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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
XII ZB 427/17
vom
19. September 2018
in der betreuungsgerichtlichen Zuweisungssache
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
FamFG § 70 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, 340 Nr. 1
a) Gegen Entscheidungen in betreuungsgerichtlichen Zuweisungssachen ist die
zulassungsfreie Rechtsbeschwerde nach § 70 Abs. 3 FamFG nicht statthaft.
b) Hat das Beschwerdegericht die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen, kann
das Rechtsbeschwerdegericht auch dann nicht selbst über die Zulassung der
unstatthaften Rechtsbeschwerde entscheiden, wenn das Beschwerdegericht
das Vorliegen eines Zulassungsgrunds verkannt hat (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 9. Juli 2014 - XII ZB 7/14 - FamRZ 2014, 1620).
BGH, Beschluss vom 19. September 2018 - XII ZB 427/17 - LG Ravensburg
Notariat II Laupheim
ECLI:DE:BGH:2018:190918BXIIZB427.17.0
-2-
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 19. September 2018 durch
den Vorsitzenden Richter Dose und die Richter Prof. Dr. Klinkhammer,
Dr. Günter, Dr. Nedden-Boeger und Guhling
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerden gegen den Beschluss der 2. Zivilkammer
des Landgerichts Ravensburg vom 15. März 2017 werden auf
Kosten der weiteren Beteiligten zu 2, 3 und 4 verworfen.
Beschwerdewert: 5.000 €
Gründe:
I.
1
Die Beteiligten zu 2, 3 und 4 wenden sich gegen die Anordnung einer
Pflegschaft zugunsten einer durch Testament errichteten Stiftung von Todes
wegen.
2
Der im Juni 2013 verstorbene Dipl.-Ing. A. M. (nachfolgend: Erblasser)
setzte in seinem Testament die Dipl.-Ing. A. M. Stiftung (nachfolgend: Stiftung)
als Alleinerbin ein. Gleichzeitig ordnete er die Errichtung der Stiftung von Todes
wegen an, falls diese im Zeitpunkt seines Todes noch nicht errichtet sein sollte.
Zugunsten der Beteiligten zu 1 setzte er verschiedene Vermächtnisse aus. Das
Nachlassgericht erteilte im November 2013 einen Erbschein, wonach die Beteiligten zu 2 und 3 als Kinder des Erblassers je zur Hälfte Alleinerben geworden
sind.
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3
Im Dezember 2016 hat die Beteiligte zu 1 beim Notariat L. - Nachlassgericht - beantragt, einen Nachlasspfleger für die Stiftung zu bestellen. Diesen
Antrag hat das Notariat L. - Betreuungsgericht - zurückgewiesen. Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 1 hat das Landgericht den Beteiligten zu 4 als Pfleger für die Stiftung bestellt. Die Rechtsbeschwerde hat es nicht zugelassen.
Gegen diesen Beschluss wenden sich die Beteiligten zu 2 und 3 als Erben sowie der Beteiligte zu 4 als Pfleger im eigenen Namen mit ihren Rechtsbeschwerden.
II.
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Die Rechtsbeschwerden sind unzulässig, da sie nach § 70 FamFG nicht
statthaft sind. Das Beschwerdegericht hat die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen (§ 70 Abs. 1 FamFG). Die Voraussetzungen für eine zulassungsfreie
Rechtsbeschwerde nach § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FamFG liegen nicht vor.
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1. Nach § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FamFG ist in Betreuungssachen die
Rechtsbeschwerde ohne Zulassung statthaft, wenn sie sich gegen einen Beschluss des Beschwerdegerichts zur Bestellung eines Betreuers, zur Aufhebung einer Betreuung oder zur Anordnung oder Aufhebung eines Einwilligungsvorbehalts richtet. Die Regelung knüpft damit an die gleichlautende Definition
des Begriffs der Betreuungssachen in § 271 Nr. 1 und 2 FamFG an. Daraus
folgt, dass die zulassungsfreie Rechtsbeschwerde nur in den Fällen statthaft ist,
die von § 271 Nr. 1 und 2 FamFG erfasst werden (vgl. Senatsbeschlüsse vom
25. Mai 2011 - XII ZB 283/10 - FamRZ 2011, 1219 Rn. 10 und vom 15. September 2010 - XII ZB 166/10 - FamRZ 2010, 1897 Rn. 8).
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6
Die angegriffene Entscheidung betrifft allerdings keine Betreuungssache
im Sinne der §§ 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, 271 Nr. 1 und 2 FamFG. Das Landgericht hat mit der angegriffenen Entscheidung in analoger Anwendung der
§§ 1912, 1913, 1960 Abs. 1 Satz 2 BGB der Stiftung für die Wahrnehmung ihrer
Rechte bis zur Anerkennung ihrer Rechtsfähigkeit den Beteiligten zu 4 als Pfleger bestellt. Verfahren, die eine Pflegschaft nach §§ 1911, 1913 oder 1914 BGB
betreffen, sind nach § 340 Nr. 1 FamFG nicht als Betreuungssachen, sondern
als betreuungsgerichtliche Zuweisungssachen zu qualifizieren (vgl. Keidel/
Budde FamFG 19. Aufl. § 340 Rn. 2; Schulte-Bunert/Weinreich/Rausch FamFG
5. Aufl. § 340 Rn. 5), für die das Gesetz keine besonderen Verfahrensvorschriften vorsieht. Insbesondere enthalten die §§ 340, 341 FamFG keine allgemeine
Verweisung auf die Vorschriften über Betreuungssachen in §§ 271 bis 311
FamFG. Soweit in § 341 FamFG für die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit
in betreuungsgerichtlichen Zuweisungssachen auf § 272 FamFG verwiesen
wird, bezweckt die Regelung nur, die nach früherem Recht in zahlreichen verstreuten Einzelvorschriften geregelten Zuständigkeiten des Vormundschaftsgerichts außerhalb des Betreuungs- und Unterbringungsrechts beim Betreuungsgericht zu bündeln (Schulte-Bunert/Weinreich/Rausch FamFG 5. Aufl. § 340
Rn. 1; vgl. auch BT-Drucks. 16/6308 S. 276). Entgegen der von den Rechtsbeschwerden vertretenen Auffassung kann deshalb die Bestellung eines Pflegers
nach §§ 1911, 1913 oder 1914 BGB nicht einer Betreuungssache iSv § 271
Nr. 1 und 2 FamFG gleichgestellt werden.
7
Eine entsprechende Anwendung der Vorschrift auf betreuungsgerichtliche Zuweisungssachen iSv § 340 FamFG, insbesondere auf die Pflegerbestellung nach §§ 1911, 1913 oder 1914 BGB, ist aufgrund des Ausnahmecharakters der Vorschrift und des Fehlens einer planwidrigen Regelungslücke ebenfalls nicht möglich (vgl. auch MünchKommFamFG/Ansgar Fischer 2. Aufl. § 70
Rn. 29). Dabei kann dahinstehen, ob die umfassende Anordnung einer Pfleg-
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schaft für die Stiftung der Errichtung einer Betreuung vom Inhalt und der belastenden Wirkung gleichkommt, wie es von den Rechtsbeschwerden angenommen wird. Mit der Regelung des § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FamFG wollte der Gesetzgeber einen zulassungsfreien Zugang zum Bundesgerichtshof schaffen, um
in Betreuungs-, Unterbringungs- und Freiheitsentziehungssachen und somit in
Verfahren, in denen gerichtliche Entscheidungen mit besonders hoher Intensität
in höchstpersönliche Rechte der Beteiligten eingreifen, eine Verbesserung des
Rechtsschutzes zu schaffen (vgl. Keidel/Meyer-Holz FamFG 19. Aufl. § 70
Rn. 45; vgl. auch Bericht und Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses
BT-Drucks. 16/9733 S. 290). Während in Unterbringungs- und Freiheitsentziehungssachen die Vorschrift keine Einschränkung enthält, sieht § 70 Abs. 3
Satz 1 Nr. 1 FamFG in Betreuungssachen die Statthaftigkeit der zulassungsfreien Rechtsbeschwerde nur für Entscheidungen vor, die die Bestellung eines
Betreuers, die Aufhebung einer Betreuung oder die Anordnung bzw. Aufhebung
eines Einwilligungsvorbehalts zum Inhalt haben. Damit benennt das Gesetz für
Betreuungssachen abschließend die Entscheidungen, in denen der Gesetzgeber Anlass für eine Ausnahme von dem Zulassungserfordernis nach § 70
Abs. 1 FamFG gesehen hat (vgl. BeckOK FamFG/Obermann [Stand: 1. Juli
2018] § 70 Rn. 34).
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2. Schließlich kann die Zulassung der Rechtsbeschwerde auch nicht vom
Rechtsbeschwerdegericht nachgeholt werden.
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Bedarf die Rechtsbeschwerde gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO der
Zulassung durch das Beschwerdegericht, so findet dieses Rechtsmittel nur
statt, wenn es in der Beschwerdeentscheidung ausdrücklich zugelassen worden
ist. Enthält eine Beschwerdeentscheidung keine Ausführungen über die Zulassung der Rechtsbeschwerde, ist der Rechtsweg erschöpft. Der Bundesgerichtshof kann mit der Sache nicht mehr in statthafter Weise befasst werden.
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Das gilt unabhängig davon, welche Erwägungen der Entscheidung des Beschwerdegerichts zu Grunde lagen, die Rechtsbeschwerde nicht zuzulassen.
An einer Zulassung fehlt es auch, wenn das Beschwerdegericht sich über sie
keine Gedanken gemacht hat, weil es die grundsätzliche Bedeutung der Sache
oder die Abweichung von einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs nicht
erkannt hat oder rechtsirrig davon ausgegangen ist, die Rechtsbeschwerde sei
kraft Gesetzes statthaft. Der Gesetzgeber hat bewusst von der Möglichkeit einer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde abgesehen.
Es widerspräche der gesetzlichen Unanfechtbarkeit auch der Entscheidung
über die Zulassung, wenn diese im Rechtsmittelweg daraufhin überprüft werden
könnte, ob das Beschwerdegericht die ihm obliegende Verantwortung für die
Zulassungsentscheidung erkannt hat (Senatsbeschluss vom 9. Juli 2014
- XII ZB 7/14 - FamRZ 2014, 1620 Rn. 20 mwN; BGH Beschluss vom 10. Mai
2012 - IX ZB 295/11 - NJW-RR 2012, 1509 Rn. 15 f. mwN).
Dose
Klinkhammer
Nedden-Boeger
Günter
Guhling
Vorinstanzen:
Notariat II Laupheim
LG Ravensburg, Entscheidung vom 15.03.2017 - 2 T 5/17 -