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BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
Verkündet am:
9. November 2004
Wermes
Justizhauptsekretär
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
X ZR 119/01
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
BGHZ
:
BGHR
:
ja
ja
ja
BGB § 651 f Abs. 1, Art. 5 (2) Satz 1 der Richtlinie 90/314/EWG
a) Den Reiseveranstalter, der sich hinsichtlich eines Reisemangels auf die Entlastungsmöglichkeit des § 651 f Abs.1 zweiter Halbsatz BGB beruft, trifft die
Darlegungs- und Beweislast dafür, daß sämtliche ernstlich in Betracht kommenden Verschuldenstatbestände auf seiner Seite, insbesondere die vom
Reisenden aufgezeigten, nicht vorlagen.
b) Die richtlinienkonforme Auslegung des § 651 f Abs. 1 BGB ergibt, daß für
den Entlastungsbeweis des Reiseveranstalters keine strengeren Voraussetzungen gelten als für den Nachweis fehlenden Verschuldens nach § 276
BGB.
BGB §§ 242 Cd, 254 Abs. 1 Da
Wer eine freiwillige Hilfeleistung erbittet, bei der der Helfer dann zu Schaden
kommt, handelt widersprüchlich und damit gegen Treu und Glauben, wenn er
allein aus dem Umstand, daß der Helfer seiner Bitte nachgekommen ist und
sich dadurch in Gefahr begeben hat, den Vorwurf des Mitverschuldens herleitet.
BGH, Urt. v. 9. November 2004 - X ZR 119/01 - OLG Frankfurt a.M.
LG Frankfurt a.M.
-2-
-3-
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung vom 21. September 2004 durch die Richter Scharen und Keukenschrijver, die Richterinnen Ambrosius und Mühlens und den Richter Asendorf
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Kläger wird das am 3. Mai 2001 verkündete
Urteil des 16. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am
Main aufgehoben, soweit der Anspruch der Kläger auf materiellen
Schadensersatz (16.000 DM nebst Zinsen) abgewiesen worden ist.
Insoweit wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung,
auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Kläger verlangen von der Beklagten Schadensersatz wegen eines
Reitunfalls auf einer Urlaubsreise.
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Die Beklagte, ein großes Reiseunternehmen, bot in mehreren Ländern
Pauschalurlaubsreisen in jeweils "C.
" genannte Ferienclubs an. Die
Clubs waren selbständige juristische Personen nach dem Recht des jeweiligen
Staates. In dem Reiseprospekt der Beklagten, in dem der "C.
T.
" beschrieben war, wurden den Reisenden Sportmöglichkeiten angeboten,
die vor Ort gegen Entgelt gebucht werden konnten. Insbesondere wurde auf
einen Reitstall auf dem Clubgelände, auf Reitkurse und Reitausflüge hingewiesen.
Der Ehemann der Klägerin zu 1 und Vater der Kläger zu 2 und 3 (nachfolgend: Erblasser) buchte bei der Beklagten für sich und seine Familie für die
Zeit vom 21. Dezember 1994 bis zum 4. Januar 1995 eine Pauschalreise mit
Flug und Aufenthalt im "C.
T.
". Am 25. Dezember 1994 nahm
der Erblasser, ein geübter Reiter, an einem Ausritt teil, den er beim Club gebucht und bezahlt hatte. In dem Reitstall standen nur Hengste. An dem Ausritt
nahmen sechs Reiter teil. Als nach etwa einer halben Stunde das Pferd einer
13-jährigen Mitreiterin, der Hengst "Mistral", nervös wurde, erklärte der Erblasser sich bereit, dieses Pferd zu übernehmen. Weil der Hengst gleich nach dem
Aufsitzen des Erblassers erneut unruhig wurde, stieg dieser aber gleich wieder
ab und hielt "Mistral" am Zügel fest. In diesem Augenblick sprang das Pferd mit
allen vier Beinen gleichzeitig in die Luft und traf den Erblasser am linken Knie.
Dieser erlitt eine Tibiakopffraktur, die noch in Tunesien operativ versorgt wurde.
Nach seiner Rückkehr nach Deutschland litt der Erblasser unter starken
Schmerzen und war arbeitsunfähig. Das operierte Knie mußte mehrfach punktiert und nachoperiert werden. Am 29. Juli 1995 verstarb der Erblasser infolge
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einer thrombotisch-thrombozytopenischen Purpura.
Mit ihrer Klage haben die Kläger materiellen Schadensersatz, hauptsächlich wegen entgangenen Berufseinkommens des Erblassers, und Schmerzensgeld sowie die Feststellung der weiteren Schadensersatzpflicht der Beklagten verlangt. Widerklagend hat die Beklagte den restlichen Reisepreis geltend gemacht. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und der Widerklage
teilweise stattgegeben. Mit ihrer Berufung haben die Kläger im Wege der Teilklage nur noch materiellen Schadensersatz in Höhe von 16.000 DM und ein
Schmerzensgeld von 45.000 DM sowie die gänzliche Abweisung der Widerklage verlangt. Das Berufungsgericht hat mit seinem ersten Urteil vom 10. Juli
1997 die Berufung bis auf eine Änderung im Zinsausspruch zurückgewiesen
mit der Begründung, der Reitausflug sei nicht Gegenstand des Pauschalreisevertrags gewesen. Auf die hiergegen eingelegte Revision der Kläger hat der
erkennende Senat mit Urteil vom 14. Dezember 1999 (X ZR 122/97, NJW
2000, 1188) dieses Berufungsurteil aufgehoben, die Widerklage abgewiesen
und die Sache zur anderweiten Entscheidung über die Klage an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Dieses hat nach Durchführung einer Beweisaufnahme mit dem jetzt angefochtenen zweiten Berufungsurteil die Berufung der
Kläger erneut zurückgewiesen, und zwar nunmehr deshalb, weil die Beklagte
den Nachweis fehlenden Verschuldens geführt habe. Hiergegen haben die
Kläger wiederum Revision eingelegt, die der erkennende Senat hinsichtlich des
Schmerzensgeldes nicht angenommen, hinsichtlich des materiellen Schadensersatzanspruchs aber angenommen hat (§ 554 b Abs. 1 ZPO in der bis zum
31. Dezember 2001 geltenden Fassung). Die Kläger verfolgen mit ihrer jetzigen
angenommenen Revision ihre Teilklage auf Ersatz eines materiellen Schadens
in Höhe von 16.000 DM nebst Zinsen weiter. Die Beklagte tritt diesem Rechts-
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mittel entgegen.
Entscheidungsgründe:
Die Revision hat Erfolg. Sie führt im Umfang der Revisionsannahme zur
Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur erneuten Zurückverweisung der
Sache an das Berufungsgericht.
I. Das Berufungsgericht ist unter Beachtung des ersten Revisionsurteils
des Senats (aaO u. I 2 c, 3, 4) von Folgendem ausgegangen: Die Beklagte
mußte aufgrund des mit dem Erblasser geschlossenen Pauschalreisevertrags
die in der Reisebeschreibung angebotenen Reitmöglichkeiten in einer für die
Reisenden geeigneten Weise zur Verfügung stellen. Das Pferd "Mistral" war
aber für den Ausritt, auf dem der Unfall geschah, wegen seiner damaligen Nervosität nicht geeignet. Darin lag ein Reisemangel, für den die Beklagte als Reiseveranstalter Schadensersatz leisten muß, es sei denn, der Mangel beruhte
auf einem Umstand, den sie als Reiseveranstalter nicht zu vertreten hat
(§ 651 g Abs. 1 BGB; vgl. BGHZ 100, 185, 188 f.).
Aufgrund einer Beweisaufnahme über die Behauptung der Kläger, daß
es mit dem Pferd "Mistral" schon vor dem Unfall des Erblassers zu zwei anderen Reitunfällen gekommen sei, sowie über die gegenteilige Behauptung der
Beklagten, daß beide Unfälle sich mit anderen Pferden zugetragen hätten, ist
das Berufungsgericht zu dem Ergebnis gekommen, daß sich mit "Mistral" vor
dem Unfall des Erblassers keine Vorfälle ereignet hatten, die Anlaß gegeben
hätten, an der Eignung und Zuverlässigkeit dieses Pferdes zu zweifeln und es
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deshalb nicht für Reitausflüge einzusetzen. Die von den Zeugen bekundeten
zwei Unfälle hätten sich mit anderen Pferden zugetragen und besagten daher
nichts über die Zuverlässigkeit oder Unzuverlässigkeit von "Mistral". Überdies
sei nur einer dieser zwei Unfälle vor dem Unfall des Erblassers geschehen.
Das Berufungsgericht meint, dieser eine und bis dahin - mangels anderweitigen Nachweises - einmalige Vorfall sei nicht geeignet gewesen, die Zuverlässigkeit sämtlicher anderer Pferde des Reitstalls in Frage zu stellen. Deshalb
hätten weder der Reitlehrer noch der Reitstallbesitzer durch den Einsatz des
Pferdes "Mistral" für Ausritte die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht
gelassen. Auch am Unfalltage habe der Reitlehrer nicht schuldhaft gehandelt.
Weder seine anfängliche Zuweisung des Pferdes an eine 13-jährige Reiterin,
die mit diesem Hengst dann nicht zurechtgekommen sei, noch seine Bitte an
den Erblasser, das nervös gewordene Tier zu übernehmen, seien fahrlässig
gewesen. Außerdem sei der Erblasser das mit der Übernahme verbundene
Risiko bewußt und freiwillig eingegangen. Die Ansicht der Kläger, es hätten
nicht mehrere Hengste bei dem Ausritt eingesetzt werden dürfen, erscheine
abwegig. Die Kläger hätten für ihre Behauptung, "Mistral" habe als das schwierigste Pferd im Reitstall gegolten, keinen weiteren Beweis angetreten. Die Beklagte habe sich deshalb nach § 651 f Abs. 1 BGB vom Verschulden für den
Reisemangel entlastet.
II. Diese Ausführungen halten der revisionsrechtlichen Überprüfung
nicht stand. Das Berufungsgericht hat den Umfang der der Beklagten obliegenden Darlegungs- und Beweislast für fehlendes Verschulden verkannt. Nach
den bisher getroffenen Feststellungen hat sich die Beklagte nicht entlastet.
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1. Nach § 651 f Abs. 1 BGB kann der Reisende Schadensersatz wegen
Nichterfüllung verlangen, es sei denn, der Mangel der Reise beruht auf einem
Umstand, den der Reiseveranstalter nicht zu vertreten hat. Daß der Reiseveranstalter den Reisemangel zu vertreten hat, wird also vermutet. Dem Reiseveranstalter steht jedoch der Entlastungsbeweis offen. Dazu muß er darlegen und
im Bestreitensfalle beweisen, daß der Mangel auf einem Umstand beruht, den
er nicht und den auch keiner seiner Erfüllungsgehilfen und keiner von deren
Erfüllungsgehilfen zu vertreten hat (Palandt/Sprau, BGB, 63. Aufl., § 651 f
Rdn. 4; Staudinger/Jörn Eckert, BGB (2003), § 651 f Rdn. 13).
a) Zu vertreten hat der Reiseveranstalter nach der Legaldefinition des
§ 276 Abs. 1 Satz 1 BGB Vorsatz und Fahrlässigkeit. Fahrlässig handelt, wer
die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht läßt (§ 276 Abs. 2 BGB).
b) Nicht gefolgt werden kann der von der Revision herangezogenen, in
Rechtsprechung und Literatur teilweise vertretenen Ansicht, der Begriff des
Nichtvertretenmüssens in § 651 f Abs. 1 BGB sei richtlinienkonform einschränkend dahin auszulegen, daß nur das eigene Verschulden des Reisenden, das
Verschulden eines nicht beteiligten Dritten oder höhere Gewalt den Reiseveranstalter entlasten könne (so MünchKomm./Tonner, BGB, 3. Aufl., § 651 f
Rdn. 23 a u. ihm folgend OLG München NJW-RR 2002, 694 unter I 6 b).
Wäre diese Ansicht richtig, so wäre im vorliegenden Fall schon aufgrund
des eigenen Vortrags der Beklagten davon auszugehen, daß sie den Reisemangel zu vertreten hat. Denn der von der Beklagten zur Entlastung geltend
gemachte Umstand, daß die Nervosität des Pferdes spontan aufgetreten und
unvorhersehbar gewesen sei, könnte die Beklagte dann nicht von ihrer Haftung
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befreien, da dieser Umstand weder vom Erblasser oder einem Dritten verschuldet gewesen wäre noch höhere Gewalt dargestellt hätte, die ein von außen kommendes, keinen betrieblichen Zusammenhang aufweisendes, auch
durch die äußerste vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht abwendbares Ereignis voraussetzt (BGHZ 100, 185, 188).
Eine derartige einschränkende Auslegung der Entlastungsmöglichkeit
des Reiseveranstalters ist jedoch nicht geboten. Die Verschuldensvermutung
mit Entlastungsmöglichkeit des § 651 f Abs. 1 BGB ist zwar vom deutschen
Gesetzgeber zur Umsetzung der Richtlinie 90/314/EWG des Rates vom
13. Juni 1990 über Pauschalreisen (ABl. Nr. L 158 v. 23.06.1990, S. 59-64)
eingeführt worden (Art. 1 Nr. 3 des Gesetzes zur Durchführung der Richtlinie
des Rates vom 13. Juni 1990 über Pauschalreisen v. 24.06.1994, BGBl. I 1994,
S. 1322) und muß deshalb im Zweifel im Lichte des Wortlauts und des Zwecks
der Richtlinie ausgelegt werden (EuGH, Slg. 1984, 1891, 1909 = NJW 1984,
2021 Rdn. 26, 28 - von Colson und Kamann). Entgegen der Ansicht der Revision schränkt aber die Richtlinie die Entlastungsmöglichkeit nicht stärker ein,
als es die deutsche Umsetzungsvorschrift, die das fehlende Verschulden genügen läßt, vorsieht (vgl. auch Begründung des Regierungsentwurfs des Gesetzes zur Durchführung der Richtlinie, BT-Drucks. 12/5354, S. 11).
Art. 5 (2) Satz 1 der Richtlinie besagt:
"Die Mitgliedstaaten treffen hinsichtlich der Schäden, die dem Verbraucher aus der Nichterfüllung oder einer mangelhaften Erfüllung
des Vertrages entstehen, die erforderlichen Maßnahmen, damit der
Veranstalter und/oder der Vermittler die Haftung übernimmt, es sei
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denn, daß die Nichterfüllung oder die mangelhafte Erfüllung weder
auf ein Verschulden des Veranstalters und/oder Vermittlers noch
auf ein Verschulden eines anderen Dienstleistungsträgers zurückzuführen ist, weil
- die festgestellten Versäumnisse bei der Erfüllung des Vertrages
dem Verbraucher zuzurechnen sind;
- diese unvorhersehbaren oder nicht abwendbaren Versäumnisse
einem Dritten zuzurechnen sind, der an der Bewirkung der vertraglich vereinbarten Leistungen nicht beteiligt ist;
- diese Versäumnisse auf höhere Gewalt entsprechend der Definition in Art. 4 Abs. 6 lit. b) ii) oder auf ein Ereignis zurückzuführen
sind, das der Veranstalter und/oder der Vermittler bzw. der Leistungsträger trotz aller gebotenen Sorgfalt nicht vorhersehen
oder abwenden konnte."
Die Richtlinie geht also im ersten Teil der mit "es sei denn, daß" eingeleiteten Ausnahmeregelung davon aus, daß der Veranstalter sich durch den
Nachweis fehlenden Verschuldens entlasten kann. Auch der zweite, mit "weil"
eingeleitete Teil gibt nicht Anlaß zu der Annahme, daß die Fälle fehlenden Verschuldens enger zu fassen sind als im deutschen Recht. Der zweite Teil enthält
zwar eine abschließende, also nicht bloß beispielhafte Aufzählung der Tatbestände, die ein fehlendes Verschulden des Veranstalters begründen können.
Diese Aufzählung beschränkt sich aber nicht auf das eigene Verschulden des
Verbrauchers, das Verschulden eines nicht beteiligten Dritten und höhere Gewalt, sondern nennt als weiteren und letzten Entlastungsgrund "ein Ereignis,
das der Veranstalter und/oder der Vermittler bzw. der Leistungsträger trotz aller
gebotenen Sorgfalt nicht vorhersehen oder abwenden konnte". Dies entspricht
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der Definition der fehlenden Fahrlässigkeit nach deutschem Recht. Nichts deutet darauf hin, daß im Vergleich zu der durch § 276 Abs. 2 BGB verlangten Einhaltung der "im Verkehr erforderlichen" Sorgfalt die Richtlinie mit ihrer Forderung nach Einhaltung "aller gebotenen" Sorgfalt strengere Anforderungen stellt,
etwa im Sinne eines gesteigerten Sorgfaltsmaßstabes, der nur durch Anwendung der äußersten möglichen Sorgfalt erreicht wird. Die von § 276 Abs. 2
BGB abweichende Wortwahl des deutschen Textes der Richtlinie beruht ersichtlich auf der wörtlichen Übersetzung des englischen und französischen
Textes, in dem es "with all due care" bzw. "avec toute la diligence nécessaire"
heißt. Diese Rechtsbegriffe enthalten aber keine Verschärfung des Sorgfaltsmaßstabs im Sinne einer gesteigerten Sorgfaltspflicht bzw. eines unabwendbaren Ereignisses.
c) Die Beklagte hat fehlende Fahrlässigkeit nicht dargelegt.
(1) Unbeschadet der im ersten Revisionsurteil erörterten Frage, ob möglicherweise jeglicher Einsatz des Hengstes "Mistral" für Reitausflüge mit Reisenden zu einem Reisemangel führte, weil das Pferd sich als für diesen Verwendungszweck ein für allemal ungeeignet erwiesen hatte, muß die jetzige revisionsrechtliche Überprüfung davon ausgehen, daß ein Reisemangel jedenfalls (auch) darin bestand, daß der Reitlehrer gerade auf dem zum Unfall führenden Ausritt dem Erblasser das nervös gewordene Pferd zuwies. Das Berufungsgericht hat in den Gründen seines zweiten Berufungsurteils aufgrund des
insoweit übereinstimmenden Vortrags der Parteien festgestellt, daß der Reitlehrer den Erblasser fragte, ob dieser den nervös gewordenen und von seiner
bisherigen Reiterin nicht mehr beherrschten Hengst "Mistral" übernehmen würde, und daß er dem hierzu bereiten Erblasser sodann das nervöse Pferd zu-
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wies. Wie das nachfolgende Unfallgeschehen gezeigt hat, war der Hengst zumindest im Zeitpunkt dieser Zuweisung für den Erblasser - auch wenn der ein
geübter Reiter war - zu schwierig und damit ungeeignet. Für den der Beklagten
obliegenden Entlastungsbeweis hat dies zur Folge, daß sie (auch) darlegen
und beweisen muß, daß weder ihr selbst noch ihrem Leistungsträger noch dessen Erfüllungsgehilfen ein fahrlässiges Verhalten zur Last fällt, das für die Zuweisung des nervösen Hengstes an den Erblasser ursächlich war. Dies hat die
Beklagte nicht getan.
(2) Der Schuldner, dem der Entlastungsbeweis obliegt, braucht nicht in
jedem Fall speziell den Umstand zu beweisen, der die unverschuldete Schadensursache herbeigeführt hat (vgl. RGZ 74, 342, 344; BGH, Urt. v. 12.11.1952
- II ZR 67/52, NJW 1952, 59; Urt. v. 14.11.1989 - X ZR 116/89, NJW-RR 1990,
446 u. I 2 c). Auch rein abstrakte Möglichkeiten, für die es keinen Anhaltspunkt
gibt, braucht er nicht zu widerlegen (vgl. BGHZ 116, 334, 337). Wenn aber
mehrere Ursachen ernstlich in Betracht kommen, muß er für jede den Entlastungsbeweis erbringen (vgl. BGH, Urt. v. 01.07.1980 - VI ZR 112/79, NJW
1980, 2186 u. II 2 b bb). Es genügt also, wenn der Schuldner nachweist, daß er
die als Ursachen in Betracht kommenden Umstände nicht zu vertreten hat (vgl.
RGZ aaO; BGH, Urt. v. 12.11.1952 und v. 14.11.1989 aaO; Baumgärtel, Handbuch der Beweislast im Privatrecht, 2. Aufl., § 282 BGB Rdn. 6; Staudinger/
Otto, BGB (2004), § 280 Rdn. F 13). Bleibt hingegen die ernstliche Möglichkeit
des Vertretenmüssens bestehen, und sei es auch nur hinsichtlich einer der in
Betracht kommenden Ursachen, so ist der Schuldner beweisfällig (vgl. BGH,
Urt. v. 17.04.1952 - IV ZR 158/51, NJW 1952, 1170; BGHZ 100, 185, 189;
Staudinger/Otto aaO; Münch.Komm./Ernst, BGB, 4. Aufl., § 280 Rdn. 37 f.).
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(3) So liegt es hier.
aa) Die Kläger haben verschiedene nicht ohne weiteres von der Hand zu
weisende Möglichkeiten eines Verschuldens aufgezeigt, das - letztendlich oder
unmittelbar - zur Zuteilung des nervösen Pferdes an den Erblasser geführt haben könnte. Die in Betracht kommenden Verschuldenstatbestände betreffen
zum Teil weiter entfernt liegende Glieder einer Kausalkette, nämlich die Ursachen der Nervosität, die "Mistral" zur Zeit des Unfalls ungeeignet machte. Dies
gilt für die Vorwürfe, der Reitlehrer hätte nicht mehrere Hengste zusammen
einsetzen dürfen, er hätte den Hengst "Mistral" für den Ausritt nicht verwenden
dürfen, weil dieser sich schon vorher als ungeeignet erwiesen hatte, und er
hätte diesen Hengst nicht einem 13-jährigen Mädchen zuteilen dürfen, das ihm
nicht gewachsen war. Die Kläger haben aber auch die zeitlich letzte Ursache
beanstandet, nämlich die unvermittelte Zuweisung des Hengstes, nachdem er
nervös geworden war, an den Erblasser, die fahrlässig gewesen sein könnte,
falls der Zeuge H.
das unruhige Pferd selbst hätte übernehmen oder
doch durch kurzes eigenes Bereiten hätte zur Ordnung rufen müssen.
bb) Das Berufungsgericht hat den Schwerpunkt seiner Prüfung auf die
generelle Ungeeignetheit des Pferdes "Mistral" für Reitausflüge gelegt und dabei verkannt, daß die Beklagte sich schon hinsichtlich der letztgenannten Ursache dafür, daß der Erblasser ein unruhiges und damit ungeeignetes Pferd
bekam, nämlich hinsichtlich der vom Zeugen H.
vorgenommenen Zuwei-
sung, nicht entlastet hat. Sie hätte darlegen und erforderlichenfalls beweisen
müssen, daß der Zeuge insoweit nicht fahrlässig handelte. Dazu hat sie aber
nicht ausreichend vorgetragen. Die Beklagte hat nicht erklärt, daß und weshalb
es der von einem Reitlehrer geschuldeten Sorgfalt entsprach, ein unruhiges
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Pferd, das von der bisherigen Reiterin nicht mehr beherrscht werden konnte,
ohne weiteres einem anderen Mitglied der Gruppe zuzuweisen. Sie hätte sich
zu der naheliegenden Frage äußern müssen, ob die Schutzpflichten des Reitlehrers gegenüber den Teilnehmern des Ausritts es nicht erfordert hätten, daß
er das unruhige und damit gefährliche Pferd entweder selbst übernahm oder
doch wenigstens kurz selbst beritt und dadurch beruhigte und zur Ordnung rief,
bevor er es dem Erblasser übergab. Die Beklagte hat auch nicht etwa vorgetragen, daß der Reitlehrer sich in einer Notlage befand, die ihn an solchen Vorsichtsmaßnahmen hinderte. Die letztere Lücke im Vortrag der Beklagten hat
das Berufungsgericht auch erkannt. Es hat sie durch die Feststellung zu füllen
gesucht, daß das Pferd des Reitlehrers erfahrungsgemäß eine gewisse Leitfunktion gehabt haben dürfte, was einen Pferdewechsel des Reitlehrers selbst
nicht nahegelegt habe. Insoweit hat aber die Revision zu Recht die fehlende
Darlegung des Berufungsgerichts gerügt, daß es über die besondere eigene
Sachkunde verfügte, die erforderlich war, um über diese reitsportliche Frage
ohne Sachverständigengutachten entscheiden zu dürfen (BGH, Urt. v.
02.03.1993 - VI ZR 104/92, VersR 1993, 749 unter II 1 a).
cc) Allein deshalb, weil die Beklagte nicht dargelegt hat, daß der Reitlehrer das unruhige Pferd dem Erblasser zuweisen durfte, hat sie sich nicht
entlastet. Die oben aufgezeigten anderen Glieder einer Ursachenkette, die
möglicherweise vorangegangen sind und ebenfalls als Verschuldenstatbestände in Betracht kommen, brauchen daher beim derzeitigen Sach- und
Streitstand nicht geprüft zu werden.
2. Das angefochtene Urteil ist auch nicht etwa in Anbetracht des Hinweises des Berufungsgerichts, daß der Erblasser das nervös gewordene Pferd in
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Kenntnis seines Zustandes und freiwillig übernommen habe, im Ergebnis dennoch - ganz oder teilweise - richtig (§ 563 ZPO in der bis zum 31. Dezember
2001 geltenden Fassung, jetzt: § 561 ZPO). Falls das Berufungsgericht mit seinem Hinweis ein Mitverschulden des Erblassers feststellen wollte, hätte es verkannt, daß die Berufung der Beklagten auf die dem Erblasser damals offenstehende Möglichkeit, die Übernahme des nervösen Pferdes zu verweigern, ein
gegen Treu und Glauben verstoßendes und damit unzulässiges widersprüchliches Verhalten darstellt (§ 242 BGB). Die sich im Gelände befindliche Gruppe
der Reiter war dadurch, daß das 13-jährige Mädchen den Hengst "Mistral" nicht
weiterreiten konnte, in Schwierigkeiten geraten. Wenn der Reitlehrer in dieser
Situation den Erblasser fragte, ob er "Mistral" übernehmen wolle, so handelte
es sich um ein Hilfeersuchen und bei der Einverständniserklärung des Erblassers um einen Akt der Hilfeleistung gegenüber dem für die Gruppe verantwortlichen Reitlehrer. Da dieser ein Erfüllungsgehilfe der Beklagten war, kam die
Hilfsbereitschaft des Erblassers auch ihr zugute. Deshalb widerspricht es Treu
und Glauben, wenn die Beklagte aus der Hilfsbereitschaft des Erblassers nunmehr einen Verschuldensvorwurf herleitet. Wer eine freiwillige Hilfeleistung
erbittet, bei welcher der Helfer dann zu Schaden kommt, handelt widersprüchlich, wenn er anschließend allein aus dem Umstand, daß der Helfer seiner Bitte
nachgekommen ist und sich dadurch in Gefahr begeben hat, den Vorwurf des
Mitverschuldens herleitet.
III. Das angefochtene Urteil kann wegen des aufgezeigten Rechtsfehlers
keinen Bestand haben; es ist aufzuheben. Die Sache ist zur tatrichterlichen
Prüfung der weiteren Voraussetzungen des Schadensersatzanspruchs der Kläger - ob und gegebenenfalls in welcher Höhe ihnen durch den Unfall des Erblassers ein Schaden entstanden ist - an das Berufungsgericht zurückzuverwei-
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sen.
1. Ein Grundurteil (§ 304 ZPO) des erkennenden Senats erscheint nicht
angebracht. Da die Beklagte ihr fehlendes Verschulden nicht dargelegt hat,
müßte zwar nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand der Klage dem Grunde nach stattgegeben werden. Das Berufungsgericht hat aber durch seine fehlerhafte Beurteilung der Darlegungs- und Beweislast zu dem mangelhaften Vortrag der Beklagten beigetragen. Deshalb wäre es nicht gerechtfertigt, der Beklagten durch ein Grundurteil die Gelegenheit zur etwaigen Ergänzung ihres
Vortrags zu nehmen.
2. Für den Fall, daß es aufgrund ergänzenden Vortrags der Beklagten in
der neuen Berufungsverhandlung auf die Vorwürfe der Kläger ankommen sollte, der Betreiber des Reitstalls hätte nicht Reitausflüge mit mehreren Hengsten
durchführen, der Reitlehrer hätte den Hengst "Mistral" überhaupt nicht für Ausritte einsetzen und er hätte ihn nicht einem 13-jährigen Mädchen zuteilen dürfen, weist der Senat vorsorglich darauf hin, daß insoweit die Beklagte ihr und
ihrer Erfüllungsgehilfen fehlendes Verschulden zum Teil ebenfalls nicht dargelegt und im übrigen nicht bewiesen hat.
a) Soweit es darum geht, ob "Mistral" sich schon vor dem Unfall als für
Ausritte mit Touristen ungeeignet erwiesen hatte, hat die Beklagte zwar vorgetragen, daß dieses Pferd nicht problematisch, sondern, wie alle im Club gehaltenen Araberhengste, bestens für solche Ausritte geeignet gewesen sei und
sich niemals irgendwie auffällig oder gar gefährlich verhalten habe, und für diese Behauptung auch durch Zeugenbenennung der Clubangestellten H.
F.
und W.
,
Beweis angetreten. Diesen Beweis hat die Beklagte
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indessen bisher nicht erbracht.
Das Berufungsgericht hat diese Zeugen hierzu nicht vernommen, weil
es, wie die Revision zu Recht rügt, die Darlegungs- und Beweislast rechtsfehlerhaft auf die Kläger verschoben hat. Dies zeigt sich an seinem Beweisbeschluß, der davon ausgeht, daß nur die von den Klägern behaupteten beiden
konkreten Unfälle mit "Mistral" beweisbedürftig seien, sowie daran, daß es aufgrund der Zeugenaussagen, wonach an diesen beiden Unfällen in Wirklichkeit
andere Pferde beteiligt waren und sich auch nur einer davon vor dem Unfall
des Erblassers ereignete, zu dem Ergebnis gekommen ist, vor dem Unfall des
Erblassers habe sich lediglich ein einziger und bis dahin - mangels anderweitigen Nachweises - einmaliger Reitunfall ereignet. Da das Berufungsgericht nicht
verkannt haben kann, daß denkgesetzlich zwei Unfälle mit anderen Pferden
nicht den Schluß rechtfertigen, es habe keine weiteren Unfälle und insbesondere keinen mit "Mistral" gegeben, läßt sich die Schlußfolgerung des Berufungsgerichts nur durch eine Verlagerung der Beweislast auf die Kläger erklären. Diese Beweislastverschiebung wird auch in dem Satz der Urteilsgründe
deutlich, die Kläger hätten für ihre Behauptung, "Mistral" sei das schwierigste
Pferd des Clubs gewesen, keinen weiteren Beweis angetreten, obwohl die Beklagte immer wieder jegliche Kenntnis einer Unzuverlässigkeit des Pferdes
verneint habe.
Die Beklagte hat den ihr obliegenden Beweis für ihre Behauptung,
"Mistral" sei immer zuverlässig gewesen, auch nicht etwa schon durch die Bekundungen erbracht, welche zwei der vom Berufungsgericht nur zu den beiden
von den Klägern behaupteten Unfällen vernommenen Zeugen, über die ihnen
gestellten Beweisfragen hinausgehend, zu der grundsätzlichen Eignung von
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"Mistral" gemacht haben. Diese Äußerungen sind nicht aussagekräftig genug.
Die Zeugin L.
, die geschrieben hat, daß sie "Mistral" vor und nach dem Un-
fall des Erblassers erlebt und keinen Hinweis auf seine Unzuverlässigkeit gefunden habe, war, worauf die Revision zutreffend hinweist, selbst nur Feriengast und konnte deshalb mangels ausreichend langer Beobachtungsdauer keine hinreichend überzeugungskräftige Aussage über die Zuverlässigkeit des
Pferdes treffen. Der Zeuge H.
, der "Mistral" als geeignet beurteilt hat, hat
zum einen, worauf die Revision ebenfalls zu Recht hinweist, selbst die Einschränkung gemacht, der Hengst sei "für die meisten Reiter" angenehm und
zuverlässig gewesen. Das läßt die Möglichkeit offen, daß er für nicht wenige
Reiter ungeeignet war. Zum anderen hat das Berufungsgericht Bedenken gegen die Glaubwürdigkeit des Zeugen H.
erwogen und deshalb seiner
Aussage keinen großen Beweiswert zugemessen.
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Gegebenenfalls müßte das Berufungsgericht auch die Vernehmung der
Zeugen nachholen, welche die Kläger gegenbeweislich für ihre Behauptung
benannt haben, das Pferd "Mistral" sei als ein problematisches, aggressives
Pferd bekannt gewesen, mit dem es schon häufiger zu Reitunfällen gekommen
sei. Soweit das Berufungsgericht gemeint hat, die Kläger hätten hierfür keinen
weiteren Beweis angetreten, hat es rechtsfehlerhaft den Beweisantrag der Kläger
W.
auf
Vernehmung
der
Zeugen
S.
,
We. ,
Hö. ,
B.
und
übergangen. Auch dies rügt die Revision zu Recht. Der Beweisantrag
ist nicht etwa unbeachtlich, weil die Behauptung der Kläger nicht substantiiert
genug wäre. Bei einem Reisemangel, der, wie hier, aus dem Verantwortungsbereich des Reiseveranstalters stammt, in den der Reisende in der Regel keinen Einblick hat, kann der Reisende regelmäßig kaum mehr tun, als zur Widerlegung des Entlastungsvortrags des Reiseveranstalters auf anderweit Gehörtes, etwa auf unter den Mitreisenden umlaufende Gerüchte zurückzugreifen,
auch wenn diese wenig konkret sein mögen.
b) Hinsichtlich des Vorwurfs der Kläger, es hätten nicht nur Hengste für
den Ausritt eingesetzt werden dürfen, weil deren Verhalten untereinander äußerst problematisch sei, hat das Berufungsgericht ebenfalls die Darlegungsund Beweislast der Beklagten verkannt. Diese hat nichts dazu vorgetragen, ob
und weshalb der Einsatz mehrerer Hengste für einen Reitausflug für die Reisegäste nicht gefährlich war. Die gegenteilige Behauptung der Kläger war, anders
als das Berufungsgericht angenommen hat, nicht wegen fehlenden Bezuges
zum konkreten Fall unbeachtlich. Die Kläger haben die Existenz einer allgemeinen Regel des Reitsports - daß der Betreiber eines Reitstalls keine Gruppenausflüge mit mehreren oder nur mit Hengsten anbieten darf - behauptet, die
gegebenenfalls im konkreten Fall verletzt wurde. Die Feststellung des Beru-
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fungsgerichts, die Behauptung einer solchen Regel sei abwegig und deshalb
unbeachtlich, läßt wiederum die Darlegung der eigenen Sachkunde des Berufungsgerichts vermissen.
c) Für den Fall einer erneuten Beweisaufnahme gibt der Senat schließlich noch folgenden Hinweis: Falls es auf die Behauptung der Beklagten ankommen sollte, "Mistral" sei vorher nicht auffällig geworden, hat das Berufungsgericht die bisher unterbliebene Beweisaufnahme hierzu durch Vernehmung der drei von der Beklagten benannten Zeugen nachzuholen. Sollte es
erneut eine schriftliche Beantwortung von Beweisfragen in Erwägung ziehen,
wird es prüfen müssen, ob es dies im Hinblick auf den Inhalt der Beweisfrage
und die Person der Zeugen für ausreichend erachten darf (§ 377 Abs. 3 ZPO).
Bei Mitarbeitern einer Partei sowie bei Bedenken gegen die Vertrauenswürdigkeit eines Zeugen wird die schriftliche Befragung in der Regel ausscheiden
(Zöller/Greger, ZPO, 24. Aufl., § 377 Rdn. 8).
Scharen
Keukenschrijver
Mühlens
Ambrosius
Asendorf