laywerrobot/BGH/xi_zr_549-16.pdf.txt
2020-08-27 21:55:39 +02:00

268 lines
No EOL
13 KiB
Text
Raw Blame History

This file contains invisible Unicode characters

This file contains invisible Unicode characters that are indistinguishable to humans but may be processed differently by a computer. If you think that this is intentional, you can safely ignore this warning. Use the Escape button to reveal them.

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
XI ZR 549/16
Verkündet am:
10. Oktober 2017
Herrwerth
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
ECLI:DE:BGH:2017:101017UXIZR549.16.0
-2-
Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 10. Oktober 2017 durch den Vizepräsidenten Prof. Dr. Ellenberger, die
Richter Dr. Grüneberg und Maihold sowie die Richterinnen Dr. Menges und
Dr. Derstadt
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 8. Zivilsenats
des Oberlandesgerichts Koblenz vom 7. Oktober 2016 aufgehoben.
Die Berufung der Kläger gegen das Urteil der 5. Zivilkammer des
Landgerichts Mainz vom 26. Oktober 2015 wird zurückgewiesen,
soweit auf ihr Rechtsmittel die Beklagte verurteilt worden ist, an
die Kläger 1.809,75 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 18. Juni 2015 zu
zahlen.
Im übrigen Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
-3-
Tatbestand:
1
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit des Widerrufs der auf den Abschluss eines Verbraucherdarlehensvertrags gerichteten Willenserklärungen
der Kläger.
2
Die Kläger schlossen am 26. Juni 2003 zwecks Finanzierung einer Immobilie einen Darlehensvertrag über ein endfälliges Darlehen in Höhe von
275.000 € mit einem auf zehn Jahre festen Nominalzinssatz von 4,53% p.a. und
einem effektiven Jahreszins von 4,63%. Zur Sicherung der Ansprüche der Beklagten diente ein Grundpfandrecht an dem Grundstück der Kläger. Die Beklagte belehrte die Kläger bei Abschluss des Darlehensvertrags über ihr Widerrufsrecht wie folgt:
-4-
-5-
-6-
3
Die Kläger lösten das Darlehen zum 30. Juni 2013 durch Leistung von
275.000 € vollständig ab. Außerdem erstatteten sie der Beklagten "Notarkosten" im Zusammenhang mit der Freigabe des Grundpfandrechts in Höhe von
155 €. Mit Schreiben vom 21. Januar 2015 widerriefen sie ihre auf den Abschluss des Darlehensvertrags gerichteten Willenserklärungen und forderten
die Beklagten auf, ihnen "ein Saldo zuzusenden, auf dem die wechselseitigen
Zinsansprüche aufgelistet" sein sollten. Sie setzten der Beklagten für "die Bestätigung" des Widerrufs und den "Eingang des Saldos" eine Frist bis zum
9. Februar 2015. Da die Beklagte dem Ansinnen der Kläger nicht nachkam, bekräftigte der vorinstanzliche Prozessbevollmächtigte der Kläger mit Schreiben
vom 8. April 2015 den Widerruf und forderte die Beklagte zum Ausgleich eines
von ihm zugunsten der Kläger errechneten "Überschusses" aus dem Rückgewährschuldverhältnis auf. Auch dem kam die Beklagte nicht nach.
4
Die der Beklagten am 18. Juni 2015 zugestellte Klage auf Rückzahlung
eines Teils der Zinsen nebst Herausgabe von der Beklagten mutmaßlich auf
Zinsleistungen gezogene Nutzungen und auf Erstattung vorgerichtlich verauslagter Anwaltskosten, die die Kläger als mit einer Aufrechnung verbunden verstanden wissen wollen, hat das Landgericht abgewiesen. Auf die Berufung der
Kläger, mit der sie zum Schluss nur noch die Zahlung von 31.935,86 € nebst
Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem
10. Februar 2015 und Erstattung der vorgerichtlich verauslagten Anwaltskosten
nebst Rechtshängigkeitszinsen in reduziertem Umfang begehrt haben, hat das
Berufungsgericht das landgerichtliche Urteil antragsgemäß abgeändert und
Rechtshängigkeitszinsen ab dem 18. Juni 2015 zugesprochen. Dagegen richtet
sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Beklagten, mit der sie
die Zurückweisung der klägerischen Berufung erstrebt.
-7-
Entscheidungsgründe:
5
Die Revision der Beklagten hat Erfolg.
I.
6
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung - soweit
für das Revisionsverfahren von Bedeutung - im Wesentlichen ausgeführt:
7
Zwischen den Parteien sei im Juni 2003 ein Verbraucherdarlehensvertrag zustande gekommen, so dass den Klägern das Recht zugestanden habe,
ihre auf Abschluss des Darlehensvertrags gerichteten Willenserklärungen zu
widerrufen.
8
Durch die Verwendung des Wortes "frühestens" bei der Beschreibung
der Voraussetzungen für das Anlaufen der Widerrufsfrist habe die Beklagte die
Kläger über die Bedingungen des Widerrufs undeutlich unterrichtet. Auf die Gesetzlichkeitsfiktion des Musters für die Widerrufsbelehrung nach der maßgeblichen Fassung der BGB-Informationspflichten-Verordnung könne sich die Beklagte nicht berufen, weil die Widerrufsbelehrung der Beklagten dem Muster
nicht vollständig entsprochen habe. Mangels ordnungsgemäßer Belehrung sei
die Widerrufsfrist nicht angelaufen, so dass die Kläger den Widerruf noch 2015
hätten erklären können.
9
Dass die Parteien vor Ausübung des Widerrufsrechts einen Aufhebungsvertrag geschlossen hätten, stehe weder dem Widerruf der auf Abschluss des
Darlehensvertrags gerichteten Willenserklärungen noch einem Anspruch aus
dem Rückgewährschuldverhältnis entgegen.
-8-
10
Die Kläger hätten ihr Widerrufsrecht weder rechtsmissbräuchlich ausgeübt noch verwirkt. Das Verhalten eines Verbrauchers, der von seinem Widerrufsrecht keine Kenntnis habe, lasse keinen Schluss darauf zu, er werde von
dem ihm zustehenden Widerrufsrecht keinen Gebrauch machen. Die Beklagte
könne ein schutzwürdiges Vertrauen schon deshalb nicht in Anspruch nehmen,
weil sie die Situation selbst herbeigeführt habe, indem sie eine ordnungsgemäße Widerrufsbelehrung nicht erteilt habe. Für die Beklagte habe die Möglichkeit
der Nachbelehrung bestanden. Jedenfalls während der Laufzeit der Darlehen
sei ihr zuzumuten gewesen, von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen, weil
der Mangel der Widerrufsbelehrung aus ihrer Sphäre hergerührt habe und sie
gesetzlich verpflichtet gewesen sei, eine ordnungsgemäße Widerrufsbelehrung
zu erteilen.
11
Auf der Grundlage des durch den Widerruf entstandenen Rückgewährschuldverhältnisses könnten die Kläger nach Saldierung der aus dem Rückgewährschuldverhältnis resultierenden Ansprüche insgesamt 36.863,96 € verlangen. Jedenfalls in Höhe des zuletzt geltend gemachten Zahlungsantrags der
Kläger über 31.935,86 € sei ein Anspruch gegeben. Aufgrund der mit dem Widerruf verbundenen Mahnung habe sich die Beklagte "mit Ablauf des
25. Oktober 2013" (gemeint: mit Ablauf des 9. Februar 2015) in Schuldnerverzug befunden. Die Kläger könnten mithin Verzugszinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 10. Februar 2015 verlangen.
Ebenfalls aus dem Gesichtspunkt des Schuldnerverzugs sei der Anspruch auf
Erstattung vorgerichtlich verauslagter Anwaltskosten begründet.
-9-
II.
12
Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht
in allen Punkten stand.
13
1. Das Berufungsgericht hat allerdings im Ausgangspunkt richtig erkannt,
den Klägern sei gemäß § 495 Abs. 1 BGB zunächst das Recht zugekommen,
ihre auf Abschluss des Darlehensvertrags gerichteten Willenserklärungen nach
§ 355 Abs. 1 und 2 BGB in der hier nach Art. 229 § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 22
Abs. 2, §§ 32, 38 Abs. 1 Satz 1 EGBGB maßgeblichen, zwischen dem 1. August 2002 und dem 10. Juni 2010 geltenden Fassung zu widerrufen.
14
2. Ebenfalls zutreffend ist die Auffassung des Berufungsgerichts, die Widerrufsfrist sei bei Erklärung des Widerrufs am 21. Januar 2015 noch nicht abgelaufen gewesen.
15
Die den Klägern erteilte Widerrufsbelehrung informierte mittels des Einschubs "frühestens" unzureichend deutlich über den Beginn der Widerrufsfrist
(vgl. Senatsurteil vom 12. Juli 2016 - XI ZR 564/15, BGHZ 211, 123 Rn. 18).
Auf die Gesetzlichkeitsfiktion des Musters für die Widerrufsbelehrung gemäß
Anlage 2 zu § 14 BGB-InfoV in der hier maßgeblichen, zwischen dem 1. September 2002 und dem 7. Dezember 2004 geltenden Fassung kann sich die Beklagte, die unter der Überschrift "Finanzierte Geschäfte" den Gestaltungshinweis 8 nicht vollständig umgesetzt hat, nicht berufen (vgl. Senatsurteil vom
11. Oktober 2016 - XI ZR 482/15, WM 2016, 2295 Rn. 27, zur Veröffentlichung
bestimmt in BGHZ). Das Berufungsgericht hat außerdem richtig erkannt, dass
die auf Abschluss des Darlehensvertrags gerichteten Willenserklärungen der
Kläger auch noch nach vorzeitiger Beendigung des Darlehensvertrags widerrufen werden konnten (Senatsurteil vom 11. Oktober 2016, aaO, Rn. 28).
- 10 -
16
3. Revisionsrechtlicher Überprüfung anhand der neueren Senatsrechtsprechung (Senatsurteile vom 12. Juli 2016 - XI ZR 501/15, BGHZ 211, 105
Rn. 40 und - XI ZR 564/15, BGHZ 211, 123 Rn. 37, vom 11. Oktober 2016
- XI ZR 482/15, WM 2016, 2295 Rn. 30 f. und vom 14. März 2017 - XI ZR
442/16, WM 2017, 849 Rn. 27 f.) nicht stand halten aber die Erwägungen, mit
denen das Berufungsgericht eine Verwirkung des Widerrufsrechts verneint hat.
Dass die Beklagte davon ausging oder ausgehen musste, die Kläger hätten von
ihrem Widerrufsrecht keine Kenntnis, schloss entgegen der Rechtsmeinung des
Berufungsgerichts eine Verwirkung nicht aus (vgl. BGH, Urteile vom 27. Juni
1957 - II ZR 15/56, BGHZ 25, 47, 53 und vom 16. März 2007 - V ZR 190/06,
WM 2007, 1940 Rn. 8). Gleiches gilt für den Umstand, dass die Beklagte "die
Situation selbst herbeigeführt hat", weil sie eine ordnungsgemäße Widerrufsbelehrung nicht erteilt hat. Gerade bei beendeten Verbraucherdarlehensverträgen
- wie hier - kann das Vertrauen des Unternehmers auf ein Unterbleiben des Widerrufs schutzwürdig sein, auch wenn die von ihm erteilte Widerrufsbelehrung
ursprünglich den gesetzlichen Vorschriften nicht entsprach und er es in der Folgezeit versäumt hat, den Verbraucher nachzubelehren (Senatsurteil vom
12. Juli 2016 - XI ZR 501/15, aaO, Rn. 41). Das gilt in besonderem Maße, wenn
die Beendigung des Darlehensvertrags auf einen Wunsch des Verbrauchers
zurückgeht (Senatsurteil vom 11. Oktober 2016, aaO, Rn. 30; Senatsbeschluss
vom 12. September 2017 - XI ZR 365/16, n.n.v., Rn. 8).
17
4. Nach Maßgabe des nach Erlass des Berufungsurteils ergangenen Senatsurteils vom 21. Februar 2017 (XI ZR 467/15, WM 2017, 906 Rn. 23 ff.)
rechtsfehlerhaft sind schließlich die Ausführungen des Berufungsgerichts dazu,
die Beklagte habe sich mit Ablauf des 9. Februar 2015 in Schuldnerverzug befunden und schulde den Klägern daher Verzugszinsen und Erstattung vorgerichtlich verauslagter Anwaltskosten. In diesem Zusammenhang hat das Berufungsgericht den Klägern auch unzutreffend aus § 291 BGB bereits ab dem Ta-
- 11 -
ge der Zustellung der Klageschrift am 18. Juni 2015 Prozesszinsen zugesprochen. Die Pflicht zur Zinszahlung besteht in entsprechender Anwendung von
§ 187 Abs. 1 BGB indessen erst ab dem auf die Rechtshängigkeit folgenden
Tag (Senatsurteil vom 4. Juli 2017 - XI ZR 562/15, WM 2017, 1643 Rn. 103, zur
Veröffentlichung bestimmt in BGHZ).
III.
18
Das Berufungsurteil unterliegt, soweit das Berufungsgericht zum Nachteil
der Beklagten entschieden hat, schon wegen der rechtsfehlerhaften Ausführungen des Berufungsgerichts zur Verwirkung der Aufhebung (§ 562 Abs. 1 ZPO).
Insoweit stellt es sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561
ZPO).
IV.
19
Soweit das Berufungsgericht auf die Berufung der Kläger die Beklagte
zur Erstattung vorgerichtlich verauslagter Anwaltskosten verurteilt hat, ist die
Sache zur Endentscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO), weil den Klägern unter
keinem rechtlichen Gesichtspunkt ein entsprechender Anspruch zusteht (Senatsurteil vom 21. Februar 2017 - XI ZR 467/15, WM 2017, 906 Rn. 34 f.).
V.
20
Im Übrigen ist die Sache, soweit das Berufungsgericht zum Nachteil der
Beklagten erkannt hat, nicht zur Endentscheidung reif. Sie ist daher zur neuen
- 12 -
Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen
(§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
21
Das Berufungsgericht wird sich mit dem Einwand der Beklagten zu befassen haben, der Ausübung des Widerrufsrechts der Kläger habe § 242 BGB
entgegen gestanden (vgl. Senatsurteile vom 12. Juli 2016 - XI ZR 501/15,
BGHZ 211, 105 Rn. 40 und - XI ZR 564/15, BGHZ 211, 123 Rn. 37, vom
11. Oktober 2016 - XI ZR 482/15, WM 2016, 2295 Rn. 30 f. und vom 14. März
2017 - XI ZR 442/16, WM 2017, 849 Rn. 27 f.; Senatsbeschluss vom 12. September 2017 - XI ZR 365/16, n.n.v., Rn. 8).
22
Sollte das Berufungsgericht meinen, der Darlehensvertrag habe sich
aufgrund des Widerrufs der Kläger in ein Rückgewährschuldverhältnis umgewandelt, wird es klarstellend zu berücksichtigen haben, dass die Kläger, wie der
Senat mit Urteil vom heutigen Tage in der Sache XI ZR 449/16 entschieden hat,
Mitgläubiger nach § 432 BGB der aus § 357 Abs. 1 Satz 1 BGB aF in Verbindung mit §§ 346 ff. BGB resultierenden Ansprüche sind.
23
Bei der Ermittlung der Höhe des den Klägern zustehenden Anspruchs
wird das Berufungsgericht auf das Senatsurteil vom 25. April 2017 (XI ZR
573/15, WM 2017, 1004 Rn. 20 ff., 37) und den Senatsbeschluss vom 12. September 2017 (XI ZR 365/16, n.n.v., Rn. 9 ff.) Bedacht zu nehmen haben. Es
wird sich weiter nach Maßgabe des Senatsurteils vom heutigen Tage in der Sache XI ZR 449/16 mit dem Rechtsgrund für die Erstattung der "Notarkosten" in
Höhe von 155 € zu befassen haben. Schließlich wird das Berufungsgericht bei
- 13 -
der Entscheidung über den geltend gemachten Zinsanspruch das Senatsurteil
vom 21. Februar 2017 (XI ZR 467/15, WM 2017, 906 Rn. 23 ff.) zu den Voraussetzungen des Verzugs des Rückgewährschuldners zu beachten haben.
Ellenberger
Grüneberg
Menges
Maihold
Derstadt
Vorinstanzen:
LG Mainz, Entscheidung vom 26.10.2015 - 5 O 103/15 OLG Koblenz, Entscheidung vom 07.10.2016 - 8 U 1167/15 -