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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
XII ZB 192/99
vom
14. Februar 2001
in der Familiensache
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Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 14. Februar 2001 durch den
Vorsitzenden Richter Dr. Blumenröhr und die Richter Dr. Hahne, Gerber, Sprick
und Weber-Monecke
beschlossen:
1. Auf die sofortige Beschwerde wird der Beschluß des 10. Zivilsenats - Familiensenat - des Oberlandesgerichts Dresden vom
7. Oktober 1999 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als
die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts
- Familiengericht - Stollberg vom 6. Mai 1999 als unzulässig
verworfen worden ist.
2. Im übrigen wird die sofortige Beschwerde des Beklagten als
unzulässig verworfen.
3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden gegeneinander
aufgehoben.
4. Gerichtsgebühren für das Beschwerdeverfahren werden nicht
erhoben (§ 8 Abs. 1 Satz 1 GKG).
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Gründe:
I.
Durch Urteil des Familiengerichts vom 6. Mai 1999 wurde der Beklagte
verurteilt, an die Kläger - seine minderjährigen Kinder - Unterhalt zu zahlen.
Das Urteil wurde ihm am 11. Mai 1999 zugestellt.
Mit Schriftsatz seines Prozeßbevollmächtigten vom 7. Juni 1999, bei Gericht eingegangen am 8. Juni 1999, beantragte der Beklagte, ihm "für die beabsichtigte Berufung" gegen das Urteil des Familiengerichts Prozeßkostenhilfe zu
bewilligen. Die Erfolgsaussicht der beabsichtigten Berufung ergebe sich aus
dem anliegenden Entwurf der Berufungsschrift, auf den Bezug genommen werde. Eine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des
Beklagten nebst Anlagen war diesem Schriftsatz beigefügt. Die in Bezug genommene Berufungsschrift, die ebenfalls das Datum des 7. Juni 1999 trägt und
ebenfalls am 8. Juni 1999 eingegangen ist, enthält ein volles Rubrum, die genaue Bezeichnung des angefochtenen Urteils, die Erklärung, daß der Beklagte
gegen dieses Urteil Berufung einlege, den Berufungsantrag, eine etwa zwei
Schreibmaschinenseiten umfassende Begründung und die Unterschrift des
Prozeßbevollmächtigten. Entgegen der Bezeichnung in dem Prozeßkostenhilfeantrag ist die Berufungsschrift nicht ausdrücklich als Entwurf gekennzeichnet,
sie ist vielmehr wie folgt überschrieben:
"Dieser Berufungsschriftsatz soll nur wirksam sein für den Fall,
daß dem Beklagten und Berufungskläger für diese Berufung Prozeßkostenhilfe gewährt wird."
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Der Vorsitzende des Berufungssenats hat mit Verfügung vom 15. Juni
1999 den Beklagten darauf hingewiesen, ihm könne Prozeßkostenhilfe nicht
bewilligt werden, "da die Berufungsschrift unterschrieben ist und es sich folglich nicht lediglich um einen Entwurf handelt, die Berufung jedoch von einer
Bedingung, nämlich der Gewährung von PKH abhängig gemacht wird." Darauf
hat der Kläger mit Schriftsatz seines Prozeßbevollmächtigten vom 29. Juni
1999 geantwortet, es handele sich nicht um eine unbedingt eingelegte, jedoch
von einer Bedingung abhängig gemachte Berufung, der Beklagte habe vielmehr zum Ausdruck bringen wollen, "daß dieser Schriftsatz zunächst nur einen
Entwurf darstellen soll. Diese ausdrückliche Erklärung gilt weiter - trotz der
vorhandenen Unterschrift des Unterzeichneten."
Durch den angefochtenen Beschluß hat das Berufungsgericht (unter anderem) die Berufung des Beklagten als unzulässig verworfen und den Antrag,
ihm für das Berufungsverfahren Prozeßkostenhilfe zu bewilligen, zurückgewiesen. Gegen diesen Beschluß richtet sich die sofortige Beschwerde des Beklagten.
II.
1. Die Ausführungen des Beklagten lassen nicht erkennen, daß er sein
Rechtsmittel in irgendeiner Weise beschränken und nur einen Teil der angefochtenen Entscheidung angreifen will. Es ist deshalb davon auszugehen, daß
sich die sofortige Beschwerde gegen den Beschluß des Berufungsgerichts insgesamt richtet.
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Soweit sich die sofortige Beschwerde gegen die Verwerfung der Berufung des Beklagten wendet, ist sie nach §§ 519 b Abs. 2, 547 ZPO statthaft
und auch sonst zulässig. Sie hat auch in der Sache Erfolg.
Das Berufungsgericht geht davon aus, daß es sich bei der von dem Beklagten gleichzeitig mit seinem Prozeßkostenhilfegesuch eingereichten Berufungsschrift nicht um einen Entwurf handelt, sondern schon um die Einlegung
der Berufung, allerdings unter einer Bedingung. Die Berufung sei deshalb unzulässig. Diese Ausführungen des Berufungsgerichts halten einer rechtlichen
Überprüfung nicht stand.
Zutreffend ist allerdings der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts, die
bedingte Einlegung eines Rechtsmittels sei unzulässig (st.Rspr., vgl. etwa
BGH, Urteil vom 17. Oktober 1973 - IV ZR 68/73 - VersR 1974, 194 m.N.). Dem
Berufungsgericht ist auch einzuräumen, daß die von dem Beklagten eingereichte Berufungsschrift isoliert betrachtet dahin verstanden werden könnte,
der Beklagte wolle bereits Berufung einlegen, allerdings unter der Bedingung
der Bewilligung von Prozeßkostenhilfe. Es ist jedoch nicht zulässig, die Berufungsschrift in dieser Weise isoliert auszulegen, ohne den Gesamtzusammenhang zu berücksichtigen.
Ob ein Schriftsatz bereits die Einlegung eines - eventuell bedingten Rechtsmittels enthält oder ob er lediglich als Entwurf einer Rechtsmittelschrift
zu verstehen ist, wie er üblicherweise einem Prozeßkostenhilfegesuch beigefügt wird, ist eine Frage der Auslegung. Da es sich um die Auslegung prozessualer Erklärungen handelt, hat der Senat die Auslegung des Berufungsgerichts uneingeschränkt nachzuprüfen und die erforderliche Auslegung gegebenenfalls selbst vorzunehmen (st.Rspr., vgl. z.B. BGH, Urteil vom 31. Mai 1995
- VIII ZR 267/94 - BGHR ZPO § 518 Abs. 1 Einlegung 5 m.N.).
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Die für die Auslegung von Willenserklärungen des bürgerlichen Rechts
entwickelten Grundsätze sind auf die Auslegung von Prozeßerklärungen entsprechend anwendbar. Es ist daher analog § 133 BGB nicht an dem buchstäblichen Sinn des in der Parteierklärung gewählten Ausdrucks zu haften, sondern
es ist der in der Erklärung verkörperte Wille anhand der erkennbaren Umstände zu ermitteln (BGH aaO VersR 1974 m.N.). Der Beklagte hat das Prozeßkostenhilfegesuch und die Berufungsschrift gleichzeitig eingereicht und in dem
Prozeßkostenhilfegesuch ausdrücklich zur Begründung auf die Berufungsschrift verwiesen. Umgekehrt hat er in der Berufungsschrift Bezug genommen
auf die beantragte Prozeßkostenhilfe. In einem solchen Falle muß bei der
Auslegung der Berufungsschrift der Inhalt des gleichzeitig eingereichten Prozeßkostenhilfegesuchs mit berücksichtigt werden (so auch - in anderem Zusammenhang - Senatsbeschluß vom 16. Dezember 1987 - IVb ZB 161/87 ZPO § 518 Abs. 1 Einlegung, unbedingte 2).
In dem Prozeßkostenhilfegesuch hat der Beklagte den gleichzeitig eingereichten Schriftsatz mehrfach als "Entwurf" bezeichnet. Außerdem hat er in
diesem Schriftsatz mitgeteilt, es sei "beabsichtigt", Berufung einzulegen, nachdem ihm Prozeßkostenhilfe bewilligt worden sei. Diese Formulierungen lassen
keinen Zweifel, daß es sich bei dem gleichzeitig eingereichten Schriftsatz lediglich um den Entwurf einer Berufungsschrift handeln sollte. Daß der Beklagte
sich die Entscheidung, ob die Berufung durchgeführt werden sollte oder nicht,
bis nach der Entscheidung über sein Prozeßkostenhilfegesuch vorbehalten
wollte, ergibt sich auch aus der der Berufungsschrift vorangestellten Überschrift. Daß der Prozeßbevollmächtigte des Beklagten in dieser Überschrift
nicht den Ausdruck "Entwurf" gewählt hat, wie in dem Prozeßkostenhilfegesuch, sondern davon gesprochen hat, der Berufungsschriftsatz solle "nur wirk-
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sam sein", wenn Prozeßkostenhilfe gewährt werde, beruht erkennbar lediglich
auf einem Vergreifen im Ausdruck.
Für diese Auslegung spricht auch der wirtschaftliche Sinn, den der Beklagte mit den beiden gleichzeitig eingereichten Schriftsätzen verfolgte. Der
Beklagte wollte erkennbar das Kostenrisiko eines erfolglosen Berufungsverfahrens vermeiden und deshalb die Durchführung der Berufung davon abhängig
machen, ob ihm Prozeßkostenhilfe gewährt würde. Dieses Ziel hätte er nicht
erreichen können, wenn er gleichzeitig mit dem Prozeßkostenhilfegesuch bereits (bedingt oder nicht bedingt) Berufung eingelegt hätte. Das Ziel, das eine
Partei mit der Abgabe einer Prozeßerklärung erreichen will, darf bei der Auslegung dieser Erklärung nicht unberücksichtigt bleiben.
Das Berufungsgericht geht deshalb zu Unrecht davon aus, daß bereits
eine Berufung des Beklagten eingelegt worden ist.
3. Der Beklagte hat mit Schriftsatz seines Prozeßbevollmächtigten vom
29. Juni 1999 - vor Erlaß des angefochtenen Beschlusses - auf einen richterlichen Hinweis hin ausdrücklich klargestellt, daß er den zusammen mit dem Prozeßkostenhilfegesuch eingereichten Schriftsatz lediglich als den Entwurf einer
Berufungsschrift ansehe. Damit hat er zugleich zum Ausdruck gebracht, daß er
Berufung - nach Bewilligung der Prozeßkostenhilfe und Wiedereinsetzung in
den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungsfrist - erst noch einlegen wolle. Zwar können nach Ablauf der Berufungsfrist eingehende klarstellende Erklärungen der Partei für die Auslegung, ob ein zuvor eingegangener
Schriftsatz bereits als Einlegung der Berufung zu verstehen ist, nicht berücksichtigt werden. Entscheidend ist allein der objektive Erklärungswert, wie er
dem Berufungsgericht innerhalb der Berufungsfrist erkennbar war (BGH, Beschluß vom 24. Mai 2000 - III ZB 8/00 -, BGHR ZPO § 518 Abs. 1 Einlegung 6
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m.N.). Würde man mit dem Berufungsgericht davon ausgehen, der Beklagte
habe zunächst eine bedingte und damit unzulässige Berufung eingelegt, so
wäre dem Schriftsatz des Beklagten vom 29. Juni 1999 jedoch eine Zurücknahme dieser unzulässigen Berufung zu entnehmen. Diese Zurücknahme hätte
den Beklagten nicht gehindert, nach Bewilligung der Prozeßkostenhilfe und
einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungsfrist erneut und in zulässiger Weise Berufung einzulegen (vgl. Zöller/Gummer, ZPO 22. Aufl. § 518 Rdn. 3). Selbst wenn man der Auslegung des
Berufungsgerichts folgt, war deshalb zum Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Beschlusses nicht mehr über eine beim Berufungsgericht anhängige
Berufung zu entscheiden.
Soweit das Berufungsgericht über eine nicht eingelegte, zumindest über
eine nicht mehr anhängige Berufung entschieden hat, war der angefochtene
Beschluß verfahrensfehlerhaft und deshalb aufzuheben.
4. Soweit der Beklagte mit seinem Rechtsmittel den Beschluß des Berufungsgerichts im übrigen angreift, - insbesondere wegen der Verweigerung
der Prozeßkostenhilfe für das Berufungsverfahren - ist die sofortige Beschwerde unzulässig. Gegen solche Entscheidungen der Oberlandesgerichte ist kein
Rechtsmittel zum Bundesgerichtshof statthaft (§ 567 Abs. 4 ZPO). Daran ändert es nichts, daß das Berufungsgericht zu Unrecht davon ausgegangen ist,
der Beklagte habe bereits eine bedingte und damit unzulässige Berufung eingelegt und daß es den die Prozeßkostenhilfe verweigernden Beschluß in erster
Linie auf diesen Gesichtspunkt gestützt hat.
Im übrigen hat das Berufungsgericht in dem angefochtenen Beschluß
hilfsweise ausgeführt, Prozeßkostenhilfe für die Durchführung des Berufungs-
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verfahrens könne auch deshalb nicht bewilligt werden, weil die Berufung in der
Sache keine Aussicht auf Erfolg habe.
5. Dem Beklagten kann im vorliegenden Falle wegen der Versäumung
der Berufungsfrist auch nicht von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bewilligt werden (§ 236 Abs. 2 ZPO; vgl. Senatsbeschluß vom
8. November 2000 - XII ZB 132/00 -, nicht veröffentlicht). Die Voraussetzungen
liegen nicht vor, weil der Beklagte nach der nicht mehr mit einem Rechtsmittel
angreifbaren Verweigerung der Prozeßkostenhilfe für das Berufungsverfahren
die versäumte Prozeßhandlung - die Einlegung der Berufung - nicht innerhalb
der Wiedereinsetzungsfrist des § 234 ZPO nachgeholt hat.
Blumenröhr
Hahne
Ger-
ber
Sprick
Weber-Monecke