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BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
XI ZR 387/15
Verkündet am:
25. Oktober 2016
Herrwerth,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
BGB § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 Satz 1 Bl
Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen eines Kreditinstituts, nach denen für geduldete Überziehungen eines Girokontos ein Entgelt von 2,95 € pro Monat
berechnet wird, wenn die angefallenen Sollzinsen diesen Betrag nicht übersteigen,
und Sollzinsen in diesem Fall nicht in Rechnung gestellt werden, unterliegen nach
§ 307 Abs. 3 Satz 1 BGB der richterlichen Inhaltskontrolle und sind im Bankverkehr
mit Verbrauchern gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam.
BGH, Urteil vom 25. Oktober 2016 - XI ZR 387/15 - OLG Düsseldorf
LG Düsseldorf
ECLI:DE:BGH:2016:251016UXIZR387.15.0
-2-
Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 25. Oktober 2016 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Ellenberger,
die Richter Dr. Joeres und Dr. Matthias sowie die Richterinnen Dr. Menges und
Dr. Dauber
für Recht erkannt:
Auf die Rechtsmittel des Klägers werden das Urteil des
6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 16. Juli
2015 aufgehoben und das Urteil der 12. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf vom 9. April 2014 abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt,
es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000 €, ersatzweise Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Wiederholungsfall
Ordnungshaft bis zu zwei Jahren, zu vollstrecken an ihren jeweiligen gesetzlichen Vertretern, zu unterlassen, die nachfolgende
oder eine dieser Klausel inhaltsgleiche Klausel in Bezug auf geduldete Überziehungen zu verwenden, sofern nicht der Vertrag mit
einer Person abgeschlossen wird, die in Ausübung ihrer gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit handelt (Unternehmer):
"… bank berechnet für jeden Monat, in welchem es auf
dem Konto zu einer geduldeten Überziehung kommt, ein
Entgelt von 2,95 €, es sei denn, die angefallenen Sollzinsen
für geduldete Überziehungen übersteigen im Berechnungsmonat den Entgeltbetrag von 2,95 €. Die angefallenen Soll-
-3-
zinsen für geduldete Überziehungen werden nicht in Rechnung gestellt, wenn sie im Berechnungsmonat den Entgeltbetrag von 2,95 € unterschreiten"
sowie an den Kläger 250 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 29. Mai 2012
zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
1
Der Kläger, ein eingetragener Verein, nimmt nach seiner Satzung Verbraucherinteressen wahr und ist als qualifizierte Einrichtung gemäß § 4 UKlaG
eingetragen. Die beklagte Bank verwendet gegenüber ihren Privatkunden ein
Preis- und Leistungsverzeichnis, das in dem Abschnitt "Guthaben- und Sollzinsen" unter Ziffer 8 folgende Klausel enthält:
"… bank berechnet für jeden Monat, in welchem es auf dem Konto zu
einer geduldeten Überziehung kommt, ein Entgelt von 2,95 €, es sei
denn, die angefallenen Sollzinsen für geduldete Überziehungen übersteigen im Berechnungsmonat den Entgeltbetrag von 2,95 €. Die angefallenen Sollzinsen für geduldete Überziehungen werden nicht in Rech-
-4-
nung gestellt, wenn sie im Berechnungsmonat den Entgeltbetrag von
2,95 € unterschreiten."
2
Der Kläger begehrt von der Beklagten die Unterlassung der Verwendung
dieser Klausel und den Ersatz seiner außergerichtlichen Abmahnkosten in Höhe von 250 € nebst Zinsen. Er ist der Ansicht, dass die Klausel als Preisnebenabrede der Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 BGB unterliege und dieser nicht
standhalte.
3
Die Klage ist in den Vorinstanzen erfolglos geblieben. Mit der - vom Berufungsgericht zugelassenen - Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren
weiter.
Entscheidungsgründe:
4
Die Revision des Klägers ist zulässig und begründet.
A.
5
Die Revision des Klägers ist unbeschränkt zugelassen.
6
Das Berufungsgericht hat die Revision im Tenor des Berufungsurteils
unbeschränkt zugelassen. Soweit das Berufungsgericht in den Entscheidungsgründen ausführt, die Revision sei zuzulassen gewesen, weil das Berufungsgericht in der Frage der Aktivlegitimation des Klägers nach § 2 UKlaG von einer
Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main abweiche, handelt es
sich um eine Begründung, nicht um eine Beschränkung der Revisionszulassung. Eine Beschränkung der Revisionszulassung auf "die Frage der Aktivlegi-
-5-
timation des Klägers nach § 2 UKlaG" wäre auch unwirksam, weil sie sich auf
eine Rechtsfrage bezöge, nicht aber auf einen tatsächlich und rechtlich selbständigen und abtrennbaren Teils des Gesamtstreitstoffs, auf den auch die Partei selbst die Revision hätte beschränken können (st. Rspr.; siehe nur Senatsurteile vom 16. Oktober 2012 - XI ZR 368/11, juris Rn. 18 und vom 4. März 2014
- XI ZR 178/12 Rn. 21; BGH, Beschluss vom 16. Dezember 2010 - III ZR
127/10, WM 2011, 526 Rn. 5; jeweils mwN). Denn der Kläger hat mit seinen in
der Revisionsinstanz weiterverfolgten Klageanträgen, welche der Senat selbständig auslegen kann (Senatsurteil vom 27. Mai 2008 - XI ZR 132/07, WM
2008, 1260, 1265; BGH, Urteil vom 1. August 2013 - VII ZR 268/11, NJW 2014,
155 Rn. 30), in der Hauptsache lediglich die Unterlassung der Verwendung der
unter Ziffer 8 der Bedingungen genannten Klausel gestützt auf § 1 UKlaG begehrt. Die Anträge sind - anders als das Berufungsgericht in der mündlichen
Verhandlung vom 18. Juni 2015 in Erwägung gezogen hat - jeweils eindeutig;
auch die Revisionsbegründung und die Revisionserwiderung gehen übereinstimmend davon aus, dass der Kläger sich allein gegen die Verwendung der
angegriffenen Klausel wendet.
B.
7
Die Revision ist auch begründet.
I.
8
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner in WM 2015, 2085 veröffentlichten Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:
-6-
9
Der Kläger habe gegen die Beklagte keinen Anspruch gemäß §§ 1, 3
Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UKlaG es zu unterlassen, die beanstandete Klausel zu verwenden.
10
Es handele sich bei der Klausel um eine Entgeltklausel, die gemäß § 307
Abs. 3 Satz 1 BGB der Inhaltskontrolle entzogen sei, und nicht um eine grundsätzlich kontrollfähige Preisnebenabrede. Ausgehend vom objektiven Inhalt und
typischen Sinn der Klausel ergebe sich, dass ein Durchschnittskunde diese
Klausel als Entgeltklausel für die Überlassung der Darlehensvaluta, und zwar
als eine Art geschuldeten Mindestzins für jeden Monat verstehe, in dem er sein
Girokonto über den vereinbarten Betrag hinaus überziehe. Schon der Wortlaut
der Klausel, der ein Entgelt für eine geduldete Überziehung und damit die Gegenleistung für eine gewährte Leistung vorsehe, spreche für diese Auslegung.
Zwar schulde der Kunde nach dem Wortlaut auch die Sollzinsen, diese würden
allerdings nicht in Rechnung gestellt, wenn sie den Betrag von 2,95 € im Monat
unterschritten. Damit fielen die Sollzinsen und der Mindestbetrag nicht nebeneinander an. Ferner ergebe sich aus der Klausel, dass das Entgelt von 2,95 €,
sofern die geduldete Überziehung über mehrere Monate in Anspruch genommen werde und der Sollzins 2,95 € pro Monat nicht überschreite, für jeden Monat der Überziehung geschuldet und damit laufzeitabhängig sei.
11
Die Erhebung eines solchen Mindestentgelts weiche auch nicht vom gesetzlichen Leitbild ab, wonach für die Überlassung von Geld Zinsen geschuldet
seien. Denn bei Zinsen im Rechtssinne handele es sich um eine laufzeitabhängige Vergütung für die eingeräumte Möglichkeit der Kapitalnutzung. Es sei jedoch nicht begriffswesentlich, dass Zinsen aus einem im Voraus bestimmten
Bruchteil des Kapitals bestünden und in einem Prozentsatz des Kapitals ausgedrückt würden. Insoweit könnten Zinsen für ein Darlehen auch als Festentgelt
erhoben werden.
-7-
12
Dem Kläger fehle die Aktivlegitimation, um gegenüber der Beklagten einen Unterlassungsanspruch gemäß § 2 UKlaG mit der Begründung geltend zu
machen, dass das in der Klausel vorgesehene Festentgelt gemäß § 138 BGB
sittenwidrig sei, weil es sich bei dieser Norm nicht um eine verbraucherschützende Norm im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 UKlaG handele.
13
Die Norm sei eine Generalklausel, deren Hauptzweck es sei, Missbräuchen der Privatautonomie insgesamt entgegenzuwirken und die Geltung von
Rechtsgeschäften zu verhindern, die für die Rechtsgemeinschaft unerträglich
seien, weil sie gegen deren ethische Wertvorstellungen - die guten Sitten - verstießen. Diese Regelung gelte für alle Teilnehmer am Rechtsverkehr und falle
deswegen nicht in den Anwendungsbereich des § 2 UKlaG.
14
Insoweit komme es nicht entscheidend darauf an, dass der Senat ein
auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung nicht festzustellen vermöge. Im Rahmen der Abwägung, ob ein auffälliges Missverhältnis
von Leistung und Gegenleistung vorliege, sei zu berücksichtigen, dass der
Kunde ein erhebliches wirtschaftliches Interesse daran haben könne, dass die
Bank geringfügige Überziehungen dulde. So seien Kosten für Rücklastschriften
erfahrungsgemäß höher als 2,95 €.
II.
15
Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung im entscheidenden
Punkt nicht stand.
16
1. Rechtsfehlerfrei ist allerdings die Auffassung des Berufungsgerichts,
dass es sich bei der streitgegenständlichen Klausel um eine Allgemeine Geschäftsbedingung im Sinne des § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB handelt.
-8-
17
2. Hingegen hält die Ansicht des Berufungsgerichts, die Klausel unterliege gemäß § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB nicht der Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1
BGB, weil es sich um eine kontrollfreie Preishauptabrede handele, rechtlicher
Überprüfung nicht stand.
18
a) Nach § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB sind Gegenstand der Inhaltskontrolle
solche Bestimmungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen, durch die von
Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzende Regelungen vereinbart
werden. Keiner Inhaltskontrolle unterliegen demgegenüber Abreden über den
unmittelbaren Gegenstand des Vertrages, also diejenigen Bestimmungen, die
Art, Umfang und Güte der geschuldeten Hauptleistung und das vom anderen
Teil zu zahlende Entgelt festlegen. Klauseln, die das Hauptleistungsversprechen abweichend vom Gesetz oder der nach Treu und Glauben geschuldeten
Leistung einschränken, verändern, ausgestalten oder modifizieren, sind inhaltlich zu kontrollieren. Einer Inhaltskontrolle entzogen ist damit nur der enge Bereich der Leistungsbestimmungen, ohne deren Vorliegen mangels Bestimmtheit
oder Bestimmbarkeit des wesentlichen Vertragsinhalts ein wirksamer Vertrag
nicht mehr angenommen werden kann (vgl. Senatsurteil vom 12. Juni 2001
- XI ZR 274/00, BGHZ 148, 74, 78; BGH, Urteile vom 12. März 2014 - IV ZR
295/13, BGHZ 200, 293 Rn. 27 und vom 9. April 2014 - VIII ZR 404/12, BGHZ
200, 362 Rn. 43 f.).
19
Demgemäß unterliegen Klauseln, die unmittelbar den Preis der vertraglichen Hauptleistung regeln oder das Entgelt für eine rechtlich nicht geregelte,
zusätzlich angebotene Sonderleistung bestimmen (sog. Preishauptabreden),
grundsätzlich nicht der Inhaltskontrolle, es sei denn, das Gesetz selbst enthält
Vorgaben für die Preisgestaltung (vgl. Senatsurteil vom 17. Dezember 2013
- XI ZR 66/13, BGHZ 199, 281 Rn. 12 mwN). Kontrollfähig sind hingegen sog.
Preisnebenabreden, d.h. Klauseln, die sich nur mittelbar auf den Preis auswir-
-9-
ken und an deren Stelle bei Fehlen einer wirksamen vertraglichen Regelung
dispositives Gesetzesrecht, allgemeine Rechtsgrundsätze oder aus der Natur
des Vertrages im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung ableitbare Rechte
treten können (vgl. Senatsurteile vom 30. November 1993 - XI ZR 80/93, BGHZ
124, 254, 256 und vom 14. Oktober 1997 - XI ZR 167/96, BGHZ 137, 27, 29),
und Regelungen, die kein Entgelt für eine Leistung zum Gegenstand haben, die
dem Kunden auf rechtsgeschäftlicher Grundlage erbracht wird, sondern mit denen der Verwender allgemeine Betriebskosten oder Aufwand zur Erfüllung eigener Pflichten oder für Tätigkeiten, die im eigenen Interesse liegen, auf den
Kunden abwälzt (vgl. Senatsurteile vom 21. April 2009 - XI ZR 78/08, BGHZ
180, 257 Rn. 16, vom 7. Dezember 2010 - XI ZR 3/10, BGHZ 187, 360 Rn. 26,
vom 13. November 2012 - XI ZR 500/11, BGHZ 195, 298 Rn. 13, vom 13. Mai
2014 - XI ZR 405/12, BGHZ 201, 168 Rn. 24, vom 27. Januar 2015 - XI ZR
174/13, WM 2015, 519 Rn. 9 und vom 20. Oktober 2015 - XI ZR 166/14, WM
2016, 35 Rn. 16).
20
b) Ob eine Klausel nach diesen Grundsätzen eine Preishaupt- oder eine
Preisnebenabrede enthält, ist durch Auslegung zu ermitteln, die der Senat
selbst vornehmen kann (vgl. Senatsurteile vom 13. November 2012 - XI ZR
500/11, BGHZ 195, 298 Rn. 15 und vom 13. Mai 2014 - XI ZR 405/12, BGHZ
201, 168 Rn. 26). Dabei ist ausgehend von den Verständnismöglichkeiten eines
rechtlich nicht vorgebildeten Durchschnittskunden nach dem objektiven Gehalt
und typischen Sinn der in Rede stehenden Klausel zu fragen. Sie ist so auszulegen, wie ihr Wortlaut von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter
Abwägung der Interessen der regelmäßig beteiligten Verkehrskreise verstanden
wird (vgl. Senatsurteile vom 20. Oktober 2015 - XI ZR 166/14, WM 2016, 35
Rn. 19 und vom 19. Januar 2016 - XI ZR 388/14, WM 2016, 457 Rn. 21, jeweils
mwN). Sind mehrere Auslegungsmöglichkeiten rechtlich vertretbar, kommt die
Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB zur Anwendung (Senatsurteile vom
- 10 -
8. Mai 2012 - XI ZR 437/11, WM 2012, 1344 Rn. 34, vom 20. Oktober 2015
- XI ZR 166/14, WM 2016, 35 Rn. 19 und vom 19. Januar 2016 - XI ZR 388/14,
WM 2016, 457 Rn. 21, jeweils mwN). Danach ist die scheinbar "kundenfeindlichste" Auslegung im Ergebnis regelmäßig die dem Kunden günstigste, da sie
häufig erst die Inhaltskontrolle eröffnet bzw. zu einer unangemessenen Benachteiligung und damit der Unwirksamkeit der beanstandeten Klausel führt (Senatsurteile vom 7. Dezember 2010 - XI ZR 3/10, BGHZ 187, 360 Rn. 35, vom
8. Mai 2012 - XI ZR 437/11, WM 2012, 1344 Rn. 34, vom 20. Oktober 2015
- XI ZR 166/14, WM 2016, 35 Rn. 19 und vom 19. Januar 2016 - XI ZR 388/14,
WM 2016, 457 Rn. 21). Außer Betracht zu bleiben haben Verständnismöglichkeiten, die zwar theoretisch denkbar, praktisch aber fernliegend und nicht ernstlich in Erwägung zu ziehen sind (Senatsurteile vom 13. Mai 2014 - XI ZR
405/12, BGHZ 201, 168 Rn. 25, vom 27. Januar 2015 - XI ZR 174/13, WM
2015, 519 Rn. 12, vom 20. Oktober 2015 - XI ZR 166/14, WM 2016, 35 Rn. 19
und vom 19. Januar 2016 - XI ZR 388/14, WM 2016, 457 Rn. 21).
21
c) Unter Anwendung der Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB ist
davon auszugehen, dass die streitgegenständliche Klausel nicht als kontrollfreie
Preishauptabrede unmittelbar den Preis der vertraglichen Hauptleistung der
Beklagten regelt, sondern als kontrollfähige Preisnebenabrede ein verdecktes
Bearbeitungsentgelt vorsieht. Die Auslegung der Klausel führt zu keinem eindeutigen Ergebnis.
22
aa) Die Klausel kann rechtlich vertretbar als Preishauptabrede angesehen werden.
23
Zur Begründung dieser Auslegung kann allerdings nicht angeführt werden, die Klausel habe das Entgelt für eine rechtlich nicht geregelte, zusätzlich
angebotene Sonderleistung zum Gegenstand. Der Senat hat zwar im Urteil vom
- 11 -
14. April 1992 im Rahmen der Inhaltskontrolle einer Klausel, welche eine Zinsregelung für geduldete Überziehungen zum Gegenstand hatte, ausgeführt, dass
die geduldete Überziehung eine zusätzliche Leistung darstelle, auf die der Kunde auf Grund der vorher getroffenen Vereinbarung keinen Anspruch habe (Senatsurteil vom 14. April 1992 - XI ZR 196/91, BGHZ 118, 126, 129). An der Einstufung als Zusatzleistung ist aber nach der neueren Gesetzessystematik
(§ 505 BGB) und unter Berücksichtigung der neueren Senatsrechtsprechung
nicht festzuhalten. Denn durch die geduldete Überziehung wird konkludent ein
Verbraucherdarlehensvertrag abgeschlossen (§ 505 Abs. 2 und 4 BGB). Der
Abschluss eines Darlehensvertrages ist aber nach allgemeinen schuldrechtlichen Grundsätzen keine Sonderleistung, sondern Grundlage für die Entstehung
der vertraglichen Hauptleistungspflichten und löst als solcher überhaupt erst
den vertraglichen Vergütungsanspruch aus (Senatsurteil vom 13. Mai 2014
- XI ZR 405/12, BGHZ 201, 168 Rn. 54 mwN).
24
Für die Qualifizierung der Klausel als Preishauptabrede spricht aber,
dass der Pauschalbetrag von 2,95 € in den Fällen, in denen er erhoben wird,
die einzige Gegenleistung für die Einräumung der Möglichkeit des Gebrauchs
des auf Zeit überlassenen Kapitals ist.
25
bb) Hingegen wird die Annahme einer kontrollfähigen Preisnebenabrede,
die ein verdecktes Bearbeitungsentgelt (vgl. zu dessen Kontrollfähigkeit: Senatsurteil vom 13. Mai 2014 - XI ZR 405/12, BGHZ 201, 168 Rn. 24 ff.) vorsieht
(Nobbe, WuB 2016, 403), dadurch nahegelegt, dass der Pauschalbetrag gerade deshalb erhoben wird, weil die Sollzinsen allein in diesen Fällen angesichts
des Bearbeitungsaufwands nicht auskömmlich sind. Bei dieser wirtschaftlichen
Betrachtung deckt der Pauschalbetrag neben den Zinsen den Kostenaufwand
ab, der der Beklagten bei der Bearbeitung einer geduldeten Überziehung, etwa
der Bonitätsprüfung des Kunden - wie die Beklagte in der mündlichen Verhand-
- 12 -
lung ausgeführt hat -, im eigenen Interesse entsteht, und führt im Ergebnis zur
Erhebung eines neben dem Sollzins stehenden Bearbeitungsentgelts, das nicht
als Preis der Hauptleistung der Beklagten, nämlich der Einräumung der Möglichkeit des Gebrauchs des auf Zeit überlassenen Kapitals angesehen werden
kann.
26
cc) Von dieser zuletzt genannten Auslegung der Klausel ist zugunsten
der Kunden der Beklagten auszugehen. Die Zweifel bei der Auslegung der
Klausel gehen zulasten der Beklagten als Verwenderin. Die Klausel ist damit
kontrollfähig. Auf die Frage, inwieweit ein Verstoß gegen gesetzliche Vorgaben
für die Preisgestaltung vorliegt, kommt es somit nicht an.
III.
27
Das Berufungsurteil stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO).
28
Die als Preisnebenabrede zu qualifizierende Klausel hält der Inhaltskontrolle nicht stand, weil sie von wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen
Regelung abweicht und die Kunden der Beklagten entgegen den Geboten von
Treu und Glauben unangemessen benachteiligt (§ 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2
Nr. 1 BGB).
29
1. Die Abweichung von wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen
Regelung liegt darin, dass die angegriffene Klausel die Kunden der Beklagten
mit einem Aufwand für Tätigkeiten belastet, die sie in ihrem eigenen Interesse
erbringt (vgl. hierzu Senatsurteile vom 21. April 2009 - XI ZR 78/08, BGHZ 180,
257 Rn. 21 und vom 13. Mai 2014 - XI ZR 405/12, BGHZ 201, 168 Rn. 66).
- 13 -
30
2. Die unangemessene Benachteiligung wird durch diese Abweichung
indiziert (Senatsurteile vom 18. Mai 1999 - XI ZR 219/98, BGHZ 141, 380, 390,
vom 21. April 2009 - XI ZR 78/08, BGHZ 180, 257 Rn. 21, vom 13. Mai 2014
- XI ZR 405/12, BGHZ 201, 168 Rn. 69 und vom 19. Januar 2016 - XI ZR
388/14, WM 2016, 457 Rn. 30). Diese Vermutung ist zwar als widerlegt anzusehen, wenn die Klausel auf der Grundlage einer umfassenden Interessenabwägung den Kunden gleichwohl nicht unangemessen benachteiligt (Senatsurteile vom 14. Januar 2014 - XI ZR 355/12, BGHZ 199, 355 Rn. 45 und vom
13. Mai 2014 - XI ZR 405/12, BGHZ 201, 168 Rn. 69). Hiervon ist insbesondere
auszugehen, wenn die Abweichung vom gesetzlichen Leitbild sachlich gerechtfertigt und der gesetzliche Schutzzweck auf andere Weise sichergestellt ist
(Senatsurteil vom 14. Januar 2014 - XI ZR 255/12, BGHZ 199, 355 Rn. 45
mwN). Derartige Umstände sind indes weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
31
a) Im Gegenteil führt die Klausel gerade bei niedrigen Überziehungsbeträgen und kurzen Laufzeiten zu Lasten der Kunden dazu, dass der Darlehensnehmer ein Entgelt zu zahlen hat, welches bei einem nach dem gesetzlichen
Leitbild ausgestalteten Darlehen, bei dem die Kosten der Bearbeitung in den
laufzeitabhängigen Zins eingepreist sind, nur bei einem Zinssatz erzielt werden
kann, dessen Vereinbarung den objektiven Tatbestand eines wucherähnlichen
Geschäfts im Sinne des § 138 Abs. 1 BGB erfüllt (vgl. Jungmann, WuB 2015,
310, 314; Nobbe, WuB 2016, 403, 406).
32
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind Darlehensverträge gemäß § 138 Abs. 1 BGB sittenwidrig, wenn zwischen Leistung
und Gegenleistung ein auffälliges Missverhältnis besteht und der Darlehensgeber die schwächere Lage des anderen Teils bewusst zu seinem Vorteil ausnutzt
oder sich leichtfertig der Erkenntnis verschließt, dass der Darlehensnehmer sich
- 14 -
nur wegen seiner schwächeren Lage auf die bedrückenden Bedingungen einlässt (vgl. BGH, Urteile vom 12. März 1981 - III ZR 92/79, BGHZ 80, 153, 160 f.
und vom 24. März 1988 - III ZR 30/87, BGHZ 104, 102, 104 ff.; MünchKommBGB/Armbrüster, 7. Aufl., § 138 Rn. 119 f.; Palandt/Ellenberger, BGB,
75. Aufl., § 138 Rn. 25). Ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und
Gegenleistung liegt vor, wenn der effektive Vertragszins den marktüblichen Effektivzins relativ um etwa 100% oder absolut um 12 Prozentpunkte überschreitet (Senatsurteile vom 13. März 1990 - XI ZR 252/89, BGHZ 110, 336, 340 und
vom 29. November 2011 - XI ZR 220/10, WM 2012, 30 Rn. 10 mwN; MünchKommBGB/Armbrüster, 7. Aufl., § 138 Rn. 119; Palandt/Ellenberger, BGB,
75. Aufl., § 138 Rn. 27).
33
Vom Vorliegen dieser Voraussetzungen kann ohne weiteres ausgegangen werden. Denn bei einer geduldeten Überziehung von beispielsweise 10 €
für einen Tag und dem hierfür in Rechnung gestellten Betrag von 2,95 € wäre
für die Gegenleistung ein Zinssatz von 10.767,5% p.a. zu vereinbaren. Der
durchschnittliche effektive Zinssatz für revolvierende Kredite und Überziehungskredite an private Haushalte (MFI-Zinsstatistik, Effektivzinssätze Banken
DE/Neugeschäft/Revolvierende Kredite und Überziehungskredite an private
Haushalte, siehe unter www.bundesbank.de), der zwar nicht allein Überziehungskredite zum Gegenstand hat, aber dennoch einen hinreichenden Anhaltspunkt für die Größenordnung des effektiven Marktzinses für Überziehungskredite liefert, betrug demgegenüber im Mai 2016 lediglich 8,75%.
34
Vor diesem Hintergrund kommt es entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht darauf an, dass Kunden der Beklagten an einer geduldeten Überziehung ein erhebliches Interesse haben können, etwa um Kosten von Rücklastschriften zu vermeiden (vgl. Nietsch, EWiR 2015, 203, 204). Dieser Umstand rechtfertigt es nicht, geduldete Überziehungen zu Bedingungen zu ge-
- 15 -
währen, bei denen Leistung und Gegenleistung in einem auffälligen Missverhältnis stehen.
35
b) Eine unangemessene Benachteiligung kann auch nicht unter Verweis
auf bankbetriebswirtschaftliche Erwägungen verneint werden.
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Es kann in diesem Zusammenhang nicht darauf abgestellt werden, dass
die Erhebung eines Betrags von 2,95 € dazu dient, die Kosten abzudecken, die
bei der Beklagten als Darlehensgeberin im Zusammenhang mit der Kapitalüberlassung entstehen, weil diese mit dem Zins abzugelten sind (Senatsurteil vom
13. Mai 2014 - XI ZR 405/12, BGHZ 201, 168 Rn. 46; MünchKommBGB/K. P.
Berger, 7. Aufl., § 488 Rn. 154), der dementsprechend kalkuliert und bis zur
Grenze des § 138 BGB frei bestimmt werden kann (Senatsurteil aaO Rn. 86
mwN). Insoweit ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auch anerkannt, dass für die Gewährung eines Überziehungskredits wegen des damit
verbundenen höheren Aufwandes ein höherer Zinssatz verlangt werden kann
(Senatsurteil vom 14. April 1992 - XI ZR 196/91, BGHZ 118, 126, 130). Hinzu
kommt, dass die Entgelthöhe nicht in Bezug auf jedes einzelne Geschäft zu
kalkulieren ist, sondern gerade bei einer Vielzahl von Geschäftsvorfällen, wie
bei geduldeten Überziehungen typisch, ohne weiteres einer Mischkalkulation
zugänglich ist.
37
Einer Umlegung der Kosten, die mit der Darlehensgewährung einhergehen, über den Zins steht nicht entgegen, dass Überziehungskredite in der Regel
nur kurze Laufzeiten haben. Denn eine nur kurze Darlehenslaufzeit kann bei
der Zinshöhe insbesondere im Rahmen einer Mischkalkulation Berücksichtigung finden.
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c) Unerheblich ist, ob es sich bei dem Betrag von 2,95 € absolut gesehen
nur um einen geringen Betrag handelt. Denn die vermeintlich geringe Höhe ei-
- 16 -
nes Entgelts ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs grundsätzlich kein geeignetes Kriterium, um eine unangemessene Benachteiligung zu
rechtfertigen (vgl. BGH, Urteile vom 29. Oktober 1956 - II ZR 79/55, BGHZ 22,
90, 98, vom 29. September 1960 - II ZR 25/59, BGHZ 33, 216, 219 und vom
12. Mai 1980 - VII ZR 166/79, BGHZ 77, 126, 131; Palandt/Grüneberg, BGB,
75. Aufl., § 307 Rn. 18; MünchKommBGB/Wurmnest, 7. Aufl., § 307 Rn. 43 f.).
IV.
39
Das Berufungsurteil ist demnach aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Der
Senat kann in der Sache selbst entscheiden, weil die Sache entscheidungsreif
ist (§ 563 Abs. 3 ZPO). Das Berufungsgericht hat die erforderlichen Feststellungen in der Hauptsache getroffen. Weitergehende Feststellungen zu den Nebenforderungen sind mangels insoweit erforderlicher Sachaufklärung (§ 139 Abs. 2
Satz 1 ZPO) nicht geboten.
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Dem Kläger steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch gemäß
§§ 1, 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 UKlaG zu. Daneben kann er Ersatz der geltend gemachten außergerichtlichen Abmahnkosten in Höhe von 250 €, welche zwischen den Parteien dem Grunde und der Höhe nach unstreitig sind, gemäß § 5
- 17 -
UKlaG i.V.m. § 12 Abs. 1 Satz 2 UWG beanspruchen. Der Zinsanspruch folgt
ab dem 29. Mai 2012 aus § 288 Abs. 1 BGB, weil die Beklagte sich unstreitig ab
diesem Zeitpunkt mit der Erstattung der Abmahnkosten in Verzug befand.
Ellenberger
Joeres
Menges
Matthias
Dauber
Vorinstanzen:
LG Düsseldorf, Entscheidung vom 09.04.2014 - 12 O 71/13 OLG Düsseldorf, Entscheidung vom 16.07.2015 - I-6 U 94/14 -