungsunterlagen zum 3. Symposium der deutscheu Akademie der Wissenscbaften
1998 in Leipzig.
Burkart. R: Kommunikationswissenschaft. S. 119.
16
Ebene treten folglich immer dann aut: wenn die beiden Kommunikationspartner die Kommunikationssituation unterschiedlich interpretieren. Es kommt dann zum wechselseitigen MiBverstehen der
auftretenden Sprechakte. Diese MiBverstiindnisse sind immer eng verbunden mit der Uberbewertung einer der sprachlichen Ebenen: "Viele Empfiinger (vor aIlem Manner und Akademiker) sind
darauf geeicht, sich auf die Sachseite der Nachricht ZlI stiirzen und das Rei! in der Sachauseinandersetzung ZlI suchen. Dies erweist sich regelmiiBig dann als verhangnisvoll, wenn das
eigentliche Problem nicht so sehr in einer sachlichen Differenz besteht, sondem auf der zwischenmenschlichen Ebene liegt.,,57
Andere Empfiinger dagegen horen besonders gut auf dem ,,Beziehungs-Ohr" und interpretieren in
viele beziehungsneutrale Nachrichten eine Stellungnahme ZlI ihrer Person: "Sie beziehen alles auf
sich, nehmen alles personlich, fi.ihlen sich leicht angegriffen und beleidigt."s8 Empfiinger mit einem
ausgeprligten "Appell-Ohr" dagegen sind oft von dem Wunsch beseelt, "es allen recht ZlI machen
und auch den unausgesprochenen Erwartungen der Mitmenschen ZlI entsprechen"S9 Diese kurze
AutZahlung soli zur Verdeutlichung geniigen, wie ungeheuer vielfiiltig und vielschichtig MiBverstiindnisse in der Kommunikation aussehen konnen. 1m empirischen Tei! der Arbeit wird ZlI zeigen
sein, welche spezifischen MiBverstiindnisse in der Fachsprache des Rechts, speziell in der Kommunikation zwischen Fachmann und Laien, auftreten und wie sie moglicherweise verringert oder sogar
verhindert werden konnen.
57
58
59
Schulz von Thun, F.: Miteinander reden 1. S.47.
Schulz von 11lUn, F.: Mileinander reden 1. S. 51.
Schulz von 111un, F.: Miteinander reden 1. S. 58.
C. Ausgewiihlte Aspekte der juristischen Methodenlehre
Zuvor soli jedoch auf einige wenige Aspekte der juristischen Methoden1ehre verwiesen werden, die
vor allem fUr die nachfolgende empirische Untersuchung von Bedeutung sind. Die Rechtswissenschaft ist "als diejenige Wissenschaft yom Recht gekennzeichnet, die sich mit ihm vornehmlich
unter dem nonnativen Aspekt und daher mit dem "Sinn" von Normen befuBt. Es geht ihr urn die
nonnative Geltung und urn den Sinngehalt von Normen des positiven Rechts mit EinschluB der in
den Urteilen der Gerichte enthaltenen Entscheidungsmaximen.'<60 Normative Geltung meint dabei
die ,,MaBgeblichkeit oder Verbindlichkeit einer Verhaltensanforderung oder eines MaBstabes, an
dem sich menschliches Verhalten messen lassen muB"6!. 1m Gegensatz dazu steht die faktische
Geltung einer Norm, unter der man ihre ,,Effizienz oder die Chance ihrer Durchsetzbarkeit''"'' versteht.
1m Mittelpunkt der juristischen Tiitigkeit stehen die Rechtssatze als sprachliche Reprasentation der
Rechtsnormen, die ihrerseits Bestandtei1e der Rechtsordnung sind. Diese Normen haben als Rechtsrege1n einerseits einen normativen Charakter, das heiBt, sie sind verbindliche Verhaltensanforderungen oder Beurtei1ungsmaBstiibe. Zurn anderen haben sie einen generellen Charakter derart, daB sie
Anspruch erheben, innerhalb ihres Geltungsbereichs fUr alle Faile der geregelten Art zu gelten63 :
"Der Rechtssatz ist wegen des ihm zukommenden normativen Sinnes zu unterscheiden von einem
Aussagesatz, der eine Tatsachenbehauptung oder eine Feststellung enthii1t. Er ist ebenso zu unterscheiden von so1chen Satzen, die Aussagen tiber geltendes Recht entha1ten, in denen von Rechtsnormen die Rede ist."64 Wahrend eine Aussage entweder "wahr" oder "faIsch" sein kann, lautet
beim Rechtssatz die Frage, ob er giiltig, also Bestandtei1 der geltenden Rechtsordnung ist. Von dem
Rechtssatz selbst muB die Aussage unterschieden werden, dieser Satz sei geltendes Recht. Diese
Aussage kann, wie fur jede Aussage zutreffend, wahr oder falsch sein. 65 Der Rechtssatz ist nun
folgendermaBen aufgebaut: ,,Er ordnet dem generell umschriebenen Sachverhalt, dem "Tatbestand", eine ebenso generell umschriebene ,,Rechtsfolge" zu. Der Sinn dieser Zuordnung ist, daB
immer dann, wenn der im Tatbestand bezeichnete Sachverhalt vorliegt, die Rechtsfolge eintritt, d.h.
im konkreten Fall gih. ,,66
Das Spezifikum des Rechtssatzes a1s der sprachlichen Ausdrucksform einer Norm ist also "die
Verkntipfung eines tatsachlichen Vorgangs, wie er in dem Tatbestand der Norm beschrieben ist, mit
60
61
62
63
64
65
66
Larenz, K; Canaris, C. -W.: Methodenlehre der Rechtswissenschaft. 3. Autl. Berlin, Heidelberg u.a 1995. S.17.
Larenz, K; Canaris, C. -W.: Methodenlehre der Recbtswissenschaft. S. 17.
Larenz, K; Canaris, C.-W.: Methodenlehre der Rechtswissenschaft. S. 17.
Vgl. dazuLarenz, K; Canaris, C.-W.: MethodenlehrederRecbtswissenschaft. S. 71.
Larenz, K; Canaris, c.-W.: Methodenlehre der Rechtswissenschaft. S. 71 f..
Vgl. dazu Larenz, K; Canaris, C.-W.: Methodenlehre der Recbtswissenschaft S. 72.
Larenz, K; Canaris, C.-W.: Methodenlehre der Rechtswissenschaft. S. 72 f..
18
einer Rechtsfolge, die auf dem Gebiet des rechtlich Geltenden liegt, daher mit der Verwirklichung
des Tatbestandes ,,in Geltung tritt" ,,67.
Insofem wird der entscheidende Unterschied zwischen Rechtssatz und Aussagesatz deutlich: ,,Der
Sinn der Verlrniipfung des Tatbestandes mit der Rechtsfolge ist nicht, wie im Aussagesatz, eine
Behauptung, sondem eine Geltungsanordnung. Der Normgeber sagt nicht: So ist es in der Tat,
sondem er sagt: So sol1 es Rechtens sein, gelten."'"
Die wichtigste Form der schriftlichen Niederlegung von Rechtsnormen sind die Gesetze. Sie umfassen sowohl die im Rahmen der verfassungsmiiBigen Gesetzgebung erlassenen Gesetze im engeren
oder formellen Sinn als auch von BehOrden ergehende Rechtsverordnungen. Diese Gesetze als
sprachliche AuBerungen miissen verstanden werden:,,Das Verstehen sprachlicher AuBerungen
geschieht nun entweder unreflektiert, durch das unmittelbare Innewerden des Sinnes der AuBerung,
oder in reflektierter Weise, durch Auslegen.,,69 Das Ziel der Auslegung kann nach Auffassung der
juristischen Methodenlehre nur die Ermittlung des heute rechtlich maBgeblichen, also des normatiyen Sinnes eines Gesetzes sein: ,,Der rechtlich als maBgeblich zu erachtende Sinn des Gesetzes ist
aber nur unter Berucksichtigung auch der Regelungsabsichten und der konkreten Normvorstellungen des historischen Gesetzgebers, keinesfa11s unabbiingig davon festzuste11en. Er ist vielmehr das
Ergebnis eines gedanklichen Prozesses, in den aile vorstehend genannten Momente, also sowohl
"subjektive" wie "objektive", einzubeziehen sind und der, wie schon bemerkt, prinzipiell nie am
Ende ist."70 Die Notwendigkeit der Auslegung ergibt sich vor aIlem daraus, daJ3 sich auch Gesetze
der Umgangssprache bedienen, die "anders als eine mathematisierte Logik und Wissenschaftssprache keine in ihrem Umfang genau festgelegten Begriffe verwendet, sondem mehr oder minder
flexible Ausdriicke, deren mogliche Bedeutung innerhalb einer weiten Bandbreite schwankt und je
nach den Umstiinden, der Sachbezogenheit und dem Zusammenhang der Rede, der Satzstellung
und Betonung eines Wortes unterschiedlich sein kann"71.Dazu kommt, daJ3 sogar wichtige Rechtsbegriffe im Gesetz nicht definiert sind. Einige yom Gesetz gegebene Definitionen sind unvo11stiindig
oder mehrdeutig, oftmals wird ein und derselbe Ausdruck in verschiedenen Gesetzen, manchrnal
sogar in demselben Gesetz, unterschiedlich gebraucht. Weiterhin ist die Auslegung von Gesetzen
notwendig, wei! unter Umstiinden zwei Rechtssatze fur den gleichen Sachverhalt Rechtsfolgen
anordnen, die sich gegenseitig ausschlieBen.
Es gibt in der juristischen Auslegungslehre vier Aspekte, nach denen ein Gesetz ausgelegt werden
kann. Sie werden als ,,Kanones" hezeichnet und gehen auf die 1802 von Carl Friedrich von Savigny
67
68
69
70
71
Larenz, K; Canaris, C.-W.: Methoden1ehre der Rechtswissenscbaft. S. 73 f.
Larenz, K; Canaris, C.-w.: Methoden1ehre der Rechtswissenscbaft. S. 74.
Larenz, K; Canaris, c.-W.: Methoden1ebre der Rechtswissenschaft. S. 25.
Larenz, K; Canaris, C. -W.: Methoden1ebre der Rechtswissenscbaft. S. 139.
Lareoz, K; Canaris, C.-W.: Methoden1ebre derRechtswissenscbaft S. 133.
19
verfaBte Methodik zurUckn In der heutigen Auslegungs-Methodik werden folgende Kanones
unterschieden: die Auslegung nach dem Wortlaut oder Wortsinn (grammatische Auslegung); die
systematische Auslegung (auch logische Auslegung genannt); die Auslegung nach der Entstehungsgeschichte (historische oder subjektiv-teleologische Auslegung) und die Auslegung nach dem
Zweck des Gesetzes ( objektiv-teleologische Auslegung). Zu beachten ist, daB Gesetzesvorschriften auch in ihrer mit Hilfe der Auslegungsmethoden ermittelten Bedeutung nicht gegen hoherrangiges Recht, insbesondere nicht gegen das Grundgesetz und das Recht der Europaischen Union
verstoBen diirfen. Im Zweifel sind daher nur die Auslegungsmethoden anzuwenden, die zu einem
mit der Verfassung oder EU-Normen zu vereinbarenden Ergebnis ge1angen (sogenannte verfassungskonforme I gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung).
Im allgemeinen wird mit der Auslegung eines Gesetzes nach dem Wortsinn begonnen. Dabei muB
zwischen fach- und umgangssprachlichen Konventionen unterschieden werden. Probleme treten
immer bei sprachlieher Mehrdeutigkeit oder Vagheit aut: die nieht nur in der Unterscheidung zwischen Fach- und Umgangssprache, sondem aueh innerhalb der Umgangsspraehe vorkommen. LaBt
die Wortsinnmethode mehrere Auslegungen zu, folgt traditionell die systematisehe Auslegung, die
die Einbettung der auszulegenden Norm in eine umfassendere Regelung beriieksiehtigt: "Ober diese
allgemeine, das Verstandnis fordernde Funktion des Kontextes hinaus spielt der Bedeutungszusammenhang des Gesetzes insofem noeh eine weitergehende Rolle fUr dessen Auslegung, als zwischen den einzelnen Gesetzesbestimmungen eine saehliehe Ubereinstimmung angenommen werden
kann. Unter mehreren, dem Wortsinn nach mogliehen Auslegungen verdient daher diejenige den
Vorzug, die die Wahrung der sachlichen Obereinstimmung mit einer anderen Bestimmung ermoglicht."73 Die historische Auslegung fragt nach der ,,Regelungsabsieht des Gesetzgebers" und den
"von ihrn in Verfolgung dieser Absicht erkennbar getroffenen Wertentseheidungen"": ,,Als Erkenntnisquellen fUr die Normvorstellungen der an der Vorbereitung und Abfassung des Gesetzes
beteiligten Personen kommen in erster Linie die verschiedenen Entwiirfe, die Beratungsprotokolle
und die den Entwiirfen beigegebenen Begriindungen, fur die Vorstellungen der am Gesetzgebungsakt selbst beteiligten Personen die Parlamentsberiehte in Betracht. Diese Zeugnisse sind selbst
wiederum zu interpretieren vor dem Hintergrunde des damaligen Spraehverstandnisses, der damaligen Lehre und Rechtsprechung, soweit die Verfasser des Gesetzes sie ausdriieklieh ilbernehmen
wollten oder ersiehtlieh von ihnen beeinfluBt waren, der von dem damaligen Gesetzgeber vorgefundenen Normsituation, also deIjenigen realen Gegebenheiten, denen er Recbnung tragen wollte.
... Die gleichen Erkenntnisquellen dienen auch der Errnittlung der Regelungsabsicht und der Zwekke des Gesetzgebers, soweit diese nieht bereits aus dem Gesetz selbst, aus einem Vorspruch, den
72
73
74
Savigny kannte neben der philologischen AusJegnng nach den Regeln der Sprache noeh eine historische und
eine systernatische AusJegnng.
Larenz, K; Canaris, c.-W.: Methodenlehre der Rechtswissenschaft. S. 146.
Laren7~ K.; Canaris, C.-W.: Methoden1ehre der Rechtswissenschaft. S. 149.
20
einleitenden Bestinnnungen, Uberschriften, dem Bedeutungszusammenhang des Gesetzes und den
daraus hervorgehenden Wertentscheidungen ersichtlich sind.,,75 Objektiv-teleologische Kriterien der
Auslegung gibt es dagegen in zweieriei Hinsicht: ,,zurn einen handeh es sich urn die Strukturen des
geregelten Sachbereichs, tatsachliche Gegebenheiten an denen auch der Gesetzgeber nichts andem
kann, die er vemiinftigelWeise bei jeder Regelung mit beriicksichtigt; zum anderen urn die rechtsethischen Prinzipien, die hinter einer Regelung stehen, in denen der Sinnhezug einer solchen auf die
Rechtsidee faBbar, aussprechbar wird."76
Bei der Auslegung von Gesetzen darf nicht vergessen werden, daB diesen Gesetzen bestimmte yom
Gesetzgeber intendierte ,,Regelungsabsichten, Gerechtigkeits- und ZweckmliBigkeitselWiigungen,,77
zugrunde liegen, die aufbestinnnten Wertungen basieren: ,,Eine Rechtsnorm "verstehen" verlangt
daher, die in ihr beschlossene Wertung und ihre Tragweite auftudecken. Thre Anwendung verlangt,
den zu beurteilenden Fa\l der Norm gemii13 zu bewerten, anders ausgedriickt, die in der Norm
enthaltene Wertung in der Beurteilung des ,,Fa\les" sinngemii13 zum Tragen zu bringen."" Insofem
kommt dem wertorientierten Denken in der Jurisprudenz eine tragende Rolle zu: "Ob aber bestimmte Methoden dazu geeignet sind, das Erkenntnisziel der Jurisprudenz und ihre davon untrennbaren praktischen Aufgaben zu fordem oder nicht, ob es spezifische Methoden wertorientierten Denkens gibt und wenn ja, wie sie sinnnvollelWeise einzusetzen sind, das sind Fragen, die dem
weiteren Bereich der Hermeneutik angehoren. Mit ,,Hermeneutik" ist in diesem Zusammenhang die
Lehre von den Bedingungen der Moglichkeit und den besonderen Weisen des "Verstehens im
engeren Sinn" gemeint, d.h. des Verstehens von Sinnhaftem als solchern, im Gegensatz zum ,,Erkliiren" von Objekten ohne Rticksicht auf Sinnbeziige. Geht es in der juristischen Methodenlehre urn
die besonderen Weisen des Verstehens rechtlicher Sinnbeziige, so bildet die a\lgerneine Hermeneutik in dem bezeichneten Sinne wiederum die Grundlage auch fur die juristische Methodenlehre,
indem sie die Bedingungen der Moglichkeit von Verstehen tiberhaupt zum Gegenstand hat."79
Die irn vorstehenden Kapitel getroffenen Aussagen tiber die juristische Methodenlehre verstehen
sich lediglich als kurzer Einblick in die Materie, soweit dies fur die vorliegende Arbeit von Bedeutung ist. Eine urnfassende Behandlung des Thernas wiirde den Rahmen der Arbeit deutlich tibersteigen. Insofem sei auf die urnfangreiche Spezia11iteratur verwiesen. Spezielle Details der juristischen Methodenlehre werden dagegen, wenn sie zum Gegenstand der vorliegenden Arbeit gehOren,
an den Stellen erortert, an denen sie notwendig erscheinen.
75
76
77
78
79
Larenz, K; Canaris, c.-w.: Methodenlehre der Rechtswissenschaft. S. 151.
Larenz, K; Canaris, c.-W.: Methodenlehre der Rechtswissenschaft. S. 154.
Larenz, K; Canaris, C.-w.: Methodenlehre der Rechtswissenschaft. S. 36.
Larenz, K; Canaris, C.-W.: Methodenlehre der Rechtswissenschaft. S. 36.
Larenz, K; Canaris, c.-W.: Methodenlehre der Rechtswissenscbaft. S. 66.
D. Die sprachliche Charakterisierung der Fachsprache des Rechts
I. Die historische Entwicklung der Fachsprachen
Der Ursprung der Fachsprachenentwicklung liegt in der gesellschaftlichen Arbeitsteilung, die sich
bereits sehr fiiih durchsetzte. Die ersten Spezia\isierungen fanden in der Heilkunde, im Waffenbau
und im Jagdwesen statt. Als iilteste Fachsprachen dieser Art gelten die Sprache des Bauern und des
Fischers. Teile dieser Sprachen sind uns bruchstiickhaft durch die mittelalterliche Literatur in Form
von Lehrgedichten, Bauernpraktiken und Zunftverordnungen iiberliefert: ,,Anfangs entwickelten
sich einzelne Termini und schlieBIich Fachwortschiitze, die sich durch Fachbezogenheit der ihnen
zugeordneten Worter und Wendungen auszeichneten. Man schuf entweder neue Ausdriicke, gab
neue Bedeutungen oder bewahrte a1te Worter a1s Fachworter weiter. ,<80
Die sprachliche Entwicklung in verschiedenen Fachbereichen ist jedoch nicht nur durch die Herausbildung von "Sonderwortschiitzen,<81 gekennzeichnet, sondern auch durch Besonderheiten auf
anderen sprachlichen Ebenen, so daB in der neueren Forschung zu Recht von Fachsprachen die
Rede ist. Allerdings darf nicht iibersehen werden, daB insbesondere weltliches Fachwissen weitgehend mundlich weitergegeben wurde: ,,Die wenigen Aufzeichnungen deutscher Texte - meistens im
klosterlichen Bereich entstanden - dienten nach wie vor iiberwiegend dem Verstandnis lateinischer
Texte."82 Die Kloster blieben noch fur Jahrhunderte die wichtigsten fachliterarischen Textzentren:
"Eine ganze Reihe friiher Fachschriften hat Monche zu Verfassern, vor a1lem zu den freien Kunsten, aber auch zu den "artes mechanicae": Arzneibiicher, Krauterbiicher, Weinbiicher, Kochbiicher, Technologien. ... FUr Laienbriider, Klosterhandwerker, SchUler und spiiter fur weibliche
Ordensangehorige sind solche Schriften immer ofter auch in die Landessprache iibersetzt oder in ihr
abgefaBt worden. ,<83
Einige Sachgebiete, wie beispielsweise die Veteriniirmedizin und die Jagdkunde, konntenjedoch in
den Klostern nicht heimisch werden, da sich die Monche nur streng auf die Humanmedizin konzentrierten und die Jagdrechte allenfalls von Klosterjagern, nicht aber von den Monchen selbst ausgeiibt wurden. Fachtexte aus diesen Sachgebieten spie\ten besonders an den adligen Hofen eine groBe
Rolle. Zu erwahnen sind "vor a11em Jagdtraktate und veteriniirmedizinische Texte zur Behandlung
der Reitpferde, Beizvoge\ und Jagdhunde, denen sich Lehrschriften zum Kriegfuhren, zum Fechten
und Ringen und im ausgehenden Mittelalter Turnierbiicher anschlossen; im magisch-mantischen
80
81
82
83
Fleischer. w.; Hartung. W.; Schild, 1.; Suchsland, P. (Hrsg.): Deutsche Spraehe. l. Aun. Leipzig 1983. S. 445.
Fleischer. W. u.a. (Hrsg.): Deutsche Spraehe. S. 445.
Crossgrove, W.: Die deutsche Sachliteratur des MittelalterS. Bern. Berlin, Frankfurt am Main u.a. 1994. S. 9.
Assion. P.: A1tdeutsche Faehliteratur. Berlin 1973. S. 37 f..
22
Schrifttum, das kirchlicher Verfolgung ausgesetzt war, trat dazu ein weiterer Zweig fachliterarischer Uberlieferung ans Licht, der seine Forderung maBgeblich dern Adel verdankte. ,"'4
Erwiihnt werden mull allerdings auch eine gegenliiufige Tendenz, die sich mit dem Eintritt neuer
Berufsgruppen oft wiederholte: ,,Handwerklich tradienes Wissen wurde nur rogernd aufgezeichnet. Handwerker hatten im Grunde kein Interesse damn, ihr Wissen einern breiten Publikum zugiinglich zu machen. Solange ihre Ausbildung im Lehrlingswesen erfolgte, brauchten sie auch keine
Texte zur Erlemung des Handwerks.''''5
Eine Sonderstellung nimmt in vielerlei Hinsicht die Fachsprache des Rechts ein. Sie laBt sich durch
die Bedeutung des Rechtswesens im sozialen Gefiige erkliiren. Grundsatzlich gilt das Rechtssystem
fur alle Mitglieder der Gesellschaft. Trotzdem bleibt es ein Spezialistenbereich, "der zwar allgegenwiirtig ist, aber in seinen Schriften schon friih eine Sondersprache herausbildet, die einen gewaltigen
EinfluB auf andere Schriftforrnen ausiibt - schon dadurch bedingt, daB die Juristen oft in anderen
Gebieten als Schriftsteller tiitig waren -, und gerade durch die Masse und Vielfalt der Schriften
eigene Forschungsmethoden verlangt".86
Bereits seit dem 5. Jahrhunden wurde von Herzogen und Stammeskonigen die Aufzeichnung
geItender Rechtsgewohnheiten, die sogenannten "Volksrechte", in Auftrag gegeben. Sie erfolgte
votwiegend in lateinischer Sprache mit "volkssprachlichen Einsprengseln''''7. Die starke Betonung
des Lateinischen erklart sich aus der Ubernabme des romischen Rechts, dazu kommt jedoch auch
der altdeutsche Wortbestand. So sind insbesondere Ausdriicke des Strafvollzuges deutsch geblieben wie Steckbrief(16. Jahrhundert), Henkersmahlzeit (16. Jahrhundert), brandmarken, den Stab
iiber einen brechen und Daumenschrauben ansetzen. Rechtsausdriicke waren urspriinglich auch
auJschieben im Sinne von an eine h6here Instanz appellieren und iiberzeugen im Sinne von durch
Zeugen iibeifiihren. 88
Seit dem 13. Jahrhundert wurden Urkunden, Rechtsverordnungen und Rechtsbiicher, die vorrangig
von den zustandigen Hofen ausgingen, zum Teil giinzlich in Deutsch verfaBt: ,,Die Reihe der
Rechtssammlungen setzte urn 1235 neu ein mit dem "Sachsenspiegel", in dem der anhaItischaskanische Ritter Eike von Repgow im Auftrag des Grafen Hoyer von Falkenstein auf dessen Burg
im Harz das Land- und Lehenrecht fixierte, das im ostfaIisch-sii.chsischen Bereich giiltig war.'",g Der
Sachsenspiegel umfaBt etwa 270 Handschriften. Mit etwa 400 erhaltenen Handschriften ist nur
noch der "Schwabenspiegel" populiirer. Er ist das meistverbreitete Buch des Mittelalters und spiegelt als ,,Kaiserliches Land- und Lehenrecht" die siiddeutschen RechtsverhiUtnisse wieder. Der
84
85
86
87
88
89
Assion, P.: Altdeutsche FacWiteratur. S. 39.
Crossgrove, W.: Die deutsche SacWiteratur des Mittelalters. S. 10.
Crossgrove, W.: Die deutscbe SacWiteratur des Mittelalters. S. 13.
Assion, P.: Altdeutsche FacWiteratur. S. 40.
Vgl. Bach, A.: Geschichte der deutschen Sprache. 7. Aufl. Heidelberg 1961. S.192.
Assion, P.: Altdeutscbe FacWiteratur. S. 40.
23
Schwabenspiegel wurde urn 1275 in Augsburg verfaBt und trat von Prag, dem Sitz des Kaisers und
der Reichskanzlei, seinen Siegeszug an.90
Seit der zweiten HiiIfte des 14. Jahrhunderts erfuhr auch die Rechtssprache eine Neubelebung vor
aIlem im Gebiet der Hansestiidte, wo sich eine mittelniederdeutsche Geschlifts- oder Verkehrssprache lubischer Pr!igung herausbildete: ,,Die ganze Ostseekiiste bezog ihr Recht von LUbeck; weit
tiber den deutschen Volksboden hinaus galt bier lubisches Recht. Die sprachliche Wrrkung der
Kanzleien der genannten Stlidte war urn so nachdriicklicher, als es ublich wurde, sich in zweifelhaften RechtsfiUlen bei jenen Stlidten, deren Recht !llIUl nachgefolgt war, Belehrung und Auskunft
zu holen."'"
Die Sprache der Kanz1eien hat grundslitzlich einen groBen EinfluB auf die gesamte Sprachentwicklung. 1m 17. Jahrhundert wurde sie neben der Lutbersprache als Vorbild erwlihnt. Nehen Regensburg war Speyer beri.ihmt durch die Kanzleisprache des Reichskammergerichts: "Um 1600 preisen
siiddeutsche Grammatiker wie Helber und Sattler das Speyrer Deutsch.... Dombliith, Gottscheds
Gegner, empfiehlt noch nach 1750 das Studiurn der Schriften des Reichskammergerichts zu Speyer,
wie sie zwischen 1680 und 1690 abgefuBt worden seien.'<92
Besonders schwierig fUr die deutsche Fachsprachenentwicklung im aIlgemeinen war die Vormachtsstellung des Lateinischen: "Gerade im 16. Jahrhundert spielte das Lateinische im wissenschaftlichen Denken eine so dominierende Rolle, daB die deutsche Sachliteratur zunehmend aus der
Wissenschaft verbannt wurde. Sie ubemahm immer mehr die Rolle einer Sachliteratur fUr Lesekundige, die nicht notwendigerweise zur wissenschaftlichen Elite gehOrten. Auf diese Weise ist die
Sachliteratur des Mittelalters typologisch rum echten Vorgiinger der modernen Sachliteratur goworden."9J So entstand seit dem 17. Jahrundert die heutige deutsche Fachliteratur der Wissenschaften in der Auseinandersetzung mit der lateinischen Sprache an den Gymnasien und Universitliten, in der 6ffentlichen Verwaltung, in der Industrie und im Handel.
Durch die rasante Entwicklung technischer Neuheiten und den Aufschwung der Naturwissenschaften, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts die ,,industrielle Revolution" ausl6sten, begann sich
die bis dahin nahezu einheitliche Arbeitswelt aufud6sen, und zahlreiche Spezialisierungen innerhalb
verscbiedener Wissenschaftsgebiete verwehrten dem einzelnen einen universalen Uberblick: ,,Die
Einrichtung von neuen Fiichem und Disziplinen fiihrte zu einer Flut von praktischen und tbeorerlschen Fachschriften und einem starken Wachstums- und OifferenzierungsprozeB unter den Fachsprachen.'<94 Auch die moderne Fachsprache des Rechts unterlag und unterliegt Entwicklungen, die
durch sprachliche und auBersprachliche Faktoren bedingt sind. In den nacbfolgenden Kapiteln
90
91
92
93
94
VgL Assion,P.: AltdeutscheFachliteratur. S. 40.
Bach, A: Geschichte der deutschen Sprache. S.193.
Bach, A: Geschichte der deutschen Sprache. S. 280.
Crossgrove, W.: Die deutsche Sachliteratur des Mittelalters. S. 10.
Fluck, H-R: Facbsprachen. S. 32.
24
sollen diese Faktoren ana1ysiert und ihre Anwendbarkeit fur den fachsprachlichen KommunikationsprozeB iiberprUft werden.
II. Linguistische Charakterisiernng der Fachsprache des Rechts
Das Problem, die Fachsprache des Rechts niiher zu charakterisieren, zeigt sich schon an der Stelle,
an der versucht winl, den Gegenstandsbereich derSprache des Rechts zu bestimmen. Dieser Bereich der Rechtssprache, "den wir intuitiv als zusammengehOrig und weniger stark untergliedert
empfinden"95, zerfiillt bei niiherer Betrachtung in eine AnzahI von Varianten, von denen nur einige
zur Verdeutlichung genannt werden sollen: ,,Rechtssprache, Juristensprache, juristische Fachsprache, Justizsprache, Sprache des Rechtswesens, Gesetzessprache, Rechts- und Verwaltungssprache"%. Diese Vielfalt erklart sich zorn einen aus den unterschiedlichen wissenschaftlichen Ansiitzen,
die bei der Analyse der Fachsprache des Rechts zugrunde gelegt werden. Zum anderen zeigt sich,
"daB bei den meisten praktischen Fachsprachenuntersuchungen das ausschlaggebende Abgrenzungskriterium noch uneinheitlich gesehen wird und unklar ist, wann und bis zu welcher Einheit die
miihsam konstituierte einzelne Fachsprache weiter aufgespalten werden soli"'''. Trotz dieser
Schwierigkeiten gibt es drei Griinde, die die Betrachtung der gesamten Rechtssprache als einheitliche Fachsprache erkliiren und rechtfertigen:
,,1. Uberal~ wo Juristen das Wort oder die Feder ergreifen, verwenden sie die gleiche Sprache, weil
sie aile die gleiche - ihre Sprache pragende - Ausbildung genossen haben.
2. Auf allen Gebieten des Rechts lehnt sich die Sprache der Rechtspraxis an die der Gesetze an, und
diese ist auf allen Gebieten durch weitgehende (allerdings nicht ungebrochene) Einheitlichkeit
in Lexik und Syntax gekennzeichnet - unbestreitbar, aber erstaunlich im Hinblick auf das jahrhundertelange Fehlen einer wissenschaftlichen Gesetzgebungslehre.
3. Einen Berufsstand gibt es, der auf allen Gebieten des Rechtslebens wirkt, die Ausdrucksformen
aller dieser Bereiche (Verwaltung, Gerichtswesen, Wirtschaft, Versicherungen usw.) annimmt,
weitertriigt und aneinander angleicht: der Rechtsanwalt. Ihm ist gewiB die Einheitlichkeit der
Fachsprache neben dem Gesetzgeber zu danken.""
Natiirlich ist auch bei einer Betrachtung der "Gesamt"sprache des Rechts eine vertikale Gliederung
sinnvoll und notwendig. So unterscheidet Otto 1. die Gesetzessprache, 2. die Urteils- und Bescheidsprache, 3. die Wissenschafts- und Gutachtensprache, 4. die Sprache des behOrdlichen
Schriftverkehrs und zwar a) mit fachkundigen Empfangem und b) mit dem fachunkundigen Biirger
95
96
97
98
Dobnig-Jiilch, E.: Fachsprachenbarrieren. Uberlegungen zur Kluft zwischen Fachsprache und Gemeinsprache
am Beispiel juristischer Texte. In: Gebrauchsliteratur Interfereuz. Kontrastivitlit. Frankfurt am Main, Bern
1982. S. 318.
Dobnig-Jiilch, E.: Fachsprachenbarrieren. S. 318
Dobnig-Jiilch, E.: Fachsprachenbarrieren. S. 318.
Daullt, u.: Rechtssprache - eine genormte Fachsprache? In: Der Offentliche Sprachgebrauch. Stuttgart 1981.
S.84f..
25
und 5. Den Verwaltungsjargon. 99 Diese Unterteilung unterstiitzt auch Fotheringham, obwohl er
einwendet, daB diese Unterscheidung unvoUkommen erscheint, "wei! in ihr nicht zum Ausdruck
kommt, daB das Rechtsleben sich nicht nur unter Beteiligung offentlicher Stellen abspielt, sondem
auch zwischen privaten Rechtssubjekten"HJO. Gleichwohl sei sie zu bejahen, "denn die rechtlich relevante Kommunikation irn privaten Bereich, die eine uniibersehbare Zahl von Rechtshandlungen
umfaBt, ist zum einen hinreichender Erfassung und Analyse kaum zugiinglich, zum anderen diirfte
sie, soweit ihre Sprache nicht als "Sprache der verwalteten Welt" der des behordlichen Schriftverkehrs angeniihert ist, fachbezogen, aber (noch) nicht fachlich sein"!O!. Dariiber hinaus, das zeigt die
vorliegende Arbeit, muB das Unterteilungsscherna von Otto noch urn die Komponente 6. miindliche Kommunikation a) zwischen Anwalt und Laien und b) zwischen Richter und Anwalt bzw.
Laien erweitert werden. Gegen das von Otto vorgesch1agene Modell wendet sich Bolten mit folgender Begriindung: Der Versuch, eine detailliertere Bestirnmung des rechtssprachlichen Corpus
auf der Basis eines Schichtenmodells zu vollziehen, das nach Kriterien gegliedert sei, die sich horizontal und vertikal iiberschnitten, sei problernatisch. Das Schichtungsmodell von Otto lasse eindeutige Zuordnungen zu Institutionen oder anderen Gliederungskriterien nicht ZUI02 Die geauf3erte
Kritik iiberzeugt nur teilweise. Trotz Dberschneidung der Differenzierungskriterien ist das erweiterte Schichtungsmodell von Otto fur die empirische Corpusuntersuchung praktikabel, da sich
die angefuhrten fiinf Komponenten in der Rechtswirklichkeit wiederfinden und sich der Trend zu
einer weiteren Differenzierung und Spezialisierung auch in der Fachsprache des Rechts auch durch
vehemente Kritik daran nicht aufhalten IliBt. Boltens Vorschlag eines als "Organigrannn"I03 konzipierten Modells, "das den Aufbau einer idealtypischen Anwalts-/ NotarkanzIei reprasentiert"!04,
widerspricht einer Befiirwortung des Schichtungsmodells jedoch nicht, denn die zunehmende Spezialisierung innerhalb eines Fachs bzw. einer Fachsprache geht einher mit dem Trend zur interdiszipliniiren Verkniipfung. Diese beiden Tendenzen stehen sich nicht unvereinbar gegeniiber, sondem
miissen als gleichberechtigt angesehen werden. Die Basis des Boltenschen Modells bildet die
,,Mittlerfunktion, die eine KanzIei z.B. zwischen K1iiger und Beklagtem in kOinmunikativer Hinsicht
einnimmt"W5 Eine Analyse der Text- und Textsortenverwendung irn Kanzleibereich bezieht nach
Boltens Auffassung notwendig auch die Gerichtssprache mit ein. Deshalb sei eine gesonderte Un-
99
10 I
101
102
103
104
105
Vgl. Otto, W.: Amtsdeutsch heute, biirgernah und prmtisnah. 2. iiber3lb. AutI. Stuttgart. Miinchen. Hannover
1978. S. II f.
Fotheringham, H.: Die Gesetzes- und Verwaltungssprache im Spannungsfeld zwischen fuchlicher Qualitlit und
Allgemeinverstlindlichkeit In: Der iiffentliche Sprnchgebrauch. Stuttgart 1981. S. 100.
Fotheringham, H.: Die Gesetzes- und Verwaltungssprnche im Spannungsfeld zwischen fuchlicher Qualiliil und
Allgemeinverstiindlichkeit S. 100 f ..
Vgl. Bolten, J.: "Fachsprache" oder "Sprachbereich"? S. 68.
Bolten. 1.: "Fachsprache" oder "Sprachhereich"? S. 68.
Bolten, 1.: ,,Fachsprache" oder "Sprachbereich"? S. 68.
Boltcn, J.: "Fachsprache" oder "Sprachbereich"? S. 69.
26
tersuchung von Kommunikationsstrukturen im gerichtlichen Bereich vermutlich entbehrlich. 106 Die
Auffassung von der Mittlerposition des Anwalts wird sprachtheoretisch unterstiitzt durch ein dreigliedriges Modell von Fachsprache, das die Ebenen 1. Theoriesprache, 2. fachsprachliche Urngangssprache und 3. Verteiler- oder auch Vermittlersprache enthiUt. 107
1m folgenden werden einige grundiegende Merkmale der inneren Struktur der Sprache des Rechts
allgemein vorgestellt werden. Am Beispiel des Ehescheidungsrechts, das in den §§ 1564-1587 P
BGBHJ8 geregelt ist, wird das tatsachliche Vorkommen dieser Merkmale stichprobenhaft untersucht.
1. Lexik
a) Lexikalische Merkmale der Fachsprache des Rechts
Der lexikalische Bereich der Sprache des Rechts ist charakterisiert durch verschiedene Abstraktionsstufen. So unterscheidet sich die juristische Fachsprache von manch anderen Fachsprachen vor
aHem dadurch, "daB sie Ausdrticke enthiUt, die der Form nach mit denen der Gerneinsprache iibereinstimmen, auf der InhaJtsebene aber von der serilantischen Struktur der Gerneinsprache abweichen konnen".l09 Beispiele dafur sind Begriffe wie Kauj. Miete oder Beleidigung. Begriffe auf
dieser Ebene bezeichnet Schmidt als Fachjargonisrnen." O Trotzdem werden einige Rechtsbegriffe
von den Laien in ihrern InhaJt durchaus richtig erfaBt, auch wenn die juristischen Hintergriinde irn
einzelnen unbekannt sind (sogenannte Parallelwertung in der Laienssphare). So ist es insbesondere
nicht erforderlich, daB der Laie juristische Feinheiten zurn Beispiel kornplexer Straftatbestande wie
Diebstahl oder Urkundenfii1schung erfuBt. Es reicht aus zu wissen, daB es verboten ist, dern Nachbarn die Scheckformulare wegzunehmen und unter Nachabmung seiner Unterschrift einzuJosen.
Auf einer zweiten Ebene gibt es Fachworter fur nicht unmittelbar faBbare, sondem ,,nur noch definierbare rein gedankliche Phiinornene"lll wie Willenserkliirung oder Mangelhqftung. Nach der
Einteilung von Schmidt sind das die sogenannten Halbtermini. Auf der hOchsten Abstraktionsebene
106 Vgl. Bolten, J.: ,,Facbsprachen" oder "Sprachbereich"? S. 69.
107 Vgl. von Hahn, W.: Facbsprachen. In: Lexikon der Germanistischen Ungusitik. 2. vo11st neu bearb. Auf!.
Tiibingen 1980. S. 391 f.; fiir die Gliederung der Fachwortschlitze siehe auch Schippan, Th.: Lexikologie der
deutschen Gegenwartssprache. Tiibingen 1992. S. 228 ff..
108 Zur Zitierweise: Rechtsvorscbriften (Artikel, Paragraphen) bestehen haOOg aus mehreren Absiltzen, die im
folgenden mit romischen Ziffern bezeichnet werden. Besteht ein Absatz aus mehreren Siltzen, werden diese mit
arabischen Ziffem nnmeriert. Beispiel: § 1565 I 2 BGB meint den zweiten Satz im ersten Absatz dieser Rechtsvorschrift.
109 Oksaar, E.: Sprachliche Mittel in der Kommunikation zwischen Fachleuten und zwischen Fachlenten und
Laien iill Bereich des Rechtsweseus. In: Fachsprachen und Gemeinsprache. I. Aufl. Diisseldorf 1979. S. 101.
110 Vgl. Schippan, Th.: Lexikologie der deutschen GegenWll11Bsprache. Tiibingen 1992. S. 236 f..
27
sind die rechtswissenschaftlichen Begriffe wie Unterl£1SS/mgsklage und Subsidiarittit angesiedelt,
die die eigentlichen Termini darstellen.
In diesem Zusammenhang muB auf den Begriff "Terminologienormung" eingegangen werden.
Darunter wird im Bereich der Lexik "die Festlegung von Begriffsinhalten, also die Definition""2,
verstanden: "Termini rnachen den definierten, den festgelegten Teil fachsprachlicher Lexik aus,
charakterisiert durch Eindeutigkeit, Bestimmtheit und Genauigkeit."I13 Die Eindeutigkeit und Genauigkeit der Fachtermini sind aIlerdings nur der angestrebte Idealfall. So schriinkt Fleischer ein:
"Termini sind gekennzeichnet durch eine - zumindest tendenziell - eindeutige Festlegung auf eine
Klasse von Objekten, einen Begriff (wobei aIlerdings nicht aile Termini den ,,Idealvorstellungen"
entsprechen konnen). Dadurch ist eine Fachbezogenheit und spezifische Kontextunabhangigkeit der
Termini gegeben."114 In der Sprachrealitiit wird diese Eindeutigkeit anstrebende Definitionsarbeit
dadurch erschwert, daB Rechtsnormen sowohl auf der Voraussetzungs- als auch auf der Rechtsfolgenseite eine Vielzahl bestimmter als auch unbestimmter Rechtsbegriffe verwenden: "Bestimmte
Be!:,'Tiffe sind solche, deren Inhalt feststeht. Das ist vor allem bei der Verwendung von Zahlen der
Fall (Die Nachtzeit beginnt 22.00 Uhr). Aber auch Begriffe wie Mensch, Tod sind im wesentlichen
bestimmt. Demgegenuber liiBt sich der Inhalt unbestimmter Begriffe (z.E. die Prinzipien-Begriffe
des Art. 20 GG; berechtigte Interessen iSd §§ 193 StGB, 824 IT BGB; offentliche Sicherheit erst
durch eine genauere Auslegung feststellen."115 Die Vielzahl der genannten Auslegungsmoglichkeiten kann zu Arnbiguitat und Vagheit fiihren: ,,Der eigentliche positive Sinn der begriffiichen Unbestimmtheit wurde und wird darin gesehen, daB die Rechtsprechung den sich wandelnden Auffassungen angepaBt werden kann und muB. Bei dieser sogenannten "Rechtsfortbildung" beruft sich
der Jurist einerseits auf die Absicht des Gesetzgebers, der die nun fortzubildende Norm urspriingIich gesetzt hat. ... Andererseits liiBt der Jurist sein eigenes "Rechtsgefuhl" zu Wort kommen
- freilich eine (wie das "Sprachgefuhl") sehr umstrittene Instanz und gewi/3 kein eigentliches "Gefuhl".Hl16
Problematisch ist auch die Frage nach der ZuJassigkeit von Synonymen. 1m Idealzustand streben
Fachsprachen besonders in der Lexik ein hochstmogliches MaB an Eindeutigkeit an und stehen so
einer Synonymbildung entgegen. Doch die Realitat zeigt, daB auch in der Fachsprache des Rechts
durchaus Synonyme vorhanden sind. Deutlich wird das am Beispiel fur das Delikt des § 142 StGB,
fur das mindestens funf Bezeichnungen ublich sind: Fahreiflucht, Verkehrfllllcht, Uf!fal(flucht,
III Miiller-Tochtennann. H.: Zur Struktur der deutschen Rechtssprache. Muttersprache Jg. 1959 (1959) H. 69.
S.90.
112 Daum. u.: Rechtssprache - eine genormte Fachsprachc? S. 91.
113 Schippan, Th.: Lexikologie der deutschen Gegenwartssprache. S. 230.
114 Fleischer, W.; Michel,G.; Stmke, G.: Stilislik der deutschen Gegenwartssprache. Frankfurt am Main 1993.
S. 111.
115 Schmalz, D.: Methoden1ehre fiir das juristische Stodimu 3. Aufl. Baden-Baden 1992. Rdnr. 139: Vgl. d.1zu
auch die Ausfliluungen zu den unterschiedlichen Auslegnngsmethoden in Kap. C., S. 17 ff..
liG lelder. TIl.: Die Diszipiinierung der Sprache: Fachsprachen in unserer Zeit Tiibingen1997. S. 58.
28
Verkehnmnjal!flucht, unerlaubtes Enifernen yom Ulifallort. 1l7 Nach Ansicht von Daum besteht fur
eine Normierung dann kein Bedarf, "soJange durch eine solehe Vielfalt von Bezeichnungen nicht
der lrrtum entsteht, es hande1e sich urn verschiedenartige Begriffe"118. Vielmehr wiirde ein Normierung eine "Verarmung der Sprache mit sich bringen"l19. Diese Argumentation erscheint auf den
ersten Blick plausibel. Sie birgt aber auch Gefahren in sich: Solange die BegriffsvieJfalt nur in der
Kommunikation zwischen Fachleuten angewendet wird, ist sie in der Tat unbedenklich, da davon
auszugehen ist, daB die Fachleute das Begriffssystem ihrer Fachsprache beherrschen. In dem Moment, wo die Begriffsvie1fa\t in der Kommunikation zwischen Fachmann und Laien auftritt, kann sie
zu erheblichen Verstiindnisproblemen fiihren und damit zur Sprachbarriere werden.
Noch problernatischer ist die Verwendung von mehrdeutigen Wortem, vager Ausdriicke und ambiger Siitze. Die Polysemie ist solange unproblematisch, "wenn das gleiche Forrnativ a1s Terminus mit
verschiedener Bedeutung in verschiedenen terminologischen Systemen auftritt. Das geschieht nicht
selten, ohne daB eine Storung der Kommunikation erfolgt, wei! die fachgebundenen Darste11ungen
in sich homogen sind und der auBersprachliche Systemzusammenhang die Eindeutigkeit gewiihrleistet.,,]20 Die Polysemie wird dann fragwiirdig, "wenn ein Begriff mit scheinbar gleichem Inhalt in
verschiedenen Gesetzen unterschiedlich gebraucht wird, z.B. Urkunde im zivil- und strafrechtlichen
Sinn"] 2] . Dabei hat sich herausgestellt, "daB nicht nur die Problematik der Vagheit, also der Unschiirfe von Ausdriicken wegen Mehrdeutigkeit der Verwendungsregeln, und der Ambiguitat, also
der Mehrdeutigkeit von Satzstrukturen, eine Rolle spielt, sondem insbesondere auch die Porositiit
von Ausdriicken, also die Unabgeschlossenheit ihrer durch Verwendungsregeln festgelegten Bedeutung infolge der Unabgeschlossenheit der Erfahrungshorizonte der Mitglieder einer Sprachgemeinschaft.,,]22 Obwohl sich Vagheit und Ambiguitiit auch in der Rechtssprache nicht vollstiindig
ausschlieBen lassen, sollte beim EriaB von Rechtsvorschriften der Text darauthin tiberprutl: werden,
"ob die Vagheit von Ausdriicken eingeschriinkt und ambige Satzstrukturen vermieden werden
konnen"]23.
In engem Zusammenhang mit dem Vorkommen von vagen oder mehrdeutigen Begriffen steht auch
die Frage nach der Verwendung von Metaphem in Fachtexten. Auf den ersten Blick scheint sich
die Forderung nach Eindeutigkeit und Exaktheit in der Fachsprache, vor a11em in der Wissenschaftssprache, und die Verwendung von Metaphem auszuschlieBen. Doch bei niiherer Betrachtung liiBt sich def scheinbar antithetische Widerspruch zumindest abschwachen. Besonders die a1ten
Handwerkersprachen verfilgen tiber einen reichhaitigen Schatz an Metaphem, Vergleichen und
117
118
119
120
121
122
123
Vgl. Damn, U.: Rechtssprache - eine genormte Fachspmche? S. 91.
Damn, u.: Rechtssprache - eine genormte Fachspmche? S. 91.
Daum, U.: Rechtssprache - eine genormte Fachspmche? S. 91.
Fleischer, W.; Michel, G.; Starke, G.: Stilistik der deutschen Gegenwartsspmcbe. S.I13 L
Damn, U.: Recbtsspmcbe - eine genormte Fachspmcbe? S. 91.
Podlech, A: Rechtslinguistik. In: Rechtswissenschaft und Nachbarwissenscllaften 2. MUnchen, 1976. S. 110 f ..
Podlecll, Adalbert: Rechtslinguistik. S. Ill.
29
Redewendungen, die im Laufe der historischen Entwicklungen auch stark auf die gemeinsprachliche Lexik eingewirkt haben.124 Doch auch die modemen Fachsprachen enthalten Metaphern, fur
deren Verwendung Gessinger folgende Hypothese aufstellt: ,,Die Metapher ist fur die wissenschaftliche Rede immer dann ideal, wenn eine Priizision der Aussage nicht moglich ist oder der Proponent
es vorzieht, auf eine mogliche priizise Formulierung seiner Aussage zu verzichten, etwa um ... die
eingefahrenen Wege des gemeinen Verstandes zu verlassen."I25 Gessinger pliidiert fur den bewuBten Einsatz von Metaphern, jedoch nur fur ausgewiihlte fachsprachliche Bereiche wie die wissenschaftliche Rede: "Theoriekonstitutive Metaphem sind auf Dauerhaftigkeit angelegt und werden
mit der Absicht in die Welt gesetzt, sich moglichst in allen Kopfen und Texten der Wissenschaftlergemeinschaft einzunisten. Sie werden erst dann obsolet, wenn der Tei1 der Theorie, den sie tragen,
hinreichend explizit formuliert worden ist oder die gesamte Theorie selbst zur Disposition steht: 1m
ersten Fall erofihet die Metapher keine neuen Perspektiven mehr, im zweiten die falschen."126 Das
bedeutet, solange ein Gegenstand innerhalb einer wissenschaftlichen Theorie nicht hinreichend
definiert ist, sichem Metaphem seine ,,Handhabbarkeit"127. In diesem Stadium sind Metaphem
konstruktive Elemente. In fachsprachlichen Bereichen, die wie beispielsweise Gesetze direktive
Funktionen haben, gilt jedoch tendenziell die gleiche Empfehlung wie fur vage und ambige Strukturen: Ihre Verwendung soUte genau iiberprUft und wegen drohender Komrnunikationsstorungen
eingeschrankt werden.
Auf die enge Verbindung von Umgangssprache und der Fachsprache des Rechts wurde schon
eingegangen. Sie wirft auch im Bereich der Lexik Probleme auf: "Gegen die Moglichkeit einer
scharfen lexikalischen Trennung von Begriffen der Rechtssprache einerseits und der Umgangssprache andererseits sprechen Alltagserfahrung und rechtstheoretische Retlexion. Die Alltagserfahrung
lehrt, daB Gesetze, Rechtsverordnungen und Gerichtsurteile sich ganz iiberwiegend der aus der
Umgangssprache vertrauten Begriffiichkeit bedienen."I28 Trotzdem gibt es in der Fachsprache des
Rechts Termini, die nicht der Umgangssprache entspringen und beim juristischen Laien den Eindruck hervorrufen konnten, "es handele sich bei der Redeweise der Juristen eher um den Vollzug
magischer Sprachrituale als um eine nachvollziehbare Begriindung rechtlicher Entscheidungen.
Aber diese Begriffe bezeichnen spezifische, eng umgrenzte Rechtsfiguren, die von der Rechtsdogmatik zur Bewaltigung bestimmter Zurechnungsprobleme entwickelt worden sind. Reprasentativ
fur die Sprache der Gesetze und der Gerichtsentscheidungen sind solehe Termini nicht."I29 Da es
offensichtlich Termini gibt, die nur in der Rechtssprache Verwendung finden, dariiber hinaus aber
124 Vgl. Fluck, R-R: Facbsprachen. S. 162.
125 Gessinger, J.: Metnphern in der Wissenschaftssprache. In: BeitIilge zur Fachsprachenforschnng. Tostedt 1992.
S.30.
126 Gessinger, J.: Methaphem in der Wissenscbaftssprache. S. 47.
127 Gessinger, J.: Methaphem in der Wissensclmftssprache. S. 45.
128 Neumann. U.: Juristische Facbsprache und Umgangssprache. In: Rechtskultur als Sprachkultur: Zur forensischen Funklion der Sprachanalyse. 1. Aufl. Frankfurt am Main 1992. S. 111.
30
auch Elemente der Umgangssprache Eingang finden, stellt sich die Frage, ob ausschlieBlich die
fachsprachlichen Ausdriicke der juristische Fachsprache zugeordnet werden sollen, oder ob es auch
Worte gibt, "die innerhaIb der Rechtssprache sowohl aIs Ausdriicke der Fachsprache wie aIs umgangsprachliche Termini Verwendung finden k6nnen"I30. Eine Anwort auf diese Fragestellung solI
in der Anwendung auf das Ehescheidungsrecht gegeben werden.
b) LexikaIische MerkmaIe des Ehescheidungsrechts
Auch im Ehescheidungsrecht zeigen sich im Bereich der Lexik die drei Abstraktionsstufen. Beispiele dafur sind in der Ubersicht aufgefiihrt: 131
Fachjargonismen
+ (einverstandliche,streitige)
Ehescheidung
+ Trennungsjahr
+ Getrenntleben
+ (Ehegatten-, Kindes-)
Halbtermini
+ Harteklausel
+ angernessenerLebensbedarf
Termini
+ Zeniittungsprinzip
+ Giitergerneinschaft
+ Versorgungsausgleich
+ Leistungsfahigkeit
Unterhalt
+ Berechtigter
+ Verpflichteter
Tabelle4
Die anhand der im vorigen Kapitel erlauterten MermaIe hier getroffene Einteilung ist jedoch nicht
unproblematisch. Einige aIs Fachjargonismen eingeordnete Beispiele wie Trel1nllng~ahr, Getrenntleben oder eiffllerstiindliche Ehescheidung werden sowohl fuchsprachlich aIs auch umgangssprachlich gebraucht, aIlerdings mit unterschiedlicher Bedeutung. Im Bereich der Fachsprache ist
ihre Bedeutung genau definiert, das heiBt, eigentlich sind sie danach eher den Termini aIs den
Fachjargonismen zuzuordnen. Da jedoch bei den genannten Beispielen das Kriterium der zweifachen Verwendung sowohl im fachsprachlichen a1s auch im aIlgemeinsprachlichen Bereich tiberwiegt, werden sie zu den Fachjargonismen geziihlt. Bei der Verwendung im aIlgemeinsprachlichen
Bereich ist haufig die rechtswissenschaftliche Definition nicht prasent, so daB die gemeinsprachliche
Bedeutung sich nur teilweise oder gar nicht mit der fachsprachlichen Bedeutung deckt. So wird oft
129 Neumann, u.: JuristischeFachsprachenndUmgangssprache. S.lII f..
130 Neumann, u.: Juristische Fachsprache und Umgangssprache. S. 1l3.
31
von Mandanten beim Rechtsanwalt der Begriff eiffllerstdndiiche Scheidung mi13verstanden. Fiir den
Rechtsanwalt miissen fur eine einverstiindliche Scheidung drei Voraussetzungen erfiillt sein:
1. Die Eheleute leben seit einem Jahr getrennt. 2. Beide Eheleute wollen geschieden werden.
3. Beide Partner einigen sich iiber die Scheidungsfolgesachen. 132 Aus Gesprachen mit Rechtsanwalten wird deutlich, daB die Mandanten eine einverstiindliche Scheidung viillig anders interpretiereno Sie verstehen darunter eine giitliche Trennung, bei der iiberhaupt keine Streitigkeiten auftreten
und sind iiberrascht, wenn der Anwalt ihnen sagt, daB auch bei einer einverstiindlichen Scheidung
durchaus Streitpunkte auftre1en kiinnen. Ahnliche Mi13verstiindnisse liegen beim Getrenntleben vor.
Nach § 1567 BGB leben die Ehegatten getrennt, wenn zwischen ihnen keine hiiusliche Gemeinschaft besteht. Fiir viele Mandanten ist schwer vorstellbar, daB diese Bedingung auch dann erfiillt
sein kann, wenn beide Eheleute noch in einer Wohnung ZlIsarnmen wohnen. Wesentliche Bedingung dafur ist, daB auch innerhalb der gemeinsamen Wohnung eine riiumliche Trennung stattgefunden hat. Noch schwerer vermittelbar ist, daB keine hiiusliche Lebensgemeinschaft auch heifit,
daB beispielsweise die Frau fur ihren Mann nicht mehr die Wiische waschen und biigeln darf Auch
gemeinsame Mahlzeiten sind nicht erlaubt. So entstehen Mi13verstiindnisse auf der Sacbinhaltsebene, die ZlI Kommunikationsstiirungen fiihren kiinnen.
Aufgrund der sehr vagen Definition von Miiller-Tochtermann bleibt auch die Zuordnung ZlI den
Halbtermini schwierig. ,,Nur noch definierbare, rein gedankliche Phiinomene,,\33 finden sich im
Bereich des Ehescheidungsrechts eher selten. Miiglicherweise liegt das auch daran, daB die Materie
des Ehescheidungsrechts unter sehr konkreten Voraussetzungen und mit sehr konkreten Folgen in
die Rechtssphiire des einzelnen eingreift und daher eher auf juristische Fiktionen verzichten kann als
andere Bereiche des Rechts.
Auf echte Termini kann auch das Ehescheidungsrecht nicht verzichten und so finden sich bier viele
Beispiele. Speziell der Terminus Versorgungsausgleich ist den meisten Mandanten nicht bekannt.
Jedoch fuhrt dieses Nichtwissen selten ZlI Kommunikationsstiirungen, da die rechtswissenschaftliche Definition eindeutig ist und von einem guten Anwalt dem Mandanten relativ schnell erlautert
werden kann. Mehr Probleme verursacht in diesem Zusarnmenhang das Ausfullen des Formblattes
ZlIm Versorgungsausgleich. Viele Anwiilte sind dazu iibergegangen, diesen Antrag gemeinsam mit
ihrem Mandanten auszufullen, wei! es sonst hiiufig ZlI Riickfragen kommt. Die Kritik - sowohl von
Anwiilten und Mandanten - richtet sich bier gegen die Uniibersichtlichkeit, Komplexitiit und Mehrdeutigkeit des Antrages - Merkmale die haufig aufbehiirdliche Formulare ZlItreffen. Auf die Probleme der Behiirdensprache wurde in diesem Zusammenhang bereits bingewiesen.
131 Die au[geftihrlen Beispiele ergeben sich entweder direkt nus den gesetzlichen Tatbeslandsmeoonalen der
§§ 1564-1590 BOB oder ans deren Anslegung in der rechlSwissenschaftlichen Literatur nnd der Rechtsprechung.
132 Dicsc Voraussclznngell ergebell sich nus § 15651 i.v.m. § 15661 BGB.
133 Vgl. das zn FuBnote 111 gehiirige Zitat, S. 26.
32
Problematisch ist auch im Ehescheidungsrecht die gewiinschte Eindeutigkeit der Tennini. Wie
schon ausgefuhrt, erschlie13t sich die Bedeutung vieler Rechtstennini erst aus ihrer Auslegung. Die
unterschiedlichen Auslegungsmethoden konnen zu Vagheit und Ambiguitiit und damit zu Kommunikationsstorungen fuhren. Erschwert wird dies noch durch die Rechtsprechung zu verschiedenen
Sachverhalten. Viele Mandanten iibersehen, daB beispielsweise ein hOchstrichterliches Urteil nur
auf den ersten Blick genau auf den eigenen Fall zutriffi. Auf den zweiten Blick ergeben sich unter
Umstiinden durchaus Unterschiede, die eine Ubertragung des Urteils allenfalls analog ermoglichen
oder sogar vereiteln. Diese Problematik beschriinkt sich leider nicht nur auf die Lexik., sondern
durchzieht alle Ebenen der juristischen Fachsprache.
Synonyme treten im Ehescheidungsrecht kaum auf Ein Beispie~ das aber keine Schwierigkeiten
verursacht, ist der parallele Gebrauch von einverstiindlicher und einvernehmlicher Scheid1mg.
Problematischer ist dagegen der Gebrauch von Termini, die zwar ein unterschiedliches Formativ
haben, sich aber mit der gleichen Rechtsmaterie beschiiftigen, jedoch unterschiedliche RechtsfoJgen
nach sich ziehen und folglich unterschiedliche Bedeutungen haben. Von den Anwiilten hiiufig genanntes Beispiel ist die VerwechsJung von Sorgerecht, Umgangsrecht und Aufenthaltbestimmungsrecht fur die gemeinsamen Kinder.'34 Obwohl auch hier sowohl Formativ als auch Bedeutung unterschiedlich sind, werden beide Tennini hiiufig von Mandanten aus Unkenntnis der juristisch unterschiedlichen Definitionen gleichgesetzt. Das fuhrt teilweise zu erheblichen Verstiindigungsschwierigkeiten zwischen Anwalt und Mandant, aber auch zwischen den zu scheidenden
Parteien.
Metaphern finden sich in den gesetzlichen Regelungen zum Ehescheidungsrecht mit Ausnabme des
Halbterminus Hlirteklausel nicht. Das Fehlen von Metaphem liil3t sich unter anderem aus der zentralen Stellung, die das BGB und seine Sprache in der Gesetzgebung einnimmt, erkliiren. Die Viiter
des BGB wurden mit grundlegenden Fragestellungen konfrontiert: "Sollten sie (...) einer abstrakten
Technik den Vorrang geben, als deren Vorziige begrifiliche Disziplin, piidagogische Ubersichtlichkeit, A1lgemeingiiltigkeit und innere Wahrheit und Folgerichtigkeit erschienen, und dafiir einen
Mangel an Anschaulichkeit und A1lgemeinverstiindlichkeit, Blasse der ethischen Imperative und
Verzicht aufvolkserzieherische Wirkungen in Kaufnehmen, oder sollten sie den umgekehrten Weg
gehen, wie ihn das preui3ische Allgemeine Landrecht beschritten hatte? Sie gingen den Weg der
Abstralction und begrifHichen Strenge, verzichteten daraut; das BGB zu einer "weltJichen Bibel
unseres Volkes" zu machen, sprachen also den wissenschaftJichen Richter und nicht den Mann des
Volkes an."135
134 Diose Tennini gehOren zwar nieht unmittelbar ZUlU Ehescheidungsrecht, aber sie sind zwangslaufige Scheidungsfolgen beim Vorhandensein gemeinsamer Kinder bei einer Ehescheidung.
135 Fotheringham, H.: Die Gesetzes- nnd Verwaltungsspraehe im Spannungsfuld zwischen filehlieher Qualitlit und
A1lgemeinverstiindlichkeit S. 104.
33
Folglich finden sich auch im Ehescheidungsrecht exakte und eindeutige Fonnulierungen und keine
bildhaften Vergleiche. Das ist zumindest fur den Bereich der Gesetzesanwendung unter Fachleuten
zu akzeptieren. FUr die Vermitt1ung der fachlichen In.halte an Laien ist es durchaus vorstellbar,
Metaphem zu verwenden, urn die Plausibilitat zu erhOhen oder sogar erst herzustellen.
2. Syntax und Morphologie
a) Syntaktische und morphologische Merkmale der Fachsprache des Rechts
Die Syntax fachsprachlicher Texte ist bisher nur punktuell untersucht worden. Einige Tendenzen
lassen sich aber durchaus erkennen: ,,Der fachsprachliche Satzbau kann sich vom ,,Nonnalhochdeutschen" durch eine Bevorzugung von Funktionsverbgefugen, verbunden mit einer Sinnentleerung der Verben, unterscheiden.... AuBerdem hat man einen bevorzugten Gebrauch von unpersonlichen, passivischen Siitzen festgestelltl36, wenigstens in den Wissenschaftssprachen.,,137
Auffajlig ist die hiiufige Verwendung der Prasensformen des Verbs. Sie ergtbt sich nicht etwa daraus, "daB aJles WissenschaftJiche und Technische als "gegenwartig" betrachtet winl, sondem aus
dem Streben nach Abstraktion und VeraJlgemeinerung. Es wird von dauerhaften Merkmalen und
Eigenschaften der untersuchten Erscheinungen gesprochen, und es werden allgemeingiiltige Aussagen getroffen. ,,]30
Tendenziell gesehen ist der fachsprachliche Satzbau besonders in der Theoriesprache auf wenige
Muster beschrlinkt, die meist einer strengen Thema-Rhema-Gliederung, oft mit substantivischem
Anfang folgen. Typisch ist auch der Trend zur Substantivierung. 139
Beziiglich der fachsprachlichen Syntax kommt Ickier zu folgender Aussage: ,,In der neueren Fachsprachenforschung wird des ofteren erkliirt, Fachsprachen hatten auch eine eigene Syntax. Andere
bestreiten es. Aber der Unterschied der Meinungen ist in Wirklichkeit nicht sehr gro3; denn die
"spezifische" Syntax der Fachsprachen erweist sich meist als eine spezifische Gebrauchshiiufigkeit
von syntaktischen Mustern, die durchaus auch in der Allgemeinsprache vorkommen. Nicht das
Inventar oder der ,,Bestand" der Muster, sondem die Frequenz ihrer Verwendung sind also charakteristisch; ich spreche daher von ,,Frequenzspezifika" (im Gegensatz zu ,,Bestandsspezifika") der
Fachsprache. ,.I 40
136 Vgl. dazu auch Matzke, B.: Die Moda1itiit der Fiiguug "seiu+ZU+Infinitiv" iujuristischen Te:-.1en. Deutsch als
Fremdspmche Jg. 25 (1988) H. 2, S. 72 II..
137 Fluck, H.-R: Fachspmchen. S. 55 f..
138 Spmchnormen, Stil und Spmchkultur. Arbeitsberichte. 1. Anfl. Oberlungwitz 1979. S. 105.
139 Vgl. von Hahn, W.: Facbspmcben. S. 394.
140 Iclder, TIl.: Die Disziplinierung der Sprache: Fachspmchen iu unserer Zeit S. 144.
34
Die Ergebnisse bisheriger syntaktischer Untersuchungen"1 bestiitigen diese Aussage insoweit, "daB
sich die syntaktischen Mittel in Fachtexten in ihrer Frequenz und Verwendungsweise von der
Sprachverwendung in nichtfachbezogener Kommunikation teilweise erheblich unterscheiden und
fur bestimmte Fachbereiche zu einem relativ geschlossenen System zusammenfassen lassen. Dabei
herrscht die Auffassung vor, daB fachsprachliche syntaktische Erscheinungen eine Auswahl aus
Strukturen der gemeinsprachlichen Syntax darstellen.,,142
Verschiedene fachsprachliche Untersuchungen haben gezeigt, daB bei der Sprachverwendung der
unterschiedlichen Wortarten den Substantiven eine hervorgehobene Stellung zukommt. Sie haben
auch den groBten Anteil bei der Bildung von Fachterrnini. Erganzend zu den Substantiven treten
Adjektive vorwiegend mit ,,Differenzierungsfunktion"143 in Erscheinung. Verben und Adverbien
werden dagegen deutlich weniger verwendet. Wesentlich sind auch Pronomina in "quantifizierender
Funktion" und Konjunktionen wie wenn-so, einerseits-andererseits als ,)ogische Konstanten".144
Auf dem Gebiet der Wortbildung ist die Wortzusammensetzung "besonders produktiv"145. Wichtigstes Element ist auch hier das Substantiv. Daneben gibt es Wortableitungen, Konversionen, Entlehnungen und Kiirzungen.
b) Syntaktische und morphologische Merkmale des Ehescheidungsrechts
Wie bereits fur den allgemeinen Fachsprachengebrauch tendenziell festgestellt, werden in den untersuchten Paragraphen zum Ehescheidungsrecht fast durchgehend nur Prasensformen verwendet.
Dieses Merkmal ist allerdings keine Spezifitiit dieser Rechtsmaterie, sondem findet sich in allen
Gesetzestexten. Der Gebrauch des Priisens unterstreicht die Allgemeingiiltigkeit und Verbindlichkeit def gesetzlichen Normen. Andere Tempusformen wie zum Beispiel Perfekt und Plusquamperfekt finden sich nur, wenn Sachverhalte behandelt werden, die in der Vergangenheit liegen bzw. in
der Vergangenheit abgeschlossen sind, aber Rechtsfolgen in der Zukunft hervorrufen, so beispielsweise in § 1573 IV BGB: Der geschiedene Ehegatte kann auch dann Unterhalt verlangen,
wenn die Einkiinfte aus einer angemessenen Erwerbstiitigkeit wegfallen, wei! es ihm trotz seiner
Bemiihungen nicht gelungen war, den Unterhalt durch die Erwerbstiitigkeit nach der Scheidung
nachhaItig zu sichem.
Typischerweise finden sich in den untersuchten gesetzlichen Regelungen viele Passivkonstruktionen, vor allem wenn auf die Anwendbarkeit von Paragraphen verwiesen wird. Beispiele
dafur sind § 1580, 2 BGB und § 1585 I BGB: § 1605 ist entsprechend anzllwende11. ... Der 1011141 z.B. Beier, R: Zur Syntax in Fachtexten In: Fachprachen und Gemeinsprache. I. Aull. Diisseldorf 1979.
S. 276-301. und Schwanzer, V.: Syntaktisch-stilistische Universalia in den wissenscllllftlichen Fachsprachen.
In: Wissenschaftssprache. BeiWge zur Methodologie, theoretische Fundierung und Deskription. Miinchen
1981. S. 213-230.
142 Fluck, H.-R.: Fachsprachen. S. 204.
143 Fluck, H.-R.: Fachsprachen S. 48.
144 Fluck, H.-R.: Fachsprachen S. 49.
35
fende Unterhalt ist durch Zahlung einer Geldrente zu gewtihren. Die Rente ist monatlich im voraus Zll entrichten. Auffa11ig sind in diesem Zusammenhang die hiiufig auftretenden fonnelhaften
Wendungen mit zum Tell archaischem Wortschatz, so zum Beispiel in §§ 1573 1, IV und 1574 ill:
Soweil ein geschiedener Ehegatte lreinen Unterhalfsansproch ... hat, lmnn er gleichwohl Unterhalt
verlangen, so/ange wui soweit er nach der Scheidung lreine angemessene Erwerbstiitiglreit zu
jitulen vermag. ... Die Unterhaltsansprilche ... kbnnen zeitlich begrenzt werden, soweit ... ein
zeitlich unbegrenzter Unterhaltsansproch unbimg ware. ... Soweit es zur Aufnahme einer angemessenen Erwerbstiitiglreit erforderlich ist, obliegt es dem geschiedenen Ehegatten, sich alISZllbilden .... Bier hat der vor fast 100 Jahren, also zur Entstehungszeit des BGB, verwendete Sprachusus seine Spuren hinterlassen, denn obwohl viele Vorschriften des BGB im Laufe der Jahre geandert wurden, finden sich an vielen Stellen noch urspriingliche Fonnulierungen, die heute liberholt
und veraltet anmuten. Es stellt sich also die Frage, wie weit sich die Gesetzessprache gesellschaftlichen und sprachlichen Verilnderungen anpaBt. Die im BGB vorgenommenen Anderungen wurden
liberwiegend aus sachlichen GrUnden vorgenommen: "Umfonnulierungen - nur sprachlich bedingt sind aber jedesmal mit groBen Schwierigkeiten verbunden, da neue Distributionen der Sprachelemente auch neue Auslegungsmoglichkeiten mit sich bringen."146 Mit dieser Begriindung lehnte der
RechtsausschuB des Deutschen Bundestages auch eine notwendige Neufassung des § 1446 des
BGB in der damaligen Fassung ab: ,,Die von dem AusschuB gewiihlte Fonnulierung entspricht der
Ausdrucksweise des Biirgerlichen Gesetzbuches (vgl. § 1446ll). Der AusschuB will es bei dieser
Ausdrucksweise belassen, weil er befurchtet, die Rechtsprechung konnte die neue Fonnulierung
anders auslegen als die alte Fassung."l47
Interessant ist auch die auf den ersten Blick untypische Verwendung des Konjunktivs, der nicht zur
angemahnten Exaktheit und Allgemeingiiltigkeit der Rechtssprache paBt. Er findet sich liberalI dort,
wo nur mogliche Sachverhaltskonstellationen und ihre Rechtsfolgen behandelt werden, so in
§ 1582 I BGB: ,,Bei Ermittlungen des Unterhalts des geschiedenen Ehegatten geht im Falle des
§ 1581 der geschiedene Ehegatte einem neuen Ehegatten vor, wenn dieser nicht bei entsprechender
Anwendung der §§ 1569 bis 1574, § 1576 und des § 1577 I unterhaltsberechtigt ware. Heitte der
neue Ehegatte nach diesen Vorschriften einen Unterhaltsanspruch, geht ihm der geschiedene Ehegatte gleichwohl vor, wenn er nach § 1570 oder nach § 1576 unterhaltsberechtigt ist oder die Ehe
mit dem geschiedenen Ehegatten von langer Dauer war."14'
145 Fluck, f{-R: Fachsprachen. S. 50.
146 Oksaar, E.: Sprache als Problem und Wetkzeug des Juristen. In: Archiv fiir Rechts- und Sozialpbilosophie.
Vol. 1967. S. 108.
147 Verhandlungen des deutschen Bnndestages, 2. Wahlperiode 1953. Zu Drucksache 3409, Bd 51 Schriftlicher
Berichl des Ausschusses f1ir Rechlswesen und Verfassungsrecht. S. 10.
148 § 1582 I 2 BGB.
36
Beziiglich der vorkommenden Wortarten kann die Dominanz des Substantivs und Wortzusammensetzungen mit einem substantivischen Tell bestiitigt werden. Termini wie Unterhaltsberechtigung,
Unterhaltsgewahrung, Versorgzmgsausgleich, Giitergemeinschqft und Zerrilttungsprinzip sind
dafur beredtes Beispiel.
3. pragmatik: Textsorten und Stilistik
a) Pragmatische Merkmale der Fachsprache des Rechts
Bei der Beschreibung der textuellen Ebene fachsprachlicher AuBerungen ergeben sich zwei Probleme: ,Pas erste betriffi: die Situation in der Fachsprachenforschung, die bisher auf der Systemebene kaum spezifische Merkmale des Fachtextes bzw. von Fachtexten isolieren konnte. Das
zweite Problem hiingt mit der Forschungssituation in der Textlinguistik zusammen; hier erscheint
der Text einmal als Gr~Be des Sprachsystems, zum andern in pragmatischer Sichtweise als Ergebnis der Sprachverwendung."149
Diese Problematik bringt es mit sich, daB Mohn und Pelka zu dem Ergebnis kommen, daB ihre
Bemiihungen ,,Fachsprache" "als einheitliches Subsystem innerhalb des Systems "Gesamtsprache"
auszugrenzen" nicht zu einem "voll befriedigenden Ergebnis"150 gefuhrt haben. Es kommt jedoch
zum Ausdruck, daB die Sprachvariante ,,Fachsprache" sich in zahlreichen mehr oder weniger unterschiedlichen Erscheinungsformen repriisentiert: ,,1m einzelnen sind uns diese in ihren konkreten
Fachtexten zugiinglich, die zum einen sprachintern (systematisch-Iinguistisch) charakterisiert, zum
andern auf ihre fachlich bestimmten Handlungszusammenhiinge (systematisch-situativ) bezogen
werden konnen. Die unterschiedliche Kombination sprachinterner und situativer Merkmale ermogIicht eine mehr oder weniger priizise Differenzierung von Fachtexten.,,151
An dieser Stelle soli besonders auf die sprachinterne Textcharakterisierung eingegangen werden.
Die systematisch-situative Kennzeichnung dagegen wird im empirischen Teil der Untersuchung
eine Rolle spielen.
Charakteristisch ist die explizite Kennzeichnung von Fachtexten, "da von Form und Inhalt der
sprachlichen Au13erungen irn Text vielfach nicht auf die fachspezifische Funktion geschlossen werden kann"152. Solche "Deklarationsformen"153 sind beispielsweise angewandt auf die Sprache des
Rechts die Richtlinie, der Verwaltungsakt, das Pliidoyer oder auch das Urteil. Fachsprachliche
Texte sind hiiufig gekennzeichnet durch zahlreiche Signale fur den hohen Grad von Textdurchgliederung wie Segmentierungsformen (Kapite~ Abschnitte, Absiitze), Ziffernfolgen, Tabel1en und
149
150
151
152
Moho, D.: Pelka, R: Fachsprachell. S. 22.
MaIm. D.; Pelka, R: Fachsprachen. S. 23.
Mohn, D.; Pelka, R: Fachsprachell. S. 28.
Mohn, D.; Pelka, R: Fachsprachen. S. 22.
37
Listen. Die textue1le Kohiirenz repriisentiert sich wie folgt; die Verwendung von Proformen wird
mit dem Ziel eingeschriinkt, Synonyme Zll vermeiden: ,,Ais eine Besonderheit von Fachtexten wird
oft hervorgehoben, daB sie Ausdriicke in einem Mal3e wiederholen, wie es in der iiblichen Stildidaktik verpont ist. DaB die Fachlichkeit sich U.a. durch die Wahl und strikte Beibehaltung eines
bestimmten Aspektes bestimmt, wirkt selbstverstl!ndlich dem synonymischen Luxus entgegen:
Benennungstlexibilitiit liegt nicht im fuchlichen Interesse. Fiir eine rationalistische Semantik ist
Synonymenvariation - bloB urn der Variation, der Wiederholungsvermeidung willen - ebenso "pathologisch" wie Mehrdeutigkeit (Homonymie)."I54
In fachsprachlichen Texten treten viele Verweisformen aut; die ein hohes MaB an logischer Verkniipfung zeigen wie Demonstrativa, sowohl in kataphorischer als auch in anaphorischer Funktion,
und Pronominaladverbien. 155 Es existiert ein begrenztes Potential und weitgehende Konstanz der
lexikalischen Referenzmittel: ,,Diese Erscheinung verweist wieder auf eine ausgepriigte Systernatik,
textsemantisch auf eine Beschrankung und deutliche Abgrenzung fachlicher Inhalte."IS6
Durch typografische Mittel wie Fettdruck oder Unterstreichungen werden fachliche Begriffe "entsprechend ihrem thematisch-funktionalen Stellenwert gekennzeichnet"JS7. AuBersprachliche Mittel
wie Skizzen und Diagramme ergiinzen weit mehr als in anderen Bereichen fachsprachliche Texte
und stellen bestimmte Sachverhalte dar, "deren Komplexitiit sprachlich kaum oder nur auf eine
aufWendige Weise Zll erfassen ist. Dariiber hinaus dienen Mittel dieser Art (z.B. Abbildungen) nicht
selten zur Veranschaulichung abstrakter Aussagen."lss
Die textlinguistische Untersuchung fachsprachlicher Texte ist eng verbunden mit der Textfunktion.
Insoweit sei auf Kapitel E. ill. 1. Funktiolekt verwiesen, das sich im Rahmen des soziolinguistischen Ansatzes ausfiihrlich mit diesem Begriff auseinandersetzt.
b) Pragmatische Merkrnale des Ehescheidungsrechts
Auf die Probleme bei der Beschreibung der textuellen Ebene von Fachsprachen allgemein wurde
bereits verwiesen. Dieselben Probleme treten auch im Ehescheidungsrecht auf und werden deshalb
an dieser Stelle vernachliissigt.
Die sprachinteme Textcharakterisierung sieht fUr die ana1ysierten Paragraphen wie folgt aus: Die
explizite Kennzeichnung entspricht dem erwarteten Muster fUr gesetzliche Regelungen und ist stark
normiert und systernatisiert. Dadurch kann direkt sowohl von der Form als auch yom Inhalt auf die
Textfunktion (niimlich direktiv) geschlossen werden. Es finden sich aile Merkmale fUr einen hohen
Grad an Textdurchgliederung durch Segmentierungsformen wie die grafische Kennzeichnung der
153
154
155
156
157
158
Maim, D.; Pelka, R: Facbsprachen. S. 22.
Ickier, Th: Die Disziplinierung der Sprache: Fachsprachen in unserer Zeit S. 163.
Vgl. Maim, D.; Pelka, R: Fachsprachen. S. 22 f..
Maim. D.; PeJka, R: Fachsprachen. S. 23.
Maim. D.; Pelka, R: Facbsprachen. S. 23.
MOIm, D.; Pelka, R: Fachsprachen. S. 23.
38
gesetzlichen Regelungen durch <las Paragraphenzeichen ,,§", die Nurnerierung der Paragraphen
sowie die Kennzeichnung von Abschnitte und Absiitzen. Durch Hervorhebung der Nurnerierung
und der Uberschriften durch Fettdruck wird die zugrundeliegende Systematik typografisch unterstrichen.
Wie schon dargestellt, ist auch im Ehescheidungsrecht die Verwendung von Proformen stark eingeschriinkt, urn durch groBtmogliche Exaktheit und Eindeutigkeit einen hohen Grad an A1lgemeingiiltigkeit zu erreichen. Zusammenfassend Iiillt sich sagen, daB die gesetzlichen Regelungen zum
Ehescheidungsrecht einen hohen Grad an expliziter textueller Kennzeichnung aufweisen, der sich
durch das sehr genau festgelegte und schematisierte Textmuster "Gesetzestext" erkliiren liiI3t.
4. Die Priifung der Rechtsformlichkeit von Gesetzentwiirfen durch <las Bundesministeriurn der
Justiz
Die Rechtsformlichkeitskeitspriifung durch das Bundesministeriurn der Justiz geht auf einen KabinettsbeschluB vom 21. Oktober 1949 zuriick. Es wurde festgelegt, daB aile Gesetzentwiirfe vor der
Vorlage an <las Kabinett sowie aile Entwiirfe von Rechtsverordnungen dem Bundesministerium der
Justiz zur Priifung der Rechtsformlichkeit zuzuleiten sind. Die entsprechenden Vorschriften dazu
finden sich in § 23 II Nr. 3, §§ 38, 67 des Besonderen Teils der Gemeinsamen Geschiiftsordnung
der Bundesministerien (GGO II). Die Rechtsformlichkeitspriifung umfaBt die Priifung der Erforderlichkeit, der Verfassungsmii/3igkeit, der Verstiindlichkeit sowie der einheitlichen Gestaltung. Erforderlichkeitspriifung heillt: 1st iiberhaupt ein Regelungsbedarf vorhanden? Gefragt wird weiterhin,
ob der Gesetzentwurf mit der Verfassung, gegebenenfalls mit dem Europiiischen Gemeinschaftsrecht (soweit ein EG-Bezug besteht) oder mit sonstigem Recht vereinbar ist. Geachtet wird auch
auf die einheitliche Gestaltung der Entwiirfe in bezug auf Eingangsformeln, Zitierweisen, Anderungsbefehle und Inkrafttretungsregeln. Ein weiterer Bereich der Rechtsforrnlichkeitspriifung, der
im Zusammenhang mit der vorliegenden Arbeit steht, befaBt sich mit der Verstiindlichkeit der Gesetzentwiirfe fur die Normadressaten. Nach § 37 GGO II ist dazu die Beteiligung der Gesellschaft
fur deutsche Sprache vorgesehen. Erganzende allgemeine Empfehlungen zur Formuiierung von
Rechtssiitzen sind niedergelegt im Handbuch der Rechtsforrnlichkeie s9 • Die darin aufgelisteten
Empfehlungen decken sich - zurnindest teilweise - mit der in Kapitel D. II. gegebenen linguistischen
Charakterisierung der Fachsprache des Rechts. So wird beispielsweise auf die schon erwiihnte
Besonderheit verwiesen, daB in der juristischen Fachsprache Ausdriicke verwendet werden, "die
der Form nach mit denen der Gemeinsprache, d.h. der aIlgemein verwendeten Sprache, iibereinstimmen, ihrer Bedeutung nach aber von der Gemeinsprache abweichen konnen".l60 Da gesetzliche
Vorschriften aber nach der Zielsetzung des § 35 I GGO II fur jedermann verstiindlich sein sollen,
159 Vgl. Handbuch def Rechtsf<innlichkeit: Empfeblungen des Bundesministeriums def Justiz zur einlleitlichen
rechtsr<irmlichen Gestaltung von Gesetzen und Rechtsverordnungenn3ch § 38 Abs. 3 GGO TI.
160 Handbuch def Rechtsfonnlichkeit Rdnr. 45.
39
"mussen Fachausdriicke und Worter , die in einer von der Gemeinsprache abweichenden Bedeutung verwendet werden, im Text der Rechtsvorschrift durch Begriffsbestimmungen verdeutlicht
werden".'6! Dabei kann aber AIlgemeinverstiindlichkeit nicht auf Kosten der Priizision erreicht
werden. Mogliche Defizite in der AIlgemeinverstiindlichkeit sollen durch Begleirtexte wie zum
Beispiel Broschiiren mit Erliiuterungen und Anwendungsbeispielen ausgeglichen werden.! 62
In bezug auf die Syntax wird empfohlen, moglichst auf den weit verbreiteten NominaIstil zu verzichten: ,,Aussagekriiftige Zeitworter sollten nicht durch Hauptworter verdriingt werden (sog.
NominaIstil, Hauptwortphrasen). Start "Verwendung finden" sollie das Wort "verwenden" im
Passiv gebraucht werden, statt "ZUf Auszah1ung bringen" das Wort "auszah1en" ....Dies gilt nur
dann nicht, wenn das Hauptwort priiziser ist (z.B. ,,Bewilligung erteilen" statt "bewilligen", "Widerspruch erheben" statt "widersprechen".,,'63 Die Wortwahl sol\ zeitgemiiB sein. Andererseits soHen
"Modeworter" gar nicht und Fremdworter nur dann verwendet werden, wenn es im aIlgemeinen
Sprachgebrauch kein passendes deutsches Wort gibt.!64 Interessant ist auch folgende Forderung:
"Die Vorschriftensprache mull redlich sein. Durch die Wortwahl darfweder die Verschlechterung
der Rechtslage verschleiert, noch durfen SachverhaIte beschOnigt werden."!65
Zurn Abschlull dieser Ausfiihrungen sol\ noch auf speziel\e Probleme eingegangen werden, die bei
der Verwendung der Verben kOnnen, sol/en und gelten auftreten konnen. Bei der Verwendung von
kOnnen besteht die Schwierigkeit, daB fach- und a11gemeinsprachliche Bedeutung auseinanderfa11en:
"Bei verwaItungsrechtlichen Vorschriften wird mit dem Wort "konnen" ausgedriickt, daB der VerwaItung Ermessen eingeriiumt wird ( ,,Die Erlaubnis kann versagt werden, wenn ..."). Sol\ die
Behorde in ihrer Entscheidung gebunden werden oder geht es urn Verbote oder Gebote, darf das
Wort "konnen" nicht verwendet werden. Start dessen sind die FormuIierungen "mussen", "sind
(haben) zu ..." oder "diirfen nicht" zu wiih1en (,,Die Erlaubnis ist zu versagen, wenn ...")."!66 Das
Verb sol/en kann ebenfaIls Unklarheiten hervorrufen.: "Wrrd ein verbindliches VerhaIten z. B. fur
den Biirger oder die VerwaItung vorgeschrieben oder geht es urn Verbote oder Gebote, dann darf
das Wort "sollen" nicht verwendet werden. Es mu13 in diesen Fiil\en auf eine priizise Wortwahl
geachtet werden, damit die Regelung bestimmt und eindeutig ist."!67
Ahnlich wie bei dem Verb konnen sind auch bei gelten verschiedene Bedeutungen moglich: ,,1m
laufenden Regelungstext kann das Wort "gelten" eine gesetz\iche Fiktion, eine unwiderlegliche oder
widerlegliche Vermutung oder eine Verweisung bedeuten. Es mu13 deshaIb sorgfaItig darauf geachtet werden, daB Wortwahl und Regelung eindeutig sind. Bei einer Verweisung kann z. B.
161
162
163
164
165
166
167
Handbuch der Rechtsfonnlichkeit Rdnr. 46.
Vgl. Handbucb der Recbtsllinnlichkeit. Rdnr. 49.
Handbuch der Recbtsfonnlichkeit Rdnr. 59.
Vgl. Handbuch der Rechtsfonnlichkeit. Rdnr. 56 fE.
Halldbuch der Rechtsfonnlichkeit Rdnr. 55.
Handbuch der Rechlsfonnlichkeit Rdnr. 64.
Handbnch der Rechtsfonnlichkeit Rdnr. 65.
40
,)st dementsprechend anzuwenden" und bei einer Vermutung "es wird vermutet" formuliert werden."!68
Was in der TheOlle einfach klingt, ist in der Praxis nicht immer so leicht urnzusetzen.
So kann der Redaktionsstab weder personell alle Gesetzentwiirfe auf ihre sachliche Korrektheit
tiberpriifen,!69 noch werden ihm bei weitem nieht alle Gesetzentwiirfe zugeleitet. Nur etwa 70
Entwiirfe begutachtet der Redaktionsstab pro Jahr. Dabei wird Wert darauf gelegt, daB es sich bei
der Begutachtung urn Verbesserungsvorschliige und nicht urn wi11kiirliche ,,Rotstiftaktionen" handelt. Oftmals werden die gegebenen Empfehlungen mit den Auftraggebern in person1ichen Gespriichen erliiutert. Grundlage fur die Arbeit des Redaktionsstabes ist das eben schon erwiihnte Handbuch der Rechtsf6rmlichkeitspriifung sowie das germanistisch vorgebildete Sprachempfinden und
die oftmals langjahrigen Erfahrungen bei der Arbeit mit Gesetzestexten. Bei der genauen Analyse
der Gesetzentwiirfe werden vor allem die folgenden drei GroBbereiche der Sprache berucksichtigt:
Wortgebrauch, Satzlange und Satzbau sowie die Textgesta1tung. Dabei ist natiirlich auch der potentielle Empfangerkreis des Gesetzes zu beachten: Handelt es sich urn ein reines "Fachgesetz"
oder richtet sich das Gesetz an alle Biirgerinnen und Biirger.
Erschwert wird die Arbeit des Redaktionsstabes auch dadurch, daB die begutachteten Texte tiberwiegend Referentenentwiirfe sind, die nach der sprachlichen Uberarbeitung erst in den entsprechenden Gremien inhaltlich diskutiert und gegebenenfa1ls veriindert werden. In das eigentliche
Gesetzgebungsverfahren ist der Redaktionsstab momentan nicht eingebunden. Eigentlich mtiBten
die Entwiirfe nach AbschiuB der inha1tlichen Diskussion emeut dem Redaktionsstab zur abschlieBenden sprachlichen Begutachtung tibergeben werden. Leider geschieht dies iiuBerst selten. Die
Perspektiven seiner Tiitigkeit sieht der Redaktionsstab darin, die sprachliche Hilfestellung auf die
innerparlamentarische Diskussion der Regierungsvorlagen auszudehnen, so daB ein Gesetz in seinem gesamten EntstehungsprozeB aus sprachlicher Sicht begleitet wird. Die Flut neuer Gesetzesvorhaben liiBt es aus sprachwissenschaftlicher Sicht auBerdem wiinschenswert erscheinen, daB der
Redaktionsstab personell weiter unterstiitzt wird, urn seiner iiuBerst verantwortungsvollen Arbeit
noch effizienter nachkommen zu konnen. Trotzdem stoBt auch die sprachliche Kritik an Gesetzestexten an ihre Grenzen: ,,Dem verbreiteten VerdruB tiber die Unverstandlichkeit von Gesetzestexten ist allerdings eine in der Sache begriindete Uberlegung entgegenzuhalten: Auch Gesetzesformulierungen unterliegen den Bedingungen von Angemessenheit und Klarheit, die guten von bloB
korrektem oder zuliissigen Sprachgebrauch unterscheiden. Was aber angemessen und klar ist,
bemiBt sich zwangslaufig auch an den Sachverhalten, den gedanklichen Zusammenhangen, die
wiederzugeben sind. Die notwendige Differenziertheit def Regelungen in komplexen Rechtssystemen und die Komplexitiit der Sachverhalte erzwingen dabei zu einem groBen Teil die Kompliziert168 Handbnch der Rechtsfonnlichkeit. Rdnr. 66.
169 Der Redaktionsstab is! nur mit einer Mitarbeiteriu mit einer ha1ben Stelle besetzt, die aHe ihl' zugeieilelen
Gesetzentwiirfe aHein begutachten mull.
41
heit und vielfliltigen Abhlingigkeiten, die Rechtstexte schwierig und scheinbar undurchsichtig machell. Linguistisches Fachwissen uber die Struktur der Sprache und die Bedingungen ihrer Verwendung reicht bier kaum uber das binaus, was das intuitive Verstiindnis der Sprache und die Bemuhung urn Klarheit und Angemessenheit a1s Richtschnur bereithalten.,d 70
170 Bierwisch, M: Recht Iinguistisch gesehen. In: Rechtskultur a1s Spmchkultur: Zur forensischcn Funktion der
Sprachanalyse. L Auf!. Fmnkfurt am Main 1992. S. 61 L
E. Der soziolinguistische Ansatz uod die Varietiiten des Dentschen
L Einftihmng in die Soziolinguistik
Der Begriff "Soziolinguistik" ist auf den ersten Blick durch eine "diffuse Offenheit"l71 gekennzeichnet, die hauptsachlich durch das vielseitig verwendendbare Bestimmungswort hervorgerufen wird.
Anfangs wurde die Soziolinguistik oft als Alternative zur neuen strukturellen Linguistik empfunden,
denn ,,in der abstrakten Linguistik mit ihrem Modell des "idealen Sprechers/ Harers" war eigentlich
kein Platz fur sprachliche Alltagsprobleme gewesen". I72 Die Soziolinguistik hingegen bot all jenen
Fragen Raum, "die man als Sprecher einer konkreten Sprachgemeinschaft schon immer behandelt
wissen wollte".173
Angewandt auf die soziolinguistischen Fragestellungen des Deutschen liillt sich konstatieren, "daB
immer dann, wenn ein sprachliches (Teil-)System oder die Gebrauchsbedingungen hierfur nach
Struktur und Aufgaben (z.B. Grarnmatik, Lexikon, Funktionsbereiche, Interaktionsformen) wissenschaftlich begrundet von anderen (Teil-)Systemen abgegrenzt werden sollen, auf die Benutzergruppen oder/und sozialspezifischen Benutzungsbedingungen zuriickgegangen werden muB. Es scheint
kein sprachinternes (Iinguistisches) Mittel zur befriedigenden Ausgrenzung von Sprachen und
Sprachvarianten zu geben."174
Diese Definition geht in ihrer Aussage zu weit, wenn sie behauptet, daB es iiberhaupt keine
Iinguistischen Mittel zur Ausgrenzung von Sprachvarianten gibt. Die Charakterisierung der Fachsprache des Rechts verdeutlicht, dal3 sehr wohl sprachliche Merkrnale diese "Teil"sprache
konstituieren. Die vorJiegende Arbeit soli aber auch zeigen, dal3 neben den sprachlichen auch
auBersprachliche Faktoren auf die Fachsprache einwirken.
Soziolinguistisch gesehen sind Fachsprachen immer Gruppensprachen. Insoweit werden die ,,fachIich Handelnden als eigenstiindige soziale Gruppe,,175 beschrieben. Die primaren Unterscheidungsmerkmale sind dabei die unterschiedlichen gesellschaftlichen Bediirfuisse, die "vorrangig gemeinschaftsorientiert, vorrangig interessenorientiert oder vorrangig sachorientiert,,176 bestimmt sein
kannen. Anhand dieser unterschiedlichen gesellschaftlichen Bediirfuisse lassen sich drei Typen von
Gruppen unterscheiden, denen sich wiederum verschiedene Sprachvarianten zuordnen lassen:
willer, H.: Gennanistische Soziolinguistik. 2. iiberrub. Aufl. Berlin 1994. S. 20.
willer, H.: Gennanistische Soziolinguistik. S. 20.
willer, H.: Gennanistische Soziolinguistik. S. 20.
Steger, H.: Soziolingnistik. In: Lexikon der Gennanistischen Lingnistik. 2. volls!. neu beam. Aufl. Tiibingen
1980. S. 348.
175 Moiln,D.;Peika,R:Fachsprachen. S.11.
176 Moho, D.; Pelka, R: Fachsprachen. S. II.
171
172
173
174
44
I. "Gruppen, die vorrangig bestimmt sind durch eine Vie1zahl gemeinschaftsbildender und gemeinschaftssichemder Interaktionen; das manifestiert sich sprachlich im Austausch von alltiiglichen
Erfahrungen und in der Sicherung sozialer Beziehungen.,,177 Dazu gehoren beispieIsweise die
Umgangs- und die Alltagssprache.
2. "Gruppen, die vorrangig bestimmt sind durch ein gemeinsames, auf eine bestimmte Gesellschaftsform bezogenes, offentliches Interesse; das manifestiert sich sprachlich in der Verbreitung
von Ideen und in der Beeinflussung von Wertha\tungen.,,178 Zu dieser Gruppe gehOren die
Ideologie- und die Glaubenssprache.
3. "Gruppen, die vorrangig bestimmt sind durch eine fachspezifische Ausbildung und Tiitigkeit; das
manifestiert sich sprachlich in der Darstellung und Vermittlung von Sach- und Fachwissen."179 In
diese Gruppe werden die bier zu betrachtenden Fachsprachen eingeordnet.
Einen weitergehenden soziolinguistischen Ansatz verfoIgt willer, dessen Modell im foIgenden mit
Bezugnahme auf die Fachsprachenproblematik dargestellt und dessen Anwendbarkeit auf die Fachsprache des Rechts uberpri.ift werden soll.
177 Mobn, D.; Pelka, R.: Facbspmcben. S. 11.
178 MolIn, D.; Pelka, R.: Fachspmchen. S. 11.
179 MOlm, D.; Pelka, R.: Fachspmchen. S. 11.
45
IT. Das soziolinguistische Varietiitenmodell von Ulmer
Dialekte
Soziolekte
Situolekte
(Interaktions-
typen)
Ideolekte
Abbildung 1
Die obeostehende Grafik versteht sich als eine Art "Sprachwirklichkeitsmodell".'80 Dabei versucht
die Ubersicht gleichzeitig ,,mit dem etwas verwirrenden Eindruck die Komplexitat und Relativitat
jedes Einteilungsversuches der Sprachwirklichkeit optisch anzudeuten. Kreis und Striche sollen
zeigen, daB die Sprachwirklichkeit ein iibergangsloses Kontinuum darstellt und daB aile Klassifizierungsversuche eine Frage des Standpunktes sind und immer nur unzureichend sein k6nnen. Die
Ubergii.nge sind f1ieBend, und die Unterscheidungskategorien iiberschneiden sich."'81
Die auBen liegenden Ecken sind die sprachlichen GroBbereiche'82 . Sie unterscheiden sich nach dem
Medium (Mediolekte), der Funktion (Funktiolekte), der arealen Verteilung (Dialekte), der Sprechergruppen (Soziolekte), nach Alter und Geschlecht (Sex1ekte, Alterssprachen) und nach Interaktionstypen bzw. Situationen (Situolekte). Die von jeder dieser Hauptecken abgehenden Strahlen
180 Uiffler, H.: Gennanistische SozioIingnistik. S. 86.
181 Uiffler, H.: Gennanistische SozioIingnistik. S. 87.
182 Die sprachlichen Grollbereiche werden von Uiffler als ''Lekte'' bezeichnet.
46
sind weitere Unterteilungen innerhalb eines Lektes, die sich gegenseitig iiberlagem und iiberscbneiden.183
Fiir aile Einteilungen gilt nach Uiffier, "daB es letztlich sprachliche Merkmale sein miissen, die
einen "Lekt" von einem anderen unterscheiden. Varietaten sollen an ihrem spracWichen Erscheinungsbild oder sprachlichen Symptomen erkennbar sein."184 Dagegen sollen die Kategorien der
Klassifizierung im weitesten Sinne extra1inguistisch sein, das bedeutet, daB sie aus dem Bereich der
Interaktion und der sozialen Konstellation stammen. 18S
m. Einordnung der Fachspracbe des Rechts in die Varietiitenstruktur des Deutscben
An dieser Stelle soil der Versuch untemommen werden, die Fachsprache des Rechts mit Hilfe des
Loffierschen Modells innerhalb der Varietiiten des Deutschen einzuordnen. Diese Einordnung wird
dadurch erschwert, daB "alle Klassifizierungsversuche eine Frage des Standpunktes sind und immer
nur unzureichend sein konnen"186
Natiirlich erhebt der folgende Einordnungsversuch ebenfal1s keinen Anspruch auf Vollstandigkeit,
doch er erkliirt wesentliche Aspekte der Fachsprache des Rechts, mit deren Hilfe im empirischen
Teil der Frage nachgegangen wird, warum und welche Sttirungen im fachspracWichen KommunikationsprozeB entstehen und wie sie moglicherweise vermieden oder zumindest reduziert werden
konnen. Wie schon die allgemeine Bescbreibung des Uiffierschen Varietiiten-Modells gezeigt hat,
iiberscbneiden sich die sprachlichen Klassifikationsmerkmale. So hat auch die Fachsprache des
Rechts Anteil an verschiedenen Lekten, die sich ergiinzen und ein Gesamtbild ergeben.
1. Funktiolekt
Innerhalb der sprachlichen GroBbereichel87 gehOrt die Fachsprache des Rechts zu den Funktiolekten und zwar zur Fachwissenschaftssprache. Der Funktionalstil oder auch Funktiolekt ist eng mit
dem Begriff der Sprachfunktion verbundenl88 . Brinker unterscheidet folgende textuelle Grundfimktionen: die Informationsfimktion, die Appellfimktion, die Obligationsfimktion, die Kontaktfimktion
und die Deklarationsfimktion.· AhnIich, doch genauer differenziert, unterscheiden Mohni Pelka:
1. die deskriptive Funktion, die eine objektbezogene Darstellung obne Wertung beinhaltet und zur
Weitergabe und Dokumentation von Wissen beitriigt;
183
184
185
186
187
188
Vgl. wIDer, H.: Germanistische Soziolinguistik. S. 87.
wIDer, H.: Germanistische Soziolinguistik. S. 87.
Vgl. wIDer, H.: Germanistische Soziolinguistik. S. 87.
willer, H.: Germanistische Soziolinguistik. S. 87.
Siehe Abbildung S. 45.
In der Textlinguistik wird anstelle des Begriffes "Sprachfunktion" der Begriff "Textfunktion" verwendet, weil
tcxtlingnistisch gesehen aile sprachlichen AuBenmgen als Tell.1e aufgefallt werden.
47
2. die instruktive Funktion, die handlungsorientiert ist, Anleitungen gibt, aber die Entscheidung
offenJiillt;
3. die direktive Funktion, die eine direkte Aufforderung zum Handeln enthalt und SOinit freie Entscheidungen begrenzt;
4. die metalinguale Funktion, die darstellende und erkliirende AuBerungen in bezug aufsprachiiche
Erscheinungen beinhaltet;
5. die kontaktive Funktion, die sozialisierend wirkt und die Kommunikation erofihet, begleitet oder
beendet;
6. die expressive Funktion, die sprecherorientiert ist und subjektive Einstellungen und Gefiihie zum
Ausdruck bringt;
7. die isolative Funktion, die eine gruppenbezogene Ausgliederung innerhalb einer Sprachgemeinschaft ermoglicht. 189
Fleischer und Michel gehen dagegen mehr empiriebezogen davon aus, daJ3 die Fiille sprachiicher
Erscheinungs- und Verwendungsformen der Sprachwirklichkeit in keiner streng homogenen Typologie erfaJ3t werden kann. Sie unterscheiden daher fiinf Einteilungsaspekte fur die stilistische
Charakterisierung von Textco, die wiederum zu fiinf Stiltypen zusarnmengefaJ3t werden:
1. textsortenspezifisch = Textsortenstil,
2. bereichsspezifisch = Bereichssti~
3. gruppenspezifisch = Gruppens~
4. individuenspezifisch = Individualstil,
5. historisch-zeitspezifisch = Zeitstil. l90
Dabei handelt es sich urn kein geschiossenes, homogenes typologisches System. Die Typologisierungsaspekte beziehen sich auch nicht in erster Linie auf die im Text behandelten Kommunikationsgegenstande oder auf das Vorkommen des Textes in einem bestimmten Kommunikationsmedium. Aus diesem Grund bevorzugen Fleischer und Michel auch den Terminus "Bereichsstil" gegeniiber dem Terminus ,,Funktionalstil. 191
Den vorgenannten Definitionen ist gemeinsam, daJ3 die von ilmen dargestellten Grundfunktionen
von Sprache auf verschiedene Bediirfuisse in einer Sprachgemeinschaft zuriickzufiihren sind.
Nach der Einteilung von Mohn! Pelka ist fur die Sprache des Rechts die direktive Funktion vordergriindig. Sie zeigt sich vor aIlem in den Gesetzen, Urteilen und beim ErlaJ3 von Verwaltungsakten.
Gemeinsames Kennzeichen dieser Textsorten ist, daJ3 sie zumeist eine direkte Handlungsaufforderung enthalten und somit die freie Entscheidung eingrenzen.
189 Vgl. Miibn, D.; Pelka, R: Fachsprache1l. S. 6 ff..
190 Vgl. Fleischer, W.; Michel, G. u.a.: Stilistik der deutschen Gegenwartssprache. Frankfurt am Main, Berlin 1l.a.
1993. S. 30.
191 Vgl. Fleischer, w.; Michel, G. u.a: Stilistik der deutschen Gegenwartssprache. S. 30 f ..
48
Weiterhin hat die Rechtssprache Antell an der instruktiven Funktion. Sie tritt besonders in Schriftsatzen von Anwiilten auf und ist dadurch charakterisiert, daB sie ebenfalls handlungsorientiert ist,
aber die Entscheidung oifenliil3t.
Wesentlich ist auch die deskriptive Funktion. Sie ist hiiufig zu finden in Gutachten, Lehrbuchern
zum Recht und zum Teil auch in Schriftsiitzen von BehOrden. Ihr Charakteristikum ist die objektbezogene Darstellung ohne Wertung, die zur Weitergabe und Dokumentation von Wissen beitriigt.
Zu einem geringen Antell finden sich in der Sprache des Rechts auch die kontaktive Funktion (zum
Beispiel bei der ProzeBeroffuung) und die expressive Funktion (vor alIem bei Zeugenaussagen).
Fraglich ist allerdings, ob die beiden letztgenannten Funktionen zwingend zur fach(rechts)sprachlichen Kommunikation zu rechnen sind. Angemessener erscheint die Zurechnung zu dem schon beschriebenen schwer abgrenzbaren Bereich zwischen Fach- und Allgemeinsprache, der in der fachsprachlichen Kommunikation immer wieder zu Uberschneidungen fiihrt. Ebenso wie bei der Uberschneidtmg von Fach- und Allgemeinsprache finden sich Ubedappungen bei den nach Mohn! Pelka
aufgefiihrten Sprachfunktionen.
Beziiglich der von Fleischer und Michel favorisierten Stiltypen, die die Klassifizierung von Mohn!
Pelka ergiinzen, ergibt sich folgendes Blld: ,,Es wird vom Stil der Einzeltexte, der Textexemplare,
ausgegangen und stilistisch Gemeinsarnes als stiltypisch, als Stiltyp einer (oifenen) Menge von
Texten begriifen. Dabei gibt es keine genau begrenzbare Menge gemeinsamer Merkmale. Charakteristisch ist vielmehr, daB die einzelnen Textstile (z. B. im Rahmen einer Textsorte oder eines
Kommunikationsbereichs) immer nur teilweise und immer wieder andere gemeinsame Merkmale
besitzen.... Stiltypologische Unterscheidungen werden somit nicht auf der Grundlage der Invarianz
von Merkmalen, sondern auf der Grundlage der Dominanz bestimmter, aber nicht festgelegter
Merkmale vorgenommen."l92
Auf die vertikale Gliederung der Sprache des Rechts wurde schon verwiesen. l93 An dieser Stelle
soli ein Teil der Verwaltungssprache - der behOrdliche Schrifiverkehr'94 - niiher betrachtet werden.
Funktionsbereich des behordlichen Schrifiverkehrs sind unter anderem die Verwaltung und Organisation sowie die Gesetzgebung und das Vertragswesen. Trager der Verwaltungs- und Instruktionssprache sind Verwaltungsbeamte, Juristen und auch Politiker. Die Sprache des oifentlichen Verkehrs ist iihnlich wie die Gesetzessprache gekennzeichnet durch formelhafte Wendungen,
viele echte und unechte Passivformen, Partizipialkonstruktionen und Funktionsverbgefuge: ,,Die so
gekennzeichnete Verwaltungssprache gilt als ein intern hOchst wirkungsvolles und handliches Kom192 Fleischer, w.; Michel, G. u.a: Stilistik der deutschen Gegenwartssprache. S. 3l.
193 Siehe Kap. D.ll, S. 24 ff..
49
munikationsinstrument. Der Riickzug auf FormeJn und Abstraktionen in der AuBensprache der
Behorden kann jedoch leicht zum Machtinstnunent werden, das yom Sachbearbeiter der Behorde
gegeniiber seinem ,,Fall" oder von rechtsberatenden und -pflegerischen Berufen gegeniiber ihren
Kunden angewandt wird."195 Die hiiufig geii.uBerte Forderung nach einer burgernahen Verwaltungssprache ist jedoch unverhiiltnismiiJ3ig und nicht praktikabel: ,,Die intersozialen Probleme entstehen
nicht durch die Existenz einer zwangslaufig autoritiir und elitiir wirkenden Behordensprache, sondern in deren unangebrachten Verwendung aus Unfahigkeit oder Fehleinschiitzung der Situationen
einerseits und aus einem MiBverstiindnis der Betroffenen, es handle sich urn eine miBbrauchte Umgangssprache und urn Relikte preuBischer AmtsanmaBung. ,<196
Wie jedoch schon bei der naheren Betrachtung des soziolinguistischen Ansatzes festgestellt wurde,
konnen die unterschiedlichen Funktionen nicht immer nur an sprachlichen MitleJn erkannt werden:
,,Deshalb ist es notwendig, sich eingehender mit den kommunikativen Bedilrfnissen im Fach, d.h.
naher mit den fachlich HandeJnden Zll befassen."I97 Dieser Forderung wird im empirischen Teil der
Arbeit nachgekommen, denn gerade die unterschiedlichen Sichtweisen der kommunikativ Handelnden, beispielsweise des Anwalts, des Klienten, des Verwa1tungsbeamten oder des Richters,
konnen Zll kommunikativen Storungen fuhren.
2. Mediolekt und Situolekt
Beziiglich des Mediolekts hat die Rechtssprache Anteil sowohl an der geschriebenen Sprache,
beispielsweise in Gesetzen, Urteilen, Schriftsiitzen der Anwiilte als auch an der gesprochenen Sprache, zum Beispiel in der Kommunikation zwischen Anwalt und Mandanten, im Mediationsverfahren oder bei der Gerichtsverhandlung.
Die wissenschaftliche Erforschung der deutschen Sprache konzentrierte sich lange Zeit auf die
Schriftsprache: "Miindliche Sprechweisen galten gegeniiber der normierten Schriftsprache als
verderbt und durch alltiig\iche Abnutzung depraviert."I98 So ist es kaum verwunderIich, daB sich
vor aHem iiltere Fachsprachendefinitionen nur auf die Schriftsprache konzentrieren. Doch in der
neueren Fachsprachenforschung ist mittlerweile anerkannt, daB sich die Fachsprache nicht nur auf
194 willer nennt diesen Bereich die Sprache des Offentlichen VeJ:kehrs, der in Abgrenzung zu Alltags-, Wissenschafts- und Publizistiksprache die Fachsprache der Verwaltnng und Politik einschlieJlen soil. VgI. wfller, H.:
Gennanistische Soziolingnistik. S. 117. Die Verwaltnngssprache win! in der lingnistischen Literatur unterschiedIich eingeordnet: Sie wird entweder als eigenstandige Sonderfonn angesehen (Vg1. dazu beispielsweise
Wagner, H.: Die dentsche Verwaltnngssprache der Gegenwart. 3. AufI. Diisseldorf 1984. S.97) oder wegen
sachlicher und institutioneller Gemeinsamkeiten zur Rechtssprache zugehOrig betrachtet
195 willer, H.: Gennanistische Soziolingnistik. S. 119 f..
196 willer, H.: Gennanistische Soziolingnistik. S. 119.
197 Molin, D.; Pelka, R: Fachsprachen. S. 11.
198 Loiller, H.: Gennanistische Soziolingnistik. S. 88.
50
schriftliche Texte beschriinkt, sondem sich auch auf "das gesprochene Wort, das Gesprach und die
Rede (in der Fachsprache ,,miindlicher Verkehr" genannt)"l99 erstreckt.
Soziolinguistisch gesehen ist die Unterscheidung in gesprochene und geschriebene Sprache wesentlich und wichtig: ,,Die primar medial vorgenommene Unterscheidung betriffi: in der pragrnatischen
Konsequenz auch unterschiedliche Sprechergruppen und gesellschaftliche Funktionen und Anliisse,
so daB man die Teilung in "gesprochen" und "geschrieben" durchaus als soziolinguistisch ansehen
darf Die wichtigsten Anliisse:fur gesprochene und geschriebene Varietaten lassen sich bis zu einem
gewissen Grade nach den Beteiligten und deren Art der Sprachverwendung untergliedem.,,2()() Die
Unterschiede der sprachlichen Kennzeichnung zwischen gesprochener und geschriebener Sprache
sind auch :fur die Sprachbarrierenforschung von Bedeutung, "da dort der sogenannte ,,restringierte
Code" aile Merkmale der gesprochenen und der "elaborierte Code" die Kennzeichen der geschriebenen Sprache auiWeist"201. Dariiber hinaus ist die Untersuchung der gesprochenen Sprache unter
soziolinguistischen Aspekten besonders ergiebig, da bei der miindlichen Kommunikation die Kontextbedingungen sowie die sprachlich Handelnden starker als bei der schrift1ichen Kommunikation
in der Analyse beriicksichtigt werden konnen.
a) Gesprochene Sprache
An erster Stelle soli deshalb die gesprochene Sprache untersucht werden, da sie "von ihren aufieren
Bedingungen her die primare Art der Sprachverwendung darstellt,,202 und auch in der empirischen
Untersuchung einen breiten Raum einnehmen wird. Wesentliche Merkma1e des Sprechens sind: Die
handelnden (sprechenden) Personen befinden sich im aUgemeinen in einer face-to-face-Konfiguration. Das Sprechen ist in einen Handlungskontext eingebettet: "Die Text- oder Sprachproduktion
erfolgt momentan und spontan. Das Festhalten des Gesagten im Kurzzeitgedachtnis der Beteiligten
ist nur beschriinkt moglich. Die Erinnerung an Gesprochenes erstreckt sich oft nur auf einen Satz.
Einmal Gesagtes ist nicht zurUcknehmbar, andererseits beliebig wiederholbar und damit leicht zu
korrigieren oder zu modifizieren. Es besteht im Redeverlauf die Moglichkeit des dauemden Riickfragens, der Hor- und Verstehenskontrolle. Ebenso konnen die Rollen, die Themen oder die Absichten der Sprecher kontrolliert, priizisiert, verandert und korrigiert werden.,,2()3
Aus den eben genannten Merkmalen ergeben sich nach LoIDer :fur miindliche Kommunikationssituationen folgende Voraussetzungen:
I. Ein hohes MaB an moglicher Konsens- oder Dissensaufdeckung; die sogenannte AufdeckungsDisposition,
2. ein hoher Grad an Dberzeugungskraft; die sogenannte Persuasions-Disposition,
199
200
20 I
202
Damn, U.: Rechtssprache - eine genonnte Fachsprache? S. 85.
Liiiller, H.: Gennanistische Soziolingnistik. S. 89.
LOiller, H.: Gennanistische Soziolingnistik. S. 102.
LOiller, H.: Gennanistische SOziolingnistik. S. 89.
51
3. ein hoher Grad an Niihe und Kontakt,
4. eine geringere Verbindlichkeit oder Rechtskraft der einzelnen A:uBerungen. 204 In bezug auf die
geringere Verbindlichkeit der AuBerungen finden sich gerade in der Rechtssprache einige Ausnahmen wie beispielsweise die Urteilsverkiindung, das Ja-Wort oder auch die miindliche Zeugenaussage, die natiirlich Rechtsverbindlichkeit haben. Zu beachten ist allerdings in den erwiihnten
Ausnahmefallen, daB die miindlichen A:uBerungen immer auch durch Niederschrift in Form eines
Urteils, einer Heiratsurkunde oder eines ZeugenprotokoJls bekraftigt und nachlesbar werden.
In der Grundkonstellation des Sprechens sind die Beteiligten gleichberechtigt, das heiBt, jeder kann
im Wechsel sprechen und zuhoren und der Verlaufist bi-direktional. Auch hier gibt es Ausnahmefalle, die auf die Rechtssprache angewendet fast den NormaIfall darsteJlen. Eine solche Ausnahme,
bei der die Redeanteile der Sprecher asymmetrisch vertei1t sind, ist die Konfiguration einer gegen
einen. Diese Konstellation findet sich hiiufig irn Auskunfts- oder Beratungsgesprach beirn Anwalt
oder im Mediationsverfahren. Ein weiterer Ausnahmefiill ist die Konfiguration einer gegen wenige.
Diese Konstellation ist typisch fur das Verhor. Die Konfiguration wenige gegen wenige tritt beispielsweise in der Gerichtsverhandlung auf
Besonderheiten bestehen auch irn Bereich der "Telekommunikation", aufsie wird aber nicht eingegangen, da die Telekommunikation irn Gebrauch der Rechtssprache zwar vorkommt aber fur diese
Varietat nicht konstituierend ist.
Es gibt in der Literatur zahlreicher Bemiihungen, eine Gesprachstypologie zu erstellen: ,,Als Einteilungskriterien eignen sich besonders Merkmale der Redekonste11ation wie Ort, Zeit, Teilnelnnerzahl, Offentlichkeitsgrad, Bekanntheitsgrad der Teilnelnner, Rangverteilung, Privilegierungen und iibergeordnete Sprecher-Intensionen.,,205 So wird grundsatzli.ch unterschieden zwischen
Monologen und Dialogen. Die schon erwiihnten Sprechsituationen irn Bereich der Rechtssprache
wie Gesprach zwischen Anwalt und Mandanten, das Mediationsverfahren oder die Gerichtsverhandlung sind iiberwiegend dialogisch ausgestaltet, so daB irn weiteren die Unterteilung der Dialoge betrachtet werden soli. Nach der Einteilung von Steger gibt es symmetrische und asymmetrische
Dialoge sowie Handlungsdialoge. Symmetrische Dialoge sind nach dieser Einteilung Diskussionen,
small talk oder moderierte Gesprache. Zu den asymmetrischen Dialogen zahlen Befragungen, Beratungen und Dientsleistungsdialoge. Unter Handlungsdialogen werden KaufVertrage und Besprechungen verstanden. Diese Eintei1ung ist nicht unprobJematisch. Angewandt auf die Rechtssprache
sind danach Gerichtsverhandlungen und Gesprache zwischen Anwalt und Mandanten asymmetrische Dialoge und Gesprache irn Mediationsverfahren symmetrische Dialoge. Es sind aber durchaus
Hille denkbar, in denen Gesprache zwischen Anwalt und Mandanten einen symmetrischen Dialog
oder einen Handlungsdialog (z.B. durch Vertragsentwurf) verkorpern. Moderierte Gesprache, wie
203 wIDer. H.: Germanistische Soziolinguistik. S. 89 f..
204 Siehe wIDer, H.: Gennanistische Soziolinguistik. S. 90.
205 wIDer, H.: Germanistische Soziolinguistik. S. 95.
52
sie im Mediationsverfahren vorkommen, konnen dagegen durchaus asymmetrische Dialoge sein.
Die Abgrenzung zwischen den einzelnen Dialogarten ist nach der vorliegenden Typologie - wie die
wenigen Beispielen schon zeigen - liuBerst schwierig und zum Teil nicht moglich, da sich verschiedene gesprochene Textarten verschiedenen Dialogtypen zuordnen lassen. Der Einteilungsversuch
ist trotzdem hilfreich, verdeutlicht er doch, daB Rangverteilung, Privilegierungen und iibergeordnete Sprecher-Intensionen in dialogischen Kommunikationssituationen eine wesentliche Rolle spielen. Es wird somit deutlich, daB in der mi.indlichen Kommunikation auch die auBersprachlichen
Mittel eine nicht zu unterschiitzende Rolle spielen: ,,Die parasprachlichen und kinesischen Mittel
sind a1s Informationstrager auf der Dimension des Beziehungsaspekts ebenso wichtig wie das auf
der Dimension des Inhaltsaspekts Gesagte: Sie bilden eine Einheit.,,206 Welchen Anteil diese Faktoren an der mi.indlichen Kommunikation haben und wie sie sich auf auftretende Kommunikationsstorungen auswirken, wird im empirischen Teil zu untersuchen sein.
b) Geschriebene Sprache
Gegeniiber der gesprochenen Sprache stellt die geschriebene Sprache sowohl systematisch als auch
historisch ein sekundiires System dar: "Obwohl geschriebene Sprache als Schriftsprache die Normal- oder Standardversion einer Sprache reprasentiert, wird sie hier in Opposition oder komple-
mentiir zur eben behandelten gesprochenen Sprache unter vorwiegend soziolinguistischen (d.h.
interaktionalen, sprecherbezogenen und gruppensprachlichen) Aspekten behandelt."207
Folgende kontextuelle Bedingungen sind fur die schriftIiche Kommunikation charakteristisch: ,,Die
Kommunikationspartner sind in der Regel nicht priisent. Die Kommunikation findet ungleichzeitig
oder zeitversetzt statt. Die sprachliche AuBerung steht nicht in einem gleichzeitig ablaufenden
Interaktionszusammenhang. Schreib- und Leseakt konnen nach Raum und Zeit weit auseinanderliegen."208 Die schrift1iche Kommunikation ist deshalb in der Regel nicht simultan und
kontextgebunden: ,,Der Schreiber muB daher den zum Verstandnis des Geschriebenen notigen
Kontext zuerst bekanntgeben und mitgestalten. Das Ergebnis ist strukturell hochorganisiert und
gegliedert."209 Folgende sprachlich-grannnatische Kennzeichen sind im Vergleich zur gesprochenen
Sprache fur den schriftlichen Sprachgebrauch konstituierend: Die Slitze sind im allgemeinen langer
und entsprechen den kodifizierten RegeJn der Schulgrannnatik. Nominalstil, komplexe AttributGruppen und erweiterte Infinitivkonstruktionen sind haufiger als bei der gesprochenen Sprache.
Fachworter werden mehr und im exakten fachsprachlichen Kontext verwendet. Verschiedenen
206 Oksaar, E.: Sprachliche Mittel in der Kommunikation zwischen Fachlenten und zwischen Fachleuten und
Laien im Bereich des Rechtswesens. S. 108.
207 willer, R: Gennanistische Soziolinguistik. S. 96.
208 wIDer, R: Gennanistische Soziolinguistik. S. 97.
209 willer, R: Germanistische Soziolinguistik. S. 101.
53
Temporalformen werden im Wechsel eingesetzt. Die Verwendung von Konjunktiven und Konjunktionen nirnmt ZU. 210
Geschriebene Texte sind in der Regel immer wieder reproduzierbar. Aus dieser Dauerhaftigkeit
leitet sich "ein hohes MaB an Verbindlichkeit und Rechtskraft ab"2". Beziiglich der SchreiberLeser-Konstellationen sind verschiedene Konfigurationen moglich: Nur fUr Briefe und persOnliche
Mitteilungen gilt die Grundkonstellation: ein Schreiber - ein Leser. Diese Konstellation findet sich
in der Sprache des Rechts sehr hiiufig, beispielsweise im Schriftwechsel zwischen den gegnerischen
Anwiilten sowie zwischen Anwalt und Mandanten. Auch das fiunilienrechtliche Urteil wird zwar im
Namen des Volkes gesprochen, jedoch von einem Richter (Schreiber) geflUlt.212 Auf der Seite des
Empfiingers (Lesers) muB in diesem Fall aber nicht zwangsliiufig nur ein einzelner Adressat stehen.
Bei einer Scheidung ist das Urteil beispielsweise immer fUr beide zu scheidende Ehepartner verbindlich.
FUr Gesetzestexte und amtIiche Verlautbarungen gilt folgende Schreiber-Leser-Konstellation: "ein
Redaktionskollegium oder eine Textergruppe,,213 - ein unbestimmter Leserkreis. Der Leserkreis ist
relativ naher bestimmbar durch den Textgegenstand und durch den Verotfentlichungskontext: "Das
Verhiiltnis Schreiber - Leser oder Druckmedium-Publikum ist sehr lose und weitgehend anonym.
Der unbekannten Leserschaft auf der einen Seite entspricht die Anonymitat auf der Autorenseite.
Oftmals ist Anonymitat des Autors sogar konstitutiv fUr eine Textsorte'QI4, zum Beispiel fUr Geset-
zestexte.
Eine iihnliche Form "delegierter Verantwortlichkeif'21S findet sich bei Behordenschreiben wie zum
Beispiel bei Verwaltungsakten und bei Formularen, "wo sich ein "Sachbearbeitet' hinter dem Amt
oder der mit unIeserlicher Unterschrift dokumentierten amtIichen Funktion eines BehOrdenchefs
versteckt. Dem betroffenen BUrger als dem Einzeladressaten fiUlt es schwer, sich ein persOnliches
Gegeniiber vorzustellen, an das er sich brieflich oder telefonisch wenden konnte.'Ql6 Konstituierend
fUr die Verwaltungssprache ist, daB sie im Dienst von Beamten und Verwaltungsangestellten zur
Erfiillung staatlicher Aufgaben gebraucht wird: "Sie hat deshalb einen offiziellen, unpersonlichen
und funktionalen Charakter. Als Sprache staatlicher Organe steht sie neben der Rechtssprache, mit
der sie sachlich und institutionell begriindete Gemeinsamkeiten verbinden."217 LOfller wendet sich in
diesem Zusammenhang deutlich gegen die hiiufig gestellte Forderung nach ,,Abschaffung des fachsprachlichen BehOrdendeutschs" zugunsten einer ,,Reflexion des Verhiiltnisses zwischen (anony210 VgI. auchLOfller, H.: GermanisIische Soziolinguistik. S. 101.
211 UilDer, H.: Germanistische Soziolinguistik. S. 98.
212 GeseIzIiche Grundlage dafiir ist Art. 20 11 GG, der besagt, daJl aile Staatsgewalt vom VoJlre ausgeht und durch
besondere Organe insbesondere der Rechtsprechung ausgeilbt wird.
213 LOfIler, H.: Germanistische Soziolinguistik. S. 98.
214 LOfIler, H.: Germanistische Soziolinguistik. S. 99.
215 LOIDer, H.: GermanisIische Soziolinguistik. S. 99.
216 LOIller, H.: Germanistische Soziolinguistik. S. 99.
217 Wagner, H.: DiedeutscheVerwaltnngssprachederGegenwart. S.97.
54
mer) Autorschaft und Publikum bzw. Einzelbiirger,,218. Insofern vertritt wIDer die Auffassung, daB
es Aufgabe der Sprachptlege ware, "die norma1en Leute in den Stand zu versetzen, sich an dieser
offentlichen Fachsprache soweit zu beteiligen, wie sie betroffen sind. Andererseits miillten die
Fachleute dariiber aufgekliirt werden, daB der BehOrdenjargon nur dort Verwendung finden sol~
wo es der Rechtscharakter des Geschiifts erfordert."219 In diesen Kontext reiht sich auch das Pladoyer Oksaars ein: "Wrr brauchen eine soziosemantisch orientierte Rechtslinguistik fur die Juristenausbildung mit besonderen angewandten Zielen: Yom Training der interaktionalen Kompetenz vor
Gericht bis zu Ubersetzungsiibungen aus der Rechtssprache in die Gemeinsprache. Vor allem aber
muBte ein Jurist die Fiihigkeit erwerben, sprachplanend in seinem Bereich tatig zu sein, urn z.B.
interdiszipliniir zusarnmen mit Linguisten fur die Vereinfachung und dadurch Demokratisierung der
Rechts- und Verwaltungssprache zu wirken. Dieser Aufgabe sollte man sich nicht liinger entziehen.'<22O
3. Soziolekt
Irrtiimlicherweise ist die Annahme weit verbreitet, daB die Soziolekte, also die gruppenspezifischen
Varietaten, ein Hauptforschungsgegenstand der Soziolinguistik seien. In Waltrheit sind die Begriffe
"soziolektal" und "Soziolekt" noch verhii.ltnismaBigjung und "Teil eines strukturalistischen Modells
zur Einteilung und GJiederung des Sprachkontinuums. Die Erforschung der Soziolekte als angewandte Soziolektologie221 ist noch nicht weit gediehen. Man begnugt sich vorderhand, bereits
bekannte und eingefiihrte Einteilungen von Gruppen- und Sondersprachen und deren linguistische
Charakteristik in dieses "soziolektale" Raster einzubeziehen. ,,222 Soziolekte sind also auf bestimmte
soziale Spharen beschriinkte Erscheinungsformen der Sprache, die Ausdruck einer sozialen Differenzierung der Gesellschaft sind: ,,Eine engere Auffassung schriinkt den Geltungsbereich von "Soziolekt" und "soziolektal" ein auf solche sprachlichen Eigenheiten, die nur das Ansehen der sozialen
Gliederung betreffen. Soziolektale Merkmale und Soziolekt enthalten dann immer ein soziales
Werturteil oder ein Prestige- oder Stigma-Element, sind also weniger linguistische als vielmehr
astimative Gruppen. ,,223
Die weitere Auffassung faBt unter dem Begriff "Soziolekt" jede soziale GJiederung. Insofern sind
auch die Fachsprachen Soziolekte, obwohl sie eigentlich - wie bereits ausgefiihrt - zu den Funktiolekten gehoren, gelegentlich aber auch verallgemeinernd zu den Sondersprachen gerechnet werden.
Soziolekte im klassischen Sinn sind dernzufolge nur die Sprachvarietaten, "deren Trager innerhalb
218 Uiiller, Ii: Germanistische Soziolinguistik. S. 99.
219 Uiiller, Ii: Gennanistische Sozio1inguistik. S. 118 f.
220 Oksaar, E.: Sprachliche Mittel in der Kommunikation zwischen Fachleuten und zwischen Fach1euten und
Laien im Bereich des Rechtswesens. S. Ill.
221 Die Soziolektologic is! cine eigeue Teildisziplin der Soziolinguistik.
222 UiJIler, Ii: Germanistische Soziolinguistik. S. 124.
223 Uiiller, H.: Gennanistische Soziolinguistik. S. 126.
55
der Gesellschaft wegen anderer Merkmale eine erkennbar abgegrenzte Gruppe bllden'<124. Uberschneidungen sind auch hier nicht zu verhindern. Unterschieden werden transitorische, temporiire
und habituelle Soziolekte. 225
Unter soziolektalen Aspekten geh6ren die Fachsprachen, also auch die Fachsprache des Rechts, zur
Gruppe der habituellen Soziolekte, well "deren Sprecher einen sozialen Sonderstatus haben'<126.
4. Anwendung des L6filerschen Modells am Beispiel des Ehescheidungsrechts
Nachdem abstrakt erliiutert wurde, wie sich die Fachsprache des Rechts in die Varietiitenstruktur
des Deutschen einordnet, soli nun am Beispiel von empirischen Erhebungen zum Ehescheidungsrecht gezeigt werden, we1che soziolinguistischen Merkmale fur diesen Teilbereich der Rechtssprache konstituierend sind. 22? Speziell wird dabei auf die gruppenspezifischen Aspekte des Themas
eingegangen, well insbesondere auch auBersprachliche Faktoren einen EinfluB auf die Kommunikation ausiiben und so potentielle Quellen fur Kommunikationsst6rungen sind.
In der ehemaligen DDR gab es keine Scheidungsforschung, well solche gesellschaftlichen Probleme
nicht in das sozialistische Weltblld paBten und deshalb negiert wurden. Dennoch konnte an der
Akademie der Wissenschaften der DDR ein Infonnationspapier zu Ehescheidungen angefertigt
werden, deren Daten im folgenden zugrunde gelegt werden. 228 Dernzufolge geh6rte die ehemalige
DDR zu den scheidungsfreundlichsten Liindern der Welt "und nabm beispielsweise 1985 mit 30,8
Ehescheidungenje 10.000 Einwohner Platz 2 (hinter den USA mit 46,6) in der dubiosen Weltrangliste ein, wiihrend die Bundesrepublik sich zu jener Zeit mit 21,4 (1984) Scheidungen eher auf den
mittleren Rangen bewegte". 229
Die hohe Scheidungsrate in der ehemaligen DDR erkliiren Anwiilte wie folgt: Die Scheidung an
sich war gesellschaftlich akzeptiert. Dazu kam ein vergleichsweise schnelles und billiges Scheidungsverfabren. Der hohe Beschiiftigungsgrad von Frauen fUhrte zu einern gut entwickelten weiblichen SelbstbewuBtsein. Eine Scheidung war ohne das Risiko m6glich, die eigene Existenz aufs
Spiel zu setzen. Die Ehe hatte ihre Funktion als Versorgungsgemeinschaft weitgehend eingebiiBt.
Nach der Wende kam es jedoch in den neuen Bundesliindern iihnlich wie im Bereich der EheschlieBungen und Geburten zu einen drastischen Riickgang der Ehescheidungen. Diese Entwicklung
erkliiren Wissenschaftler als ,,Liihmungsreaktion auf die pl6tzlich geiinderten Lebensumstiinde, die
solche zeitlich weitreichenden und finanziell verptlichtenden Entschliisse zunachst als unwagbares
224
225
226
227
Uiiller, H.: Germanistische Soziolinguistik. S. 127.
Vgl. Uiiller, H.: Gennanistische Soziolinguistik. S. 127 if..
Uiffler, H.: Gennanistische Soziolinguistik. S. l36.
Grundlage fur diese Erhebnngen sind zwn einen Erkenntnisse der wissenschaftlichen Scbeidnngsfurscbnng
sowie Befragnngen von RechtsanwiUten, die sicb schwerpunktmllJlig mit Ebescbeidnngen hescbaftigen, durcb
die Aulorin.
228 Siebe Gysi, 1.: Der Abstieg von Platz 2 der Weltrangliste. In: Ex. Trennnngsgescbichten. Berliu 1997. S. 150.
229 Gysi, J.: Der AbstiegvonPIatz 2 derWeltrangliste. S. 151.
56
Lebensrisiko erscheinen lassen'''''o. Seit 1993 ist wieder ein leichter Anstieg bei Ehescheidungen zu
beobachten. Die Lebensumstande haben sich langsarn normalisiert, die Menschen werden dernzufolge wieder risikofreudiger. Gesarntdeutsch gesehen werden in Deutschland rund 160.000 Ehen
jiihrlich geschieden, "ein Wert, der etwa ein Drittel der jiihrlichen EheschlieBungen ausmacht. In
den GroBstadten kommt auf zwei EheschlieBungen eine Scheidung. ,<231
Leider wird auch weiterhin von einer Erhohung dieser Zahlen oder zumindest von einer Stabilisierung der Scheidungshaufigkeit aufhohem Niveau ausgegangen.
So emiichtemd priisentiert sich das nackte Zahlenmaterial. Doch wie zeigt sich die Problematik gerichtlicher Ehescheidungen als Teilbereich der Rechtssprache aus soziologischer und spezieU aus
soziolinguistischer Sicht?
Wie in Kapitel E. I. schon dargesteUt wurde, sind Fachsprachen, also auch die Fachsprache des
Rechts, in erster Linie Gruppensprachen mit unterschiedlichen Gruppenmerkmalen wie ,,Herkunft,
Art der Tiitigkeit (Beruf), Status innerhalb einer Gruppe oder Status der Gruppe iiberhaupt und
darnit verbundenes Ansehen oder Verachtung (prestige bzw. Stigma). Zu den Gruppenmerkmalen
gehOren deren Normen und die Auffassung iiber Giiltigkeit, Einhaltung und Sanktionen (NormKontrolle). Soziale Gruppen konnen auch zu sozialen Schichten und Klassen zusammengefaBt
werden. Dabei konnen sowohl objektive Merkmale als schichtenkennzeichnend gelten als auch
solche des bloBen Dafiirhaltens, des gesellschaftlichen Ansehens und der schichtspezifischen Zuordnung und Einschiitzung."232 Gerade diese zum Teil auBersprachlichen Faktoren haben einen
erheblichen EinfluB auf die Komrnunikation und sind deshalb auch potentielle Quellen fUr Komrnunikationsstorungen, wie die empirische Untersuchung zeigt.
Auf das Ehescheidungsrecht bezogen spielen einige dieser gruppenspezifischen Aspekte eine besonders groBe Rolle. Grundlegend sind berufsspezifische Aspekte, die sich aus der Beziehung von
Anwalt und Klienten oder Richter und Parteien (inklusive der dazugehOrigen Anwalte) ergeben.
Wesentlich ist dabei die Erwartungshaltung speziell der Klienten an ihren Anwalt, der als Fachmann
eine gewisse Respektsposition innehat. Diese herausgehobene Position ermoglicht es ibm, seinen
Mandanten zu beeinflussenund schlimrnstenfalls sogar zu manipulieren. Anwiilte bestatigen im
Gesprach, daB sie die Fachsprache rnanchma1 dazu nutzen, die eigene Position zu starken und den
Mandanten zu beeindrucken. Weiterhin hat das Verschanzen hinter Fachbegriffen eine gewisse
Schutzfunktion und steigert den ,,Marktwert" des Anwalts. DafUr wurde folgendes Beispiel angefUhrt: Ein Mandant komrnt mit einern Rechtsproblem zurn Anwalt. Dern Anwalt wird relativ schnell
Idar, daB die Rechtslage fUr seinen Mandanten giinstig ist und ein Erfolg vor Gericht sehr wahrscheinlich ist. Der Anwalt sagt seinern Mandanten aber, daB die Sachlage nicht so eindeutig sei und
es rnoglicherweise vor Gericht Schwierigkeiten geben konne. Gewinnt der Anwalt jetzt den ProzeB
230 Gysi, 1.: Der Abstiegvon platz 2 der Weltrangliste. S. 152.
231 Kiell, w.: Scheiden tilt web. In: Ex. Trennungsgeschichten. Berlin 1997. S. 167.
232 willer, H: Gennanistische Soziolingnistik. S. 33.
57
trotzdem, ist er im Ansehen des Mandanten mehr gestiegen, aJs wenn er einen Prozefisieg von
vornherein vorausgesagt hiitte. Dieses kurze Beispiel zeigt, welche Autoritiit und welchen Einflufi
ein Anwalt haben kann. Diese Eigenschaften kann er geracle im emotional gepriigten Scheidungsverfahren positiv geltend machen, indem er aufgrund seiner Sachkenntnis schlichtend auf die Streitparteien einwirkt und auf eine Versachlichung der Diskussion hinarbeitet. Ahnliche Moglichkeiten
hat auch der Familienrichter, indem er einerseits seine Autoritat zur Entspannung der Streitlage (oft
mit UnterstUtzung der Anwiilte) einsetzt. Andererseits kann er auch Anwiilte, die vor Gericht auf
Showeffekte abzielen, in die Schranken verweisen.
Ein weiterer interessanter Aspekt ist beispielsweise die geschlechterspezifische Verteilung von
Scheidungsantragen. Nach der schon erwiihnten Studie hat sich der Anteil von Frauen an den
Scheidungsklagem kontinuierlich erhOht: "Wurden 1960 nur wenig tiber die Hiilfte aIIer Klagen von
Frauen eingebracht, waren es Mitte der achtziger Jahre bereits mehr a1s zwei Drittel (68 Prozent)."233 Diese Aussage wird von den befragten Anwlllten untermauert. Danach sind Frauen eher
und entschlossener bereit, eine fur sie unertriiglich gewordene Situation in der Ehe durch eine
Scheidung zu beenden, unabhiingig davon, welcher Grund zum Scheitem der Ehe gefuhrt hat.
Manner reichen nach Erfahrung der Anwiilte eine Scheidung erst dann ein, wenn sie bereits eine
neue Partnerin gefunden haben. Frauen gehen diesen Schritt oft aIIein oder zumindest wenig beeinfluBt von ihrem sozialen Umfeld. Manner dagegen werden oft entweder von einer neuen Lebenspartnerin oder sogar von ihrer Mutter (I) im Scheidungsverfahren unterstUtzt. Dieser Beistand triigt
leider selten zu einer besseren Verstiindigung der beiden Ehepartner untereinander oder beim Anwalt bei. Oft unterstiitzen gerade MUtter ihre Sohne emotional und unsachlich. Schon wiihrend der
Ehe entstandene Vorbehalte gegen die Schwiegertochter brechen sich Bahn. Das Klischee von der
"bosen Schwiegermutter' tindet hier leider seine volle Bestiitigung. Konsequenzen hat dieses Verhalten auch fur die Kommunikation in der Ehescheidung. In ihrer Argumentation beim Anwalt
erscheinen Frauen, die den Scheidungsantrag gestellt haben, geradliniger und sachbezogener a1s
Manner. Die Anwiilte erkliiren diesen Unterschied damit, daB Manner, wenn sie verlassen werden,
in erster Linie versuchen, ihr verletztes Ego wieder aufZubauen. Das geht oft zu Lasten der SachIichkeit der Argumentation. Mannem gehe es dann oft nicht mehr darum, eine fur beide Parteien
akzeptable Losung zu tinden, sondem sie versuchten, die (Ex)-Partnerin zu treffen und zu verletzen. Zur beliebten Waffe werden dabei oft die gemeinsarnen Kinder und damit verbunden der
Kampf urn das Sorgerecht. Die Kinder werden benutzt (das aIIerdings gleichermaBen auch von
Frauen), urn Macht zu demonstrieren und Druck auszutiben. 1st die Sorgerechtsfi:age dann zugunsten eines Eltemteils gerichtlich gekliirt worden, verliert der nicht sorgeberechtigte oder auch nicht
aufenthaltsberechtigte Eltemteil oft jegliches Interesse an den vorher so "geliebten" Kindem. Anwiilte sind der Auffassung, das auch das neue Kindschaftsreformgesetz an diesem Dilemma wenig
233 Gysi. J.: Der Abstieg von Platz 2 der We1trangliste. S. 152.
58
iindem wird. Zu viele auch objektive, oft materielle Zwlinge stehen einem gemeinsamen Sorgerecht
entgegen. Sobald der aufenthaltsberechtigte Eltemteil eine riiumliche Trennung (durch Urnzug in
eine andere Stadt oder ein anderes BundesJand) yom anderen Eltemteil herbeifuhrt, ist es nicht
selten dem nichtaufenthaltsberechtigten Elternteil finanziell und zeitlich kaum moglich, das eingeriiumte Umgangsrecht wahrzunehmen, da das Kind abgeholt und wieder nach Hause gebracht
werden muB. Auch gemeinsame Urlaube mit dem Kind geraten so zur Farce, da einerseits UnterhaltszahJungen oft eine einschneidende Verschlechterung des Lebensstandards des Unterhaltsverptlichteten mit sich bringen, andererseits die Kosten fiir die Ausiibung des Umgangsrechts nicht
yom Unterhalt abgesetzt werden konnen. Wlfd das Sorgerecht gemeinschaftlich ausgeiibt, ergibt
sich noch eine weitere Schwierigkeit Bei schwerwiegenden Entscheidungen wie schulische und
berufliche Entwicklung entscheiden beide Eltemteile gemeinsam. Aus materiellen Grunden wird bei
diesen Entscheidungen das Kindeswohl hiiufig vernachliissigt, denn der Unterhaltsverptlichtete wird
nicht unbedingt daran interessiert sein, daB das Kind beispielsweise studiert, weil er jalrrelang weiter
Unterhalt zahlen muB.
In bezug auf die Geschlechterspezifik zeigt sich auch ein Ost-West-Unterschied. Frauen aus den
neuen Bundesliindem tendieren dazu, ihnen aus dem Scheidungsverfahren zustehende Unterhaltsanspriiche a1s Ehefrau nicht in Anspruch zu nehrnen, aus dem Selbstverstiindnis heraus, daB sie in
der Ehe durch eigene Erwerbstiitigkeit finanziell unabhiingig waren, und es nach Beendigung der
Ehe auch bleiben wollen. Das erkliirt sich aus der Situation in der ehemaligen DDR, wo die Vollbeschaftigung der Frau der Regelfall und das Hausfrauendasein die Ausnabme waren.
Die Beispiele aus dem Praxisalltag von Farnilienanwiilten zeigen, wieviel emotionaler Sprengstoff
bei Ehescheidungen anfiiIlt. Diese emotionale Spannung wird auch in den KommunikationsprozeB
wiihrend einer Scheidung hineingetragen und ist eine Ursache fiir Kommunikationsstorungen, wie
die Auswertung einer empirischen Untersuchung im zweiten Teil der vorliegenden Arbeit unterstreicht.
Auch soziale Aspekte spielen im Ehescheidungsverfabren eine nicht zu unterschatzende Rolle. So
ist das Bildungsniveau der Mandanten oftmals auch eine Ursache fiir Kommunikationsstorungen.
Dabei ist es erstaunlich, daB ein hOheres Bildungsniveau nicht injedem Fall Garant fiir eine bessere
Verstiindigung ist. Beispiele aus der Anwaltspraxis belegen, daB vermeintliche (angelesene) Kenntnisse tiber die Rechtslage im konkreten Fall wenig hilfreich sind und fiir Verwirrung sorgen. So
auBerte beispielsweise ein in Scheidung liegender Mann gegentiber seiner Anwiiltin, er halte es fiir
grundgesetzwidrig, daB er fiir seine geschiedene Ehefrau Unterhalt zahlen solie, obwohl diese mit
einem anderem Mann liiert seL Gepaart ist das Halbwissen urn Rechtsgrundlagen teilweise mit einer
volligen Ignoranz sachlicher Argumente, die schlimmstenfaJJs zu dem Vorwurffiihrt, der Anwalt
engagiere sich zu wenig. Dazu kommt noch, daB rechtliche Bestimmungen mit Moralvorstellungen
verrnischt werden. Bei vielen Mandanten ist immer noch das Verschuldensprinzip beim Scheitem
einer Ehe vordergriindig, wiihrend sich der Gesetzgeber fiir das Zerriittungsprinzip entschieden hat.
59
Bestatigt werden kann die Vermutung, daB bei geringerem Bildungsniveau die Bereitschaft steigt,
Interessen mittels Gewalt durchzusetzen. Dabei ist es durchaus nicht selten, daB wegen Gewalttiitigkeit eines Ehepartners die Scheidung eingereicht wird, letztendlich aber dieser Antrag freiwillig
zuriickgezogen und die Ehe aufrecht erhalten wird. Mit hOherem Bildungsniveau werden die Methoden subtiler; sie sind deshalb jedoch nicht weniger brutal. Diese Tendenz wird auch durch die
schon zitierte Studie bestiitigt: Je hOher die Bildung ist, desto hOher ist auch das Scheidungsrisiko
iiberhaupt: "Je hOher die beiderseitige Qualifikation, desto deutlicher stellte sich auch das Problem
der Vereinbarung von Familie und Beruf fur beide Geschlechter, desto hOher waren die aneinander
gerichteten Erwartungen. Mit zunehmender Bildung wachsen bekanntlich vor aIlem die Anspmche
an den Sinngehalt des eigenen Lebens und der Beziehung. Gemeinsamkeiten und Verbindlichkeiten
ergaben sich dann weniger aus dem gemeinsarnen Haushalt, aus Anschaffimgen, Eigentum und
Verwandtenkreis, ... sondem mehr aus dem Zustand der emotionalen Beziehungen, aus Ubereinstimmungen in den Lebensanschauungen und Interessen, aus dem gegenseitigen Respekt. Je mehr
eine Ehe von solehen Werten getragen ist, desto konf1iktanfalliger wird sie."234 In die Bildungsproblematik wirkt zusiitzlich ein geschlechterspezifischer Aspekt hinein. Der Bildungsgrad der Frau
spielt bei der Scheidung eine groBere Rolle als der des Mannes: ,,Ehen, in denen die Frau iiber ein
hOheres Qualifikationsniveau als ihr Mann verfugte, waren scheidungsanfalliger als solehe, in denen
er hOher gebildet bzw. qualifiziert war. Diese Umkehrung tradierter Rollen fuhrte zu zusiitzlichen
Kollisionen. Ehescheidungen waren dort seltener anzutreffen, wo die Frau ein niedriges, meistenteils ein niedrigeres Qualifikationsniveau als ihr Mann batte. ,<235
Aitersspezifische Aspekte sind im Scheidungsverfahren zwar nicht so vordergriindig, aber dennoch
vorhanden. So laBt sich konstatieren, daB sich junge Paare eher scheiden als iiltere. Besonders jung
geschlossene Ehen sind besonders scheidungsanfiillig: "Viele Ehen waren nur von kurzer Dauer
(ein bis drei Ehejahre). Maximalwerte waren im dritten Ehejahr anzutreffen. Etwa ein Drittel der
geschiedenen Ehen iiberstand nicht das vierte, die Hii.lfte nicht das sprichwortiiche siebte Ehejahr."236 Die Scheidungsraten sind dann am groBten, wenn noch keine Kinder vorhanden sind. Das
laBt sich dadurch erkliiren, daB sich die meist noch jungen Ehen in der schwierigen Anpassungspbase befinden. Ein weitere Haufimg von Scheidungen laBt sich nach 15-20 Ehejahren verzeichnen.
Das ist der Zeitpunkt, an dem die Kinder selbstandig werden, das Haus verlassen und die eheliche
Beziehung aufihre verbleibende Sinnhaftigkeit hinterfragt wird.237
Die Vermutung, daB iiltere Scheidungswillige in der Argumentation und Auseinandersetzung mehr
Besonnenheit an den Tag legen, laBt sich nicht verallgemeinem. Emotionalitiit gepaart mit Aggressivitiit und Unsachlichkeit geht durch aile Aitersstufen, betrifR Manner und Frauen gieichermaBen
234
235
236
237
Gysi, J.: Der Abstiegvon platz 2 der Weltrnngliste. S. 154.
Gysi, 1.: Der Abstieg von Platz 2 derWeltrnngliste. S. 154f..
Gysi, 1.: Der Abstieg von Platz 2 derWeltrnngliste. S. 153f..
Vgl. Kiefl, W.: Scheiden tnt weh. S. 167.
60
wie Akademiker und Arbeiter. Offensichtlich dringt das Familienrecht soweit in die Intimsphare des
einzelnen ein und verletzt dessen Gefuhle, daB allzuoft Erziehung, Bildung und gesellschaft1iche
Konventionen vergessen werden, wenn es zu einer (gerichtlichen) Auseinandersetzung kommt.
Trotzdem soil nicht der Eindruck erweckt werden, daB aile Scheidungen in einen schmutzigen
Scheidungskrieg ausarten. Die Zahl einverstiindlicher Scheidungen ist hach und pendelt je nach
Anwalt zwischen 40-70 Prozent. Dazu muB angemerkt werden, daB der Terminus eim'ftrstiindlich
leicht in die Irre fiihrt. Damit ist nicht gemeint, daB tiberhaupt keine Streitpunkte vorhanden sind.
Einversttindlich bezieht sich lediglich daraut; daB beide Eheleute seit einem Jahr getrennt leben,
beide die Scheidung wollen und sich tiber die Scheidungsfolgen einigen.
Die Ost-West-Problernatik tritt - auBer an schon erwiihnter Stelle - in den Hintergrund. Es gibt
kaum Verstiindigungsprobleme aufgrund des neuen Rechtssystems, das nach der Wende in Kraft
trat. Diese Phiinomen liiBt sich leicht erkliiren: Da sich die meisten Scheidungswilligen das erste
Mal zu einer Scheidung entschlieBen, ist heute, mehr als acht Jahre nach der Wende der Vergleich
zum alten DDR-Scheidungsrecht kaum noch vorhanden. Es besteht aIIenfiills noch die Kenntnis,
daB eine Scheidung in der DDR leichter war. Die Scheidungswilligen werden mit den neuen
Rechtsgrundlagen konfrontiert, und aufgrund des fehlenden Vergleichs treten MiBverstandnisse, die
durch das alte Scheidungsrecht entstehen konnten, nicht auf
Die bis jetzt untersuchten insbesondere gruppenspezifischen Aspekte des Ehescheidungsrechts
haben verdeutlicht, daB nicht nur sprachliche Faktoren, sondem auch viele kontextuell bedingte
Aspekte die Kommunikation beeinflussen konnen. Dadurch kann die Kommunikation nachhaltig
gestort oder sogar unmoglich werden. Deshalb ist es fur die Fachleute wie Richter und Anwiilte
wichtig, diese Aspekte zu kennen und zu berucksichtigen, damit Kommunikationsstorungen gar
nicht erst entstehen oder zumindest verringert werden.
F. Das Familienrecht
L Regelungsbereich
Das Familienrecht urnfaBt die Gesamtheit der in bezug auf Ehe und Verwandtschaft geltenden
Rechtsregeln sowie das Rechtsinstitut238 der Vormundscha:ft, obwohl dieses Rechtsinstitut nur bedingt zur Familie gehort. 239 Das Familienrecht g1iedert sich folglich in das Ehe-, Verwandtschaftsund Vormundschaftsrecht. 240
Die Familie ist die iilteste Form menschlichen Zusammen\ebens. hn Verlauf der gese\lschaftlichen
und historischen Entwicklung war sie starken Veriinderungen unterworfen, aIs Institution hat sie
sich jedoch aIs bestiindig erwiesen.
Der Begriff Familie kann in mehrfacher Hinsicht betrachtet werden. hn allgemeinen Sprachgebrauch und in den SoziaIwissenschaften wird unter Familie ein bestimmtes gese\lschaftliches Gebilde verstanden, das in der soziaIen WITklichkeit existiert. Sowohl fur die Philosphie und Soziologie
aIs auch fur die Politik wird dieser Familienbegriff zum Gegenstand mr Theorie bzw. politischer
Zielsetzungen, zum Beispiel der Familienpolitik. Es gibt folglich einen auBeljuristischen Begriff der
Familie und eine damit bezeichnete soziaIe Rea1itat.
Die Bildung eines Rechtsbegriffes ist weitaus schwieriger: ,,Das BGB verwendete in seiner urspriinglichen Fassung das Wort ,,Familie" in einem genere\len Sinn tiberhaupt nicht und beschriinkte
sich darauf; im Familienrecht einen bestimmten Kreis individueller Rechtsbeziehungen zu norrniereno Als Rechtsbegriffist die Familie in Art. 6 I GG vorausgesetzt, wonach Ehe und Familie unter
dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung stehen. Auch die §§ 1357, 1360 BGB setzen ihrer
heutigen Fassung einen Rechtsbegriff der Familie vorauS."241 Aus juristischer Sicht ist die Familie
folglich sowohl ein Komplex von Rechtsnormen aIs auch ein Rechtsbegriff.242
Zum einen kann die Familie aIs "GroBfamilie" aufgefaBt werden, die die Gemeinschaft aller Blutsverwandten ist. Dieser Farni1ienbegriffliegt den Bestimmungen der §§ 1601 ff, 1589 BGB tiber die
Unterhaltspflicht zwischen Verwandten sowie den Bestimmungen der §§ 1924 ff BGB tiber die
gesetzliche Erbfolge zugrunde. Zum anderen existiert der Begriff ,,Kleinfamilie" im Sinne einer
Hausgemeinschaft von Eltem und Kindem. 243 Da sich die wesentlichen familienrechtlichen Bestim238 insti!u! im Shme der Rechtswissenschaft is! eine als relative Einheit zu begreifende Anzah! von Rechtssiitzen
zur Bewiiltigung eines Sachproblems. VgI. dazu Kobler, G.; Pohl, R: Dentsch-<leutsches Rechtsworterlmclt
Munchen 199 I. S. 263.
239 Vgl. Schwab, D.: Familienrecht 8. neubeaIb. Anfl. Mfinchen 1995. § 1, Rdnr. I.
240 SchwerpunktnIiillig beschiiftigt sich das Verwandlschaftsrecht mit den Rechtsbeziebungen zwischen Eltem und
Kindem Da diese Rechtsbeziehungen auch ein zentrales Thema der vorliegenden Arbeit sind, werden die Begriffe Verwandtschafisrecht und Kindschafisrecht im weiteren synonymisch verwendet.
241 Schwab, D.: Familienrecht. § 1, RdOT. 2.
242 Schwab, D.: Familiellrechl § 1, Rdnr. 3.
243 Vgl. zu diesem Thema: Schliiter, W.: BGB Familienrecht 5. neubeaIb. Anfl. Heidelberg 1991. § 1, S. 1 f ..
62
mungen und auch der schon erwiihnte verfassungsrechtIiche Schutz des Art. 6 GG auf diesen engeren Familienbegriff stUtzen, bezieht sich die weitere Untersuchung ebenfalls auf diesen Familienbegriff.
1I. Rechtsquellen
Einige familienrechtliche Bestimmungen wurden bereits genannt. Die Grundsatze des materiellen
Rechts244 sind im 4. Buch des BGB in den Abschnitten fiber die Biirgerliche Ehe, die Verwandtschaft und die Vormundschaft geregelt.
Durch das Erste Gesetz zur Reform des Ehe- und Familienrechts245 ist das Scheidungsrecht in den
§§ 1564-1587p wieder in das BGB aufgenommen worden. Weitere familienrechtliche Bestimmungen finden sich im Ehegesetz vom 20.2. 1946246, in dem das Recht der EheschlieBung, die Nichtigkeit und die Aufhebung der Ehe geregelt sind. Das Verfahrensrecht in Familien-, Kindschafts- und
Unterhaltssachen ist im 6. Buch der ZivilprozeBordnung (ZPO) enthalten?47
ID. Die historiscbe Entwicklung des Familienrecbts
I. Die historische Entwicklung des Eherechts
In Europa haben sich unter dem EinfluB des Christentums und teilweise auch unter dem EinfluB des
Romischen Rechts seit dem Mittelalter drei Merkmale der Ehe herausgebildet, die bis heute fur
diese Institution grundlegend geblieben sind:
I. Die Ehe besteht zwischen einem Mann und einer Frau. Dieses Merkma1 wird mit dem Begriff
Monogamie beschrieben.
2. Die Ehe kommt durch den erklarten Ehewillen von Mann und Frau zustande. Es Iiegt das soge-
nannte Konsensprinzip vor.
3. Die Ehe ist aufLebenszeit geschlossen und kann von den Partnern nicht beliebig gelost werden.
Das Lebenszeitprinzip wird im § 1353 I 1 BGB behandelt?48
Diese drei konstituierenden Merkma1e sind die Grundlage fur verschiedene Eheverstandnisse, die
sich im Verlaufe der historischen Entwicklung gebildet haben: ,,Den bisher wichtigsten Beitrag zu
244 Das malerielle Recht ist das Recht, das den InhaIt der Rechtsordmmg darstellt 1m Gegensatz dam steht das
fonnelle Recht, das die Art nnd Weise der Durchsetzung des materiellen Rechts regelt (Verfuhrensrecht). Die
vorliegende Untersuchung bezieht sich vorwiegend auf das materielle Familienrecht. Vgl. Kobler,G.; Pohl, H.:
Deutsch-Deutsches Rechtsworterbuch. S. 402.
245 Ersles GesetzzurRefonu des Ehe-undFamilienrechts (1. EheRG)vom 14.06.1976. BGBLI 1976 S. 1421 ff..
246 Ehegesetz (EheG) vom 20.02. 1946. KRABI. 77 S. 294 ff..
247 Zu diesem Thema ausfiihrlich: Schluter, W.: BGB Familienrecht. § 1, S. 6. Es wird auf die vollstiindige Aufziihlung der fumilienrechtlichen Rechtsquellen verzichtet Es werden nur die Rechtsquellen augefiilU!, die fur
die vorliegende Untersuchung von Bedeutung sind
248 Vgl. Schwab, D.: Familienrecht. § 5, Rdnr. 20.
63
unserem Eherecht hat die christliche Kirche geleistet. A1s die Mission tiber die A1pen kam und die
Germanen sich bekehrten, brachte die Kirche auch die Lehre Jesu von der Ehe mit. 1m Laufe von
Jahrhunderten hat sie das Eherecht christlich geformt. Seit etwa 700 Jahren ist das Eherecht eine
Domiine der Kirche. Eherecht war Kirchenrecht, wei! die Kirche die modernste und befriedigendste
Ehelehre anbot. Danach war und ist die Ehe ein Sakrament, das sich die Eheleute gegenseitig spenden. Die Ehe begriindet eine unausloschliche Priigung fur das ganze Leben, einen character indelebilis. Die katholische Kirche verwaltete die Sakramente und wachte durch Lehre und Beichtstuhl,
aber auch durch ihr Recht damber, daB man die Ehe im gesamten offentlichen Leben heilig hielt."249
1m 11. Jahrhundert wurde der Grundstein fur die Entwicklung der kirchlichen Jurisdiktionskompetenz in Ehesachen gelegt. Damals begann sich das kanonische Eherecht der Kirche in Westeuropa
auch tiber die theologisch entfaltete Lehre von der ausschlieBlichen Zustiindigkeit der Kirche in
Eherechtsfragen langsam durchzusetzen. Die Kirche versuchte, die Rechtsverbindlichkeit des bis
dabin geltenden weltlichen Eherechts in Frage zu stellen und dariiber hinaus eine "umfassende und
aligemeinverbindliche Eherechtsordnung durchzusetzen, die den kirchlichen Ehevorstellungen
entsprach".250 Das Recht und die Verpflichtung zu diesem Schritt entnahrn die Kirche der Lehre
vom "ius divinum, der von Gott gegebenen und in der Offenbarung von ihm selbst bezeugten Ordnung, die nach kirchlicher Uberzeugung aIlem ius humanum (von Menschen gesetzten Recht)
vorzugehen hatte und - vor aIlem in der Form biblischer Weisungen - auch den geistlichen Kembereich der seit dem 12. Jahrhundert auch im Abendland endgiiltig als Sakrament anerkannten Ehe
miterfaBte und priigte". 251
Diese Entwicklung fuhrte dazu, daB sich im gesamten westlichen Europa bis spatestens im 13.
lahrhundert ein einheitliches katholisch gepriigtes Eherecht mit dem Papst als Oberhaupt konstituiert hatte: ,,Dernzufolge schrieben sich die kirchlichen Instanzen in den Kemfragen der Ehe
(EheschlieBung, Eheauflosung) die ausschlieBliche Zustiindigkeit fur Gesetzgebung und Gerichtsbarkeit zu und konnten diesen Anspruch auch fur den staatlichen Rechtsbereich durchsetzen. ,,252
Ausdruck des religiosen Charakters war unter anderem die priesterliche Trauung. Es sind aber auch
Faile bekannt, in denen die EheschlieBung nur durch den Austausch des Konsenses der beiden
Heiratswilligen ohne die Einhaltung von Formvorschriften zustande kam.253 Diese quasi "heimlich"
geschlossene Ehe fand zwar nicht unbedingt das Wohlwollen der Kirche, trotzdem war sie rechtsgiiltig. A1lgemein kann konstatiert werden, daB der Ehevertrag, der im EheschlieBungsrecht der
Neuzeit gerade durch zwingende Formvorschriften gekennzeichnet ist, bis zur Reformation ein sehr
formloser Vertrag war.
249
250
251
252
253
Hattcnhaner, H.; Langenbach, H. G.: Heiraten In Gottes Naruen. Wuppertal, ZUrich 1988. S. 39.
Giesen. D.: Familienrecht 2. iibernrb. Auf!. Tiibingcn 1997. Rdnr. 39.
Giesen, D.: Familienrecht Rdnr. 40.
Schwab, D.: Familienrecht. § 5, Rdnr. 2l.
Siehe dazu ausfiihrlich Giesen. D.: Familienrecht Rdnr. 46 ff..
64
Trotzdem war eine giiltige EhescblieJ3ung insofern nicht unproblematisch, aIs die Kirche bis zum
Beginn des 13. Iahrhunderts ein extensives Ehehindernisrecht gebildet harte. Schon gegen Ende des
11. Iahrhunderts wurden aIle EhescblieJ3ungen zwischen Blutsverwandten bis in den 14. Grad
romischer und bis in den 7. Grad kanonischer ZiihIweise verboten.254
Uber die Ehehindernisse der Blutsverwandtschaft (impedimentum consanguinitatis) und der Adoption (impedimentum cognationis legalis) hinaus existierten noch das Ehehindemis der geistIichen
Verwandtschaft (impedimentum cognationis spirituaIis), das durch geistIiche Wiedergeburt vor
aIlem aus den Sakramenten der Taufe und Firmung entwickelt wurde, und das Ehehindernis der
Schwagerschaft, das ebenfaJJs extensiv ausgelegt wurde.
Diese Perfektion des Ehehindernisrechts bewirkte eine "Verunsicherung des Bestands familienrechtlicher Beziehungen" und diente somit nicht nur der ,,Reinhaltung verwandtschaftlicher Kontakte von geschlechtlichen Beziehungen", sondem leistete auch der Versuchung Vorschub, ,,millbrauchlich aufUmwegen zu erreichen, was im westlichen Europa (d.h. im Abendland) anders nicht
zu erreichen war".255
Ein weiteres MerkmaI des Eherechts im Spatmirtelalter war die Unaufioslichkeit der Ehe: "Die
einzige der Kirche und damit dem abendlandischen Eherecht ... bekannte "Scheidung" war die
Trennung von Tisch und Bert (separatio a thoro et mensa et cohabitationen mutua) wegen Ehebruchs und (spater auch) ehelicher Grausamkeit, die indes nur ein Recht zu Aufhebung der ehelichen Lebensgemeinschaft gab, das Band der Ehe aber bis zum Tode des erstversterbenden Ehegarten bestehen lieJ3 und keine Wiederverheiratung zu Lebzeiten beider Ehepartner zulieJ3."'!56
Es war Martin Luther, der im Zuge der Reformation dieses absolute Eheverstandnis in Frage steIIte.
AnsteIIe des Sakramentscharakters der Ehe sprach er vom ,,heiligen Ehestand". Zu seinem Eheverstandnis gehOrte die Scheidung fur Notfii.lle, vor aIlem fur die Fane "boslichen Verlassens". Doch
auch Luthers Refomationsansatz harte eine Grenze: Eine Wiederverheiratung schIoJ3 er aus. In
protestantisch gewordenen Gebieten wurde sein Ansatz weiterentwickelt und die Ehescheidung bei
Verschuldenstatbestanden eingefiihrt sowie dem unschuldigen TeiJ die Wiederverheiratung erlaubt. 257
Ende des 17. Iahrhunderts wurden die Bestrebungen starker, das Scheidungsrecht unabhangig von
den theologischen Aussagen der christIichen Konfessionen zu gestalten. Ein Beispiel dafur ist das
254 Vgl. Giesen, D.: Familienrecht Rdnr. 49 ff.: ''Die romische zahlung der Verwandtschaftsgrade erfolgt nach der
Zahl der die Verwandtschaft vennittelnden Geburten Vater und Tochter sind im I. Grade verwandt, Geschwister im 2., Onkel und Nichte im 3., Yettem nnd Basen I. Grades (Geschwisterkinder) im 4. Grad. Nach kanonischer zahlung wird der Verwandtschaftsgrad durch den Abstand der Verwandten von einem gemeinsamen
Stamm errechnet, wobei fur jeden Verwandten so viele Grade Abstand zu rechnen sind, wie Geburten zwischen
ilnn und dem Stanun liegen. AIle Kinder sind im VerhlUtnis zu den Eltem z.B. im I. Grade verwandt, aile Enkel nn 2., aile GroJlenkel im 3., aile UrgroJlenke1 im 4. Grad"
255 Giesen, D.: Familienrecht Rdnr. 53.
256 Giesen, D.: Familienrecht Rdnr. 54; Diese Trennung von Tisch nnd Bet! war aneh noeh in der alten Fassnng
des BGB bis 1938 (dort § 1575) als Alternative zur Scheidnng vorgesehen.
65
Allgemeine Landrecht fur die preuBischen Staaten (ALR) von 1794.258 Es blieb bis zum Inkrafttreten des Biirgerlichen Gesetzbuches am 1.1. 1900 verbindlich. Das Eherecht des ALR ist gepIiigt
durch die naturrechtliche Eheauffassung, die die Ehe als Gebilde betrachtet, das von Natur aus auf
bestimmte Zwecke ausgerichtet und daher mit bestimmten Strukturen ausgestattet ist. Dieses Verstandnis kniipft an die Philosophie des Aristoteles an und blieb bis Ende des 18. Jahrhunderts bestimmend. Als Hauptzweck der Ehe wurde traditionell die Zeugung und Erziehung der Nachkommen gesehen. Das Wesentliche dieses Eheverstiindnisses liegt im vollkommenen Rechtscharakter der Ehe; die Ehe ist durch ihre sozialen Funktionen bestimmt und wird vom Recht vollStiindig auf deren Erfiillung ausgerichtet.259
So gestattete das ALR die Scheidung kinderloser Ehen bei gegenseitiger Einwilligung der Ehegatten. Auch das Zerriittungsprinzip wird bereits hier angefuhrt. Danach durfte der Richter die Ehe in
Fii1Ien unversohnlichen Widerwil1ens der Ehepartner zueinander scheiden. Das ALR sah sowohi
verschuldensabhiingige Scheidungstatbestii.nde wie Ehebruch und boswilliges Verlassen a1s auch
verschuldensunabhiingige Tatbestiinde wie Religionsanderung oder ekel- und abscheuerregende
Krankheiten vor.260
Die katholischen Staaten hielten jedoch weiterhin am Prinzip der Unaufloslichkeit der Ehe fest. Erst
das 1875 erlassene Personenstandsgegetz261, durch das die bisherigen Griinde fur die stiindige Trennung von Tisch und Bett zu echten Scheidungsgriinden erklilrt wurden, setzte auch in den katholischen Uindern erstma1s die Ehescheidung durch.
Mit dem Biirgerlichen Gesetzbuch (BGB) trat am 1. Januar 1900 ein einheitliches deutsches Scheidungsrecht in Kraft. Es war von den konservativen Stromungen des 19. Jahrhunderts beeinfluBt
und beschriinkte sich bei den Scheidungsgriinden auf grobe Verfehiungen und Geisteskrankheiten.
Die neue scheidungsfeindlichere Haltung des BGB blieb jedoch nicht lange unangefochten. 262 Bereits 1921 wurde im Reichsjustizministerium in Berlin ein Anderungsvorschiag erarbeitet. Aile
Fraktionen des Reichstages - mit Ausnahrne des katholischen Zentrurns - votierten fur ein scheidungsfreundlichere Reform des Ehescheidungsrechts. Jedoch scheiterte dieser VorstoB am EinfluB
257 Siehe dam auch: Schwab, D.: Familienrecht. § 33, Rdnr. 257.
258 Das Allgemeine Landrecht fur die Preu6ischen Staaten wird hier zitiert nach einer im Jahr 1994 in 2. Auflage
im Hennann LuchteIband Verlag erschienenen Ausgabe, der der Text der amtIichen Ausgabe vom Jahre 1794
mgrunde Iiegt. Das Scheidungsrecht ist im Zweyten Theil, Erster TiteJ, Achier Abschnitt, §§ 668 ff. gerege1t
1m folgenden wird der jeweilige Tell mit rOmischen Ziffun, der jeweilige Titel mit arahischen Ziffem bezeichnet
259 VgI. Schwab, D.: Familienrecht § 6, Rdnr. 24; Buchholz, S.: EinzeIgesetzgebnug. In: Handbuch der Quellen
und Literatur der neneren europllischen Privatrechtsgeschichte, Bd llII2. Moochen 1982. S. 1631.
260 Siehe dam auch Buchholz, S.: Einzelgesetzgebung. Bd llII2. S. 1631; Giesen, D.: Familienrecht Rdnr. 65 ff..
261 Gesetz tiber die Beurkundung des Personenstandes und die Eheschliellung vom 06.02. 1875. RGBI. I 1875 S. 23
If..
262 Siehe dam Bosch, F. W.: Familien- und Etbrecht als Themen der RechtsangIeichung nach dem Beitritt der
DDRzurBundesrepubJikDeutschIand. ZeitschriftfUrdas gesamte Familienrecht (=FamRZ) Jg. 38 (1991), Heft
12, S. 1371.
66
des katholischen Zentrums als Regierungskoalitionspartei. Auch der letzte Refonnversuch der
Weimarer Republik 1929 blieb erfolglos. 263
Das nationalsozialistische Regime nahm bereits friihzeitig die Refonnbestrebungen wieder auf
1938 wurde das Scheidungsrecht aus dem BGB herausgenommen und im Ehegesetz gesondert
normiert, wobei die nationalsozialistische Ideologie auch diesen Bereich nicht vollig verschonte:
,,Bis auf die aus Griinden der nationalsozialistischen Bevolkerungs- und Rassenpolitik eingefugten
Tatbestande der Fortpflanzungsverweigerung und der Unfruchtbarkeit basierte die mit dem ErlaJ3
des Ehegesetzes vom 6.7. 1938264 durchgefuhrte Refonn aber auf den Vorarbeiten der Weimarer
Republik. Die nationalsozialistische Rassenideologie war dagegen bereits drei Jahre zuvor im "Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre" vom 15.9. 1935265 mit den Eheverboten zwischen Juden und Nichtjuden gesetzlich verankert worden."266 Inha1tlich gesehen wurden im Ehegesetz die Scheidungsgriinde urn den Tatbestand der Ehezerriittung nach mindestens
dreijahrigem Getrenntleben erweitert.
Nach Kriegsende im Mai 1945 galt ZUlliichst das Ehegesetz von 1938 in den vier Besatzungszonen
weiter. Das darin enthaltene nationalsozialistische Gedankengut, wie beispielsweise der Scheidungsgrund der "vorzeitig" schuldlos eingetretenen Unfruchtbarkeit, wurden durch die Besatzungsmachte gestrichen. Ansonsten blieb das Ehegesetz inhaltlich unverandert. 267
Am 20.2. 1946 beschloB der Alliierte Kontrollrat in Berlin als darnaliger oberster Gesetzgeber fur
ganz Deutschland eine Neufassung des Ehegesetzes268 , die am 1.3. 1946 in allen vier Zonen in Kraft
trat. Inhaltlich gesehen waren die Veriinderungen gegenfiber dem schon etwas entnazifizierten
Ehegesetz von 1938 gering. Wenige Vorschriften wurden gestrichen, der gesamte Gesetzestext
wurde neu nurneriert. Wesentlich war die Einfuhrung einer Hiirternilderungsklausel gemliB § 77
EheG 1946 zugunsten von Personen, "die durch Gerichtsentscheidungen auf der Basis des EheG
1938 aus politischen, religiosen oder rassemliBigen Griinden benachteiligt worden waren."269 In
diesen Kontext gehOrt auch ein weiteres "Wiedergutrnachungsgesetz" ehegesetzlicher Art, das
Bundesgesetz fiber die Anerkennung freier Ehen vom 23.6. 1950.270 Dieses Gesetz behandelte
Fiille, in denen wlihrend des Nationalsozialismus aus rassischen, politischen oder religiosen GrUnden zivilrechtlich gfiltige Ehen nicht zustande kommen konnten, wohl aber eine echtes Eheverspre263 Vg\. dazu Giesen, D.: Farnilienrecht. Rdnr. 74.
264 Gesetz zur Vereinheitlichung des Rechts der EhesehlieJlung und der Eheseheidung irn Lande Ostcrrcich nnd irn
iibrigeu Rcichsgebiet (Ehegesetz) vorn 06.07. 1938. RGB!. I 1938 S. 807 ff..
265 Gesetz zum Schutzedes deutschenBiutes undderdentschenEhrevorn 15.09. 1935. RGB\' I 1935 S. 1146 IT..
266 Giesen, D.: Fami1ienrecht. Rdnr. 74.
267 Siehe Bosch, F. W.: Farnilien- und Erbrecht als Themen der RechtsangIeichung nach dern Beilritt der DDR zur
Bundesrepublik Deutschland H 12, S. 1372.
268 Diese Neufussung wird seitdem als EheG 1946 oder als ,,Kontrollrats-Ehegesctz Nr. 16" hezeichnet.
269 Bosch, F. W.: Familien- und Erbrecht als Thernen der Rechtsangleichung nach dern Beilritt der DDR zur
BundesrepubJik Deutschland H 12, S.1373.
270 Gesetz fiber die Anerkennung freier Ehen rassisch und politisch Verfolgter vom 23.06. 1950. BGBI. 1950
S. 226 ff..
67
chen vorlag und dieses beispielsweise durch eine religiose Eheschlie13ung unterrnauert worden
war. 271
Obwohl das geiinderte Ehegesetz auch in der damaligen Sowjetischen Besatzungszone galt, wurde
es bald anders angewendet als in den westlichen Besatzungszonen. Verstiirkt durch die staatliche
Teilung in die Bundesrepublik Deutschland und die Deutsche Demokratische Republik 1949, gingen die beiden Teile Deutschlands wenig spater auch im Bereich des Eherechts vollig getrennte
Wege. In der Sowjetischen Besatzungszone wurde immer mehr vom BGB abgewichen; "auch dem
gesetzestechnisch gut formulierten Familiengesetzbuch der DDR272 wurden bis 1989 die Wertvorstellungen des sozialistischen Menschen im Arbeiter- und Bauernstaat iibergestiilpt, getreu der
Maxime, daB das ,,Familienrecht der DDR als komplexes Leitungsinstrument zur gesellschaftlichen
und staatlichen Einflul3nahme auf die Entwicklung der Familie" einzusetzen war mit all den aus
unbegrenzter Auslegung herriihrenden Folgen, die die Ideoligisierung des Rechts haben kann."273
Die Entwicklung des Eherechts in der DDR ist Thema des folgenden Kapiteis. Zwar ist fur die
heutige Gesetzeslage vorwiegend die Entwicklung des Eherechts in der Bundesrepublik mal3geblich, aber die Existenz zweier Rechtsordnungen hat nach der Wiedervereinigung zu erheblichen
Kommunikationsstorungen gefuhrt, wie im empirischen Teil der Arbeit am Beispiel des Eherechts
gezeigt werden soli. Deshalb soli durch den Vergleich der beiden Rechtsordnungen auf diesem
Gebiet erlautert werden, welche Auswirkungen diese Unterschiede sprachlich gesehen auf die
Beurteilung aktueller Probleme des Eherechts haben.
1m Jahre 1949 trat das Grundgesetz mit wichtigen Bestimmungen :fur das gesamte Farnilienrecht in
Kraft. Besonders wichtig sind in diesem Zusammenhang Art. 3 II GG, der die Gleichberechtigung
:fur Mann und Frau festschreibt sowie Art. 6 I GG, der den staatlichen Schutz von Ehe und FamiJie
garantiert. Gleichzeitig verpflichtet Art. 6 GG - angesichts der Erfabrungen mit der nationalsozialistischen Diktatur - den Staat zur Zuriickhaltung seiner Macht gegeniiber der Farnilie und gebietet
ihm, die private Lebensgesta\tung der Familie zu achten und allenfalls subsidiiir, also im Faile des
Versagens einzugreifen?74 Artikel 6 GG ist folglich nicht nur ein Abwehrrecht gegen den Staat,
sondem enthiilt gleichzeitig eine Institutsgarantie275 fur Ehe und Farnilie.
271 Vgl. Bosch, F. W.: Familien- und Erbrecht a1s Themen der Rechtsangleichung nnch dem Beitritt der DDR mT
BundesrepublikDeutschland. H. 12, S. 1373.
272 Familiengesetzbuch der DDR (FGB) vom 20.12. 1965. GBI. DDR I 1966 S. 1 if.
273 Giesen, D.: Familienrecht. Rdnr. 77.
274 Wesentliche Entscheidung des Bundesverfussungsgerichts werden in ciner amtlichen Entscheidungssamllllung
veToffcntlicht, die mit BVerfGE nbgekiirzt wird. Die Entscheidungssall1ll1lung wird nach Band, Anlimgsseite
der zitierten Entscheidung und in K1ammern der Seite, auf der sich der zitierte Abschnitt befindet, ziticrt. 1m
vorliegenden Fall handelt es sich folglich UIlI die Enlscheidungen des Bundesverfassungsgerichts illl 10. Band,
Anfilngsseite 59, Zitntseiten 83ff. und illl 24. Band, Anfungsseite 119, Zitatseite 138 ~ siehe BVerlGE 10, 59
(83if); 24, 119 (138).
275 Die Institutsgarantie is! die durch das Grundgesetz gewahrte Absicherung des Bestands bestitmnter Einrichlungen. Vgl. Kobler, G; PolJ!, H.: Deutsch-DeutschesRechtsworterbuch. S. 183.
68
1m Jahre 1958 trat das Gleichberechtigungsgesetz in Kraft, das die Gleichberechtigung in der Ehe
auf der Basis einer Funktionsteilung regeite. 276 Hauptsachlich betroffen waren das allgemeine Ehewirkungsrecht, das Ehegiiterrecht sowie die Kliirung der eiterlichen Gewalt in Bezug auf eheliche
Kinder: ,,Mehrere darnals beschlossene Regelungen, auch die des gesetzlichen Giiterstandes der
,,zugewinngemeinschaft"277, machen deutlich, daB die damalige Reform vor allem auf den Typ der
,,Hausfrauenehe" hin ausgerichtet waf'78 - vor 30 Jahren sicher noch der hauptsachlich zu ordnende
Tatbestand."279
Einer der wichtigsten Schritte in der Entwicklung des Fami1ienrechts war die Verabschiedung eines
neuen Ehe-, insbesondere eines grundsatzlich geanderten Ehescheidungsrechtsgesetzes im Jahre
1976.280 Dieses neue und bis heute geitende Ehescheidungsrecht geht nur noch von einem einzigen
Scheidungsgrund aus, "dem tiber eine Generalk1ausei281 festgestellten (§ 1565 I BGB) oder tiber
Fristentatbestiinde unwiderleglich vermuteten (§ 1566 BGB) Scheitern der Ehe. Darnit war an die
Stelle des seit der Reformationszeit herrschenden Verschuldensprinzips das Zerriittungsprinzip282
getreten.'<283 Interessant ist in diesem Zusammenhang der Wechsel der Wortwahl von der Zerriittung zum Scheitern: ,,An die Stelle des Begriffs ,,zerriittung" der Ehe, der im EheG durch die
Worte "tief', "tiefgreifend" und "unhei1bar" urnschrieben wurde, ist die Bezeichnung "Scheitern"
getreten. Der Ausdruck Zerriittung der Ehe war, obwohl er seit 150 Jahren in den Gesetzen verwendet wurde, schi11ernd geblieben. Mit dem Ubergang zum Scheitern wurde diese Problematik
nicht veriindert. Die Schwierigkeiten liegen nicht im sprachlichen Ausdruck, sondern darin, den
Zustand einer Ehe zu beschreiben, der die Scheidung rechtfertigt.'<284
276 Gesetz iiber die Gleicbberecbtigung von Mann und Frau auf dem Gebiete des biirgerlicheu Rechts (Gleichberechtiguugsgesetz) vom 18.06. 1957. BGBI. I 1957 S. 609 ff..
277 Nach § 1363 BGB ist die Zugewinngemeinscbaft der gesetzliche Giiterstand, bei dem das Vermogen der Ehegalien stlindig getrennt bleibt und erst nach Beendiguug der Ehe der Zugewinn, den die Ehegallen jeweils in der
Ehe erzielt haben, ausgeglichen win:\.
278 § 1356 BGB i.dF. von 1957lautete: "Die Frau fiihrt den Haushalt in eigener Verantwortung. Sie ist berecbtigt,
eJWeIbstiitig Zll sein, soweit dies mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar ist"
279 Bosch, F. W.: Entwicklnngs1inien des Familienrechts in den Jahren 1947 bis 1987. NJW 1987, R 42, S. 2619.
280 Erstes Gesetz zur Reform des Ehe- und Familienrechts (1. EheRG) VOID 14.06.1976. BGBI. I 1976 S. 1421 If.
(iiherwiegend in Kraft getreten am 1.1. 1977, die namensrechtlichen Regelnngen traten bereits am 1.7.1976 in
Kraft).
281 Die Genemlklausel is! eine Rechtsnorm, die nnr einen allgemeinen Grnndsatz aufstellt nnd die konkrete Beslimmnng im Einzelfull den Gerichten iiber1iUlt Vgl. Kobler, G.; PohI, R: Deutseh-Deutsches RechtswOrterbueh. S. 198.
282 Das Zerriitlnngsprinzip besagt, daB die Ehe gescheitert is!, wenn die Lebensgemeinschaft der Ehegallen Dieht
mehr besteht nnd Dieht erwartet werden kann, daB die Ehegatlen sie wieder herstellen Die Zerriittnng wird
vermutet, wenn die Ehegatlen seit einem Jahr getrennt leben nnd die Scheidnng anstreben bzw. billigen, oder
wenn die Ehegatlen scit drei Jahren getrennt lebeD. Vgl. KObler, G.; PohI, H: Deutsch-Deutsches Rechtsworterbueh. S. 598 f..
283 Giesen, D.: Familienrecht Rdnr. 81.
284 MiinehenerKommentarzumBiirgerlichen Gesetzbueh. Bd. 7. 3. Aufl. MUnehen 1993. WoJf(Bearbeiter),
§ 1565 Rdnr. 13.
69
Die politische Wende in der ehemaligen DDR im Jahre 1989 und die imrner lauter werdende Forderung nach der staatlichen Einheit Deutschlands stellte auch an das Familienrecht neue Anforderungen. Auf Grundlage des Vertrages zwischen der BundesrepubJik Deutschland und der Deutschen
Demokratischen RepubJik vom 31.8. 1990 ist die staatliche Einheit Deutschlands durch Beitritt
gemiiB Art. 23 GG mit Wlfk:ung zum 3.10. 1990 hergestellt. 285 1m Rahmen der Beitrittsverhandlungen wurde die Frage imrner dringlicher, nach welchen Rechtsvorschriften die ehemaligen BOrger
der DDR leben sollten. Diese Problem stellte sich natiirlich auch im Familienrecht. Wie schon erwiihnt, hatte die DDR ein eigenstiindiges Familienrecht, das teilweise erheblich vom BGB abwich.
Das Familiengesetzbuch der DDR wurde noch 1990 von der demokratisch gewiihlten Volkskammer "entsozialisiert und reformiert in der offenk:undigen Absicht, ein eigenstiindiges Familienrecht in den Beitrittslandem wenigstens fur eine Ubergangszeit zu retten."286
Dieses Vorhaben geIang nur unvollkommen. Das novellierte Gesetz trat am 1.10. 1990 in Kraft;
bereits ab 3.10. 1990 gaIten jedoch die Bestimrnungen des Einigungsvertrages. Danach ist ab diesem Zeitpunkt fur die Beitrittsgebiete das Bundesrecht verbindlich. Das heiBt, daB nicht nur die ab
3.10. 1990 geschlossenen Rechtsbeziehungen, sondem auch die vor diesem Zeitpunkt schon bestehenden Rechtsverhiiltnissse wie beispielsweise lange vorher geschlossene Ehen dem bundesdeutschen Recht unterliegen. Wegen des Grundsatzes des Vertrauensschutzes muBten fur die vor dem
3.10.1990 geschlossenen Familienbeziehungen Ausnahrnen gemacht werden. 287 Diese Ausnahrnen
betreffen beispielsweise das Ehegiiterrecht. Wiihrend Eheleute in der DDR nach hier giiltigem
gesetzlichen Giiterrecht in Errungenschaftsgemeinschaft288 gelebt hatten, galt jetzt der gesetzliche
Giiterstand der Zugewinngemeinschaft. Binnen zwei Jahren konnte jedoch jeder Ehegatte durch
eine Erkliirung erreichen, daB der alte DDR-Giiterstand erhalten blieb. Eine weitere Ausnahrne
betraf die Unterhaltsanspriiche von geschiedenen Ehegatten. Diese werden weiterhin nach DDRRecht bemessen, wenn die Ehe vor dem 3.10.1990 geschieden wurde.289
285 Gesetz ZIl dem Vertrng vom 31. August 1990 zwischen der BundesrepubJik Deutschland und der Deutschen
Demokratischen RepubJik fiber die Herstellnng der Einheit Deutschlands - Einigungsvertrngsgesetz - und der
Vereinbarungvom 18. Sep1ember 1990 vom 23.09. 1990. BGBI. II 1990 S. 885 iI.
286 Schwab, D.: Familienrecht § 23, Rdnr. 16.
287 Diese Ausnahmen befinden sich insbesondere in Anlage I Kap. III Sachgebiet B des Einigungsvertrages und
haben als Art. 234 Eingang in das EGBGB gefunden.
288 Errungenschaflsgemeinschaft ist eine Form der Giitergemeinschaft, in der das von den Eheleuten in der Ehe
errungene Gut gemeinschaftiiches Vermogen wird, die vorehelichen Vermogen dagegen getreuntes Vermogen
des jeweiligen Inhabers bleiben (Vgl. § 13 1, II FGB).
289 Vgl. Schwab, D.: Familienrecht § 2a, Rdnr. 16.
70
2. Das Eherecht in der DDR
Bis zum 2. Oktober 1990 gab es in beiden deutschen Staaten zwei fast vollig unterschiedliche
Rechtsordnungen. Auch heute noch, mehrere Jabre nach der Wiedervereinigung, wirft dieser Fakt
eklatante Probleme bei der Bewertung rechtlicher Fragen aut: was Bosch zu dem Fazit veranlal3t:
"Auf deutschem Boden sind weiterhin zwei Teil-Rechtsordnungen (wenngleich das meiste vereinheitlicht ist) a1s regionales Bundesrecht vorhanden; soweit Verschiedenheiten fortbestehen, ist
immer wieder pri.mar damber zu befinden: Welche Teil-Ordnung ist in casu anwendbarTz90
Doch urn welche konkreten Unterschiede in Bezug auf das Eherecht handelt es sich? Urn das verstehen zu konnen, muB man sich a1s erstes die unterschiedlichen gesellschaftlichen und sozialen
Voraussetzungen in der Deutschen Demokratischen RepubJik und in der BundesrepubJik vergegenwiirtigen. Weiterhin stellt sich die Frage, welche Auswirkungen sie auf die heute geltende
Rechtslage haben:
1. In der ehemaligenDDRwarenetwa86-90%dererwerbsfl!bigenFrauenaucherwerbstiitig.so
daB die Frage des nachehelichen Unterhalts einer geschiedenen Ehefrau bisher nur in 2-3 % der
Flille bedeutsarn geworden ist.
2. Etwa 30"10 aIler Kinder wurden in der ehemaligen DDR nichtehelich geboren. In der Bundesrepublik ist die Zahl der nichtehelich geborenen Kinder wesentlich geringer.
3. Sowohl das eheliche Gtiterrecht a1s auch das Erbrecht spielten aufgrund der vergleichsweise
bescheidenen Vermogensverhli1tnisse in der DDR eine eher untergeordnete Rolle.'9' Dazu
schreibt Bosch: "Sobald auBerdem die aIlgemeinen Vermogensverhli1tnisse - nicht zuletzt infolge
der zu erwartenden Wertsteigerung nichtenteigneten Grundbesitzes - sich verbessert haben,
werden Ehegiiter- und Erbrecht wieder hochst bedeutsarne Regelungskomplexe (auch fur den
"einfachen Biirger") darstellen."z92
Nach dem Zweiten Weltkrieg kniipfte man jedoch auch in der Sov.1etischen Besatzungszone auf
dem Gebiet des Eherechts an biirgerlich-Iiberale Vorstellungen an. MaBgeblich war fur die Besatzungsmiichte "der Gedanke der Rechtseinheit in allen Besatzungszonen einschlieBlich Berlin'<293. So
war die sov.1etische Besatzungsmacht mitbeteiligt an der Verabschiedung des schon erwiihnten
neuen Ehegesetzes yom 20. Februar 1946, das a1s Gesetz Nr. 16 des Kontrollrates am 1. Miirz
1946 in Kraft trat.
290 Bosch, F. W.: Familien- und ErlJrecht a1s Themen der Reciltsangleichung nach dem Beitritt der DDR zur
BundesrepuhJik Dentschland FamRZ Jg. 38 (1991), H 7, S. 752.
291 Vgl. Bosch, F. W.: Familien- und EIbrecht a1s Themen der Recbtsang\eichung nach dem Beitritt der DDR zur
Bundesrepuh\ik Dentschland H 7, S. 753.
292 Bosch, F. W.: Familien- und EIbrecht a1s Themen der Recbtsangleichung nach dem Beitritt der DDR zur
BundesrepubJik Dentschland H 7, S. 753.
293 Zieger, G.: Die Entwicklung des Familienrechts in der DDR mit Berlin (Ost). In: Das Familienrecht in beiden
deutschen Staaten. Kiiln, Berlin, Bonn, Miinchen 1983. S. 42.
71
Doch schon bald wurde der Willen zur Rechtseinheitlichkeit durch Rechtsetzungsakte in den einzelnen Zonen modifiziert. Anfang 1947 wurden in den fiinfLandem der Sowjetischen Besatzungszone Verfassungen erlassen, ,,in denen sich tibereinstimmend im Katalog der Grundrechte und
Grundpflichten Siitze tiber die Gleichberechtigung beider Geschlechter mit dem Gebot finden,
gesetzliche Bestimmungen aulZuheben, die der Gleichberechtigung der Frau entgegenstehen. Auch
die Abschaffimg aIIer Diskriminierungen wegen auBerehelicher Geburt wurde in den Verfassungstexten postuliert.,,294 Die erste Verfassung der DDR vom 7. Oktober 1949295 tibernahm diese in den
Landerverfassungen verankerten Vorstellungen tiber die Gleichberechtigung der Frau sowie tiber
die Gleichstellung des nichtehelichen Kindes mit dem ehelich geborenen Kind.
Wichtig fur die Entwicklung des Eherechts in der DDR sind die §§ 12-17 des Gesetzes tiber den
Mutter- und Kinderschutz und die Rechte der Frau vom 27. September 1950296 : "Von Gewicht
sind die Vorschriflen, die das AIleinbestimmungsrecht des Mannes in den ehelichen Angelegenheiten durch das gemeinsame Entscheidungsrecht beider Eheleute ersetzt haben. Das gilt insbesondere
auch fur das gemeinsam auszutibende Recht der elterlichen Sorge, wie es jetzt hellit.... A1s gesellschaftspolitisch besonders bedeutsam angesehen wird die Bestimmung, daB die Frau durch die EheschlieBung nicht gehindert werden da.rf; einen Beruf auszutiben oder ihrer Fortbildung nachzugehen, selbst wenn dies eine zeitweilige Trennung der Eheleute bedingt.'<297
Diese zuletztgenannte Vorschrifl steht im Widerspruch zu dem in der Bundesrepublik bis zur Reform des § 1356 BGB postulierten Leitbild der Hausfrauenehe. Zwar wurde es im 1. EheRG 1976
nunmehr durch das "der gleichberechtigten, von Vereinbarungen der Ehegatten gestaltete Leitbild
der Partnerschaft in Beruf und Haushalt ersetzt". 298 Doch Thie1mann erg1i.nzt dazu kritisch: ,,Aber
die alte Regelung war jedenfalls in den letzten Jahren ihrer Geltung weitgehend dispositiv aufgefaBt
worden und damit eher Ankntipfungspunkt fur Reformpropaganda denn Rechtswirklichkeit. Das
Gleichberechtigungsgesetz hatte das Leitbild der Hausfrauenehe nur insofem modifiziert, als die
Frau den Haushalt nunmehr in eigener Verantwortung fiihrte, wiihrend vorher dem Mann das Entscheidungsrecht in allen Angelegenheiten des gemeinschafl1ichen Ehelebens zustand."299
Auch Bosch sieht in § 1356 BGB i.d.F. von 1976177 keine grundlegende Anderung: "Die Verpflichtung des Mannes, sich an der Haushaltsfuhrung zu beteiligen, konnte friiher durchaus schon
aus § 1353 I BGB hergeleitet werden; und die Be:fugnis der Frau zur Erwerbstiitigkeit (ebenso wie
die Erwerbsaufgabe des Mannes) bestand, soweit familienvertriiglich, auch schon gemiiB dem Text
von 1957. 1m tibrigen unterstreicht die Unterhaltspflichtnorm des § 1360 S.2 BGB nach wie vor,
294 Zieger, G.: Die Entwicklung des Familienrechts in der DDR mit Berlin (Ost). S. 44.
295 Gesetz fiber die Verfassung der Dentschen Demokratischen Republikvom 07.10. 1949. GEl. DDR 1949 S. 5 IT..
296 Geselz fiber den Mutter- und Kinderschutz und die Rechte der Frau vom 27.09. 1950. GEl. DDR 1950 S. 1037
II.
297 Zieger, G.: Die Entwicklung des Farnilienrechts in der DDR mit Berlin (Ost). S.47.
298 Thielmaun, G.: Die Entwicklung des Familienrechts im Bnndesgebiet mit Berlin (West) seit 1949. In: Das
Farnilienrecht in beiden deutschen Staaten. Koln, Berlin, Bonn, Miinchen 1983. S. 18.
72
daB Haushaltsfiihrung,,in der Regel" eine genugende faktische Beitragsleistung zum Familienunterhalt bedeutet."300
Kritisiert wird vor allem, daB der Gesetzgeber kein konkretes anderes Lebensmodell normiert.
Nach Lochens Ansicht bieten sich fUr die Eheleute in der Praxis die folgenden drei Varianten:
"a) die Haushaltfiihrungsehe, die wohl ganz uberwiegend eine Hausfrauenehe klassischer Art sein
diirfte,
b) die Doppelverdienerehe, bei der beide Ehegatten erwerbstiitig sind und
c) die Zuverdienstehe, in der der haushaltsfiihrende Partner einer Tellzeitbeschiiftigung nachgeht.''''01
1m Vergleich dazu geht der DDR-Gesetzgeber von der Erwerbstatigkeit beider Ehegatten aus und
betrachtet die Haushaltsfiihrung eines Ehegatten nur a1s Sonderfa1l der Unterhaltsleistung3<l2:
,,§ 1012 FGB a.F. und n.F. bemerkten fast gleichlautend, auch in der Fami1ie mit Kindem seien die
Beziehungen der Gatten zueinander "so zu gestalten, daB beide die Elternschaft mit berutlicher
Tiitigkeit vereinbaren konnen". In der friiheren Fassung des § 10 FGB war besonderer Nachdruck
darauf gelegt, da/3 die Frau in den Stand gesetzt sein musse, ,,ihre berufliche und gesellschaft1iche
Tiitigkeit mit der Mutterschaft vereinbaren" zu konnen.''''03
Das schon erwiihnte Fami1iengesetzbuch wurde am 20. Dezember 1965 mit einem Einfiihrungsgesetz erlassen und trat am 1. April 1966 in Kraft.304 Es ersetzt das 4. Buch des BGB und einzelne
Bestimmungen des Allgemeinen Tells sowie des 5. Buches des BGB, das Gesetz fUr rugendwohlfahrt von 1922, die EherechtsVO von 1955, die Verordnung uber die Annahme an Kindesstatt von
1956 sowie die kollisionsrecht1ichen Bestimmungen des EGBGB zum Fami1ienrecht"°5. Systematisch gesehen, enthiilt das Fami1iengesetzbuch einen vier Paragraphen urnfassenden Ersten Tei~ der
sich auf die Festlegung von Grundsiitzen konzentriert. Der Zweite Tell befal3t sich mit der ,,Ehe",
der dritte Teil beschiiftigt sich mit dem Thema ,,Eltem und Kinder". Der Vierte Tell regelt die
"Verwandtschaft1ichen Beziehungen", der Fiinfte Tell die "Vormundschaft und Ptlegschaft". Der
Sechste Telllegt die "VeIjiihrungsbestimmungen" fest. 306
299 Thielmann, G.: Die Entwicklung des Familienrechts im Bundesgebiet mit Berlin (West)seit 1949. S. 18 f..
300 Boscb, F. W.: Familien- und Emrecbt a1s Themen der Recbtsangleichung nach dem Beitritt der DDR zur
Bundesrepublik Deutschland. FamRZ Jg. 38 (1991), H. 9, S. 880.
301 Locben, H.-H.: Eherecht in der DDR und in der Bundesrepublik Deutschland. In: Das Familienrecht in den
beiden dentschen Staaten. K61n, Berlin, Bonn, Miinchen 1983. S. 87.
302 § 12 II 1 FGB.
303 Bosch, F. W.: Familien- und Etbrecht a1s Themen der Rechtsangleichung nach dem Beitritt der DDR zur
Bundesrepublik Dentschland. H. 9, S. 880.
304 Fami1iengesetzbuch der DDR vom 20. Dezember 1965. GBI. DDR I 1966 S.1 II. ; Einfiihrungsgesetz ztUn
Familiengesetzbuch der Deutschen Demokratischen Republik OBI. 1966 I S. 19 II..
305 Vgl. § 27 Einfiihrungsgesetz zum Familiengesetzbuch der DDR
306 Vgl. Zieger, G.: Die Entwicklung des Familienrechts in der DDRmit Berlin (Cst). S. 63.
73
In beiden deutschen Rechtsordnungen haben die Gesetzgeber darauf verzichtet, Rechte und
Ptlichten der Eheleute im Gesetz festzulegen. Das BGB gibt lediglich in der Genera1k1ausel des
§ 1353 I 2 einen Hinweis auf die eheliche Lebensgerneinschaft. Das FGB wird hierbei genauer:
,,Danach sollen Mann und Frau auf der Grundlage volliger Gleichberechtigung zusammenleben,
einen Haushalt fuhren und alle gerneinsamen Angelegenheiten in beiderseitigem Einverstiindnis
regeln. ,,307
Unterschiede bestehen aber auch in anderen Bereichen. So kennt das FGB zwar ebenso wie das
BGB das Verlobnis, doch ergeben sich daraus keine Anspriiche und Pflichten. Insofem hatten
Verlobte in der DDR keinen AngehOrigenstatus im materiellen Strafrecht und ihnen standen folglich
auch keine prozeBrechtlichen Privilegien wie das Zeugnisverweigerungsrecht zu: ,,Dagegen gilt die
Regelung von Verlobung und Brautstand im BGB der Familienrechtswissenschaft der DDR als
geradezu klassischer Nachweis fUr den vermogensrechtlichen Charakter zwischenmenschlicher
Beziehungen in der biirgerlichen Rechtsordnung. Insbesondere die hOchstrichterliche Rechtsprechung der Bundesrepublik zum sogenannten Kranzge1d des § 1300, den das Oberste Gericht der
DDR schon 1952 fUr verfassungswidrig erkliirt hatte, erfiihrt immer wieder herbe und bisweilen
polemische Kritik:. ,"'OB
Eng damit verbunden ist die Aussage, daB die Ehe in der sozialistischen Gesellschaftjegliche Versorgungsfunktion verloren habe und ihr vermogensrechtlicher Charakter vollig zuriickgetreten sei.
Folglich sei das Familienrecht auch nicht als Teil des Zivilrechts, sondern als eigenstandiger Rechtszweig auiZufassen.'09
Die Ausgestaltung des Ehegiiterrechts im FGB laBt sich mit der Errungenschaftsgemeinschaft des
BGB vergleichen. Durch die Vermeidung des Begriffs "Giiterrrecht" soli auch an dieser Stelle
" - die man im DDR-Schrifttum bemerkt - rein auBerlich die Unterordnung der ehelichen VermOgensbeziehungen unter die personlichen Beziehungen der Ehegatten verdeutlicht werden.''''10
In § 8 FGB sind vier Eheverbote aufgefuhrt:
1. die Doppelehe, die bei Vorsatz fUr beide Partner strafbar ist,
2. die Ehe zwischen Verwandten gerader Linie, Geschwistem und Halbgeschwistem,
3. die Ehe zwischen Adoptierendem und seinem Adoptivkind sowie
4. die Ehe eines Entrniindigten.
307 Lochen, Ii-Ii: Eherecht in der DDR und in der Bundesrepublik Deutschland S. 85 f ..
308 Lochen, Ii-Ii: Eherecht in der DDR und in der Bundesrepublik Deutschland S.78 f.; Zur Aufhebung des
§ 1300 BGB sieheKap. F. ill. 3.b), S. 77 ff..
309 Vgl. Lochen, Ii-Ii: Eherecht in der DDR und in der Bundesrepublik Deutschland S. 75.
3 1() Zieger, G.: Die Entwicklung des Familienrechts in der DDR mit Berlin (Ost). S. 64.
74
Die beiden letzten Eheverbote entfallen mit der Aufhebung der Adoption311 oder der Entmiindiguni'l2.
Die DDR ging schon 1955 im Scheidungsrecht yom Verschuldens- auf das Zerriittungsprinzip
tiber, dieser Schritt erfolgt in der Bundesrepublikerst 1977. An die Ehescheidung in der DDR
wurden aIIerdings hohe gesellschaftliche Anforderungen gestellt: Eine Ehe durfte in der DDR nur
geschieden werden, "wenn das Gericht nach sorgfiiltiger Priifung der Interessen aIIer BeteiJigten,
insbesondere der mindeIjahrigen Kinder, ernstliche GrUnde feststellt, aus denen sich ergibt, "daB
diese Ehe ihren Sinn fur die Ehegatten, die Kinder und damit fur die Gesellschaft verloren hat".
Wenn die Ehe ihren Sinn fur beide Partner und die Kinder verloren hat, ist sie damit auch automatisch fur die Gesellschaft sinnlos. Ein Sinnverlust nur fur die BeteiJigten oder nur fur die Gesellschaft gih wegen der in der DDR stets vorausgesetzten Ubereinstimmung individueller und gesellschaftlicher Interessen nicht als denkbar."313 Bis in die erste Hiilfte der 70er Jahre waren die DDRGerichte gehalten, "strenge MaBstiibe bei der Scheidung anzulegen und aile verfahrensrechtlichen
Moglichkeiten auS2llschOpfen, urn eine Scheidung zu vermeiden. Durch die Einrichtung von Eheund Familienberatungsstellen und die Einschaltung gesellschaftlicher Kriifte sollte diese Politik
abgestiitzt werden."314
Ein Ehegattenunterhalt nach der Scheidung ist im DDR-Recht eigentlich nicht vorgesehen. Nach
der RegeJung in der Eherechtsverordnung von 1955 steht lediglich, daB ,,nur bei Unzumutbarkeit
eigener Erwerbstatigkeit aus besonderen GrUnden, wie Kindererziehung, Krankheit oder Berufsausbildung, bis zur Dauer von zwei Jahren - in besonderen Ausnahrnefiillen auch dariiber hinaus ein Unterhalt dem fiiiheren Ehepartner zugesprochen werden kann. Damit wird im Ergebnis auf die
Frau ein mittelbarer Zwang ausgeiibt, einen Berufzu ergreifen oder sich einer Ausbildung zu unterziehen."315
Der Vergleich der beiden deutschen ehegesetz1ichen Regelungen verdeutlicht, daB erhebliche Unterschiede im Bereich des Eherechts bestehen. Diese Diskrepanzen zeigen sich nicht nur in der
Bewertung der Institution ,,Ehe" als soJche, sondern auch in unterschiedlichen Rechtsauffassungen
zu verschiedenen eherechtlichen Angelegenheiten. Inwieweit diese unterschiedlichen Rechtsauffassungen nach der Wiedervereinigung und der dazugehOrigen Rechtsvereinheitlichung zu Kommunikationsbarrieren fiihren, soil Gegenstand der empirischen Untersuchung sein.
311
312
313
3 14
315
§78IFGB.
§ 460 TIl ZGB.
Lochen, R -R: Eherecht in der DDR und in der Bundesrepublik Deutschland. S. 91.
Zieger, G.: Die Entwicklung des Familienrechts in der DDR mit Berlin (Ost). S. 67.
Zieger, G.: Die Entwicklung des Familienrechts in der DDR mit Berlin (Ost). S. 66.
75
3. Neue Tendenzen im Eherecht
a) Das neue Familiennamensrechtsgesetz
Am 1.4. 1994 ist das neue Familiennamensrechtssgesetz in Kraft getreten. 316 Damit wurde ein
vorlaufiger SchluBpunkt unter die jahrelange Diskussion urn eine Neuordnung des Namensrechts
gesetzt. Ausgangspunkt war der in § 1355 I BGB a.F. normierte Zwang zur Namensgemeinsamkeit
in der Ehe, der noch im Jahre 1988 vom Bundesverfassungsgericht fur verfassungsrechtlich unbedenklich erkliirt worden war. 317 Gleichwohl, so argumentierte das Bundesverfassungsgericht, gebiete die Verfassung auch keine Namenseinheit, deshalb gehore diese Frage zum Gesta1tungsermessen des Gesetzgebers. Zweifel iiuBerte das Gericht schon dama1s an der VerfassungsmiiBigkeit des § 1355 II 2 BGB aF., der die subsidiiire Geltung des Mannesnamens bei fehlender Namenswahl regelte. Daraufhin flannnte die Diskussion urn eine Namensrechtsreform wieder aufund
fand durch den BeschluB des Bundesverfassungsgerichts vom 15.3. 1991 neue Nahrung'18: "In
Ermangelung einer geschlechtsneutralen Auffangregel fur einigungsunfiihige Verlobte erofihete das
BVerfG diesen im Rahmen einer Ubergangslosung erstmalig die Moglichkeit, die beiderseits gefuhrten Namen in der Ehe beizubehalten und - bei der Geburt von gemeinsamen Kindem - den
Mutter- oder Vaternamen als Kindesnamen zu bestimmen (. .. ) oder dem Kind einen Doppe1namen
zu erteilen. Bei Uneinigkeit der Eltem erhielt das Kind einen Doppe1namen, wobei iiber die Reihenfolge der Namensteile das Los entscheiden sollte."319 Das Bundesministerium der Justiz und die
Bundesregierung versuchten durch einen Gesetzentwurf der vom Bundesverfassungsgericht vorgegebenen Ubergangslosung gerecht zu werden. Dieser Gesetzentwurf scheiterte jedoch 1993 im
Parlament. Die dadurch entstehende Liicke wurde zunachst durch eine ,,Koalitionsvereinbarung"
iiber die Grundziige eines zukiinftigen Gesetzes vom 22.4. 1993 geschlossen. Auf dieser Grundlage
erstellte der RechtsausschuB einen neu formulierten Gesetzentwurt; der am 28.10. 1993 den Bundestag und am 26.11. 1993 mit knapper Mehrheit auch den Bundesrat passierte. 320
1m Foigenden sollen in einer kurzen Ubersicht die Grundlagen, Anderungen sowie auch die Kritikpunkte des neuen Gesetzes vorgestellt werden. Nach § 1355 I BGB sollen die Ehegatten einen gemeinsamen Namen, den Ehenamen, bestimmen. Sie konnen aber auch die bisherigen Namen weiterfuhren. Insofem nimmt das Gesetz gegeniiber der Entscheidungsfreiheit der Ehegatten keine
neutrale Haltung ein: ,,Die Einkleidung der Wahlvorschrift zugunsten eines Ehenamens als Sollvorschrift (... ) driickt eine gesetz1iche Priiferenz aus, Ehename und getrennte Namensfiihrung werden
nicht als gleichwertige Alternativen angesehen. Diese Haltung liegt auch den gesetzlichen Folgere-
316
317
318
319
320
Gesetz zur Neuordnung des Familiennamensrechts (FamNamRG) yom 16.12. 1993. BGB!. I 1993 S. 2054 ff..
BVerfGE 78, 38, (38).
EntscheidungdesBundesverfassungsgerichts. AbgedrucktinBGB!. I 1991 S. 807.
Coesler, M: Das neue Familiennamensrechtsgesetz. Familie undRecht (=FuR) 1994, H. L S. 1.
BR-Drucksache 789/93. S. 1 ff..
76
gelungen zugrunde.'d2l Fiihren die Ehegatten ihren Geburtsnamen oder den zur Zeit der EheschlieBung gefiihrten Namen auch nach der EheschlieBung weiter, so konnen sie einen gemeinsamen
Familiennamen nur in einer Frist von fiinf Jahren seit dem Tage der EheschlieBung bestimmen.
Auch diese Vorschrift unterstreicht die in § 1355 I 1 BGB getroffene Priiferenz des Gesetzgebers.
Zum Ehenamen konnen die Eheleute den Geburtsnamen der Frau oder den Geburtsnamen des
Mannes wiihlen. Einen aus beiden Geburtsnamen zusammengesetzten Doppelnamen konnen die
Eheleute nicht zum Ehenamen bestimmen. Es besteht aber die Moglichkeit, daB der Ehepartner,
dessen Geburtsname nicht zur Bestimmung des Ehenamens herangezogen winl, seinen Geburtsnamen dem Ehenamen voranstellt oder anfiigt. Dabei handelt es sich allerdings urn einen ,,hochstpers6n1ichen Namensbestandteil'<322, der nicht an die Kinder weitergegeben werden kann. Das Recht
auf einen Begleitnamen muE allerdings dann weichen, wenn dadurch Namensketten entstehen.
Wenn also schon der Ehename zweigliedrig ist, so darfkein weiterer Begleitname gewiihlt werden.
1st dagegen der als Begleitname infrage kommende Name zweigliedrig, kann sein Trager nur eine
(zu wiihlende) Hiilfte davon dem Ehenamen hinzufiigen323 Diese Vorschrift bietet AnIaB zur Kritik:
"So unabweisbar legitim die Abwehr von Namensketten ist, so darf doch nicht iibersehen werden,
daB damit den Tragem von Doppelnamen ein Handicap im VerhandlungsprozeB urn die Namenswahl auferlegt wird: Setzen sie sich durch, kann der andere Teil seinen Namen nicht einmal als
Begleitnamen retten, wiihrend bei urngekehrter Wahl der Doppe1namen-Trager immerhin eine
Hiilfte seines Namens als Begleitnamen weiterfiihren konnte. Diese Ungleichgewichtigkeit ware
entschiirit, wenn auch nur ein Glied eines (Geburts-) Doppe1namens zum Ehenamen gewiihlt werden konnte.'<324 Fiir "Altehen", das heiBt Ehen, die vor Inkrafttreten des neuen Gesetzes geschlossen wurden, gibt es eine Ubergangsregelung von einem Jahr. Innerhalb dieser Frist konnen die
betroffenen Eheleute Namensanderungen entsprechend dem neuen Recht vomehmen lassen.
Die Rechtslage fur den Kindesnamen ist durch das Gesetz zur Reform des Kindschaftsrechts'25 neu
geregelt worden. Die bis dabin bestehende unterschiedliche Behandlung von ehelichen und nichtehelichen Kindem wurde aufgehoben. Grundsiitzlich erhiilt das Kind den Ehenamen seiner Eltem
als Geburtsnamen.'26 Fiihrendie Eltem keinen Ehenamen und steht ihnen die Sorge fur das Kind
gemeinsam zu, bestimmen die Eltem gemeinsam durch Erklarung gegeniiber dem Standesbeamten
den Namen des Vaters oder der Mutter zum Geburtsnamen des Kindes.'21 Treffen die Eltem binnen
eines Monats nach der Geburt des Kindes keine Bestimmung, iibertriigt das Familiengericht das
321
322
323
324
325
326
327
Coesler, M.: Das neue Familiennamensrechtsgesetz. S. 1.
Coesler, M.: Das neue Familiennamensrechtsgesetz. S. 2.
§§ 1355 IV 2 , 1355 IV 3 BGB.
Coester. M.: Das neue Familiennamensrechtsgesetz. S.2.
Geselz zur Refonn des Kindschaftsrechts yom 16.12. 1997. BGBI. I 1997 S. 2942 ff..
§ 1616 BGB.
§ 1617 I BGB.
77
Bestimmungsrecht einem Eltemteil328 : ,,Dies kann (besser: sollte) mit einer Fristsetzung verbunden
werden; nach Ablauf der Frist erhiilt das Kind !craft Gesetzes den Familiennamen des begiinstigten
Eltemteils. Obwohl diese Regelung praktisch auf eine richterliche Namenswahl hinauslauft, ist sie
zu begriiBen: Ubt der begiinstigte Eltemtei1 sein Bestimmungsrecht nicht ausdriicklich aus, wird
eine weitere Eskalation des Eltemstreits vermieden; sein Name setzt sich dennoch durch. ,<329 Fiihren
die Eltem keinen Ehenamen und steht die elterliche Sorge nur einem Eltemteil zu, so erhiilt das
Kind den Namen, den dieser Eltemteil im Zeitpunkt der Geburt des Kindes fiihrt.330
b) Die Neuordnung des EheschlieBungsrechts
Die EheschlieBung sowie die Nichtigkeit und Aufhebbarkeit von Ehen waren bislang im Ehegesetz
geregelt, das diese Materie 1938 aus dem Biirgerlichen Gesetzbuch herausgelost hat und seinerseits
1946 als Kontrol!ratsgesetz neu erlassen worden ist. In der Bundesrepublik wurde 1976 mit dem
ersten Gesetz zur Reform des Ehe- und Familienrechts das Scheidungsrecht des Ehegesetzes abgelost und wieder in das BGB eingeordnet. In der DDR wurde das Kontrollratsgesetz bereits 1955
durch eine Verordnung abgelost, deren Inhalt sich im Familiengesetzbuch der DDR von 1965
wiederfindet. Bei den Verhandlungen zurn Einigungsvertrag wurde deutlich, daB das Ehegesetz nur
vorlaufig und mit dem Ziel in die neuen Lander iibergeleitet werden sollte, moglichst schnell durch
ein neues EheschlieBungsgesetz abgelost zu werden.
Der Handlungsbedarf erklarte sich aus der Tatsache, daB eine Reihe von Vorschriften des Ehegesetzes nicht mehr zeitgemiiB erschien, dariiber hinaus waren einige Regelungen entbehrlich geworden und ihre Anwendung stellte eine unnotige Belastung der Verwaltung aber auch der Rechtspflege dar. Es bestand daher die Notwendigkeit, das EheschlieBungsrecht an die veranderten Bedingungen anzupassen und das reformierte und gestraffie EheschlieBungsrecht unter Ablosung der
iiberholten Kontrollratsvorschriften in das Biirgerliche Gesetzbuch zuriickzufiihren.
Das aus diesem Reformiiberlegungen entstandene Gesetz zur Neuordnung des EheschlieBungsrechts ist nunmehr am 1. Juli 1998 in Kraft getreten. 33! Durch das Gesetz wird das datenschutzrechtlich bedenkliche Aufgebot abgeschaffi:. Nach bisher geltender Rechtslage wurden durch den
offentlichen Aushang des Aufgebots Dritte aufgefordert, etwaige rechtliche Hindemisse anzuzeigen, die einer EheschlieBung entgegenstehen. Nach der Begriindung im Gesetzentwurf erfiillte das
Aufgebot diese Funktion aber besonders in groBeren Stadten und Gemeinden nur noch unzureichend, da es kaum noch zur Kenntnis genommen wurde 332
Weiterhin wird der Katalog der Eheverbote gekiirzt. Dazu gehort der Wegfall des Eheverbots der
Schwagerschaft, "da zu seiner Rechtfertigung keine "medizinischen (oder) erbbiologischen Griin328
329
330
331
§ 1617 II 1 BGB.
Coesler. M: Das neue FamiJiennamensrechtsgesetz. S. 5.
§ 1617aIBGB.
Gesetz zur Neuordnung des Eheschlie6ungsrechts vom 04.05. 1998. BGBI. I 1998 S. 833 ff..
78
de" zu finden seien und ohnehin schon in erheblichem Umfang Befreiung gewiihrt werde".333 Abgeschaffi: wird auch das Eheverbot der Wartezeit fur die Frau. Es besagte, daB eine Frau nicht vor
Ablauf von zehn Monaten nach der AufJosung oder NichtigerkliirUng ihrer friiheren Ehe eine neue
Ehe eingehen solle, es sei denn, daB sie inzwischen geboren hat. 334 Dieses Eheverbot war bereits
nach bisher geltendem Recht nicht sanktionsbewehrt: ,,Eine verbotswidrig vor AbJauf der Wartezeit
geschlossene Ehe kann weder fur nichtig erkliirt noch aufgehoben werden.... Der Sinn des Verbots,
konkurrierende Ehelichkeitsvermutungen von vomherein auszuschlieBen, ist zudem durch § 1600
BGB weitgehend obsolet geworden: Diese Vorschrift statuiert einen Vorrang der fur die Zweitehe
sprechenden Ehelichkeitsvermutung, wenn ein Kind innerhalb von 302 Tagen nach AufJosung der
ersten Ehe seiner Mutter, zugleich aber nach Eingehung einer neuen Ehe durch die Mutter geboren
wird."335
Als drittes Eheverbot wird das fehlende Auseinandersetzungszeugnis beseitigt. So besagte der
bisher geitende § 9 EheG, daB deIjenige, der ein Kind hat, fur das er sorgen mull, die Ehe nicht
eingehen soil, bevor er ein Zeugnis des Vormundschafisgerichts dari.iber beigebracht hat, daB er
dem Kind gegeniiber die ihm aus AnIaB der EheschlieBung obliegenden Pflichten erfullt hat oder
daB ihm solche Pflichten nicht obliegen. Auch dieses Eheverbot war bereits vom geitenden Recht
sanktionsios gestellt und erschien dari.iber hinaus inhaltlich zu weitgehend: "Wrrtschafilichen Nachteilen fur ein Kind oder einen Abkommling infoige der EheschlieBung kann schon durch eine Anzeige des Standesbearnten gegeniiber dem Vormundschaftsgericht begegnet werden; dem Vormundschaftsgericht wird auf diese Weise die Moglichkeit erofihet, erforderliche SchutzmaJ3nahmen
zugunsten des Kindes zu treffen.'''36
Durch das Gesetz werden auch die Formalitaten, die bei der EheschlieBung mit Ausiandern zu
beachten sind, vereinfucht. Dabei werden zwei wesentliche Modifikationen vorgenommen: ,,zum
einen wird der Kreis der Personen, die vor der EheschlieBung ein Eheflihigkeitszeugnis beizubringen haben, neu bestimmt. Zurn anderen erlaubt § 1309 BGB-E ki.inftig eine partielle Lockerung der
an solche Zeugnisse gestellten Anforderungen.'''37
Durch das neue Gesetz wird ferner das sogenannte ,,Kranzgeld" aus § 1300 BGB ersatzios gestrichen. Das Kranzgeld beinhaltete den Anspruch einer unbescholtenen Verlobten, die ihrem Verlobten die Beiwohnung gestattet hatte, auf eine billige Entschiidigung in Geld wegen des Schadens, der
nicht Vermogensschaden ist. Voraussetzung war der Riicktritt des Verlobten oder der vom Verlobten schuldhaft veraniaBte Riicktritt der Verlobten vom Verlobnis. Diese Vorschrift ist als
332 Siebe dazu BR-Drucksache 79/96, S. 33.
333 Finger, P.: Zur Neuordnung des EbescbIie/lungsreciltS. FuR 1996, R 2, S. 125.
334 § 8 I EbeG. Das gesamte Ehegesetz wird durch das Gesetz zur Neuordnung des Ebeschliellnngsrechts aufgehoben.
335 BR-Drucksache 79/96, S. 33 f..
336 BR-Drucksache 79/96, S. 34.
337 BR-Drucksache 79/96, S. 39.
79
,,rechtspolitisch iiberholt,,338 anzusehen. Bei eventuellen Bediirfuissen fur den Ersatz verminderter
Heiratsaussichten oder anderen immateriellen Schadens konnten im Einzelfall Ersatzanspriiche nach
§ 825 BGB geltend gemacht werden. hn fibrigen errnogIiche die vorgeschlagene Streichung des
§ 1300 BGB den Riickgriff auf die allgemeinen Schadensersatzvorschriften der §§ 823 ff., § 847
BGB, wobei die von der Rechtsprechung herausgebildeten Grundsatze zum Schadensersatz wegen
Verietzung des allgemeinen Personlichkeitsrechts einen hinreichenden Rechtsschutz sicherstellten. 33•
Eine weitere Anderung besteht darin, die Nichtigkeit und die Aufhebbarkeit der Ehe zu einem
einheitlichen Rechtsinstitut zusammenzufassen. Die Unterschiede zwischen einer nichtigen Ehe und
einer aufhebbaren Ehe sind nicht unerheblich, "denn immerhin beseitigt die gerichtlich ausgesprochene Nichtigkeit (...) die Ehe mit riickwirkender Kraft, wiihrend die Eheaufhebung ,)ediglich in die
Zukunft wirkt"."340 Diese ,,zweispurigkeit" der MogIichkeiten zur Beseitigung einer fehlerhaft
zustandegekomrnenen Ehe erschwerte die Uberschaubarkeit und Handhabbarkeit des geltenden
Rechts, wurde in der Begriindung des Gesetzentwurfes argumentiert. Es erschien daber geboten, in
Anpassung an das tatsiichlich geltende Regel-Ausnahme-Verhiiltnis kUnftig allein die Aufhebung als
Weg zur Beendigung einer anfangIich fehlerhaften Ehe mit Wrrkung ex nunc vorzusehen 341
hn Zusammenhang mit notwendigen Folgeanderungen im Personenstandsrecht erofihet das neue
Eheschlief3ungsrecht auf3erdem die Moglichkeit, totgeborene Kinder auf Wunsch ihrer Eltern mit
einem Vor- und Familiennamen im Geburten- und Familienbuch einzutragen, da diese Regelung
den vielfach geiiuf3erten Bediirfhissen der betroffenen Eltern Rechnung tragt342
Zusammenfassend laf3t sich sagen, daB die Neuordnung dieser Rechtsmaterie dazu beitriigt, daB das
Eheschlief3ungsrecht an die veranderten Verhiiltnisse angepaf3t und die Eheschlief3ung von unnotigem Verwaltungsaufwand befreit wird.
4. Die historische Entwicklung des Kindschaftsrechts
1m Verwandtschaftsrecht nehmen die Beziehungen zwischen Eltern und Kindern einen grof3en
Raum ein. Die einst starke Rolle der Verwandtschaft als "Schutz- und Rechtsgemeinschaft,,343 ist
verblaf3t. Doch auch heute noch gibt es fiber die Eltern-Kind-Beziehung hinaus innerhalb der Verwandtschaft vielfaltige Rechtswirkungen, die an dieser Stelle nur angedeutet werden konnen, da
das schwerpunktmaf3ige Interesse auf dem Kindschaftsrecht und der daraus erwachsenden ElternKind-Beziehung liegt.
338
339
340
341
342
343
BR-Drucksache 79/96, S. 37.
Vgl. BR-Drucksache 79/96, S. 37.
Finger, P.: Zur Nenordnung des EheschlieBungsrechts. S. 126.
VgI. BR-Drucksache 79/96, S. 35.
Vgl. BR-Drucksache 79/96, S. 36.
Schwab, D.: Familienrecht S. 198, § 40, Rdnr. 374.
80
Unterschieden wird die Verwandtschaft in gerader Linie und die Verwandtschaft in der SeitenJinie.
In gerader Linie sind Personen miteinander verwandt, wenn eine Person von der anderen abstammt,
beispielsweise Vater und Sohn oder GroBvater und Enkel. Personen, die nicht in gerader Linie
miteinander verwandt sind, aber von der selben dritten Person abstammen, sind in der Seiteniinie
verwandt. Dazu gehOren zum Beispiel Geschwister, Vettem oder Onkel und Neft'e.
Folgende Wirkungen sind fur das Verwandtschaftsverhiiltnis grundlegend:
1. Die Verwandtschaft begriindet nach MaBgabe einer gestuften Rangfolge ein gesetzliches Erbrechf44 , von dem der Erblasser jedoch durch Erbvertrag oder Testament abweichen kann. Abkommlinge und Eltem des Erblassers haben aIlerdings auch in diesem Fall einen Anspruch auf
den pflichtteil345 .
2. Verwandte in gerader Linie schulden bei Bediirftigkeit einander Unterhalf46 .
3. 1m Faile der Vormundschaft kommt den Verwandten und Verschwiigerten des Miindels eine
wesentliche Rolle zu. Dieser Personenkreis ist mangels anderer Bestimmung der Eltem zunachst
bei der Vormundschaft zu berucksichtigen und ist auch bei der Wahl des Vormunds zu horen347 •
4. Verwandtschaft und Schwiigerschaft sind auBerdem Grund fur rechtliche Beschriinkungen wie
Eheverbote348 oder der AusschluB des Richters in Sachen seiner Verwandten und Verschwagerten349 und rechtliche Vergiinstigungen wie das Zeugnisverweigerungsrechf50 oder das Auskunftsverweigerungsrechf 51 .'52
Auch das Kindschaftsrecht war und ist - wie schon beim Eherecht gezeigt- einer historischen Entwicklung sowie einem Wertewandel unterworfen. 1m romischen und germanischen Recht war die
Einzeipersoniichkeit noch nicht dominierend. Die Rechtsstellung des einzelnen beruhte auf der
ZugehOrigkeit zu einer Sippe, einer blutgebundenen Gemeinschaft her. Die Sippe basierte auf einem
Stammvater, dem sogenannten Ahnen: Sie urnfuBte "die sich von einem gemeinsamen Stammvater
herleitende Nachkommenschaft, Manner und Frauen, soweit die Abstammung durch Manner vermitteit war. Die Sippe beruhte auf dem Vaterrecht, bei dem die Familienbildung yom Vater ausgeht
(Vaterfarnilie). Ein Mutterrecht, bei dem die Familien- und Verwandtschaftszugehorigkeit von der
Mutter ausgeht (Mutterfamilie, Mutterfolge), haben weder die Indogermanen noch die Germanen
gekannt."353 Folglich war in dieser Zeit auch die Machtstellung des Vaters tiber die Kinder - umschrieben mit den Begrifi'en "patria potestas" und ,,Muntgewalt" - grundlegend. Das Kind unter344
345
346
347
348
349
350
351
352
Siehe §§ 1924-1930 BGB.
Siehe § 2303 BGB.
Siehe §§ 1601 ff. BGB.
Siehe § 1779 II 3 und § 1779 III 1 BGB.
Siehe §§ 4, 21 EheG.
§ 41 NrJ ZPO, § 22 NrJ StPO.
Siehe § 52 I NrJ StPO.
§ 55 I StPO.
Vgl. zu den rechtlichen Wirkungen von Verwandtschaftsbeziehungen Schwab, D.: Familiemecht. § 41,
Rdm.378ff..
81
stand der patriarchalischen Herrschaft, aus der sich fur den Vater weitgehende Rechte iiber die
Person und das Vermogen des Kindes, aber auch Pflichten ableiteten. Nach When Rechtsquellen
konnte der Vater das Kind beispielsweise straflos tOten oder veriiuBem. Noch im Schwabenspiege~
der um 1270 datiert ist, wird beschrieben, daB der Mann im Falle der Not seine Kinder verkaufen
kann. 354
Der Vater haftete auch fur Schiiden, die das Kind verursachte und vertrat es vor Gericht. Die viiterliche Muntgewalt endete nicht mit dem Eintritt des Mtindigkeitsalters, sondern erst wenn das Kind
aus der viiterlichen Hausgemeinschaft ausschied. Beim Sohn war das der Fal~ wenn er einen eigenen Herd entziindete oder in eine Gefolgschaft eintrat. Die Mtindigkeit der Tochter wurde dagegen
durch die Heirat besiegelt, iiber die allerdings auch der Vater entschied. 355
Bereits im romischen und germanischen Recht wird zwischen der Rechtsstellung von ehelichen und
unehelichen Kinder differenziert. Die vorgenannten Fakten gelten fur eheliche Kinder. Als unehelich
galt ein Kind dann, wenn es nur aus einer voriibergehenden Geschlechtsverbindung des Mannes
gezeugt wurde. Dieses Kind trat dann in die Muttersippe ein, wenn die Mutter eine Freie war. Das
Kind einer unfreien Mutter war ebenfalls unfrei und konnte nie Mitglied der Sippe werden. Doch ist
die Rechtsstellung des unehelichen Kindes nicht als grundsiitz1ich negativ zu bewerten. Der Vater
hatte durchaus die Moglichkeit, diesem Kind durch einen Aufhabmeakt die Mitgliedschaft in seiner
Sippe zu verleihen. Ein Kindesverhiiltnis konnte auch ktinstlich durch Annabme an Sohnes Statt
begriindet werden. Ursprtinglich sollte durch diese Wablkindschaft demjenigen, der keine natiirliche
Erben hatte, ermoglicht werden, doch einen Erben zu bekommen.
1m Mittelalter iinderten sich die Grundlagen der familienrechtlichen Beziehungen erheblich. Nicht
mehr die Sippe oder die Blutsverwandtschaft, sondem die eheliche Gemeinschaft von Mann und
Frau riickten in den Mittelpunkt. Diese grundlegende Veriinderung hatte ihre Ursache in der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung im Mittelalter. Durch die Zuriickdriingung der Sippe
erstarkte die viiterliche Muntgewalt. Die Rechtsstellung der Kinder iinderte sich dadurch nicht
wesentlich. Die patriarchalische Gewalt endete mit dem Ausscheiden der Kinder aus der Hausgemeinschaft. Fiir Tochter galt weiterhin der Grundsatz: ,,Heirat macht miindig". Bei der EheschlieBung hatte der Vater ein Mitwirkungsrecht. Sohne verlieBen die viiterliche Gewalt "durch Entlassung aus dem Hause, die mit der Aushiindigung des Vermogens oder einer angemessenen Ausstattung verbunden war. ... Der Sohn schied aus ,,Erot und Pflicht" aus ... Die Beendigung der
viiterJichen Gewalt trat selbst dann ein, wenn der Sohn im Hause des Vaters verblieb."356 Das in der
Muntgewalt des Vaters stehende unmtindige Kind konnte keine Rechtsgeschiifte mit bindender
Wirkung abschlieBen. Ein von ihm wiihrend der Unmiindigkeit abgeschlossenes Rechtsgeschiift
353
354
355
356
Conrad, H.: Deutsche Rechtsgescbichte. 2. neu bearb. Auf!. Karlsruhe 1962. S.31.
Sieheauch Schwab, D.: Fami1ienrecht § 43, Rdnr. 388.
Vgl. zu diesem Thema Conrad, H.: Deutsche Rechtsgescbichte. S. 39.
Conrad, H.: Deutsche Rechtsgeschichte. S. 407.
82
wurde erst wirksam, wenn das mfindig gewordene Kind den VertragsabschIuB nicht binnen eines
Jahres widerrief. Das miindig gewordene, aber noch in der Hausgewa1t befindliche Kind durfte
Rechtsgeschlifte abschlieBen, die jedoch keine Wtrkung fUr das yom Vater verwaltete Kindesvermogen zeitigten. Das miindige Kind war folglich auch in der VerfUgung fiber sein Vermogen eingeschriinkt. Ein Recht des Vaters, steIlvertretend fUr sein Kind Rechtsgeschlifte abzuschlieBen, gab es
nicht. Die Haftung des Vaters fUr schadensbringende Handlungen seines Kindes wurde auf das in
der Hand des Vaters befindliche Kindesvermogen beschriinkt. Jedoch nur in Notflillen durfte der
Vater das Kindesvermogen angreifen.
Zu den unehelich geborenen Kindem ziihlten im Mittelalter neben den suBerehelich geborenen auch
jene Kinder, die wiihrend einer Ehe zu fii.ih geboren oder nach Aufiosung der Ehe zu spat geboren
wurden. Bei den unehelichen Kindem waren diejenigen, die einer "anriichigen Geb~S7 entstammten, oft rechtlich schlechter gestellt. Unehelichen Kindem wurde hiiufig das Erbrecht gegenfiber dem Vater, teilweise auch gegenilber der Mutter, verwehrt. Der Vater hatte das Recht, dem
unehelichen Kind Zuwendungen zu geben. Aus diesen sogenannten Hornungsgaben entwickelte
sich spater der Unterhaltsanspruch des unehelichen Kindes gegen seinen Vater. Da das uneheliche
Kind jedoch als fiunilienIos galt und deshalb keine fiuniliiiren Beziehungen rum Vater hatte, beruhte
dieser Anspruch nicht aufverwandtschafl:lichen Beziehungen zwischen Kind und Vater.358
Durch nachfolgende EheschlieBung konnten vor der Ehe geborene Kinder zu ehelichen Kindem
werden. Diese Moglichkeit wird als sogenannte Wahlkindschaft bezeichnet: ,,Hier wurde das Kind
bei der EheschlieBung der E1tem unter den Mantel oder unter den Giirtel genommen und eriangte
dadurch die Rechtsstellung eines ehelichen Kindes (Mantelkind). Wurde diese RechtsfOrmlichkeit
suBer acht gelassen, so blieb die Rechtslage des Kindes durch nachfolgende EheschlieBung der
Eltem unveriindert."359 hn Spatmittelalter wurde dann die Wahlkindschaft durch die aus dem romischen Recht fibernommene Annahme an Kindes Statt verdriingt, wobei zwei Hauptformen unterschieden wurden: die Arrogation, das heiBt die Annahme einer gewaltfreien Person und die Adoption, das heiBt die Annahme einer gewaItunterworfenen Person. Erst die privatrechtliche Gesetzgebung der Neuzeit schufwieder ein einheitliches Institut der Annahme an Kindes Statt:60
Auch in der fii.ihen Neuzeit dominierte die patriarchalische Struktur der Familie. So galt Kindesgehorsam gegeniiber der vaterIichen Autoritat als die "Vorschule rum Untertanengehorsam gegenfiber dem Staaf<361. Doch auch die HaItung des Staates zur Familie linderte sich stark. Er begann
die hiiusIiche, besonders die religios-konfessionelle Erziehung zu kontrollieren. Gegen nachllissige
Hausviiter konnte mit Strafen vorgegangen werden. Dabei ergaben sich teilweise auch Emanzipationseffekte fUr die Kinder, beispielsweise durch KJage gegen die Verweigerung der e1terIichen Hei357 Conrad, H: Deutsche Rechtsgeschichte. S.408.
358 Vgl. Conrad, H: Deutsche Rechtsgeschichte. S. 409.
359 Conrad, H: DeutscheRechtsgeschichte. S.409.
360 Siebe auch Conrad, H: Deutsche Rechtsgeschichte, S. 410 f.
83
ratserlaubnis. Das landesherrlich-kircWiche Schulwesen entwickelte sich daneben zu einer Institution auBerfiunili.iirer Erziehung.
Im Zeitalter der Aufldiirung trat die Verpfiichtung zur Sorge fur das Kind starker in den Vordergrund a1s der vaterliche Herrschaftsgedanke. Diese Entwicldung wurde durch die naturrechtlichen
Lehren unterstiitzt. So erschien die durch die elterliche Gewalt beschlossenen Bestirnrnungsbefugnis tiber die Kinder a1s bloBes Mittel zum Erziehungszweck. Grundlage dieses veranderten Verstiindnisses der E1tem-Kind-Beziehung war insofem nicht das Vater- oder Elternrecht, sondem
"das Kind als Trager seiner Menschenrechte,,362. Ein Beispiel fur die Urnsetzung des neuen EltemKind-Verstiindnisses ist wiederurn das PreuBische Allgemeine Landrecht. Zwar wird die Dominanz
der patriarcha1ischen Herrschaft betont, aber die Ausiibung der e1terlichen Gewalt wurde der Aufsicht des Vormundschaftsgerichts unterworfen, das den Eltem bei grausamer MiBhandlung der
Kinder, ihrer Verleitung zum Bosen oder bei Versagung des notdiirftigen Unterhalts das Erziehungsrecht entziehen konnte.363 AuBerdem wurden die Mitbestimmungsrechte der Kinder gestiirkt:
So muBte der Vater bei der Bestirnrnung der zukiinftigen Lebensart, das betraf vor allem die Berufswabl, auf die Neigungen seines Sohnes Riicksicht nehmen. Bereits im Alter von vierzehn Jahren
konnte das Kind gegen den Willen des Vaters das Vormundschaftsgericht anrufen.364
Wichtigstes und bleibendes Ergebnis dieser Epoche war die EinfUhrung eines festen Mi.indigkeitstermins, an dem die elterliche Sorge endete. Sowohl das romische als auch das altere deutsche
Recht kannten zwar verschiedene Altersstufen. Das Erloschen der vaterlichen Gewalt war indes
weder an das 25. noch an das 28. Lebensjahr gebunden. Die e1terliche Herrschaft endete - wie
schon herausgearbeitet - fur den Sohn mit der Einrichtung eines eigenen Haushalts und fur die
Tochter mit ihrer Verheiratung. Im 19. Jahrhundert wurden Regelungen getroffen, die kraft Gesetzes eine Entlassung aus der vaterlichen Gewalt mit Erreichung eines bestimmten Alters anordneten. 365
In bezug auf die Rechtsstellung unehelicher Kinder ist die zentrale Fragestellung, inwiefem das
Kind rechtlich gesehen Familienmitglied wird. Das ALR geht davon aus, daB die Verwandtschaft
eines Kindes mit seiner Mutter immer gegeben ist. Das ALR folgt somit der romischen Rechtsauffassung: ,,mater semper certa est'<366. Die Unsicherheit tiber die Identitat des Vaters hingegen hat in
der rechtlichen Entwicldung immer wieder zu einer groBeren rechtlichen Distanz zwischen ihrn und
dem Kind gefiihrt. Auch im ALR fehlt eine Aussage zur verwandtschaftlichen Beziehung zwischen
361
362
363
364
365
Schwab, D.: Familienrecht § 43, Rdnr. 389.
Schwab, D.: Familienrecht § 43, Rdnr. 390.
ALRII 2 §§ 90, 9l.
ALR II 2 §§ 109-113.
1m Code Civil war als Miindigkeitsalter <las 2l. ~ahr festgelegt. Anch § 2 BGB legt in seiner Ufspriinglichen Fassung <las vollendete 2l. ~ahr als Miindigkeitstermin fest. Seit dem l.l. 1975 wurde mit
dem Gesetz zur Neuregelung des Volljlihrigkeitsalters der Miindigkeitstermin auf <las vollendete 18. Leben!!iabr
abgesenkt
366 Paulus, D 2,4,5.
84
Vater und Kind. So ist nur geregelt, daB derjenige, der eine Person auBerhalb der Ehe schwangert,
die Geschwiichte entschiidigen und das Kind versorgen muB.367 Basis fur die Verantwortlichkeit des
Vaters gegeniiber seinem Kind ist also die natiirliche Verwandtschaft und nicht die Anerkennung
der rechtlichen Verwandtschaft. Wenn die Vaterschaft yom Vater nicht anerkannt wurde, konnte
sie auch gegen seinen Willen in einem ProzeB festgestellt werden.'68 Sowohl die Mutter a1s auch
das Kind batten einen Anspruch aufUnterhalt, wobei ALR II 2 §§ 613 i.Y.m. 612 bestimmen, daB
das Kind unabhangig der Forderungen der Mutter unterhaltsberechtigt ist: "Wiihrend der Alimentationsanspruch zuniichst nur darauf gerichtet war, mit K1eidung, Nahrung und Wohnung ein Existenzminimum fur das Kind zu garantieren, bilden im ALR Unterhalt und Erziehung bereits eine
Einheit. Aufgabe des Vaters war nicht nur, sein Kind fur eine gewisse Zeitspanne am Leben zu
erhalten, sondem vielmehr, es in den Stand zu versetzen, fur sich selbst zu sorgen. Hier wurden
typische Vorstellungen der Aufklarer yom Erziehungszweck aIs Ende der Unmiindigkeit vertreten.
Das Kind konnte neben dem Lebensunterhalt auch die Kosten fur Lehr- und Schulgeld verlangen.
Dieser Anspruch endete in der Regel mit dem vollendeten vierzehnten Lebe~ahr.'<369
Das Kind erhielt den Geburtsnamen der Mutter, und die Mutter wurde auch zur Inhaberin der
eiterlichen Sorge bestimmt. Ein Riickschritt ist aIIerdings die Bestimmung, daB das nichteheliche
Kind vollig aus den elterlichen Familien ausgeschlossen win!, wiihrend es vorher oftmals zur miitterlichen Familie gehtirte: ,,Die Zeugung eines nichtehelichen Kindes wird a1s Fehltritt der beiden
Eltemteile gesehen, die alleine die Konsequenzen tragen sollen. Hier zeigt sich eine individualistische Sicht der Verantwortung, die nicht mehr automatisch auch aufHausverband oder Sippe bezogen wird."370 Neu und wichtig ist die Einfuhrung der Vormundschaft durch ALR II 2 § 644, die
einerseits der Befurchtung entgegentrat, daB die Mutter ihr Kind nicht aIIein erziehen konne und
andererseits verhindem sollte, daB das Kind aIIein der staatlichen Obhut anvertraut wurde.
Allgemein betrachtet ist das 19. Jahrhundert immer wieder von Bestrebungen gekennzeichnet, die
"den familiiiren Innenraum a1s einen sittlichen und intimen Bereich" betrachten, "der von staatlicher
Einmischung und daher von Rechtskonflikten moglichst freizuhalten war".371 Diese Intension
starkte die Rolle des Vaters, a1s mannIiche Autoritatsperson und Familienvorstand den Zusammenhalt und die Einheit der Familie zu gewiihrleisten, urn staatliche Eingriffe abzuwehren. Gleichzeitig
beginnt ein zunehmend psychisch-emotionales Verstandnis die Eltem-Kind-Beziehung zu beeinflussen. Ausdruck dieser Entwicklung ist beispielsweise die Anderung der Sprachgewohnheiten. Das
367 ALR II 1, § 1027.
368 ALRII 2, § 617.
369 Biittner, E. A: Die recbtlicbe Stel1ung des nicbtebelichen Kindes im preu6iscben Allgemeinen Landrecht von
1794. FamRZ Jg. 41 (1994) R 23, S. 1501.
370 Biittner, E. A: Die rechtliche Stel1ung des nicbtehelichen Kindes im preu6ischen Allgemeinen Landrecht von
1794. S. 1504.
371 Schwab, D.: Farnilienrecht. § 43, Rdnr. 392.
85
rorrnliche "TIu" in der Ansprache der Ehem durch ihre Kinder wurde durch das pers5nlichere ,,Du"
abgelost.
Das 20. Jahrhundert wurde bereits fiiihzeitig a1s ,)ahrhundert des Kindes" bezeicbnet. Wie im
Zeitalter der AufkIllrung bilden Pers5nlichkeit und Rechte des Kindes den Ausgangspunkt fUr
Rechtsreformen. Das Kind erscheint a1s Trager von Anspruchen aufErziehung und EntfiJJ.tung, die
sich gegen Staat und GeseIlschaft richten, aber auch das Eltem-Kind-Verhliltnis beeinflussen. Aus
diesen Gedankenglingen entstehende Gesetze haben insoweit emanzipatorischen Charakter, wie
beispieIsweise die Eintiihrung der Religionsmiindigkeit fUr Vierzebnjiibrige.372 Auch das Inkrafttreten des BGB im Jahre 1900, das beispieIsweise die Verwandtschaft des nichtehelichen Kindes zur
Familie der Mutter wieder bejaht, triigt zur Festigung der kindlichen Rechtspositionen bei. 1m EItem-Kind-Verhiiltnis ist weiterbin ein Zuwachs an Intimitiit zu verzeicbnen. Eindringlich wird formuliert, daB die e1terliche Familie nicht ersetzbare Voraussetzungen fUr eine pers5nlichkeitsbildende
Individualer2iehung bietet: DlIlilber hinaus "tritt der Staat a1s Instanz der Erzielnmg, Ausbildung
und Jugendbetreuung nicht nur bei auBerehelichen und eIternIosen, sondem auch bei den in der
Familie lebenden Kindem zunehmend in Erscheinung. HlIusIiche und auBerhliusliche Erziehung
ergiinzen und durchdringen sich.'''73
Ausdruck dieser Entwicklung ist auch das 1922 in Kraft getretene Jugendwohlfahrtsgesetz, das die
bereits schon erwiUmte Vormundschaft im ALR zur obligatorischen Amtsvormundschaft ausgestaltet und die o:tfentlich-rechtliche Jugendhilfe regele74
Nach dem Zweiten Weltkrieg gingen die beiden Teile DeutschIands auch in familienrechtlicher
Hinsicht bald getrennte Wege. Vordergriindig soll im folgenden die Entwicklung des Kindschaftsrechts der Bundesrepublik betrachtet werden, da dieses Rechtssystem fUr die weitere Arbeit
grundlegend ist und exemplarisch am Beispiel des Eherechts gezeigt werden soli, welche Auswirkungen die zwei unterschiedlichen deutschen Rechtsordnungen nach der Wiedervereinigung auf die
rechtssprachliche Konununikation haben. Ausgangspunkt der familienrechtlichen Entwicldung in
der Bundesrepublik sind die einschliigigen Vorschriften des BGB. Mit dem Inkrafttreten des
Grundgesetzes im Jahre 1949 wurden mit Art. 6 n, ill und N, der das Eltemrecht sowie den
Schutz der Mutterscbaft garantiert, Grundlagen fUr ein modemes Kindschaftsrecht gelegt.
Artikel6 V verbessert dariiber hinaus die Rechtsposition des unehelichen Kindes: ,,Das Gesetz fiber
die rechtliche Stellung der nichtehelichen Kinder vom 19.8. 1969 brachte die Anpassung an das
neue Nichtehelichenrecht, welches das nichteheliche Kind nunmehr auch von Rechts wegen a1s
verwandt mit seinem Vater und dessen Verwandten ansieht.'<37S Trotz dieses Gesetzes hatte der
Vater kein Sorgerecht und auch nur das sehr schwache Recht des pers5nlichen Umgangs. DaIiiber
372 GeseIz iiber die religiOse Kindererziehung vom 15.07. 1921. RGBL I 1922 S. 633ft:; siebe dam auch Schwab,
D.: Farnilienrecht. § 43, Rdnr. 394.
373 Schwab, D.: Familienrecht. § 43, Rdnr. 393.
374 Reichsgesetz fiir JugendwohHilhrt (JWG) vom 09.07. 1922. RGBI. I 1922 S. 633ft:.
86
hinaus bestehen nunmehr wechselseitige erbrecht1iche Beziehungen, die allerdings modifiziert werden durch <las prinzipielle Gebot der Feststellung der Vaterschaft vor dem Erbfa11 und durch die
Ablosung des Erbrechts durch einen Erbersatzanspruch in einigen Hillen: ,,Die Beziehung des nichtehelichen Kindes zu seiner Mutter war bis zum 31.12. 1970 gekennzeichnet durch <las Fehlen der
vollen e1terlichen Gewalt. Vielmehr war <las Jugendamt in der Regel Amtsvormund, und der Mutter
stand daneben nur <las Recht der Personensorge zu (§§ 1705 BGB a.F., 40 I JWG). Die Neuregelung von 1969 brachte die elterliche Gewalt Getzt: Sorge) der Mutter, allerdings beschriinkt durch
die Pflegschaft des Jugendamtes gerade auf den drei grundlegenden Sektoren Status, Unterhalt und
Erbrecht. ,,376
Durch die Einfiihrung der Rege1unterhaltssiUze ab 01.01. 1970 hat sich auch das Unterbaltsrecht
geandert. Diese neuen UnterhaltssiUze galten zunii.chst nur fur nichteheliche Kinder. Erst seit 1977
sind sie auch fiir unterhaltsbediirftige eheliche Kinder verbindlich. Weitere Neuregelungen betreffen
die Auskunftspflicht und die verfahrensrnliIige Erleichterung der Anpassung von Unterhaltstiteln an
die Geldentwertung?77
Das moderne Kindschaftsrecht gliedert sich in zwei Abschnitte:
,,Bis zur Volljiihrigkeit des Kindes bildet die elterliche Sorge fur den noch unselbstiindigen jungen
Menschen <las zentrale Institut. Mit Erreichen des Miindigkeitsalters geht die Eltem-KindBeziehung hingegen in ein allgemeines verwandtschaftsrecht1iches Verhiiltnis fiber, ragt aber infolge
der engen Verbundenheit von Eltem und Kind durch stlIrkere Rechtswirkungen heraus, besonders
dann, wenn der Volljiihrige noch Un Eltemhaus lebt oder noch keine wirtschaftliche Eigenstiindigkeit erlangt hat."'''8
Kemstiick des Kindschaftsrechts ist die elterliche Sorge der durch Ehe miteinander verbundenen
Eltem urn ihr mindeIjiihriges Kind. Die Besonderbeiten des nichtehelichen Kindes zeigen sich darin,
daB eine volle kindschaftsrechtliche Beziebung nur zu einem Elterntei1 besteht. Die elterliche Sorge
kann in verschiedene Funktionen aufgeteilt werden:
1. Die Eltem sorgen fur <las leibliche Wohl und die gesunde iiuBere Entwicklung des Kindes'79.
2. Sie unterstiitzen die geistige und seelische Entwicklung des Kindes, urn es zu Selbstiindigkeit,
Fiihigkeit zu sozialem Leben und wirtschaftlicher Eigenstiindigkeit zu erziehen. Die Pflege und
Erziehung des Kindes werden unter dem Begriff ,,Personensorge" zusammengefuJ3f"°.
3. Von den Eltem werden die wirtschaftlichen Mittel fur den Lebensunterhalt des Kindes bereitgestellt. Diese Aufgabe leitet sich aus der Personensorge ab381 •
375 ThieImann, G.: Die Entwicklung des Familienrechts im Bundesgebiet mit Berlin (West) scit 1949. S. 16.
376 Thieimann, G.: Die Entwicklungdes Familienrechts imBundesgebietmitBerlin (West) scit 1949. S. 29.
377 Gesetz zur Anderung unterhaItsrechtlicher, verfahrensrechtlicher und anderer Vorschriften (UAndG) VOID 20.2.
1986. BGB!. I 1986 S. 301 ff. (scit 1.4.1986 inKrnft).
378 Schwab, D.: Familienrecht § 42, Rdnr. 381.
379 AIL 6 II 00, § 1631 BGB.
380 § 1631 I BGB. i.V.m. § 1626 I 2 BGB.
87
4. Die Eltem verwalten die wirtschaftlichen Giiter des Kindes in dessen Interesse382. Beziiglich der
eIterlichen Gewalt fur eheliche Kinder gilt jetzt, daB die Mutter gleichberechtigt neben dem Va-
ter Mitinhaberin der elterlichen Sorge ist: ,;Zwar hatte das Gleichberechtigungsgesetz 1957 versucht, bei Meinungsverschiedenheiten zwischen den Eltem das Letztentscheidungsrecht des
Vaters aufrechtzuerhalten (sog. Stichentscheid, § 1628 I BGB a.F.).
Das Bundesverfassungsgericht hat diese Regelung aber mit Urteil vom 29.7. 1959 fur verfus..
sungswidrig und die Anrufung des Vormundschaftsgerichts durch einen Elternteil fur zulassig
erklart, wenn durch das Unterbleiben einer Einigung der Eltem in einem "emsten Fall" das "Wohl
des Kindes" geflihrdet wurde. Diese Regelung ist in abweichender Formulierung (,,Angelegenheit
von erheblicher Bedeutung") mit dem Sorgerechtsgesetz 1979 in das BGB aufgenommen
(§ 1628 11 n.F.)."383 Dariiber hinaus wurde 1975 das Volljiihrigkeitsa\ter von 21 auf 18 Jahre herabgesetzt. 384
Einen grundlegenden Wandel in bezug auf die Zielsetzungen hat das Adoptionsrecht durchlaufen.
Ausdruck dieser Entwicklung ist die vollige Veriinderung der seit 1949 geltenden Vorschriften. So
sollte nach der urspriinglichen Konzeption des BGB die Adoption solchen Menschen helfen, die
keine Mogiichkeit hatten, eigene Kinder zu bekommen. Mittlerweile dient die Adoption hauptsiichlich dazu, Kindem, die keine Eltem haben oder deren Eltem der Sorgeptlicht nicht nachkommen
konnen, die Wiedereingliederung in eine Familie zu errnoglichen. 385
Das Familienrecht in der DDR ging in vielen Bereichen einen anderen Weg als das Familienrecht
der Bundesrepublik: ,,Es war vomehrnlich der Grundsatz der Gleichberechtigung der Frau, der
diese Veriinderungen hervorgerufen hat, und zwar in einer Ausgesta\tung, wie sie der Ideologie des
Marxismus-Leninismus sowjetischer Priigung gemii.B ist.'''86 So sind in Art. 30 der Verfassung der
DDR vom 7. Oktober 1949 die Schutzwiirdigkeit von Ehe und Familie sowie die Gieichberechtigung von Mann und Frau verankert. Artikel33 enthiilt ein Diskriminierungsverbot fur nichteheliche
Kinder und damit die Gleichstellung von ehelichen und nichtehelichen Kindem.
Bereits 1950 wurde in der DDR das Gesetz iiber die Herabsetzung des VolljiihrigkeitsaIters verabschiedet. 387 Die Altersgrenze wurde fur beide Geschlechter einheitlich auf die Vollendung des
381 §§ 1601 IT. BGB.
382 § 1626 I 2 BGB.
383 Thielmann, G.: Die Entwicklung des Familienrechts imBundesgebietmitBerIin (West) seit 1949. S. 32.;Gesetz
zur Neuregelung des Rechts der elterlichen Sorge (SorgeRG) vom 18.07. 1979. BGBI. I 1979 S. 1061 IT. (seit
I.l. 1980 in Kraft).
384 Gcsctz zur Neuregelung des Volljiihrigkeitsalters vom 31.07. 1974. BGBI. I 1974 S. 1713 IT. (seit dem 1.1. 1975
in Kraft).
385 Thielmann, G.: Die Entwicklung des Familienrechts im Bundesgebiet mit Berlin (West) seit 1949. S. 35; Siebe
auch Gesetz iiber die Annahme aIs Kind und zur .Anderung anderer Vorschriften (AdoptG) vom 02.07. 1976.
BGBL. I 1976 S. 1749 ff. (seit 1.1. 1977 in Kraft); Gesetz zur Anderung des Adoptionsvennittlungsgesetzes
vom 27.11. 1989. BGBI.I 1989 S. 2014 IT. (seitdem 01.12.1989 in Kraft).
386 TIliehnaun, G.: Die Entwicklung des Familienrechts im Bundesgebiet mit Berlin (West) seit 1949. S. 41.
387 Gesetz iiber die Herabsetzung des Volljiihrigkeitsalters vom 17.05. 1950. GBI. DDR I 1950 S. 437 IT..
88
18. Lebensjahres festgesetzt. Die Ehemfuldigkeit der Frau hingegen wurde vorerst bei der VoUendung des 16. Lebensjahres be1assen, wie es die Regelung des § 1 I des KontroUratsgesetzes Nr. 16
bestimmte. Wegweisend ist auch das Gesetz tiber den Mutter- und Kinderschutz und die Rechte
der Frau aus dem Jahre 1950.'88 Durch dieses Gesetz wurde das Alleinbestimmungsrecht des Mannes in den ehelichen Angelegenheiten durch das gemeinsame Entscheidungsrecht beider Eheleute
ersetzt. Insbesondere gilt dieser Grundsatz fur die Ausiibung der elterlichen Sorge: ,,Beziiglich der
MUtter nichtehelicher Kinder bringt das Gesetz die Zuweisung der voUen elterlichen Rechte an die
Mutter, also die Abschaffimg der Amtsvormundschaft. Zur Regelung der Unterhaltsanspriiche des
nichtehelichen Kindes - die sich nach der wirtschaftlichen Lage beider Eltemteile richten - soUen die
unteren VerwaitungsbehOrden nur noch als Beistand der Mutter tiitig werden."3"9 Wesentliche
Grundlagen fur die Weiterentwicklung des gesamten Familienrechts in der DDR wurden auch mit
dem Inkrafitreten des Familiengesetzbuches 1956 festgeschrieben. 390
Nach der politischen Wende in der DDR trat am 3.10. 1990 der Vertrag zwischen der BRD und
der DDR tiber die HersteUung der deutschen Einheit in Kraft, der auch die Materie des Familienrechts tangierte und fur das Beitrittsgebiet neu regelte. So bestimmt Art. 234 § 1 Einigungsvertrag,
daB das 4. Buch des BGB fur aile fiunilienrechtlichen Verhliltnisse ab dem Tag des Wirksamwerdens des Beitritts gilt. Dariiber hinaus regelt § 11 die elterIiche Sorge, § 12 die Legitimation
nichtehelicher Kinder, § 13 die Annahme als Kind und § 14 die Vormundschaft.
5. Neue Tendenzen im Kindschaftsrecht
Das Kindschaftsrecht wurde zuletzt durch das am 1. Januar 1980 in Kraft getretene Gesetz zur
Neuregelung des Rechts der elterlichen Sorge neugeregelt. 391 Doch seitdem haben verschiedene
Entwicklungen ein erneutes Nachdenken tiber das Kindschaftsrecht hervorgerufen. Dabei fiibrte die
offentliche Diskussion zur Kindschaftsrechtsreform zu vier EntwUrfen. Das Kindschaftsrechtsreformgesetz392, das Beistandsschaftsgesetz'93 sowie das Kindesunterhaltsgesetz'94 sind am 1. Juli
1998 in Kraft getreten. Bereits am I. April 1998 in Kraft trat das ErbrechtsgleichsteUungsgeseti'95.
Die Unterteilung in vier Gesetze ist beabsichtigt: ,,Die Verzaimung der Gesetze ist freilich nicht
immer leicht zu durchschauen. Ihre Stirnmigkeit steht jedoch nirgends in Zweifel: Das KindRG baut
388 Gesetz iiber den Mutter- und Kinderschutz und die Rechte der Frau vom 27.09. 1950. GBI. DDR 1950 S. 1037
0:.
389 l1tielmann, G.: Die Entwicklung des Familienrechts im Bnndesgebiet utit Berlin (West) seit 1949. S. 47.
390 FarniliengesetzbuchderDDR vom20.12. 1965. GBI. DDRI 1966 S.1 fr..
391 Gesetz zurNeuregeiungdesRechtsdereiterlichen Sorgevom 18.7. 1979. BGBI. I 1979 S. 1061 If.
392 Gesetz zur Reform des Kindschaftsrechts (KindRG) vom 16. 12. 1997. BGBI. I 1997 S. 2942 fr..
393 Gesetz zur Abschaffung der gesetzlichen Amtspf1egscbaft und zur Neuordnung des Rechts der BeisIandscbaft
vom 04. 12. 1997. BGBI. I 1997 S. 2846 fr..
394 Gesetz zur Vereinheitlichung des Unterhaltsrechts mindeljiihriger Kinder (KindUG)vom 06.04. 1998. BGBI. I
1998 S. 666 If.
395 Gesetz zor Gieichstellung nichtehelicher Kinder (Erbrechtsgieicltstellungsgesetz - ErbGieicbG) yom 16. 12.
1997. BGBl. I 1997 S. 2998 If.
89
auf dem Beistandsgesetz auf; manche Vorschrift, von diesem eingefiigt, wird von jenem in derselben Sekunde geandert.... KindRG und Beistandsgesetz umspannen fast das gesamte Familienrecht
- von der Abstammung tiber die Sorge bis hin zum Namen."396
Ein Ausgangspunkt fur die Reform des Kindschaftsrechts war die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1982, die den AusschluB der gemeinsamen elterlichen Sorge fur geschiedene Eltern, wie er in § 1671 N 1 BGB festgeschrieben ist, fur verfassungswidrig erkliirte. 397
AuBerdem beanstandete das Bundesverfassungsgericht im Jahre 1991, daB die heutige Rechtslage
keine Moglichkeit einer gemeinsamen elterlichen Sorge fur nieht rniteinander verheiratete Eltern
vorsieht."98 Weitere Entscheidungen betrafen das Abstammungsrecht, das Adoptionsrecht sowie die
Vertretung MindeIjahriger im Verfassungsbeschwerdeverfahren. Auch die Wiedervereinigung hat
deutlich gezeigt, daB das Kindsehaftsrecht, wie es bis zur Reform galt, in manchen Bereichen nicht
mehr zeitgemiiB war. So wurden einzelne nur fur nichteheliche Kinder geltende Vorschriften von
der Uberleitung des bundesdeutschen Familienrechts in die neuen Bundesliinder ausgenommen. Bei
der Ausarbeitung des Einigungsvertrages stimmten die Verhandlungspartner tiberein, daB die Bundesregierung dem kiinftigen Gesetzgeber die Novellierung des Nichtehelichenrechts vorschlagen
werde. 399
Reformimpulse kamen auch aus dem internationalen Bereich. Seit dem 5. April 1992 ist in der
BundesrepubJik das Ubereinkommen tiber die Rechte des Kindes in Kra:ft400. Nach diesem Abkommen verptlichten sich die Vertragsstaaten, dem Kind den Schutz und die Fiirsorge zu gewiihrleisten,
die zu seinem Wohlergehen notwendig sind. Zu diesem Zweck sollten aile geeigneten Gesetzgebungs- und VerwaltungsmaBnahrnen getroffen werden. 401
Irn Vorfeld der Reform wurden im Auftrag des Bundesministeriums der Justiz verschiedene Untersuchungen auf rechtstatsiiehliehem, familiensoziologischem und rechtsvergleiehendem Gebiet
durchgefuhrt. So beschreibt der Forsehungsbericht ,,Lebenslage nichtehelieher Kinder"'02 die Lebenssituation nichtehelicher Kinder in den alten und neuen Bundesliindern. Eine justizstatistische
Sondererhebung, die yom l. Juli 1994 bis 30. Juni 1995 durchgefiihrt wurde, beschiiftigt sich mit
der gemeinsamen Ausiibung des Sorgerechts geschiedener Eltern, wie sie aufgrund der schon
genannten Entscheidung des Bundesverfassungsgeriehts im Jahre 1982 schon vor der Reform
396
397
398
399
Schwab, D.; Wagenitz, Til.: Einfiihrungindas neue Kindschaftsrecht FamRZ Jg. 44 (1997) R 22, S. 1377.
BVerIGE 61,358, (358).
BVerIGE 84, 168, (168).
Siehe dazu auch: Miihlens, E.; Grellmann, M: VOIbereitung des Entwurfs cines Gese1zes zur Refonn des Kindscbaftsrechts bis zorn Bundesrat. Familiel Partnerschaft/ Recht (=FPR) Jg. 2 (1996) R 5, S. 216.
400 UN-Kinderrechtskonveution aus dem Jahre 1989; Bekanntmachung iiber das Inkrafttreten des Ubereinkommens iiber die Rechte des KindeS. BGB!. IT 1992 S. 990 ff..
401 Miiblens, E.; Gre6mann, M: VoIbereitung des Entwurfs eines Gese1zes zur Reform des Kindschaftsrecbts bis
zumBundesrat S. 216.
402 BR-Drucksache 180/96, S. 60 f..
90
moglich war. 403 Danach hatten bundesweit in 17,07% der Fiille die Eltern auch nach der Scheidung
die gemeinsame Sorge beha1ten; in 74,64% der Fiille wurde das Sorgerecht aIlein auf die Mutter
und in 8,29"/0 der Fiille aIlein auf den Vater ubertragen. Dabei ergab die Erhebung ein auffiilliges
Ost-West-Gefalle. So betrug der Antei1 der gemeinsamen elterlichen Sorge beispie1sweise im Saarland 23,99"/0 und in Baden-Wiirttemberg 23.03%, dagegen lag der.Prozentsatz in Thiiringen nur
bei 7,04% und in Mecklenburg-Vorpommern sogarnurbei 5,82%.404
Auch aus diesem Grund nimmt das Recht der eherlichen Sorge im KindRG breiten Raum ein und
setzt neue Akzente: "So lindet sich das Gewaltverbot neu formuliert: Zu den entwiirdigenden
ErziehungsmaBnahmen sind ,,insbesondere korperliche und seelische MiBhandiungen" zu rechnen
(§ 1631 ll). Die aus der e1terlichen Sorge folgenden Rechte und Pflichten sind - lebensnah - zu
,,Pflichten und Rechten" geworden; die stehen nicht \iinger dem Vater und der Mutter zu, sondern Gemeinsamkeit atmend - "den Eltern" (§§ 1626 I S.I, 1631 1).,,405 Auch eine Scheidung behinderte
bereits vor dem neuen Gesetz eine gemeinsame elterliche Sorge nicht. Streitig war aIlerdings, ob im
Scheidungsfall die gemeinsame eherliche Sorge als Regelfall normiert und gerichtlich uberprUft
werden sollte. Bisher hestand im Ehescheidungsverfalrren der sogenannte Zwangsverbund, der eine
richterliche Entscheidung uber die elterliche Sorge auch ohne den Antrag eines Elterntei1s oder des
Jugendamtes vorsah: ,,Der Gesetzgeber hat sich gegen die bislang amtswegige Priifung im
Zwangsverbund mit der Scheidung entschieden: Die Scheidung liIBt kiinftig die gemeinsame Sorge
unberiihrt; erst ein Antrag auf vollige oder partielle Alleinsorge fordert - falls rechtzeitig gestellt: im
Verbund mit der Scheidung (§ 623 I S.I, II Nr.l ZPO) - eine gerichtliche Sorgerechtsentscheidung
(§ 1671 1).'<406 Durch das neue Gesetz wird insoweit eine Parallelitiit zu anderen Verfahrensgegenstiinden wie Unterhalt oder Zugewinnausgleich hergestellt, in denen das Gericht ebenfa1ls nur auf
Antrag tiUig wird. Doch dieses Vorgehen war in der offentlichen Diskussion heftig umstritten. So
pladierten Verbande, die die Interessen aIleinerziehender MUtter vertreten, fur die Beibehaltung des
Zwangsverbundes. Gegen das Antragsverfahren sprach ihrer Meinung nach, "daB der Elternteil, der
die Dbertragung der Alleinsorge wiinsche, darlegen musse, daB der andere Elternteil erziehungsunfahig oder nicht kooperationsbereit ware. Dadurch wiirde der vorhandene Kontlikt noch verschiirft. ,,407 Weiter wurde argumentiert, "daB viele Elternteile - vor aIlem Mutter - nicht selbstbewuBt genug seien, einen Antrag auf Zuteilung der Alleinsorge zu stellen".408 Dagegen wurde
argumentiert, daB aile ubrigen Regelungsgegenstiinde bis auf den Versorgungsausgleich ebenfalls
antragsbediirftig sind: "Wenn Mutter typischerweise nicht selbstbewuBt genug waren, Antriige, die
sie fur richtig halten, auch zu stellen, dann miiBte auch hinsichtlich dieser Verfahrensgegenstande
403
404
405
406
407
408
BR-Drucksache 180/%, S. 47 f..
Siehe dazu BR-Drucksache 180/%, S. 47 f ..
Schwab, D.; Wagenitz, Th.: Einfiihrung in <las neue Kindschaftsrecht. S. 1379.
Schwab, D.; Wagenitz, Th.: Einfiihrung in <las neue Kindschaftsrecht S. 1379.
BR-Drucksache 180/%, S. 72.
BR-Drucksache 180/96, S. 72.
91
der Zwangsverbund eingefiibrt werden; dies wird aber von keiner Seite veriangt.,,4119 Schwerwiegender und nicht zu unterschiitzen ist das Argument, daJ3 die Beziehung zwischen gescbiedenen
Eltem oft so spannungsgeladen ist, daJ3 sie die gemeinsame Sorge auch dann nicht iiber liingere Zeit
ausiiben k6nnten, wenn sie den guten Willen dazu hiitten. 410
Dagegen woliten Verbiinde, die die Interessen gescbiedener Vater vertraten, nicht nur den Zwangsverbund abschaffen, sondem dariiber binaus eineAlieinsorge nach der Scheidung nur zulassen,
wenn nachgewiesen wurde, daB die Beibehaltung der gemeinsamen Sorge zu einer konkreten
Kindeswohlgeflihrdung men wiirde. 411 Auch der 59. Juristentag und der Deutsche Juristinnenbund hatten sich fur die Abschaffung des Zwangsverbunds und fur die Einfiihrung eines Antragsmodells ausgesprochen.
Foigende Griinde wurden unter anderem im Gesetzentwurf angefiihrt, kiinftig auf eine gerichtliche
Entscheidung in den Fallen zu verzichten, in denen kein Antrag auf Ubertragung der Alleinsorge
auf einen Elternteil gestelit wird:
,,1. Allein der Zwang, iiber die Kinder ein Verfahren zu men, trage zur Konfliktverschiirfung bei
und verringere die Chance, die bisherige gemeinsame Sorge beizubehalten.
2. Die Alieinsorge entfremde das Kind dem anderen Eltemteil, meist dem Vater. Nach rechtstatsachlichen Untersuchungen habe mehr als die Hiilfte der gescbiedenen Vater ein Jahr nach der
Scheidung keinerlei Kontakt mehr zu dem Kind. Der Verlust der elter1ichen Sorge wirke bei den
betroffenen Vatem hiiufig demotivierend. Dies habe in vielen Fallen zur Folge, daJ3 sie ihr Umgangsrecht nicht mehr wahrniihmen."412
Wenn sich die gescbiedenen Eltem fur eine gemeinsame Sorge entscheiden, soli die Praktikabilitat
im Alltag dadurch gewiihrleistet sein, daJ3 der Eltemteil, bei dem sich das Kind gew6hniich aufhalt,
die Befugnis zur alleinigen Entscheidung in allen Angelegenheiten des tiiglichen Lebens hat.413 Die
gemeinsame Zustiindigkeit beider Eltem beschriinkt sich demnach auf Entscheidungen, die fur das
Kind von erheblicher Bedeutung sind. 414
Auch fur Eltem eines nichtehelichen Kindes gibt es kiinftig die M6glichkeit, die gemeinsame Sorge
fur gemeinsame Kinder zu begriinden. Zu dieser Neuregelung ist der Gesetzgeber durch das Bundesverfassungsgericht aufgefordert worden, so daJ3 die Modalitaten der Ausgestaltung dieses
Rechtsinstituts im Vordergrund stehen. Nach dem neuen Gesetz steht die gemeinsame elterliche
Sorge nicht verheirateten Eltem dann zu, wenn diese erklaren, daJ3 sie die Sorge gemeinsam ausiiben wollen. 4l5 Durch die Sorgeerklarungen soli sichergestellt werden, daB die gemeinsame Sorge
409
410
411
412
413
414
415
BR-Drucksache 180/96, S. 72.
BR-Drucksache 180/96, S. 72.
Vgl. Widunann, K..: Die Refonndes Kindscbaftsrechts ioderDiskussion. FuR 1996, H. 3, S. 161.
BR-Drucksache 180/96, S. 72.
Vgl. § 1687 I 2 BGB.
Vgl. § 1687 II BGB.
§ 1626 a I Nr.l BGB.
92
nicht gegen den Willen eines Eltemteils eintreten kann. Dabei mtissen die Eltem nicht zusammenleben: "Nach der vorgeschlagenen Regelung ist die Stellung der Mutter nach wie vor sehr stark.
Wenn sie es nicht will, wird der Vater grundsatzlich nicht an der elterlichen Sorge fur das Kind
beteiligt; die Sorge hat dann die Mutter allein. Der Vater kann gegen den Wtllen der Mutter nur
dann alleiniger Inhaber der Sorge werden, wenn ihr vorher die Sorge entzogen worden ist (§ 1680
Abs.l und 3 BGB-E). Wegen der hohen Schwelle des § 1666 BGB-E wird dies nur selten der Fall
sein. Ansonsten verbleibt es jedoch bei der besseren sorgerechtlichen Stellung der Mutter.,,416 Ein
schwieriger und reformbediirftiger Bereich des Kindschaftsrechts war auch das Umgangsrecht, das
sicherstellen soli, daB das Kind seine emotionalen Beziehungen zu beiden Eltemteilen sichem und
erhalten kann, auch wenn sich die Eltem trennen: ;,Der Streit urn das Db und Wie des Umgangs
wird vielfach von den Interessen der Erwachsenen bestimmt. Ihre verletzten Gefuhle erkiaren die
Harte, mit der Auseinandersetzungen vielfach gefiihrt werden. FUr den Gesetzgeber und die Richter
sind die Moglichkeiten, hier zu bemedigenden LOsungen zu kommen, aufierst begrenzt. Einigung
kann nur bei Einsicht und viel gutem Willen der Beteiligten erreicht werden. Der Entwurt; aber
auch die anderen in die Diskussion eingebrachten Vorschlage, versuchten deshalb in erster Linie
bessere Wege fur eine Streitbeilegung zu schaffen, die mehr als bisher die Interessen der Kinder
berticksichtigen.,,417 Das neue Gesetz stellt nunmehr als wichtigsten Grundsatz heraus, daB zum
Wohle der Kinder der Umgang mit beiden Eltemteilen oder mit anderen Personen gehort, zu denen
das Kind Beziehungen hat. 41.
Die Beschrankungen des geJtenden Rechts fur das Umgangsrecht des nicht mit der Mutter verheirateten Vaters entfallen. GroBeltern, Geschwister sowie Stief- und pfJegeeltern, mit denen das Kind
langere Zeit gelebt hat, erhalten ein Umgangsrecht, wenn es dem Wohl des Kindes dient. 4l9 Die
Entscheidung tiber die Einzelheiten des Umgangs triffi: der Farni1ienrichter, wenn sich die Beteiligten nicht einigen konnen.420 Er kann das Umgangsrecht auch vemeinen, wenn es dem Kindeswohl
entgegensteht. 421 Bei der Neuregelung des Umgangsrechts gibt es keinen Unterschied mehr zwischen ehelichen und nichtehelichen Kindem. Dafur haben sich auch der Deutsche Juristentag, die
Antrage der SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag und die Arbeitsgruppe ,,Nichtehelichenrecht"
ausgesprochen.
In den letzten Jahren hat die offentliche Diskussion immer wieder gezeigt, daB bestehende rechtliche Unterschiede zwischen ehelichen und nichtehelichen Kindem einer vemtinftigen Grundlage
entbehren. So waren bis jetzt die Vorschriften des BGB zum Abstarnmungsrecht zweigeteilt. Durch
das KindRG werden die Bestimmungen der §§ 1591 bis 1600 0 BGB neugefaBt und damit die
416
417
418
419
420
421
BR-Drucksache 180/96, S. 69.
Wichmann, K: Die Reform des Kindschaftsrechts in der Diskussion. S. 165.
§ 1626 III BGB.
§ 1685 IBGB.
§ 1684 III 1 BGB.
§ 1684 IV 1 BGB.
93
Zweiteilung unter folgenden Zie1setzungen aufgegeben: ,,Die ,,Ehelichkeit" beziehungsweise
,,Nichtehelichkeit" eines Kindes soli kilnftig kein der Person anhaftendes Statusmerkmal mehr sein.
Die das heutige Abstammungsrecht priigende Unterscheidung zwischen ehelicher und nichtehelicher Abstammung mit der daraus folgenden Untergliederung der Vorschriften wird zugunsten einer
einheitlichen Regelung aufgegeben. Durch die gesetzliche Definition der Mutterschaft soli der
Tatsache Rechnung getragen werden, daB wegen der heute vorhandenen Moglichkeit einer Eioder Embryonenspende die gebarende Frau nicht mehr in jedem Fall zugleich genetische Mutter
des Kindes ist. ,,'22
Weitere Neuregelungen beschiiftigen sich mit der Erweiterung der Moglichkeiten fur die Vaterschaftsanfechtung durch das volljahrige Kind und mit der Beseitigung der Vermutung, daB ein
innerhalb einer bestimmten Frist nach der Scheidung geborenes Kind noch yom friiheren Ehemann
der Mutter stammt.
Die Darstellung der wichtigsten Reformanliegen und der in der Diskussion dariiber geiiu/3erten
Anderungswiinsche hat gezeigt, "daB tiber die wesentlichen Vorschliige der Regierungsentwiirfe im
politischen Raum und unter den fachlich zustandigen Stellen weitgehend Konsens besteht. Soweit
unterschiedliche Auffassungen vertreten werden, wie z.B. tiber Art und Umfang richterlicher Kontrolle von Elternvereinbarungen zum Sorgerecht, sind sie nicht von parteipolitischen Konstellationen beeinftu/3t, sondern durch die jeweiligen fachlichen Verantwortungsbereiche Rechtspflege,
Jugendhilfe oder Frauenpolitik gepriigt. Gelegentliche Versuche, ideologische Gegensiitze aufZubauen, werden hoffentlich weiterhin erfolglos bleiben."423
6. Die historische Entwicklung des Vormundschaftsrechts
Das Rechtsinstitut der Vormundschaft ist in zweifacher Hinsicht zu verstehen. Wie bereits im Kapitel F. Ill. 4. dargestellt, bezieht sich die Vormundschaft einmal aufMindetjahrige, die nicht unter
elterlicher Gewalt stehen. Der an dieser Stelle zu erortemde zweite Anwendungsgrund ist die amtlich verordnete verwaltende Fiirsorgetatigkeit fur Volljahrige, die entrniindigt sind.'2' Da diese
Thematik die vorliegende Arbeit nur marginal tangiert; kann die folgende Ubersicht nur punktuell
einige Probleme ansprechen und mu13 aufVollstandigkeit verzichten.
Schon das mittelalterliche Recht kannte eine Vormundschaft tiber Verschwender, Geisteskranke
und Geistesschwache und korperlich Behinderte wie Stumme, Blinde, hand-und fuBlose Leute.
Diese Personen mul3ten von ihren Verwandten unterhalten werden. Der Unterhalt ging dabei zu
Lasten des Vermogens des Bevormundeten. Bei Geisteskranken und Geistesschwachen hatten die
422 BT-Drucksache 13/8511. S. 69.
423 Wichmann, K: Die Reform des Kindscbaftsrechts in der Diskussion. S. 171.
424 Entmiindigung ist die Entziehung oder Beschriinkung der dem Entmiindigten dem Alter nach an sich zuslehenden Geschliftsllihigkeit; das heillt, die Entziehung der Fiihigkeit, durch eigene Handlungen Rechtsgeschilfte
vorzunehmen. (VgL §§ 1896, 1897 BGB in der vor der Neufussung durch das Betrenungsgesetz yom 12.09.
1990 geltenden Fassnng).
94
Verwandten und der Vormund auBerdem eine Aufsichtspflicht, damit der Bevormundete keinen
Schaden fur die Allgemeinheit anrichten konnte. Sie hafteten auch fur entstandene Schaden. Gefiihrliche Geisteskranke wurden in Verwahrung gehalten. Die Vormundschaft wiihrte solange, bis
der Mangel beseitigt wurde. 425
Am 1.1. 1992 trat das Gesetz zur Reform des Rechts der Vormundschaft und Pflegschaft fur Volljahrige in Kraft'26: ,,Dadurch wurde die seit Inkrafttreten des BGB weitgehend unveriindert gebliebene rechtliche Situation Volljahriger, die nicht in der Lage sind, ihre Angelegenheiten selbst zu
besorgen, neu geregelt. Das bis dahin geltende System der Vormundschaft und Pflegschaft fur
Volljahrige wurde abgeschaffi: und durch das Rechtsinstitut der Betreuung ersetzt. ,,'27
Bis 1992 war die ge1tende Rechtslage durch ein Nebeneinander von Vormundschaft Ober Volljahrige'28 und Gebrechlichkeitspflegschaft'29 gekennzeichnet. Der Vormundschaft ging immer eine
EntmOndigung voraus. Als EntmOndigungsgrOnde kamen vor allem Geisteskrankheiten, Geistesschwiiche, Verschwendung sowie Trunk- oder Rauschgiftsucht in Frage. Bei einer EntmOndigung
wegen Geisteskrankheit430 konnte der EntmOndigte keine Rechtsgeschiifle mehr selbst vornehmen.
Bei einer EntmOndigung aus anderen GrUnden wie Verschwendung oder Trunksucht wurde der
EntmOndigte wie ein beschriinkt Geschiiflsfiihiger behandelt. Er konnte folglich Rechtsgeschiifle
nur mit Zustimmung des Vormunds abschlieBen.
Die Gebrechlichkeitspflegschaft bezieht sich hingegen auf nicht bevormundete Volljahrige, die
aufgrund korperlicher oder geistiger Gebrechen ihre Ange1egenheiten nicht oder teilweise nicht
besorgen konnen. Die Pflegschaft selbst ist ein durch das Vormundschaftsgericht zu begrOndendes
FOrsorgeverhiiltnis eines Pflegers fur einen Pflegebefohlenen zur Besorgung einer besonderen Angelegenheit. Sie berechtigt den Pfleger zum Handeln nur innerhalb der ibm bestimmten Grenzen
und liiBt die Geschiiflsfiihigkeit des Pflegebefohlenen an sich unberOhrt: "Gebrechlichkeitspflegschaften wurden Oberwiegend ohne Einwilligung des Betroffenen als sogenannte
Zwangspflegschaften angeordnet. In der Praxis wurde die Zwangspflegschaft oft als Ersatz fur die
starreren Voraussetzungen unterliegende EntmOndigung eingesetzt. Die Pflegschaft durfle ohne
Einwilligung des Betroffenen zwar nur angeordnet werden, wenn eine Verstiindigung mit diesem
nicht moglich war; die Rechtsprechung nabm dies aber immer schon dann an, wenn der Betreffende
sich zwar tatsiichlich verstandlich machen konnte, aber geschiiflsunfahig war."43!
Eine rege1miiBige UberprOfung des Fortbestehens der Voraussetzungen fur eine Vormundschaft
oder Pflegschaft waren gesetzlich nicht vorgesehen. Das fuhrte dazu, daB eine einmal angeordnete
425 Vgl. Conrad, H.: Deutsche Rechtsgeschichte. S. 412.
426 Gesetz zur Refonn des Rechts der Vonnundschaft und PfIegschaft fiir Volljiihrige (Betreuungsgesetz, BtG) vom
12.09. 1990. BGBI. I 1990 S. 2002 ff..
427 Giesen, D.: Familienrecht Rdnr. 748.
428 Siehe §§ 18% ff. BGB aF..
429 Siehe§§ 1910, 1915, 1919f.BGBaF..
430 §§ 6 I BGB, 104 Nr. 3 BGB aF..
95
Pflegschaft oder Vormundschaft oft bis an das Lebensende des Betroffenen andauerte. Dariiber
binaus war das gerichtliche Verfuhren durch ein Nebeneinander verschiedener Rechtsvorschriften
sehr komp1iziert. Dem Betroffenen wurde nur iiuBerst unzuIii.nglich Verfuhrenstlihigkeit eingeriiurnt. Die fiiihere Rechtslage war also durch eine weitgehende Entrechtung des Betroffenen gekennzeichnet. Die Notwendigkeit einer Reform wurde schon 1975 durch die sogenannte Psychiatrieenquete betont. Bereits der 10. Deutsche Bundestag hat sich mit dieser Materie beschiiftigt.
Durch den Bundesminister fiir Justiz wurde im April 1986 eine interdiszipliniir besetzte Arbeitsgruppe einberufen, deren Arbeitsergebnisse im Dezember 1987 der Offentlichkeit als Diskussionsteilentwurf eines Gesetzes fiber die Betreuung Volljiihriger vorgestellt wurden.432
Ziel der Reform ist "die Beseitigung von diskriminierenden und stigmatisierenden Regelungen"
sowie "die Aufwertung und Ernstoahme des Bebinderten als Person und Mitbiirger"... ,,Als AusfluB
des verfassungsrechtlichen Verhiiltnismiif3igkeitsprinzips" soli dariiber hinaus "die Begrenzung
beschriinkender Drittfiirsorge auf das tatsiichlich erforderliche MaB" garantiert werden!33 Das
bedeutet, daB eine Betreuung nur erfolgt, soweit es zum Ausgleich der Defizite des Betroffenen
erforderlich ist. Dieser Grundsatz ist bereits in § 1896 I BGB enthalten und wird in
§ 1896 II 2 BGB durch den Subsisiaritiitsgrundsatz konkretisiert, nach dem keine staatliche Betreuung angeordnet wird, wenn durch private Se1bsthilfe dem Betroffenen ebenso gut geholfen
werden kann. Die Dauer der Betreuung wird auffiinf Jahre festgelegt. Eine Verlangerung kann
durch Antrag erwirkt werden. Die Betreuung hat grundsiitzlich keinen EinfluB auf die Geschiiftsfahigkeit des Betroffenen. Zum Schutz des Vermogens oder der Person des Betreuten kann jedoch
nach § 1903 I 1 BGB ein Einwilligungsvorbehalt angeordnet werden. Danach kann der Betreute
Rechtsgeschiifte, die weder lediglich rechtlich vorteilhaft noch geringfiigige Geschiifte des tiiglichen
Lebens sind, nur wirksam mit Einwilligung seines Betreuers abschlieBen. 434 Die Pflegschaft bingegen ist nach § 1909 if BGB eine vormundschaftliche Fiirsorge fiir einzelne Angelegenheiten oder
einen Kreis von solchen. Eine Beschriinkung der Geschiiftsfahigkeit des Betroffenen ist weder
Voraussetzung noch Foige der Vormundschaft.
431 Giesen, D.: Familienrecht Rdnr. 751.
432 Vgl. Rink, 1.; Bauer, A: Richterliche Erfahrungen mit den Grundsiitzen des neuen Betreuungsrechts in der
PIaxis des geltenden PIlegschafts-/ EntmiJndigungsrechtes. FamRZ Jg. 35 (1988), H. 12, S. 1229.
433 Coester,M.: Von anonymer Verwaltung zu pers6n1icher Betrenung. Zur Refonn des Vonnund- und Pflegschafisrechts fUr Volljilhrige. In: Jura 1991. S. 3.
434 UmkehrschluJl aus § 1903 ill 1,2 BGB.
96
N. Die sprachliche Entwicklung des Familienrechts
Nachdem in den vorangegangenen Kapiteln die historische Entwicklung des FamiJienrechts betrachtet wurde, soil im folgenden Kapitel die sprachliche Entwicklung im Vordergrund stehen.
Dabei besteht nicht der Anspruch aufVollstiindigkeit, da der Schwerpunkt der Arbeit auf der aktuellen Sprache des Rechts liegt, es soil vielmehr an zwei Beispielen gezeigt werden, daB der Wandel
gesellschaftlicher Einstellungen und Beurteilungen rechtlicher Probleme sich auch durch sprachliche
Anderungen niederschlligt.
I. Yom "unehelichen" zum "nichtehelichen" Kind
Das Wort "unehelich" ist erstmals im Sachsenspiegel belegt und zwar als "unelicher man" im Sinne
von recht- und gesetzlos. Nach Haibachs Untersuchung ist der Begriff "unehelich" "wohl in dieser
Zeit des Obergangs von der ausschlieBlich lateinischen zu der auch deutschsprachigen Rechtsaufzeichnung als Obersetzung von illegitimus entstanden"435. In g1eichen Sinn verwendet der vom
Sachsenspiegel beeinfluBte Schwabenspiegel den Begriff: ,,Aus dem gleichen Werk ist er auch
erstmals fur auBer der Ehe, nicht ehelich bekannt etwa in § 47 des Landrechts: "von unelichen
kinden" und in dessen § 377: "wie uneliche kint e kint werdent". Darnit wirkte sich auf seinen Inhalt
die im Sachsenspiegel zum ersten Mal festzustellende Bedeutungserweiterung von ehelich auf zur
Ehe gehOrig, sie betreffend aus mit der Folge, daB auch das Kompositurn in diesem Bezug verwendet wurde. ,,436
Seit Ende des 17. Jahrhunderts wurde der Begriff rechtssprachlich und auch allgemeinsprachlich
gebraucht und,,in den Text des Biirgerlichen Gesetzbuches 1896 in die §§ 1705 ffBGB 1896 entsprechend dem Entwurfvon Planck 1880 fibernommen"m.
Erst mit der Reform des Unehelichenrechts durch das Gesetz fiber die rechtliche Stellung der nichtehelichen Kinder vom 19.8. 1969 wurde der bisher verwendete Begriff "unehelich" durch den Begriff "nichtehelich" ersetzt.
Erstmals wird die Forderung nach dem Ersatz von unehelich durch nichtehelich aIlerdings schon in
der Begrundung zum Gesetz zur Anderung famiJien- und erbrechtlicher Vorschriften vom
28.6.1940438 aufgestellt: ,,Mit diesem Gesetz sollte das nichteheliche Kind vom ,,Makel der Minderwertigkeit" befreit und deshalb kiinftig nicht mehr unehelich genannt werden. Ebenso wurde
,jede Bezeichnung, die den Gegensatz zur Ehelichkeit in einer herabsetzenden und sonst zur Kennzeichnung eines Minderwerts gebrauchlichen Weise zum Ausdruck bringt" abgelehnt, "da der Wert
435
436
437
438
Halbach, D.: Familienrechtin derRechtssprache. Frankfurt am Main, Bern u.a 1991. S. 214.
Haibach, D.: Familienrecht in der Rechtssprache. S. 215.
Haibach, D.: FamiJienrechtinderRechtssprache. S. 217f..
Vgl. Schubert, W.: Der Entwurf eines Nichtehe1ichengesetzes vom Jull 1940 nnd seine AbJehnnng durch Hitler.
FamRZ Jg. 31 (1984) R 1, S. 1 ff..
97
eines Volksgenossen fur die Volksgemeinschaft nicht von seiner Herkunft, sondem von seiner
Leistung und von seiner Treue zu dieser Gemeinschaft abhiingt"."439
In der Tat enthielten die §§ 1705 ff. BGB i.d.F. 1896 bewuBt eine Schlechterstellung au!3erehelich
geborener Kinder, die die Moralvorstellungen urn die Jahrhundertwende widerspiegelt. Schon wiihrend der Weimarer Republik gab es verschiedene Gesetzentwiirfe, die diese Ungleichbehandlung
aufheben wollten; jedoch scheiterten sie alle an der konservativen Mehrheit: ,,Erst unter der Herrschaft der nationa1sozialistischen Ideologie setzte sich der Gesetzgeber dariiber hinweg, wei! er das
Wachsen der Bevoikerung aufgrund seines Expansionsstrebens vor uberkommene moralische
Vorstellungen stellte. ,<440 So progressiv der Ansatz, uberkommene moralische Vorstellungen zu
beseitigen, auch auf den ersten Blick erscheint, so zweife1haft wird er angesichts der gefahrlichen
dahinterstehenden Zielrichtung, wie die Geschichte leidvoll bewiesen hat. Der Gesetzentwurfwurde wegen des Kriegsgeschehens auch nicht mehr verabschiedet, so daB die alten Formulierungen
ihre Gilltigkeit bebielten.
Erst 1969 wurde der Begriff "unehelich" bei der schon erwabnten Reform des Nichtehelichenrechts
durch den Begriff ,,nichtehelich" ersetzt. AIlerdings erfolgte diese Umbenennung nicht, wie man
vermuten konnte, an den geanderten modemeren Moralvorstellungen, sondem nach der Begriindung des Rechtsausschusses yom 9. Mai 1969 "wurde der Ausdruck lediglich gewiih1t, urn mit der
neuen Formulierung die Abgrenzung zu den alten Regelungen zu markieren: ,,Da die Rechtsstellung der nichtehelichen Kinder gegenuber dem geitenden Recht von Grund auf geandert wird, erschien auch eine Anderung in der Bezeichnung angemessen" .,,441
Ganz allgemein gesehen stellt sich die Frage, ob die Ersetzung des Priifix "un-" durch den Vemeinungspartikel ,,nicht" "eine Verbesserung im Sinne einer positiveren Formulierung eingetreten
ist"442. Beide gehen aufdie gleiche indogermanische Wurzel *ne a1s Negation zurUck. Daraus entstand das althochdeutsche ,,nein", aus dem sich wiederurn uber das mittelhochdeutsche ,,niht" das
neuhochdeutsche ,,nicht" entwickelte. 1m Gegenzug wurde die gleiche indogermanischen Wurzel
im Althochdeutschen zu "un-" als Vemeinung.443 Seit dem Ende des 17. Jahrhunderts ist eine unter-
schiedliche inhaltliche Bewertung der beiden sprachlichen Erscheinungen festzustellen, die sich bis
in die Gegenwart gehalten hat: 1m Worterbuch der Gegenwartssprache ist zu lesen, daB un- fur
etwas Ungiinstiges, Negatives und tadelndes Werturtei! stehen kann444 , wiihrend nicht lediglich als
wertfreie Vemeinung aufzufassen ist445 . Jedoch kann zu Recht bezweifelt werden, ob allein durch
die geiinderte Wortwahl bestehende Diskriminierungen fur nichteheliche Kinder abgebaut werden
439
440
441
442
443
444
445
Haibach, D.: Familienrecht in der Rechtssprache. S. 219.
Haibach, D.: Familienrecht in der Rechtssprache. S. 220.
Haibach, D.: Familienrechtin derRechtssprache. S. 223.
Haibach, U.: Familienrecht in der Rechtssprache. S. 220.
Vgl. dazu Haibach, u.: Familienrecht in der Rechtssprache. S. 221.
Wiirterbuch der deutschen Gegenwartssprache. Ed. 5. Berlin 1976. S. 3895 f..
Wiirterbuch der deutschen Gegenwartssprache. Ed. 4. Berlin 1974. S. 2648 f..
98
konnten. Festzuhalten und positiv zu bewerten ist aIlerdings die Tatsache, daB "mit der Ubernahme
des Wortes nichtehelich in den Gesetzestext des Familienrechts die grundlegende Reform des
Nichtehelichenrechts durch Gesetz yom 19.08. 1969 verbunden" ist "und nach auBen deutlich
gemacht"446 wurde.
2. Von der "viiterlichen Gewalt" zur "elterIichen Sorge"
Im Kapitel F. III. 4. iiber die historische Entwicklung wird deutlich, daB die Entscheidungshoheit
iiber die fami1iiiren Frageste11ungen dem Vater oblag. Dieses geschichtlich gewachsene Fami1ienverstiindnis zeigt sich auch in der BegrifIlichkeit der vaterlichen Gewalt. Der Begriff ist erstmals im 16.
Jahrhundert auf dem Hohepunkt der Rezeption belegt und entstand wahrscheinlich als "wortliche
Lehniibersetzung des romischen Rechtsbegri:lfes der patria potestas, mit dem das Herrschaftsrecht
des pater familias iiber den Familienverband bezeichnet wurde und ersetzte in seiner lateinischen
und auch deutschen Form das seit dem Althochdeutschen nachgewiesene und bereits fUr das Germanische erschlossene Munt."447 Die Ersterwiihnung des deutschen Begriffs findet sich vermutlich
in dem in Augsburg gedruckten Laienspiegel aus dem Jahre 1509. Weitere Belege finden sich in
den folgenden Jahrzehnten. 448
Der Ausdruck viiterliche Gewalt setzte sich in der deutschen Rechtssprache durch, und so finden
sich bis in das 18. Jahrhundert dafiir zah1reiche Be1ege, wie zum Beispiel im schon besprochenen
PreuBischen AIIgemeinen Landrecht: ,,In den Text des Familienrechts im Biirgerlichen Gesetzbuch
in seiner Fassung von 1896 wurde er jedoch nicht iibemommen. Dies hatte zur Folge, daB er mit
dem Ende des 19. Jahrhunderts nicht mehr gebraucht wurde und unterging.,,449
An seine Stelle trat der Begriff elterliche Gewalt, der sich auch im Gesetzestext des BGB von 1896
wiederfindet: "Obwohl somit die elterliche Gewalt ein ihrem Wesen nach beiden Eltem gemeinsam
zustehendes Recht sein sollte, beinhalten ihre Regelungen keine Gleichberechtigung beider Eltemteile. Vielmehr wurde dem Mann aufgrund "der Ubermacht des Vaters", die ,,in der Natur der
Dinge" begriindet se~ der Vorrang eingeriiumt, da dem Entwurf ,,nichts ferner' lag, "als der Gedanke der sogenannten Emanzipation der Frauen"."4SO Insofem war auch nach wie vor der Vater
Inhaber der elterlichen Gewalt, lediglich nach dessen Tod oder wenn er sein Recht verwirkt hatte,
nabm die Mutter seine Stelle wahr.
Die Forderung nach Gleichberechtigung wurde erst im 20. Jabrhundert imrner lauter gestellt. Ihre
verfassungsmiiBige Grundlage findet sich in Art. 3 II GG. AusfluB dieser Entwicklung ist das schon
behandelte Gleichberechtigungsgesetz von 1957, mit dem die elterliche Sorge aufbeide Eltemteile
gemeinsam iibertragen wurde. Trotzdem blieb nach § 1628 BGB i.d.F. 1957 noch imrner "ein Ent446
447
448
449
Halbach, U: Fami1ienrecbt in der Recbtssprache. S. 223.
Halbach, U.: Fami1ienrecbt in der Rechtssprache. S. 281 f ..
Siehe Haibach, U: Fami1ienrecbt in der Rechtssprache. S. 280 f..
Haibach, U: Fami1ienrecht in der Rechtssprache. S. 283.
99
scheidungsrecht des Vaters festgeschrieben, das erst durch Bundesverfussungsgchtsurteil vom
29.7. 1959 entfiel. Dec Ausdruck eltecliche Gewalt blieb jedoch bestehen, da ec in seinec Formulierung keine Ungleichbehandlung beinhaltete.wlSI
Erst 1979 wurde durch das Gesetz zur Neuregelung des Rechts dec elterlichen Sorge dec Begriff
Gewalt durch Sorge ersetzt:
"Sorge geht zuriick auf die indogermanische Wurzel *suergh mit dec Bedeutung sorgen, sich
kiimmern, abec auch krank sein, aus dec sich das althochdeutsche "sor(a)ga, sworga" im Sinne von
Sorge, Besorgnis, Millie und Aufinerksamk:eit entwickelte. Auch im Mittelhochdeutschen wurde es
mit diesem Inha\t gebraucht und diente daneben seit dem 15. Jalninmdert zur Obersetzung des mit
dec Rezeption nach Deutschland gelangten lateinischen Ausdruckes cura bis in das 19. Jahrhundert."'IS2
A11gemeinsprachlich haben sich diese unterschiedlichen Bedeutungen bis in unsere Zeit gehalten.
Die Formulierung elterliche Sorge ist jedoch zu einem Ha1bterminus dec Rechtssprache geworden.
In dec Rechtssprache dec DDR findet sich dieser Ausdruck schon 1950 in dem Gesetz tiber den
Muttec- und Kinderschutz und die Rechte dec Frau. In dec Bundesrepublik ist dec Begriff elterliche
Sorge erst spiitec belegt. Doch zu Beginn dec 70ec Jahre wurde die Formulierung elterliche Gewalt
zunehmend als nicht mehr zeitgemlill kritisiert, weil sie die Eltern-Kind-Beziehung in ihrer rechtlichen Ausgestaltung miBverstlindlich als ein GewaltverhiUtnis bezeichne.
In dec sich anschliel3enden Diskussion gab es verschiedene .Anderungsvorsch1ilge. Dec Ausdruck
e1terliche Sorge wurde als dec sprachlich und inhaltlich geeignetste Vorsch1ag ausgewiihlt, urn das
Rechtsverhli.ltnis zwischen Eltern und Kindem als von gegenseitigem Verstlindnis und Riicksichtnahme gepliigter Erziehung zu einec selbstverantwortlichen PersOnlichkeit zu bezeichnen4S3 :
,,Damit wurde die in dec Rechtssprache dec Deutschen Demokratischen Republik gebrliuchliche
Formulierung in die dec Bundesrepublik Deutschland tibemommen und geIangte mit dec Reform
des Rechts dec elterlichen Sorge durch Gesetz vom 18.7. 1979 mit den §§ 1626 ff. BGB in den
Gesetzestext des Familienrechts, in dem sie seithec linveriindert erhalten ist.'<4S4
450
451
452
453
454
Haibach, u.: Fami1ienrecht in der Rechtssprache. S. 285.
Halbach, u.: Fami1ienrecht in der Rechtssprache. S. 285.
Halbach, u.: Fami1ienrechtinderRechtssprache. S.286.
Vgl. Halbach, U.: Fami1ienrecht in der Rechtssprache. S. 287 f..
Halbach, U.: Fami1ienrecht in der Rechtssprache. S. 288.
G Empirische Untersuchung zur Fachsprache des Rech1s dargesteUt am
Beispiel des Ehescheidungsrech1s
L
Ubersicht iiber die wichtigsten Fachtermini des Ehescheidungsrechts im Vergleich
zwischen BundesrepubJik und ehemaliger DDR
Bundesrepublik
ehemalige DDR
Ehescheidung
1. allgemein
ist die AuflOsung der Ehe durch Urteil
aus GTOnden, die nach der EheschlieBung eingetreten sind. Beide
Ehepartner kOnnen den Antrag auf
Ehescheidung einreichen. Die Ehe
kann geschieden werden, wenn sie
gescheitert ist (Zerrottungsprinzip),
d.h. daB die Lebensgemeinschall der
Ehegatlen nicht mehr bes!eht und
nicht 9fWartet werden kann, daB die
Ehegatlen sie wieder herstellen. 455
ist die Auflosung der Ehe durch
gerichtiiches Urteil auf Klage eines Ehegatlen. Das Ehescheidungsrecht geht vom ZerrOttungsprinzip aus, das den Sinnverlust der Ehe als Voraussetzung belnha~et. Eine Ehe wird
gem!!B § 24 I FGB dann geschieden, wenn sie ihren Sinn
fOr die Ehegatlen, die Kinder
und damit auch fOr die Gesellschall verloren hat 456
2. einverstandliche
Scheidung
Die Eheleute leben seit einem Jahr
entweder innerhalb der ehelichen
Wohnung oder schon riiumlich getrennt (Einha~ng des Trennungsjahres), wollen geschieden werden und
einigen sich aber die Scheidungsfolgesachen. 457
3. streitige Scheidung
Die Eheleute leben selt mindes!ens
einem Jahr innerhalb der ehelichen
Wohnung oder riiumlich getrennt Es
kann nicht erwartet werden, daB die
eheliche Lebensgemeinschaft wiederhergesteltt wird. Eine der Parteien will
nicht geschieden werden. 456
4. Hartescheidung
DafOr massen schwerwiegende Tatbesti!nde vorliegen wie korperliche
MiBhandlung, massiver AlkoholmiBbrauch, Verletzung der ehelichen
Treue. Allerdings gibt es dazu keine
einheitliche Rechtsprechung. 459
Tabelle 5
455 Vgl. Miinchener Kommentar zorn Bilrgerlichen Gesetzbuch. Bel. 7. Wolf (Bearbeiter) § 1564 Rdnr. 14 und
§ 1565 Rdnr. 1.
456 Autorenkollektiv: Rechtshandbuch fUr den Bilrger. 1. Auf!. Berlin 1985. S. 234 f..
457 Vgl. Miiuchener Kommentar zorn Biirgerlichen Gesetzbuch. Bel. 7. Wolf (Bearbeiter) § 1564 Rdnr. 17 und
§ 1566 Rdnr. 1.
458 Vgl. Miincbener Kommentar zorn Biirgerlicben Gesetzbuch. Bel. 7. Wolf (Bearbeiter) § 1564 Rdnr. 17.
459 Vgl. Miincbener Kommentar zorn Bilrgerlicben Gesetzbuch. Bel. 7. Wolf (Bearbeiter) § 1564 Rdnr. 17.
102
Bundesrepublik
Sorgerecht
ehemalige OOR
ist nach § 1626 I BGB das Recht von
Unter dem Begriff Erziehungsrechte und
Vater und Mutter, fOr das mindeJjahrige
-pflichten zusammengefall.t, die nach § 43
Kind zu sorgen. Die etterliche· Sorge
FGB den Ettem eines Kindes ma dem Ziel
umfall.t die Personensorge und die Ver-
seiner kOrperlichen und geistigen Entwick-
mOgenssorge sowie die rechtliche Ver-
lung obliegen. Dazu gehOren Personen- und
tretung des Kindes. Nach der Scheidung
VermOgenssorge sowie die rechtliche Ver-
bleibt die gemeinsame etterliche Sorge
tretung des Kindes. Wird die Ehe der Ettem
bestehen (§ 1671 BGB). 1m Vergleich zu
geschieden, leg! das Gericht nach § 25 I
frOher ist keine gerichtiiche Entscheidung
FGB fest, welcher der Ehegatten das etterli-
von Amts wagen vorgesehen. Nur wenn
che Erziehungsrecht kOnllig allein ausObt.48,
ein Eitemteil den Antrag auf Alleinsorge
stell!, mull. das Gericht entscheiden.480
Das
Umgangsrecht
Umgangsrecht wird
durch
das
Der nicht erziehungsberechtigte Eltemteil
KindRG erweitert. Danach hat das Kind
erhatt nach § 27 I FGB die Befugnis zum
ein Recht auf Umgang ma jedem EI-
persOnlichen Umgang ma dem Kind. Es ist
temteil; jeder Eitemteil ist zum Umgang
Aufgabe der Ettem, sich iiber ArI und Weise
ma dem Kind berechtigt und verpflichtet
des Umgangs zu einigen. Es gibt allerdings
(§1684 I BGB). Nach § 1685 I BGB
keine gesetzliche Moglichkeit, den Umgang
haben auch Groll.eltem und Geschwister
ma dem Kind gegen den Willen des Erzie-
ein Recht auf Umgang, wenn es dem
hungsberechtigten durchzusetzen. 463
Wohl des Kindes dient. Das Familiengericht kann iiber den Umfang des Urngangsrechts en!scheiden und eine AU5iibung, auch gegenober Dritten, naher
regeln (§ 1684 III BGB).462
Tabelle6
460 Vgl. dazu Schwab, D.: Elterliche Sorge bei Trennung und Scheidung der Eltem. FamRZ. Jg. 45 (1998) H. 8,
S.457.
461 Vgl. Autoreokollektiv: Rechtshaudbuchfiirden Biirger. S. 226.
462 Vgl. dazu auch Rauscher, Th.: Das Umgangsrecht im Kindschaftsrechtsreformgesetz. FamRZ. Jg. 45 (1998)
H. 6, S. 329.
463 Vgl. Autorenkollektiv: Rechtshaudbuch fUr den Biirger. S. 226 f..
103
Bundesrepublik
Ehemalige DDR
Der Versorgungsausgleich ist nach
Der Versorgungsausgleich ist im Famili-
§§ 1587 ft. BGB der Ausgleich der An-
enrecht nicht geregett, da jeder Ehegatte
spruche auf Versorgung zwischen zwei
im Normalfall durch Berufsarbett eigene
Ehegatten im Scheidungsfall.
Versorgungsanspruche erwirbt
Aus-
gleichspflichtig ist der Ehegatte mtt
werthOheren
Anwartschaflen
oder
Aussichten auf eine auszugleichende
Versorgungsausgleich
Versorgung.
Der
Versorgungsaus-
gleich beruht auf dem Grundgedanken,
daB die in der Ehe erworbenen Versorgungsanrechte das Ergebnis einer
partnerschaftlichen und gleichwertigen
Lebensleistung darstellen, selbst wenn
nur einer der Ehegatten mit seiner Erwerbstatigkett finanziell zum Familienunterhatt beigetragen hat. 464
Der Zugewinn ist nach § 1373 BGB
der Betrag, um den das Vermogen ei-
Zugewinn
nes Ehegatten bei Ende der Ehe sein
Vermogen am Anfang der Ehe Obersteigt
Die Zugewinngemeinschaft ist nach
Nach gOttigem gesetzlichen Gaterrecht
§ 1363 BGB der gesetzliche Gater-
leben die Eheleute in Errungenschafts-
stand, bei dem das Vermogen des
gemeinschaft. Das ist eine Form der
Ehegatten stilndig getrennt bleibt und
Gatergemeinschaft, in der das in der Ehe
erst nach Beendigung der Ehe der Zu-
errungene Gut gemeinschaftliches Ver-
gewinn, den die Eheleute jeweils in der
mOgen wird, die Yorehelichen Vermogen
Zugewinngemein-
Ehe erziett haben, ausgeglichen wird.
dagegen getrenntes Vermogen des je-
schaft
Die Zugewinngemeinschaft gi~ fOr aile
weiligen Inhabers bleiben.
EheschlieBungen, bei denen sie nicht
durch Ehevertrag abbedungen wird. 465
Zugewinngemeinschaft hingegen kOnnte
durch den AbschluB yon Ehevertragen
fOr die Eigentums- und Vermogensbeziehungen der Ehegatten relevant werden.
Tabelle7
464 Miinchener Kommentar zum Biirgerlichen Gesetzbuch. Bd. 7. DOrr (Bearbeiter) vor § 1587 Rdnr. 1, 2.
104
Bundesrepublik
Unterha~
Unterhalt dient der materiellen Versor-
chen Au1Wendungen. Angemessener Unist dabei nach § 1610 I BGB der
gung eines FamilienangehOrigen oder
Verwandter durch einen anderen, wenn
kein Zusammenleben in einem gemein-
ist die Gesamtheit der fOr den
Lebensbedarf eines Menschen erforderli-
Unterhalt
1.allgemein
Ehemalige DDR
terha~
nach der jeweiligen Lebensstellung des
BedOrftigen bestimmte Unterhalt 466
samen Familienhaushalt gegeben ist
Unterhalt entsteht neben
dem
Ge-
trenntleben mit BedOritigkeit des Berechtigten und Leistungsfiihigkeit des
Verpflichteten. 467
2. Kindesunterhalt
Grundsiitzlich hat de~enige E~emteil den
Kindesunterha~ zu zahlen, bei dem die
Nach § 19 I FGB ist der Ettemteil unter-
Kinder nicht leben. Der andere E~mteil
kommt
seiner
Unterha~verpflichtung
durch Naturalleistungen in Form von Verpflegung, kochen, waschen etc. nacho Oem
Kind nicht lebt Die Unterhaltspflicht der
Eltem beginnt Kraft Gesetzes mit der
Gebur! des Kindes, da es immer bedOrftig ist, vorausgesetzt, daB der Eltemteil ,
Unterhaltsverpflichteten ist dabei ein ge-
der nicht mit dem Kind zusammenlebt,
halt
(Nachehelicher
Unterhalt)
in dessen Haushalt das
wisser Betrag zu belassen, damit er seinen
leistungsfiihig ist Er muB soviel verdie-
bestreiten kann. Dabei
nen, daB er auBar fOr sich auch noch fOr
Lebensunterha~
3. Ehegattenunter-
ha~verpflichtet,
handelt es sich urn den sogenannten
Selbstbehalt468
das Kind aufkommen kann."""
Grundsiitzlich sind die Ehegatten nach der
VerfOgt ein Ehegatte sofor! nach der
Scheidung selbst fOr ihren Unterha~ verantwortlich. Nach dem Grundsalz von
Scheidung nicht Qber ausreichendes
eigenes Einkommen (in der Regel sind
§ 1569 BGB gibt es eine Reihe von Gran-
es Frauen), dann kann ein Unterhalts-
den, aufgrund derer ein geschiedener Ehe-
verhiiltnis zwischen den geschiedenen
gatte von dem anderen Unterhatt verlangen
Partnem gerichtlich begrandet werden.
kann. Dazu gehoren zum Beispiel der Un-
Diese Unterhaltszahlungen sollen mog-
wegen der Kindererzie-
lichst nicht zu einer Dauerabhiingigkeit
hung, wegen des Alters, wegen Krankheit,
fOhren. Das ware mit der Gleichberech-
wegen AU5- und Fortbildung oder der Un-
tigung der Frau in der Gesellschaft nicht
mangels angemessener
vereinbar. Der Unterha~ 5011 dazu die-
terha~anspruch
terha~anspruch
Erwerbstiitigkeit 470
nen, dem BedOrftigen den Obergang in
die wirtschaftliche Unabhiingigkeit zu
erleichtem. 471
Tabelle8
465 Vgl. dazu Miinchener Kommentar znm Biirgerlichen Gesetzbnch. Ed 7. Gernhnber (Bearbeiter) EinI. zu
§§ 1363-1563 Rdnr. 24.
466 Vgl. Miillchener Kommentar znm Biirgerlichell Gesetzbuch. Ed 8. Kohler (Bearbeiter) vor § 160 1 Rdnr. 45 ff..
467 Vgl. Autorenkollektiv: Rechtshandbnch fUr den Biirger. S. 219 f.
468 Vgl. Miinchener Kommentar znm Biirgerlichen Gesetzbnch. Ed 8. KOhler (Bearbeiter) vor § 1601 Rdnr. 52.
469 Vgl. Autorenkollektiv: Rechtshandbnch fUr den Biirger. S. 220.
470 Vgl. Miinchener Kommentar znm Biirgerlichen GesetzbllCh. Ed 7. Richter (Bearbeiter) § 1570 Rdnr. L
471 Vgl. Alltorenkollektiv: RechtshandbnchfUrdenBiirger. S. 223.
105
IT. Empirische Untersuchung der Fachsprache des Familienrechts
1. RechtIicher Korpus und sprachwissenschaftliche Methodik
Die empirische Untersuchung der Fachsprache des Familienrechts umfaBt zwei Schwerpunkte: im
ersten Tell werden Kommunikationsstorungen zwischen Anwalt und Mandanten ana1ysiert, der
zweite Teil beschiiftigt sich mit Kommunikationsstorungen, die im gerichtIichen Scheidungsverfuhren zwischen Richter und den Parteien auftreten konnen.
Zum ersten Schwerpunkt wurden fiin1Zehn Rechtsanwiiltinnen und Rechtsanwiilte interviewt:72
Dariiber binaus wurden die Rechtsanwiilte gebeten, anhand von Fragebogen Ehescheidungsfiille
aus ihrer Praxis aufKommunikationsstorungen bin zu untersuchen. Grundlage fur den Fragebogen
ist ein modifiziertes Kommunikationsmodell, das auf dem Schulz von Thunschen Kommunikationsmodell des "vierohrigen" Empfiingers basiert. 473 Das Kommunikationsmodell ist mit einem
juristischen ,,Raster" verkniipft, das Anwiilte bei der Vorbereitung einer Scheidung verwenden. 474
Bei der Auswertung werden auch Aspekte des soziolinguistischen Varietaten-Modells von Loffler475 sowie Erkenntnisse der sprachlichen Charakterisierung der Fachsprache des Ehescheidungsrechts476 beriicksichtigt. Dem Kommunikationsmodell vorangestellt ist ein Komplex mit soziologischen Fragestellungen zur jeweiligen Mandantin oder zum jeweiligen Mandanten, der niiheren
AufschluB iiber die extemen Kontextbedingungen der Kommunikation geben soli.
Nach AbschluB dieser Fragebogenaktion liegen 55 ausgefiillte Fragebogen (das entspricht also 55
ScheidungsfaJIen) vor, deren Ergebnisse im folgenden Kapitel dargestellt und analysiert sowie
durch Erkenntnisse der miindlichen Befragungen ergiinzt werden.
Der zweite Schwerpunkt der empirischen Untersuchung konzentriert sich auf KommunikationsstOrongen im Gerichtsverfahren. Dazu wurden Interviews mit Familienrichtem der Amtsgerichte Jena,
Weimar, Stadtroda und Gera durchgefiihrt:77 Grundlage der Gespliiche blldeten zum einen die
Ergebnisse der Fragebogenaktion der Rechtsanwiilte, mit denen die Richter konfrontiert wurden.
Zum anderen wurden Fragen zu eigenen Erfubrungen mit Kommunikationsstorungen zwischen
Richter und Parteien vor Gericht gestellt. 478 Die Ergebnisse dieser Gespliiche werden im iibemachsten Kapitel dargestellt und ana1ysiert.
472 Besonderer Dank gilt in diesem Zusammenhang folgenden Rechtsanwllltinnen und Rechtsanwlllten: RA Dr.
Doring. RAin Kogler, RAin Dr. Lingelbach, RA Miiller, RAin NaB, RAin Plitz, RA VoB (aile Jena) sowie RA
Heinrich (Frankfurt aM).
473 Vgl. damKap. B. n., S. 10 If..
474 Dabei wird nnterschieden nach Scheidnngsvoranssetzungen sowie Scheidungsfolgen 1 nnd Scheidnngsfolgen 2.
Scheidungsfolgen 1 milssen von Amts wegen geregelt werden. Scheidnngsfolgen 2 sind dagegen fakultativ.
475 Vgl. aueh Kap. E., S. 43 If..
476 Siehe dam auch Kap. D. n., S. 24 ff..
477 Besouderer Dank gilt an dieser Stelle Amtsgerichtsdirektor Schemann, Richterin Scblicksbier (Amtsgericl\t
Stadtroda), Richter Strohscher (Amtsgericht Gem) und Richter Dettmar (Amtsgericht Weimar).
478 Basis dafiir hildet wieder das modifizierte Schulz von Thnnsche Kommunikationsmodell sowie die EIkenntnisse
aus Kap. H. ill., S. 145 If. zur Verwendnng mediativer E1emente im gerichtlichen VeIfubren.
106
2. Die Kommunikation zwischen Anwalt und Mandanten
a) Soziologische Angaben
Geschlecht
Alter
mannlich
60%
weiblich
40%
18-30 Jahre
18%
31-45Jahre
55%
46-60 Jahre
27%
Ober 60 Jahre
Ausbildung
Beruf
Herkunft
-
Lehre
42%
Fachschulausbildung
27%
Hochschulausbildung
31%
angestellt
60%
selbstandig
16%
nicht berufstatig
24%
Neue Bundeslander
73%
Alte Bundeslander
18%
Auslander
9%
Tabelle9
Tabelle 9 gibt eine Ubersicht Ober soziologische Aspekte der Antragsteller. 479 Beziiglich der Geschlechterverteilung gibt es mehr mannli.che Antragsteller als weibliche. Diese Aussage steht aber
nur scheinbar im Widerspruch zu Kapitel E. ill. 4., wo daraufverwiesen wurde, daB der Anteil von
Frauen an den Scheidungskliigem bereits Mitte der achtziger Jahre mehr als zwei Drittel betrug 4 'O
Die von den Anwiilten fur die Fragebogenaktion ausgewiih1ten Fiille orientierten sich nicht primiir
nach geschlechterspezifischen Aspekten, sondern wurden unter dem Blickwinkel ausgewiih1t, stellvertretend fur unterschiedliche Kommunikationskonstellationen zu stehen. Tendenziell wurde jedoch von den Anwiilten bestatigt, daB Frauen immer ofter Scheidungsantrage stellen, wobei die
Quote naturgemiil3 von Anwalt zu Anwalt schwankt. FOr Thiiringen stellt sich die Situation fur das
Jahr 1998 folgendermaBen dar: Insgesarnt wurden im Freistaat 4988 Ehen geschieden. Dabei wur-
479 Das ZahIenmaterial der Tabellen 9 - 15 bezieht sich auf die in der Fragebogenaktion ausgewerteten 55 Scheidungsfiille.
480 Vgl. S. 55 II.
107
den 3487 Scheidungsverfahren von der Ehefrau und nur 1396 Scheidungsverfahren yom Ehemann
beantragt. In 105 Hillen beantragten beide Ehepartner die Scheidung,,·l
Die altersspezifische Verteilung zeigt, daB immer mehr Ehen nach verhiiltnismiillig kurzer Dauer
(also in einem mittleren Altersbereich zwischen 31- 45 Jahren) geschieden werden. Wie schon
ausgeflihrt, gibt es eine weitere Scheidungshaufung bei Langzeitehen, wenn eine Neuorientierung
der Partner ohne die mitt1erweile erwachsenen Kinder erfolgt. 482 Beziiglich des
(Aus)bildungsstandes der Antragsteller bietet sich ein stark differenziertes Bild: Sowohl ein eher
niedriges Bildungsniveau als auch ein hohes Bildungsniveau geben AnIaB zu Kommunikationsstorungen. So wirken sich bei Antragstellem mit eher niedrigem Bildungsniveau Faktoren wie Alkohol- und TablettenmiBbrauch sowie latente Gewaltbereitschaft negativ auf die Kommunikation aus.
In einem Fall war der Alkoho1millbrauch so gravierend, daB die Kommunikation auf allen Ebenen
nachhaltig gestort war. Probleme ergeben sich auch bei psychischer Erkrankung eines Antragstellers, da sich diese Mandanten hiiufig nicht nur in der Kommunikation passiv verhalten und es ihnen
an EntschluJ3kraft und Durchsetzungsvermogen fur die eigenen Interessen mangelt.
Bei Antragstellem mit hoherem Bildungsniveau ist oft ein juristisches Halbwissen vorhanden, das
die Kommunikation zwischen Anwalt und Mandanten erschwert. In diesem Zusammenhang spielen
auch die Erwartungshaltung und das Rollenverstiindnis eine groBe Rolle. So ist oftmals die Erwartungshaltung von Antragstellern mit eher niedrigem Bildungsstand an den Anwalt sehr hoch. Sie
haben geradezu Ehrfurcht vor dem Fachrnann und vertrauen ihm blind. Dagegen steigt die Skepsis
gegeniiber dem Anwalt mit der Zunahrne des Bildungsniveaus. Aussagen des ProzeBvertreters
werden kritisch, zum Teil auch miBtrauisch, hinterfragt. Es ist aber auch die gegenliiufige Tendenz
zu beobachten, daB Antragsteller aufgrund mangelnden Wissens das Handeln des Anwalts nicht
einschiitzen konnen und ihm deshalb als "Geldabschneidet' miBtrauen. Dagegen vertrauen viele
Antragsteller mit hOherem Bildungsniveau der umfassenden Ausbildung des Juristen, und suchen
sich gezielt einen Spezialisten flir ihren Fall. In bezug auf die Kommunikation ist es auch nicht
unproblematisch, wenn zwischen den beiden Ehepartnem ein groBes intellektuelles Gefiille besteht.
Der weniger gebildete Partner ist oft iiberfordert und schon bestehende Kommunikationsstorungen
zwischen den Ehepartnern wirken sich storend auf die Kommunikation beim Anwalt aus. Dieses
Problem besteht ganz allgemein: Die Ehepartner sind verletzt und die Stimmung zwischen ihnen ist
emotional aufgeheizt; teilweise ist gar keine Verstiindigung mehr mogiich und die Ehepartner
kommunizieren nur noch iiber ihre ProzeBbevollmiichtigten miteinander. Die bereits bestehenden
Differenzen werden auf die Kommunikation mit dem Anwalt iibertragen. Es kommt zu einer starken Vermischung der Kommunikationsebenen. Wie noch an mehreren Beispielen gezeigt werden
481 Zallienmateriai vom Thiiringer Landesamt fur Statistik.
482 Aus den Altersangaben der Anttagsteller ergJ.Ot sieh nieht immer zwangsJiiufig die Ehedauer. Die Aussagen
dazu wurden jedoch in den individuellen Gespriiehen sowie durch das Zahlemnateriai yom TIliiringer Landesamt fur Statistik bestiitigt.
108
soli, ist diese Vennischung am starksten zwischen der Sachinhalts- und der Beziehungsebene zu
beobachten. Zurn Teil horen die zerstrittenen Eheleute wecbselseitig nur auf dem ,,Beziehungsohr"
und sind einer sachlichen Argumentation seitens ihres Anwaltes nicht mehr zugiinglich.
Wichtig fur den kommunikativen Kontext ist auch die berufliche Position des AntragsteUers. So
treten einige Kommunikationsstorungen zum Beispiel bei Selbstiindigen kaurn aut; weil wesentliche
Streitpunkte bereits vor der Scheidungsklage mittels Ehevertrag unstreitig gekliirt wurden. Probleme gibt es auch, wenn ein Ehepartner durch seine berufliche Tittigkeit sehr prominent ist und im
Blickpunkt des offentlichen Interesses steht. Es ist ein Fall bekannt, in dem diese Prominenz zu
einem medienwirksamen Scheidungslaieg genutzt wurde und zwar nicht nur yom prominenten
Tei~ sondem auch yom Ehepartner. Durch einen solchen Schritt wird eine sachliche Kommunikation fast immer vereitelt, denn gerade die Sensationspresse spielt mit den unterschiedlichen Emotionen und verfiilscht die Sacblage durch Pauschalisierungen.
Db die Mandanten aus den neuen oder aus den alten Bundeslandem kommen, ist fur die Kommunikation beim Anwalt nur von sehr marginaler Bedeutung. Problematischer ist es dagegen, wenn
der Antragsteller Auslander ist. Dabei steht weniger die mangelnde Sprachkompetenz als Kommunikationshindernis im Vordergrund, sondem eher mentalitatsgebundene oderl und religiose Eheverstiindnisse. So bestand bei einer Ehescheidung nach tiirkischem Recht das Problem, daB der Mann
als AntragsteUer nicht einsah, daB seine Frau die Entscheidung uber die Ehescheidung mittragen
mull und eine "einseitige" Scheidung nur unter sehr engen Voraussetzungen moglich ist. Bei einem
Antragsteller aus Sud-Korea lag die Schwierigkeit darin, daB dieser Mann aufgrund seiner Mentalimt nicht in der Lage war, Aussagen auf der Selbstoffenbarungsebene zu treffen, urn sein Anliegen
sowie die Beweggriinde fur seinen Antrag darzulegen.
109
b) Scheidungsvoraussetzungen
Scheidungsvoraussetzungen
Faile in Prozent
Einverstandliche Scheidung
64%
streitige Scheidung
27%
Hartescheidung
5,5%
Scheidung nach tGrkischem Recht
3,5%
Tabelle 10
In Tabelle 10 sind die Scheidungsvoraussetzungen dargestellt. Dabei wird unterschieden zwischen
der einverstandlichen Scheidung, der streitigen Scheidung sowie der Hiirtescheidung. 483 Auf die
Besonderheiten der Scheidung nach turkischem Recht wird nur insoweit eingegangen, wie es fur
die Beurteilung von Kommunikationsstorungen von Relevanz ist.
Die prozentuaie Verteilung zeigt, daB tiber 60 Prozent der Scheidungen einverstandlich beantragt
werden. Dabei fuhrt der Terminus einverstandlich hiiufig zu MiBverstandnissen in der Kommunikation zwischen Anwait und Mandanten, denn einverstandlich heiBt eben nicht, daB man in volliger
Harmonie und Ubereinstimmung auseinandergeht, sondern einverstandlich heillt lediglich, daB
beide Ehepartner grundsiitzlich der Scheidung zustimmen und sich tiber die Folgen dieser Entscheidung einigen"··
483 Zu den Unterschieden siehe Kap. G. I., Tabelle 5, S. 101.
484 Zu den Schwierigkeiten beim Tenninus einverstlindlich siehe auch Kap. D. II. 1. b), S. 30 ff..
110
Sprachebene
Sachinhaltsebene
Beziehungsebene
Selbstoffenbarungsebene
Appellebene
Kommunikations-
Einverstllndliche
streitige
Hlirteschei-
storung
Scheidung
Scheidung
dung
Scheidung nach
tilrkischem
Recht
ja
37 %
67 %
67 %
100 %
nein
63 %
33 %
33 %
0%
ja
54%
67 %
67 %
50 %
nein
46%
33 %
33 %
50 %
ja
29 %
71 %
47 %
67 %
100 %
53 %
33 %
0%
ja
34%
33 %
67 %
50 %
nein
66%
67 %
33 %
50 %
nein
Tabelle 11
Wie Tabelle 11 zeigt, treten erwartungsgemiill die meisten Kommunikationsstorungen bei streitigen
Scheidungen sowie bei Hiirtescheidungen auf. Eine Hiiufung von Kommunikationsstorungen ist
ebenfulls bei Scheidungen nach tiirkischen Recht zu beobachten. Diese Aussage muB allerdings
insofem relativiert werden, als die geringe Anzabl dieser Hille nicht repriisentativ sondem nur exempJarisch ist.
Beziiglich der Kommunikationsebenen sind vor allem die Sachinhaltsebene, die Beziehungsebene
und die Selbstoffenbarungsebene betroffen. Die Appellebene folgt mit geringem Abstand. Die
Abgrenzung zwischen den Ebenen ist dabei teilweise sehr kompliziert und nicht eindeutig, da die
Kommunikationsebenen nicht streng voneinander getrennt existieren, sondem sich wechselseitig
beeinflussen und durchdringen. So bestand auch fur die Anwiilte eine der Hauptschwierigkeiten
beim Ausfiillen der Fragebogen darin, die aufgetretenen Kommunikationsstorungen den
entsprechenden Kommunikationsebenen zuzuordnen. Dazu kommt noch, daB beide Kommunikationspartner zugleich Horer und Sprecher sind und sich die Horebene nicht zwangsliiufig mit der
Sprechebene decken muB.
Bei den Scheidungsvoraussetzungen gibt es insbesondere zwei Problemkreise, die zu Kommunikationsstorungen fiihren: 1. das Nichtbekanntsein oder Nichtanerkennen des Zeniittnngsprinzips und
2. die Definition und Festlegung des Trennungsjahres.
Zum ersten Problemkreis ist festzustellen: In elf Fiillen war die Kommunikation zum Zeniittungsprinzip gestort. Die Mandanten gingen immer noch yom Verschuldensprinzip aus, wahrend
der Gesetzgeber sich fur das Zeniittungsprinzip ausgesprochen hat. So wurde immer wieder beim
Anwalt argumentiert, daB es doch der Ehepartner
se~
der sich einem neuen Partner oder einer
111
neuen Partnerin zugewandt babe, und daB diese Tatsache im Scheidungsverfahren berocksichtigt
werden miisse. So versuchte rum Beispiel ein Mandant permanent, die "Schuld" seiner Frau am
Scheitem der Ehe (sie hatte ibn und die Kinder verlassen) in den Mittelpunkt der Mandantengesprache zu rocken. Dadurch war zeitweilig keine Verstandigung zwischen Anwalt und Mandanten
mehr moglich, da Gespriiche auf der Sachebene abgeblockt wurden. In einem anderen Fall versuchte eine Mandantin mittels rechtlicher Schritte, die Beziehung ihres Mannes zu einer anderen
Frau zu unterbinden. Ihr war seitens des Anwaltes nur schwer vermittelbar, daB dieser Wunsch
rechtlich nicht durchzusetzen ist.
Hier zeigt sich ein Problem, das sowohl bei den Scheidungsvoraussetzungen als auch bei den
Scheidungsfolgen auftritt: Die Mandanten sind emotional verletzt, sie bOren und sprechen schwerpunktmiiBig nur auf der Beziehungsebene, so daB eine Verstiindigung auf der Sachinhaltsebene
unmoglich wird. Dieser Konflikt strahlt oftmals auch auf die anderen Kommunikationsebenen aus.
Das fulut dazu, daB auf der Selbstoffenbarungsebene entweder iiberhaupt keine expliziten Aussagen mehr getroffen werden, oder im anderen Extremfall Minderwertigkeitsgefiihle, Schuldkomplexe sowie ein fast patbologisches Unwertgefiihl vorberrschen. Die Appellebene hingegen wird genutzt, urn Vorwiirfe an den Ehepartner zu formulieren und Schuldgefiihle bei ibm hervorzurufen.
Das Horen auf der Appellebene wird fast vollstiindig blockiert. Die Emotionalitat der Gesprache
geht einher mit einer Erwartungshaltung der Mandanten, daB bei der Erorterung der rechtlichen
Foigen auch moralische Wertungen einbewgen werden und darnit die "Gerechtigkeit" wieder
hergestellt wird. Weder der Anwalt noch der Richter kann dieser Erwartungshaltung entsprechen.
Das fulut bei dem oft sehr verletzten und gedemtitigten Mandanten zu Unverstandnis, Enttauschung und in der Foige oft zu den eben dargestellten Kommunikationsstorungen.
Schwierigkeiten gibt es auch bei der Definition des Terminus Trennungsjahr, tiber den in 35 Fiillen
gesprochen wurde. Davon kam es in 12 FiiIlen zu Verstiindigungsproblemen tiber den Trennungszeitpunkt und die Ausgestaltung des Trennungsjahres sowie tiber die Moglichkeiten der Umgehung
des Trennungsjahres. Die Frage nach Trennungszeitpunkt sowie AUSgestaltUllg des Trennungsjahres war dabei verbunden mit Kommunikationsschwierigkeiten auf der Beziehungsebene und der
Sachebene, wobei die beiden Ebenen stark vermischt wurden. So trat in mehreren FiiIlen das Problem aut; daB nach Auffassung des Anwaltes das Trennungsjahr gemiiB § 1567 I BGB nicht abgelaufen war, und der Mandant sich dieser Auffassung nicht anschlieBen konnte. Getrenntleben im
Sinne des Gesetzes heiBt, daB ,,zwischen den Ehegatten keine hiiusliche Gemeinschaft mehr besteht. Dabei muB die Trennung nach objektiven Kriterien auch nach auBen deutlich werden. Mit
anderen Worten: Getrenntleben im Sinne des Farnilienrechts Iiegt nur dann vor, wenn zwischen den
Ehegatten keinerIei Gemeinsamkeiten mehr bestehen; dies bedeutet im Ergebnis, daB - urn vom
Zuschnitt der Hausfrauenehe auszugehen - die Ehefrau unabhangig von der sexuellen Trennung der
112
Parteien auch keinerlei Haushaltsarbeiten mehr fur ihren Ehemann durchfiihren darf."485 Vielen
Mandanten fehlte dieses Hintergrundwissen, sie waren der Meinung, daB schon allein die innerliche
Abkehr vom Ehegatten fur das Trennungsjahr ausreiche. Die unterschiedliche Interpretation des
Terminus Trennungsjahr fiihrte somit zu Kommunikationsschwierigkeiten auf der Sachinhaltsebene. Gleichzeitig wurden diese "sachlichen" Kommunikationsstorungen von Storungen auf der
Beziehungsebene tiberlagert, die durch schon beschriebene emotionale Verletztheit und Enttiiuschung der Ehepartner hervorgerufen wurde. Diese emotionale Verletztheit wurde von den Mandanten dokumentiert durch Aussagen wie: Man habe sich schon lange auseinander gelebt, die Ehe
bestehe quasi nur noch auf dem Papier und man selbst bzw. der Ehepartner habe sich schon lange
abgewandt, so daB das Trennungsjahr liingst abgelaufen sei. Eine weiteres kommunikatives Problem bestand in diesem Zusammenhang darin, daB mehrere Mandanten eine Hiirtescheidung ohne
Einhaltung des Trennungsjahres anstrebten. Hier bestand die Schwierigkeit auf der Sachinhaltsebene darin, den Mandanten die rechtlichen Anforderungen fur eine Hiirtescheidung zu erliiutern. Die
rechtliche Beurteilung der Sachlage fiihrte zum Beispiel in einem Fall dazu, daB der Anwalt die
Voraussetzungen fur eine Hiirtescheidung nicht gegeben sah. Durch diese notwendige Transforrnierung seiner Probleme auf die juristische Ebene fuhlte sich der Mandant von seinem Rechtsanwalt
unverstanden. Dieses Unverstandensein dokumentierte er mit AuBerungen auf der Appellebene,
was wiederum zu Kommunikationsschwierigkeiten auf der Beziehungsebene fiihrte, weil das Vertrauensverhiiltnis zwischen Anwalt und Mandanten zeitweilig gestort war. Die sachliche Unkenntnis tiber die Bedeutung des Terminus Trennungsjahr zog es in einem anderen Fall nach sich, daB
eine Mandantin versuchte, das Trennungsjahr mit dem Argument zu umgehen, daB sie ein Kind von
einem anderen Mann erwarte.
485 Raiser, G. R:Beck-Ratgeber Ehe, Zusammenleben und Scheidung. Miinchen 1997. S. 124.
113
c) Scheidungsfolgen 1
Scheidungsfolgen 1
Angaben in Prozent
Versorgungsausgleich
44%
Sorgerecht (insgesamt)
56%
1.
2.
3.
4.
Gemeinsames Sorgerecht
16%
Sorgerecht - Mutter
58%
Sorgerecht- Vater
26%
Aufenthaltbestimmungsrecht
5. Umgangsrecht
7%
13%
Tabelle 12
Sowohl das SorgerecheS6 als auch der Versorgungsausgleich4S7 miissen zwingend von Amts wegen
geregelt werden. Dahei ist zu beachten, daB im Zusamrnenhang mit der e1terlichen Sorge auch iiber
das Aufenthaltbestimmungsrecht sowie das Umgangsrecht gesprochen werden muB. 488
Beziiglich des Versorgungsausgleichs sind die kommunikativen Storungen in der miindlichen
Kommunikation zwischen Anwalt und Mandanten vergleichsweise gering. 4S9 Zwar is! den wenigs!en Mandanten der rechtssprachliche Terminus Versorgungsausgleich bekannt, diese Wissensliikke kann aber yom erfahrenen Anwalt schnell geschlossen werden. Verstiindnisprobleme sind also
weniger an den Tenninus gekniipft, sondem entstehen eher aus dem Unvers!iindnis der Mandanten
heraus, daB die Berechnung des Versorgungsausgleichs das Scheidungsverfahren erheblich verzogert.490 Dieses Unversliindnis gipfelte in einem Fall in dem Vorwurf gegen den Anwalt, er tue .
486 Mit dem Inkrafttreten des neueu KindRG win! iiber die elterlicbe Sorge nur nocb auf Antrag eines Eltemteils
entschieden, ansonsten bleibt es bei der gemeinsamen Sorge fUr gerneinsame Kinder.
487 ZUlU Tenninus Versorgungsausgleicb siebe Tabelle 7, S. 103.
488 ZUlU Terminus Umgangsrecbt siebe Tabelle 6, S. 102.
489 Vgl. dazu Tabelle 13, S.115.
490 Eine Berecbnungsdauer von ein bis anderthalb Jahren ist nacb Anssage von Richtem und AnwaIten keine
Seltenheit
114
nichts, urn eine sofortige Scheidung durchzudriicken. Die yom AnwaIt benannten formaljuristischen Hindernisse nach § 628 I Nr. 3 ZPO wurden dabei nur schwer akzeptiert. Es handelt
sich bei dem eben angefi.ihrten Beispiel wiederum urn eine gestOrte Verstiindigung auf der Beziehungsebene, wobei der Vorwurf der Untlitigkeit natiirlich auch die AppeIlebene durchdringt, urn
ein Tiitigwerden des AnwaIts m erreichen. Beim Thema Versorgungsausgleich tritt auBerdem das
Problem aut; daJ3 emotional verletzte Mandanten die Notwendigkeit dieses Verfilhrensschritts nicht
akzeptieren und folglich auch sachlichen Argumenten nicht zuglInglich sind.
Fiir rum Teil massiv aufuetende Probleme491 beimAusfiillen des Fragebogens rum Versorgungsausgleich - also bei der schriftlichen Komnrunikation - gibt es mehrere Ursachen:
1. Die einmreichenden Unterlagen rum Versorgungsausgleich sind sehr umfungreich und kompliziert. Dam gehoren ein vierseitiger Fragebogen mit zweiseitigen Erlliuterungen rum Ausfiillen,
ein vierseitiger Antrag aufKontenkliirung mit sechsseitiger Erlliuterung sowie ein Formblatt mr
Vorlage beim Rentenversicherungstrliger. Diese FormuIare milssen in doppelter Ausfertigung
ausgefii.llt werden. Des weiteren sind eine beglaubigte Kopie des SoziaIversicherungsbuches, die
eigene Geburtsurkunde, Geburtsurkunden der Kinder und das SchulabschiuBzeugnis beimbringen. Allein die Quantitiit und Komplexitiit der geforderten Auskiinfte fiihrt m Verstiindnisproblemen auf der Sachinhaltsebene und schreckt viele Antragsteller bzw. Antragsgegner im Scheidungsver.fahren so ab, daJ3 sie sich die Unterlagen gar nicht nliher ansehen, und die Aufforderung
des Gerichts ignorieren, die geforderten Unterlagen binnen eines Monats vollstiindig ausgefii.llt
an das Familiengericht zurUckmsenden. Dam kommt eine jahrelang dutch eigene Erfuhrungen
gepriigte Erwartungshaltung, daJ3 Behordenschreiben und amtliche Fonnulare grundslitzlich
schwer oder gar nicht m verstehen sind. Diese ErwartungshaItung wird durch umstiindliche Erlauterungen sowie die gehiiufte (und rum Teil Unnotige) Verwendung von Fachtermini in den
oben genannten Formularen leider bestiitigt.
2. In einigen Fiillen fiihren auch finanzielle Uberlegungen dam, den Versorgungsausgleich m blokkieren, indem die notwendigen Informationen nicht gegeben werden. Die Vorstelhmg, die eigene Rente eventuell dutch den Ausgleich der Rentenanwartscbafte m schmiilem und dem ExPartner so zu einer hOheren Rente m verhelfen, fiihrt zu einer Verweigerungshaltung, die auch
auf die Komnrunikation ausstrahlt.
3. Einige Mandanten weigem sich prinzipiell, die notwendigen Formulare auszufiillen mit der Begriindung, daJ3 sie die Ehescheidung nicht gewollt und zu diesem Schritt auch keinen Anla13 geboten hatten. Hier zeigt sich wieder das Problem der emotionalen Betro:tfenheit und des Reagierens auf der Beziehungsebene sowie die tiefe Verwwzelung des Verschuldensprinzips, die eine
kommunikative Verweigerung nach sich ziehen.
491 Nach Aussage cines langjlihrigen Familienrichters haben ca. 20"!O der AntI3gstel1er bzw. Antmgsgegner gmvierende Schwierigkeiten beim AusfiIllen der Formulare. In etwa 20-30 % der Fane werden die Fonnulare 1Iberhaupt DielU ausgefiillt.
115
4. Ahnlich sieht es mit dem Personenkreis aus, der grundsiitzIich amtliche Formulare ignoriert. Hier
fallen Probleme auf unterschiedlichen Kommunikationsebenen zusammen, zum einen eine
Uberforderung auf der Sachinhaltsebene und zum anderen wieder Schwierigkeiten auf der Beziehungsebene aufgrund einer negativen Erwartungshaltung gegeniiber staatlichen BehOrden
und Gerichten.
Die totale Verweigerungshaltung verzOgert das Scheidungsverfahren und zieht rechtliche Konsequenzen bis hin zur Verhiingung einer Geldstrafe nach sich.492 Bevor es soweit kommt, greifen gute
Anwiilte vermittelnd ein und helfen ihren Mandanten beim Ausfiillen der Formulare, damii das
Scheidungsverfahren nicht kiinstlich in die Lange gezogen wird. Dabei haben die Anwiilte alIerdings mit den gleichen Problemen und Vorbehalten wie unter 1.- 4. dargestellt zu kiimpfen.
Sprachebene
Sachinhaltsebene
8eziehungsebene
Selbstoffenbarungsebene
Appellebene
Kommunika-
Versorgungs-
tionsstorung
ausgleich
Sorgerecht
Ja
33%
Nein
67%
45%
Ja
33%
61 %
Nein
67%
39%
Ja
21 %
79%
29%
33%
68%
67%
32%
Nein
Ja
Nein
I
I
I
I
I
55%
71 %
Tabelle 13
Wie Tabelle 13 veranschau1icht, treten die meisten Kommunikationsstorungen jedoch nicht beim
Thema Versorgungsausgleich sondem beim Streit urn das Sorgerecht auf Dieses Ergebnis der
empirischen Untersuchung ist nichtsehr iiberraschend, denn beim Kampfurn das gemeinsame Kind
oder die gemeinsamen Kinder werden all jene Emotionen frei, die durch die Verletztheit der Scheidungsparteien in der partnerschaftlichen Beziehung hervorgerufen werden. Viele Ehepaare konnen
im FaIle einer Scheidung nicht mehr zwischen der Partnerebene und der Eltemebene trennen. Alle
negativen Empfindungen dem Partner gegeniiber wie Enttauschung, Wut und teilweise auch Hall
brechen sich bei diesem Thema fast ungebremst Bahn, denn iiber das Sorgerecht kann Macht neu
definiert und der "Gegner", also der Ehepartner, in die Defensive gedriingt werden. Dies geschieht
aIles meist unter der Uberschrift ,,Kindeswohl", obwohl bei den aggressiv und unfair gefiihrten
Auseinandersetzungen urn Sorge- und Umgangsrecht von vornherein ein Verlierer feststeht: das
492 Siehe m den Problemen des Versorgungsausgleichs auch Kap. G. II. 3., S. 125.
116
eigene Kind, das aIlein schon durch die Scheidung emotional stark belastet wird und nun zusatzlich
durch das Hin- und Hergerissensein zwischen Vater und Mutter leidet. Denn es ist noch immer
Scheidungsa\ltag, daB urn das Sorgerecht erbittert gestritten wird. Nur in 16 % der empirisch erfaBten Hille wurde das gemeinsame Sorgerecht beantragt. In 84 % der FaIle wurde das aIleinige
Sorgerecht entweder auf die Mutter oder auf den Vater ubertragen. Dabei ist das Kriifteverhiiltnis
zwischen Vater und Mutter sehr ungleich verteilt. Die Auswertung der empirischen Daten zeigt: In
58 % der FaIle wurden die Sorgerechtsantrage von den Mtittern gestellt. Dieser Zabl stehen nur
26 % der Sorgerechtsantrlige der Vater gegenuber. Bundesweite Datenerhebungen besmtigen
diesen Trend: In 74,6 % der FaIle bleibt das aIleinige Sorgerecht bei der Mutter und nur in 8,3 %
der FaIle bekommt der Vater das aIleinige Sorgerecht. 493 An diesem unausgewogenen Zahlenverhiiltnis wird nach Aussage von Familienrichtem und Anwiilten auch das neue Kindschaftsrecht
nichts andem, obwohl danach das gemeinsame Sorgerecht nach der Scheidung als NormalfaIl vorgesehen ist, soweit kein Elternteil widerspricht und seinerseits das aIleinige Sorgerecht beantragt:
,,Dennoch werden sich scheidungswillige Vater und Mutter weiterhin urn die Kinder streiten. Das
Ziel des neuen Rechts, eine gemeinsame Ftirsorge und Betreuung trotz Trennung der Eltem, setzt
eine Menge guten Willens voraus - und davon kann beim Kampf urns Kind haufig keine Rede
sein."494
Die Kommunikationsstorungen heim Therna Sorgerecht betreffen aIle Kommunikationsebenen. Die
wenigsten Schwierigkeiten gibt es dabei auf der Sachinha1tsebene. Wie schon beim Versorgungsausgleich dargestellt, lassen sich terminologische Unklarheiten relativ schnell aufJdaren. MiBverstandnisse traten zum Beispiel bei der Unterscheidung zwischen aIleinigem und gemeinsamen Sorgerecht sowie zwischen Aufenthaltbestimmungsrecht und Umgangsrecht auf Diese MiBverstandnisse fiihrten aber nicht zwangsJauflg zu unuberwindbaren Kommunikationsschwierigkeiten. Die
anwaltliche Beratung war im Beispielfall erfolgreich und fiihrte im Ergebnis zu einer gtitlichen
Sorgerechtsvereinbarung.
In den FaIlen, in denen das gemeinsame Sorgerecht beantragt wurde, gab es selten Kommunikati-
onsstorungen. Das bestiitigt die These, daB einvernehrnliches Handeln der Scheidungsparteien
Kommunikationsstorungen verhindem oder zumindest verringem kann. In EinzelfaIlen handelten
die Eltem auch dann einvemeJunlich, wenn ein Eltemteil das alleinige Sorgerecht beantragt hatte.
Hier dominierte offensichtlich die Einsicht der Eltem, fur ihre Kinder eine moglichst optima1e LOsung zu finden. Die Kinder wurden in den EntscheidungsprozeB einbezogen und ihre Wunsche
wurden berucksichtigt. Beide Elternteile verzichteten aufDrohgebarden und Machtspiele.
Leider sind diese Beispiele Einzelfalle. Viel haufiger kommt es zu einem erbitterten Streit urn die
Kinder. Dabei steht - wie auch bei anderen Themen - eine gestorte Verstandigung auf der Bezie493 Zum Zablenmaterial, das sich auf den Erhebungszeitraum 1. Juli 1994 bis 30. Jum 1995 bezieht. vgl. auch:
Matussek, M: Derentsorgte Vater. Der Spiegel Nr. 47vom 17. 11. 1997. S. 92.
494 Verlierer sind die MlInner. Der Spiegel Nr. 47vom 17. 11. 1997. S. 84.
117
hungsebene einer von den Scheidungsparteien selbst verantworteten Regelung im Weg. So kam
beispielsweise eine Anwiiltin in einem FaIl zu der Einschiitzung, daB nicht priroiir die Interessen des
Kindes im Vordergrund standen, sondern die Bestrafung der Ehefrau. Diese Bestrafung soIIte
durch den Antrag des Vaters auf das aIleinige Sorgerecht erfolgen, urn samit die verletzte Ehre des
Ehemannes wieder herzusteIIen. Es besteht wie schon bei den Scheidungsvoraussetzungen das
Problem, daB seitens der Mandanten nicht verstanden wird, daB die individueIIe Schuld am Scheitern der Ehe fur eine gerichtIiche Sorgerechtsregelung nicht von BeIang ist. So konnte ein Mandant
die Kriterien der Rechtsprechung fur die Sorgerechtsregelung nicht akzeptieren. Da sich seine Frau
einem anderen Mann zugewandt batte, harte sie nach seinem ,,Rechtsgefiihl" keinerlei Anspruch auf
das Sorgerecht fur die Kinder.
OftmaIs gerat der Streit urn das aIleinige Sorgerecht auch zum bloBen Taktieren, an dem die Anwiilte nicht ganz unschuldig sind. So stellen manchmaI insbesondere Miinner einen Sorgerechtsantrag, obwohl sie eigentIich nur ein groBziigiges Umgangsrecht wollen. Dieses Vorgehen begriinden
Anwiilte folgendermaBen: Wenn die Sorgerechtsregelung nicht giitIich zu erreichen ist und gerichtlich entschieden werden muB, haben die Vater oftma1s schiechte Karten. Die Bindung zur Mutter
wird auch seitens der Gerichte ungleich hoher eingeschiitzt aIs die Bindung zum Vater. Und in der
Mehrzahl der Fiille triigt die Sorgerechtsentscheidung dieser Einschatzung Rechnung. Durch die
Beantragung des Sorgerechts durch den Vater wird darauf spekuIiert, daB das Gericht zwar in der
Regel der Mutter das aIleinige Sorgerecht zuspricht, dem Vater aIlerdings - quasi aIs Trostptlaster ein weitreichendes Umgangsrecht zuspricht.
Wenn beide Eltern urn das aIleinige Sorgerecht kiiropfen, werden aile Register gezogen, urn dem
ersehnten Ziel naher zu kommen und dem Noch-Ehepartner eine Niederlage zu bereiten. So werden die Kinder einseitig beeintluBt und manipuliert, indem negative Aussagen iiber den anderen
EIternteil getroffen werden. Auch vor Gericht oder beim AnwaIt werden massive Vorwiirfe geauBert, die von mangelnder Fiirsorge und Vemachiassigung bis bin zum KindesmiBbrauch reichen.
Viele Anwiilte versuchen auf der Appellebene, diesen Vorwiirfen entgegenzuwirken, da sie einer
verniinftigen Entscheidung entgegenstehen. Dieses Appeilieren wird aber von den Mandanten
hiiufig ignoriert und miBachtet und fuhrt nicht selten zu dem Vorwurt; der AnwaIt engagiere sich
nicht richtig oder arbeite sagar gegen seinen Mandanten. Das wiederum beeintriichtigt die gesamte
Kommunikation zwischen AnwaIt und Mandanten, und zwar auf aIlen Kommunikationsebenen.
Wird die Vertrauensbasis nicht wieder hergesteIIt, kann es im ExtrernfaIl zum Wechsel des RechtsanwaItes oder sogar zur KJage gegen den AnwaIt kommen.
In einem anderen FaIl stellte eine Mandantin keinen Sorgerechtsantrag, obwohl das gemeinsame
Kind bei ihr lebte. Sie litt unter dem massiven Schuldkomplex, daB sie die Ehe zerst6rt habe, und
meinte deshaIb das Recht auf ihr Kind verwirkt zu haben. Diese Auffassung ist natiirlich rein rechtlich nicht relevant. Inwiefern diese EinsteIIung dem Kindeswohl entspricht, sei dahin gesteIIt. Das
Interessante an dieser Aussage ist jedoch, daB sie aIs einzige in aIlen untersuchten 55 Fiillen eine
Auseinandersetzung mit dem eigenen Beitrag am Scheitern der Ehe zeigt. Mit diesem Beispiel sind
118
auch die 71 % der Kommunikationsschwierigkeiten auf der Selbstoffenbarungsebene angesprochen.
Diese Schwierigkeiten entstehen vor allem dadurch, daB viele Mandanten versuchen, so wenig wie
moglich von sich und den Beweggrunden :fur ihr Handeln preiszugeben. Dazu ist folgendes zu
sagen: Nach Schulz von Thun schlieBt Selbstoffenbarung sowobl die gewollte Selbstdarstellung a1s
auch die unfreiwillige Selbstenthiillung ein. Es ist ganz natiirlich, daB ein Sender aus Eigenschutz
sehr bewuBt auf die Selbstoffenbarungsseite seiner Nachricht achtet, um nicht zuviel von sich selbst
zu verraten und sich nicht angreifbar zu machen: ,,Die Vielzahl der Techniken, die ihm hierzu zur
Verfiigung stehen, lassen sich grob einteilen in Imponier- und Fassaden-Techniken. Imponiertechniken sind so1che, die darauf abzielen, die eigene "Schokoladenseite" vorzuzeigen und Pluspunkte
zu sammeln. Dieser durch Hoffuung aufErfolg gekennzeichneten Strategie stehen die durch Furcht
vor MiBerfolg motivierten Fassadentechniken zur Seite: Darnit sind solche gemeint, die geeignet
sind, den "unansehn1ichen" Teil der eignen Person geheirnzuhalten.,,495 Imponiertechniken zeigten
sich auch in der empirischen Untersuchung in unterschiedlichen Formen. Ganz selten wurde in den
ana1ysierten Fiillen plump versucht, durch Prablerei und Angeberei einen vorteilhaften Eindruck zu
eIWecken. Vielmehr wurde versucht, "auf dem Kanal der Beiliiufigkeit"496 positive Inforrnationen
fiber die eigene Person und negative Wertungen fiber den Ehepartner zu senden, um die eigenen
Person in einem moglichst guten Licht und somit als geeigneter :fur das Sorgerecht erscheinen zu
lassen. Die konsequenteste Form der Fassadentechniken ist das Schweigen. Es wurde in der Mehrzabl der problematischen Fiille angewandt. Dabei muB unterschieden werden zwischen dem bewuBten Schweigen oder auch Verschweigen als Fassadentechnik und dem menta1itatsgebundenen,
oft anerzogenen Schweigen auf der Selbstoffenbarungsebene, wie es beispielsweise im Faile eines
Pakistaners auftrat. Die eben beschriebenen Fassadentechniken sind dem Sender, also dem Mandanten "teilweise derart in Fleisch und Blut fibergegangen, daB sie zu seiner zweiten Natur geworden sind. Dieses automatische Sicherheitssystem sorgt auch da:fii.r, daB dem Sender seine Selbstoffenbarungsangst gar nicht mehr spiirbar wird. ,,497
Es bleibt abzuwarten, inwieweit das neue Kindschaftsrecht einen Teil des emotinalen "Sprengstoffs" zwischen den Scheidungsparteien entschiirfen wird und dadurch auch zu einer verbesserten
Kommunikation beitragt. Die Skepsis aber bleibt: ,,Der ebenso verbreitete wie verheerende
Wunsch, den Ex-Gatten fur das Scheitern der Ehe verantwort1ich zu rnachen und mit dem Entzug
der Kinder zu bestrafen, konnte also alle guten Absichten durchkreuzen. Mit dem neuen Sorgerecht
trate der Kampf urns Kind dann nur in eine neue Runde."498
495
496
497
498
Schulz von Thnn, F.: Miteinander reden 1. S. 106 f..
Schnlz von Thun, F.: Miteinander reden 1. S. 107.
Schulz von Thnn, F.: Miteinander reden 1. S. 108 f..
Verlierer sind die Mlinner. S. 89.
119
d) Scheidungsfolgen 2
Scheidungsfolgen 2
Angaben in Prozent
Kindesunterhalt
44%
Ehegattenunterhalt
47 %
Zugewinnausgleich
38 %
Hausrat
33 %
Ehewohnung
18 %
Tabelle 14
In Tabelle 14 sind die Scheidungsfolgen aufgefuhrt, die nicht zwingend von Amts wegen geregelt
werden mussen. Dabei wird am hiiufigsten uber Ehegattenunterhalt, Kindesunterhalt, Zugewinnausgleich und Hausrat gesprochen. :Mit einigem Abstand folgt das Thema Ehewohnung. Kommunikationsstorungen waren bei allen genannten Scheidungsfolgen vorhanden, allerdings schwankte
ihre Hiiufigkeit nach der Brisanz der Themen. Die zum TeiI vorhandene Massivitiit der Verstiindnisprobleme liillt sich ganz allgemein damit erklaren, daB es bei allen genannten Scheidungsfolgen 2
urn materielle Streitigkeiten geht, also urn Geld und andere materielle Werte. Und beim Geld hOrt
bekanntIich nicht erst bei einer Ehescheidung die Freundschaft auf Niemand will gem von seinem
Geld etwas abgeben, und schon gar nicht dem Ehepartner, der iIm oder sie vielleicht auch noch
betrogen hat. So Iautet sehr biiufig die Argumentation beim Anwalt, wenn es urn die Kliirung der
oben genannten Themen geht. In vielen Fiillen wurde erbittert urn jede Mark gestritten. Die Scheidungsparteien versuchten, wie vorher schon beim Streit urn das Sorgerecht, den Ex-Partner zu
bestrafen, indem sie iIm moglichst auch finanziell scbiidigten.
Die meisten Kommunikationsstorungen traten dabei erwartungsgemiill bei der Frage nach Kindesunterhalt und Ehegattenunterhalt auf Sie beeinfluBten in unterschiedlicher Intensitiit die vier Kommunikationsebenen, wie Tabelle 15 zeigt.
120
Sprachebene
Kommunika-
: Kindes-
tionsstorung
I
I
SachinhaHs-
Ja
ebene
Nein
Beziehungse-
Ja
bene
Nein
I
I
I
I
I
I
I
I
I
Ehegatten-
Zugewinn-
unterhaH
unterhaH
ausgleich
46%
62%
52%
44%
50%
54%
38%
48%
56%
50%
Hausrat Ehewohnung
54%
54%
43%
39%
40%
46%
46%
57%
61 %
60%
Selbstoffen-
Ja
33%
42%
33%
22%
40%
barungsebene
nein
67%
58%
67%
78%
60%
ja
62%
54%
43%
33%
30%
nein
38%
46%
57%
67%
70%
Appellebene
Tabelle15
Die Frage nach dem Kindesunterhalt war in der Regel eng mit der Sorgerechtsproblematik verbunden. So wurde beispielsweise in einem Fall die Verstandigung iiber den Kindesunterhalt auf der
Sachinhaltsebene immer durch den Sorgerechtsstreit iiberlagert und dadurch erschwert. Dabei
wurden die Vorschlage des Anwalts zu einer einvemehm1ichen Regelung von Kontakten der Kinder zu beiden Eltemtei1en im Interesse des Kindeswohles von seinem Mandanten als Schwachung
seiner (Rechts-)position gedeutet. Der Mandant<99 war sachlichen Argumenten nicht zugangJich
und empfand diese als "Uberredungsversuch zum Nachgeben".
Die auftretenden Kornmunikationsstorungen auf der Sachinha1tsebene wurden im allgemeinen nicht
dadurch hervorgerufen, daB die Mandanten grundsatzlich eine P:tl.icht zur finanziellen Unterstiitzung ihrer Kinder vemeinten. Vielmehr wurde die sachliche Akzeptanz der Unterhaltsforderungen
dadurch untergraben, daB Probleme auf der Beziehungsebene wie auch schon beim Sorgerecht die
notwendige Trennung von Partnerschafts- und Eltemebene verhinderten. So warfen sich Scheidungsparteien in einem Fall wechselseitige Ausbeutung vor und verdrangten dabei, daB der Unterhalt fur die Kinder bestimmt ist. Es gab allerdings auch Hille , in denen seitens der Unterhaltsverpflichteten jegliche Unterhaltszahiungen verweigert wurden. Zur Begriindung wurde von den Mandanten angegeben, daB ihre Partnerin an der Ehescheidung schuld sei, und sie deshalb nicht bereit
waren, fur die Folgen aufzukornmen. In diesen Zusarnmenhang k:am es auch vor, daB ein arbeitsloser Unterhaltsverpflichteter versuchte, sich den berechtigten Forderungen dadurch zu entziehen,
daB er seine Bemiihungen, wieder einen Arbeitsplatz zu finden (urn den Zahlungsaufforderungen
499 Da in der Me1uzabl der Flille immer noch die Frauen das aIleinige Sorgerecht zugesprochen bekommen, sind es
folglich meist die Manner, die zu Unterhaltszahlungen fiir die gemeinsamen Kinder veIpflichtet werden.
121
nachkommen zu kOnnen) auf ein MindestmaB reduzierte. Er erkliirte, daB das Albeitsamt ibn zu
verrnitteln babe und er so lange warten kOnnte, bis ibm von dort Albeit angeboten werde. Wie so
oft wurde bei dieser Argumentation vergessen, daB die Leidttagenden dabei immer die eigenen
Kinder sind. Doch wie schon beim Streit urn das Sorgerecht dargesteJIt, spielt das Kindeswobl in
diesen FiiIlen Mchstens noch eine untergeordnete Rolle. Partnerschaftliche Konflikte werden ohne
Riicksicht aufVerluste auf Kosten der gemeinsamen Kinder ausgetragen. Sachargumenten sind die
Streitparteien in diesen FaI1konsteJ1ationen se1ten zuglinglich. Es geht nur noch darum, eigene Maximalforderungen durchzudriicken, urn den Ehepartner zu bestrafen und ibm web zu tun.
Bei der Berechnung von Unterhaltsleistungen wurde seitens einiger Mandanten nicht verstanden,
daB der Unterhaltsverpflichtete einen Selbstbehalt hat, der bei Unterhaltsforderungen beriicksichtigt
wird und nicht unterschritten werden kann. Es handelt sich hierbei urn eine typische KonununikationsstOrung auf der Sachinhaltsebene, die weniger durch Unkenntnis des Terminus Selbstbehalt,
sondem mehr durch das Unverstil.ndnis des diesern Terminus zugrunde liegenden Rechtsverstilndnisses hervorgerufen wurde. So wollte eine Mandantin die Unterhaltsverptlichtung ihres Mannes
nicht auf den Selbstbehalt begrenzen mit der Begriindung, daB ihr dieser Selbstbehalt auch nicht zur
Verfiigung stiinde. Diese Reaktion ist aus rein menschlicher Sicht sicher nicht unverstiindlich, doch
sie verweist auf das eben genannte, tiefer liegende Problem: der Unkenntnis oder Nichtakzeptanz
des zugrunde liegenden Rechtssystems.
Die KonununikationsstOrungen beim Therna Kindesunterhalt auf der Beziehungsebene waren, wie
eben schon angedeutet, von gegenseitigen Vorwiirfen geprllgt. Kriinkungen, verletzte Gefiihle und
Enttiiuschungen, die durch das Scheidungsverfahren entstanden waren, wurden durch das Therna
Kindesunterhalt neu entfucht und verhinderten oft eine vernOnftige Einigung. Die geiiuBerten Vorwiirfe waren sehr vielfiUti.g und unterschritten teilweise deutlich das Kriterium der Angemessenheit,
das fiir eine erfolgreiche Kommunikation wesentlich ist. So liul3erte ein Mandant, seine Frau ware
fauI und hatte deshalb nicht genugend Geld. Er hingegen wiirde sein Geld miihsam mit Dberstunden verdienen. 1m iibrigen wiirde seine Frau die Kinder mamos verwOhnen. Wenn er gezwungen
wiirde, soviel Unterhalt zu zablen, kOnne er sich g1eich einen Strick nehmen. In anderen Fiillen
lauteten die Vorwiirfe dahingehend, daB sich die Frau schon frUher nicht urn die Kinder gekiimmert
babe, und es heute auch nicht tue und sie deshalb auch keinen Anspruch auf Geld babe. Diese Beispiele zeigen emeut die Verrnischung einer KommunikationsstOrung auf der Sachinhaltsebene mit
Problemen auf der Beziehungsebene. Die eben zitierten Mandanten hatten rein sachlich nicht verstanden, daB der Kindesunterhalt den Kindem zugute kommt und zwar unabhlingig yom Verhalten
des sorgeberechtigten Elternteils. Es war den Mandanten nicht verstlindlich zu machen, daB es sich
beim Kindesunterhalt nicht urn Geldzablungen fiir die Ehefrau handelt. Ob auch die Ehefrau (oder
122
der Ehemann) Geldzahlungen erhiilt, wird hingegen beim Thema Ehegattenunterhalt erortert. 500 Am
schwierigsten ist die Ursachenforschung fUr Kommunikationsstorungen weiterhin auf der Selbstoffenbarungsebene. Viele Mandanten sind nicht bereit, freiwillig etwas von sich preiszugeben und
wenn, dann meist nur in der Absicht, sich se1bst im besten Licht darzustellen und den Ehepartner
zum jeweiJig erorterten Thema zu diffamieren. Natiirlich geben die Mandanten dadurch unbeabsichtigt etwas von sich preis. Der geschulte Anwalt wird nun versuchen, die hinter Anschuldigungen, Enttauschungen und verletzten Gefiihlen liegenden "wahren" Beweggriinde und Interessen
seines Mandanten herauszufinden. Das ist allerdings sehr schwer und gelingt oft nur teilweise.
Einige Mandanten geben auch deshalb wenig oder nichts freiwillig von sich preis, weil sie vermuten, daB es gegen sie verwendet wird. Das ist entweder dann der Fall, wenn es wirklich etwas zu
verbergen gibt (zum Beispiel Alkoholsucht oder psychische Krankheiten, die eine Sorgerechtsentscheidung des Gerichts beeinfiussen konnten), oder wenn das Selbstwertgefiihl des Mandanten sehr
gering ist und er vermutet, daB ihm sowieso nicht geglaubt wird oder seine Aussage unwichtig ist.
Diese Mandanten haben ein gestortes Vertrauensverhiiltnis zu ihrem Anwalt, wei! sie ihn nicht als
Partner und Interessenvertreter verstehen und ihm mit Skepsis begegnen.
Auf der Appellebene sind verschiedene "Verhaltensmuster' zu beobachten. Grundsi:itz1ich sind auch
hier Vermischungen mit der Beziehungsebene vorhanden. So werden hiiufig appellartige Vorwiirfe
an den Ehepartner gerichtet, urn i1m (oder sie) zur Unterhaltszahlung zu bewegen. Es finden sich
aber auch resignative Haltungen mit Begriindungen wie: Es hat sowieso alles keinen Sinn. Ich kann
die Situation nicht iindern und beeinflussen. Bier zeigt sich einmal mehr, wie vorgepriigte Erwartungshaltungen beziiglich der Allmacht des Gerichts dazu fi.ihren konnen, die Eigenverantwortlichkeit der Scheidungsparteien in den Hintergrund zu driingen und die Passivitat der Mandanten zu
fordem. Die Appellebene wird aber auch von einigen Mandanten dazu genutzt, dem eigenen Anwalt Vorwiirfe zu machen, daB er die Interessenvertretung nicht wabrnimmt und das Verfahren
verzOgert. Ursachen fUr diese Reaktion sind zum einen die mangelnde Kenntnis der VerfabrensabWe und Zustiindigkeiten und zum anderen die Ignoranz hinsichtlich dieser Verfabrensabliiufe und
Zustiindigkeiten. Das Thema Kindesunterhalt wird noch brisanter, wenn die Kinder bereits volljiihrig sind. Dann mussen sie ihre Unterhaltsanspriiche gegenuber den Eltem selbst vor Gericht geltend
machen. Durch diesen Schritt wird in der Regel das Eltern-Kind-Verhiiltnis zumindest zu dem
unterhaltsverpflichteten EltemteiI schwer belastet. Oftmals werden bestehende Bindungen zwischen
dem EltemteiI und dem Kind dauerhaft geschiidigt.
Auch das Thema Ehegattenunterhalt ist helli umstritten. Grundsiitzlich sind die Ehegatten nach der
Scheidung fUr ihren Unterhalt selbst verantwortlich. Nach dem Grundsatz des § 1569 BGB gibt es
allerdings einige Griinde, durch die ein geschiedener Ehegatte von dem anderen Ehegatten Unter-
500 Grundslitzlich wird dabei naeh Getrenntleben-Unterhalt und naeheheliehen Unterhalt unterschieden. Die
Auswertnng der empirischen Untersnchnng bezieht sieh aber ausschlieJllieh anf den naeheheliehen Unterhalt.
123
halt verlangen kann. 501 Den hiiufigsten Grund fur eine solche Unterhaltsverpflichtung enthiilt § 1570
BGB. Danach hat ein geschiedener Ehegatte Anspruch aufUnterhalt, "soweit von ibm wegen der
Pflege oder Erziehung eines gemeinschaft1ichen Kindes eine Erwerbstiitigkeit nicht erwartet werden
kann".502 Durch diese Bestirnmung erkliirt sich auch, wieso es hiiufig zu einer Vermischung der
Termini Kindesunterhalt und Ehegattemmterhalt kommt. Die Unterhaltsberechtigung fur einen
geschiedenen Ehegatten ist - wie eben gezeigt - an ganz konkrete Voraussetzungen, wie beispielsweise die Erziehung der gemeinsamen Kinder, gebunden. Diese Tatsache wird allerdings hiiufig von
unterhaltsverpflichteten Mandanten nicht akzeptiert und ignoriert. Das hellit nicht, daB sie die zugrundeliegende Argumentation nicht verstanden hiitten. Vielrnehr weigern sie sich grundsatz1ich,
ihrer geschiedenen Ehefrau Unterhalt zu zahlen. 503 Wenn auch von einem Teil der Mandanten noch
akzeptiert wird , daB sie finanziell fur ihre Kinder aufkommen mussen, so ist diese Akzeptanz beim
Ehegattenunterhalt nicht rnehr vorhanden, auch wenn durch Unterhaltszahlungen an den sorgeberechtigten Elternteil die Versorgung und Erziehung der gemeinsamen Kinder sichergestellt wird.
Grundsatz1ich ist in fast allen Fii11en mit Kommunikationsstorungen zu diesem Therna wieder das
Problem zu beobachten, daB die unterhaltsverpflichteten Mandanten yom Verschuldensprinzip
ausgehen. Hier verrnischt sich wieder ein grundsiitz1iches Verstiindnisproblem auf der Sachinhaltsebene mit Verstandigungsschwierigkeiten auf der Beziehungsebene. So konnte beispielsweise ein
Mandant die Unterhaltsanspriiche seiner Frau nicht akzeptieren. Der Mann sah es als hochst ungerecht und mit dem Grundgesetz nicht vereinbar an, daB er fur seine geschiedene Ehefrau noch
Unterhalt zahlen sollte, obwohl sie mit einem anderen Mann liiert war. Auch die Rahmenbedingungen fur eine Unterhaltspflicht ftihrten zu Problemen. So wollte eine Mandantin nicht glauben, daB
die ehelichen Verhii1tnisse priigend fur eine Unterhaltspflicht ihrerseits waren. Auch in diesem Fall
laBt sich nicht eindeutig trennen, inwieweit es sich dabei urn ein "echtes" Verstandnisproblem auf
der Sachinba1tsebene oder urn mangeJnde Akzeptanz auf der Beziehungsebene handelt. Eine beziiglich der Kommunikationsebenen iihn1ich gelagerte Kommunikationsschwierigkeit trat in einem
anderen Fall auf: Eine Mandantin war den sachlichen Voraussetzungen fur einen Unterhaltsanspruch ihrerseits nicht zuganglich; Sie hatte ihre Bediiftigkeit erst durch ihre eigene Kiindigung
herbeigeftihrt. Hier liegt der Verdacht nabe, daB es weniger urn den Unterhaltsanspruch an sich
ging, sondern vielrnehr darum, den Partner zu bestrafen. Das Motiv der Strafe und Rache zieht sich
sowohl durch die Scheidungsvoraussetzungen als auch durch alle Scheidungsfolgen. So bestiitigten
aile befragten Anwiiltinnen und Anwii1te, daB immer wieder Gefiih1senttiiuschungen mit Rachegeliisten nach dem Motto: Den! die mach' ich fertig! - ega1isiert werden.
501 Zu den einzelnen Griinden siehe auch Tabelle 8, S. 104.
502 § 1570 BGB.
503 Grundsiltzlich kann natilrlich auch die Ehefrau verpflichtet werden, ihrem gescbiedenen Ehemann Unterhalt Z\l
zahlen In der Realitlit ist es jedoch meistens so, daJl die gescbiedenen Ehefrauen einen Unterhaltsanspmch haben. Auch das liegt damn, daJl bei Streitigkeiten urn das Sorgerecht iiberwiegend die Mutter das al1einige Sorgerecht erhiilt
124
1m Vergleich zu den anderen Scheidungsfolgen 2 waren beirn Ehegattenunterhalt die Aul3erungen
auf der Selbstoffenbarungsebene am deutlichsten. Sie flihrten nicht irnrner zwangsliiufig zu Kommunikationsstorungen, zeigten jedoch ganz deutlich die uberwiegende Nichtakzeptanz des Unterhaltsanspruchs des Ehegatten. Fast alle AuBerungen auf der Selbstoffenbarungsebene hatten den
grundlegenden Tenor, daB sich die Unterhaltsverpflichteten ausgenutzt und ausgebeutet fuhlten.
Ein Mandant iiuBerte in diesern Zusarnmenhang , daB er sich wie ein Zitrone vorkomme, die ausgepreBt werde. Bei den Unterhaltsberechtigten uberwogen Aul3erungen der Genugtuung dariiber, daB
der Ehepartner zur Zahlung verpflichtet wurde. Die Probleme auf der Appellebene sind weitgehend
identisch mit denen, die beirn Kindesunterhalt auftraten und sollen insofem nicht nochmals erortert
werden.
Eng mit der finanziellen Problernatik verbunden ist auch das Therna Zugewinn. Die Kommunikationsstorungen waren allerdings wesentlich geringer a1s bei den Themen Kindes- und Ehegattenunterhalt. Das resu1tiert vor allem daraus, daB in mehreren F!i.11en Ehevertrlige existierten und somit
kein Regelungsbedarf bestand. In einigen F!i.11en wurden sowohl das Problem des Zugewinns als
auch anderer Scheidungsfolgen auBergerichtlich erarbeitet und dem Gericht zur Protokollierung
vorgelegt. Die meisten Kommunikationsstorungen traten indes auf der Sachinhaltsebene auf. Hierbei handelte es sich vorwiegend urn echte terminologische Unsicherheiten den Terminus Zugewinn
betreffend, da dieser einigen Mandanten nicht bekannt war. Daneben waren die schon bei anderen
Themen analysierten Kommunikationsschwierigkeiten durch Vermischung der Sachinhalts- und der
Beziehungsebene zu beobachten. So wich beispielsweise ein Mandant einer Sachauseinandersetzung aus, indem er stets die Beziehungsseite mit einbezog und darstellte, wie schlecht seine Frau sei
und daB sie deshalb bestirnmte Anspruche nicht geltend machen konne. Sie habe dazu kein moralisches Recht. Aus diesem Argumentationsverhalten resultierten zum Tei! Verstiindigungsschwierigkeiten zwischen dem Mandanten und seinem Anwalt, wei! der Mandant die moralische Berechtigung und nicht den rechtlichen Anspruch irn Mittelpunkt sehen wollte.
Auch beirn Therna Hausrat gab es Kommunikationsschwierigkeiten, die iihnlich wie bei der Unterhaltsproblematik gelagert waren. Auch hier wurde versucht, verletzte Gefuhle durch Rache zu
kompensieren. Tei1weise uberiagerte auch der Streit urn das Sorgerecht eine sachliche Auseinandersetzung. So gab es in einem Fall keine Verstiindigung zu einfachsten Fragen der Rausratstei!ung,
Kontoaufiosung und zum Sparbuch des Kindes. Es wurde uber den Anwalt sogar uber die Herausgabe von Kleidungssrucken (ein Paar Turnschuhe) gestritten. Dieses Phiinomen wurde von mehreren Anwiilten beschrieben. Oftmals wurde bei der Hausratstei1ung urn vollig wertlose Gegenstiinde
gestritten.
Das Therna Ehewohnung war irnmer dann problernatisch, wenn es sich urn ein bisher gemeinsarn
bewohntes Haus handelte. Oftma1s spielten dabei die neuen Lebenspartner eine undankbare Rolle,
da wechselseitig vermutet wurde, daB sie den Noch-Ehepartner negativ beeinfluBten. Vorwiirfe
wie: Du willst mir nur das Raus wegnehmen! Waren dabei keine Seltenheit. In einem Fall beanspruchte eine Mandantin die Ehewohnung fur sich. Der Mann, bei dem das gemeinsarne Kind lebte
125
und auch bleiben wollte, sollte ausziehen, wei! er sie beleidigt habe. Auch bier sind also wieder die
Vermischungen von Sachinhalts- und Beziehungsebene sehr deutlich. Ahnlich sah es in einem anderen Fall aus: Das gemeinsame Raus sollte entweder verkauft oder der Partnerin tiberlassen werden.
Der Mandant vertrat daraufhin die Auffassung, daB er das Raus lieber an Dritte verkaufen wiirde
als es seiner Frau zu tiberlassen.
Zusammenfassend laBt sich folgendes sagen: Wie die Untersuchung in bezug auf die Kommunikation zwischen Anwalt und Mandanten gezeigt hat, treten dabei zahlreiche Kommunikationsstorungen auf; die auf unterscbiedlichen Kommunikationsebenen angesiedelt sind. Legt man das Schulz
von Thunsche Kommunikationsmodell zugrunde, ergibt sich folgendes Bi!d: Erwartungsgemiill
entstehen viele Verstandigungsprobleme durch terminologische Unsicherheiten auf der Sachinhaltsebene. Insoweit laBt sich die von Fluck aufgestellte These bestiitigen, daB Fachsprachen unter
gewissen Voraussetzungen zu Kommunikationsbarrieren fiihren konnen. 504 Interessant ist, daB die
Probleme auf der Sachinhaltsebene den KommunikationsprozeB nicht so stark behind em wie die
Kommunikationsstorungen auf der Beziehungsebene, die den Rauptanteil aIler auftretenden Kommunikationsstorungen bi!den. Prozentual geringer sind die Kommunikationsstorungen auf der
Selbstoffenbarungsebene und auf der Appellebene, wobei diese Aussage insoweit eingeschriinkt
werden muB, da die ex:akte Unterscheidung insbesondere der drei letztgenannten Ebenen oft sehr
kompliziert und nicht eindeutig ist. Das liegt vor aIlem daran, daB aile Sprechakte erst kommunikatorgerecht interpretiert und anschlieBend (zumindest fur die Beantwortung der Fragebogen) den
einzelnen Kommunikationsebenen zugeordnet werden mtissen. Bei dieser Zuordnung flieBen natiirlich persOnliche Erfahrungen und Wertungen ein. Dariiber hinaus spielt das eigene Kommunikationsverhalten der Anwiilte eine nicht zu unterschiitzende Rolle, da sie - wie aile Kommunikatoren tiber individuell unterscbiedliche Fahigkeiten und Priiferenzen verfiigen, urn auf den unterscbiedlichen Ebenen zu kommunizieren.
3. Die Kommunikation im Scheidungsverfahren
Die Kommunikation im Scheidungsverfahren zwischen der Richterin oder dem Richter und den
Streitparteien unter Einbeziehung der Anwiilte unterscheidet sich grundlegend von der Kommunikation zwischen Anwalt und Mandanten. Beiden Kommunikationsarten ist jedoch gemeinsam, daB
sowohl miindliche a1s auch schriftliche Kommunikation stattfindet, aIlerdings in unterscbiedlicher
Gewichtung. Die anwaltliche Kommunikation ist schwerpunktmiillig durch das Mandantengesprilch
charakterisiert. Die Schriftsiltze werden meist an den Gegner (oft vertreten durch seinen Anwalt)
oder an das Farniliengericht gesendet. Zwischen dem Anwalt und seinem Mandanten ist die schriftliche Kommunikation eher sekundilr und besteht meist aus sachlichen, schriftlichen Zuarbeiten.
504 Vgl. dazu Kap. B. I., S. 8 ff..
126
Das Scheidungsverfahren selbst ist ebenfa1ls durch ein hohes MaB an miindlicher Kommunikation
gepriigt, doch darf der Anteil an schriftsprachlicher Kommunikation nicht unterschiitzt werden:
,,Die Rechtsentscheidung beruht auf dem Inbegriff der Verhandlung. Die Verhandlung ist miindlich.
Entscheidungen werden also miindlich ausgehandelt. So miillte man sich den vom Miindlichkeitsprinzip beherrschten Rechtsdiskurs vorstellen, aber die Vorstellung wird nicht selten enttiiuscht.
Das Fach basiert aufSchriften, und seine Fachsprache wird in erster Linie schrift1ich artikuliert."505
Die gerichtliche Kommunikation findet also im Spannungsfeld zwischen miindlicher und schrift1icher Kommunikation statt. Da sowohl bei der schrift1ichen als auch bei der miindlichen gerichtlichen Kommunikation Verstandigungsschwierigkeiten auftreten, sollen beide Teile im folgenden
getrennt untersucht werden. Dabei wird schwerpunktmiiBig auf die Aussagen der interviewten
Richterinnen und Richter zuriickgegriffen.
a) Die schrift1iche gerichtliche Kommunikation
Bevor eine miindliche Verhandlung durchgefuhrt werden kann, deren Ergebnis in der Regel die
Ehescheidung ist, findet vorher ein stark formalisiertes, hauptsachlich schriftsprachliches Verfahren
statt, in dessen Verlauf es zu zah1reichen Kommunikationsstorungen kommen kann. Nachdem ein
Ehepartner iiber seinen Anwalt den Scheidungsantrag an das zustandige Fami1iengericht iibergeben
hat, wird die eingegangene Antragsschrift auf Scheidung dem anderen Ehepartner mit der Bitte urn
Stellungnabme zugesandt. Dabei wird im Anschreiben auf die Frage der anwaltlichen Vertretung'i06,
der Zustandigkeit des Fami1iengerichts sowie der Moglichkeit der ProzeBkostenhi1fe507 hingewiesen. Schon mit diesem ersten Schreiben beginnen die Kommunikationsschwierigkeiten. Dabei
handelt es sich in erster Linie urn Verstandnisschwierigkeiten auf der Sachinha1tsebene. Oft wird
der zustandige Richter dann angerufen, weil die Empfanger nicht verstanden haben, was das Gericht von ihnen erwartet. Die hiiufigste zu kliirende Frage lautet: Was heiBt Stellungnabme im Gegensatz zur reinen Kenntnisnabme? In diesem Zusammenhang treten viele weiterere Sachinhaltsfragen zur gewunschten Stellungnabme aut; die der Richter beantworten soli. Doch das ist nicht so
einfach, denn der Richter mull unabhiingig bleiben und darfkeine Rechtsberatung durchfilhren, weil
er sonst unter den Vorwurf der Befangenheit geriit. Dieses richterliche Dilemma ist fur die Fragesteller oft schwer zu verstehen. Die Richter versuchen ihm zu entgehen, indem sie nur allgemeine
Auskiinfte und lnformationen geben, worauf es bei der Stellungnabme ankommt (z.B: Wann war
505 Seibert, Th. -M: Schriftfonn und Miindlicbkeitsprinzip im Rechtsdiskurs. In: Rechtsdiskurse. Untersuchungen
zurKommunikation im GerichtsveIfuhren. Tiihingen 1989. S. 217.
506 Der Antragsteller mull im Scheidungsvertilhren anwaltlich vertreten sein. Der Antragsgegner mull in dem FaIl
anwaltlich vertreten sein, wenn er auf das Scheidungsvertilhren und die damit anhilngig werdenden Fo)gesachen einwirken mOchte. Nur durch den Anwalt kann der Antragsgegner eigene Antrage stellen oder sich gegen
Antrlige des Antragstellersverteidigen.(VgI. § 78 TINr.l ZPOLV.m. § 625 I 1 ZPO).
507 Das Familiengericht kann auf Antrag Proze6kostenhilfe gewiihren, wenn cine (oder auch beide) Scheidungsparteien aullerstande sind, die Kosten des Prozesses m bestreiten, ohue den eigenen oder fur die Familie notwendigen Unterhalt m beeintrlichtigen.(Vgl § 624 TI ZPO).
127
der Trennungszeitpunkt? Stimmen Sie dem Scheidungsantrag m? Wie stellen Sie sich die zukiinftige Gestaltung des Sorgerechts vor?). Bei weitergehenden Fragestellungen miissen die Richter an
die Rechtsanwiilte verweisen. Doch die Hemmschwelle, rum Anwalt m gehen, ist nach Erfahrung
der Familienrichter sehr hoch. Die Angst vor finanziell nicht iiberschaubaren Risiken iiberwiegt
trotz des Hinweises auf megliche ProzeBkostenhilfe die Chance auf qualifizierte Rechtsberatung.
Viele Betroffene reagieren mit Unverstiindnis darauf; daB es keine kostenlose Rechtsberatung mehr
wie in der DDR gibt und bei Rechtsproblemen nunmehr nur noch der Gang rum Rechtsanwalt
bleibt, auch wenn das Verfahren unter Umstanden keinen Anwaltszwang vorschreibt. Bei der geforderten Stellungnahme rum Scheidungsantrag des Ehepartners gibt es weitere Sachinhaltsprobleme. Oft wird nicht verstanden, wer der eigentliche Adressat der geforderten Stellungnahme ist.
Das wird deutlich an den dann schriftlich geiiuBerten Bescbimpfungen wie rum Beispiel: ,,Der
Anwalt meines Ehepartners ist bled", (wei! er falsche Dinge schreibt); oder auch"das Gericht ist
bled". Die Betroffenen verstehen nicht, daB sie rum Scheidungsantrag ihres Ehepartners Stellung
nehmen miissen, und daB der Rechtsanwalt nur das "Sprachrohr" des Ehepartners ist und foJglich
nur im Auftrag handelt. Ebenso wird vergessen, daB das Familiengericht nicht von sich aus eine
Scheidung betreibt, sondem ebenfalls nur auf Antrag tittig wird. Viele Richter sagen aus, daB sie im
persenliche Gesprii.ch versuchen, bestehende SachinhaltsprobJeme, die teilweise auch auf die Beziehungsebene ausstrahlen, auszurliumen, obwohl das nur am Rande m ihren Aufgaben gehert. Das
triffi auch auf das Thema Versorgungsausgleich zu. Auf die Probleme beim Ausfiillen der Formblatter wurde schon bei den Scheidungsfolgen 1 intensiv eingegangen.508 Nach Aussage erfahrener
Familienrichter kommen etwa 20% der Betroffenen mit den FragebOgen aus sachlichen Verstandnisschwierigkeiten nicht zurecht. Weitere 20-30 % fiiIlen die Unterlagen aus Desinteresse, Gleichgiiltigkeit oder allgemeinen Protest gegen BehOrdenschreiben nicht aus. Bevor allerdings von Amts
wegen ein Zwangsgeld verhangt wird, hilft auch in diesen Fiillen oftmals ein persenliches Gesprach,
vor allem wenn es sich um echte sachliche VerstandnisprobJeme handelt.
Allgemein wird von den Familienrichtem eingeschiitzt, daB der schriftliche Teil des Scheidungsverfahrens fur viele Betroffene teilweise unverstandlich und verwirrend bleibt. Verweigem die Scheidungsparteien yom Gericht angeforderte Auskiinfte und Unterlagen, so ist dies seltener beser Wille,
sondem oftmals Ignoranz aus Unkenntnis, Unsicherheit und Angst, etwas Falsches m tun. Die
Betroffenen haben nur selten die Gelegenheit, mit dem Richter vor der miindlichen Verhandlung
persenlich zu sprechen. Die Kommunikation erfolgt also in diesem Stadium des Verfahrens nicht in
einer face-to-face Konfiguration, das heiBt, zwischen dem Kommunikator und dem Rezipienten
besteht eine raumJiche und eine zeitliche Distanz. Deshalb kennen Riickfragen nicht (oder nur
selten) gestellt und Verstandnisprobleme nicht ausgeraumt werden. Erschwert wird die Situation
auch dadurch, daB es fur die Betroffenen keine Meglichkeit gibt, sich bei einer neutralen Rechts-
508 Siehe Kap. G. II. 2. c). S. 113 ff..
128
auskunftsstelle kostenlose (oder zurnindest kostengtinstige) Informationen zur Durchfiihrung des
Scheidungsverfahrens zu holen. Die Richter diirfen diese Auskiinfte nicht geben und der Gang zum
AnwaIt wird oftmaIs vermieden. Zwar versuchen die Familiengerichte, dem offensichtIichen Informationsdefizit der Betroffenen durch mitgeschickte Informationsblatter beispielsweise zur Beantragung von ProzeBkostenhilfe oder zur Durchfuhrung des Versorgungsausgleichs entgegenzuwirken,
doch erscheinen diese BemUhungen angesichts der trotzdem massiv auftretenden Kommunikationsstorungen nur aIs Tropfen auf dem heiBen Stein.
b) Die miindliche Verhandlung
Nachdem aIle notwendigen Informationen bei Gericht schriftIich vorliegen, kommt es zur miindlichen Verhandlung. OftmaIs sehen sich Richter und Scheidungsparteien zu diesem Zeitpunkt zum
ersten Mal. AIle Informationen tiber die beabsichtigte Scheidung hat der Richter bis dahin im NormaIfaIl nur aus den Akten. Erst in der Verhandlung ist eine direkte Kommunikation zwischen dem
Richter und den Scheidungsparteien moglich. Doch diese Aussage muB insoweit eingeschriinkt
werden, daB ja zurnindest die antragstellende Partei anwaItIich vertreten ist, und insofem die Kommunikation oft auch nur indirekt tiber den AnwaIt erfolgt.
Nach Beurteilung der befragten Familienrichter ist die Erwartungshaltung der Parteien in der Verhandlung sehr hoch. Das k1assische Rollenverstandnis yom Richter, der Recht spricht, ist stark
ausgepragt. Es tiberwiegt der Respekt und teilweise auch die Angst vor dem "gestrengen Richter",
wobei diese Rollenerwartung sehr von Klischees gepragt ist, das durch den Richter zumindest
teilweise bewuBt wieder abgebaut wird. Andererseits wird der bestehende Respekt yom Richter
wiederum auch bewuBt ausgenutzt, urn durch Argumentation auf der Appellebene Sachentscheidungen nicht nur durchzusetzen, sondem auch fur beide Parteien akzeptierbar zu gestalten. Kommunikationsstorungen auf der Beziehungsebene treten im Vergleich zur Kommunikation zwischen
AnwaIt und Mandanten wesentIich seltener auf Ubereinstimmend sagten die Richterinnen und
Richter aus, daB in der Regel ruhige und sachliche Scheidungsverhandlungen stattfinden. Ein Richter schatzte ein, daB etwa 90 % der Faile in einer Gesprachsatmosphare und nur etwa 10 % der
Faile in einer·k1assischen "Verhandlungsatrnosphare"509 durchgefiihrt werden. Fiir die vergleichsweise geringen Kommunikationsprobleme auf der Beziehungsebene gibt es mehrere Erklarungen:
Bis zur miindlichen Verhandlungen sind nach der Antragstellung oft Monate vergangen. AnderthaIb bis zwei Jahre nach Einreichung des Scheidungsantrages sind keine Seltenheit. Diese Zeitspanne liegt vor aIlem an der langwierigen Bearbeitungsdauer des Versorgungsausgleichs. Diese Zeit
tragt natiirlich auch dazu be~ daB verletzte Gefi.ihle sich relativiert haben. Die Scheidungsparteien
haben nachgedacht, oft sind bereits neue Lebenspartner vorhanden. 510 Dazu kommt, daB die mei509 Das trifft vor allem aufHlirtescheidungen zu.
510 Einen iihnlichen Effekt, der in diese Fall aIIerdings beabsichtigt is!, hat das Trennnngl!jahr. Die Ehelente sollen
sich und ihre Ehe priifen, bevor sie den entscheidenden ScOOtt der Ehescheidung gehen.
129
sten emotionalen Konflikte der beiden Ehepartner bereits in Gesprachen mit dem Anwalt thematisiert wurden. lnsofem wird in der Scheidungsverhandlung meist sehr sachlich uber die zu kliirenden
finanziellen Sachverhalte gesprochen. Nach Aussagen der Familienrichter haben viele Parteien vor
Gericht soviel Respekt vor dem Richter, daB emotionale Wutausbruche und Beschimpfungen vergleichsweise selten auftreten. Natiirlich nutzen die Richter ihre Autoritat, urn versachlichend, entkrampfend und beruhigend auf den ProzeBverlauf einzuwirken. Diese EinfluBnahme des Richters
auf der Appellebene zugunsten einer Versachlichung des gerichtlichen Verfahrens beschriinkt sich
jedoch nicht nur auf die Parteien sondem auch auf deren AnwaIte. Zwar haben die Richter keine
M6glichkeit, zum Beispiel durch die Androhung eines Ordnungsgeldes disziplinierend auf die AnwaIte einzuwirken, oftmals genugt aber auch schon die Nachfrage: Glauben Sie, daB diese Vorstellung ihrem Mandanten nutzt?, urn wieder auf die Sachinhaltsebene zuruckzukommen. Des
weiteren besteht die M6glichkeit, einen Vermerk in das Protokoll aulZunehmen oder die Verhandlung zu vertagen.
Beim oftmals emotional doch aufge1adenen Streit urn das Sorgerecht gelingt es jedoch nicht immer,
eine sachliche Argumentationsbasis aufZubauen. Bevor uber das Sorgerecht eine gerichtliche Entscheidung getroffen wird, holt der Familienrichter eine entsprechende Empfehlung des Jugendamtes
ein, die allerdings nicht mit seiner richterlichen Entscheidung ubereinstimmen muB. Das Jugendamt
gibt seine Empfehlung beziiglich des Sorgerechts ab, wenn es mit den Eltem gesprochen hat. Bier
beginnen die Kommunikationsschwierigkeiten auf der Beziehungsebene, denn diese Empfehlung
wird von den Eltem oft mit der richterlichen Entscheidung gleichgesetzt. Und je nach dem wie die
Empfehlung ausgefallen ist, wird dann das Jugendarnt oder durch die Gleichsetzung auch das Farniliengericht als inkompetent und nicht am Kindeswohl interessiert beschimpft. Interessant ist in
diesem Zusammenhang, daB das Familiengericht entgegen alIer Befi.irchtungen selten eine inhaltliche Entscheidung zum Sorgerecht triffi. Die Richter versuchen vieImehr in enger Zusammenarbeit
mit beiden Eltemteile eine fur das Kind m6glichst optimale L6sung zu finden. Den Uberlegungen
und Angsten der Eltem wird dabei viel Platz eingeriiumt, denn erfabrungsgemii13 sind die Sorgerechtsregelungen am besten, die von beiden Eltemteilen akzeptiert werden. Letztendlich ausschlaggebend fur eine gerichtliche Entscheidung sind neben den unterschiedlichen begrundeten Sorgerechtsantriigen und der Empfehlung des Jugendamts insbesondere die Aussagen und WUnsche der
betroffenen Kinder. Ab dem 14. Lebensjabr ist eine richterliche Anh6rung der Kinder vorgeschrieben. Aber auch kleinere Kinder k6nnen befragt werden. Auch werden zum Teil (unangemeldete)
Ortsterrnine bei den Kindem zu Hause durch das Familiengericht durchgefiihrt. Das neue Kindschallsrecht wird in diesem Zusammenhang von den befragten Familienrichtem sehr begruBt. Leider befurchten sie trotz allem, daB das neue Kindschallsrecht nicht dazu fiihren wird, daB die Frage
nach dem Sorgerecht nunmehr in jedem Fall einvemehrnlich und oIme den schmutzigen Krieg
geregelt wird. Das gemeinsame Sorgerecht als Norma1fall sei zu begruBen. Diese grundsiitzliche
130
Priiferenz diirfe jedoch nicht damber hinweg tiiuschen, daB es nach wie vor hochstreitige Sorgerechtsregelungen geben werde. Inwiefem der neu einzufuhrende ,,Anwalt des Kindes"511 in diesem
Bereich helfen kann, eine prirnar am Kindeswohl ausgerichtete Entscheidung zu treffen, bleibt
abzuwarten.
c) Die anwaltliche und die gerichtliche Kornrnunikation aus Sicht der Mandanten! Parteien
In den vorangegangenen Kapiteln wurden Kornrnunikationsstorungen schwerpunktrnaBig aus der
Sicht der Fachleute betrachtet. Urn auftretende Verstiindigungsschwierigkeiten urnfassend beurteilen zu konnen, muB natiirlich auch die Perspektive der Laien analysiert werden. Allerdings ergaben
sich in diesem Bereich bei der empirischen Datengewinnung schwerwiegende objektive Hindemisse, die eine reprasentative Untersuchung verhindern. Zurn einen waren nur wenige Betroffene
bereit, tiber ihre Erfuhrungen zu sprechen und ihr Kornrnunikationsverhalten einzuschiitzen. Zum
anderen sind Scheidungsverhandlungen nicht offentlich, so daB eine Einschlltzung der gerichtlichen
Kornrnunikation in dieser Weise eigentlich nicht erfolgen kann. Trotzdern soli auf die Laienperspektive nicht vollstiindig verzichtet werden, obwohl die nachfolgenden Erkenntnisse und Aussagen
nur punktuell erfolgen konnen und einer weitergehenden Untersuchung bediirfen. 512
Interessant sind insbesondere die Aussagen von geschiedenen oder in Scheidung lebenden Personen, da sie Aussagen der Fachleute in weiten Teilen bestliJ:igen und ergiinzen. FUr den Bereich der
anwaltlichen Kornrnunikation stellt sich die Situation aus Sicht der Betroffenen wie folgt dar: In der
Tat ist eine Hernrnschwelle vorhanden, irn Faile einer drohenden Scheidung einen Anwalt aufZusuchen. Da aber zurnindest der Antragsteller anwaltlich vertreten sein rnuB, bestiitigen die Befragten,
daB die Hernrnschwelle des Partners, der die Scheidung einreichen will (Antragsteller), niedriger ist
als die des Partners, der auf den Scheidungsantrag reagieren muB (Antragsgegner). Trotzdem
kiirnrnerten sich in der Mehrzahl der Fii.lle auch die Antragsgegner urn anwaltliche UnterstUtzung,
denn die Angst, bei der gerichtlichen Verhandlung die eigene Rechtsposition zu schwachen, war
groBer als die Angst vor dem Gang zu Anwalt. Die Bedenken, einen Anwalt zu Rate zu ziehen,
bestanden dabei einrnal in finanzieller Hinsicht und zurn anderen in dem Unbehagen, einern Frernden sehr private Details anzuvertrauen und sich ihrn quasi auszu1iefern. Hinzu karn die Rollenerwartung: Betroffene saben den Anwalt als Fachrnann fur rechtliche Belange und als Spezialisten auf
dem fur den Laien oft verwirrenden Gebiet des Verfilhrensrechts. Dieses Vorwissen war oft verbunden mit einem Gefiihl der eigenen Unterlegenheit und Unwissenheit, das Unsicherheit im eigenen Kornrnunikationsverhalten nach sich zog. Einige Befragte sahen in dem Anwalt den fachlich
511 1m KonfliktJilll wird dem Kind eine Art "Kindesanwalt" zur Seite gestellt, urn den Interessen mindeIjahriger
Kinder bei Behiirden Gehiir zu veJSCbaffen und sie nicht zu reinen Streitobjekten der Eltern zu degradieren.
512 Die nachfolgenden Erkenntnisse stiitzen sich auf Befragnngen und Interviews von 15 geschiedenen oder in
Scheidung Iiegenden Personen sowie auf die Teilnahme der Antorin an mehreren gerichtlichen Scheidungsverhandlungen. Besonderer Dank gilt in diesem Znsannnenhang Familienrichter Wiegler, Amtsgericht Jena, der
den Zngang zu den sonst nicht iiffuntlichen Scheidungsverhandlungen ermoglichte.
131
Uberiegenen und vertrauten ibm. Gerade aber auch das Gefiihl der eigenen Unterlegenheit rief zum
Teil MiBtrauen hervor. Betroffene liul3erten dabei die Befurchtung, daB der Anwalt ihre Unkenntnis
ausnutzen konnte und nur auf ihre Kosten Geld verdienen wollte. Weiterhin erwarteten sie yom
Anwalt, daB er wie ein Fachmann auftritt - also vom Auftreten her sehr selbstbewuBt und vertraut
mit der entsprechenden Fachterminologie. Auf der anderen Seite aber setzten die Betroffenen voraus, daB der Anwalt kein ,,Fachchinesisch" spricht. Die Verstandigung wurde in einigen Fiillen auch
dadurch erschwert, daB die Mandanten davon ausgingen, daB der Anwalt ihre Gesamtsituation, die
emotional oft als sehr schwierig empfunden wurde, wiirdigt, und nicht nur die fur ihn rechtlich
relevanten Aspekte berucksichtigt. Wurde der Anwalt diesem Anspruch nicht gerecht, fuhrte dies
entsprechend zu Kommunikationsschwierigkeiten, die manchmal sogar in dem Vorwurf miindeten:
Mein Anwalt tut nichts fur mich und ist unflihig.
Auf das Problem des dem Ehescheidungsrecht zugrunde liegenden Zerriittungsprinzips hin angesprochen, argumentierten die Betroffenen wie folgt: Die Tatsache, daB das bundesdeutsche Scheidungsrecht auf dem Zerriittungsprinzip basiert, ist vielen Betroffenen nicht bekannt. Die Grundziige
dieses Prinzips wurden aber seitens der Anwiilte allgemeinverstandlich und umfassend erkliirt. Das
Problem lag also nicht in der Unkenntnis oder in der Kompliziertheit dieses Rechtsprinzips sondern
in der mangelnden Akzeptanz. Fiir viele Betroffene war vollig unverstandlich, daB die Frage nach
den Ursachen (oder nach dem Verursacher bzw. der Verursacherin) fur das Scheitern der Ehe, fur
das Scheidungsverfahren und darnit fur die Scheidungsfolgen keine Rolle spielt. Sie konnten und
wollten nicht akzeptieren, daB die Kategorien personlicher Schuld und Verantwortung fur die
rechtliche Beurteilung unerheblich sind. Dieses Beispiel bestatigt folglich die empirisch getroffene
Aussage, daB die Kommunikationsstorungen zwischen Anwalt und Mandanten schwerpunktrniiBig
auf der Beziehungsebene entstehen und erst an zweiter Stelle durch Verstandigungsschwierigkeiten
auf der Sachinhaltsebene bedingt sind.
Die gerichtliche Kommunikation bei der miindlichen Verhandlung veriiiuft dagegen wesentlich
emotionsloser. Allein die Tatsache, daB auf dem Terminplan jeweils nur eine halbe Stunde fur die
miindliche Scheidungsverhandlung vorgesehen ist und in der Regel auch nur eine Verhandlung
stattfindet, verdeutlicht, daB hier kaurn noch Zeit fur Diskussionen auf der Beziehungsebene und
auch auf der Selbstoffenbarungsebene bleibt. Hinzu kommt, daB die miindliche Verhandlung oftmats erst nach ein bis zwei Jahren nach dem Scheidungsantrag stattfindet. Wie bereits im Kapitel
iiber die miindliche Verhandlung ausgefuhrt, hat sich bis zu diesem Zeitpunkt die gesamte Lebenssituation der Betroffenen normalisiert, emotionale Verietzungen sind nicht mehr so frisch, oft haben
beide Ehepartner bereits neue Lebenspartner gefunden. Das Gesprachsklima ist daber meist sehr
niichtern und sachlich. Die Anwiilte haben im vorhinein viele Fragen schon kliiren konnen. Seitens
der Betroffenen iiberwiegt das Gefiih1, die Scheidung moglichst schnell zu vollziehen, urn diesen
Lebensabschnitt "abschlieBen" zu konnen. Erleichtert wird dieser Schritt dadurch, daB die ScheidungsverhandiUng sehr formalisiert abliiuft und der Richter sich in seiner Anhorung zu den Scheidungsvoraussetzungen und zu den Scheidungsfolgesachen auf die wesentlichen Aspekte be-
132
schriinkt. Es treten daher weniger Kommunikationsschwierigkeiten sowoW auf der Beziehungsebene als auch auf der Sachinhaltsebene auf Sind jedoch Verstandigungsschwierigkeiten vorhanden,
wirken in der Mehrzahl der Hille die Anwlilte aufklarend auf ihre Mandanten ein und auch der
Richter nutzt seine Autoritiit in der Weise, daB er streitschlichtend argumentiert und so eine eigenverantwortliche Problemlosung der Parteien unterstUtzt.
H. Sprachpflegerische Aspekte der Fachsprache des Rechts unter
Beriicksichtigung der Ergebnisse der empirischen Untersuchung
L Die Kommunikation im Mediationsverfahren
1. Mediation als Konfliktlosungsverfahren
Wie die empirische Untersuchung gezeigt hat, treten im gerichtlichen Ehescheidungsverfuhren
zahlreiche Kommunikationsstorungen sowohl zwischen Anwalt und Mandanten als auch zwischen
Richter und Parteien auf Die Analyse hat weiterhin gezeigt, daB ein Teil dieser Probleme in der
Natur des Gerichtsprozesses begriindet liegt: ,,Die gerichtliche Entscheidung bezieht nur den rechtlich relevanten, weil subsumtionsflihigen Teil des Streits ein und tibersetzt dadurch komplexe Wirklichkeit in entscheidbare Sachverhalte. Die von den Betroffenen erlebte tatsiichliche soziale Wirklichkeit mit all den vielen personlichen Problemen wird dabei in groBen Teilen ausgeblendet. Gerade
diese sind es aber, die die Beteiligten am meisten und in allererster Linie beschiiftigen."513 Auf diese
emotionalen Probleme, die sich sprachlich oft als Kommunikationsschwierigkeiten auf der Beziehungsebene niederschlagen, nimmt das gerichtliche Verfahren keine Rticksicht: "Gerichtliche Entscheidungen bedingen ein Entweder-Oder. Was die eine Partei gewinnt, ist gleichzeitig der Verlust
der anderen ("Null-Summen-Spiel"). Ein Ergebnis, welches die Interessen beider Seiten fordert
("Win-Win-Situation"), ist nicht moglich. Das ist angelegt im Strukturprinzip des gerichtlichen
Verfahrens, bei dem es dem Inhalt nach urn die Durchsetzung von durch Gesetze bestimmte Positionen geht.,,514 Diese Vorgehensweise stellt zwar formaljuristisch den Rechtsfrieden wieder her, bei
den Streitparteien bleibt jedoch oft ein schaler Beigeschmack zurUck. Sie haben nicht selten das
Gefuhl, daB ihre eigentlichen Probleme nur unzureichend thematisert und eine Entscheidung tiber
ihre Kopfe hinweg getroffen wurde: ,,In der familienrichterlichen Praxis ist dieses Dilemma hiiufig
Grund fur - teilweise massive - Auseinandersetzungen tiber von der personiichen Ebene auf die
juristische Sachebene verlagerte Streitthemen; ausgelost durch den nicht thematisierten, darunterliegenden und die eigentliche Ursache des Streits bildenden Konflikt. Das Recht wird funktionalisiert fur eine emotional unverarbeitete Trennung.,,515 Die Auswertung der empirisch gewonnenen
Erkenntnisse hat auch versucht, mogliche (soziolinguistische) LOsungsansatze zur Verringerung
oder Vermeidung yom derartigen Kommunikationsstorungen auJZuzeigen. Eine weitere Moglichkeit, Kommunikationsstorungen zu begegnen, ist das Verfahren der Mediation.
Die Mediation als Konfliktlosungsmethode setzt mit der Zielstellung an, eine Verstandigung sowie
eine rechtsverbindliche Einigung zu erreichen. Dazu wird ein Mediator - ein neutralen Dritter ohne
513 de Witt, K: MediativeElemente in derfumilienrichterlichen Arbeit. FaruRZJg. 45 (1998) H. 4, S. 211.
514 de Witt, K: Mediative Elemente in der fumilienrichterlichen Arbeit S. 211.
515 de Witt, K: Mediative Elemente in der fumilienrichterlichen Arbeit. S. 211.
134
inhaltliche Entscheidungsbefugnis - zur Verrnittlung eingeschaltet. Das Wesen der Mediation wird
wie folgt beschrieben: ,,Mediation ist ein KonfJiktregelungsverfahren. hn fiuniliiiren Bereich bezieht
sie sich auf die Regelung von Konflikten in ehelichen, nichtehelichen und nachehelichen Beziehungen. Sie strebt nach sachlichen LOsungen, die auf einer Verstiindigung der Konfliktpartner beruhen.
Die Trennungs- und Scheidungsmediation befaJ3t sich hauptsachlich mit der Gestaltung der mit
Trennung und Scheidung zusammenhangenden Foigen, insbesondere mit der durch die Trennung
bedingten Neuordnung der elterlichen Verantwortung, der Finanzierung der Einze1haushalte, der
Vermogensauseinandersetzung, der Alterssicherung, Hausratsteilung und Kliirung der Wohnsituation. Mediation antwortet auf die Frage der Betroffenen, wie sie selbstverantwortlich im Verstiindnis der eigenen Situation, der des anderen und ihrer jeweiligen Realitiitssicht gemeinsame Entscheidungen konstruktiv erarbeiten konnen, die fair sind, eine tragfiihige Grundlage fur die Zukunft
bilden und, jedenfal1s hiiufig, rechtsverbindlichen Charakter haben. Grundlage der Entscheidung ist
die Akzeptanz der Unterschiedlichkeit der (Zukunfts-) Interessen aIIer Beteiligten. Der eine sol1
nicht auf Kosten des anderen gewinnen. Gesucht wird vielmehr nach doppeltem Gewinn durch
Wertschopfung, indem Ressourcen aktiviert und Synergien gebiindelt-verden.,,516 Dabei muB beachtet werden, daB Mediation kein Ersatz fur das gerichtliche Verfahren sondem eine "Wah1moglichkeit, eine Ergiinzung der Palette der Konfliktbehandlungsformen"517 ist.
In den Vereinigten Staaten wird die Farnilien-Mediation bereits seit Anfang der 70er Jahre durchgefuhrt. In der Bundesrepublik konnte sie sich erst ab 1989 etablieren. Dabei konnte aufErfabrungen aus anderen europruschen Lilndem und den USA zuriickgegriffen werden. Anfang 1992 kam
es dann zur Griindung der Bundes-Arbeitsgemeinschaft fur Farnilienmediation (BAFM). Eine
groBe Rolle spielte von Anfang an die auf Interdisziplinaritiit angelegte Zusammenarbeit: "Die
Entwicldung wurde von interprofessionell zusammengesetzten Arbeitskreisen der psychsosozialen
BerufSgruppen (Berater aus Trennungs-, Ehe-, Familien-, Erziehungs- und Lebensberatungstellen,
Therapeuten, Jugendamtsmitarbeitern, Sachverstiindigen) einerseits und in etwa gleichgewichtig
Juristen, hier vor aIIem Anwiilte, andererseits getragen.,,518
516 Professionalisierung - Qualifizierung - Vernetzung. In: Info-Mappe der Bundesarbeitsgemeinschaft fur Familienmediation e. V. S. 3.
517 Breidenbach, St: Mediation - Komplementare Konfliktbehandlung dnrcli Vennittlung. In: Mediation fur
Jurislen. Koln 1997. S. 10.
518 Professionalisierung - Qualifizierung - Vemetzung. S. 3 f ..
135
2. Grundsatze und Ablauf der Mediation
Nach den Richtlinien der BAFM fur Mediation in Farnilienkonf1ikten, orientiert sich die Mediation
an folgenden Grundsatzen: 519
Freiwilligkeit Der MediationsprozeB ist freiwillig. Freiwilligkeit setzt voraus, daB die
Partner in ihrer Selbstbestimmung nicht beschriinkt sind und der Mediator in den durch den Inhalt des Mediationsvertrages festgelegten Grenzen keinen Weisungen unterliegt. Der ProzeB kann von allen Beteiligten,
auch vom Mediator, jederzeit beendet werden.
Neutralitat Mediation setzt eine gegentiber beiden Partnern neutrale und unvoreingenornrnene Haltung des Mediator voraus.
Eigenverantwortlichkeit - Die Partner nehrnen ihre Interessen und Bediirfuisse eigenverantwortlich
wahr.
Inforrniertheit Eine selbstbestirnrnte Entscheidung ist nur moglich, wenn die Partner
tiber die relevanten Sachverhalte inforrniert sind. AIle Beteiligten mtissen
die entscheidungsrelevanten Daten kennen, urn sie einzuordnen und abzuwagen. Deshalb rntissen beide Partner bereit sem, aile wesentlichen
Daten und Fakten offenzulegen. Insbesondere bei Scheidungen hat sich
jeder Partner tiber seine gesetzlichen Rechte und Pflichten zu informieren.
Vertraulichkeit Der MediationsprozeB ist vertraulich.
Wichtig ist in jedem Fall, daB die Partner bereit sind, ihre Probleme eigenverantwortlich zu lasen.
Der Weg dorthin ist mitunter weit. Die Trennung hat bei beiden Mediationspartnern Spuren hinterlassen, Angste, MiBtrauen und VorwUrfe erschweren die Kornrnunikation: "So stehen sie sich zu
Beginn in der Regel als Gegner, manchrnal feindlich, gegenuber. Ihr Verhalten ist gegenseitig voneinander abhangig, reaktiv aufeinander bezogen. Mediation versucht, mit Hilfe seiner Struktur,
dieses Verhandlungsdilernrna aufZuiosen, so daB die Konf1iktpartner fahig werden, den Blick von
der Vergangenheit in die Zukunft zu richten. Durch das Herausschalen der jeweils zukunftsorientierten Interessen auf der Grundlage unterschiedlicher Sichtweisen wird angestrebt, das reaktive
Verhalten aufmlasen und ein proaktives Verhalten einzuleiten. Indemjeder Konfliktpartner - aus
dem Verstandnis seiner sich irn ProzeE verdeutlichenden Lebensperspektive - seine Interessen
519 Vgl. zu den nachfolgenden Grundsiitzen die Richtlinien der BAFM bei: Mlihler, G.; Mlihler, H.-G.: Praktische
EinSlltzmiiglichkeiten der Mediation. In: Mediation fur Juristen. Kiiln 1997. S. 125.
136
formuliert, kann die Till fur kooperative Verhandlungen ge6f1ilet werden mit dem Ziel, die eigenen
Interessen in der zu entwerfenden Ubereinkunft unterzubringen."520
Zu Beginn des Mediationsprozesses kim der Mediator die Beteiligten iiber Unterschiede und
Ahnlichkeiten zwischen Mediation und anderen Konfliktregelungsverfahren auf, er verweist auf
Vor- und Nachteile sowie auf mogliche Altemativen. Der Mediator erlautert den Ablauf der Mediation und kim die Ubemahme der Kosten. Die mit den Beteiligten erarbeiteten Voraussetzungen
sollen dabei in einem schriftlichen Mediationsvertrag festgehalten werden. Der Mediator hat nunmehr die Aufgabe, den Parteien durch seine "vermittelnde Gesprachs- und Verhandlungsgestaltung,,52! zu helfen, eine "einvemehmliche faire Regelung" zu entwickeln. Mogliche Bezugspunkte
sind dabei: " konkrete personliche, berufliche und okonomische Zukunftsinteressen; beziehungsgeschichtliche Elemente, die gesetzlichen Bestimmungen bzw. die ihnen zugrundeliegenden Prinzipien
sowie verausgegangene Verabredungen. Besondere Bedeutung kommt der wechselseitigen Akzeptanz unterschiedlicher Interessen und Lebensperspektiven der Beteiligten und der Kinder zu, die
dann aufeinander bezogen und untereinander verkniipft werden. ,622 Das Mediationsergebnis wird in
der Regel schriftlich festgehalten.
In den folgenden drei Kapiteln soll gezeigt werden, welche Moglichkeiten zur Vermeidung oder
Minimierung von Kommunikationsstorungen die Mediation bietet und an welcher Stelle auch diesem Verfuhren Grenzen gesetzt sind.
a) Die Mediation in der anwaltlichen Praxis
1m Normalfall kommt ein Mandant zum Anwalt, urn sich beraten zu lassen, "wie er mit Hilfe des
Rechts - moglichst vorteilhaft - die Folgen von Trennung und Scheidung regeln kann. Recht wird
dabei mit Gesetz, Beratung mit Rat-geben gleichgesetzt. Diese Gleichsetzung von Rechtsberatung
mit Rat-geben mag tauglich sein, wenn der Anwalt berat, urn seinen Mandanten anschlieBend zu
vertreten und dessen Rechte - notfalls vor Gericht - durchzusetzen. Sie ist es nicht, jedenfalls nicht
im Schwerpunkt, bei einer Beratung mit dem Ziel der interessengerechten Vertragsgestaltung und
schon gar nicht in der Mediation.'623 Vergegenwiirtigt man sich die Zielsetzungen von "normaler"
Rechtsberatung beim Anwalt und der Mediation, werden schnell Unterschiede sichtbar: Die "normale" Konstellation beim Scheidungsverfahren stellt typischerweise zwei gegnerische Parteien und
ihre ProzeBvertreter (Anwiilte) gegeniiber. Unterschiedliche Interessenlagen prallen - meist ungebremst - aufeinander. Die Eheleute sind sich aufgrund im Vorfelde der Verhandlung zugefugter
Verletzungen vor Gericht oft feindlich gesinnt, sehen sich als Gegner. Verletzter Stolz und verletzte
Gefiihle blockieren den sachlichen Austausch von Argumenten. Jeder versucht mit allem Nach520 MaWer, G. und Mahler, H.-G.: Rechtsberatung in der Mediation bei Trennung und Scheidtmg. In: Fmnilie/
Partnerschafl/ Recht (= FPR) Jg. 3 (J 997) H. 6, S. 258.
521 Mahler, G.; MaWer, H.-G.: Praktische Einsatzmiiglichkeiten der Mediation. S. 129.
522 Miihler, G.; MliIlIer, H.-G.: Praktische Einsatzmiiglicllkeiten der Mediation. S. 129.
137
druck seine Interessen ohne Kompromisse durchzusetzen. Kommunikationsstorungen sind fast
vorprogrammiert. Sachliche Losungsvorschliige sind schwer moglich. Der Richter trim eine Entscheidung, die im Zweifelsfall keine der beiden Parteien zufriedenstellt. Diese Konfrontation soli bei
der Mediation abgebaut oder sogar vermieden werden. Beide Parteien sollen eigenverantwortlich
zusammen mit dem Mediator ihre Interessenlagen herausarbeiten und zu einer einvemehmlichen
Losung kommen. Was bier so einfach in einen Satz zusammengefaBt wird, ist in der Praxis ein
langwieriger ProzeB, der hohe Anforderungen insbesondere an den Mediator stellt. Befragungen
von als Mediatoren tatigen AnwaIten haben gezeigt, daB den kommunikativen Fiihigkeiten des
Mediators groBe Bedeutung zukommt. 524 In erster Linie muB er zuhoren konnen, urn herauszufinden, welche Zielsetzungen die Parteien wirklich haben. Dabei steht er vor dem Problem, daB sich
die Parteien oft nicht eindeutig auBern, und die eigentliche Bedeutung ihrer Aussage nur implizit
ist. 525 In der Konfliktbearbeitungsphase fuhrt die Kommunikation schwerpunktmiiBig iiber das
Verstehen, niim1ich die Interessen eines jeden aus seiner unterscbiedlichen Sichtweise heraus zu
verstehen. Der Mediator bildet darnit gleichzeitig eine Briicke im Verstandnis beider Partner. Die
Vision in der Mediation ist darauf gerichtet, sich zu einer Problemlosegemeinschaft zu entwickeln.
Das ist deshalb von entscheidender Bedeutung, weil kommunikative Kooperation auf der Beziehungsebene und WertschOpfung auf der Sachinhaltsebene in unmittelbarem Zusammenbang stehen.
Gegner suchen danach, sich gegenseitig zu schaden. In kooperativen Verhandlungen lassen sich viel
leichter ressourcenorientierte, wertschopfende Losungen erarbeiten. Insofem ist die sprachlichrhetorische Schulung der Mediatoren von groBer Wichtigkeit. Leider hat sie in der Praxis noch
nicht den Stellenwert erlangt, der ihr konsequenterweise zukommt. Mahler verweist aber darauf,
daB es bei der Ausbildung zum Mediator wichtig se~ die herkommlichen Fachsprachen zu reflektieren und die Chancen und Risiken der jeweiligen Sprachgewohnbeiten einschatzen zu lemen. Dabei
sei es hilfreich, daB die Ausbildung zu Fami1ienmediatoren in der Bundesrepublik interdisziplinar
erfolge, die Teilnehmer also regelmiiBig sowohl aus dem juristischen als auch aus dem psychosozialen Bereich kamen. Vor dem jeweiligen Hintergrund werde deutlich, was die Angehorigen der
einen oder der anderen Berufsgruppe zu verlemen und zu lernen haben.
Ein weiterer Ansatzpunkt besteht darin, daB im Mediationsverfahren die binare Entscheidungssituation aufgelost werden soli. Deshalb wird - nach Aussage von Mahler - auch die Verwendung
juristischer Terminologie vermieden. Wie Giilich bereits fur die medizinische Fachsprache iiberzeugend dargestellt hat, geht es dabei urn die Vermittlung von Expertenwissen an den Laien. Es gibt
verschiedene Moglichkeiten: ,,Dazu gehoren z.B. neben dem Umgang mit Fachausdriicken ver-
523 MiUlier, G. und Mahler, Il-G.: Rechtsberatung in der Mediation bei Trennung und Scheidung. S. 258.
524 Befragt wtrrden u.a die RAe Dr. Gisela MiUlier und Dr. Hans-Georg Mahler, die Griinder und Leiter des EidosProjckts Mediation in Miinchen und Antoren zallireicher Veroffentlichungen ZIIUl TIlema "Mediation" sind.
Siebe daZll 311cb das Literatnrverzeichnis.
525 Vgl. Kap. B.1I1., S. 11 ff..
138
schiedene Verfahren der Veranschaulichung wie Bilder, Beispiele oder Konkretisierungen:,.s26
Diese Verfahren werden auch bei der Mediation angewendet. So impliziert der juristische Tenninus
Unterhalt Anspruch und Verpflichtung. Das lost naturgemiiB Widerstand bei den Beteiligten aus,
insbesondere bei dem Unterhaltsverpflichteten. Viel anschaulicher und bildlicher ist es, von der
Finanzierung der beiden Haushalte zu sprechen; daB diese nach Trennung und Scheidung finanziert
werden miissen, ist offensichtlich. An diesem Beispiel offenbart sich noch eine andere Dimension.
Die Vermeidung der juristischen Tenninologie gilt nicht nur der Informationsvermittlung an den
Laien, sondem soll auch den "emotionalen Sprengstoff' aus den beiden "unvereinbaren" Standpunkten nehmen. Mediation versucht deshalb von vornherein, mit Definitionen zu arbeiten, die
problem- und ressourcenorientiert sind. Nach Aussage von Miihler kommt es deshalb auch nicht
darauf an, ob die Parteien juristisch vorgebildet sind. Eine juristische Vorbildung store im Gegenteil
haufig die Skala ressourcenorientierter LOsungsmoglichkeiten.
Der "emotionale Sprengstoff', der sich zwischen den Scheidungsparteien angesammelt hat, entliidt
sich - nach Aussage verschiedener Scheidungsanwiilte - besonders massiv beim Streit urn das Sorgerecht fur gemeinsame Kinder.527 In diesem Bereich wird Mediation haufig und erfolgreich eingesetzt: "FUr Eltem ist der ,,Kampfurns Kind" in Trennungs- und Scheidungssituationen oft die Fortsetzung des elterlichen Ehekampfes, der nunmehr mit juristischen Mitteln gefiihrt wird. Mit der
Beauftragung eines Rechtsexperten (Rechtsanwaltes) wird die gerichtliche Entscheidung der Scheidungsfolgenkonflikte erzwungen, von der die Problemlosung erwartet wird. ... Nun - so glauben
oder hoffen sie - konnen sie sich zurUcklehnen und abwarten, bis das Gericht aufgrund der "iiberzeugenden" Argumentation "ihres" Rechtsanwaltes im Sinne ihres Antrages entscheiden und den
Konflikt zu ihren Gunsten losen wird. Das klassisch-juristische Streitregelungsverfahren begiinstigt
damit die Fortsetzung eines gegnerschaftlichen, kommunikationsarmen Konfliktregelungsmusters,
anstatt die notwendigen elterlichen kooperativen Kommunikationsstrukturen herzustellen bzw. zu
fordem."528 Durch das Mediationsverfahren sollen bestehende Kommunikationsstorungen zwischen
den Ehepartnem zum Wohle der Kinder abgebaut werden: ,,Es geht also nicht (mehr) urn die Aufrechterhaltung oder Entwicklung "typischer" vor- oder nachehelicher Frau-/ Mannbeziehungen,
sondem allein urn die Befiihigung der Eltem zu "geschiiftlich-normalem" Miteinander beziiglich
ihrer Rechte und Ptlichten als Vater und Mutter.... Vomehrnlich geht es urn "vermittelnde" Interventionen mit dem Ziel, die Verantwortung der Eltem als Vater und Mutter nach Trennung oder
Scheidung zu starken und Eltem im Gesprach moglichst zu befriedenden, einvemehrnlichen, elterli-
526 Giilich, E.: ,,E"llerten" nnd ,,Laien": Der Umgang mit Kompetenznnterschieden am Beispiel medizinischer
Konllllllnikation. TagnngsunterJagen zum 3. Symposium der deutschen Akademien der Wissellschaften 1998 io
Leipzig.
527 Vgl. Kap. G. ll. 2. c), S. 113 if..
528 Proksch, R: Milwirknng irn gerichtlichen Verfuhren nnd Mediation - neue Moglichkeiten eioer aullergerichllichen Hilfe zur Krisen- nnd Konfliktbewliltignng bei Trennnng nnd Scheidnng. Vortragsmanuskript 1997. S. 2.
139
chen BeziehungsregeJn zu fiihren. Somit kann nicht mehr zweifelhaft sein, daB in Scheidungsfolgekonflikten der Einsatz kooperativer Kommunikationsverfahren vorrangig angezeigt ist. ,,529
b) Mediative E1emente im gerichtlichen Verfahren
Mediation und Gerichtsverfahren schlieBen sich eigentlich aus. So lindet im Gerichtsverfahren auch
keine Mediation start: ,,Dies vor allem deshalb nicht, wei! der Richter stets die Entscheidungsrnacht
hat und auch bei Vergleichsverhandlungen behiilt. Denn fur den Fall des Scheiterns bleibt er zur
Entscheidung aufgerufen."530 Gleichwohl kann auch der Richter im gerichtlichen Verfahren mediative Elemente einsetzen: ,,ziel bleibt hierbei, fur die Rechtssuchenden zu LOsungen (auch im Sinne
von Teill6sungen) zu kommen. Mit dem Einsatz mediativer Elemente ist vor allem die aus dem
strukturierten Mediationsverfahren entlehnte Methodik der Gespriichs- und Verhandlungsfiihrung
gemeint.,,531 Es kommen verschiedene Techniken zum Einsatz, die darauf abzielen, die gest6rte
Kommunikation der Parteien zu verbessem. Dabei geht es darurn, 1. "die Interessen hinter den
Positionen herauszuarbeiten" und 2. "den unterschiedlichen Sichtweisen und Wahrheiten der Parteien Raum zu geben, urn so wechselseitiges Verstandnis fur den jeweils anderen zu schaffen"S32.
Zu den Interessen hinter den Positionen ziih1en aile Ziele, Bedi.irfui.sse, Erwartungen, Wi.insche und
Befurchtungen. Durch gezieltes und geschicktes Nachfragen sollte der Richter diese Intensionen
herausarbeiten: ,,Lantet - etwa im Wohnungszuweisungsverfahren - die Position ,,1ch will die Ehewohnung", so fuhrt die Frage "Wozu brauchen Sie die Wohnung?" zu den dabinterliegenden Interessen. ,633 Diese Sichtweise ist fur das traditionelle Gerichtsverfahren, in dem es die Durchsetzung
von rechtlichen Anspruchen geht, neu und ungewohnt. Die Kliirung der Interessen erleichtert die
Suche nach einer LOsung durch die Parteien. Es geht zuniichst darurn, "den Parteien die sie leitenden Interessen bewuBt zu machen. Interessen werden - anders als rechtliche Positionen - nicht nach
richtig oder falsch bewertet. Gefuhle wie Trauer, Angst und Schmerz werden in diesem ProzeB
sichtbar. ... Es sind gerade diese Gefuhle, die die Kommunikation behindem und damit auch die
Fiihigkeit, eine gemeinsam getragene inhaItliche Gestaltung und L6sung der anstehenden Probleme
zu finden. ,634 Genauso wichtig ist es. fur den Richter, die unterschiedlichen Sichtweisen der Parteien
zu verstehen, urn so wechselseitiges Verstiindnis der Streitenden fureinander zu erreichen. Dazu
laBt sich der Richter zuerst von dem einen und dann von dem anderen erziihlen, worum es geht.
Wiihrend der eine seine Version schildert, h6rt der andere nur zu. Der Zuhorende hat dabei die
Gewi13heit, daB ibm der Richter im AnschluB die gleiche Aufinerksamkeit zukommen laBt wie der
529 Proksch, R: Mitwirlrung im gerichtIichen Verfuhren und Mediation - neue Moglichkeiten einer auBergerichtIichen Hilfe zur Krisen- und Konfliktbewiiltigung bei Trennung und Scheidung. S. 5.
530 de Witt, K: Mediative Elemente in der fumilienrichterlichen Arbeit S. 212.
53 I de Witt, K: Mediative Elemente in der fumilienrichterlichen Arbeit S. 212.
532 de Witt, K: Mediative Elemente in der fumilienrichterlichen Albeit S. 212.
533 de Witt, K: Mediative Elemente in der fumilienrichterlichen Arbeit S. 212.
534 de Witt, K: Mediative Elemente in der fumilienrichterlichen Albeit S. 212.
140
anderen Partei. In diesem Fall kann von vermittelter Kommunikation gesprochen werden, denn die
Kommunikation zwischen den Parteien findet nur iiber den Richter statt. Dabei muB sich der Richter immer vergewissern, ob er alles richtig verstanden hat. Das geschieht so, daB er das Gesagte in
den Kempunkten zusammenfaBt: ,,Emotional besetzte oder den zuhorenden Partner verletzende
oder herabwiirdigende Formuliemngen werden yom Richter durch neutrale ersetzt. Dadurch wird
der "Stachel" herausgenommen, ohne daB der Inhalt der Aussage darunter leidet.,,535 Wie bereits
die empirischen Untersuchungen gezeigt haben, sprechen und horen Sender und Empfanger oft auf
unterschiedlichen Ebenen des Sprachsystems. Die zusammenfassende Riickfrage kann dann helfen,
MiJ3verstiindnisse auszuraumen. Dafiir fuhrt de Witt folgendes Beispiel zur Wohnungszuweisung
an: ,,Das Haus, das ihnen beiden gehart und aus dem Sie ausgezogen sind, bedeutet fur Sie ein
Wertobjekt, das Sie jetzt zu Geld machen mochten. Habe ich das richtig verstandenT536 Die Riickfrage veraniaBt den Richter (Emptanger) zum einen zur Uberpriifung, inwieweit er das Geharte
bereits mit eigenen Interpretationen untersetzt hat. Zum anderen wird sich der Erziihlende bei unklaren und widerspruchlichen Aussagen seiner "Unkorrektheit" bewuBt und kann diese korrigieren.
So haben beide Parteien die Chance, einander ungestort zuzuhoren: ,,Der Erziihlende wird
emotional entlastet, weil er dem Richter irn Zusammenhang erziihlen kann und sich durch das wertungsfreie Zuruckspiegeln des Gesagten durch den Richter verstanden fiihlt; wie befremdend, abstms, aggressiv oder ungerecht das Dargestellte auch klingen mag. Der andere Partner hart mit,
was der Erziihlende dem Richter berichtet und ist daher gleichzeitig auch Empfanger des Gesagten.
Dabei kann er sich in aller Ruhe ,,zurUcklehnen" und zuhoren; kann er doch sicher sein, daB auch
seiner subjektiven Sichtweise anschlieBend ausreichend Zeit und Aufrnerksamkeit durch den Richter eingeraumt werden wird. Seine Aufinerksarnkeit kann deshalb ganz auf das Zuhoren gerichtet
sein und ist nicht - ganz oder teilweise - fur "sofortige Interventionen" gebunden. Dadurch kann er
sich besser auf das Gesagte konzentrieren. ,,537 De Witt'3. berichtet neben den theoretischen Uberlegungen auch iiber praktische Erfithrungen mit mediativen Elementen in der familienrichterlichen
Tatigkeit. Danach wird das eben erlauterte Verfuhren von den ProzeBbeteiligten angenommen und
fuhrt zu einer Verbesserung des Verhandlungs- und Konfliktklimas. Das wiederum fuhre bei den
Parteien zu einer besseren Akzeptanz des Verfuhrens und der gefundenen Ergebnisse. 539 Diese
Erfahrung wird von befragten Richterinnen und Richtem der Amtsgerichte Gera, Stadtroda, Weimar und Jena bestiitigt. Wesentlich
se~
die richterliche Autoritat zu nutzen, eine fur beide Seiten
verstiindliche und nachvollziehbare Entscheidung zu treffen. Mediative Elemente konnen dazu
beitragen, emotional aufgeheizte Konflikte auf eine sachliche Basis zuruckzufuhren. Nach Aussage
des zustiindigen Familienrichters in Gera ist dies in der iiberwiegenden Mehrzahl der Fiille moglich.
535
536
537
538
de Witt, K: Mediative Elemente in der fiunilienrichterlichen Arbeit S. 213.
de Wilt K: Mediative Elemenle in der fiunilienrichterlichen Arbeit S. 213.
de Witt, K: Mediative Elemente in der fiunilienrichterlichen Arbeit S. 213.
Kalle de Witt ist selbst Richter am Arntsgericht Westerstede.
141
Aufgrund seiner Erfahrungen schatzte er ein, daB etwa 90 % der FaIle in einer ruhigen "Gespriichsatmosphare" stattfinden und nur etwa 10 % der FaIle eine klassische "Verhandlungsatmosphare"
aufweisen.
Durch die Einbeziehung mediativer Elemente in das Gerichtsverfahren wird Sornit das Verhandlungs- und Konfliktklirna alIer Beteiligten wechselseitig positiv beeinflul3t. Die Parteien fiililen sich
starker akzeptiert und in den EntscheidungsprozeB einbewgen, da ihre pers5nlichen Probleme und
Angste beriicksichtig werden. Das wiederum fuhrt dazu, daB ProzeBentscheidungen eher angenommen und akzeptiert werden. Die Anwendung mediativer Elemente entspricht folglich ,,nicht nur
dem Ziel herkommlicher Gerichtsverfahren, Konflikte einer Entscheidung zuzufuhren und losen zu
helfen durch Vergleich undloder streitige Entscheidung und Rechtsfrieden zu schaffen", sondern
stellt vor aHem "wegen des menschlichen Urngangs miteinander eine qualitative Verbesserung auf
dem Weg zu diesem Ziel dar. 1st eine solche Qualitatssteigerung moglich, gibt es keinen Grund, sie
dem rechtsuchenden BUrger nicht auch anzubieten; vor aHem in Familiensachen, wo die emotionalen Belastungen und die personliche Betroffenheit hoch ist."540 Die daraus resultierende Forderung
de Witts, Techniken der Verhandlungsfiihnmg, Streitschlichtung und Mediation in der juristischen
Aus- und Weiterbildung zu verankern, kann deshalb nur begriiBt und unterstiitzt werden.
II. Die Vermittlerposition des Anwalts
Die Untersuchung der anwaltlichen Kommunikation hat gezeigt, daB in der fachsprachlichen Vermittlung zahlreiche Verstandigungsprobleme auf unterschiedlichen Kommunikationsebenen auftreten. Verallgemeinernd liU3t sich sagen, daB die Kommunikation zwischen Anwalt und Mandanten
immer dann unproblematisch ist, wenn die ,,kommunikationskonstituierenden Prinzipien,,541 von
beiden Seiten beachtet werden. 542 Wesentliches Element ist dabei das Kooperationsprinzip: ,,Das
Kooperationsprinzip fordert von den Kommunikationspartnern, daB sie in dem MaE, in dem sie
kommunizieren wollen, bereit sind, aufeinander einzugehen. Das Prinzip ist freilich nicht so zu
verstehen, daB jeder Partner gerade das tun sol~ was der andere will. Es sichert lediglich das Zustandekommen der Kommunikation und ihre partnerbewgene Koharenz. Dariiber hinaus kann die
Kommunikation kontrovers und kompetitiv sein, solange erkennbar bleibt, daB die Partner auch
noch im Streit aufeinander bezogen bleiben.• <543
Zum allgemeinen Kooperationsprinzip gehoren dariiber hinaus noch weitere Prinzipien, die man als
Maximen formulieren kann, an die sich die Kommunikationspartner halten sollten:
539
540
541
542
543
VgI. de Witt, K.: Mediative Elemente in der fumilienrichterlichen Arbeit S. 213.
de Witt, K.: Mediative Elemente in der fumilienrichterlicilen Arbeit S. 214.
Vgl. daZllHeringer, R-J. \La: Einfiihrung in die praktische Semantik. 1. Anfl. Heidelberg 1977. S. 173.
Das gilt analog fur die gericiltlicile Kommnnikation.
Heringer. R-J. n.a.: Einfiihrung in die praktiscile Semantik. S. 173.
142
(1) Sei relevant!
(2) Sei informativ!
(3) Sei aufiichtig!
(4) Sprich klar!s44
Diese Maximen sind - iihnlich wie die Kommunikationsebenen - miteinander veIWandt und nicht
scharf voneinander abzugrenzen. Ihre Nichtbefolgung fiihrt zu Kommunikationsstorungen bis hin
zum vollstiindigen Zusammenbruch der Kommunikation. Dabei ist zu beachten, daB die eben aufgestellten Maximen einseitig sind und sich nur auf den Sprecher beziehen. Da aber ein Horer davon
ausgehen kann, daB deIjenige, der mit ihm redet, diese Maximen befolgt, konnen im Gegenzug
entsprechende Maximen auch fur den Horer aufgestellt werden, die zeigen, was yom Horer eIWartet wird. Sie lauten:
(5) Geh immer davon aus, daB relevant ist, was dir gesagt wird!
(6) Geh davon aus, daB das, was man dir sagt, informativ ist!
(7) Geh davon aus, daB das, was man dir sagt, aufiichtig ist!
(8) Geh davon aus, daB das, was man dir sagt, klar ist!S45
Das Relevanzkriteriurn geht fur Sprecher und Horer davon aus, daB sie tiber einen fur beide relevanten Gesprachsgegenstand kommunizieren: ,,Die Fortsetzung eines Gesprachs tiber etwas, was
fur den Partner irrelevant ist, verstoBt gegen das Kooperationsprinzip und bewirkt dadurch nallirlich auch, daB der Partner nicht mehr bereit ist, kooperativ zu sein.'''46 Aber auch der Horer muB
auf seinen Kommunikationspartner eingehen: ,,Das fordert, wenn etwas irrelevant zu sein scheint,
nicht gleich mit dieser Interpretation zufiieden zu sein, sondem eventuell eine Interpretation zu
suchen, unter der dieser Gesprachsbeitrag relevant scheint. Der Sinn von (5) ist offensichtlich: Wer
sich danach richtet, hat bessere Aussichten zu vermeiden, daB ihm etwas Interessantes entgeht.
Hinzu kommt, daB er dadurch, daB er seinen Partner entgegenkommt, seinerseits einen konstruktiyen Beitrag zum Gelingen des Gesprachs leistet, ohne sich selbst tiber Gebiihr zu beschranken.'''47
AbnIiches gilt fur das Informativitatsprinzip: "Offene VerstoBe gegen Kommunikationsprinzipien
konnen ein Mittel sein zu zeigen, daB man an Kommunikation oder an dieser Kommunikation nicht
interessiert ist: Man gibt zu verstehen, daB man nicht mitspielen will. Allerdings liegt nicht immer,
wenn scheinbar offensichtlich gegen Kommunikationsprinzipien verstoBen wird, eine KommunikationsveIWeigerung VOr.'''48 Unter bestimmten Bedingungen kann ein offensichtlicher VerstoB gegen
ein Kommunikationsprinzip sogar dazu genutzt werden, einen ganz bestimmten Sprechakt zu setzen. Neben den offenen VerstoBen gegen das Informativitatsprinzip gibt es versteckte, die zum
Verheimlichen fiihren und mit dem Ltigen vergleichbar sind: ,,Es ware schlicht naiv, so zu kommu544
545
546
547
Vgl. dazu Heringer, a -J. u.a: Einfiilmmg in die praktische Semantik. S. 173.
Vgl. dazu auch Heringer, a -J. u.a.: Einfiihrung iu die praktische Semantik. S. 175 ff..
Heringer, a-J. u.a: Einfiilmmg in die praktische Semantik. S. 174.
Heringer, a -J. u.a.: Einfiilmmg in die praktische Semantik. S. 175.
143
nizieren, als wiirde nie etwas verheim1icht. Wrr haben auch liingst Strategien entwickelt, wie wir uns
gegen Nachteile sichem konnen, die uns dadurch entstehen konnten. Da das Verheim1ichen wie das
LUgen offentlich als Handlungsmoglichkeit bekannt ist, wird es ebenso in der Kommunikation in
Rechnung geste11t. Aber das verhindert nicht, daB es wie die LUge die Kommunikation belastet,
indem es sie komplexer macht. Solang das Verheim1ichen sich in Grenzen hii1t, 1ii/3t es uns noch die
Moglichkeit zu kommunizieren. Nunmt es aber iiberhand oder wird es sogar in menschlichen Beziehungen zum System, dann kann das zum Ko11aps der Kommunikation fiihren, weil es einen
genere11en Verdacht entstehen 1ii/3t, es werde etwas verheim1icht.,<549 Ein Aufgeben des Informativitiitsprinzips wiirde somit zum Zusammenbruch der Kommunikation fiihren. Das Prinzip der Aufrichtigkeit korrespondiert mit dem vorgenannten Informativitiitsprinzip und soli nicht weiter ausfuhrlich betrachtet werden, da es die wesent1iche Aspekte des Informativitiitsprinzips umfaBt.
Die letzte Maxime, das Prinzip der Klarheit, fordert von den Kommunikationsteilnehmem Eindeutigkeit und folglich die Vermeidung von Mehrdeutigkeiten, die die Kommunikation behindem
konnen: "Offene VerstoBe gegen (4) konnen Ausdruck von Kommunikationsverweigerung sein.
Versteckte VerstoBe konnen private Vorteile bringen. Man verunsichert den Partner, der nie sicher
ist, ob er richtig versteht, bzw. nicht dahin gelangt, etwas zu verstehen und doch meint, etwas
Bestimmtes verstehen zu miissen. Solche Verunsicherung des Partners kann helfen, bestimmte Ziele
zu erreichen. Sie geht aber eindeutig auf Kosten der Kommunikation. VerstoBe gegen (4) behindem einmal das Gelingen der gerade anhiingigen Kommunikation und sie belasten kiinftige Kommunikationen. ,,550
Auch fur die Verstandigung zwischen Anwalt und Mandanten sind die kommunikationskonstituierenden Prinzipien von grundlegender Bedeutung. Wie die empirische Untersuchung gezeigt hat,
fUhrt insbesondere die Nichtbeachtung des Relevanzkriteriums zu kommunikativen Storungen: Der
Anwalt ist darauftrainiert, aus der Schilderung seines Mandanten, die fur eine Ehescheidung rechtlich relevanten Informationen ,,herauszufi1tem". Die emotionalen Verletzungen und Enttauschungen, die der Mandant bis zu diesem Zeitpunkt erlitten hat, interessieren ihn bezi.iglich der rechtlichen Vertretung gar nicht oder nur am Rande. Diese Informationen sind fur den Anwalt irrelevant.
Fur den Mandanten hingegen sind diese personlichen Erfahrungen und Kriinkungen hingegen sehr
relevant. Sie sind Teil seines Lebens, und oftmals erhofft sich der Betroffene von seinem Anwalt
nicht nur rechtliche Unterstiitzung, sondem auch Verstandnis fur die momentane Lebenssituation.
Der Anwalt muB diese Konste11ation im Mandantengesprii.ch beachten, wenn er eine erfolgreiche
Kommunikation anstrebt. Der Anwalt darf nicht "betriebsblind" reagieren, ansonsten wird sich sein
Mandant unverstanden fiih1en und im schlimmsten Fall die Kommunikation abbrechen und sich
einen neuen Anwalt suchen. Wie bereits in Kapitel B. m. 2. ausgefiihrt, ist der Laie in bezug auf
548 Heringer, H.-I. u.a: Einfiilinmg in die praktische Semantik. S. 176.
549 Heringer, H.-J. u.a.: Einfiilinmg in die praktische Semantik. S. 176 f.
550 Heringer, H. -I. u.a: Einfiihrung in die praktische Semantik. S. 177.
144
seinen eigenen FaJI auch Fachmann, denn keiner kennt die Fa1lkonstellation so priizise und detailliert
wie der Betroffene selbst. 551 Insoweit mull an den Anwalt appelliert werden, das Relevanzkriteriurn
im Mandantengesprach zu beachten und Infonnationen, die auf den ersten Blick iiberfliissig erscheinen, nochmals auf ihre Relevanz bin zu iiberpriifen, urn den Mandanten optimal beraten und
ibm helfen zu konnen. Dieser ProzeB verlangt yom Anwalt viel psychologi.sches Fingerspitzenge-
fuhl und vor aJIem auch Geduld. Der Anwal~ darf somit nicht nur auf der Sachinha1tsebene horen,
da die Probleme oft auf die zwischenmenschliche Ebene ausstrahlen. Der Anwalt mull sich seiner
Mittlerfunktion in kommunikativer Hinsicht bewuBt sein und im Mandantengesprach danach handeln. 552 lnsoweit kann das dreigliedrige Modell der Fachsprache, das a1s dritte Ebene die Verteileroder auch Vermittlersprache enthiilt, auf die Rechtssprache iibertragen werden. 553
Zusammenf8ssend kann gesagt werden, daB die Beachtung der kommunikationskonstituierenden
Prinzipien fur eine erfolgreiche anwaltliche Kommunikation grundlegend ist. Die Einha1tung der
Prinzipien sollte dabe~ urn eine optima1e Kommunikation zu gewlihrleisten, sowohl yom Anwalt als
auch yom Mandanten gegeben sein. Diese Forderung ist natiirlich in ihrer Verabsolutierung eine
Wunschvorstellung, die nicht realisiert werden kann. Trotzdem sollten gerade die Fachleute die
Maximen genau kennen und in ihrer beruflichen Praxis anwenden. Die Rollenerwartung der Laien
ist hoch, sie kann zu Gunsten einer gelungenen Kommunikation ausgenutzt werden. Die Vermittlerposition des Anwalts im Ehescheidungsverfahren kann nicht hoch genug eingeschiitzt werden. Er
kann durch sein fachliches Wissen, das sich mit psychologischen Einfuh1ungsvermogen und der
Kenntnis urn sprachliche Kommunikationsmaximen paaren sollte, mit dazu beitragen, eine eigenverantwortliche Entscheidung der heiden Ehepartner im Scheidungsverfahren herbeizufiihren.
Insbesondere in bezug auf das Wissen urn inner- und auBersprachliche Faktoren der Kommunikation sollte von den Verantwortlichen dariiber nachgedacht werden, wie diese Kenntnisse effektiv im
Rahmen der juristischen Ausbildung vermitteh werden konnen.
551 Vgl. dazuauchKap. B. III. 2., S. 14ff..
552 Vg!. Kap. D. IT., S. 24 ff..
553 Vgl. Kap. D. IT., S. 24 ff..
145
m. Die gerichtliche Kommunikation
Wie die empirische Untersuchung gezeigt hat, treten auch in der gerichtlichen Kommunikation
zahlreiche Kommunikationsstorungen auf Die Verteilung dieser Verstlindigungsprobleme auf den
unterschiedlichen Kommunikationsebenen des Schulz von Thunschen Modells ist dabei iihnIich
gelagert wie bei der anwaltlichen Kommunikation. Insoweit ist auch bei der miindlichen Verhandlung die Einhaltung der kommunikationskonstituierenden Prinzipien grundlegend fur eine erfolgreiche Kommunikation. Dariiber hinaus gibt es noch weitere Aspekte, die in der miindlichen Verhandlung eine grofiere Rolle spielen a1s im Mandantengespriich. Dazu gehoren insbesondere die
Interpretation des Kontextes sowie der Beziehungsaspekt: Die miindliche Kommunikation vor
Gericht ist durch die Vorgaben des Verfahrensrechts stark formalisiert. Die sozialen Rollen, die die
Kommunikationsteilnehmer einnehmen, sind genau festgelegt. Darnit einher geht eine hohe Erwartungshaltung der Parteien. Diese Erwartungshaltung konstituiert sich zum einen durch subjektive
Erfahrungen aus der ,,niiheren Umweh" und zum anderen aus der Verallgemeinerung soIeher subjektiver Erfahrungen hin zu Erfahrungen der "weiteren Umwelt".554 In der konkreten Anwendung
sieht das so aus: Sowohl der Richter als auch die Parteien wissen, daB bei Gericht Recht gesprochen wird. Der Richter verfiigt tiber ein hochspezialisiertes Fachwissen tiber das Rechtssystem und
seine Grundlagen. Die Parteien haben dieses Fachwissen nicht. Infolge dessen setzen sie oft Recht
mit Gerechtigkeit gleich und erwarten deshalb yom Richter, daB er "Gerechtigkeit" spricht. MiBverstandnisse sowohl auf der gegenstiindlichen Ebene als auch auf der intersubjektiven Ebene sind
so vorprogrammiert.
Dieses Dilemma kann in der Verhandlung kaum vermieden werden. Urn soIehe MiBverstiindnisse
zu verhindern, muB wesentlich friiher angesetzt werden, zum Beispiel in den Schulen im Rechtskundeunterricht. Den Jugendlichen mtissen solide Kenntnisse tiber das Rechtssystem in Deutschland vermittelt werden. Rechtliche Regelungen tangieren unser gesamtes Leben. Und mit daraus
folgenden Rechtsproblemen wird wahrscheinlich jeder Mensch einmal konfrontiert. FUr ein erfolgreiches Kommunizieren (und darnit auch erfolgreiches HandeJn) ist es wichtig, tiber ein Grundwissen in diesem Bereich zu verfiigen. Gerade fur das Ehescheidungsrecht hat die empirische Untersuchung gezeigt, daB die Unkenntnis bestimmter Konstellationen zu erheblichen Kommunikationsstorungen fuhren kann. 555
Auch popuIiirwissenschaftliche Fernsehsendungen wie beispielsweise die nachgestellten Hille in
"Wie wiirden Sie entscheiden?" konnen dazu beitragen, Rechtsgrundlagen zu veranschaulichen.
Dazu leistet gerade die vorgenannte Sendung einen guten Beitrag, denn bey~r die streitigen FaIle
juristisch exakt gelost werden, findet eine Befragung der anwesenden Zuschauer beziiglich ihrer
554 Zu diesem Problemkreis siehe auch Kap. B. III. 1., S. 13 ff..
555 Vgl. dazu die Ausfiihrungen zum Zerriittungsprinzip, Kap. G. II. 2. b), S. 106 ff..
146
Rechtsauffassung start. Erst danach erlautem Rechtsex.perten alIgemeinverstandlich (!) die Rechtslage und beantworten auftretende Fragen.
Kommunikationsstorungen treten dariiber hinaus auch verstarkt bei der schriftlichen gerichtlichen
Kommunikation auf Anch hier hat die Befragung der FamiJienrichter gezeigt, daB die Betroffenen
in den seltensten FiUlen iiber fundierte Kenntnisse zum Ablauf eines Scheidungsverfahrens verfilgen. Unsicherheiten bestehen insbesondere bei einfachen prozessualen Voraussetzungen wie geforderten Stellungnahmen und einzureichenden Unterlagen. Wie schon in der miindlichen Verhandlungsfiihrung wird auch an dieser Stelle sehr deutlich, daB in der Bevolkerung hinsichtlich der Arbeitsweise eines Gerichts sowie als Folge davon die Durchfiihrung eines Prozesses ein gravierendes
Infonnationsdefizit besteht. Um dieses Defizit zu beseitigen, reichen die eben geforderten MaBnahrnen wie Intensivierung des Rechtskundeunterrichts sowie popularwissenschaft1iche Beitriige in
den Massemnedien alIein nicht aus. Die empirische Untersuchung hat verdeutlicht, daB die Hemmschwelle, wegen eines rechtlichen Problems mit nachfolgendem ProzeI3 zum Anwalt zu gehen, aus
unterschied1ichen Grunden sehr hoch ist. Wiinschenswert ware deshalb, nicht nur bei den FamiJiengerichten - entweder kostenlos oder gegen Erhebung einer Gebiihr, die auch fur Einkommensschwache vertretbar ist - eine Eingangsberatung durchzufi.ihren, die iiber den konkreten Ablauf und
die fur den Betroffenen damit verbundenen Anforderungen informiert. Diese Eingangsberatung soli
nicht die anwaltliche Beratung ersetzen, sondern im Gegenteil dazu beitragen, die "Angst" vor dem
Anwalt abzubauen. Eine so1che Beratung sollte deshalb exp1izit auf die Moglichkeit der Prozef3kostenhilfe verweisen, urn auch eventuell bestehende finanzielle Bedenken hinsichtlich der anwaltlichen Beratung auszuriiumen.
Eine so1che (bei Gericht) angebotene Eingangsberatung kann dazu beitragen, die Eigenverantwortlichkeit der Parteien zu starken, Prozef3abliiufe effizienter zu gestalten und Kommunikationsstorungen zu vermindem oder gar nicht erst entstehen zu lassen.
J. Zusammenfassung und Ausblick
Die Zahl der Ehescheidungen in Deutschland hat einen neuen Hochststand erreicht. Noch nie sind
in einem Jahr so viele Ehen geschieden worden wie im Jahr 1997. Nach Angaben des Statistischen
Bundesamtes in Wiesbaden lieBen sich 1997 187.802 Paare scheiden. Das sind 12.252 Scheidungen
oder sieben Prozent mehr als im VOIjahr. Von der Scheidung ihrer Eltem betroffen waren dabei
163.112 mindeJjiibrigeKinder. Das entspricht einer Steigerung von fust zehn Prozent im Vergleich
zu 1996.556
Diese alarmierenden Zahlen sprechen eine deutliche Sprache. Nie zuvor waren in Deutschland so
viele Menschen mit deJn Thema "Ehescheidung" konfrontiert. Was die Statistik verschweigt, sind
die menschlichen Schicksale, die Verzweiflung, Enttiiuschung, Wut und Vnsicherheit der Betro1fenen, die sich hinter diesen Zablen verbergen. Doch diese Emotionen und Empfindungen sind immer
gegenwiirtig - beim Gesprach mit dem Scheidungsanwalt, bei der rni.indlichen Gerichtsverhandlung.
Vnd sie fiihren zu Problemen, auch in der Kommunikation.
Die empirische Vntersuchung hat gezeigt, daB viele der auftretenden Kommunikationsstorungen,
sei es zwischen Anwalt und Mandanten oder zwischen Richter und Parteien, nicht aIlein durch
terminologische Schwierigkeiten auf der Sachinhaltsebene, sondem durch MiBverstehen oder sogar
Nichtverstehen auf der Beziehungsebene hervorgerufen werden. Weitere Verstandigungsprobleme,
die eng damit verbunden sind, treten auf der Selbstoffenbarungs- und auf der Appe11ebene auf
Durch diese Vntersuchungsergebnisse wurde nachgewiesen, daB Kommunikationsstorungen in der
fachsprachlichen Vermittlung an den Laien nur zum Tell durch die sprachlichen Besonderheiten der
Fachsprache des Rechts hervorgerufen werden. Der andere Tell setzt sich aus KommunikationsstOrungen zusammen, die vor aIlem durch kontextuelle sprachliche und auBersprachliche Bedingungen
der Kommunikation wie zum Beispiel Rollenerwartungen, pers6nliche Erfahrungen und Interpretationen der Kommunikationsteilnehmer, Angst vor finanziellen EinbuBen beim Gang zum Anwalt
sowie Unkenntnis der Grundlagen des deutschen Rechtssysterns und prozessualer Erfordernisse
erzeugt werden.
Mogliche Losungsansatze sind so vielfliltig wie die aufgetretenen und untersuchten Kommunikationsschwierigkeiten. Auf sprachlicher Ebene ist dabei an erster Stelle die Einhaltung der kommunikationskonstituierenden Prinzipien zu nennen. Wie in der Arbeit ausfiihrlich dargestellt, richtet sich
diese Forderung sowohl an den Fachmann als auch an den Laien. Weiterhin muB insbesondere der
Anwalt die Bedeutung seiner Vermittlerposition im KommunikationsprozeB verinnerlichen, ohne
dabei zu vergessen, daB jeder Mandant fur seinen speziellen Fall der "eigentliche" Fachmann ist.
AuBergerichtliche Konfliktlosungsmethoden wie das Mediationsverfahren, deren Elemente sich
556 Zu den Angaben des Statistischen Bundesamtes vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitnng (FAZ) Nr.228/40 D vom
01.10.l998.
148
auch Richter in der miindlichen Verhandlung zu eigen machen sollten, konnen dabei untersti.itzend
wirken. Weitergehende, nicht aIlein sprachlich begriindete LOsungsanslitze sollen bereits im Vorfeld
moglicher rechtlicher Streitigkeiten versuchen, durch die gezielte EIWeiterung des Rechtskundeunterrichts an Schulen und durch popularwissenschaft\iche Sendungen, Kenntnisdefizite fiber das
deutsche Rechtssystem abzubauen und somit vorbeugend zu wirken. Auch die Moglichkeit einer
dem GerichtsprozeB vorgelagerten prozessualen Beratung, die die anwaltliche Beratung vorbereiten und unterstiitzen kann, sollte ernsthaft in Betracht gezogen werden.
Aile diese Uberlegungen sind dabei letztendlich auch ein Beitrag zur Sprachkultur und Sprachpflege. Dabei bezieht sich Sprachkultur nicht nur "auf den Zustand des Sprachsystems und seine ,,Eignung" fur die Befriedigung der kommunikativen und kognitiven Bediirlhlsse der Sprachteilhaber
und ist auch nicht begrenzt auf die - wie auch immer verstandene - Qualitat der Textproduktion.
Wenn man sie auffaBt als "das Niveau des Gebrauchs, den die Kommunikationsgemeinschaft von
der Sprache macht, dann erscheint sie als Qualitat sprachlich-kommunikativen Handelns, als ,,Realisierung menschlicher Produktivitat", und man konnte dann eher von Kommunikationskultur, der
Kultur kommunikativen VerlJaltens sprechen. Da Kommunikation ein ProzeB wechselseitiger Produktion und Rezeption von Kommunikationspartnem ist, hat die rezeptive Fiihigkeit nicht weniger
Gewicht als die produktive, und Forderung oder Verbesserung der Sprachkultur schlieBt beide
ein."S51
Fiir eine erfolgreiche Kommunikation sind also beide Kommunikationspartner von Bedeutung, ob
als Rezipient oder als Produzent; ob als Fachmann oder als Laie. Und diese Erkenntnis liillt sich
auch auf die interdiszipliniire Zusammenarbeit von Germanisten und Juristen fibertragen. Beide
brauchen einander und konnen sich sinnvoll erganzen. Noch steht die eingangs erwiihnte Gartentiir
im sie beide trennenden Gartenzaun nur .einen Spalt breit offen. Germanisten und Juristen sollten
Sorge tragen, daB diese Tiir nicht wieder zuflillt und bald weit und einladend ge6ffuet wird.
557 Fleischer, W.; MicheI,G; Starke, G.: Sti1istik. der deutschen Gegenwartssprache. S. 289 f..
Literaturverzeichnis
Assion, Peter: Altdeutsche Fachliteratur. Berlin: Erich Schmidt 1973. (= Grundlagen der
Germanistik 13).
Autorenkollektiv: Rechtshandbuch fur den Biirger. 1. Aufl. Berlin: Staatsverlag der Deutschen
Demokratischen Republik 1985.
Bach, Adolf: Geschichte der deutschen Sprache. 7. erw. Aufl. Heidelberg: QueUe u. Meyer 1961.
Beier, Rudolf: Zur Syntax in Fachtexten. In: Fachsprachen und Gemeinsprache. Hrsg.: W.
Mentrup. 1. Aufl. Diisseldorf: Piidagogischer Verlag Schwann 1979. S. 276-301.
(= Jahrbuch des Instituts fur deutsche Sprache, 1978. Sprache der Gegenwart. Bd. 46).
Bierwisch, Manfred: Recht linguistisch gesehen. In: Rechtskultur aJs Sprachkultur: Zur
forensischen Funktion der Sprachanalyse. Hrsg. G. Grewendorf. 1. Aufl. Frankfurt am Main:
Suhrkamp 1992. S. 42-68 (= Suhrkamp-Taschenbuch WlSSenschaft 1030).
Bolten, Jiirgen: ,,Fachsprache" oder "Sprachbereich"? Empirisch-pragmatische Grundlagen zur
Beschreibung der deutschen Wrrtschafts-, Medizin- und Rechtssprache. In: Beitrage zur
Fachsprachen-Forschung: Sprache in Wissenschaft und Technik, Wrrtschaft und
Rechtswesen. Hrsg.: Th. Bungarten. Tostedt: Attikon 1992. S. 57-72. (= Hamburger
Arbeiten zur Fachsprachenforschung 1).
Bosch, Friedrich WIlhelm: EntwickIungslinien des Farnilienrechts in den Jahren 1947-1987. Neue
luristische Wochenschrift (NJW) Miinchen (1987) H. 42, S. 2617-2630.
Bosch, Friedrich WIlhelm: Farnilien- und Erbrecht aJs Thernen der Rechtsangleichung nach dem
Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland. Zeitschrift fur das gesamte Familienrecht
(FamRZ) Bielefeld, 38 (1991) H. 7, S. 749-760.
Bosch, Friedrich WIlhelm: Farnilien- und Erbrecht als Thernen der Rechtsangleichung nach dem
Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland. Zeitschrift fur das gesamte Familienrecht
(FarnRZ) Bielefeld, 38 (1991) H. 9, S. 878-882.
Bosch, Friedrich WIlhelm: Farnilien- und Erbrecht als Themen der Rechtsangleichung nach dern
Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland. Zeitschrift fur das gesamte Familienrecht
(FarnRZ), Bielefeld, 38 (1991) H. 12, S. 1370-1392.
Breidenbach, Stephan: Mediation - Komplementare Konfliktbehandlung durch Verrnittlung. In:
Mediation fur Juristen. Hrsg.: St. Breidenbach, M. Heussler. Kiiln: O. Schmidt 1997.
S. 1-11.
Buchholz, Stephan: Einzelgesetzgebung. In: Handbuch der QueUen und Literatur der neueren
europaischen Privatrechtsgeschichte. Bd. III! 2. Das 19. Jahrhundert. Hrsg.: H. Coing.
Miinchen: C. H. Beck 1982. S. 1626-1676.
BUhler, Karl: Sprachtheorie. Die DarsteUungsfunktion der Sprache. Ungekiirzter Neudruck der
Ausg. Jena, Fischer 1934. Stuttgart, New York: Fischer 1982(= Uni-Taschenbiicher 1159).
150
Buttner, Eva Anette: Die rechtliche Stellung des nichtehelichen Kindes im preuBischen AIlgemeinen
Landrecht von 1794. Zeitschrift fur das gesamte Familiemecht (FamRZ) Bielefeld, 41 (1994)
H. 23, S. 1497-1504.
Burkart, Roland: Kommunikationswissenschaft. Grundlagen und Problemfelder; Umrisse einer
interdiszipliniiren Sozialwissenschaft. 3. uberarb. Aufl. Wien, Koln, Weimar: Boh1au 1995
(= Boh1au-Studienbucher).
Coester, Michael: Von anonymer Verwaltung zu pers6n1icher Betreuung. Zur Reform des
Vormund- und Pflegschaftsrechtes fur Volljiihrige. Jura Berlin, (1991) Januar. S. 1-9.
Coester, Michael: Das neue Familiennamensrechtsgesetz. Familie und Recht (FuR) Neuwied
(1994) H. 1, S. 1-8.
Comad, Hermann: Deutsche Rechtsgeschichte. Bd. 1. Friihzeit und Mittelalter. 2. neubearb. Aufl.
Karlsruhe: C. F. Miiller 1962.
Crossgrove, William: Die deutsche Sachliteratur des Mittelalters. Bern, Berlin, Frankfurt am Main,
New York, Paris, Wien: Peter Lang 1994.
Daum, Ulrich: Rechtssprache - eine genormte Fachsprache? In: Der offent1iche Sprachgebrauch.
Bd.2. Die Sprache des Rechts und der Verwaltung. Hrsg.: Deutsche Akademie fur Sprache
und Dichtung (Darmstadt). Stuttgart: Klett-Cotta 1981. S. 83-99.
de Witt, Kalle: Mediative Elemente in der familienrichterlichen Albeit. Zeitschrift fur das gesamte
Familiemecht (FamRZ)Bielefeld, 45 (1998) H. 4, S. 211-214.
Dobnig-Jiilch, Edeltraut: Fachsprachenbarrieren. Uberlegungen zur Kluft zwischen Fachsprache
und Gemeinsprache am Beispiel juristischer Texte. In: Gebrauchsliteratur Interferenz
Kontrastivitat. Beitrlige zur polnischen und deutschen Literatur- und Sprachwissenschaft.
HrSg.: B. Gajek und E. Wedel. Frankfurt am Main, Bern: Peter Lang 1982. S. 313-360.
(= Europiii.sche Hochschulschriften, Reihe 1 Deutsche Sprache und Literatur. Bd. 474).
Drozd, Lubornir, Seibicke, WJlfried: Deutsche Fach- und Wissenschaftssprache. Bestandsaufuahme
- Theorie - Geschichte. 1. Aufl. Wiesbaden: Oscar Brandstetter 1973.
Erk, Heinrich: Zur Lexik wissenscha:ftlicher Texte. Adjektive, Adverbien u.a. Wortarten. 1. Aufl.
Miinchen: Hueber 1982. (= Schriften der Albeitsstelle fur wissenscha:ftliche Didaktik des
Goethe-Instituts 6).
Feine, Hans Erich: Kirchliche Rechtsgeschichte. Bd. I. 4. Aufl. Koln, Graz: Bohlau 1964.
Finger, Peter: Zur Neuordnung des EheschlieBungsrechts. Familie und Recht (FuR) Neuwied
(1996) H. 2, S. 124-128.
Fleischer, Wolfgang; Hartung, Wolfdietrich; Schild, Joachim; Suchsland, Peter (Hrsg.): Deutsche
Sprache. Kleine Enzyklopadie. 1. Aufl. Leipzig: VEB Bibliographisches lnstitut 1983.
Fleischer, Wolfgang; MicheL Georg; Starke, GUnter: Stilistik der deutschen Gegenwartssprache.
Frankfurt am Main, Berlin, Bern, New York, Paris, Wien: Peter Lang 1993.
Fluck, Hans-Riidiger: Fachsprachen. Einfiihrung und Bibliographie. 4. Aufl. Tubingen: Francke
Verlag GmbH 1991 (= Uni-Taschenbucher 483).
151
Fortheringham, Heinz: Die Gesetzes- und Verwaltungssprache im SpannungsfeJd zwischen
fachlicher Qualitiit und AIIgemeinverstiindlichkeit. In: der offentliche Sprachgebrauch. Bd. 2.
Die Sprache des Rechts und der Verwa1tung. Hrsg.: Deutsche Akademie fur Sprache und
Dichtung (Darmstadt). Stuttgart: Klett-Cotta 1981. S. 100-118.
Gessinger, Joachim: Metaphern in der WlSsenschaftssprache. In: Beitriige zur
Fachsprachenforschung: Sprache in Wissenschaft und Technik, Wrrtschaft und Rechtswesen.
Hrsg.: Th. Bungarten. Tostedt: Attikon 1992. S. 29-56. (= Hamburger Arbeiten zur
Fachsprachenforschung 1).
Giesen, Dieter: Eherecht und Juristen im Werk Martin Luthers. Juristen Zeitung (JZ) Tiibingen 39
(1984) H. 23/24, S. 1049-1059.
Giesen, Dieter: Familienrecht. 2. iiberarb. AutI. Tiibingen: Mohr 1997.
Gillich, Elisabeth: ,,Experten" und ,,Laien": Der Umgang mit Kompetenzunterschieden am Beispiel
medizinischer Kommunikation. Tagungsunterlagen zum 3. Symposium der Deutschen
Akademie derWlSsenschaften am 22./23.01. 1998 in Leipzig.
Gysi, Jutta: Der Abstieg von platz 2 der Weltrangliste. In: Ex Trennungsgeschichten. Hrsg.: K.
Rohnstock. Berlin: ElefantenPress 1997. S. 150-165.
Habermas, Jiirgen; Luhmann, N.: Vorbereitende Bemerkungen zu einer Theorie der
kommunikativen Kompetenz. Frankfurt am Main: 1971.
Haibach, Ulrike: Familienrecht in der Rechtssprache. Frankfurt am Main, Bern, New York, Paris:
Peter Lang 1991 (Rechtshistorische Reihe 87).
Handbuch der Rechtsformlichkeit: Empfehlungen des BundesministeriulllS der Justiz zur
einheitlichen rechtsformlichen Gestaltung von Gesetzen und Rechtsverordnungen nach § 38
Abs. 3 GOO ll. Hrsg.: Bundesministeriurn der Justiz. 2. neubearb. Autl. Koln:
Bundesanzeiger 1999.
Hartmann, Dietrich: Uber den EinfluB von Fachsprachen auf die Gemeinsprache. Semantische und
variationstheoretische Uberlegungen zu einem wenig erforschten Zusammenhang. In:
Fachsprachen und ihre Anwendung. Hrsg.: C. Gnutzmann und J. Turner. Tiibingen: Narr
1980. S. 27-48. (= TiibingerBeitriige zurLinguistik. 144).
Hattenhauer, Hans; Langenbach, Hans GUnter: Heiraten - in Gottes Namen. Uber die christliche
Ehe und weltliches Recht. Wuppertal, ZUrich: R Brockhaus 1988 (= R Brockhaus
Taschenbuch Bd. 428).
Hattenhauer, Hans: Denkfehler zeigen sich in Stilfehlern. Uber Juristen- und AIIgemeinsprache.
Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ). Nr. 286 vom 08.12. 1995. S. 17.
Heckmann, Herbert: Pladoyer fur eine biirgemahe Gesetzessprache. In: Der ofl'entliche
Sprachgebrauch. Hrsg.: Deutsche Akademie fur Sprache und Dichtung. Stuttgart:
Klett-Cotta 1981. S. 9-15.
Heringer, K1aus-Jiirgen u.a.: Einfiihrung in die praktische Semantik. l. Aufl. Heidelberg: Quelle
und Meyer 1977.
152
Heusinger, Siegfiied: PragmaIinguisti Texterzeugung, Textanalyse; Stilgesta\tung und
Stilwirkungen in der sprachlichen Kommunikation; ein Lehr- und Ubungsbuch. Frankfurt am
Main: Haag und Herchen 1995.
IckIer, Theodor: Die DiszipJinierung der Sprache: Fachsprachen in unserer Zeit. Tiibingen: Narc
1997 (= Forum fur Fachsprachenforschung 33).
Kiefl, Walter: Scheiden tut weh. In: Ex Trennungsgeschichten. Hrsg.: K. Rohnstock. Berlin:
E1efantenPress 1997. S. 166-178.
Kobler, Gerhard; Pohl, Heidrun: Deutsch-Deutsches Rechtsworterbuch. MUnchen: Beck 1991.
Larenz, Karl; Canaris, Claus-Wilhelm: Methodenlehre der Rechtswissenschaft. 3. neubearb. Autl.
Berlin, Heidelberg, New York, Barcelona, Budapest, Hong Kong, London, Mailand, Paris,
Tokyo: Springer 1995.
LOfHer, Heimich: Germanistische Soziolinguistik. 2. iiberarb. Autl. Berlin: Erich Schmidt 1994
(= Grundlagen der Germanistik 28).
Lochen, Hans-Hennann: Eherecht in der DDR und in der Bundesrepublik Deutschland. In: Das
Familienrecht in den heiden deutschen Staaten. Hrsg.: G. Zieger. KoIn, Berlin, Bonn,
MUnchen: Heymann 1983. S. 71-94 (= Schriften zur Rechtslage Deutschlands Bd. 4).
Mahler, Gisela; M1ihIer, Hans-Georg: Praktische Einsatzmoglichkeiten der Mediation. Mediation
bei Familienkonflikten: In: Mediation fur Juristen. Hrsg.: St. Breidenbach, M Heussler. Koin:
O. Schmidt 1997. S. 121-140.
M1ihIer, Gisela; M1ihIer, Hans-Georg: Rechtsberatung in dec Mediation bei Trennung und
Scheidung. Familie/ PartnerschaftJ Recht (FPR) Freiburg i. Br.-Berlin, 3 (1997) H. 6,
S.258-266.
Matussek, Matthias: Dec entsorgte Vater. Der Spiegel (Hamburg). Nr. 47 vom 17.ll. 1997.
S.90-107.
Matzke, Brigitte: Die Modalitat der Fiigung "sein + zu + Infinitiv" injuristischen Texten. Deutsch
alsFremdspracheLeipzig, 25 (1988) H. 2, S. 72-74.
Mead, George Herbert: Geist, Identitat und Gese1Ischaft: aus der Sicht des Sozialbehaviorlsmus.
8. Autl. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1991 (= Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft, 28).
Mohn, Dieter; Pelka, Roland: Fachsprachen. Eine Einfiihrung. Tiibingen: Niemeyer 1984.
Miihlens, Elisabeth; GreBmann, Michael: Vorbereitung des EntwurfS eines Gesetzes zur Reform
des Kindschaftsrechts bis zum Bundesrat. Familie/ PartnerschaftJ Recht (FPR) Freiburg i. Br.
- Berlin, 2 (1996) 05, S. 216-219.
Miiller-Tochtermann, Helmut: Zur Struktur der deutschen Rechtssprache. Beobachtungen und
Gedanken zum Thema Fachsprache und AIlgemeinsprache. Muttersprache Liineburg,
Jg. 1959 (1959) H. 69, S. 84-92.
Miinchener Kommentar zum Biirgerlichen Gesetzbuch. Hrsg.: K. Rebmann, F.J. Sacker. 3. Autl.
Miinchen: Beck'sche Verlagsbuchbandlung Bd. 7 Familienrecht 11993; Bd. 8 Familienrecht
II 1992.
153
Neumann, U1frid: Juristische Fachsprache und Umgangssprache. In: Rechtskultur a1s Sprachkultur:
Zur forensischen Funktion der Sprachanalyse. Hrsg. G. Grewendorf. 1. AutI. Frankfurt am
Main: Suhrkamp 1992. S. 110-121 (= Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft 1030).
Oksaar, Els: Sprache a1s Problem und Werkzeug des Juristen. In: Arcbiv fur Rechts- und
Sozialpbilosopbie. Hrsg.: im Auftrage der Internationalen Vereinigung fur Rechts- und
Sozialpbilosopbie (JVR) .Vol. 1967. S. 91-132.
Oksaar, Els: Sprachliche Mittel in der Kornmunikation zwischen Fachleuten und zwischen
Fachleuten und Laien im Bereich des Rechtswesens. In: Fachsprachen und Gerneinsprache.
Hrsg.: W. Mentrup. 1. Auf!. DUsseldorf: Padagogischer Verlag Schwann 1979. S. 100-113.
(= Jahrbuch des Instituts fur deutsche Sprache, 1978. Sprache der Gegenwart. Bd. 46).
Otto, Walter: Arntsdeutsch heute, biirgernah und praxisnah. 2. iiberarb. AutI. Stuttgart, Miinchen,
Hannover: Boorberg 1978.
Podlech, Adalbert: Rechtslinguistik. In: Rechtswissenschaft und Nachbarwissenschaften 2. Hrsg.:
D. Grimm. Miinchen: C. H Beck 1976. S. 105-116.
Professionalisierung - Qualifizierung - Vernetzung. In: Info-Mappe der Bundesarbeitsgemeinschaft
fur Familien-Mediation. Marburg.
Proksch, Roland: Das Kindschaftsrechtsreformgesetz - seine Bedeutung und seine Auswirkung auf
das Recht der Kinder- und Jugendhilfe. Vortragsmanuskript zur Fachtagung der
Stadtverwaltung Jena am 18.06. 1997.
Raiser, Giinther H: Beck-Ratgeber Ehe, Zusammenleben und Scheidung. Giiterrecht, Unterhalt,
Kinder, Trennung. Miinchen: C.H. Beck 1997.
Rauscher, Thomas: Das Umgangsrecht im Kindschaftsrechtsreformgesetz. Zeitschrift fur das
gesamte Familienrecht (FamRZ) Bielefeld, 45 (1998) H. 6, S. 329-341.
Rink, Jiirgen; Bauer, Axel: Richterliche Erfahrungen mit den Grundsatzen des neuen
Betreuungsrechtes in der Praxis des geltenden pfJegschafts-/ Entmiindigungsrechtes.
Zeitschrift fur das gesamte Familienrecht (FamRZ) Bielefeld, 35 (1988) H 12, S. 1229-1237.
Rossenbeck, Klaus: Fachsprachlicher Wortschatz des Schwedischen und Deutschen a1s Problem
der bilinguaIen Lexikograpbie. Skandinavistik (1978) H. 8, S. 1-15.
Rossenbeck, Klaus: Zum Stand der Fachsprachenforschung. Germanistisches Bulletin, (1984).
S.63-86.
Scbippan, Thea: Lexikologie der deutschen Gegenwartssprache. Tiibingen: Niemeyer 1992.
(= Studienbuch).
Schliiter, Wilfried: BGB Familienrecht. 5. neubearb. Auf!. Heidelberg: Miiller Jur. Verlag 1991
(= Schwerpunkte 5).
Schmalz, Dieter: Methodenlehre fur das juristische Studium. 3. Auf!. Baden-Baden: Nomos
Verlagsgesellschaft 1992.
154
Schubert, Werner: Der Entwurf eines Nichtehelichengesetzes vom Jull 1940 und seine Ablehnung
durch Hitler. Zeitschrift fur das gesamte Familienrecht (FamRZ) Bielefeld 31 (1984) H. 1,
S.I-lO.
Schulz von Thun, Friedemann: Miteinander reden 1. Storungen und Kliirungen. Allgemeine
Psychologie der Kommunikation. Reinbeck bei Hamburg: Rowohlt 1981.
Schwab, Dieter: Familienrecht. Tubingen: Mohr 1994.
Schwab, Dieter; Wagenitz, Thomas: Einfiihrung in das neue Kindschaftsrecht. Zeitschrift fur das
gesamte Familienrecht (FamRZ) Bielefeld, 44 (1997) H. 22, S. 1377-1383.
Schwab, Dieter: Elterliche Sorge bei Trennung und Scheidung der Eltem. Zeitschrift fur das
gesamte Familienrecht (FamRZ) Bielefeld, 45 (1998) H. 8, S. 457-472.
Schwanzer, Viliam: Syntaktisch-stilistische Universalia in den wissenschaftlichen Fachsprachen. In:
Wissenschaftliche Beitriige zur Methodologie, theoretische Fundierung und Deskription.
Hrsg.: Th. Bungarten. Mlinchen: WIlhelm Fink 1981. S. 213-230.
Searle, John R: Sprechakte. Ein sprachphilosophischer Essay. Frankfurt am Main: 1971.
Seibert, Thomas-Michael: Schriftform und Mlindlichkeitsprinzip im Rechtsdiskurs. In:
Rechtsdiskurse. Untersuchungen zur Kommunikation im Gerichtsverfabren. Hrsg.: L.
Hoffinann. Tubingen: Narr 1989. S. 217-247.
Selting, Margret: Verstiindigungsprobleme. Eine empirische Untersuchung am Beispiel der BlirgerVerwaltungs-Kommunikation. Tubingen: Niemeyer 1987.
Sprachnorm, Stil und Sprachkultur. 1. Aufl. Oberlungwitz: Akademie der Wissenschaften, VEB
Kongress- und Werbedruck 1979 (= Linguistische Studien - Reihe A Arbeitsberichte).
Steger, Hugo: Soziolinguistik. In: Lexikon der Germanistischen Linguistik. Hrsg.: H. D. Althaus,
H Henne, H. E. Wiegand. 2. vollst. neubearb. und erw. Aufl. Tubingen: Max Niemeyer
1980. S. 347-358.
Thiehnann, Georg: Die Entwicklung des Familienrechts im Bundesgebiet mit Berlin (West) seit
1949. In: Das Familienrecht in beiden deutschen Staaten. Hrsg.: G. Zieger. Koin, Berlin,
Bonn, Mlinchen: Heymann 1983. S. 13-39. (= Schriften zur Rechtslage Deutschlands Bd. 4).
VerIierer sind die Miirmer. Der Spiegel (Hamburg). Nr. 47 vom 17.11. 1997. S. 84-89.
von Hahn, Walter: Fachsprachen. In: Lexikon der Germanistischen Linguistik. Hrsg.: H P.
Althaus, H Henne, H. E. Wiegand. 2. vollst. neubearb. und erw. Aufl. TUbingen: Max
Niemeyer 1980. S. 347-358.
Wagner, Hildegard: Die deutsche Verwaltungssprache der Gegenwart. Eine Untersuchung der
sprachlichen Sonderform und ihrer Leistung. 3. Aufl. DUsseldorf: Schwann 1984 (= Sprache
der Gegenwart IX).
Watzlawick, Paul; Beavin, Janet H; Jackson, Don D.: Menschliche Kommunikation. Formen,
St5rungen, Paradoxien. Nachdr. der 8. unverand. AutI. Bern, Stuttgart, Toronto: Huber
1993.
155
Wichmann, Klaus: Die Reform des Kindschaftsrechts in der Diskussion. Familie und Recht (FuR)
Neuwied (1996) H. 3, S. 161-17l.
Wieacker, Franz: Privatrechtsgeschichte der Neuzeit unter besonderer Beriicksichtigung der
deutschen Entwicklung. 2. neubearb. Autl. Gottingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1967.
Worterbuch der deutschen Gegenwartssprache. Hrsg.: R Klappenbach, W. Steinitz. Berlin:
Akademie Verlag Bd. 4 1974; Bd. 5 1976.
Zieger, Gottfried: Die Entwicklung des Familienrechts in der DDR mit Berlin (Ost). In: Das
Familienrecht in beiden deutschen Staaten. Hrsg.: G. Zieger. Koln, Berlin, Bonn, Miinchen:
Heymann 1983. S. 41-67. (= Schriften zurRechtslageDeutschlands Bd. 4).
Weitere verwendete QueUen
Bundesrat-Drucksache 789/ 93 yom 05.11. 1993. GesetzesbeschIuB des Deutschen Bundestages Gesetz zur Neuordnung des Familiennamensrechts.
Bundesrat-Drucksache 79/ 96 yom 09. 02. 1996. Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung des
EheschlieBungsrechts.
Bundesrat-Drucksache 180/ 96 yom 22. 02. 1996. Entwurf eines Gesetzes zur Reform des
Kindschaftsrechts.
Bundestag-Drucksache 13/ 8511 yom 12.09. 1997. BeschluBempfehlung und Bericht des
Rechtsausschusses zurn Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Kindschaftsrechts.
Verhandlungen des deutschen Bundestages, 2. Wahlperiode 1953, zu Drucksache 3409, Bd. 51 schriftlicher Bericht des Ausschusses fur Rechtswesen und Verfassungsrecht.
Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts: Bd. 10, Bd. 24, Bd. 61, Bd. 78, Bd. 84.
156
Rechtsgrundlagen
Aligemeines Landrecht fur die PreuBischen Staaten von 1794 (ALR). 2. erw. AufI. NeuwiedKrofte~ Berlin: Luchterhand 1994.
Gesetz tiber die Beurkundung des Personenstandes und die Eheschliefiung vom 06.02. 1875.
RGBI. I 1875.
Gesetz tiber die religiose Kindererziehung vom 15.07. 1921. RGBI. I 1922.
Reichsgesetz fur Jugendwohlfahrt (JWG) vom 09.07. 1922. RGBI. I 1922.
Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre vom 15.09. 1935. RGBI. I
1935.
Gesetz zur Vereinheitlichung des Rechts der Eheschliefiung und der Ehescheidung im Lande
bsterreich und im tibrigenReichsgebiet (Ehegesetz) vom 06.07. 1938. RGBI. I 1938.
Ehegesetz (EheG) vom 20.02. 1946. KRABI. 77.
Gesetz tiber die Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik vom 07.10.1949. GBI. DDR
1949.
Gesetz tiber die Herabsetzung des Volljiihrigkeitsalters vom 17.05. 1950. GBI. DDR I 1950.
Gesetz tiber die Anerkennung freier Ehen rassisch und politisch Verfolgter vom 23.06. 1950.
BGBI. I 1950.
Gesetz tiber den Mutter- und Kinderschutz und die Rechte der Frau vom 27.09. 1950. GBI. DDR I
1950.
Gesetz tiber die Gleichberechtigung von Mann und Frau auf dem Gebiete des biirgerlichen Rechts
(Gleichberechtigungsgesetz) vom 18.06. 1957. BGBI. I 1957.
Familiengesetzbuch der DDR vom 20.12. 1965. GBI. DDR 11966.
Einfiihrungsgesetz zum Familiengesetzbuch der DDR vom 20.12. 1965. GBI. DDR I 1966.
Gesetz zurNeuregelung des Volljiihrigkeitsalters vom 31.07. 1974. BGBI. I 1974.
Zivilgesetzbuch der DDR (ZGB) vom 19.06. 1975. BGl. DDR I 1975.
Erstes Gesetz zur Reform des Ehe- und Familienrechts (1. EheRG) vom 14.05. 1976. BGBI. I
1976.
Gesetz tiber die Annabme als Kind und zur Anderung anderer Vorschriften vom 02.07. 1976.
BGBI.II976.
Gesetz zur Neuregelung des Rechts der elterlichen Sorge vom 18.07. 1979. BGBI. I 1979.
Gesetz zur Anderung unterhaltsrechtlicher, verfahrensrechtlicher und anderer Vorschriften vom
20.02. 1986. BGBI. I 1986.
Gesetz zur Anderung des Adoptionsvennittlungsgesetzes vom 27.11. 1989. BGBI. I 1989.
Gesetz zur Reform des Rechts der Vormundschaft und Pflegschaft fur Volljiihrige
(Betreuungsgesetz, BtG) vom 12.09. 1990. BGBI. 11990.
157
Gesetz zu dem Vertrag vom 31.08. 1990 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der
Deutschen Demo1cratischen Republik tiber die Herstellung der Einheit Deutschlands Einigungsvertragsgesetz - und der Vereinbarung vom 18.09. 1990 vom 23.09. 1990. BGBI.
IT 1990.
Bekanntmachung tiber das In1crafttreten des Ubereinkommens tiber die Rechte des Kindes. BGBI.
IT 1992.
Gesetz zur Neuordnung des Familiennamensrechts (FamNamRG) vom 16.12. 1993. BGBl. I 1993.
Gesetz zur Abschaffung des gesetzIichen Amtspflegscbaft und zur Neuordnung des Rechts der
Beistandscbaft vom 04.12. 1997. BGBI. I 1997.
Gesetz zur Gleichstellung nichtehelicher Kinder (Erbrechtsgleichstellungsgesetz) vom 16.12. 1997.
BGBI.II997.
Gesetz zur Reform des Kindschaftsrechtsvom 16.12.1997. BGBI. I 1997.
Gesetz zur Vereinheitlichung des Unterhaltsrechts mindeIjiihriger Kinder (KindUG) vom 06.04.
1998. BGBI. I 1998.
Gesetz zur Neuordnung des EheschlieBungsrechts vom 04.05. 1998. BGBI. I 1998.
Btirgerliches Gesetzbuch (BGB). BGBI. ill 400-2.
Besonderer Teil der Gemeinsamen Geschaftsordnung der Bundesministerien (GOO ll).
Grundgesetz fur die Bundesrepublik Deutschland (GG). BGBl. ill I FNA 100-1.
StrafprozeBordnung (StPO). BGBI. ill 312-2.
ZivilprozeBordnung (ZPO). BGBI. ill/FNA 310-4.