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BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
BESCHLUSS
XII ZB 81/11
Verkündet am:
20. März 2013
Küpferle,
Justizamtsinspektorin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in der Familiensache
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
BGB § 1603; BVerfGG § 79 Abs. 2
a) Wurde ein unterhaltspflichtiges Kind rechtskräftig dazu verurteilt, Ansprüche auf
Elternunterhalt, die der Sozialhilfeträger aus übergegangenem Recht geltend
macht, durch die Annahme eines Darlehensangebotes des Sozialhilfeträgers zu
erfüllen, und beruht das Urteil auf einer Rechtsanwendung, die vom Bundesverfassungsgericht zu einem späteren Zeitpunkt in einem anderen Fall als verfassungswidrig beanstandet wurde, kann dem Anspruch des Sozialhilfeträgers auf
Rückzahlung des Darlehens der Einwand des rechtsmissbräuchlichen Verhaltens
entgegengesetzt werden.
b) Deshalb kann von dem Sozialhilfeträger die Bewilligung der Löschung einer zur
Sicherung der Darlehensforderung bestellten Grundschuld verlangt werden.
c) Zur Reichweite des Konterkarierungsverbots aus § 79 Abs. 2 Satz 4 BVerfGG.
BGH, Beschluss vom 6. Februar 2013 - XII ZB 81/11 - Kammergericht Berlin
AG Schöneberg
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Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 6. Februar 2013 durch den Vorsitzenden Richter Dose, die Richterin
Dr. Vézina und die Richter Dr. Klinkhammer, Dr. Günter und Dr. Botur
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 13. Zivilsenats
des Kammergerichts in Berlin vom 11. Januar 2011 wird auf Kosten des Antragsgegners zurückgewiesen.
Gründe:
I.
1
Die Antragstellerin begehrt vom Antragsgegner die Löschungsbewilligung für eine Grundschuld.
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In der Zeit von Juni 1990 bis Juni 1996 erbrachte der Antragsgegner Sozialhilfeleistungen in Höhe von 76.449,53 DM (39.088,02 €) für die damals pflegebedürftige Mutter der Antragstellerin. Durch Rechtswahrungsanzeige vom
12. Juli 1990 wurde die Antragstellerin von der Hilfeleistung unterrichtet. Die
verheiratete Antragstellerin verfügte im Zeitraum der Leistungserbringung über
keine eigenen Einkünfte. Gemeinsam mit ihrem Ehemann war und ist sie Miteigentümerin eines selbstgenutzten Einfamilienhauses.
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Nachdem der Antragsgegner die Sozialhilfeleistungen an die Mutter der
Antragstellerin eingestellt hatte, nahm er die Antragstellerin aus übergegangenem Recht in Höhe der erbrachten Leistungen auf Elternunterhalt in Anspruch.
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Die ursprünglich auf Zahlung gerichtete Klage änderte der Antragsgegner im
Laufe des Verfahrens dahingehend, dass die Antragstellerin zu verurteilen sei,
ein ihr vom Antragsgegner angebotenes zinsloses Darlehen in Höhe von
76.449,53 DM (39.088,02 €), fällig nach dem Tode der Antragstellerin und ihres
Ehemannes, anzunehmen und zur Sicherung des Darlehens eine Grundschuld
in Höhe des Darlehensbetrages nebst Zinsen ab Fälligkeit auf den Miteigentumsanteil an ihrem Hausgrundstück zu bewilligen und zu beantragen. Mit Urteil
vom 1. August 1997 wurde die Antragstellerin antragsgemäß verurteilt. Berufung gegen dieses Urteil legte sie nicht ein. Die Grundschuld wurde aufgrund
einer im Dezember 1997 notariell beurkundeten Bestellung im Grundbuch eingetragen.
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Nachdem das Bundesverfassungsgericht mit Urteil vom 7. Juni 2005
(FamRZ 2005, 1051 ff.) ein Urteil des Landgerichts Duisburg vom 3. Mai 1996
(FamRZ 1996, 1498 ff.) für verfassungswidrig erklärt hatte, in dem ein auf Elternunterhalt in Anspruch genommener Unterhaltspflichtiger dazu verurteilt
worden war, ein vom Sozialhilfeträger angebotenes zinsloses Darlehen anzunehmen und zur Sicherung der Darlehensforderung eine Grundschuld auf seinem Miteigentumsanteil zu bestellen, forderte die Antragstellerin den Antragsgegner vergeblich zur Abgabe einer Löschungsbewilligung hinsichtlich der zu
seinen Gunsten eingetragenen Grundschuld auf.
5
Im vorliegenden Verfahren begehrt die Antragstellerin vom Antragsgegner die Abgabe einer entsprechenden Löschungsbewilligung. Das Amtsgericht
hat den Antrag zurückgewiesen. Auf die Beschwerde der Antragstellerin hat das
Kammergericht die Entscheidung des Amtsgerichts geändert und den Antragsgegner verpflichtet, die Löschung der Grundschuld zu bewilligen. Mit der vom
Kammergericht zugelassenen Rechtsbeschwerde möchte der Antragsgegner
die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung erreichen.
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II.
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Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.
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1. Das Beschwerdegericht, dessen Entscheidung in FuR 2011, 329 veröffentlicht ist, hat zur Begründung ausgeführt:
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Zwischen den Parteien sei aufgrund des Urteils des Amtsgerichts vom
1. August 1997 nicht nur ein Darlehensvertrag zustande gekommen, sondern
zugleich eine Sicherungsvereinbarung bezüglich der von der Antragstellerin zu
bestellenden Grundschuld. Aus der Sicherungsabrede habe der Sicherungsgeber grundsätzlich einen durch den Wegfall des Sicherungszwecks aufschiebend
bedingten Anspruch auf Rückgewähr der Grundschuld. Vorliegend sei Zweck
der Grundschuld die Sicherung des durch das Urteil begründeten Darlehensanspruchs des Antragsgegners. Dieser Zweck sei entfallen, da dem aus dem Darlehensvertrag resultierenden Anspruch des Antragsgegners eine dauernde Einrede der Antragstellerin entgegenstehe. Der aufgrund des amtsgerichtlichen
Urteils zwischen den Parteien zu Stande gekommene Darlehensvertrag verstoße sowohl gegen ein gesetzliches Verbot i.S.d. § 134 BGB als auch gegen die
guten Sitten i.S.d. § 138 Abs. 1 BGB. Die Belastung der Antragstellerin mit einem grundpfandrechtlich gesicherten Darlehen greife in deren nach Art. 2
Abs. 1 GG verfassungsmäßig geschützte finanzielle Dispositionsfreiheit ein und
finde keine Stütze in der verfassungsmäßigen Ordnung. Außerdem wirkten die
Grundrechtsartikel gegenüber Körperschaften des öffentlichen Rechts wie dem
Antragsgegner als unmittelbare Verbotsnormen i.S.d. § 134 BGB und führten
somit zur Nichtigkeit eines gegen sie verstoßenden Rechtsgeschäfts.
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Der vorliegend zur Entscheidung gestellte Sachverhalt entspreche hinsichtlich seiner verfassungsrechtlichen Bedeutung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 7. Juni 2005. Darin habe das Bundesverfassungs-
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gericht festgestellt, dass die mit der Verfassungsbeschwerde angefochtene
Entscheidung des Landgerichts Duisburg, mit der die dortige Beschwerdeführerin zur Zahlung eines auf den Sozialhilfeträger übergeleiteten Unterhaltsbetrages verpflichtet worden sei, weil sie aufgrund des ihr vom Sozialhilfeträger angebotenen zinslosen Darlehens leistungsfähig sei, unter keinem rechtlichen
Gesichtspunkt begründet werden könne und die von Art. 2 Abs. 1 GG geschützte finanzielle Dispositionsfreiheit der Beschwerdeführerin in verfassungswidriger
Weise einschränke. Diese vom Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig angesehene Rechtsauffassung liege auch dem Urteil des Amtsgerichts vom
1. August 1997 zu Grunde. Aus der Verurteilung der Antragstellerin zur Annahme des ihr von Seiten des Antragsgegners angebotenen Darlehens ergebe
sich, dass das Amtsgericht die Erfüllung der Unterhaltsansprüche letztlich in der
Übernahme der Darlehensverpflichtung gegenüber dem Antragsgegner gesehen habe, die durch die Sicherungsgrundschuld abgesichert werden sollte. Im
Ergebnis gehe daher auch das Amtsgericht davon aus, dass die Antragstellerin
ihre Unterhaltsverpflichtung gegenüber ihrer Mutter, die sie unstreitig nicht aus
ihrem laufenden Einkommen erfüllen konnte, durch die Übernahme einer Darlehensverpflichtung erfülle und um dieses Darlehen zu erlangen, sie ihren
Grundstücksanteil als Sicherungsmittel einsetzen müsse. Daher habe auch das
Amtsgericht, wie in dem vom Bundesverfassungsgericht entschiedenen Fall,
einen Unterhaltsanspruch für einen vergangenen Zeitraum mit einer Leistungsfähigkeit der Antragstellerin begründet, die erst mit der durch das Darlehensangebot des Antragsgegners eröffneten Möglichkeit zum Einsatz des Grundvermögens und damit nach Ablauf des streitgegenständlich gewesenen Unterhaltszeitraums eingetreten sei.
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Deshalb könne die Antragstellerin der Forderung des Antragsgegners
aus dem Darlehensvertrag nach § 242 BGB den Einwand der unzulässigen
Rechtsausübung entgegensetzen. Es stelle sich als rechtsmissbräuchlich dar,
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wenn der Antragsgegner die durch das Urteil erworbene Rechtsposition ausnutze, obwohl er heute die Verfassungswidrigkeit der dem Urteil vom 1. August
1997 zu Grunde liegenden Rechtsanwendung kenne.
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Dem stehe auch das Konterkarierungsverbot des § 79 Abs. 2 Satz 4
BVerfGG nicht entgegen. Zwar erfasse diese Vorschrift auch Fälle, in denen
das Bundesverfassungsgericht später eine der vollstreckbaren Gerichtsentscheidung zu Grunde liegende Auslegung einer Norm für unvereinbar mit dem
Grundgesetz erklärt habe oder durch eine spätere verfassungsgerichtliche Entscheidung die Zivilgerichte angehalten würden, bei der Auslegung und Anwendung von Generalklauseln und auslegungsbedürftigen Regelungstatbeständen
die einschlägigen Grundrechte interpretationsleitend zu berücksichtigen. Der
sich aus § 79 Abs. 2 Satz 4 BVerfGG ergebende Ausschluss der Rückabwicklung wirke jedoch nur für die Vergangenheit. Die sich für die Zukunft aus der
Durchsetzung fehlerhafter Akte der öffentlichen Gewalt ergebenden Folgen
könnten hingegen abgewendet werden. Vorliegend seien aufgrund des Urteils
vom 1. August 1997 eine Darlehensforderung des Antragsgegners sowie ein
Anspruch aus einer Grundschuld entstanden. Beide Ansprüche seien noch
nicht erfüllt. Dem noch ausstehenden Erfüllungsverlangen des Antragsgegners
könne die Antragstellerin nach § 242 BGB den Einwand der unzulässigen
Rechtsausübung entgegensetzen bzw. hierauf eine Vollstreckungsabwehrklage
gegen eine Vollstreckung aus der Grundschuldbestellungsurkunde vom 17. Dezember 1997 stützen. Da der Einwand rechtsmissbräuchlichen Verhaltens
rechtsvernichtend wirke, sei sowohl die Darlehensforderung als auch die Forderung aus der Grundschuld nicht mehr durchsetzbar. Deshalb gründe sich der
Löschungsanspruch der Antragstellerin auch nicht auf eine Durchbrechung der
Rechtskraft des Urteils vom 1. August 1997, sondern ergebe sich daraus, dass
den durch das Urteil begründeten Forderungen eine durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 7. Juni 2005 im Nachhinein erwachsene, dauer-
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hafte Einrede entgegenstehe. Dem stehe das Konterkarierungsverbot des § 79
Abs. 2 Satz 4 BVerfGG nicht entgegen.
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2. Diese Ausführungen halten den Angriffen der Rechtsbeschwerde
stand. Die Antragstellerin hat gegen den Antragsgegner aus der der Grundschuldbestellung zu Grunde liegenden Sicherungsvereinbarung einen Anspruch
auf Abgabe einer grundbuchrechtlichen Löschungsbewilligung.
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a) Der Anspruch ergibt sich allerdings nicht aus § 812 Abs. 1 Satz 1
Alt. 1 BGB. Ein bereicherungsrechtlicher Anspruch scheidet bereits deshalb
aus, weil die Grundschuldbestellung nicht ohne rechtlichen Grund erfolgt ist.
Der Rechtsgrund für die Bestellung einer Sicherungsgrundschuld ist regelmäßig der Sicherungsvertrag zwischen Sicherungsgeber und Sicherungsnehmer (MünchKommBGB/Eickmann 5. Aufl. § 1192 Rn. 13; Bamberger/Roth/
Rohe BGB 3. Aufl. § 1192 Rn. 54; Palandt/Bassenge BGB 72. Aufl. § 1191
Rn. 15). Eine Sicherungsgrundschuld kann daher vom Sicherungsgeber nur
dann im Wege des Bereicherungsrechts zurückverlangt werden, wenn der Sicherungsvertrag fehlt oder nachträglich weggefallen ist (vgl. BGH Urteil vom
2. Oktober 1990 - XI ZR 205/89 - NJW-RR 1991, 305; MünchKommBGB/
Eickmann 5. Aufl. § 1192 Rn. 15).
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Beides ist vorliegend nicht gegeben. Zwar haben die Beteiligten keinen
ausdrücklichen Sicherungsvertrag getroffen. Ein solcher kann jedoch auch konkludent abgeschlossen und im Abschluss des Darlehensvertrages gesehen
werden, der durch die Grundschuld gesichert werden soll (vgl. BGH Urteil vom
2. Oktober 1990 - XI ZR 205/89 - NJW-RR 1991, 305; Bamberger/Roth/Rohe
BGB 3. Aufl. § 1192 Rn. 55). Aus dem Entscheidungsausspruch des amtsgerichtlichen Urteils vom 1. August 1997 ist ersichtlich, dass die von der Antragstellerin zu bestellende Grundschuld allein der Sicherung der Forderung des
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Antragsgegners aus dem Darlehensvertrag dienen sollte. Damit ist ein konkludent vereinbarter Sicherungsvertrag zustande gekommen. Anhaltspunkte dafür,
dass dieser unwirksam oder später weggefallen sein könnte, liegen nicht vor.
Insbesondere bleibt der Sicherungsvertrag vom Bestand oder der Durchsetzbarkeit der von der Grundschuld gesicherten Darlehensforderung unberührt.
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b) Ein Anspruch der Antragstellerin auf Abgabe einer grundbuchrechtlichen Löschungsbewilligung ergibt sich aber aus dem Sicherungsvertrag.
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aa) Zutreffend geht das Beschwerdegericht davon aus, dass der Sicherungsgeber aus dem Sicherungsvertrag bei Wegfall des Sicherungszwecks einen Anspruch gegen den Sicherungsnehmer auf Rückgewähr der Grundschuld
hat. Da durch den Sicherungsvertrag Einreden und Einwendungen, die dem
Sicherungsgeber gegen die Forderung zustehen, auf die Grundschuld bezogen
werden, kann der Sicherungsgeber auch dann die Rückgewähr der Grundschuld verlangen, wenn der Durchsetzung der gesicherten Forderung eine
dauernde Einrede oder Einwendung entgegensteht (vgl. MünchKommBGB/
Eickmann 5. Aufl. § 1192 Rn. 86). Denn in diesem Fall kann der Sicherungszweck ebenfalls nicht mehr erreicht werden. Der Rückgewähranspruch ist nach
Wahl des Sicherungsgebers auf Abtretung der Grundschuld, deren Aufhebung
oder den Verzicht auf das dingliche Recht gerichtet (BGH Urteil vom 26. April
1994 - XI ZR 97/93 - NJW-RR 1994, 847, 848). Macht der Sicherungsgeber
einen Anspruch auf Abgabe einer grundbuchrechtlichen Löschungsbewilligung
geltend und gibt der Sicherungsnehmer die entsprechende Erklärung ab,
enthält diese gleichzeitig die grundbuchrechtliche Erklärung der Aufgabe des
Rechts nach § 875 BGB (vgl. BGH Urteil vom 29. September 2006
- V ZR 25/06 - MDR 2007, 296 und Palandt/Bassenge BGB 72. Aufl. § 875
Rn. 3).
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bb) Der Antragstellerin steht gemäß § 242 BGB eine dauernde Einrede
gegen die durch die Grundschuld gesicherte Forderung zu. Da die Antragstellerin durch das Darlehen, zu dessen Annahme sie verurteilt worden ist, im Hinblick auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 7. Juni 2005 in
ihrer nach Art. 2 Abs. 1 GG geschützten wirtschaftlichen Dispositionsfreiheit
verletzt wurde, würde die Antragsgegnerin rechtmissbräuchlich handeln, wenn
sie den Darlehensrückzahlungsanspruch geltend macht.
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(1) Beruft sich ein Berechtigter auf eine formale Rechtsposition, die er
durch ein gesetz-, sitten- oder vertragswidriges Verhalten erlangt hat, kann ihm
der Verpflichtete nach dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) den
Einwand der unzulässigen Rechtsausübung entgegenhalten (vgl. BGHZ 57,
108 = NJW 1971, 2226). Deshalb kann die Geltendmachung vertraglicher
Rechte unzulässig sein, wenn der Vertragsschluss durch unredliches Verhalten
herbeigeführt worden ist (Bamberger/Roth/Sutschet BGB 3. Aufl. § 242 Rn. 60;
MünchKommBGB/Roth/Schubert 6. Aufl. § 242 Rn. 244). Gleiches gilt für die
Inanspruchnahme des Verpflichteten aus einer Sicherheit, die für die durch ein
rechtlich zu missbilligendes Verhalten entstandene Forderung bestellt worden
ist. Beruhen der Vertragsschluss und die Bestellung der Sicherheit allerdings
wie im vorliegenden Fall auf der rechtskräftigen Verurteilung des Verpflichteten
zur Abgabe der entsprechenden Willenserklärungen, muss der Einwand der
unzulässigen Rechtsausübung auf besonders schwerwiegende, eng begrenzte
Ausnahmefälle beschränkt bleiben, weil jede Ausdehnung das Institut der
Rechtskraft aushöhlen, die Rechtssicherheit beeinträchtigen und den Eintritt
des Rechtsfriedens in untragbarer Weise in Frage stellen würde (vgl. BGHZ
101, 380 = NJW 1987, 3256, 3257 zu § 826 BGB; vgl. auch Senatsurteil vom
19. Februar 1986 - IVb ZR 71/84 - NJW 1986, 1751, 1753). Die Rechtskraft eines materiell unrichtigen Titels muss aber dann zurücktreten, wenn es mit dem
Gerechtigkeitsgedanken schlechthin unvereinbar wäre, dass der Titelgläubiger
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seine formelle Rechtsstellung unter Missachtung der materiellen Rechtslage zu
Lasten des Schuldners ausnutzt.
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(2) Auf dieser rechtlichen Grundlage hat das Berufungsgericht zu Recht
angenommen, dass die Antragstellerin einer Inanspruchnahme aus dem Darlehen den Einwand der unzulässigen Rechtsausübung entgegenhalten könnte.
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Das Bundesverfassungsgericht hat mit Urteil vom 7. Juli 2005 (FamRZ
2005, 1051 ff.) entschieden, dass es gegen die Verfassung verstößt, wenn ein
zivilrechtlich nicht gegebener Anspruch auf Elternunterhalt mit Hilfe eines vom
Sozialhilfeträger gewährten Darlehens begründet werden soll. Zur Begründung
hat das Bundesverfassungsgericht im Wesentlichen darauf abgestellt, dass ein
Unterhaltsanspruch für einen vergangenen Zeitraum nicht mit einer Leistungsfähigkeit zu einem Zeitpunkt begründet werden könne, der erst nach dem Ende
dieses Zeitraums liege. Denn sowohl das Unterhaltsrecht wie auch das Sozialhilferecht setzten bei einem Unterhaltsanspruch voraus, dass Bedürftigkeit beim
Berechtigten und Leistungsfähigkeit beim Pflichtigen zeitgleich vorlägen (vgl.
BVerfG FamRZ 2005, 1051, 1053). Außerdem widerspreche die Begründung
einer Leistungsfähigkeit des pflichtigen Kindes im Wege eines vom Sozialhilfeträgers gewährten Darlehens dem Zweck des Sozialhilferechts. Könne man die
Leistungsfähigkeit des pflichtigen Kindes mit Hilfe eines Darlehens herstellen,
habe es der Sozialhilfeträger in der Hand, einen Sozialhilfeanspruch nicht zum
Tragen kommen zu lassen. Dies hätte zur Folge, dass ein Bedürftiger zwar
selbst mit der Geltendmachung eines Unterhaltsanspruchs gegenüber einem
nicht leistungsfähigen Unterhaltspflichtigen scheitern würde, der Sozialhilfeträger jedoch mit einem entsprechenden Darlehensangebot den Unterhaltsanspruch begründen und sich damit von seiner Verpflichtung zur Sozialhilfegewährung befreien könnte. Das liefe dem Sozialstaatsgebot zuwider, welches
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fordere, Menschen einen Anspruch auf staatliche Hilfe zukommen zu lassen,
um so ihr Existenzminimum zu sichern (vgl. BVerfG FamRZ 2005, 1051, 1053).
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(3) Die tragenden Erwägungen dieser Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts sind auch für die Beurteilung des hier zu entscheidenden Falles
maßgeblich. Der Sachverhalt, der der Verurteilung der Antragstellerin zur Annahme des Darlehensangebots zu Grunde lag, unterscheidet sich nicht wesentlich von dem der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Die Rechtsbeschwerde vertritt insoweit zwar die Auffassung, das Amtsgericht sei im vorliegenden Fall von der unterhaltsrechtlichen Leistungsfähigkeit der Antragstellerin
ausgegangen. Deren Leistungsfähigkeit sei daher - anders als in dem vom
Bundesverfassungsgericht entschiedenen Fall - nicht erst durch die Darlehensgewährung herbeigeführt worden. Dabei verkennt die Rechtsbeschwerde jedoch, dass das Amtsgericht die Leistungsfähigkeit der Antragstellerin gemäß
§ 1603 Abs. 1 BGB im Zeitraum der Gewährung der Pflegeleistungen gerade
nicht zweifelsfrei festgestellt hat. Das Amtsgericht hat in seiner Entscheidung
ohne eingehende Prüfung der Problematik und ohne eine überzeugende Begründung zwar ausgeführt, die Antragstellerin sei verpflichtet, ihren Vermögensstamm für die Unterhaltsleistungen einzusetzen. An anderer Stelle führt
das Amtsgericht jedoch aus, dass es der Antragstellerin nicht möglich sei, ein
Darlehen zu banküblichen Zinsen aufzunehmen. Ohne die unterhaltsrechtliche
Leistungsfähigkeit der Antragstellerin abschließend zu klären, hat das Amtsgericht dann die Auffassung vertreten, dass es ihr jedenfalls zumutbar sei, das
von der Antragsgegnerin angebotene Darlehen anzunehmen und dieses durch
eine Grundschuld auf ihrem Miteigentumsanteil zu sichern. Darauf hatte auch
das Landgericht Duisburg in seiner Entscheidung vom 3. Mai 1996 abgestellt,
die vom Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig beanstandet wurde.
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Obwohl der Antragsgegner zum Zeitpunkt der amtsgerichtlichen Entscheidung noch keine Kenntnis davon haben konnte, dass es verfassungsrechtlich unzulässig ist, übergeleitete Ansprüche auf Elternunterhalt bei leistungsunfähigen Kindern durch die Hingabe zinsloser Darlehen des Sozialhilfeträgers
durchzusetzen und es ihm daher nicht vorgeworfen werden kann, den Anspruch
auf Darlehensrückzahlung durch eine unredliche Verhaltensweise erworben zu
haben, verhält er sich rechtsmissbräuchlich, wenn er nunmehr in Kenntnis der
Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts an der erlangten Rechtsposition
festhält. Der Antragsgegner ist als Träger öffentlicher Gewalt gemäß Art. 20
Abs. 3 GG an Recht und Gesetz gebunden. Daraus lässt sich die Verpflichtung
der vollziehenden Gewalt ableiten, die rechtswidrigen Folgen ihrer Amtshandlungen wieder zu beseitigen (BVerwG NJW 1985, 817, 818). Dem Antragsgegner ist daher zuzumuten, sein zukünftiges Verhalten an der materiellen Rechtslage auszurichten und die auf die weitere Geltendmachung der Rechte, die er
durch das rechtskräftige, aber materiellrechtlich fehlerhafte Urteil erworben hat,
zu verzichten. Kommt er dieser Verpflichtung nicht nach, kann sich der Verpflichtete ihm gegenüber auf den rechtsvernichtenden Einwand des rechtmissbräuchlichen Verhaltens berufen.
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(4) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde wird dadurch das
Konterkarierungsverbot aus § 79 Abs. 2 Satz 4 BVerfGG nicht verletzt.
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Die Rechtsfolgen, die sich aus Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts für zivilgerichtliche Urteile ergeben, die nicht mehr mit ordentlichen
Rechtsmitteln angefochten werden können, bestimmen sich nach § 79
BVerfGG. Diese Vorschrift findet nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts analoge Anwendung, wenn eine nicht mehr anfechtbare gerichtliche Entscheidung auf einer über den Einzelfall hinausgehenden Auslegungsvariante beruht, deren Verfassungswidrigkeit durch eine Entscheidung des Bun-
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desverfassungsgerichts festgestellt worden ist (BVerfG FamRZ 2006, 253,
254).
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Nach § 79 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG bleiben also vorbehaltlich der Vorschrift des § 95 Abs. 2 BVerfGG oder einer besonderen gesetzlichen Regelung
die nicht mehr anfechtbaren zivilgerichtlichen Entscheidungen, die auf einer
verfassungswidrigen Rechtsprechung beruhen, grundsätzlich unberührt. Dieser
Regelung ist der allgemeine Rechtsgrundsatz zu entnehmen, dass eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, mit der die Verfassungswidrigkeit
festgestellt wird, grundsätzlich keine Auswirkung auf abgewickelte Rechtsbeziehungen haben soll (BVerfG MDR 1972, 483; Lechner/Zuck BVerfGG 6. Aufl.
§ 79 Rn. 3). Unanfechtbar gewordene Zivilurteile, die auf verfassungswidriger
Grundlage zu Stande gekommen sind, sollen nicht rückwirkend aufgehoben
und die nachteiligen Wirkungen, die in der Vergangenheit von ihnen ausgegangen sind, nicht beseitigt werden (BVerfG FamRZ 2007, 337 f.). Diese grundlegende Wertung des § 79 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG sichert das in § 79 Abs. 2
Satz 4 BVerfGG enthaltene Konterkarierungsverbot zusätzlich ab (vgl. Graßhof
in Umbach/Clemens/Dollinger BVerfGG 2. Aufl. § 79 Rn. 2; Maunz/SchmidtBleibtreu/Klein/Bethge BVerfGG [Stand: 2012] § 79 Rn. 66).
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§ 79 Abs. 2 Satz 2 und 3 BVerfGG erweitert allerdings den Rechtsschutz
des Betroffenen gegenüber dem sonstigen Verfahrensrecht, indem die Vorschrift eine (weitere) Vollstreckung der Entscheidung verbietet, weil die Hinnahme von Vollstreckungsmaßnahmen trotz der vom Bundesverfassungsgericht festgestellten Verfassungswidrigkeit des zu Grunde liegenden Gesetzes
eine besondere Härte darstellen würde (Graßhof in Umbach/Clemens/Dollinger
BVerfGG 2. Aufl. § 79 Rn. 2). Diese Regelung zeigt, dass die Beseitigung der
Wirkung rechtskräftiger Gerichtsentscheidungen, die auf einer verfassungswidrigen Rechtsgrundlage beruhen, für die Zukunft nicht ausgeschlossen ist. § 79
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Abs. 2 Satz 1 BVerfGG verlangt also nicht, dass Entscheidungen, die auf einer
verfassungswidrigen Rechtsanwendung beruhen, so behandelt werden müssen, als ob die Verfassungswidrigkeit nicht gegeben sei (Graßhof in Umbach/
Clemens/Dollinger BVerfGG 2. Aufl. § 79 Rn. 31 mwN). Die nachträglich erkannte Verfassungswidrigkeit einer Rechtsanwendung soll im Interesse des
Rechtsfriedens und der Rechtssicherheit nur nicht dazu führen, dass vollständig
abgeschlossene Rechtsbeziehungen wieder rückabgewickelt werden müssen.
Dagegen kann für die in die Zukunft gerichteten Wirkungen der gerichtlichen
Entscheidung die materielle Gerechtigkeit wieder in den Vordergrund treten.
Ähnlich wie bei Verwaltungsakten mit Dauerwirkung verbietet § 79 Abs. 2
BVerfGG nur die Korrektur des verfassungswidrigen Hoheitsaktes für die Vergangenheit, aber nicht eine Anpassung der in die Zukunft gerichteten Wirkungen an die verfassungsmäßige Rechtslage (Graßhof in Umbach/Clemens/
Dollinger BVerfGG 2. Aufl. § 79 Rn. 31 mwN).
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Dies zeigt auch § 79 Abs. 2 Satz 3 BVerfGG, wonach der Verpflichtete
bei einer Zwangsvollstreckung aus einem zivilgerichtlichen Urteil die Verfassungswidrigkeit der Entscheidung im Wege einer Vollstreckungsgegenklage
nach § 767 ZPO geltend machen kann. Danach kann der Verpflichtete zwar die
Rechtskraft eines auf einer verfassungswidrigen Rechtsanwendung beruhenden Urteils nicht mehr beseitigen. Der Berechtigte kann aber die formale
Rechtsposition, die er durch das rechtskräftige Urteil erlangt hat, nicht mehr
zwangsweise durchsetzen. § 79 Abs. 2 Satz 1 und 3 BVerfGG schafft dadurch
einen angemessenen Ausgleich zwischen Rechtssicherheit einerseits und materieller Gerechtigkeit andererseits, der auch bei Urteilen mit Gestaltungswirkung, die keiner weiteren Vollstreckung mehr bedürfen, Berücksichtigung finden
muss. Bei Gestaltungsurteilen kann daher zwar die mit der Rechtskraft der Entscheidung eingetretene Wirkung nicht nachträglich wieder beseitigt werden. Die
Regelungen in § 79 Abs. 2 Satz 1 und 4 BVerfGG verbieten es jedoch nicht, die
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Verfassungswidrigkeit des Gestaltungsurteils in anderen Rechtsstreitigkeiten
geltend zu machen.
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(5) Auf dieser rechtlichen Grundlage durfte das Beschwerdegericht die
Verfassungswidrigkeit des amtsgerichtlichen Urteils im vorliegenden Verfahren
berücksichtigen. Zwar weist die Rechtsbeschwerde zutreffend darauf hin, dass
eine weitere Vollstreckung aus dem amtsgerichtlichen Urteil nicht erforderlich
ist, weil die Antragstellerin zur Abgabe von Willenserklärungen verurteilt worden
ist, die nach § 894 Satz 1 ZPO mit der Rechtskraft des Urteils als abgegeben
gelten. Die Verpflichtungen, zu denen die Antragstellerin verurteilt worden ist,
sind erfüllt und das amtsgerichtliche Verfahren ist daher mit Eintritt der Rechtskraft des Urteils vollständig abgeschlossen. Das Urteil wirkt allerdings noch insoweit fort, als infolge der Entscheidung zwischen der Antragstellerin und dem
Antragsgegner ein Darlehensvertrag besteht, der die Antragstellerin bzw. ihre
Erben zur Rückzahlung der Darlehensforderung verpflichtet, und sie die Belastung ihres Grundeigentums mit der zu Gunsten des Antragsgegners bestellten
Grundschuld hinnehmen muss. Einer Korrektur dieser künftigen Urteilsfolgen
durch die Annahme, die Antragstellerin könne einer Inanspruchnahme aus dem
Darlehen den Einwand der unzulässigen Rechtsausübung (§ 242 BGB) entgegenhalten, steht weder die Fortbestandsgarantie des § 79 Abs. 2 Satz 1
BVerfGG noch das Konterkarierungsverbot des § 79 Abs. 2 Satz 4 BVerfGG
entgegen. Die vom Beschwerdegericht vertretene zutreffende Rechtsauffassung führt nicht zu einer Rückabwicklung des Entscheidungsausspruchs des
Urteils vom 1. August 1997. Die Verfassungswidrigkeit dieses Urteils hat lediglich zur Folge, dass die Antragstellerin nunmehr einer Inanspruchnahme auf-
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grund des Darlehensvertrages die Einrede des rechtsmissbräuchlichen Verhaltens entgegenhalten kann und der Antragsgegner deswegen aus dem Sicherungsvertrag zur Rückgewähr der Grundschuld verpflichtet ist.
Dose
Vézina
Günter
Klinkhammer
Botur
Vorinstanzen:
AG Schöneberg, Entscheidung vom 26.08.2010 - 80 F 175/10 KG Berlin, Entscheidung vom 11.01.2011 - 13 UF 199/10 -