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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
XII ZB 313/15
vom
3. Februar 2016
in der Familiensache
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
VersAusglG §§ 43, 51; FamFG § 226 Abs. 4
a) Nach dem Beginn des Bezugs einer Vollrente wegen Alters ist der
Ausgleichswert in der gesetzlichen Rentenversicherung allein aus den auf
die Ehezeit entfallenden Entgeltpunkten der tatsächlich bezogenen Altersrente zu ermitteln (im Anschluss an die Senatsbeschlüsse vom 14. Oktober
1981 - IVb ZB 504/80 - FamRZ 1982, 33 und vom 11. April 1984
- IVb ZB 876/80 - FamRZ 1984, 673 und in Abgrenzung zu den Senatsbeschlüssen vom 18. Januar 2012 - XII ZB 696/10 - FamRZ 2012, 509 und
vom 21. März 2012 - XII ZB 372/11 - FamRZ 2012, 847).
b) In einem Abänderungsverfahren über den Versorgungsausgleich, welches
Zeiträume vor dem 1. Juli 2014 einbezieht, sind die Wirkungen des Versorgungsausgleichs, sofern sich die Regelungen über die sog. "Mütterrente"
auswirken, durch Übertragung entsprechender Entgeltpunkte für die Zeit bis
zum 30. Juni 2014 und die Zeit ab dem 1. Juli 2014 gesondert auszusprechen.
BGH, Beschluss vom 3. Februar 2016 - XII ZB 313/15 - Kammergericht Berlin
AG Pankow/Weißensee
ECLI:DE:BGH:2016:030216BXIIZB313.15.0
-2-
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 3. Februar 2016 durch den
Vorsitzenden Richter Dose, die Richterin Weber-Monecke und die Richter
Dr. Klinkhammer, Dr. Nedden-Boeger und Guhling
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der weiteren Beteiligten zu 1 wird der
Beschluss des 13. Zivilsenats des Kammergerichts in Berlin vom
19. Juni 2015 teilweise aufgehoben.
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des
Amtsgerichts Pankow/Weißensee vom 20. Juli 2014 zu Ziffer 1c
unter Aufrechterhaltung im Übrigen wie folgt geändert:
c. Im Wege der internen Teilung wird zu Lasten des Anrechts der Antragsgegnerin bei der Deutschen Rentenversicherung Bund (Vers.-Nr.
) zuguns-
ten des Antragstellers ein Anrecht von 2,0139 Entgeltpunkten mit Wirkung ab dem 1. Oktober 2013 bis zum
30. Juni 2014 und in Höhe von 2,5139 Entgeltpunkten
mit Wirkung ab dem 1. Juli 2014, jeweils bezogen auf
den 31. März 1982, übertragen.
Die Kosten der Rechtsbeschwerde werden unter den beteiligten
Ehegatten gegeneinander aufgehoben.
Beschwerdewert: bis 4.000 €
-3-
Gründe:
I.
1
Auf den am 13. April 1982 zugestellten Antrag wurde die am 3. August
1967 geschlossene Ehe des Antragstellers (im Folgenden: Ehemann) und der
Antragsgegnerin (im Folgenden: Ehefrau) geschieden. Aus der Ehe gingen zwei
1968 und 1983 geborene Kinder hervor.
2
Nach den im Scheidungsverfahren erteilten Auskünften hatte der Ehemann während der Ehezeit (1. August 1967 bis 31. März 1982; § 1587 Abs. 2
BGB aF, vgl. auch § 3 Abs. 1 VersAusglG) Versorgungsanwartschaften in der
gesetzlichen Rentenversicherung in Höhe von monatlich 630,40 DM und solche
aus einer Beamtenversorgung des Bundes in Höhe von monatlich 1.049,38 DM
erworben. Die Ehefrau hatte danach bis zum 15. August 1981 Anwartschaften
bei der DRV Bund in Höhe von monatlich 87,50 DM erworben. Am 1. Januar
1982 wurde sie in ein Beamtenverhältnis auf Probe berufen. Den Versorgungsausgleich regelte das Familiengericht, indem es im Wege des Splittings vom
Versicherungskonto des Ehemanns in der gesetzlichen Rentenversicherung
Rentenanwartschaften in Höhe von monatlich 271,45 DM auf das Versicherungskonto der Ehefrau übertrug. Wegen des vom Ehemann erworbenen Anrechts auf Beamtenversorgung wurden weitere Anwartschaften in Höhe von
monatlich 524,69 DM im Wege des Quasi-Splittings (§ 1587 b Abs. 2 BGB) auf
dem Versicherungskonto der Ehefrau begründet, bezogen jeweils auf den
31. März 1982.
3
Beide Ehegatten beziehen inzwischen Alterseinkünfte.
4
Am 27. September 2013 hat der Ehemann die Abänderung der Entscheidung über den Versorgungsausgleich beantragt. Nach den vom Familien-
-4-
gericht neu eingeholten Versorgungsauskünften hat der Ehemann während der
Ehezeit 20,8606 Entgeltpunkte mit einem Ausgleichswert von 10,4303 Entgeltpunkten in der gesetzlichen Rentenversicherung sowie ein Anrecht in der Bundesbeamtenversorgung von monatlich 707,67 DM (= 361,83 €) mit einem Ausgleichswert von 353,84 DM (= 180,92 €) und einem korrespondieren Kapitalwert
von 68.085,44 DM (= 34.811,53 €) erworben. Die Ehefrau hat danach 4,0676
Entgeltpunkte mit einem Ausgleichswert von 2,0338 Entgeltpunkten in der gesetzlichen Rentenversicherung erworben. Die von der DRV Bund erteilten Auskünfte beruhten auf der Berechnung nach einer fiktiven Vollrente wegen Alters.
Das Familiengericht hat die Erstentscheidung über den Versorgungsausgleich
mit Wirkung ab 1. Oktober 2013 abgeändert und die interne Teilung der genannten Anrechte zu den jeweils angegebenen Ausgleichswerten angeordnet.
5
Hiergegen hat der Ehemann Beschwerde eingelegt mit dem Ziel, das
bis dahin noch unberücksichtigte Anrecht der Ehefrau aus ihrer Beamtenstellung auf Probe sowie die erhöhten Anwartschaften der Ehefrau aufgrund verbesserter rentenrechtlicher Anerkennung von Erziehungszeiten nach dem Gesetz über Leistungsverbesserungen in der gesetzlichen Rentenversicherung
(RV-Leistungsverbesserungsgesetz, sog. Mütterrente) in den Versorgungsausgleich einzubeziehen.
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Nach der vom Beschwerdegericht neu eingeholten Versorgungsauskunft
beträgt der Ehezeitanteil der Ehefrau in der gesetzlichen Rentenversicherung
unter Berücksichtigung der "Mütterrente" nunmehr 5,0277 Entgeltpunkte mit
einem Ausgleichswert von 2,5139 Entgeltpunkten. Diese Auskunft beruht auf
einer Neuberechnung auf der Grundlage des Rentenbescheids der Ehefrau.
Danach ergibt sich die Änderung von ursprünglich 4,0676 Entgeltpunkten auf
nunmehr 5,0277 Entgeltpunkte aus der Berücksichtigung der "Mütterrente" ab
1. Juli 2014 und im Übrigen aus einer geänderten Rechtsauffassung der DRV
-5-
Bund, wonach die Gesamtleistungsbewertung für beitragsgeminderte und beitragsfreie Zeiten nunmehr nach der tatsächlich bewilligten Rente vorzunehmen
sei.
7
Das Beschwerdegericht hat die Entscheidung hinsichtlich der Teilung
des in der gesetzlichen Rentenversicherung erworbenen Anrechts der Ehefrau
abgeändert und insoweit im Wege der internen Teilung eine Übertragung von
2,0338 Entgeltpunkten und ab dem 1. Juli 2014 von 2,5338 Entgeltpunkten auf
das Konto des Ehemanns angeordnet sowie die weitergehende Beschwerde
des Ehemanns zurückgewiesen. Mit ihrer Rechtsbeschwerde verfolgt die DRV
Bund einen Wertausgleich zugunsten des Ehemanns ab dem 1. Oktober 2013
in Höhe von 2,0139 Entgeltpunkten und ab dem 1. Juli 2014 in Höhe von
2,5139 Entgeltpunkten.
II.
8
Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.
9
1. Das Beschwerdegericht hat seine in juris veröffentlichte Entscheidung
wie folgt begründet: Die Voraussetzungen für eine Abänderung der früheren
Entscheidung über den Versorgungsausgleich lägen vor, da eine wesentliche
Änderung bei der Beamtenversorgung des Ehemanns eingetreten sei.
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Nicht in die Neuberechnung einzubeziehen sei allerdings das bislang unberücksichtigte Anrecht der Ehefrau aus ihrer Beamtenstellung auf Probe. § 51
Abs. 1 VersAusglG sehe nur eine Abänderung derjenigen Anrechte vor, die bereits Gegenstand der Erstentscheidung gewesen seien. Es fehle daher an der
Möglichkeit, das in der Erstentscheidung unberücksichtigte Anrecht im Abänderungsverfahren erstmals geltend zu machen, gleich ob das Anrecht nach bishe-
-6-
rigem Recht dem Versorgungsausgleich nicht unterlegen habe oder ob es
übersehen worden sei.
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Der Versorgungsausgleich sei im Hinblick auf das ursprünglich übersehene und jetzt nicht mehr zu berücksichtigende Anrecht auch nicht gemäß § 27
VersAusglG in umgekehrter Richtung teilweise auszuschließen. Grobe Unbilligkeit könne nur auf Umstände gestützt werden, die nach dem Erlass der abzuändernden Entscheidung über den Versorgungsausgleich entstanden seien.
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Erfolg habe die Beschwerde aber insoweit, als aufgrund der am 1. Juli
2014 in Kraft getretenen Regelungen über die "Mütterrente" ab dieser Zeit ein
zusätzlicher Entgeltpunkt zugunsten der Ehefrau für das 1968 in der Ehezeit
geborene Kind zu berücksichtigen sei.
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Entgegen der Auffassung der DRV Bund könne aber nicht für die Zeit ab
1. Juli 2014 von einem ehezeitlichen Anrecht von 5,0277 Entgeltpunkten ausgegangen werden. Denn diese Auskunft beruhe auf dem lange nach der
Ehezeit ergangenen Rentenbescheid und berücksichtige bei der Gesamtleistungsbewertung von beitragsfreien und beitragsgeminderten Zeiten die Entwicklung nach dem Ende der Ehezeit. Zutreffend habe zwar die DRV Bund im Rentenbescheid für die Gesamtleistungszeit die Entwicklung bis zum Bezug der
Rente wegen Alters berücksichtigt. Diese Berechnung könne aber im Versorgungsausgleich nicht übernommen werden, wenn - wie hier - der Rentenbeginn
erst lange nach dem Ende der Ehezeit eingetreten sei. Denn die rentenrechtliche Bewertung dieser beitragsfreien und beitragsgeminderten Zeiten sei von
individuellen nachehezeitlichen Umständen des Versicherten abhängig. Sie beruhten auf der Höhe des nachehezeitlich erzielten Einkommens und hätten
deshalb keinen Bezug zur Ehezeit. Das Stichtagsprinzip des § 5 Abs. 2 Satz 1
VersAusglG verlange, dass derartige individuelle Veränderungen unberücksich-
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tigt blieben. Damit habe die Ehefrau bis zum 30. Juni 2014 ein Anrecht von
4,0676 Entgeltpunkten mit einem Ausgleichswert von 2,0338 Entgeltpunkten
und ab dem 1. Juli 2014 ein um einen Entgeltpunkt erhöhtes Anrecht von
5,0676 Entgeltpunkten mit einem Ausgleichswert von 2,5338 Entgeltpunkten
erworben. Die abgeänderte Entscheidung über den Versorgungsausgleich sei
deswegen nach entsprechenden Zeitabschnitten getrennt abzufassen.
14
2. Dies hält einer rechtlichen Nachprüfung in einem entscheidenden
Punkt nicht stand.
15
Gemäß § 51 Abs. 1 VersAusglG ändert das Gericht eine Entscheidung
über einen öffentlich-rechtlichen Versorgungsausgleich, die nach dem Recht
getroffen worden ist, das bis zum 31. August 2009 gegolten hat, bei einer wesentlichen Wertänderung auf Antrag ab, indem es die in den Ausgleich einbezogenen Anrechte nach den §§ 9 bis 19 VersAusglG teilt.
16
a) Die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Abänderung der Entscheidung über den öffentlich-rechtlichen Versorgungsausgleich liegen vor.
17
aa) Der Antrag auf Abänderung ist durch den nach § 52 Abs. 1
VersAusglG i.V.m. § 226 Abs. 1 FamFG antragsberechtigten Ehemann zulässig
gestellt; die Abänderung würde sich auch zu seinen Gunsten auswirken (vgl.
§ 225 Abs. 5 FamFG). Die Voraussetzung des § 226 Abs. 2 FamFG, wonach
der Antrag frühestens sechs Monate vor dem Zeitpunkt zulässig ist, ab dem ein
Ehegatte voraussichtlich eine laufende Versorgung aus dem abzuändernden
Anrecht bezieht oder dies auf Grund der Abänderung zu erwarten ist, ist in der
Person beider Ehegatten erfüllt, da sie bereits laufende Altersrenten beziehen.
18
bb) Die eingetretene Wertänderung übersteigt auch die in § 51 Abs. 2
VersAusglG i.V.m. § 225 Abs. 3 FamFG vorausgesetzten Wesentlichkeitsgren-
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zen. Nach diesen Bestimmungen ist die Wertänderung wesentlich, wenn sie
mindestens fünf Prozent des bisherigen Ausgleichswerts des Anrechts beträgt
(relative Wesentlichkeitsgrenze) und bei einem Rentenbetrag als maßgeblicher
Bezugsgröße ein Prozent, in allen anderen Fällen als Kapitalwert 120 Prozent
der am Ende der Ehezeit maßgeblichen monatlichen Bezugsgröße nach § 18
Abs. 1 SGB IV übersteigt (absolute Wesentlichkeitsgrenze), wobei es genügt,
wenn sich der Ausgleichswert nur eines Anrechts geändert hat.
19
(1) Der Ausgangsentscheidung war ein ehezeitlicher Ausgleichswert des
vom Ehemann in der Beamtenversorgung erworbenen Anrechts in Höhe von
524,69 DM (= 268,27 €) zugrunde gelegt worden. Nach den getroffenen Feststellungen beträgt der Ausgleichswert nunmehr 353,84 DM (= 180,92 €). Er hat
sich somit um 87,35 € verringert; das entspricht einer Wertänderung von über
fünf Prozent gegenüber dem früheren Ausgleichswert und übersteigt somit die
relative Wesentlichkeitsgrenze.
20
(2) Maßstab für die absolute Wesentlichkeitsgrenze ist im vorliegenden
Fall der Rentenbetrag als maßgebliche Bezugsgröße der Beamtenversorgung.
Die monatliche Bezugsgröße nach § 18 Abs. 1 SGB IV betrug zum Ende der
Ehezeit im Jahr 1982 (vgl. FamRZ 2015, 196) 2.460 DM (= 1.257,78 €); ein
Prozent davon betragen 24,60 DM (= 12,58 €). Der Änderungsbetrag von
87,35 € übersteigt somit auch die absolute Wesentlichkeitsgrenze.
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b) Die vorzunehmende Abänderung betrifft sämtliche Anrechte, die in
den durch die Ausgangsentscheidung geregelten Ausgleich einbezogen waren,
also auch die in der gesetzlichen Rentenversicherung erworbenen Ansprüche
der Ehefrau, um die es in der Rechtsbeschwerdeinstanz noch geht. Die Abänderung vollzieht sich, indem das Gericht die in den Ausgleich einbezogenen
Anrechte nunmehr nach den §§ 9 bis 19 VersAusglG teilt.
-9-
22
c) Gemäß § 1 Abs. 2 Satz 2 VersAusglG steht der ausgleichsberechtigten Person die Hälfte des Werts des jeweiligen Ehezeitanteils zu. Maßgeblicher
Zeitpunkt für die Bewertung ist das Ende der Ehezeit. Rechtliche oder tatsächliche Veränderungen nach dem Ende der Ehezeit, die auf den Ehezeitanteil zurückwirken, sind allerdings zu berücksichtigen (§ 5 Abs. 2 VersAusglG).
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aa) Die Wertermittlung für beitragsfreie und beitragsgeminderte Zeiten
erfolgt dabei im Wege der Gesamtleistungsbewertung nach den §§ 71 ff.
SGB VI. Diese hat das Beschwerdegericht allein auf der Grundlage der ehezeitlichen Anrechte und ohne Berücksichtigung nachehelich erzielter Entgeltpunkte
durchgeführt. Es hat sich dabei auf die Ausführungen in dem Senatsbeschluss
vom 18. Januar 2012 (XII ZB 696/10 - FamRZ 2012, 509 Rn. 28; vgl. außerdem
Senatsbeschluss vom 21. März 2012 - XII ZB 372/11 - FamRZ 2012, 847
Rn. 23) gestützt, wonach für die Gesamtleistungsbewertung grundsätzlich von
einem fiktiven Rentenbeginn zum Zeitpunkt des Endes der Ehezeit auszugehen
sei. Danach würde eine Berücksichtigung des nachehezeitlichen Versicherungsverlaufs bei der Gesamtleistungsbewertung gegen das Stichtagsprinzip
des § 5 Abs. 2 VersAusglG verstoßen, weshalb auch in einem späteren Abänderungsverfahren nach den §§ 225 f. FamFG nur von den ehezeitlichen Durchschnittswerten auszugehen sei.
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bb) Entgegen der Annahme des Beschwerdegerichts gilt dies allerdings
nur für die Bewertung eines Anrechts, das sich noch in der Anwartschaftsphase
befindet. Soweit sich aus der bisherigen Senatsrechtsprechung (vgl. Senatsbeschlüsse vom 18. Januar 2012 - XII ZB 696/10 - FamRZ 2012, 509 Rn. 22 ff.
und vom 21. März 2012 - XII ZB 372/11 - FamRZ 2012, 847 Rn. 16 ff.) etwas
anderes ergibt, hält der Senat daran nicht fest.
- 10 -
25
Während der Anwartschaftsphase ändern sich die Parameter für die Gesamtleistungsbewertung monatlich laufend und können im weiteren Versicherungsverlauf auch wieder umgekehrte Tendenzen annehmen. Es entspricht
deshalb auch der Vorstellung des Gesetzgebers, für die Gesamtleistungsbewertung grundsätzlich von einem fiktiven Rentenbeginn zum Zeitpunkt des Endes der Ehezeit auszugehen (BT-Drucks. 7/650 S. 226; BT-Drucks. 11/4124
S. 234).
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Bezieht der ausgleichspflichtige Ehegatte hingegen bereits die gesetzliche Rente, ist gesetzlich festgelegter Endzeitpunkt für die Ermittlung der Rente
und des belegungsfähigen Gesamtzeitraums im Rahmen der Gesamtleistungsbewertung nicht das Ende der Ehezeit, sondern der Kalendermonat vor Beginn
der Rente (§ 72 Abs. 2 SGB VI). Die endgültige gesetzliche Fixierung des Berechnungszeitpunkts auf diesen Monat stellt, wenn der Rentenbeginn nach dem
Ende der Ehezeit liegt, eine rechtliche und tatsächliche Änderung dar, die
gemäß § 5 Abs. 2 Satz 2 VersAusglG zu berücksichtigen ist. Bereits zum früheren Recht hatte der Senat deshalb entschieden, dass nach dem bereits
eingetretenen Bezug einer Vollrente wegen Alters anstelle des fiktiven Versorgungsanrechts die tatsächlich gezahlte Rente mit ihren Wertverhältnissen zu
berücksichtigen ist (Senatsbeschlüsse vom 14. Oktober 1981 - IVb ZB 504/80 FamRZ 1982, 33 und vom 11. April 1984 - IVb ZB 876/80 - FamRZ 1984, 673).
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Auf diese Weise werden die ehezeitlich erworbenen beitragsfreien und
beitragsgeminderten Zeiten zwar über die Durchschnittsberechnung der Gesamtleistungsbewertung nach den §§ 71 ff. SGB VI auch durch Beitragszeiten
beeinflusst, die nach dem Ende der Ehezeit bis zum Rentenbeginn erdient wurden. Das führt aber nicht dazu, dass die nachehelich erdienten Entgeltpunkte
entgegen § 5 Abs. 2 Satz 1 VersAusglG in die Ehezeit übertragen werden. Die
für die Rentenbemessung durchzuführende Durchschnittsberechnung aller
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rentenrelevanten Beiträge wirkt lediglich als Reflex i.S.v. § 5 Abs. 2 Satz 2
VersAusglG auf die in der Ehezeit liegenden beitragsfreien und beitragsgeminderten Zeiten zurück.
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Dem Versorgungsausgleich liegt nämlich die Konzeption zugrunde, dass
der auf die Ehejahre entfallende Rentenbetrag zusammen mit dem Rentenbetrag, der auf den außerhalb der Ehe liegenden Zeiten beruht, so hoch sein
muss wie die aus allen Zeiten berechnete Rente. Das vorgesehene Berechnungsverfahren soll gewährleisten, dass der dem Wertausgleich zugrunde gelegte Anwartschaftsbetrag für die Ehejahre mit dem tatsächlich in der Rente
enthaltenen Anteil übereinstimmt (BT-Drucks. 7/650 S. 226). Diesen Grundsätzen liefe es zuwider, wenn in Fällen, in denen bereits eine Altersrente erlangt
ist, an der Notwendigkeit einer fiktiven Neuberechnung des Altersruhegeldes
festgehalten und der sich dabei ergebende Rentenbetrag selbst dann der anschließenden Aufteilung zugrunde gelegt würde, wenn der Betrag - wie hier von der tatsächlichen Rente abweicht. Eine derartige Handhabung stünde auch
mit dem Grundgedanken des Versorgungsausgleichs, der gleichmäßigen Beteiligung beider Ehegatten an den in der Ehe begründeten Versorgungsanrechten,
nicht in Einklang (vgl. Senatsbeschluss vom 14. Oktober 1981 - IVb ZB 504/80 FamRZ 1982, 33, 34).
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An dieser Sichtweise hat der Gesetzgeber auch weder mit der späteren
Neufassung des § 1587 a Abs. 2 Nr. 2 BGB (vgl. BT-Drucks. 11/4124 S. 234)
noch durch das 2009 in Kraft getretene Versorgungsausgleichsgesetz etwas
ändern wollen.
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Zwar findet sich eine ausdrückliche Gesetzesbestimmung dazu, dass die
Annahmen für die zu erwartende Versorgung durch die tatsächlichen Werte zu
ersetzen sind, nur in den Regelungen über die zeitratierliche Bewertung (§ 41
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Abs. 2 Satz 2 VersAusglG). Damit sollte jedoch keine Abgrenzung zur unmittelbaren Bewertung geschaffen, sondern im Gegenteil ausgedrückt werden, dass
die zeitratierliche Bewertung einer laufenden Rente mit einer unmittelbaren Bewertung vergleichbar ist (MünchKommBGB/Glockner 6. Aufl. § 41 VersAusglG
Rn. 11). Nach dem Beginn des Bezugs einer Vollrente wegen Alters ist der
Ausgleichswert in der gesetzlichen Rentenversicherung daher weiterhin allein
aus den auf die Ehezeit entfallenden Entgeltpunkten der tatsächlich bezogenen
Altersrente zu ermitteln (ebenso MünchKommBGB/Weber 6. Aufl. § 43
VersAusglG Rn. 90; Borth Versorgungsausgleich 7. Aufl. Rn. 362; vgl. auch
Glockner/Hoenes/Weil Der Versorgungsausgleich 2. Aufl. § 5 Rn. 57; aA offenbar Wick Der Versorgungsausgleich 3. Aufl. Rn. 231; Johannsen/Henrich/
Holzwarth Familienrecht 6. Aufl. § 43 VersAusglG Rn. 34).
31
d) Danach ist von den Werten auszugehen, die die DRV Bund auf dieser
rechtlichen Grundlage mit ihren Auskünften vom 1. Oktober 2014 und vom
26. März 2015 benannt hat und deren Einbeziehung sie mit ihrer Rechtsbeschwerde erstrebt.
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e) Da die Erhöhung des Ausgleichswerts infolge der Regelungen des
RV-Leistungsverbesserungsgesetzes erst am 1. Juli 2014 und nur mit Wirkung
für die Zukunft in Kraft getreten ist, hat das Beschwerdegericht zu Recht auch
die Wirkungen des Versorgungsausgleichs durch Übertragung entsprechender
Entgeltpunkte gesondert für die Zeit bis zum 30. Juni 2014 und die Zeit ab dem
1. Juli 2014 ausgesprochen (vgl. Bachmann/Borth FamRZ 2014, 1329, 1331 f.).
Dose
Weber-Monecke
Nedden-Boeger
Klinkhammer
Guhling
Vorinstanzen:
AG Pankow/Weißensee, Entscheidung vom 20.07.2014 - 17 F 9083/13 Kammergericht Berlin, Entscheidung vom 19.06.2015 - 13 UF 258/14 -