You can not select more than 25 topics Topics must start with a letter or number, can include dashes ('-') and can be up to 35 characters long.
 
 

150 lines
7.5 KiB

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
XII ZB 101/07
vom
15. August 2007
in der Familiensache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
GG Art. 103 Abs. 1; ZPO §§ 233 B, Fb, 520 Abs. 2, 522 Abs. 1, 574 Abs. 2
Nr. 2, 621 e Abs. 3
a) Vor der Verwerfung eines Rechtsmittels wegen Versäumung der Begründungsfrist ist dem Rechtsmittelführer rechtliches Gehör zu gewähren (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 13. Juli 2005 - XII ZB 80/05 - NJW-RR
2006, 142 und BGH Beschluss vom 29. Juni 1993 - X ZB 21/92 - NJW 1994,
392).
b) Hat das Gericht die befristete Beschwerde als unzulässig verworfen, weil sie
nicht innerhalb der Frist begründet worden ist, steht dies einem Antrag auf
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist nicht entgegen, da dem Verwerfungsbeschluss
bei Gewährung der Wiedereinsetzung die Grundlage entzogen würde (im
Anschluss an Senatsbeschluss vom 9. Februar 2005 - XII ZB 225/04 FamRZ 2005, 791). Ist über eine Wiedereinsetzung noch nicht entschieden,
kann der Verwerfungsbeschluss auch isoliert im Verfahren der Rechtsbeschwerde aufgehoben werden.
BGH, Beschluss vom 15. August 2007 - XII ZB 101/07 - OLG Bamberg
AG Obernburg
-2-
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 15. August 2007 durch den
Richter Sprick, die Richterin Weber-Monecke, den Richter Prof. Dr. Wagenitz,
die Richterin Dr. Vézina und den Richter Dose
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Vaters wird der Beschluss des
2. Zivilsenats - Familiensenat - des Oberlandesgerichts Bamberg
vom 23. Mai 2007 aufgehoben.
Die Sache wird zur weiteren Behandlung und Entscheidung an
das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
Streitwert: 3.000 €
Gründe:
I.
1
Die geschiedenen Verfahrensbeteiligten zu 1 und 2 streiten um das Aufenthaltsbestimmungsrecht für ihr gemeinsames minderjähriges Kind. Das
Amtsgericht hat das Aufenthaltsbestimmungsrecht der Mutter übertragen und
es im Übrigen bei der gemeinsamen elterlichen Sorge belassen. Gegen den
ihm am 12. März 2007 zugestellten Beschluss des Amtsgerichts hat der Vater
rechtzeitig befristete Beschwerde eingelegt. Zugleich hat er darauf hingewiesen, dass die Begründung der Beschwerde einem gesonderten Schriftsatz vorbehalten bleibe.
-3-
2
Nach Ablauf der Begründungsfrist hat das Oberlandesgericht die Beschwerde als unzulässig verworfen, weil sie nicht rechtzeitig begründet worden
sei. Der Beschluss wurde dem Vater am 4. Juni 2007 zugestellt. Am 14. Juni
2007 beantragte dieser Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist, begründete die Beschwerde und
beantragte Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren. Nachdem das
Beschwerdegericht ihm mitgeteilt hatte, dass über das Wiedereinsetzungsgesuch wegen der bereits verworfenen Berufung nicht mehr entschieden werde,
erhob der Vater gegen den Verwerfungsbeschluss Rechtsbeschwerde.
II.
3
1. Die Rechtsbeschwerde ist nach § 574 Abs. 1 Nr. 1 in Verbindung mit
§§ 621 e Abs. 3 Satz 2, 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft. Sie ist auch zulässig,
weil die angefochtene Entscheidung den Vater in seinen Verfahrensgrundrechten verletzt (Art. 103 Abs. 1 GG), was eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert (§ 574
Abs. 2 Nr. 2 ZPO).
4
Der Zulässigkeit steht nicht entgegen, dass noch eine Entscheidung des
Beschwerdegerichts über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aussteht.
Dem die Beschwerde verwerfenden Beschluss wird im Falle der Bewilligung der
Wiedereinsetzung die Grundlage entzogen, damit wird er gegenstandslos (Senatsbeschlüsse vom 9. Februar 2005 - XII ZB 225/04 - FamRZ 2005, 791, 792
und vom 10. Mai 2006 - XII ZB 42/05 - NJW 2006, 2269). Das Beschwerdegericht wäre deswegen - entgegen seiner Rechtsauffassung - nicht gehindert ge-
-4-
wesen, über den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu entscheiden. Das steht einem Rechtsschutzbedürfnis des Vaters jedoch nicht entgegen, weil die Rechtsbeschwerde gegen die Verwerfung der Berufung unabhängig von der zu bewilligenden Wiedereinsetzung schon bei Verletzung der
Verfahrensgrundrechte Erfolg hat und das Beschwerdegericht sogar ausdrücklich eine Entscheidung über das Wiedereinsetzungsgesuch abgelehnt hatte.
5
2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.
6
a) Zwar ist im Verfahren der Rechtsbeschwerde gegen den das Rechtsmittel mangels rechtzeitig eingegangener Begründung verwerfenden Beschluss
die Frage der Wiedereinsetzung nicht zu prüfen, so dass der Vater im vorliegenden Verfahren nicht geltend machen kann, die Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist habe auf einem der Partei nicht zurechenbaren Verschulden beruht (vgl. Senatsbeschlüsse vom 13. Juli 2005 - XII ZB 80/05 - NJW-RR
2006, 142, 143 und vom 7. Oktober 1981 - IVb ZB 825/81 - FamRZ 1982, 163).
7
b) Die Rechtsbeschwerde ist aber schon deswegen begründet, weil das
Beschwerdegericht den Vater vor seiner Entscheidung nicht angehört und damit
dessen Verfahrensrecht auf rechtliches Gehör verletzt hat.
8
Zwar sieht § 522 Abs. 1 ZPO (i.V.m. § 621 e Abs. 3 Satz 2 ZPO) im Gegensatz zu § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO für den Fall einer Verwerfung eines unzulässigen Rechtsmittels eine Anhörung der Partei nicht ausdrücklich vor. Die
Pflicht zur Anhörung des Rechtsmittelführers folgt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs indessen unmittelbar aus Art. 103 Abs. 1 GG
(Senatsbeschlüsse vom 13. Juli 2005 - XII ZB 80/05 - NJW-RR 2006, 142 und
vom 18. Juli 2007 - XII ZB 162/06 - zur Veröffentlichung bestimmt). Art. 103
Abs. 1 GG gibt dem Beteiligten eines gerichtlichen Verfahrens somit ein Recht
-5-
darauf, dass er Gelegenheit erhält, sich zu dem einer gerichtlichen Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt zu äußern.
9
Das Beschwerdegericht durfte - entgegen seiner Rechtsauffassung auch nicht deswegen von einer vorherigen Anhörung des Vaters absehen, weil
er sich die Beschwerdebegründung für einen gesonderten Schriftsatz innerhalb
der zweimonatigen Begründungsfrist (§ 520 Abs. 2 i.V.m. § 621 e Abs. 3 Satz 2
ZPO) vorbehalten hatte. Denn damit hatte der Antragsteller ausdrücklich deutlich gemacht, dass er beabsichtigte, die Beschwerde noch gesondert zu begründen. Dies ließ die Notwendigkeit, den Prozessbevollmächtigten auf den
fehlenden Eingang der Beschwerdebegründung hinzuweisen, nicht entfallen,
sondern hätte allenfalls zusätzlichen Anlass für einen solchen Hinweis geben
können.
10
c) Mit Rücksicht auf diesen - ausdrücklich gerügten - Verfahrensfehler
des Beschwerdegerichts ist die Rechtsbeschwerde begründet: Sie führt zur
Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht, das zunächst über das Wiedereinsetzungsgesuch zu befinden haben wird.
11
3. Vor einer Entscheidung über den Wiedereinsetzungsantrag wird der
Vater seinen Vortrag allerdings zu konkretisieren haben. Insbesondere ist nicht
ersichtlich, aus welchem Grund sein Verfahrensbevollmächtigter die ordnungsgemäße Eintragung der Frist nicht erneut bei Vorlage der Handakten zur Fertigung der Beschwerdeschrift geprüft und die eingetragene falsche Frist zur Begründung der Beschwerde korrigiert hat (vgl. Senatsbeschlüsse vom 15. August
-6-
2007 - XII ZR 57/07 - zur Veröffentlichung bestimmt, vom 21. April 2004 - XII ZB
243/03 - FamRZ 2004, 1183 f. und vom 11. Februar 2004 - XII ZR 263/03 FamRZ 2004, 696).
Sprick
Weber-Monecke
Vézina
Wagenitz
Dose
Vorinstanzen:
AG Obernburg, Entscheidung vom 22.02.2007 - 2 F 957/06 OLG Bamberg, Entscheidung vom 23.05.2007 - 2 UF 103/07 -