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BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
XI ZR 456/16
Verkündet am:
10. Oktober 2017
Herrwerth
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
ZPO § 543 Abs. 1 Nr. 1, § 256 Abs. 1
Das Berufungsgericht kann die Prüfungskompetenz des Revisionsgerichts nicht
einschränken, soweit Prozessvoraussetzungen von Amts wegen zu prüfen sind
(Anschluss an BGH, Beschlüsse vom 16. Juli 2009 - I ZB 53/07, BGHZ 182,
325 Rn. 15 und - I ZB 54/07, juris Rn. 14).
BGH, Urteil vom 10. Oktober 2017 - XI ZR 456/16 - OLG Koblenz
LG Mainz
ECLI:DE:BGH:2017:101017UXIZR456.16.0
-2-
Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 10. Oktober 2017 durch den Vizepräsidenten Prof. Dr. Ellenberger, die
Richter Dr. Grüneberg und Maihold sowie die Richterinnen Dr. Menges und
Dr. Derstadt
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 8. Zivilsenats
des Oberlandesgerichts Koblenz vom 29. Juli 2016 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Beklagten
erkannt worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens,
an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
1
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit des Widerrufs der auf den Abschluss von zwei Verbraucherdarlehensverträgen gerichteten Willenserklärungen der Klägerin.
2
Die Klägerin schloss mit der Beklagten zwecks Finanzierung einer Immobilie zwei Darlehensverträge, einmal am 23. März 2006 über 83.000 € mit
einem auf 20 Jahre festen Zinssatz von nominal 4,49% p.a. und zum anderen
am 28. März 2006 über 47.000 € zu einem auf zehn Jahre festen Zinssatz von
nominal 4,10% p.a. Die Beklagte belehrte die Klägerin bei Abschluss der Darlehensverträge über ihr Widerrufsrecht zum einen und zum anderen wie folgt:
-3-
-4-
-5-
-6-
-7-
3
Mit Schreiben ihres vorinstanzlichen Prozessbevollmächtigten vom
6. März 2014, der Beklagten zugegangen am 12. März 2014, erklärte die Klägerin den Widerruf ihrer auf den Abschluss des Darlehensvertrags vom 28. März
2006 gerichteten Willenserklärung. Die Beklagte wies den Widerruf zurück. Die
Klägerin äußerte mit der Beklagten am selben Tag zugegangenem Telefaxschreiben vom 28. April 2014, sie stelle klar, dass sich der Widerruf auch auf
ihre auf Abschluss des Darlehensvertrags vom 23. März 2006 gerichtete Willenserklärung beziehe.
4
Ihre Klage zuletzt auf Feststellung, dass der Darlehensvertrag vom
28. März 2006 aufgrund des Widerrufs vom 6. März 2014 und der Darlehensvertrag vom 23. März 2006 aufgrund des Widerrufs vom 28. April 2014 jeweils
mit dem Tag des Zugangs der Schreiben "beendet" und rückabzuwickeln seien,
außerdem auf Erstattung vorgerichtlich verauslagter Anwaltskosten, hat das
Landgericht abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Berufungsgericht unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen das landgerichtliche
Urteil teilweise abgeändert und den Feststellungsbegehren entsprochen. In der
Entscheidungsformel hat es dahin erkannt, es werde die "Revision gegen dieses Urteil" zugelassen. In den Gründen hat es ausgeführt, es habe "die Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung […] im Hinblick auf divergierende obergerichtliche Entscheidungen zur Frage der Verwirkung bzw. der
rechtsmissbräuchlichen Geltendmachung von Verbraucherwiderrufsrechten
zugelassen". Dagegen komme eine "Revisionszulassung - wie von der Beklagten begehrt - hinsichtlich der allgemeinen Zulässigkeitsvoraussetzungen einer
Feststellungsklage" nicht in Betracht. Mit ihrer Revision erstrebt die Beklagte die
vollständige Zurückweisung der klägerischen Berufung.
-8-
Entscheidungsgründe:
5
Die Revision der Beklagten hat Erfolg.
I.
6
Das
Berufungsgericht
(OLG
Koblenz,
Urteil
vom
29. Juli
2016
- 8 U 948/15, juris) hat zur Begründung seiner Entscheidung - soweit für das
Revisionsverfahren von Bedeutung - im Wesentlichen ausgeführt:
7
Die Feststellungsklage sei zulässig. Zwar genieße eine Leistungsklage
grundsätzlich Vorrang. Bei einer Bank sei indessen davon auszugehen, dass
sie auf ein rechtskräftiges Feststellungsurteil leisten werde, auch wenn die Beklagte das Gegenteil erklärt habe.
8
Zwischen den Parteien seien Verbraucherdarlehensverträge zustande
gekommen, so dass der Klägerin das Recht zugestanden habe, ihre auf Abschluss der Darlehensverträge gerichteten Willenserklärungen zu widerrufen.
Durch die Verwendung des Wortes "frühestens" bei der Beschreibung der
Voraussetzungen für das Anlaufen der Widerrufsfrist habe die Beklagte die Klägerin über die Bedingungen des Widerrufs undeutlich unterrichtet. Auf die Gesetzlichkeitsfiktion des Musters für die Widerrufsbelehrung nach der maßgeblichen Fassung der BGB-Informationspflichten-Verordnung könne sich die Beklagte nicht berufen, weil die Widerrufsbelehrung der Beklagten dem Muster
nicht vollständig entsprochen habe. Mangels ordnungsgemäßer Belehrung sei
die Widerrufsfrist nicht angelaufen, so dass die Klägerin den Widerruf noch
2014 habe erklären können. Die Klägerin habe ihr Widerrufsrecht nicht verwirkt.
-9-
II.
9
Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Nachprüfung in einem wesentlichen Punkt nicht stand. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht die
Feststellungsklage für zulässig erachtet.
10
1. Der Senat hat die Zulässigkeit der Feststellungsklage unter dem
Aspekt des Vorhandenseins eines Feststellungsinteresses von Amts wegen zu
prüfen (Senatsurteil vom 21. Februar 2017 - XI ZR 467/15, WM 2017, 906
Rn. 14 mwN). Dem steht nicht entgegen, dass das Berufungsgericht in den
Gründen des Berufungsurteils ausdrücklich ausgeführt hat, es lasse die Revision nur zur Begründetheit und nicht auch zur Zulässigkeit der Feststellungsklage
zu. Das Berufungsgericht kann die Prüfungskompetenz des Revisionsgerichts
nicht einschränken, soweit Prozessvoraussetzungen von Amts wegen zu prüfen
sind (vgl. BGH, Beschlüsse vom 16. Juli 2009 - I ZB 53/07, BGHZ 182, 325
Rn. 15 und - I ZB 54/07, juris Rn. 14). Auch der Revisionsführer könnte mittels
einer Beschränkung seines Angriffs auf die materielle Rechtfertigung des Anspruchsgrunds eine solche Prüfung nicht ausschließen. Insoweit gilt entgegen
der Rechtsmeinung der Revisionserwiderung anderes als in Fällen einer Beschränkung der Zulassung auf die Frage der Zulässigkeit der Klage (vgl. Senatsurteil vom 12. April 2011 - XI ZR 341/08, WM 2011, 1437 Rn. 10; BGH, Beschlüsse vom 17. April 2012 - VI ZR 140/11, NJW-RR 2012, 759 Rn. 5 und vom
17. Mai 2017 - IV ZB 25/16, WM 2017, 1124 Rn. 19).
11
2. Die Feststellungsanträge zielen auf die positive Feststellung, dass sich
die Darlehensverträge vom 23. März 2006 und 28. März 2006 aufgrund der Widerrufserklärungen der Klägerin in Rückgewährschuldverhältnisse umgewandelt
haben. Die von der Revisionserwiderung gewünschte Auslegung als negative
Feststellungsklage kommt mangels eines in diesem Sinne auslegungsfähigen
- 10 -
anspruchsleugnenden Zusatzes nicht in Betracht (einen anderen Fall betraf Senatsurteil vom 16. Mai 2017 - XI ZR 586/15, WM 2017, 1258 Rn. 10 ff., 16).
12
Als positive Feststellungsklage sind die Feststellungsanträge unzulässig.
Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils näher ausgeführt hat (Senatsurteile vom 24. Januar 2017 - XI ZR 183/15, WM 2017, 766 Rn. 11 ff., vom
21. Februar 2017 - XI ZR 467/15, WM 2017, 906 Rn. 13 ff., vom 14. März 2017
- XI ZR 442/16, WM 2017, 849 Rn. 19, vom 16. Mai 2017 - XI ZR 586/15,
WM 2017, 1258 Rn. 16 und vom 4. Juli 2017 - XI ZR 741/16, WM 2017, 1602
Rn. 16), muss ein Kläger, der die Umwandlung eines Verbraucherdarlehensvertrags in ein Rückgewährschuldverhältnis geltend macht, vorrangig mit der Leistungsklage auf der Grundlage der § 357 Abs. 1 Satz 1 BGB in der bis zum
12. Juni 2014 geltenden Fassung in Verbindung mit §§ 346 ff. BGB gegen die
Beklagte vorgehen. Ist dem Kläger eine Klage auf Leistung möglich und zumutbar und erschöpft sie das Rechtsschutzziel, fehlt ihm das Feststellungsinteresse, weil er im Sinne einer besseren Rechtsschutzmöglichkeit den Streitstoff in
einem Prozess klären kann.
13
Im konkreten Fall hat das Berufungsgericht ausdrücklich festgestellt, die
Beklagte habe angekündigt, auf ein Feststellungsurteil nicht freiwillig leisten zu
wollen. Damit steht fest, dass der Rechtsstreit die Meinungsverschiedenheiten
der Parteien nicht endgültig bereinigen wird. Die Feststellungsklage ist damit
auch nicht nach den Maßgaben des Senatsurteils vom 24. Januar 2017
(XI ZR 183/15, WM 2017, 766 Rn. 16) ausnahmsweise zulässig.
- 11 -
III.
14
Das Berufungsurteil ist daher aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Eine eigene Sachentscheidung zugunsten der Beklagten (§ 563 Abs. 3 ZPO) kann der
Senat nicht fällen. Die Feststellungsanträge sind nicht abweisungsreif.
15
1. Der Senat kann auf die Revision der Beklagten die Feststellungsklage
nicht als unzulässig abweisen. Denn der Klägerin müsste zunächst Gelegenheit
gegeben werden, zu einem zulässigen Klageantrag überzugehen (Senatsurteil
vom 4. Juli 2017 - XI ZR 741/16, WM 2017, 1602 Rn. 34).
16
2. Der Senat kann aber auch nicht auf die Unbegründetheit der Feststellungsklage erkennen. Zwar ist das Feststellungsinteresse gemäß § 256 Abs. 1
ZPO nur für ein stattgebendes Urteil echte Prozessvoraussetzung. Ein Feststellungsbegehren, das das Berufungsgericht für zulässig erachtet hat, kann bei
tatsächlich fehlendem Feststellungsinteresse in der Revisionsinstanz aus sachlichen Gründen abgewiesen werden (st. Rspr., zuletzt etwa Senatsurteil vom
4. Juli 2017 - XI ZR 741/16, WM 2017, 1602 Rn. 31). Aufgrund der vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen ist die Klage indessen nicht in der Sache abweisungsreif.
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a) Das Berufungsgericht hat richtig erkannt, der Klägerin sei gemäß
§ 495 Abs. 1 BGB zunächst das Recht zugekommen, ihre auf Abschluss der
Darlehensverträge gerichteten Willenserklärungen nach § 355 Abs. 1 und 2
BGB in der hier nach Art. 229 § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 22 Abs. 2, §§ 32, 38
Abs. 1 Satz 1 EGBGB maßgeblichen, zwischen dem 1. August 2002 und dem
10. Juni 2010 geltenden Fassung zu widerrufen.
18
b) Ebenfalls zutreffend ist die Auffassung des Berufungsgerichts, die Widerrufsfrist sei bei Abgabe der Widerrufserklärungen am 6. März 2014 und
28. April 2014 noch nicht abgelaufen gewesen. Die der Klägerin erteilten Wider-
- 12 -
rufsbelehrungen informierten mittels des Einschubs "frühestens" unzureichend
deutlich über den Beginn der Widerrufsfrist (vgl. Senatsurteil vom 12. Juli 2016
- XI ZR 564/15, BGHZ 211, 123 Rn. 18). Auf die Gesetzlichkeitsfiktion des Musters für die Widerrufsbelehrung gemäß Anlage 2 zu § 14 BGB-InfoV in der hier
maßgeblichen, zwischen dem 8. Dezember 2004 und dem 31. März 2008 geltenden Fassung kann sich die Beklagte, die unter der Überschrift "Finanzierte
Geschäfte" den Gestaltungshinweis 9 nicht vollständig umgesetzt hat, schon
deshalb nicht berufen (Senatsurteil vom 11. Oktober 2016 - XI ZR 482/15,
WM 2016, 2295 Rn. 27, zur Veröffentlichung bestimmt in BGHZ).
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c) Der tatrichterlichen Würdigung der nach § 242 erheblichen Umstände
kann der Senat abgesehen davon, dass die Revision durchgreifende Rechtsfehler nach Maßgabe des im Revisionsverfahren eröffneten Prüfungsumfangs
(vgl. Senatsurteile vom 12. Juli 2016 - XI ZR 501/15, BGHZ 211, 105 Rn. 18
sowie - XI ZR 564/15, BGHZ 211, 123 Rn. 43 und vom 14. März 2017
- XI ZR 442/16, WM 2017, 849 Rn. 27) nicht aufzeigt, nicht vorgreifen.
IV.
20
Da die Sache, soweit das Berufungsgericht zum Nachteil der Beklagten
entschieden hat, nicht zur Endentscheidung reif ist, ist sie insoweit zur neuen
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Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen
(§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Ellenberger
Grüneberg
Menges
Maihold
Derstadt
Vorinstanzen:
LG Mainz, Entscheidung vom 27.07.2015 - 5 O 100/14 OLG Koblenz, Entscheidung vom 29.07.2016 - 8 U 948/15 -