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BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
XI ZR 443/16
Verkündet am:
10. Oktober 2017
Herrwerth,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
BGB § 495 Abs. 1, § 355 Abs. 2 Satz 1 (Fassung bis zum 10. Juni 2010)
Eine formal und inhaltlich den gesetzlichen Anforderungen genügende Widerrufsbelehrung wird nicht dadurch undeutlich, dass die Vertragsunterlagen an anderer, drucktechnisch nicht hervorgehobener Stelle einen inhaltlich nicht ordnungsgemäßen Zusatz enthalten (Anschluss an BGH, Urteil vom 16. Dezember
2015 - IV ZR 71/14, juris Rn. 11).
BGH, Urteil vom 10. Oktober 2017 - XI ZR 443/16 - OLG Koblenz
LG Mainz
ECLI:DE:BGH:2017:101017UXIZR443.16.0
-2-
Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 10. Oktober 2017 durch den Vizepräsidenten Prof. Dr. Ellenberger, die
Richter Dr. Grüneberg und Maihold sowie die Richterinnen Dr. Menges und
Dr. Derstadt
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 8. Zivilsenats
des Oberlandesgerichts Koblenz vom 5. August 2016 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Beklagten
erkannt worden ist.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 5. Zivilkammer des
Landgerichts Mainz vom 7. September 2015 wird auch insoweit
zurückgewiesen, als auf sein Rechtsmittel die Beklagte verurteilt
worden ist, an den Kläger 1.835,95 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem
5. Februar 2014 zu zahlen.
Im übrigen Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
-3-
Tatbestand:
1
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit des Widerrufs der auf den Abschluss eines Verbraucherdarlehensvertrags gerichteten Willenserklärung des
Klägers.
2
Die Parteien schlossen am 22. März 2007 zwecks Finanzierung einer
Immobilie einen (später in Teilbeträgen unter zwei Nummern geführten) Darlehensvertrag über 73.000 € zu einem für fünfzehn Jahre festen jährlichen Nominalzinssatz von 4,65% p.a. Zur Sicherung der Ansprüche der Beklagten diente
ein Grundpfandrecht. In dem Darlehensformular war folgender, drucktechnisch
nicht besonders hervorgehobener "Wichtiger Hinweis" mitabgedruckt: "Dieser
Darlehensvertrag wird zunächst nur vom Darlehensnehmer unterzeichnet und
stellt lediglich ein verbindliches Darlehensangebot seitens des Darlehensnehmers an die […] [Beklagte] dar. Der Darlehensvertrag kommt erst durch Unterzeichnung durch die […] [Beklagte] zustande; erst dann besteht der Anspruch
auf Auszahlung des Darlehens". Die Beklagte belehrte den Kläger wie folgt über
sein Widerrufsrecht:
-4-
-5-
-6-
3
Mit Spaltungs- und Übernahmevertrag vom 24. April 2010 übernahm die
E.
(künftig: EAA) die vertraglichen Rechte und Pflichten
aus bestimmten von der Beklagten geschlossenen Darlehensverträgen, zu denen nach dem Vortrag der Beklagten auch der mit dem Kläger geschlossene
Darlehensvertrag gehörte. Im Mai 2010 teilten mit gesonderten Schreiben sowohl die Beklagte als auch die EAA dem Kläger sinngemäß mit, die vertraglichen Rechte und Pflichten der Beklagten aus dem Darlehensvertrag mit dem
Kläger seien von der EAA übernommen worden. Die Beklagte führte weiter aus,
für den Kläger ändere sich "[n]icht viel": Sein Vertrag werde "zu gleichen Bedingungen mit der gleichen Darlehensnummer fortgeführt und die Bearbeitung"
erfolge "weiterhin" durch die Beklagte. Das Darlehenskonto betreffende Auszüge erhielt der Kläger anschließend jeweils von der Beklagten mit dem Zusatz
"im Auftrag der E.
4
(EAA)".
Im Dezember 2013 erfragte der Kläger bei der Beklagten die Konditionen
einer vorzeitigen Rückführung des Darlehens für den Fall der Veräußerung der
Immobilie. Mit Schreiben vom 23. Dezember 2013 teilte die Beklagte dem Kläger unter dem Briefkopf "W.
Im Auftrag der EAA" mit, sie sei "[m]it der
vorzeitigen Rückzahlung des o.g. Darlehens […] bei Zahlung einer Vorfälligkeitsentschädigung einverstanden, wenn das Finanzierungsobjekt verkauft"
werde. Außerdem kündigte sie die Berechnung einer "Bearbeitungsgebühr" an.
Wiederum unter dem Briefkopf "W.
Im Auftrag der EAA" errechnete die
Beklagte mit Schreiben vom 3. April 2014 eine "Vorfälligkeitsentschädigung" in
Höhe von 7.827,75 €, die der Kläger mit dem Bearbeitungsentgelt in Höhe von
150 € an die Beklagte leistete.
5
Mit Schreiben vom 5. Juni 2014 widerrief der Kläger gegenüber der Beklagten seine auf Abschluss des Darlehensvertrags gerichtete Willenserklärung
und setzte der Beklagten "[f]ür die Abrechnung des Darlehens" eine Frist bis
zum 19. Juni 2014. Mit einem Schreiben vom 1. Juli 2014 wies die Beklagte den
Widerruf zurück. Mit Schreiben seines vorinstanzlichen Prozessbevollmächtigten vom 12. August 2014 forderte der Kläger die Beklagte zu einer "Neuabrechnung bzw. -saldierung der Darlehen" bis zum 2. September 2014 auf. Hierzu
-7-
nahm die Beklagte unter dem 1. Oktober 2014 ohne Verweis auf eine Beauftragung durch die EAA abschlägig Stellung, wobei sie anführte, das Schreiben
vom 12. August 2014 sei ihr "zur direkten Beantwortung zugeleitet worden".
6
Die am 5. Februar 2015 zugestellte Klage auf Neuabrechnung der "Darlehensverträge", Zahlung des sich aus der Neuabrechnung zugunsten des Klägers ergebenden Differenzbetrags, Rückzahlung des Bearbeitungsentgelts sowie Erstattung vorgerichtlich verauslagter Anwaltskosten, hilfsweise Freistellung, weiter hilfsweise auf Zahlung von 11.246,76 € nebst Zinsen und "äußerst
hilfsweise" auf Feststellung, dass "die Darlehensverträge […] in ein Rückgewährschuldverhältnis umgewandelt worden" seien, hat das Landgericht unter
Verweis auf die Grundsätze von Treu und Glauben abgewiesen. Auf die dagegen gerichtete Berufung des Klägers, mit der er zuletzt noch Zahlung von
11.246,76 €, Rückzahlung des Bearbeitungsentgelts, Erstattung vorgerichtlich
verauslagter Anwaltskosten nebst Rechtshängigkeitszinsen, hilfsweise Freistellung, und "äußerst hilfsweise" die Feststellung des Zustandekommens eines
Rückgewährschuldverhältnisses beansprucht hat, hat das Berufungsgericht
unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen das landgerichtliche Urteil
teilweise abgeändert. Es hat die Beklagte verurteilt, an den Kläger 11.246,76 €
und weitere 150 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 3. September 2014 sowie "für die außergerichtliche
Rechtsverfolgung an den Kläger 1.835,95 €" nebst Zinsen in Höhe von fünf
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem "5. Februar 2014" zu zahlen.
Dagegen richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Beklagten, mit der sie ihren Antrag auf vollständige Zurückweisung der Berufung
des Klägers weiterverfolgt.
Entscheidungsgründe:
7
Die Revision der Beklagten hat Erfolg.
-8-
I.
8
Das Berufungsgericht (OLG Koblenz, Urteil vom 5. August 2016
- 8 U 1091/15, juris) hat zur Begründung seiner Entscheidung, soweit für das
Revisionsverfahren von Bedeutung, im Wesentlichen ausgeführt:
9
Die Beklagte sei richtige Adressatin des Widerrufs vom 5. Juni 2014 und
richtige Gegnerin der Ansprüche des Klägers aus dem Rückgewährschuldverhältnis. Dabei bedürfe keiner weiteren Aufklärung, ob auf der Grundlage des
"Spaltungs- und Übernahmevertrags" vom 24. April 2010 der Darlehensvertrag
zwischen dem Kläger und der Beklagten auf die EAA übertragen worden sei.
Jedenfalls habe die Beklagte nicht hinreichend dazu vorgetragen, bei der EAA
habe es sich, was Voraussetzung des Ausschlusses der Mithaftung der Beklagten gewesen sei, um eine "nach dem Finanzmarktstabilisierungsfondsgesetz
[…] errichtete Abwicklungsanstalt" gehandelt. Im Übrigen müsse sich die Beklagte jedenfalls nach Rechtsscheingrundsätzen als richtige Adressatin des Widerrufs und Anspruchsgegnerin behandeln lassen. Der Kläger habe aufgrund
der Schreiben der Beklagten vom 23. Dezember 2013 und 3. April 2014 davon
ausgehen dürfen, "sich mit seinem Rückzahlungsbegehren an seinen auch für
die weitere Abwicklung nach wie vor zuständigen Vertragspartner gewandt zu
haben". Der kleingedruckte Zusatz "Im Auftrag der EAA" im Briefkopf der Beklagten habe an diesem Befund nichts geändert. Erst recht sei der Eindruck, die
Beklagte sei weiterhin Vertragspartnerin, durch ihr Schreiben vom 1. Oktober
2014 bestärkt worden.
10
Die Beklagte habe den Kläger unzureichend deutlich über die Voraussetzungen für das Anlaufen der Widerrufsfrist belehrt. Auf die Gesetzlichkeitsfiktion
des Musters für die Widerrufsbelehrung nach der maßgeblichen Fassung der
BGB-Informationspflichten-Verordnung könne sich die Beklagte nicht berufen,
weil die Widerrufsbelehrung der Beklagten dem Muster nicht vollständig entsprochen habe. Mangels ordnungsgemäßer Belehrung sei die Widerrufsfrist
nicht angelaufen, so dass der Kläger den Widerruf noch 2014 habe erklären
können. Dass die Parteien vor Ausübung des Widerrufsrechts einen Aufhe-
-9-
bungsvertrag geschlossen hätten, stehe weder dem Widerruf der auf Abschluss
des Darlehensvertrags gerichteten Willenserklärungen noch einem Anspruch
auf Rückgewähr der erbrachten Leistungen entgegen.
11
Der Kläger habe das Widerrufsrecht nicht verwirkt. Zwar sei eine Verwirkung auch ohne Rücksicht auf die Kenntnis und Willensrichtung des Berechtigten möglich, wenn der Verpflichtete bei objektiver Beurteilung aus dem Verhalten des Berechtigten habe schließen dürfen, dass der Berechtigte sein Recht
nicht mehr geltend machen wolle, so dass der Verpflichtete mit einer Rechtsausübung durch den Berechtigten nicht mehr habe zu rechnen brauchen und
sich entsprechend darauf habe einrichten dürfen. Diese Voraussetzungen seien
indessen nicht gegeben. Der Umstand, dass dem Berechtigten das ihm zustehende Recht unbekannt gewesen sei, stehe einer Verwirkung jedenfalls
dann entgegen, wenn die Unkenntnis des Berechtigten in den Verantwortungsbereich des Verpflichteten falle. Der Unternehmer, der gegen seine Pflicht verstoßen habe, dem Verbraucher eine ordnungsgemäße Widerrufsbelehrung zu
erteilen, dürfe nicht darauf vertrauen, er habe durch seine Belehrung die Widerrufsfrist in Lauf gesetzt. Gegen die Schutzwürdigkeit des Unternehmers spreche
zudem, dass er den Schwebezustand durch eine Nachbelehrung beenden könne. Vom Vorliegen des Umstandsmoments sei auch nicht deshalb auszugehen,
weil die Parteien eine Aufhebungsvereinbarung geschlossen hätten. Die beiderseitige vollständige Vertragserfüllung führe nicht zum Verlust des Widerrufsrechts und könne allein auch nicht ausreichen, um die Annahme der Verwirkung
zu rechtfertigen. Der Kläger habe das Widerrufsrecht überdies nicht rechtsmissbräuchlich ausgeübt. Auf die Motive, die ihn zur Ausübung des Widerrufsrechts bewogen hätten, komme es nicht an.
12
Auf der Grundlage des durch den Widerruf entstandenen Rückgewährschuldverhältnisses könne der Kläger seine Leistungen zurückverlangen. Verzugszinsen stünden dem Kläger zu, weil die Beklagte aufgrund der Fristsetzung
mit Schreiben vom 12. August 2014 ab dem 3. September 2014 in Verzug geraten sei. Entsprechend sei die Beklagte - wenn auch in reduziertem Umfang - zur
Erstattung vorgerichtlich verauslagter Anwaltskosten verpflichtet.
- 10 -
II.
13
Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht
in allen Punkten stand.
14
1. Im Ausgangspunkt richtig ist das Berufungsgericht freilich davon ausgegangen, der Kläger habe seine auf Abschluss des Darlehensvertrags gerichtete Willenserklärung gegenüber der Beklagten als richtiger Erklärungsgegnerin
widerrufen. Aus dem von der Beklagten vorgelegten eigenen Schreiben vom
Mai 2010 ergibt sich, dass die Beklagte auch nach einem Übergang des Darlehensverhältnisses auf die EAA weiter jedenfalls als deren Erklärungsempfängerin fungieren wollte und sollte. Damit war sie richtige Adressatin des vom Kläger
erklärten Widerrufs.
15
2. Die Erwägungen, mit denen das Berufungsgericht im Falle der wirksamen Ausübung des Widerrufsrechts die Beklagte für die Schuldnerin der aus
dem Rückabwicklungsverhältnis resultierenden Ansprüche gehalten hat, weisen
indessen Rechtsfehler auf.
16
a) Eine Mithaftung der Beklagten gemäß § 133 Abs. 3 UmwG, die auch
für Verpflichtungen aufgrund eines nach Wirksamwerden der Spaltung erklärten
Widerrufs gälte (vgl. Hörtnagl in Schmitt/Hörtnagl/Stratz, UmwG, 7. Aufl., § 133
Rn. 13; Seulen in Semler/Stengel, UmwG, 4. Aufl., § 133 Rn. 13), hat das Berufungsgericht, was die Revision zu Recht rügt, verfahrensfehlerhaft angenommen.
17
Die Beklagte hat vom Kläger bestritten im Rechtsstreit eingewandt, sie
hafte nicht neben der EAA für aus dem Rückgewährschuldverhältnis folgende
Ansprüche des Klägers, weil ihre Mithaftung nach § 8a Abs. 8 Nr. 5 FMStFG in
der Fassung vom 17. Juli 2009 (künftig: aF) ausgeschlossen sei (vgl. auch
Adolff/Eschwey, ZHR 177 [2013], 902, 927 ff.). Diesen Einwand durfte das Berufungsgericht anders als geschehen nicht als unsubstantiiert zurückweisen,
ohne der Beklagten zuvor Gelegenheit zur weiteren Vertiefung ihres Vortrags
zu geben.
- 11 -
18
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs darf eine in erster Instanz siegreiche Partei grundsätzlich darauf vertrauen, dass das Berufungsgericht ihr rechtzeitig einen Hinweis erteilt, wenn es der Beurteilung der
Vorinstanz nicht folgen will. Das Berufungsgericht ist dann auch verpflichtet, der
betroffenen Partei Gelegenheit zu geben, auf den Hinweis zu reagieren und
ihren Tatsachenvortrag zu ergänzen sowie gegebenenfalls Beweis anzutreten
(Senatsurteil vom 21. Dezember 2004 - XI ZR 17/03, juris Rn. 11; Senatsbeschlüsse vom 15. Februar 2005 - XI ZR 144/03, juris Rn. 12 und vom 15. Juni
2010 - XI ZR 318/09, WM 2010, 1448 Rn. 20). Ein rechtlicher Hinweis ist nur
dann entbehrlich, wenn eine Partei in erster Instanz obsiegt hat, die dem ihr
günstigen Urteil zugrundeliegende Auffassung des erstinstanzlichen Gerichts
als zentraler Streitpunkt zur Überprüfung durch das Berufungsgericht gestellt
wird und das Berufungsgericht sich sodann der Auffassung des Berufungsklägers anschließt. In diesem Fall muss die in erster Instanz erfolgreiche Partei
von vornherein damit rechnen, dass das Berufungsgericht anderer Auffassung
ist (Senatsbeschluss vom 10. Januar 2017 - XI ZR 365/14, BKR 2017, 164
Rn. 27).
19
So liegt der Fall hier aber nicht. Die Frage, ob die Beklagte passivlegitimiert sei, spielte für die Entscheidung des Landgerichts keine Rolle. Das Berufungsgericht hätte mithin der Beklagten Gelegenheit geben müssen, zu den
Voraussetzungen eines gesetzlichen Ausschlusses ihrer Mithaftung weiter vorzutragen.
20
b) Rechtsfehlerhaft hat das Berufungsgericht auch eine Haftung der Beklagten wegen eines zurechenbar gesetzten Rechtsscheins - so von der Revision zu Recht beanstandet - angenommen. Denn das Berufungsgericht hat dabei wesentlichen Prozessstoff außer Acht gelassen.
21
Allerdings kann eine Haftung nach § 242 BGB unter bestimmten Umständen in Betracht kommen, wenn sich der in Anspruch Genommene zunächst
auf den geltend gemachten Anspruch einlässt und sich erst später zum Nachteil
des Anspruchstellers auf das Fehlen seiner Passivlegitimation beruft (BGH, Ur-
- 12 -
teile vom 23. Oktober 1986 - VII ZR 195/85, WM 1987, 110 f. und vom 11. Juni
1996 - VI ZR 256/95, NJW 1996, 2724 f. mwN). Es handelt sich hierbei um Fälle der Rechtsscheinhaftung als Unterfall widersprüchlichen Verhaltens, in denen
der in Anspruch Genommene zurechenbar den Rechtsschein gesetzt hat,
Schuldner der behaupteten Forderung zu sein, und der vermeintliche Gläubiger
gutgläubig darauf vertraut (vgl. BGH, Urteile vom 12. Juni 2012 - II ZR 256/11,
WM 2012, 1629 Rn. 27 und vom 5. Juli 2012 - III ZR 116/11, WM 2012, 1482
Rn. 22; Beschluss vom 21. Dezember 2010 - IX ZR 199/10, ZIP 2011, 484
Rn. 7).
22
Die Voraussetzungen einer Rechtsscheinhaftung hat das Berufungsgericht indessen nicht rechtsfehlerfrei hergeleitet. Zwar kann die Würdigung der
konkreten Umstände anhand des § 242 BGB durch das Berufungsgericht vom
Revisionsgericht nur daraufhin überprüft werden, ob sie auf einer tragfähigen
Tatsachengrundlage beruht, alle erheblichen Gesichtspunkte berücksichtigt und
nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt oder von einem falschen Wertungsmaßstab ausgeht (vgl. Senatsurteile vom 12. Juli 2016
- XI ZR 501/15, BGHZ 211, 105 Rn. 18 und - XI ZR 564/15, BGHZ 211, 123
Rn. 43 mwN). Auch danach erweist sich die Folgerung des Berufungsgerichts
indessen als rechtsfehlerhaft. Denn das Berufungsgericht hat, worauf die Revision zu Recht hinweist, isoliert einzelne Aspekte des in den Jahren 2013 und
2014 geführten Schriftverkehrs gewürdigt, ohne die Schreiben aus dem
Mai 2010 und die Gestaltung des Briefkopfs der Beklagten in den Folgeschreiben bei seiner Bewertung miteinzubeziehen. Darauf, ob die vom Berufungsgericht für maßgeblich erachteten Rechtshandlungen der Beklagten im Zusammenhang mit der vorzeitigen Beendigung des Darlehensvertrags vom Kläger
als auf einer treuhänderischen Verwaltung der Beklagten für die EAA beruhend
verstanden werden mussten, ist das Berufungsgericht nicht eingegangen.
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3. Die Folgerung des Berufungsgerichts, die Beklagte habe den Kläger
unzureichend über das ihm zukommende Widerrufsrecht belehrt, so dass die
Widerrufsfrist bei Erklärung des Widerrufs noch nicht abgelaufen gewesen sei,
hält revisionsrechtlicher Überprüfung ebenfalls nicht stand.
- 13 -
24
Das Berufungsgericht hat keine Feststellungen dazu getroffen, ob der
zwischen den Parteien geschlossene Darlehensvertrag - wie von der Beklagten
behauptet - im Wege des Fernabsatzes zustande gekommen ist. Davon hängt
aber, was der Senat nach Erlass des Berufungsurteils klargestellt hat, ab, ob
die Widerrufsbelehrung der Beklagten fehlerfrei war oder nicht (vgl. einerseits
Senatsurteil vom 21. Februar 2017 - XI ZR 467/15, WM 2017, 906 Rn. 46 ff.,
andererseits Senatsurteile vom 24. März 2009 - XI ZR 456/07, WM 2009, 1028
Rn. 14 und vom 16. Mai 2017 - XI ZR 586/15, WM 2017, 1258 Rn. 22 ff.). Mangels hinreichender Feststellungen des Berufungsgerichts ist im Revisionsverfahren zugunsten der Beklagten zu unterstellen, dass die Parteien ein Fernabsatzgeschäft geschlossen haben. Unter diesen Umständen entsprach die Widerrufsbelehrung anders als vom Berufungsgericht angenommen den gesetzlichen Anforderungen (Senatsurteil vom 21. Februar 2017, aaO).
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Entgegen dem Vorbringen der Revisionserwiderung war die Widerrufsbelehrung - den Abschluss des Darlehensvertrags als Fernabsatzgeschäft unterstellt - auch nicht in einer Zusammenschau mit dem "Wichtige[n] Hinweis" undeutlich. Der vorformulierte Hinweis war aus der maßgeblichen Sicht eines
durchschnittlichen Kunden (Senatsurteile vom 28. Mai 2013 - XI ZR 6/12,
WM 2013, 1314 Rn. 34 sowie vom 6. Dezember 2011 - XI ZR 401/10,
WM 2012, 262 Rn. 24 und - XI ZR 442/10, juris Rn. 31) verständlich. Darüber
hinaus wird eine formal und inhaltlich den gesetzlichen Anforderungen genügende Widerrufsbelehrung nicht dadurch undeutlich, dass die Vertragsunterlagen an anderer, wie hier drucktechnisch nicht hervorgehobener Stelle einen
inhaltlich nicht ordnungsgemäßen Zusatz enthalten (vgl. BGH, Urteil vom
16. Dezember 2015 - IV ZR 71/14, juris Rn. 11).
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4. Anhand der neueren Senatsrechtsprechung (Senatsurteile vom
12. Juli 2016 - XI ZR 501/15, BGHZ 211, 105 Rn. 40 und - XI ZR 564/15,
BGHZ 211, 123 Rn. 37, vom 11. Oktober 2016 - XI ZR 482/15, WM 2016, 2295
Rn. 30 f. und vom 14. März 2017 - XI ZR 442/16, WM 2017, 849 Rn. 27 f.) als
rechtsfehlerhaft erweisen sich außerdem die Erwägungen, mit denen das Berufungsgericht eine Verwirkung des Widerrufsrechts verneint hat. Dass die Be-
- 14 -
klagte davon ausging oder ausgehen musste, der Kläger habe von seinem Widerrufsrecht keine Kenntnis, schloss entgegen der Rechtsmeinung des Berufungsgerichts eine Verwirkung nicht aus (vgl. BGH, Urteile vom 27. Juni 1957
- II ZR 15/56, BGHZ 25, 47, 53 und vom 16. März 2007 - V ZR 190/06,
WM 2007, 1940 Rn. 8). Gleiches gilt für den Umstand, dass die Beklagte "die
Situation selbst herbeigeführt hat", weil sie eine ordnungsgemäße Widerrufsbelehrung nicht erteilt hat. Gerade bei beendeten Verbraucherdarlehensverträgen
- wie hier - kann das Vertrauen des Unternehmers auf ein Unterbleiben des Widerrufs schutzwürdig sein, auch wenn die von ihm erteilte Widerrufsbelehrung
ursprünglich den gesetzlichen Vorschriften nicht entsprach und er es in der Folgezeit versäumt hat, den Verbraucher nachzubelehren (Senatsurteil vom
12. Juli 2016 - XI ZR 501/15, aaO, Rn. 41). Das gilt in besonderem Maße, wenn
die Beendigung des Darlehensvertrags auf einen Wunsch des Verbrauchers
zurückgeht (Senatsurteil vom 11. Oktober 2016, aaO, Rn. 30; Senatsbeschluss
vom 12. September 2017 - XI ZR 365/16, n.n.v., Rn. 8).
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5. Das Berufungsgericht, das dem Kläger Verzugszinsen wie beantragt
ab dem 3. September 2014 zugesprochen hat, hat schließlich übersehen, dass
sich die Beklagte jedenfalls zu diesem Zeitpunkt nach Maßgabe der mit Senatsurteil vom 21. Februar 2017 (XI ZR 467/15, WM 2017, 906 Rn. 23 ff.) aufgestellten Grundsätze mit der Erfüllung ihrer Verpflichtungen aus § 357 Abs. 1
Satz 1 BGB in der bis zum 12. Juni 2014 geltenden Fassung in Verbindung mit
§§ 346 ff. BGB nicht in Schuldnerverzug befand, so dass die Beklagte auch
nicht zur Erstattung vorgerichtlich verauslagter Anwaltskosten verpflichtet war.
In diesem Zusammenhang hat das Berufungsgericht - bei der Datierung
"5. Februar 2014" handelt es sich ersichtlich um einen Schreibfehler, gemeint
ist der "5. Februar 2015" - dem Kläger unzutreffend aus § 291 BGB bereits ab
dem Tage der Zustellung der Klageschrift Prozesszinsen zugesprochen. Die
Pflicht zur Zinszahlung besteht in entsprechender Anwendung von § 187 Abs. 1
BGB indessen erst ab dem auf die Rechtshängigkeit folgenden Tag (Senatsurteil vom 4. Juli 2017 - XI ZR 562/15, WM 2017, 1643 Rn. 103, zur Veröffentlichung bestimmt in BGHZ).
- 15 -
III.
28
Das Berufungsurteil unterliegt, soweit das Berufungsgericht zum Nachteil
der Beklagten entschieden hat, der Aufhebung (§ 562 Abs. 1 ZPO). Insoweit
stellt es sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO).
29
Soweit das Berufungsgericht auf die Berufung des Klägers die Beklagte
zur Erstattung vorgerichtlich verauslagter Anwaltskosten verurteilt hat, ist die
Sache zur Endentscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO), weil dem Kläger unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ein entsprechender Anspruch zusteht (Senatsurteil vom 21. Februar 2017 - XI ZR 467/15, WM 2017, 906 Rn. 34 f.).
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30
Im Übrigen ist die Sache, soweit das Berufungsgericht zum Nachteil der
Beklagten erkannt hat, nicht zur Endentscheidung reif. Sie ist daher zur neuen
Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen
(§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Ellenberger
Grüneberg
Menges
Maihold
Derstadt
Vorinstanzen:
LG Mainz, Entscheidung vom 07.09.2015 - 5 O 237/14 OLG Koblenz, Entscheidung vom 05.08.2016 - 8 U 1091/15 -