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BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
Xa ZR 92/05
Verkündet am:
30. April 2009
Anderer
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in der Patentnichtigkeitssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ:
nein
Betrieb einer Sicherheitseinrichtung
PatG § 4
Um das Begehen eines von den bisher beschrittenen Wegen abweichenden
Lösungswegs nicht nur als möglich, sondern dem Fachmann nahegelegt anzusehen, bedarf es - abgesehen von den Fällen, in denen für den Fachmann auf
der Hand liegt, was zu tun ist - in der Regel zusätzlicher, über die Erkennbarkeit des technischen Problems hinausreichender Anstöße, Anregungen, Hinweise oder sonstiger Anlässe dafür, die Lösung des technischen Problems auf
dem Weg der Erfindung zu suchen.
BGH, Urt. v. 30. April 2009 - Xa ZR 92/05 - Bundespatentgericht
-2-
Der Xa-Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 17. März 2009 durch die Richter Prof. Dr. Meier-Beck,
Keukenschrijver, die Richterin Mühlens und die Richter Dr. Lemke und
Asendorf
für Recht erkannt:
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 13. April 2005 verkündete Urteil des 4. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts abgeändert:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Von Rechts wegen
-3-
Tatbestand:
1
Die Beklagte ist Inhaberin des am 5. September 1987 angemeldeten, im
Lauf des Berufungsverfahrens nach Ablauf der Höchstschutzdauer erloschenen
deutschen Patents 37 29 785 (Streitpatents), das ein Verfahren zum Betrieb
einer Sicherheitseinrichtung für Fahrzeuginsassen und eine Vorrichtung zur
Durchführung eines solchen Verfahrens betrifft und 5 Patentansprüche umfasst. Die Patentansprüche 1 und 3 des Streitpatents haben folgenden Wortlaut:
"1. Verfahren zum Betrieb einer Sicherheitseinrichtung für Fahrzeuginsassen mit
einem Speicherelement für elektrische Energie, sowie mit mehreren, mit dem
Speicherelement verbindbaren Auslösemitteln für Rückhaltevorrichtungen
wie Gassack oder Gurtstraffer, dadurch gekennzeichnet, dass nach Betätigung jedes Auslösemittels die dem Auslösemittel zugeführte Energie gemessen wird und dass nach Erreichen des festlegbaren Energiegrenzwertes die
Energiezufuhr zu dem zuvor betätigten Auslösemittel unterbrochen wird.
3. Vorrichtung zur Durchführung des Verfahrens zu einem der Ansprüche 1 und
2, dadurch gekennzeichnet, dass die Auslösemittel (14a bzw. 14b bzw. 14c)
in bekannter Weise mittels durch eine Auswerteeinrichtung (10) ansteuerbarer Schalteinrichtungen (11a bzw. 11b bzw. 11c) zur Bildung eines geschlossenen Stromkreises mit einem elektrische Energie speichernden Speicherelement (C12) verbindbar sind."
2
Wegen der abhängigen Patentansprüche 2, 4 und 5 des Streitpatents
wird auf die Patentschrift verwiesen.
3
Die von der Beklagten wegen Verletzung des Streitpatents gerichtlich in
Anspruch genommene Klägerin hat dessen Nichtigerklärung mit der Begründung beantragt, der Gegenstand des Streitpatents sei gegenüber dem Stand
der Technik, wie ihn u.a. die deutschen Offenlegungsschriften 22 22 038 (D15),
22 25 709 (D9), 24 54 424 (D13), 25 16 354 (D16), 26 12 215 (D14), 28 51 333
(D10), die Veröffentlichung der europäischen Patentanmeldung 22 146 (D11),
die US-Patentschrift 4 222 030 (D12) und verschiedene Literaturstellen bilde-
-4-
ten, nicht patentfähig. Sie hat sich weiter auf mehrere nachveröffentlichte, aber
zeitrangältere Patentveröffentlichungen gestützt.
4
Die Beklagte, die der Klage entgegengetreten ist, hat das Streitpatent in
seiner der Patenterteilung zugrunde liegenden Fassung sowie hilfsweise in einer eingeschränkten Fassung verteidigt.
5
Das Bundespatentgericht hat das Streitpatent in vollem Umfang für nichtig erklärt.
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Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung. Sie beantragt in
erster Linie, unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen. Die Klägerin tritt dem Rechtsmittel entgegen. Sie stützt sich im Berufungsverfahren ergänzend u.a. auf die US-Patentschrift 4 497 025 (BB7).
7
Im Auftrag des Senats hat Professor Dr.-Ing. W.
M.
,
, ein schriftliches Gutachten erstattet, das er in der mündlichen Verhandlung erläutert und
ergänzt hat.
Entscheidungsgründe:
8
I.
Die Klage ist nach Ablauf des Streitpatents zulässig, weil der gericht-
lich aus dem Streitpatent in Anspruch genommenen Klägerin ein eigenes
Rechtsschutzbedürfnis an der Nichtigerklärung zur Seite steht (st. Rspr., vgl.
nur BGH, Urt. v. 12.12.2006 - X ZR 131/02, GRUR 2007, 309 - Schussfäden-
-5-
transport; v. 24.4.2007 - X ZR 201/02, GRUR 2008, 90 - Verpackungsmaschine; v. 16.10.2007 - X ZR 226/02, GRUR 2008, 60 - Sammelhefter II).
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II. Das Streitpatent betrifft ein Verfahren zum Betrieb einer Sicherheitseinrichtung für Fahrzeuginsassen und eine Vorrichtung zur Durchführung des
Verfahrens.
10
1. Nach der Beschreibung des Streitpatents ist bei bekannten Sicherheitseinrichtungen ein (Hilfs-)Speicherelement für elektrische Energie vorgesehen, damit die Sicherheitseinrichtung auch noch dann betätigt werden kann,
wenn beispielsweise durch einen Fahrzeugcrash die Verbindung zur Hauptenergiequelle des Fahrzeugs unterbrochen ist. Die Auslösung der Sicherheitseinrichtung erfolgt vielfach durch elektrisch zu betätigende Auslösemittel wie
Zündpillen, die bei Stromdurchfluss erhitzt werden und dadurch eine pyrotechnische Reaktion in Gang setzen, aber nach der Zündung zu unerwünschten
Nebenschlüssen mit nicht vorhersehbaren Widerstandswerten neigen, die die
begrenzte Energiereserve des Speicherelements beanspruchen, so dass diese
nicht mehr dafür ausreicht, weitere Auslösemittel zu betätigen.
11
2. Durch das Streitpatent soll bewirkt werden, dass sämtliche Auslösemittel sicher ausgelöst werden.
12
3. Hierzu soll durch Patentanspruch 1 des Streitpatents ein Verfahren
zum Betrieb einer Sicherheitseinrichtung für Fahrzeuginsassen zur Verfügung
gestellt werden, bei dem
(1)
ein Speicherelement für elektrische Energie vorhanden ist,
(2)
mehrere Auslösemittel für Rückhaltevorrichtungen mit dem
Speicherelement verbindbar sind,
-6-
(3)
nach Betätigung eines (jedes) Auslösemittels die dem Auslösemittel zugeführte Energie gemessen und
(4)
die Energiezufuhr zu dem zuvor betätigten Auslösemittel nach
Erreichen eines festgelegten (festlegbaren) Energiegrenzwerts
unterbrochen wird.
4. Das dem Patent zugrunde liegende System besteht aus einer elekt-
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romechanischen Vorrichtung mit einer Energiequelle (Merkmal 1) und einem
System zur Übertragung elektrischer Energie (wie sich aus Merkmal 2 ergibt),
wobei die Energieübertragung ein- oder ausgeschaltet (gesteuert) werden kann
(Merkmale 3 und 4). Als Speicherelement kann dabei insbesondere ein Kondensator verwendet werden. Zu der Frage, wieviel Energie dem Auslösemittel
zugemessen werden muss, trifft Patentanspruch 1 keine Aussage. Vielmehr
wird erfindungsgemäß bei der Einrichtung des Systems ein Grenzwert festgelegt, nach dessen Erreichung die Energiezufuhr zum Auslösemittel abgeschaltet wird. Diesen Grenzwert wird der Fachmann, ein an einer Hochschule oder
Fachhochschule ausgebildeter Diplomingenieur der Elektrotechnik mit mehrjähriger Berufserfahrung auf dem Gebiet der Entwicklung von Insassensicherheitssystemen, zweckmäßigerweise so wählen, dass er etwas über der Energiemenge liegt, die für die zuverlässige Betätigung des Auslösemittels benötigt
wird.
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III. Die Berufung führt unter Abänderung des angefochtenen Urteils zur
Abweisung der Nichtigkeitsklage.
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1. Die bereits im Einspruchsverfahren gegen das Streitpatent berücksichtigte, im Jahr 1975 veröffentlichte deutsche Offenlegungsschrift 25 16 354
(D16) beschreibt ein Sicherheitssystem für Fahrzeuginsassen, bei dem verzögerungsempfindliche Einrichtungen beim Überschreiten eines vorgegebenen
-7-
Verzögerungswerts einen Zündstromkreis für Elektrosprengsätze schließen.
Nach der Beschreibung (S. 3 dritter Abs.) hat sich gezeigt, dass bei der Explosion solcher Sprengsätze die zugehörigen elektrischen Verbindungen kurzgeschlossen werden können, was infolge einer schnellen Entladung die in der
Offenlegungsschrift vorgesehene Hilfsstromquelle unwirksam macht. Auch
können das Zünden und der Kurzschluss eines Sprengsatzes ein nachfolgendes Zünden der übrigen Sprengsätze verhindern, wodurch der gewünschte
Schutz für andere Fahrgäste u.U. nicht mehr gegeben ist (S. 3 vierter Abs.). Es
wird daher vorgeschlagen, dass die verzögerungsempfindlichen Einrichtungen
in Reihe mit den ihnen jeweils zugeordneten Elektrosprengsätzen geschaltet
und an den Ausgang einer Stromversorgung angeschlossen sind, die aus der
Fahrzeugbatterie und einer weiteren Hilfsstromquelle besteht, und dass in den
Stromkreis jedes Elektrosprengsatzes eine Sicherung eingeschaltet wird, deren
Ansprechcharakteristik so gewählt ist, dass sie den zugehörigen Stromkreis im
Kurzschlussfall oder in einem kurzschlussähnlichen Fall von der Stromversorgung trennt. Nach einem Ausführungsbeispiel schließt die Stromversorgung
eine Hilfsstromquelle ein, die einen Kondensator aufweisen kann (S. 5 zweiter
Abs.). Die Zündleitung verläuft über eine verzögerungsempfindliche Einrichtung
zur Ausgangsleitung der Stromversorgung, eine weitere Zündleitung über eine
in Reihe geschaltete Sicherung und eine weitere verzögerungsempfindliche
Einrichtung ebenfalls zur Ausgangsleitung der Stromversorgung. Jede der verzögerungsempfindlichen Einrichtungen enthält einen im Normalzustand offenen
Schalter, der bei einem vorgegebenen Verzögerungswert anspricht und geschlossen wird (S. 7). Die Sicherung enthält eine Sicherungspatrone und ist so
dimensioniert, dass sie zunächst nicht anspricht, damit nach Betätigung der
(zweiten) verzögerungsempfindlichen Einrichtung einer oder mehrere der
Sprengsätze zwecks Zündung mit einem genügend großen Strom versorgt
wird. Sie spricht aber an und unterbricht den Stromkreis, wenn die Amplitude
des Zündstroms bedeutend höher wird (S. 8). Die Leistungsfähigkeit der Hilfs-
-8-
stromquelle ist nicht viel größer als erforderlich. Um zu verhindern, dass diese
so schnell entladen wird, dass eine Zündung nicht mehr möglich ist, soll die
Charakteristik der Sicherung, hier einer Schmelzsicherung, so gewählt werden,
dass der Kurzschlussstromkreis von der Ausgangsleitung abgetrennt wird, so
dass selbst bei unterbrochener Verbindung zwischen Hilfsstromquelle und Autobatterie die Hilfsstromquelle noch zur Zündung der Sprengsätze ausreicht
(S. 9).
16
2. Die Patentabteilung des Deutschen Patent- und Markenamts hat im
Einspruchsverfahren diese Entgegenhaltung nicht als der Patentfähigkeit entgegenstehend angesehen, weil die Aufgabe, die nachteiligen Folgen von Nebenschlüssen zu vermeiden, nicht erfüllt werde. Wenn in dem betätigten Auslösemittel keine kurzschlussartige Verbindung, sondern über einen Nebenschluss
eine nur geringe Leitfähigkeit vorhanden sei, bleibe die Sicherung zumindest
über eine längere Zeitspanne leitend, so dass über den Nebenschluss ein unerwünschter Energieabfluss aus dem Speicherelement erfolgen könne. Dagegen werde im Streitpatent nicht die Leitfähigkeit der betätigten Auslösemittel
oder eine über dem normalen Auslöseniveau liegende Stromstärke, sondern
die den Auslösemitteln zugeführte oder die noch im Speicher vorhandene Energiemenge herangezogen, wobei das Messen jeweils nach dem Betätigen
eines Auslösemittels erfolge, und bei Überschreiten eines Energiegrenzwerts
die Energiezufuhr zu dem zuvor betätigten Auslösemittel unterbrochen werde.
Dadurch könnten auch Energieverluste erfasst werden, auf die eine Sicherung
nicht reagiere. Wegen dieser unterschiedlichen Wirkung handle es sich beim
Streitpatent nicht um eine zu der bekannten äquivalente Lösung, vielmehr sei
ein zu einer anderen Wirkung führender und damit nicht nahegelegter Weg beschritten worden.
-9-
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3. Das Patentgericht hat seine abweichende Beurteilung wie folgt begründet: Die bekannten Werte für die Schmelzzeit und den Schmelzstrom der
in der deutschen Offenlegungsschrift verwendeten Sicherung ließen - allerdings
mit einer gewissen Unsicherheit - Rückschlüsse auf die dem Auslösemittel bis
zum Schmelzen der Sicherung zugeführte Energie zu. Da sich der elektrische
Widerstandswert eines Nebenschlusses in weiten Grenzen zufällig ergebe und
vorher nicht bekannt sei, sei offensichtlich eine optimale, den jeweiligen Wert
des Nebenschlusses berücksichtigende Dimensionierung der Schmelzsicherungen nicht möglich. Zudem seien die Schmelzsicherungen nicht in der Lage,
Kriechströme zu erfassen, da diese den Schmelzdraht nicht in ausreichendem
Maß erwärmten. Dies führe dazu, dass unter ungünstigen Umständen der begrenzte Energievorrat des Speicherelements durch Kriechströme und nicht optimale Dimensionierung der Sicherung so stark beansprucht werde, dass eine
Betätigung von weiteren Auslösemitteln nicht mehr möglich sei. Bei der Entwicklung von Sicherheitseinrichtungen für Kraftfahrzeuge sei deren zuverlässige Funktion jedoch von größter Bedeutung. Es sei daher zwingend erforderlich,
dass der Energievorrat des Speicherelements für alle Auslösemittel ausreiche.
Deshalb habe der Fachmann Veranlassung, die dem Auslösemittel zugeführte
Energie genauer als nur durch den Auslösezeitpunkt einer Schmelzsicherung
zu erfassen. Zu seinem Fachwissen gehöre es, dass eine Messung der zugeführten Energie zu vergleichsweise genaueren Ergebnissen führe. Daher liege
es für ihn nahe, nach Betätigung jedes Auslösemittels die dem Auslösemittel
zugeführte Energie zu messen und nach Erreichen eines festlegbaren Energiegrenzwerts die Energiezufuhr zu dem zuvor betätigten Auslösemittel zu unterbrechen. Als einfachste und kostengünstigste Lösung biete es sich an, das
Schaltelement, das zur Betätigung des Auslösemittels geschlossen wurde,
wieder zu öffnen.
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4. Der Beurteilung durch das Patentgericht vermag der Senat nicht beizutreten; er kann deshalb nicht zu der Wertung gelangen, dass das Streitpatent
nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruhe (§ 4 PatG).
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Zwar mag es zutreffen, dass die Werte für die Schmelzzeit und den
Schmelzstrom der in der deutschen Offenlegungsschrift verwendeten Sicherung Rückschlüsse auf die dem Auslösemittel bis zum Schmelzen der Sicherung zugeführte Energie zulassen. Bei der hierauf gestützten Annahme, der
Fachmann habe Veranlassung, die dem Auslösemittel zugeführte Energie genauer als nur durch den Auslösezeitpunkt einer Schmelzsicherung zu erfassen,
bleibt jedoch unberücksichtigt, dass die bekannte Sicherung nicht auf der Erfassung der dem Auslösemittel zugeführten Energie beruht, sondern auf dem
Gedanken, den Stromkreis zu unterbrechen, wenn die Amplitude des Zündstroms bedeutend höher ist (9-10 A bei einer Dauer von 4-5 msec) als bei der
Zündung eines Sprengsatzes (ca. 0,5 A bei einer Dauer von 1-2 msec). Da deren eigene Charakteristik über das Ansprechen der Schmelzsicherung entscheidet, besteht kein Anlass, die dem Auslösemittel zugeführte Energie zu
erfassen; sie ist vielmehr nur insofern von Bedeutung, als die Sicherung nicht
durchbrennen soll, wenn der Verzögerungsschalter (62) schließt und die
Sprengsätze zünden (Beschr. S. 8, Abs. 2), und sie folglich entsprechend ausgelegt werden muss. Die bekannte Sicherung, bei der es sich allerdings nicht
um eine Schmelzsicherung handeln muss, spricht gerade nicht an, wenn dem
Auslösemittel die ihm zugemessene Energie zugeführt und mithin aus der Hilfsstromquelle abgeführt worden ist. Das Streitpatent nutzt demgegenüber diese
zugemessene (Sp. 2 Z. 31 - 34) Energie zuzüglich eines Sicherheitszuschlags,
um die Energiezufuhr zu unterbrechen, kann auf diese Weise verhindern, dass
die Energiereserve der Hilfsstromquelle in kritischer Weise verringert wird, und
benötigt deshalb keine Sicherung.
- 11 -
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Angesichts dessen ist nicht ersichtlich, was den Fachmann zu einem
derartigen Perspektivwechsel veranlassen konnte. Allein, dass es der Fachwelt
bekannt war, dass die von der Hilfsenergiequelle zur Verfügung gestellte Energiemenge schon aus Gründen der möglichen Baugröße begrenzt ist, aber
gleichwohl bei Unterbrechung der Energiezufuhr aus der Hauptenergiequelle
(d.h. der Fahrzeugbatterie) mehrere elektromechanische Einrichtungen von der
in der Hilfsenergiequelle (d.h. einem Kondensator) gespeicherten Energie versorgt werden sollen, dass weiter die für alle Auslöseeinrichtungen benötigte
Energie zur Verfügung stehen muss und dass schließlich Situationen auftreten
können, in denen die Zündpille nach ihrer Auslösung weiter leitfähig bleibt (vgl.
die Hinweise hierauf in der deutschen Offenlegungsschrift 25 16 354 - D16
- Beschr. S. 3), sowie die Erkenntnis, dass der Widerstand der gezündeten
Zündpille, die nicht vollständig durchgebrochen ist, in weiten Grenzen variieren
kann (vgl. das schriftliche Gerichtsgutachten), reichen nicht dafür aus, die Wertung zu begründen, dass die im Streitpatent vorgeschlagene und unter Schutz
gestellte Lösung für den Fachmann naheliegend war. Zwar hat der gerichtliche
Sachverständige es für praktisch zwingend gehalten, dass ein Fachmann, der
eine Auslöseschaltung wie diejenige nach der deutschen Offenlegungsschrift
unter dem Blickwinkel der möglichst effektiven Verwendung einer begrenzten
Energiereserve analysierte, eine Verbesserung oder Verfeinerung der verwendeten Sicherungen nicht als weiterführend erkannte und sich statt dessen einer
Messung des Energieverbrauchs zuwandte. Konkrete Vorbilder für diesen
Wechsel des Blickwinkels hat der Sachverständige jedoch nicht angeben können; sie werden auch im Vortrag der Klägerin nicht aufgezeigt. Es bleibt daher
ein aus der Sachlogik des technischen Problems begründetes Postulat, dass
der Fachmann den Weg der Erfindung als den als sachgerecht erkennbaren
hätte gehen müssen. Die Erfahrung lehrt jedoch, dass die technische Entwicklung nicht notwendigerweise diejenigen Wege geht, die sich bei nachträglicher
Analyse der Ausgangsposition als sachlich plausibel oder gar mehr oder weni-
- 12 -
ger zwangsläufig darstellen. Um das Begehen eines von den bisher beschrittenen Wegen abweichenden Lösungswegs nicht nur als möglich, sondern dem
Fachmann nahegelegt anzusehen, bedarf es daher - abgesehen von denjenigen Fällen, in denen für den Fachmann auf der Hand liegt, was zu tun ist - in
der Regel zusätzlicher, über die Erkennbarkeit des technischen Problems hinausreichender Anstöße, Anregungen, Hinweise oder sonstiger Anlässe dafür,
die Lösung des technischen Problems auf dem Weg der Erfindung zu suchen.
Dafür hat die Erörterung mit dem gerichtlichen Sachverständigen jedoch nichts
ergeben.
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Das Naheliegen kann auch nicht damit begründet werden, dass sich die
Fachwelt in einer "Einbahnstraßensituation" befunden habe, die keine anderen
Möglichkeiten als die des Streitpatents zugelassen habe (vgl. nur EPA, Technische Beschwerdekammer, T 2/83 ABl. EPA 1984, 265 = GRUR Int. 1984, 527
- Simethicon-Tablette, Entscheidungsgründe unter 6; EPA, Technische Beschwerdekammer, T 192/82 ABl. EPA 1984, 415, 425 - Formmassen, Entscheidungsgründe unter 16; BGH, Urt. v. 8.7.2008 - X ZR 189/03, GRUR 2008,
885 - Schalungsteil, Tz. 29). Eine solche "Einbahnstraßensituation" war hier
nämlich nicht gegeben. Dem Fachmann standen auch andere Möglichkeiten
zur Verfügung, die Unzulänglichkeiten, die sich aus der Lösung in der deutschen Offenlegungsschrift 25 16 354 ergaben, zu beherrschen. Hierzu ist in
erster Linie auf den Aufsatz "The Daimler-Benz Development of a Final Production Air Bag", von Hans-Jürgen Scholz, VIIIth International Technical Conference on Experimental Safety Vehicles, Wolfsburg, 1980 (D6) zu verweisen, der in
seiner Abbildung (Illustration) 3 eine Lösung vorsieht, bei der die Energiezufuhr
zu der Auslöseeinrichtung über Schalter nur für eine begrenzte Zeit ermöglicht
wird, weiter auf die in der prioritätsälteren, allerdings nachveröffentlichten europäischen Patentanmeldung 284 728 (D19) vorgeschlagene Schaltungsanordnung, die zeigt, dass auch über komplexere schaltungstechnische Anordnun-
- 13 -
gen, hier eine Sperre (vgl. Beschr. Sp. 2 Z. 3), ein schädlicher Energieabfluss
vermieden werden kann. Auch wenn die letztgenannte Lösung zum Anmeldezeitpunkt des Streitpatents nicht ohne erfinderischen Aufwand zu erreichen
gewesen sein mag, was - ohne dass dies hier entschieden werden muss - allenfalls der Anwendung der "Einbahnstraßensituation"-Praxis entgegenstehen
könnte, steht dennoch jedenfalls die bekannte Lösung von Scholz (D6) der Bejahung einer "Einbahnstraßensituation" entgegen.
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5. Die übrigen Entgegenhaltungen kommen dem Streitpatent jedenfalls
nicht näher; sie haben im Berufungsverfahren keine Rolle mehr gespielt.
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6. Patentanspruch 3 hat in der Sache nichts anderes als die Formulierung der in Patentanspruch 1 als Verfahrensanspruch niedergelegten Lehre in
Form eines Sachanspruchs zum Gegenstand. Denn mit der Zweckangabe
"Vorrichtung zur Durchführung des Verfahrens zu einem der Ansprüche 1 und
2" erfordert Patentanspruch 3 eine Vorrichtung, die so ausgestaltet ist, dass mit
ihr die dem Auslösemittel zugeführte Energie gemessen werden kann (vgl.
BGH, Urt. v. 7.6.2006 - X ZR 105/04, GRUR 2006, 923 - Luftabscheider für
Milchsammelanlage, m.w.N.). Die Gesichtspunkte, die der Beurteilung der
Schutzfähigkeit von Patentanspruch 1 zugrunde liegen, gelten daher zu Patentanspruch 3 gleichermaßen.
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7. Mit den Patentansprüchen 1 und 3 haben auch die auf diese rückbezogenen Patentansprüche 2, 4 und 5 Bestand.
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IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 Satz 2 PatG i.V.m.
§ 91 ZPO.
Meier-Beck
Keukenschrijver
Lemke
Mühlens
Asendorf
Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 13.04.2005 - 4 Ni 39/04 -