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BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
XII ZR 277/00
Verkündet am:
27. August 2003
Küpferle,
Justizamtsinspektorin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
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Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 16. Juli 2003 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Hahne, die Richter Gerber, Sprick, Fuchs und die Richterin Dr. Vézina
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 23. Zivilsenats
des Oberlandesgerichts Dresden vom 22. August 2000 aufgehoben. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 18. Februar 2000 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Parteien streiten über den Umfang der Nutzungsbefugnis aus einem
Mietvertrag.
Die Klägerin schloß am 11./22. November 1994 mit der Beklagten einen
schriftlichen Mietvertrag über eine bebaute Grundstücksteilfläche (Speicher C)
auf die Dauer von 30 Jahren mit 25-jähriger Verlängerungsoption. Der Mietgegenstand ist in § 1 des Mietvertrages wie folgt beschrieben:
"a) im Eigentum des Mieters: Gebäude
b) im Eigentum der DB AG: Grund und Boden"
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Die Mietsache sollte gemäß § 2 des Mietvertrages "zur Nutzung mit den
bestehenden Gebäuden als Wirtschaftsgebäude" verwendet werden. § 2 lautet
weiter wie folgt:
"Das uneingeschränkte Eigentum und Nutzungsrecht am Gebäude wird
auf jeden Fall gewährleistet, auch bei Wahrnehmung der Verlängerungsoption gemäß § 18 (4). Diese Regelung hat Vorrang vor allen sonstigen
folgenden Vertragsbedingungen."
Die Parteien gingen davon aus, daß an dem Gebäude ein von Grund und
Boden gesondertes Eigentum der Beklagten bestand, wie es nach dem Recht
der DDR möglich war. Sie einigten sich dahin, daß die Klägerin das Gebäude
erwerben sollte. Mit privatschriftlichem Kaufvertrag vom 22. November 1994
kaufte die Klägerin das Gebäude von der Immobilienfirma R., an die die Beklagte das Gebäude zuvor veräußert hatte. Weder die Immobilienfirma R. noch die
Klägerin ist Eigentümerin des Gebäudes geworden, weil kein getrenntes Gebäudeeigentum, welches gesondert hätte übertragen werden können, bestand.
In der Folge zahlte die Klägerin die vereinbarte Miete und setzte das Gebäude
instand.
Mit Schreiben vom 14. September 1999 kündigte die Beklagte fristlos mit
der Begründung, die Klägerin könne mangels Eigentums an dem Gebäude die
Mietsache nicht vertragsgemäß nutzen.
Mit der Klage verlangt die Klägerin festzustellen, daß sie berechtigt ist,
die gemieteten Teilflächen und das darauf stehende Gebäude aufgrund des
Mietvertrages vom 11./22. November 1994 uneingeschränkt zu nutzen. Die Beklagte hat für den Fall, daß der Klage stattgegeben wird, Hilfswiderklage auf
Zahlung einer erhöhten Miete für die Nutzung des Gebäudes rückwirkend ab
Mietvertragsbeginn und für die Zukunft erhoben.
-4-
Das Landgericht hat durch den Einzelrichter der Klage stattgegeben und
die Widerklage abgewiesen, obwohl der Rechtsstreit nicht dem Einzelrichter
übertragen worden war. Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht das Urteil des Landgerichts abgeändert und die Klage abgewiesen. Dagegen richtet sich die vom Senat angenommene Revision der Klägerin, mit der sie
die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils begehrt.
Entscheidungsgründe:
Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückweisung der Berufung der Beklagten.
1. Das Berufungsgericht hat im wesentlichen ausgeführt: Die Feststellungsklage sei unbegründet; die Klägerin könne aus dem Mietvertrag vom
11./22. November 1994 kein Nutzungsrecht für das Gebäude „Speicher C“ herleiten. Der Mietvertrag lasse eine Auslegung dahin, daß die Beklagte nicht nur
das Grundstück, sondern auch das Gebäude der Klägerin zur Nutzung überlassen habe, nicht zu. Aus der Beschreibung des Mietgegenstandes in § 1 des
Mietvertrages ergebe sich, daß nur der Grund und Boden, nicht aber das Gebäude vermietet worden sei. Demgemäß sei § 2 des Mietvertrages dahin zu
verstehen, daß die Beklagte nur das vermeintliche Eigentum der Klägerin am
Gebäude und das hieraus resultierende Nutzungsrecht am Gebäude habe gewährleisten wollen.
Ein Anspruch der Klägerin auf Nutzung des Gebäudes lasse sich auch
nicht aus den Grundsätzen über den Wegfall der Geschäftsgrundlage herleiten.
Zwar sei die gemeinsame Vorstellung der Parteien, die Klägerin könne an dem
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Gebäude „Speicher C“ selbständiges Gebäudeeigentum erwerben, Grundlage
des Mietvertrages geworden. Die bei Wegfall der Geschäftsgrundlage grundsätzlich eintretende Rechtsfolge der Vertragsanpassung komme hier jedoch
nicht in Betracht, weil die Fortsetzung des Vertrages für die Beklagte im Hinblick auf die Dauer des Mietvertrages unzumutbar sei. Im vorliegenden Fall führe die Interessenabwägung deshalb zur Vertragsaufhebung.
Das Berufungsgericht hat gemäß § 540 ZPO a.F. in der Sache selbst
entschieden, obwohl der Rechtsstreit an einem wesentlichen Verfahrensmangel
litt, weil er in erster Instanz durch den Einzelrichter entschieden worden ist, ohne auf ihn übertragen worden zu sein. Es hat eine Zurückverweisung an die
erste Instanz für nicht sachdienlich gehalten, weil der Rechtsstreit ohne weitere
Sachaufklärung und Beweiserhebung zur Entscheidung reif sei.
Die Ausführungen des Berufungsgerichts halten nicht in allen Punkten
einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.
2. Ohne Erfolg rügt die Revision allerdings, das Berufungsgericht habe
die Parteien nicht ausdrücklich dazu angehört, daß es beabsichtige, den
Rechtsstreit nicht gemäß § 539 ZPO a.F. an das Landgericht zurückzuverweisen, sondern nach § 540 ZPO a.F. selbst zu entscheiden. Diese Rüge hat der
Senat geprüft und für nicht durchgreifend erachtet (§ 565 a ZPO a.F.).
3. Mit Recht und von der Revision als ihr günstig nicht angegriffen hat
das Berufungsgericht das Vorliegen eines Kündigungsgrundes wegen einer
Pflichtverletzung der Klägerin nach § 15 Abs. 2 a des Mietvertrages verneint.
Die Klägerin hat dadurch, daß sie kein Eigentum an dem Gebäude erworben
hat und deshalb daraus kein Recht zur Nutzung des Gebäudes ableiten kann,
nicht gegen vertragliche Pflichten verstoßen.
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4. Zu Recht rügt die Revision jedoch, das Berufungsgericht habe bei der
Auslegung des Mietvertrages dahin, daß er nur die Nutzung von Grund und Boden, nicht aber auch des Gebäudes gestatte, gegen anerkannte Auslegungsregeln verstoßen.
Das Berufungsgericht hat bei der Auslegung von § 2 des Mietvertrages
einen wesentlichen für die Auslegung erheblichen Umstand außer acht gelassen. Unstreitig wussten die Parteien, daß die Klägerin bei Abschluß des Mietvertrages nicht Eigentümerin des Gebäudes war. Es lagen lediglich privatschriftliche Kaufverträge vor; eine Eintragung im Grundbuch (Gebäudegrundbuchblatt) war nicht erfolgt. Vor diesem Hintergrund verstößt die Auslegung von
§ 2 des Mietvertrages durch das Berufungsgericht, die Beklagte habe der Klägerin nur das aus dem Eigentum resultierende Nutzungsrecht, nicht aber ein
eigenständiges Nutzungsrecht am Gebäude gewährleisten wollen, gegen das
Gebot der interessengerechten Auslegung. War nämlich noch nicht sicher, daß
die Klägerin Eigentümerin des Gebäudes wird, so kann § 2 Abs. 1 Satz 3 des
Mietvertrages, wonach die Beklagte der Klägerin das uneingeschränkte Eigentum und Nutzungsrecht am Gebäude auf jeden Fall gewährleistet, interessengerecht nur dahin verstanden werden, daß damit die von den Parteien unstreitig
beabsichtigte langfristige Nutzung auch des Gebäudes sichergestellt werden
sollte, ohne die der Mietvertrag über Grund und Boden sinnlos war. Denn die
Klägerin, die - mit Kenntnis der Beklagten - das unstreitig erheblich renovierungsbedürftige Wirtschaftsgebäude instandsetzen wollte, bedurfte angesichts
der nicht unerheblichen Investitionskosten der Planungssicherheit, und zwar
auch für den Fall, daß der geplante Eigentumserwerb - aus welchen Gründen
auch immer - fehlschlagen sollte. Diese Sicherheit sollte ihr die in § 2 des Mietvertrags garantierte langfristige Nutzungsmöglichkeit gewährleisten.
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Eine Anwendung der Grundsätze über den Wegfall der Geschäftsgrundlage, wie sie das Berufungsurteil vornimmt, kommt daher schon deshalb nicht in
Betracht, weil die Parteien die Nutzung des Gebäudes zum Vertragsinhalt gemacht haben. Geschäftsgrundlage sind nach ständiger Rechtsprechung jedoch
nur die nicht zum eigentlichen Vertragsinhalt erhobenen, bei Vertragsabschluß
aber zutage getretenen gemeinsamen Vorstellungen beider Vertragsparteien
von dem Vorhandensein oder dem künftigen Eintritt bestimmter Umstände, auf
denen der Geschäftswille der Parteien sich aufbaut (vgl. BGH Urteile vom
6. Dezember 1989 - VIII ZR 310/88 - BGHR BGB § 242 Geschäftsgrundlage 16;
vom 24. November 1988 - VII ZR 222/87 - NJW-RR 1989, 775; vom 14. März
1990 - VIII ZR 18/89 - NJW-RR 1990, 817, 819).
Eine interessengerechte Auslegung des Mietvertrages führt deshalb zu
dem Ergebnis, daß die Parteien für den Fall, daß die Klägerin kein Eigentum an
dem Gebäude erwirbt, dieses jedenfalls langfristig nutzen darf.
5. Die Hilfswiderklage ist unbegründet. Die Beklagte hat, wie das Landgericht im Ergebnis zutreffend ausgeführt hat, gegen die Klägerin keinen Anspruch auf Zahlung zusätzlichen Nutzungsentgelts für das Gebäude.
Eine ergänzende Vertragsauslegung verhilft dem Begehren der Beklagten nicht zum Erfolg. Bei der ergänzenden Auslegung ist unter Berücksichtigung
aller in Betracht kommenden Umstände zu untersuchen, wie die Parteien bei
einer angemessenen Abwägung ihrer Interessen nach Treu und Glauben als
redliche Vertragspartner den offen gebliebenen Punkt geregelt hätten (BGH
Urteil vom 12. Februar 1997 - V ZR 250/96 – NJW 1998, 1219, 1220 m.w.N.).
Die Parteien haben für den Fall, daß die Klägerin kein Eigentum an dem Gebäude erwirbt, über die Vereinbarung einer Nutzungsbefugnis der Klägerin hinaus keine weiteren Regelungen getroffen. Sie haben auch kein gesondertes
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Nutzungsentgelt vereinbart. Mit welchem Inhalt im einzelnen eine ergänzende
Vertragsauslegung in Betracht kommt, kann offen bleiben, weil sie im Ergebnis
zu keinem Anspruch auf zusätzliches Nutzungsentgelt führen würde.
Den Parteien war bewußt, daß das Gebäude stark renovierungsbedürftig
war und von der Beklagten als Wirtschaftsgebäude erst genutzt werden konnte,
wenn sie es zuvor wie beabsichtigt instandgesetzt hatte. Ziel der Parteien war
es, der Klägerin diese Nutzung mit Rücksicht auf die von ihr zu erbringenden
erheblichen Investitionszulagen für die Dauer des Mietvertrages über den
Grund und Boden zu sichern.
Dies sollte durch die beabsichtigte Übertragung des Eigentums an dem
Gebäude auf die Klägerin erreicht werden, was zugleich zur Folge gehabt hätte,
daß die Instandsetzung und Instandhaltung des Gebäudes nicht mehr der Beklagten, sondern der Klägerin oblegen hätte. Im Gegenzug sollte die Beklagte
den - mit Rücksicht auf den Zustand des Gebäudes ersichtlich niedrig bemessenen - Kaufpreis von 5.000 DM zuzüglich Mehrwertsteuer erhalten.
Da jedoch kein Gebäudeeigentum bestand, das übertragen werden
konnte, hätten die Parteien nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung ihrer jeweiligen Interessen eine Vereinbarung getroffen, mit der dieses Ziel auf
möglichst ähnliche Weise hätte erreicht werden können. Dabei bedarf es hier
keiner Entscheidung, ob dies am besten mit der Vereinbarung eines auf die
Dauer des Mietverhältnisses über das Grundstück befristeten nießbrauchsähnlichen Rechtsverhältnisses zu erreichen war, das der Klägerin die Nutzung des
Gebäudes gesichert hätte, ohne die Beklagte mit Instandsetzungspflichten (vgl.
BGHZ 113, 179, 184; 52, 234, 237) und Instandhaltungspflichten (vgl. § 1041
BGB) zu belasten, oder ob sich insoweit eher eine mietvertragliche Regelung
angeboten hätte, sei es durch Einbeziehung des Gebäudes in den bestehenden
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Mietvertrag über den Grund und Boden, sei es durch einen gesonderten langfristigen Mietvertrag über das Gebäude. Es muß den Parteien auch überlassen
bleiben, die Einzelheiten einer solchen vertraglichen Lösung noch einverständlich zu regeln.
Unbeschadet einer solchen Regelung steht aber schon jetzt fest, daß die
Beklagte für die Nutzung des Gebäudes jedenfalls kein höheres Entgelt verlangen kann, als ihr in Gestalt der Einmalzahlung von 5.000 DM zuzüglich Mehrwertsteuer schon zugeflossen ist. Dies ergibt sich im Falle einer nießbrauchsähnlichen Lösung schon daraus, daß der befristete Nießbrauch gegenüber der
Übertragung des Volleigentums als ein minus anzusehen ist, das kein höheres
Entgelt rechtfertigen kann als den Kaufpreis für das Eigentum. Dies gilt insbesondere im Hinblick darauf, daß die Beklagte nach Beendigung des Mietverhältnisses Aussicht darauf hat, ein instandgesetztes Gebäude zurückzuerhalten. Und im Falle einer mietvertraglichen Lösung wäre ein höheres Entgelt nur
angemessen, wenn die Instandsetzungs- und Instandhaltungspflicht bei der
Beklagten verblieben wäre, was aber den Interessen der Parteien und den von
ihnen verfolgten Zielen widersprochen hätte. Sie hätten daher redlicherweise
vereinbart, daß die Klägerin die Instandsetzungs- und Instandhaltungslast übernimmt, die sie auch bei einem Eigentumserwerb zu tragen gehabt hätte.
Sollten die Parteien, was ihnen unbenommen bleibt, für die Zukunft
gleichwohl eine Regelung treffen wollen, bei der die Instandhaltungspflicht der
Beklagten obliegt und die Klägerin mit Rücksicht darauf ein über den ursprünglich vereinbarten Kaufpreis hinausgehendes Entgelt zahlt, stünde einem entsprechenden Zahlungsbegehren der Beklagten die Rechtskraft der Abweisung
ihrer Widerklage jedenfalls nicht entgegen, weil es sich insoweit um einen
nachträglich entstandenen, auf neuer vertraglicher Grundlage beruhenden An-
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spruch handeln würde, der mit dem hier mit der Widerklage geltend gemachten
Anspruch nicht identisch ist.
6. Einer Zurückverweisung an das Berufungsgericht oder das Landgericht bedarf es nicht. Nach § 565 Abs. 3 Nr. 1 ZPO a.F. hat das Revisionsgericht die Entscheidung des Berufungsgerichts zu ersetzen, wenn aufgrund des
festgestellten Sachverhalts die Sache zur Endentscheidung reif ist. Das ist hier
der Fall. Aus diesem Grund ist auch, trotz des wesentlichen Verfahrensmangels
im ersten Rechtszug ( Verstoß gegen den gesetzlichen Richter ), eine abschließende Entscheidung gemäß § 540 ZPO a. F. sachdienlich. Danach war die Berufung der Beklagten zurückzuweisen und das landgerichtliche Urteil wieder
herzustellen.
Dr. Hahne
Gerber
Sprick
Bundesrichter Fuchs ist
urlaubsbedingt an der
Unterschriftsleistung
verhindert.
Hahne
Vézina