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BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
XI ZR 242/05
Verkündet am:
19. September 2006
Herrwerth,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
_____________________
BGB § 249 Hd
Wird der Erwerb einer werthaltigen Eigentumswohnung durch ein Darlehen finanziert, so besteht der Schutzzweck der Widerrufsbelehrung nach dem Haustürwiderrufsgesetz auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften vom 25. Oktober 2005 (WM 2005,
2086, 2089 - Crailsheimer Volksbank) nicht darin, den über sein Widerrufsrecht
nicht belehrten Darlehensnehmer mit Hilfe des Schadensersatzrechts so zu
stellen, als wenn das Darlehen sofort widerrufen und eine Eigenfinanzierung
vorgenommen worden wäre.
BGH, Urteil vom 19. September 2006 - XI ZR 242/05 - KG Berlin
LG Berlin
-2-
Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung vom 19. September 2006 durch den Vorsitzenden Richter
Nobbe und die Richter Dr. Müller, Dr. Joeres, Dr. Ellenberger und
Prof. Dr. Schmitt
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des
23. Zivilsenats des Kammergerichts in Berlin vom
11. August 2005 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens,
an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
1
Die Kläger nehmen die beklagte Bank auf Rückzahlung von Leistungen in Anspruch, die sie aufgrund eines Darlehensvertrages erbracht
haben. Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
2
Die Kläger, ein damals 43-jähriger Beamter und seine damals 38jährige Ehefrau, erwarben mit notariellem Kaufvertrag vom 20. Dezember
1996 die von ihnen bewohnte Eigentumswohnung in der R.
-3-
Straße
in B.
zum Preis vom 250.000 DM. Zur Finanzierung des
Kaufpreises stellten sie am 8. Februar 1997 auf Vermittlung eines Mitarbeiters der ...
Bausparkasse bei der Beklagten einen Antrag auf
Gewährung eines Annuitätendarlehens über 190.000 DM zum Zinssatz
von 6,65% p.a. fest bis Ende Februar 2007 bei 1% Tilgung. Ausweislich
der Selbstauskunft der Kläger verfügten sie über Barmittel von 8.750 DM
und ein Bausparguthaben von 31.000 DM. Die Beklagte nahm das Vertragsangebot am 11. Februar 1997 ohne Erteilung einer Widerrufsbelehrung nach dem Haustürwiderrufsgesetz an und zahlte den nach Abzug
von Bereitstellungszinsen sowie Bearbeitungs- und Schätzkosten verbleibenden Darlehensbetrag über 188.459,17 DM vereinbarungsgemäß an
den Notar der Kaufvertragsparteien aus. Das Darlehen wurde durch eine
Grundschuld von 190.000 DM an der Eigentumswohnung gesichert.
3
Am 21. Juni 2002 widerriefen die Kläger ihre Darlehensvertragserklärung nach dem Haustürwiderrufsgesetz. Die Kläger behaupten: Sie
hätten die erworbene Immobilie ursprünglich mit Hilfe eines Bauspardarlehens finanzieren wollen und deshalb den Mitarbeiter der ...
Bausparkasse in ihre Wohnung bestellt. Bei dieser Gelegenheit habe er
für sie völlig unerwartet eine Finanzierung durch die Beklagte als Finanzpartnerin der Bausparkasse vorgeschlagen und sie, die Kläger, unter Ausnutzung der Haustürsituation zum Abschluss des Darlehensvertrages bewogen.
4
Das Landgericht hat die auf Rückzahlung der von den Klägern geleisteten Zins- und Tilgungsraten in Höhe von insgesamt 41.212,87 € zuzüglich Zinsen Zug um Zug gegen Zahlung des Restdarlehens über
96.357,61 € nebst 4% Zinsen gerichtete Klage abgewiesen. Die Berufung
-4-
der Kläger ist erfolglos geblieben. Mit der - vom erkennenden Senat zugelassenen Revision verfolgen sie ihren Klageantrag weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision ist begründet; sie führt zur Aufhebung des Beru-
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fungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Oberlandesgericht.
I.
6
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im
Wesentlichen ausgeführt:
7
Den Klägern stehe kein Rückzahlungsanspruch nach dem Haustürwiderrufsgesetz zu. Ein Widerrufsrecht sei jedenfalls deshalb nicht
entstanden, weil die Beklagte sich eine etwaige Haustürsituation nicht
zurechnen lassen müsse. Die Entscheidung dieser Frage richte sich
nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes nach den zur Anfechtung wegen arglistiger Täuschung entwickelten Grundsätzen. Eine
entsprechende Anwendung der in § 123 Abs. 1 BGB festgelegten Zuordnungsregeln setze voraus, dass der Verhandlungsführer entweder ein
Angestellter, Mitarbeiter bzw. Beauftragter des Erklärungsempfängers
sei oder nach außen als dessen Vertrauensperson gehandelt habe. Dies
sei hier nicht der Fall.
-5-
8
Ebenso komme eine Zurechnung der Haustürsituation nach § 123
Abs. 2 BGB (analog) nicht in Betracht. Das Verhalten des "Dritten" im
Sinne dieser Vorschrift müsse sich der Erklärungsempfänger erst dann
zurechnen lassen, wenn er dessen auf die Haustürsituation bezogenes
Handeln bei Vertragsschluss gekannt habe oder habe kennen müssen.
Für eine fahrlässige Unkenntnis des Erklärungsempfängers genüge
zwar, dass ihn die Umstände des Falles veranlassen mussten, sich zu
erkundigen, auf welchen Umständen die ihm übermittelte Willenserklärung beruhe. Die bloße Kenntnis der Beklagten, dass der Kreditantrag
von einem Mitarbeiter einer Bausparkasse vermittelt worden sei, der
möglicherweise gelegentlich auch Hausbesuche durchführe, genüge insoweit aber nicht.
II.
9
Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
Das Berufungsgericht hat die unterstellte Haustürsituation der Beklagten
zu Unrecht nicht zugerechnet.
10
Allerdings hat der Bundesgerichtshof bisher in ständiger Rechtsprechung, der das Berufungsgericht gefolgt ist, angenommen, dass ein
Darlehensvertrag nicht schon dann nach dem Haustürwiderrufsgesetz
wirksam widerrufen werden kann, wenn der Vermittler einer finanzierten
Kapitalanlage den Abschluss des Kreditvertrages in einer Haustürsituation angebahnt hat. Vielmehr wurde der kreditgebenden Bank die Haustürsituation - in Übereinstimmung mit den Gesetzesmaterialien (BTDrucks. 10/2876, S. 11) und der ganz herrschenden Ansicht in der Lite-
-6-
ratur
(siehe
z.B.
MünchKommBGB/Ulmer,
4. Aufl.
§ 312
Rdn. 30
m.w.Nachw.) - außerhalb des Anwendungsbereichs des § 278 BGB nur
dann zugerechnet, wenn die für die Zurechnung der arglistigen Täuschung gemäß § 123 Abs. 2 BGB notwendigen Voraussetzungen erfüllt
sind. War der Verhandlungsführer als "Dritter" im Sinne dieser Vorschrift
anzusehen, so war sein auf die Haustürsituation bezogenes Handeln der
Bank daher nur dann zuzurechnen, wenn sie dieses bei Vertragsschluss
kannte oder hätte erkennen müssen (siehe z.B. BGHZ 159, 280, 285 f.;
Senatsurteile vom 12. November 2002 - XI ZR 3/01, WM 2003, 61, 63,
vom 15. Juli 2003 - XI ZR 162/00, ZIP 2003, 1741, 1743 und vom
20. Januar 2004 - XI ZR 460/02, WM 2004, 521, 523).
11
Wie der erkennende Senat bereits in seinem erst nach der angefochtenen Entscheidung ergangenen Urteil vom 14. Februar 2006 (XI ZR
255/04, WM 2006, 674, 675; siehe ferner Senatsurteile vom 25. April
2006 - XI ZR 193/04, WM 2006, 1003, 1008, zur Veröffentlichung in
BGHZ vorgesehen, und vom 20. Juni 2006 - XI ZR 224/05, Umdruck
S. 7 f.; ebenso schon BGH, Urteil vom 12. Dezember 2005 - II ZR
327/04, WM 2006, 220, 221 f.) dargelegt hat, hält er an dieser Rechtsprechung nicht weiter fest. Mit dem Haustürwiderrufsgesetz hat der Gesetzgeber die Richtlinie 85/577/EWG des Rates vom 20. Dezember 1985
betreffend den Verbraucherschutz im Falle von außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen (ABl. L 372, S. 31; "Haustürgeschäfterichtlinie") in nationales Recht umgesetzt. Nach der bindenden
Auslegung des europäischen Rechts durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in seinem erst nach der angefochtenen Entscheidung ergangenen Urteil vom 25. Oktober 2005 (WM 2005, 2086 ff.
- Crailsheimer Volksbank) muss sich die kreditgebende Bank die Haus-
-7-
türsituation bereits dann zurechnen lassen, wenn sie bei Abschluss des
Darlehensvertrages objektiv vorgelegen hat. Eine solche richtlinienkonforme Auslegung lässt das nationale Recht zu. Zwar wollte der Gesetzgeber (vgl. BT-Drucks. aaO) - worauf auch das Berufungsgericht zutreffend hingewiesen hat - den durch die Haustürsituation in seiner Willensbildung beeinträchtigten Verbraucher grundsätzlich nicht weiter schützen
als einen Vertragspartner, der durch eine arglistige Täuschung zum Vertragsschluss bewogen wurde. Diese Absicht hat aber im Wortlaut des § 1
HWiG keinen Niederschlag gefunden. Es handelt sich nicht einmal um
eine Interpretation des Gesetzestextes, sondern um einen Diskussionsbeitrag zu einer Frage, die im Gesetz nicht beantwortet worden ist, sondern der Rechtsprechung und der Lehre überlassen bleiben sollte (siehe
Senatsurteil vom 14. Februar 2006, aaO S. 675). Eine etwaige Haustürsituation ist der Beklagten infolgedessen nach rein objektiven Kriterien zuzurechnen.
III.
12
Das angefochtene Urteil war danach aufzuheben (§ 562 Abs. 1
ZPO) und die Sache zur Feststellung, ob der Kreditantrag der Kläger auf
einer Haustürsituation beruht, zur neuen Verhandlung und Entscheidung
an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
13
Für den Fall, dass die Beweisaufnahme ergeben sollte, dass die
Kläger zur Abgabe ihrer Darlehensvertragserklärung durch mündliche
Verhandlungen in ihrer Wohnung bestimmt worden sind, wird unter Be-
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rücksichtigung der Ausführungen der Kläger in der Revisionsinstanz auf
Folgendes hingewiesen:
14
Wie die Kläger in ihrem Klageantrag zutreffend berücksichtigt haben, steht ihnen im Falle eines wirksamen Widerrufs des Darlehensvertrags ein Anspruch auf Rückgewähr der von ihnen erbrachten Zins- und
Tilgungsraten nur Zug um Zug gegen Rückzahlung des gesamten Nettokreditbetrages von 188.459,17 DM, d.h. 96.357,64 € (nicht: 96.357,61 €
wie beantragt) zu (§ 3 Abs. 1, § 4 HWiG). Daneben haben die Kläger Anspruch auf marktübliche Verzinsung der von ihnen gezahlten, der Beklagten zur Nutzung zur Verfügung stehenden Raten (BGHZ 152, 331,
336; Senatsurteil vom 15. Juli 2003 - XI ZR 162/00, ZIP 2003, 1741,
1744). Dabei kann, da es sich hier um einen Realkredit handelt, entgegen der Ansicht der Kläger nicht ohne weiteres von einem Zinssatz von
5% über dem Diskontsatz der deutschen Bundesbank ausgegangen werden (Senatsurteile vom 18. Februar 1992 - XI ZR 134/91, WM 1992, 566,
567 und vom 12. Mai 1998 - XI ZR 79/97, WM 1998, 1325, 1326 f.). Für
den den Klägern überlassenen Nettokreditbetrag kann die Beklagte ihrerseits marktübliche Zinsen beanspruchen (BGHZ 152, 331, 338; Senatsurteile vom 26. November 2002 - XI ZR 10/00, WM 2003, 64, 66 und
vom 15. Juli 2003 - XI ZR 162/00, ZIP 2003, 1741, 1744), nicht lediglich
durchgängig 4% wie im Antrag der Kläger vorgesehen.
Ein Schadensersatzanspruch, der von dem gestellten Klageantrag
15
im Übrigen allenfalls zu einem kleinen Teil umfasst wird, steht den Klägern wegen der unterbliebenen Widerrufsbelehrung entgegen der Ansicht der Revision auch unter Berücksichtigung der Urteile des Gerichtshofs
der
Europäischen
Gemeinschaften
vom
25. Oktober
2005
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(WM 2005, 2079 ff. - Schulte und WM 2005, 2086 ff. - Crailsheimer
Volksbank) nicht zu. Die unterbliebene Widerrufsbelehrung ist für den
mehrere Wochen früher abgeschlossenen finanzierten Wohnungskaufvertrag nicht, wie erforderlich (Senatsurteil vom 16. Mai 2006 - XI ZR
6/04, WM 2006, 1194, 1199, für BGHZ vorgesehen), kausal geworden.
16
Darüber hinaus ist den Klägern durch den Erwerb der werthaltigen
Eigentumswohnung kein Vermögensschaden im Sinne des § 249 BGB
entstanden. Entgegen der Ansicht der Revision besteht ein Schadensersatzanspruch der Kläger auch dann nicht, wenn sie den Kaufpreis für die
Eigentumswohnung mit Eigenmitteln hätten finanzieren können und davon angeblich durch die unterbliebene Widerrufsbelehrung abgehalten
worden sind. Wie der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in
seiner Entscheidung vom 25. Oktober 2005 (aaO S. 2086, 2089) in
Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des Senats ausdrücklich klargestellt hat, ist die Pflicht des Darlehensnehmers, den Nettokreditbetrag zuzüglich marktüblicher Zinsen nach Widerruf der Darlehensvertragserklärung zurückzuzahlen, mit der Haustürgeschäfterichtli-
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nie vereinbar. Diese Verpflichtung gehört nach dem Schutzzweck der
Widerrufsbelehrung danach nicht zu den Risiken, vor denen die Widerrufsbelehrung schützen soll.
Nobbe
Müller
Ellenberger
Joeres
Schmitt
Vorinstanzen:
LG Berlin, Entscheidung vom 14.01.2004 - 4 O 341/03 KG Berlin, Entscheidung vom 11.08.2005 - 23 U 47/04 -