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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
1 StR 33/17
vom
23. August 2017
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen Steuerhinterziehung
ECLI:DE:BGH:2017:230817B1STR33.17.0
-2-
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und der Beschwerdeführer am 23. August 2017 gemäß § 349
Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des
Landgerichts Essen vom 24. Oktober 2016 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung,
auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
1
Das Landgericht hat die Angeklagten jeweils wegen Steuerhinterziehung in sechs tateinheitlichen Fällen schuldig gesprochen. Den Angeklagten
B.
hat es deswegen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und
sieben Monaten verurteilt. Den Angeklagten S.
hat es unter Einbeziehung
der Einzelstrafen aus einer anderweitigen Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt, von der zwei Monate als vollstreckt gelten.
Gegen dieses Urteil wenden sich die Angeklagten mit ihren auf die Verletzung
formellen und materiellen Rechts gestützten Revisionen. Die Rechtsmittel haben in vollem Umfang Erfolg.
-3-
I.
2
Nach den Feststellungen handelte es sich bei den Angeklagten um den
Generaldirektor (B.
) und den Einkaufsleiter (S.
landen ansässigen Firma P.
) der in den Nieder-
. Ende des Jahres 2009 nahmen die
Angeklagten Kontakt zu dem Zeugen R.
auf, der wie sie seit Jahren in
der Altmetall- und Schrotthandelsbranche tätig war und in Deutschland lebte.
R.
hatte gute Kontakte zu Mitarbeitern von deutschen Großabnehmern, die
Altmetallbestände aufkauften. Um Umsatzsteuer hinterziehen zu können, vereinbarten die Angeklagten mit R.
3
folgendes „Geschäftsmodell“:
Die Angeklagten wollten in den Niederlanden über die Firma P.
Kupfer in großen Mengen kaufen und an einen Großabnehmer in
Deutschland veräußern. Ein direkter Verkauf in Deutschland kam für sie nicht in
Betracht, weil die Marktpreise für Kupfer in den Niederlanden höher lagen als
die Nettoeinkaufspreise in Deutschland. Das Kupfer sollte daher zum Schein
zunächst an ein Unternehmen in Deutschland verkauft werden. Der Geschäftsführer bzw. Inhaber des „Scheinunternehmens“ sollte dann nach den zeitlichen und preislichen Vorgaben der Angeklagten an einen deutschen Großabnehmer herantreten und das Kupfer im Namen des Scheinunternehmens
verkaufen. Dieser Zwischenerwerb sollte vorgeschoben werden, damit der
Großabnehmer nicht nur die Nettopreise, sondern wie bei jedem innerdeutschen Handelsgeschäft auch die Umsatzsteuer ausbezahlt. Die Angeklagten
und der Zeuge R.
wussten, dass die von dem Großabnehmer ausbezahl-
ten Nettopreise zuzüglich Umsatzsteuer höher lagen als die Einkaufspreise in
den Niederlanden. Das „Geschäftsmodell“ war wirtschaftlich nur sinnvoll, wenn
eine ordnungsgemäße Versteuerung der Umsätze und Abführung der Umsatzsteuer nicht erfolgten. Denn die Angeklagten benötigten einen Teil der Umsatz-
-4-
steuer, um die Kosten des Einkaufs des Kupfers in den Niederlanden zu decken, weil der Einkaufspreis über dem Nettoeinkaufspreis des Erwerbers in
sollte sich um ein geeignetes „Scheinunternehmen“
Deutschland lag. R.
und einen Strohmann kümmern; die Geschäfte dieses Unternehmens wollten
die Angeklagten und R.
dann gemeinsam, aber arbeitsteilig lenken. Über
die Aufteilung der Bargeldsummen, die vom Großabnehmer in Deutschland gezahlt wurden, trafen die Angeklagten mit R.
folgende Vereinbarung: Der
Nettoeinkaufspreis und zwei Drittel des auf die Umsatzsteuer entfallenden Betrages sollten an die Angeklagten zurückfließen, um den Einkauf des Kupfers in
den Niederlanden finanzieren zu können. Das restliche Drittel der ausbezahlten
Umsatzsteuer sollte unter den Angeklagten einerseits und R.
andererseits
hälftig aufgeteilt werden.
4
In Umsetzung dieses Modells fanden von Februar bis Mai 2010 zunächst
Kupferlieferungen über die
GmbH) an die T.
St.
GmbH (im Folgenden: SH.
GmbH statt. Die im September 2009 gegründete SH.
GmbH übte keine Geschäftstätigkeit mehr aus. R.
führer der SH. GmbH, den Zeugen L.
gewann den Geschäfts-
, der keine Kenntnisse im Alt-
metallhandel hatte, sich als Strohmann an dem Geschäftsmodell zu beteiligen.
Auch wenn die Führung des „Scheinunternehmens“ bei den Angeklagten und
dem Zeugen R.
liegen sollte, kam dem Zeugen L.
die Aufgabe zu,
bei der Anlieferung von Kupfer die Geldbeträge an der Kasse der T.
GmbH entgegenzunehmen. Die Geschäfte wurden wie folgt abgewickelt: Die
Angeklagten kauften bei niederländischen Lieferanten in großem Umfang Kupfer ein. Mit R.
standen sie in ständigem telefonischen Kontakt, um die Ein-
und Verkaufspreise abzustimmen. Sie erstellten dann Rechnungsunterlagen für
die Firma P.
in den Niederlanden, wonach sie das Kupfer an die
SH. GmbH verkauften. Tatsächlich fanden ein Verkauf und eine Lieferung an
-5-
die SH. GmbH nicht statt. Vielmehr wurde das Kupfer, nachdem R.
dem Chefeinkäufer der T.
GmbH, dem Zeugen G.
mit
, die Nettoein-
kaufspreise verhandelt hatte, auf Veranlassung der Angeklagten durch niederländische Speditionen direkt zur T.
GmbH geliefert. G.
davon aus, dass die SH. GmbH Vertragspartner der T.
5
ging dabei
GmbH wurde.
Da es den Angeklagten wegen der Höhe der hinterzogenen Umsatzsteuer zu riskant wurde, weitere Kupferlieferungen über die SH. GmbH abzuwickeln, wurden im Zeitraum Juni und Juli 2010 weitere in gleicher Weise durchgeführte Kupfergeschäfte unter Einschaltung des neuen Strohmanns W.
vorgenommen. W.
, der ebenfalls keine Erfahrung im
Altmetallhandel hatte, war bereit, sein Einzelunternehmen gegen eine geringfügige Entlohnung für das „Geschäftsmodell“ zur Verfügung zu stellen. Auch
wenn er die Führung seines Unternehmens den Angeklagten und dem Zeugen
R.
der T.
6
überließ, trat er jedenfalls bei der Anlieferung des Kupfers an der Kasse
GmbH als Inhaber seines Einzelunternehmens auf.
Insgesamt erwarb die T.
GmbH im Zeitraum von Februar bis Juli
2010 von den „Scheinunternehmen“ SH. GmbH und W.
Kupfer
zum Nettopreis von insgesamt 2.962.627,85 Euro zuzüglich 562.899,30 Euro
Umsatzsteuer. Die T.
GmbH zahlte nach jeder Einzellieferung die Net-
topreise und die Umsatzsteuer in bar aus, wobei jeweils die Strohmänner
L.
bzw. W.
das Bargeld an der Kasse für ihr Unternehmen
in Empfang nahmen. Sie leiteten jeweils das Geld ungeprüft an R.
weiter,
der bereits vor Ort auf sie wartete. Dieser traf sich umgehend mit den Angeklagten, die ebenfalls vor Ort warteten, um die Aufteilung des Geldes zu überwachen. Weder die Angeklagten noch R.
W.
noch die Strohmänner L.
und
gaben für die über die „Scheinunternehmen“ SH. GmbH und
-6-
W.
erzielten Umsätze Umsatzsteuervoranmeldungen oder eine
Umsatzsteuerjahreserklärung ab.
II.
7
Die Revisionen der Angeklagten haben bereits mit der Sachrüge Erfolg;
auf die von den Beschwerdeführern erhobenen Verfahrensrügen kommt es
nicht mehr an.
8
1. Das Landgericht hat die Angeklagten als Mittäter einer Steuerhinterziehung durch Unterlassen (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO, § 25 Abs. 2 StGB) angesehen, weil sie für die „Scheinunternehmen“ SH. GmbH und W.
in
den Voranmeldungszeiträumen Februar bis Juli 2010 keine Umsatzsteuervoranmeldungen über die von diesen Unternehmen getätigten Umsätze abgaben, obwohl sie hierzu wegen ihrer „absoluten Leitungsmacht“ über die „Scheinunternehmen“ gemäß § 35 AO verpflichtet gewesen seien. Diese Würdigung
wird von den Urteilsfeststellungen nicht getragen. Zwar ist das Landgericht
rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass diese Unternehmen Umsätze ausführen konnten, obwohl sie als inländische Unternehmen nur deshalb zwischengeschaltet worden waren, weil innergemeinschaftliche Erwerbe gemäß
§ 1 Abs. 1 Nr. 5 i.V.m. § 13a Abs. 1 Nr. 2 UStG vom Leistungsempfänger zu
versteuern sind, sodass an den Leistenden keine Umsatzsteuerbeträge ausbezahlt werden (nachfolgend a). Die Urteilsfeststellungen belegen jedoch nicht,
dass die Angeklagten als Verfügungsbefugte im Sinne von § 35 AO die steuerlichen Erklärungspflichten der Unternehmen SH. GmbH und W.
zu erfüllen hatten (nachfolgend b).
-7-
9
a) Im Ergebnis rechtsfehlerfrei ist das Landgericht davon ausgegangen,
dass die als „Scheinfirmen“ bezeichneten, tatsächlich aber existierenden Unternehmen SH. GmbH und W.
an die Firma T.
10
als Leistende der Kupferlieferungen
GmbH anzusehen waren.
aa) Wer bei einem Umsatz als Leistender anzusehen ist, ergibt sich nach
der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs und des Bundesgerichtshofs regelmäßig aus den abgeschlossenen zivilrechtlichen Vereinbarungen (vgl. BFH,
Urteile vom 16. August 2001 V R 67/00, UR 2002, 213 und vom 26. Juni 2003
V R 22/02, DStRE 2004, 153; BGH, Urteil vom 9. April 2013 1 StR 586/12,
BGHSt 58, 218, 233). Leistender ist damit in der Regel derjenige, der die Lieferungen oder sonstigen Leistungen im eigenen Namen gegenüber einem anderen selbst ausführt oder durch einen Beauftragten ausführen lässt. Ob eine
Leistung dem Handelnden oder einem anderen zuzurechnen ist, hängt deshalb
grundsätzlich davon ab, ob der Handelnde gegenüber dem Leistungsempfänger
im eigenen Namen oder berechtigterweise im Namen eines anderen bei Ausführung entgeltlicher Leistungen aufgetreten ist (vgl. BFH, Urteil vom 12. Mai
2011 V R 25/10, DStRE 2011, 1326). Dabei kann auch ein „Strohmann“ Unternehmer und Leistender im Sinne des Umsatzsteuergesetzes sein. Er ist nicht
deswegen nicht selbständig im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 UStG, weil er im
Innenverhältnis den Weisungen eines Auftraggebers verpflichtet ist. Ohne Bedeutung für die Beurteilung der Leistungsbeziehungen im Verhältnis zu Dritten
ist grundsätzlich, aus welchen Gründen der „Hintermann“ gegenüber dem Vertragspartner des „Strohmannes“ und Leistungsempfänger als Leistender nicht in
Erscheinung treten will (vgl. BGH, Urteil vom 9. April 2013 1 StR 586/12,
BGHSt 58, 218, 233 mwN).
-8-
11
bb) Unbeachtlich ist ein „vorgeschobenes“ Strohmanngeschäft allerdings
dann, wenn es nur zum Schein abgeschlossen wird, d.h. wenn beide Vertragsparteien einverständlich oder stillschweigend davon ausgehen, dass die
Rechtswirkungen des Geschäfts gerade nicht zwischen Ihnen, sondern zwischen dem Leistungsempfänger und dem „Hintermann“ eintreten sollen (vgl.
§ 41 Abs. 2 AO; BGH, Urteil vom 9. April 2013 1 StR 586/12, BGHSt 58, 218,
233 f. mwN).
12
cc) So verhielt es sich nach den Feststellungen hier jedoch nicht. Die
Angeklagten wollten durch die Zwischenschaltung der SH.
Einzelunternehmens W.
GmbH und des
erreichen, dass eine steuerpflichtige
Inlandslieferung (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG) und nicht eine steuerbefreite innergemeinschaftliche Lieferung vorliegt, bei der der Erwerb vom Leistungsempfänger
zu versteuern ist (§ 1 Abs. 1 Nr. 5 i.V.m. § 13a Abs. 1 Nr. 2 UStG). Da deshalb
diese Unternehmen und nicht die Angeklagten oder das niederländische Unternehmen P.
gegenüber der T.
GmbH als Lieferanten auf-
traten und nach den Feststellungen auch für den Chefeinkäufer dieser Firma,
den Zeugen G.
, keine Anhaltspunkte bestanden, dass dies nicht zutraf, wa-
ren sie bei den Kupferlieferungen an die T.
GmbH als leistende Unter-
nehmer anzusehen. Bei den Anlieferungen war jeweils der Geschäftsführer der
SH. GmbH bzw. der Inhaber des Einzelunternehmens W.
vor Ort
und nahm den Verkaufserlös entgegen. Auch wenn die SH. GmbH und das
Einzelunternehmen W.
als „Strohfirmen“ eingeschaltet wurden,
waren sie in der Lage und befugt, der T.
GmbH die Verfügungsmacht
über das angelieferte Kupfer zu verschaffen. Der Umstand, dass die „Strohfirmen“ im Verhältnis zu den Angeklagten wegen des kollusiven Zusammenwirkens ihres Geschäftsführers bzw. Inhabers mit den Angeklagten ohne handelstypisches Verhalten nicht als Unternehmer anzusehen waren (vgl. BGH, Be-
-9-
schluss vom 8. Februar 2011 1 StR 24/10, BGHR UStG § 15 Abs. 1 Unternehmer 1; Urteil vom 9. April 2013 1 StR 586/12, BGHSt 58, 218, 234; jeweils
mwN), ist insoweit ohne Bedeutung.
13
dd) Der Umstand, dass die gegenüber der T.
GmbH persönlich
auftretenden Leitungspersonen der Unternehmen SH. GmbH und W.
ebenso wie die Angeklagten von Anfang an beabsichtigten, für die Kupferlieferungen keine Umsatzsteuervoranmeldungen abzugeben, sondern die
Umsatzsteuern zu hinterziehen, steht der Annahme steuerbarer und steuerpflichtiger Ausgangsumsätze (Lieferungen) dieser Unternehmen nicht entgegen
(vgl. BGH, Urteil vom 9. April 2013 1 StR 586/12, BGHSt 58, 218, 234 f.
mwN).
14
b) Täter auch Mittäter einer Steuerhinterziehung durch Unterlassen
(§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO) kann nur derjenige sein, der selbst zur Aufklärung
steuerlich erheblicher Tatsachen besonders verpflichtet ist (BGH, Urteil vom
9. April 2013 1 StR 586/12, BGHSt 58, 218). Zwar trifft auch einen Verfügungsberechtigten im Sinne des § 35 AO eine Rechtspflicht zur Aufklärung über
steuerlich erhebliche Tatsachen. Die vom Landgericht festgestellten tatsächlichen Umstände belegen jedoch für die Angeklagten keine den Voraussetzungen des § 35 AO entsprechende Stellung.
15
aa) Nach § 35 AO hat derjenige, der als Verfügungsberechtigter im eigenen oder fremden Namen auftritt, die Pflichten eines gesetzlichen Vertreters
(§ 34 Abs. 1 AO), soweit er sie rechtlich und tatsächlich erfüllen kann. Zu den
von einem Verfügungsberechtigten zu erfüllenden Pflichten gehören insbesondere diejenigen zur Abgabe von Steuererklärungen und zur Entrichtung der
Steuern aus vorhandenen Mitteln.
- 10 -
16
bb) Verfügungsberechtigter im Sinne des § 35 AO ist jeder, der nach
dem Gesamtbild der Verhältnisse rechtlich und wirtschaftlich über Mittel, die
einem anderen zuzurechnen sind, verfügen kann und als solcher nach außen
auftritt (vgl. BFH, Urteil vom 5. August 2010 V R 13/09, BFH/NV 2011, 81).
Nicht ausreichend ist eine rein tatsächliche Verfügungsmacht, etwa die Möglichkeit, über wirtschaftlichen Druck auf die Verfügungen des Steuerpflichtigen
Einfluss zu nehmen; vielmehr muss die Verfügungsmöglichkeit rechtlich eingeräumt worden sein, sodass der Verfügungsberechtigte aufgrund bürgerlichrechtlicher Verfügungsmacht im Außenverhältnis wirksam handeln kann. Entscheidend für die Pflichtenstellung des § 35 AO ist, dass der Verfügungsberechtigte durch die Übertragung der rechtlichen Verfügungsbefugnis in die Lage
versetzt worden ist, am Rechtsverkehr wirksam teilzunehmen (vgl. BGH, Urteil
vom 9. April 2013 1 StR 586/12, BGHSt 58, 218, 236 mwN).
17
Eine mittelbare rechtliche Verfügungsbefugnis genügt. Verfügungsberechtigt im Sinne des § 35 AO ist daher auch, wer aufgrund seiner Stellung die
Pflichten des gesetzlichen Vertreters erfüllen oder durch die Bestellung entsprechender Organe erfüllen lassen kann. Gleiches gilt für denjenigen, der kraft
eines Rechtsverhältnisses den Vertretenen steuern und über seine Mittel verfügen kann. Steuerliche Pflichten sind dabei auch dann rechtlich und tatsächlich
erfüllbar, wenn zwar keine unmittelbare Vertretungsbefugnis besteht, die rechtliche Stellung jedoch eine verbindliche Weisung an den Vertretenen ermöglicht
(BGH, Urteil vom 9. April 2013 1 StR 586/12, BGHSt 58, 218, 238 mwN).
Auch wenn ein Geschäftsherr einem Dritten für einen bestimmten Geschäftsbereich völlig freie Hand lässt, so kann dieser nach den Umständen des Einzelfalls für den Geschäftsbereich, den er übernommen hat, als Verfügungsberechtigter im Sinne des § 35 AO anzusehen sein (BGH, Urteil vom 9. April 2013
1 StR 586/12, BGHSt 58, 218, 236 f.).
- 11 -
18
cc) Allerdings kann Verfügungsberechtigter im Sinne des § 35 AO nur
derjenige sein, der auch als solcher nach außen auftritt. Auftreten bedeutet die
Teilnahme am Wirtschafts- und Rechtsverkehr, die über die Beziehungen zum
Rechtsinhaber hinausgeht. Nicht vorausgesetzt ist ein Auftreten gerade gegenüber den Finanzbehörden oder in steuerlichen Angelegenheiten. Die Teilnahme
muss auch nicht in einer Disposition über fremdes Vermögen bestehen. Vielmehr reicht es aus, wenn der Verfügungsberechtigte sich nach außen so geriert, als könne er über fremdes Vermögen verfügen. Nimmt etwa eine Person
Geschäftsführungsaufgaben tatsächlich wahr, so reicht es aus, wenn sie lediglich gegenüber einer „begrenzten Öffentlichkeit“ zu erkennen gibt, dass sie als
solche über das Vermögen verfügen kann, das Auftreten gegenüber der „allgemeinen Öffentlichkeit“ aber weisungsabhängigen Personen überlässt. Hält sich
der faktisch Leitende selbst im Hintergrund und bedient er sich zur Ausübung
seiner Verfügungsbefugnis der Unterstützung weisungsgebundener Personen,
wird er nach § 35 AO nur verpflichtet, wenn die Weisungsabhängigkeit auch
nach außen mithin mindestens gegenüber einer „begrenzten Öffentlichkeit“
erkennbar wird. Diese Grundsätze gelten für Einzelunternehmen entsprechend
(BGH, Urteil vom 9. April 2013 1 StR 586/12, BGHSt 58, 218, 237 f.; BFH,
Urteil vom 5. August 2010 V R 13/09, BFH/NV 2011, 81; jeweils mwN).
19
dd) Zwar hat das Landgericht hier festgestellt, dass die Angeklagten
die einzelnen Geschäfte und die Preisgestaltung vorgegeben haben und der
Geschäftsführer der SH. GmbH sowie der Inhaber der Einzelfirma W.
als Strohmänner lediglich die ihnen gegebenen Vorgaben ausführten.
Diese Stellung der Angeklagten allein genügt jedoch für die Annahme einer
Verfügungsbefugnis im Sinne des § 35 AO nicht. Vielmehr belegen die vom
Landgericht getroffenen Feststellungen nicht das erforderliche Auftreten als
Verfügungsbefugte dieser Unternehmen nach außen, auch nicht gegenüber
- 12 -
einer „begrenzten Öffentlichkeit“. Festgestellt ist lediglich, dass die Angeklagten
die Abwicklung der einzelnen Geschäfte und die Preisgestaltung aufgrund ihrer
starken Stellung vorgaben. Um ihre Verbindung zu den zwischengeschalteten
Firmen nicht aufzudecken, vermieden sie sogar bewusst ein Auftreten für diese
Unternehmen nach außen. Nach den Urteilsfeststellungen traten sie nicht einmal mit den Strohleuten persönlich in Kontakt, sondern überließen dies dem
Zeugen R.
. Sie selbst blieben im Hintergrund und traten auch gegenüber
der Leistungsempfängerin, der T.
GmbH, nicht als Vertreter der zwi-
schengeschalteten Firmen auf. Vor Ort ließen sie den Geschäftsführer bzw.
Inhaber des jeweils leistenden Unternehmens auftreten und den Verkaufserlös
entgegennehmen. Sie hielten sich zwar in der Nähe auf, ließen sich aber die
erhaltenen Geldbeträge erst indirekt unter Einschaltung des Zeugen R.
übergeben (UA S. 30). Mithin belegen die Urteilsfeststellungen nicht nur kein
Auftreten der Angeklagten als Verfügungsbefugte für die SH. GmbH und das
Einzelunternehmen W.
nach außen, sondern zeigen im Gegen-
teil, dass die Angeklagten ihre Verbindung zu diesen Unternehmen sogar bewusst verheimlichten. Der Umstand allein, dass die Angeklagten niederländische Speditionen im Namen der zwischengeschalteten Unternehmen mit dem
Transport des Kupfers beauftragten (UA S. 39), genügt für ein Auftreten als
Verfügungsbefugter dieser Firmen gegenüber einer „begrenzten Öffentlichkeit“
nicht.
20
ee) Unbeachtlich ist insoweit, ob der Zeuge R.
GmbH und das Einzelunternehmen W.
, der für die SH.
auch nach außen auftrat,
die Stellung eines Verfügungsbefugten im Sinne des § 35 AO innehatte. Zwar
spricht für das Vorliegen einer solchen Stellung, dass R.
Firmen mit dem Chefeinkäufer der T.
im Namen dieser
GmbH, dem Zeugen G.
, die
Preisverhandlungen führte (UA S. 23, 27). Gleichwohl genügt dies nicht, auch
- 13 -
für die Angeklagten die Voraussetzungen des § 35 AO zu bejahen. Vielmehr
sind diese für jeden Beteiligten gesondert festzustellen. Eine Zurechnung des
Auftretens anderer nach außen nach den strafrechtlichen Grundsätzen der Mittäterschaft findet hinsichtlich der Voraussetzungen des § 35 AO nicht statt. Insbesondere rechtfertigt allein der Umstand, dass ein gemeinsamer Tatplan bestand und die Angeklagten zusammen mit dem Zeugen R.
entschieden, zu
welchen Preisen die Kupferbestände an- und verkauft werden (UA S. 23), eine
solche Zurechnung nicht. Auch das Merkmal pflichtwidrig in § 370 Abs. 1 Nr. 2
AO bezieht sich allein auf das Verhalten des Täters, nicht auf das eines anderen Tatbeteiligten. Damit kommt eine Zurechnung fremder Pflichtverletzungen
hier etwa des Zeugen R.
im Rahmen einer Steuerhinterziehung durch
Unterlassen auch dann nicht in Betracht, wenn sonst nach allgemeinen
Grundsätzen Mittäterschaft vorliegen würde.
21
2. Die Sache bedarf daher insgesamt neuer tatrichterlicher Verhandlung
und Entscheidung. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
22
a) Im Hinblick darauf, dass es sich nach den bisherigen Feststellungen
bei den von den Angeklagten veranlassten Kupfertransporten aus den Niederlanden nach Deutschland weder um steuerbefreite innergemeinschaftliche Lieferungen an die SH. GmbH bzw. die Einzelfirma W.
T.
noch an die
GmbH handelte, wird das Landgericht in Abhängigkeit von den neu
zu treffenden Feststellungen gegebenenfalls auch die Möglichkeit eines steuerpflichtigen innergemeinschaftlichen Erwerbs durch die Angeklagten im Sinne
von § 1 Abs. 1 Nr. 5 UStG in die Prüfung der steuerlichen Verhältnisse einbeziehen können. Denn gemäß § 1a Abs. 2 Satz 1 UStG gilt als innergemeinschaftlicher Erwerb gegen Entgelt auch das Verbringen eines Gegenstands des
- 14 -
Unternehmens aus dem übrigen Gemeinschaftsgebiet in das Inland durch einen
Unternehmer zu seiner Verfügung, ausgenommen zu einer nur vorübergehenden Verwendung. Der Unternehmer gilt in einem solchen Fall als Erwerber
(§ 1a Abs. 2 Satz 2 UStG) und wird Steuerschuldner (§ 13a Abs. 1 Nr. 2 UStG).
23
b) Sollten sich keine weitergehenden Anhaltspunkte für ein Auftreten der
Angeklagten nach außen als Verfügungsbefugte der SH. GmbH bzw. der Einzelfirma W.
ergeben, wird das Landgericht auch eine mögliche
Strafbarkeit der Angeklagten wegen Anstiftung zur Steuerhinterziehung in den
Blick nehmen können.
Raum
Graf
Cirener
Jäger
Bär