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BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 100/13
Verkündet am:
7. Juli 2015
Wermes
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in der Patentnichtigkeitssache
-2Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 7. Juli 2015 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Meier-Beck und
die Richter Dr. Grabinski, Dr. Bacher, Hoffmann und Dr. Deichfuß
für Recht erkannt:
Die Berufung gegen das am 11. Juli 2013 an Verkündungs Statt
zugestellte Urteil des 5. Senats (Nichtigkeitssenats) des Bundespatentgerichts wird auf Kosten des Beklagten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
-3-
Tatbestand:
1
Der Beklagte ist Inhaber des europäischen Patents 1 449 391, das am
27. November 2002 unter Inanspruchnahme einer Priorität vom 29. November
2001 angemeldet wurde und ein alternatives Mobilfunksystem betrifft.
Patentanspruch 1, auf den acht weitere Patentansprüche zurückbezogen sind,
hat folgenden Wortlaut:
"Alternativ Mobil Telekommunikations-System um damit ein elektronische Bestellung und Bedienung unterstützendes, automatisiertes Telekommunikation
System zu verwirklichen, bei dem drahtlose Telekommunikations-Endgeräte
(CTT) zur lokalen Nutzung mit mindestens einer Basisstation über ein lokales
Netzwerk LAN kommunizieren, bei dem die mindestens eine Basisstation über
eine Telekommunikationsleitung mit einem Telekommunikationsanbieter verbunden ist, um Dienste des Internets zu nutzen, bei dem das jeweilige drahtlose
Telekommunikationsendgerät (CTT) vor der Kommunikation an der Basisstation
angemeldet wird, bei dem für einen nicht in dem Lokalen Netzwerk (LAN) registrierten Benutzer ein elektronisches Kauf-, Bestell- oder Bedienverfahren abgewickelt wird, wenn der fremde Benutzer sich mit seinem drahtlosen Telekommunikationsendgerät (CTT) in das lokale Netzwerk (LAN) eines Anbieters
einbucht und einen bidirektionalen Kommunikationskanal bekommt, bei dem
das lokale Netzwerk (LAN) für den fremden Benutzer geöffnet wird und er einen
digitalen Zugriff bekommt, bei dem der Benutzer mit seinem Telekommunikationsendgerät (CTT) eine Ware oder Dienstleistung bestellt und den zu zahlenden Preis mittels eines über das lokale Netzwerk (LAN) Benutzerabhängig geführten Kontos bezahlt oder abbuchen lässt, bei dem die Ware oder Dienstleistung anschließend entweder über einen Automaten oder mit persönlichen
Diensten zugestellt bzw. ausgehändigt wird, dadurch gekennzeichnet, dass der
Benutzer über das Internet ein Zeichen oder Signal schickt für den InternetService-Provider oder beliebige andere Telekommunikationsprovider in dem er
die gewünschte ein oder mehrere Telefonnummern oder andere beliebige Identifikationsmerkmale angibt, mit welche er verbunden werden möchte, weiterhin
auch automatisch oder manuell seine Erreichbarkeit mitteilt und der Provider
-4die gewünschte Verbindung entweder paketvermittelt VoIP oder leitungsvermittelt durchführt und dem Teilnehmer die Verbindungen, Anrufe weiterleitet."
2
Die Klägerin hat geltend gemacht, der Gegenstand des Streitpatents gehe über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Unterlagen hinaus und sei
nicht patentfähig; ferner sei der Gegenstand von Patentanspruch 8 nicht so offenbart, dass der Fachmann die Erfindung ausführen könne. Der Beklagte hat
das Streitpatent in der erteilten Fassung und hilfsweise in neun geänderten
Fassungen verteidigt.
3
Das Patentgericht hat das Streitpatent wegen fehlender Patentfähigkeit
für nichtig erklärt. Dagegen wendet sich der Beklagte mit seiner Berufung, der
die Klägerin entgegentritt.
-5-
Entscheidungsgründe:
4
Die zulässige Berufung bleibt ohne Erfolg.
5
I.
Das Streitpatent betrifft ein in besonderer Weise ausgestaltetes Mo-
bilfunksystem.
6
1. In der Streitpatentschrift werden verschiedene im Stand der Technik
bekannte Lösungen zur Kommunikation mit mobilen Endgeräten aufgezeigt und
aus unterschiedlichen Gründen als nachteilig bewertet. Bei Mobiltelefonnetzen
wie GSM oder UMTS werden insbesondere die Notwendigkeit einer teuren und
anspruchsvollen Infrastruktur, mangelnde Qualität und Bandbreite sowie eine
hohe Umweltbelastung wegen der hohen Strahlungsleistung bemängelt. Andere
Systeme wie zum Beispiel Bluetooth, CB-Funk, DECT, IrDA und WLAN, die
einen drahtlosen Anschluss innerhalb einer Entfernung von 50 bis 500 m ermöglichten, stünden nicht überall zur Verfügung und könnten von fremden oder
nicht registrierten Nutzern nicht eingesetzt werden, weil die Kosten ausschließlich anschlussabhängig ermittelt würden. So genannte Hot Spots stünden nicht
in ausreichender Zahl zur Verfügung und würden nur für die Nutzung des Internets und das Senden und Empfangen von E-Mails benutzt, nicht aber zur direkten Kommunikation zwischen Anbieter und Kunde; sie erforderten zudem eine
umständliche Anmeldung mit Benutzername und PIN und funktionierten deshalb nicht so einfach wie zum Beispiel ein GSM-Netz.
7
Das Streitpatent betrifft vor diesem Hintergrund das technische Problem,
ein verbessertes System zur Kommunikation mit mobilen Endgeräten zur Verfügung zu stellen, das für elektronisch angestoßene Bestell- und Liefervorgänge
genutzt werden kann.
-68
2. Zur Lösung dieses Problems schlägt das Streitpatent in Patentanspruch 1 ein System zur mobilen Telekommunikation vor, dessen Merkmale
sich wie folgt gliedern lassen:
1.
Es handelt sich um ein alternatives, automatisiertes System
zur mobilen Telekommunikation, das elektronische Bestellung und Bedienung unterstützt.
2.
Bei dem System kommunizieren drahtlose Telekommunikations-Endgeräte (CTT) zur lokalen Nutzung mit mindestens
einer Basisstation über ein lokales Netzwerk (LAN).
3.
Die Basisstation ist über eine Telekommunikationsleitung mit
einem Telekommunikationsanbieter verbunden, um Dienste
des Internets zu nutzen.
4.
Die drahtlosen Telekommunikations-Endgeräte (CTT) werden vor der Kommunikation an der Basisstation angemeldet.
5.
Wenn ein nicht in dem lokalen Netzwerk (LAN) registrierter
("fremder") Benutzer sich mit seinem drahtlosen Telekommunikations-Endgerät (CTT) in das lokale Netzwerk (LAN)
eines Anbieters einbucht und einen bidirektionalen Kommunikationskanal bekommt, wird ein elektronisches Kauf-, Bestell- oder Bedienverfahren abgewickelt.
6.
Das lokale Netzwerk (LAN) wird für den fremden Benutzer
geöffnet und er bekommt einen digitalen Zugriff.
7.
Der Benutzer bestellt mit seinem TelekommunikationsEndgerät (CTT) eine Ware oder Dienstleistung und bezahlt
den Preis mittels eines über das lokale Netzwerk (LAN) benutzerabhängig geführten Kontos oder lässt ihn abbuchen.
-78.
Anschließend wird die Ware oder Dienstleistung über einen
Automaten oder mit persönlichen Diensten zugestellt bzw.
ausgehändigt.
9.
Der Benutzer schickt über das Internet ein Zeichen oder Signal für den Internet-Service-Provider oder beliebige andere
Telekommunikationsprovider, in dem er eine oder mehrere
gewünschte Telefonnummern oder andere beliebige Identifikationsmerkmale angibt, mit denen er verbunden werden
möchte.
10. Der Benutzer teilt ferner automatisch oder manuell seine Erreichbarkeit mit.
11. Der Provider führt die gewünschte Verbindung paketvermittelt (VoIP) oder leitungsvermittelt durch.
12. Der Provider leitet dem Teilnehmer die Verbindungen oder
Anrufe weiter.
9
3. Einige Merkmale bedürfen näherer Erörterung.
10
a) Nach Merkmal 5 bietet das System auch für Benutzer, die nicht im
lokalen Netzwerk registriert sind, die Möglichkeit, sich mit ihrem mobilen Gerät
in dieses lokale Netzwerk einzubuchen, darin einen bidirektionalen Kommunikationskanal zu nutzen und ein elektronisches Kauf-, Bestell- oder Bedienverfahren durchzuführen.
11
Für solche "fremden" Benutzer entfällt die in der Beschreibung des
Streitpatents als nachteilhaft dargestellte Notwendigkeit, sich mit Benutzerkennung und Passwort in dem lokalen Netzwerk anzumelden und erforderlichenfalls zuvor einen gesonderten Registriervorgang zu durchlaufen. Auch solche
-8Nutzer müssen in irgendeiner Weise identifiziert werden, um einen Datenaustausch mit ihnen zu ermöglichen. In der Beschreibung des Streitpatents werden
als hierfür geeignete Identifikationsmöglichkeiten beispielhaft die im Mobiltelefon enthaltene SIM-Karte (Subscriber Identification Module Card) oder die
MAC-Adresse (Media Access Control Address) angeführt (Abs. 47). Der Einsatz
dieser Mittel zur automatischen Anmeldung ist in Patentanspruch 3 ausdrücklich vorgesehen.
12
Eine Identifikation mittels SIM-Karte eröffnet zugleich die Möglichkeit,
angefallene Entgelte über den zugehörigen Telefonanschluss abzurechnen
(Abs. 59). Bei einer Identifikation allein anhand einer MAC-Adresse besteht diese Möglichkeit nicht; in dieser Konstellation bedarf es zusätzlicher Maßnahmen,
um die Zahlung angefallener Entgelte zu gewährleisten. Als geeignetes Mittel
hierfür werden in Patentanspruch 7 ein Bargeldkarten-Chip oder ähnliche Wertspeicher auf dem Mobilgerät angeführt.
13
b) Patentanspruch 1 enthält keine ausdrücklichen Festlegungen dazu,
in welchem Verhältnis die in den Merkmalen 5, 7 und 8 vorgesehene Möglichkeit zur Bestellung von Waren oder Dienstleistungen, zur Bezahlung des Entgelts und zur Lieferung bzw. Erbringung zu der in den Merkmalen 9 bis 12 vorgesehenen Möglichkeit steht, über das lokale Netz das Internet zu nutzen oder
Telefongespräche zu führen.
14
Ob hieraus, wie das Patentgericht angenommen hat, zu folgern ist, dass
sich eine Dienstleistung im Sinne der Merkmale 5, 7 und 8 in der Einrichtung
einer Zugriffsmöglichkeit mit den Merkmalen 9 bis 12 erschöpfen kann, bedarf
keiner Entscheidung. Das angefochtene Urteil erweist sich, wie noch näher darzulegen sein wird, auch dann als im Ergebnis zutreffend, wenn zugunsten des
Beklagten unterstellt wird, dass die beiden Merkmalsgruppen unterschiedliche
Leistungen betreffen.
-915
Entgegen der Auffassung des Beklagten ist Patentanspruch 1 aber nicht
dahin auszulegen, dass die in Merkmal 11 vorgesehene Telefonverbindung dazu genutzt werden muss, um den in Merkmal 5 vorgesehenen Bestellvorgang
durchzuführen, zu bestätigen oder in sonstiger Weise zu beeinflussen. Patentanspruch 1 ist auf ein System gerichtet, nicht auf eine bestimmte Verwendung oder auf ein Verfahren, bei dem ein solches System zum Einsatz kommt.
Aus den Merkmalen des Patentanspruchs können deshalb allenfalls Anforderungen an die Ausgestaltung des Systems abgeleitet werden, die dessen Eignung für bestimmte Zwecke oder Verfahren begründen. Auch unter diesem Aspekt ergeben sich weder aus dem Patentanspruch noch aus dem sonstigen
Inhalt der Streitpatentschrift Hinweise darauf, dass zwischen den beiden Merkmalsgruppen der genannte Zusammenhang bestehen muss. Die Bestellung von
Dienstleistungen oder Waren und die Herstellung einer Verbindung zum Internet werden in der Beschreibung als Möglichkeiten angeführt, die dem Benutzer
alternativ oder kumulativ zur Verfügung gestellt werden können. Dies mag dem
Nutzer im Einzelfall die Möglichkeit eröffnen, eine eingerichtete Telefonverbindung für den Bestellvorgang zu nutzen. Zwingend erforderlich ist dies indes
nicht.
16
II. Das Patentgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt
begründet:
17
Dem Streitpatent komme nicht der Zeitrang der Prioritätsanmeldung zu.
Aus dieser gingen jedenfalls die Merkmale 3, 4, 5, 9 und 10 nicht hervor.
18
Der Gegenstand von Patentanspruch 1 sei durch die (im Prioritätsintervall veröffentlichte) internationale Patentanmeldung 02/057869 (NK18) vollständig offenbart. In dieser Entgegenhaltung sei ein System zur mobilen Telekommunikation beschrieben, bei dem drahtlose Endgeräte mit mindestens einer
Basisstation über ein lokales Netzwerk kommunizierten und das auch alle übrigen Merkmale von Patentanspruch 1 aufweise. Der Einwand des Beklagten,
- 10 NK18 beschreibe keine e-commerce-Lösung, greife schon deshalb nicht, weil
das Streitpatent eine Bestellmöglichkeit beliebiger Waren nicht beanspruche.
Ein System mit den Merkmalen von Patentanspruch 1 sei ferner auch in der
(ebenfalls
im
Prioritätsintervall
veröffentlichten)
US-Patentanmeldung
2002/0075844 (NK19) offenbart.
19
III. Diese Beurteilung hält den Angriffen der Berufung stand.
20
1. Zu Recht ist das Patentgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass das
Streitpatent die Priorität der deutschen Patentanmeldung 101 58 404 (NK3)
nicht wirksam in Anspruch nimmt.
21
a) Nach Art. 87 Abs. 1 EPÜ kann die Priorität einer früheren Anmeldung
nur dann in Anspruch genommen werden, wenn diese dieselbe Erfindung betrifft. Dies setzt voraus, dass die mit der späteren Anmeldung beanspruchte
Merkmalskombination dem Fachmann in der früheren Anmeldung in ihrer Gesamtheit als zu der angemeldeten Erfindung gehörend offenbart ist (BGH, Urteil
vom 11. September 2001 - X ZR 168/98, BGHZ 148, 383, 391 = GRUR 2002,
146, 149 - Luftverteiler). Für die Beurteilung der identischen Offenbarung gelten
die Prinzipien der Neuheitsprüfung (BGH, Urteil vom 14. Oktober 2003
- X ZR 4/00, GRUR 2004, 133, 135 - Elektronische Funktionseinheit; Urteil vom
14. August 2012 - X ZR 3/10, GRUR 2012, 1133 Rn. 30 - UV-unempfindliche
Druckplatte).
22
b) In NK3 ist ein Verfahren zum bargeldlosen Bezahlen von Waren oder
Dienstleistungen mittels eines Mobiltelefons und eines darin enthaltenen Geldkartenchips oder sonstigen Bargeldspeichers offenbart.
23
In der Beschreibung wird ausgeführt, der Umstand, dass Mobiltelefone in
der Lage seien, auch über WLAN zu kommunizieren, eröffne die Möglichkeit,
sie als mobiles Kaufs- oder Verkaufsterminal zu nutzen. Damit entfalle die Not-
- 11 wendigkeit eines eigens für die Bezahlung mit Geldkarten eingesetzten Terminals, außerdem werde der Umfang der Daten, die über teure Fernverbindungen
übertragen werden müssten, reduziert. Die Fähigkeit der Mobiltelefone, sich
gleichzeitig mit mehreren Netzwerken zu verbinden, ermögliche es ferner, dass
der Benutzer über den Mobilfunkprovider voll erreichbar bleibe, gleichzeitig aber
beliebige Waren oder Dienstleistungen anfordern und bezahlen könne. Als besonders vorteilhaftes Verfahren wird vorgeschlagen, sofort nach dem Eintritt
eines Benutzers in eine lokale Funkzelle (Picozelle) eine Verbindung zwischen
dem Mobiltelefon und einem Server aufzubauen und den Benutzer zu fragen,
welche Leistungen er in Anspruch nehmen wolle oder ob er bereit sei, für zu
erbringende Leistungen zu bezahlen, und nach der Inanspruchnahme einer
Leistung die vereinbarte Summe abzubuchen. Hierzu könne das Guthaben auf
dem Chip direkt auf den Verkäuferserver übertragen werden. Durch Anruf oder
Besuch bei einem Heim- oder Bankserver könne der Bargeldkartenchip wieder
aufgeladen werden. Weil ein Mobiltelefon anhand seiner SIM (Subscriber Identification Module) jederzeit identifiziert werden könne, könnten ferner auch personifizierte Dienste angeboten werden. Außerdem könnten über das Internet
Verknüpfungen zu anderen Netzwerken aufgebaut werden.
24
c) Damit sind, wie das Patentgericht zutreffend dargelegt hat und auch
die Berufung nicht in Zweifel zieht, jedenfalls die Merkmale 9 und 10 in NK3
nicht als zur Erfindung gehörend offenbart.
25
Zwar wird in NK3 die Möglichkeit aufgezeigt, dem Nutzer über das lokale
Netz Zugang zum Internet zu verschaffen. Die in Merkmal 9 vorgesehene Möglichkeit, auf diesem Weg Telefonnummern oder sonstige Identitätsmerkmale
anzugeben, mit denen der Benutzer verbunden werden will, ist damit aber nicht
unmittelbar und eindeutig offenbart.
26
In NK3 wird ferner dargelegt, der Benutzer des Mobiltelefons bleibe während der Ausführung des dort offenbarten Verfahrens in vollem Umfang erreich-
- 12 bar. Hierzu wird aber sowohl nach den Ausführungen in der Beschreibung (NK3
S. 2 Z. 29 bis 33) als auch nach Anspruch 3 (NK3 S. 4 Z. 3 bis 21) das Telekommunikationsnetzwerk des Mobilfunkanbieters eingesetzt. Nicht offenbart ist,
dass die Erreichbarkeit stattdessen oder daneben über die Internetverbindung
sichergestellt wird, wie dies in Merkmal 10 vorgesehen ist.
27
d) Angesichts dessen ist der Einwand der Berufung, die Prioritätsfrage
sei im Hinblick auf NK23 anders zu beurteilen, unbegründet.
28
Wenn die frühere Anmeldung die in der späteren Anmeldung beanspruchte Merkmalskombination nicht in ihrer Gesamtheit als zur Erfindung gehörend offenbart, kann eine Priorität nach Art. 87 Abs. 1 EPÜ nicht in Anspruch
genommen werden. Diese Rechtsfolge ist im Hinblick auf alle in Frage kommenden Entgegenhaltungen einheitlich zu beurteilen. Eine Differenzierung zwischen unterschiedlichen Entgegenhaltungen ist ausgeschlossen, solange die
Merkmalskombination, deren Patentfähigkeit zu beurteilen ist, unverändert
bleibt.
29
2. Im Ergebnis zutreffend hat das Patentgericht entschieden, dass der
Gegenstand von Patentanspruch 1 in der erteilten Fassung nicht patentfähig ist.
30
a) Entgegen der Auffassung des Patentgerichts sind allerdings in NK18
nicht alle Merkmale von Patentanspruch 1 offenbart.
31
aa) In NK18 sind ein Verfahren und ein System zur Verbindung von mobilen Endgeräten mit einem ortsfesten Netzwerk offenbart.
32
In der Beschreibung von NK18 werden im Stand der Technik bekannte
Standards zur Datenübertragung mit mobilen Endgeräten (SMS, HDML, WAP
und I-Mode) wegen ihrer begrenzten Bandbreite und komplexer Autorisierungsumgebungen als nachteilig bezeichnet (NK18 S. 2 unten). Als mögliche Alterna-
- 13 tive werden IEEE 802.11 (d.h. WLAN), Bluetooth und IrDa aufgezeigt. Diese
erforderten aber häufig einen hohen Aufwand für die erstmalige Einrichtung einer physikalischen und logischen Verbindung (NK18 S. 3 bis 5).
33
Zur Überwindung dieser Nachteile wird in NK18 ein System vorgeschlagen, bei dem zur Herstellung der logischen Verbindung und gegebenenfalls zur
Abrechnung der Verbindungsentgelte eine spezielle Software eingesetzt wird,
die als Cooperative Tunneling Agent (CTA) bezeichnet wird. In dem hierfür beschriebenen Ausführungsbeispiel nimmt ein als Client bezeichnetes mobiles
Gerät, zum Beispiel ein mobiler Computer, ein Personal Digital Assistant (PDA)
oder ein Mobiltelefon, über Bluetooth oder WLAN Kontakt zu einem als Host
bezeichneten, mit dem Internet verbundenen Gerät auf, sobald es mit diesem in
Reichweite kommt (NK18 S. 13). Nach dem Aufbau der physikalischen Verbindung leitet der Host den vom Client stammenden Datenverkehr zum CTA. Dieser überprüft die Zugangsberechtigung zunächst anhand von lokal vorhandenen Daten. Sofern er eine Berechtigung nicht feststellen kann, nimmt er über
das Internet Kontakt zu einem Server auf. Wenn sich auf einem dieser beiden
Wege eine Zugangsberechtigung ergibt, wird eine logische Verbindung aufgebaut, die es dem Client ermöglicht, die Internetverbindung des Host für in der
Zugangsberechtigung definierte Dienste zu nutzen (NK18 S. 14 f. mit Figur 2).
34
Zu den vorgehaltenen Daten eines Benutzers, die in NK18 beispielhaft in
Figur 3 wiedergegeben werden, gehören Angaben dazu, ob Daten- und
Sprachverbindungen aufgebaut werden dürfen, wie viele Benutzer gleichzeitig
aktiv sein dürfen, welche Verbindungskosten anfallen und welches Kostenbudget pro Tag maximal in Anspruch genommen werden soll. Ferner können
auch Angaben zum Mobilfunkanbieter und zur Telefonnummer hinterlegt werden. Diese können dazu genutzt werden, über das Internet eine Sprachverbindung (VoIP) aufzubauen, so dass der Benutzer ausgehende Gespräche über
das Internet führen kann (NK18 S. 19 f.). Abschließend wird ausgeführt, die offenbarte Technologie ermögliche eine Reihe von neuen kommerziellen Dienst-
- 14 leistungen. Als Beispiel werden die automatische Herstellung von Internetverbindungen mit hoher Bandbreite, die Synchronisation von Musikdateibeständen
mit einer Festplatte des eigenen Computers und das Kaufen und Herunterladen
von Filmen während des Aufenthalts an einer Tankstelle angeführt.
35
bb) Damit sind, wie auch die Berufung nicht in Zweifel zieht, die Merkmale 1, 2, 3, 4, 6, 9, 10, 11 und 12 offenbart.
36
cc) Entgegen der Auffassung der Berufung sind ferner auch die Merkmale 7 und 8 offenbart.
37
Dabei kann dahingestellt bleiben, ob als Dienstleistung im Sinne dieser
Merkmale auch das Herstellen einer Sprachverbindung im Sinne der Merkmale
9 bis 12 anzusehen ist oder ob ein erfindungsgemäßes System neben einer
solchen Sprachverbindung zusätzlich die Bestellung, Bezahlung und Lieferung
einer anderen Ware oder Dienstleistung ermöglichen muss. Auch das in NK18
offenbarte System bietet beide Möglichkeiten, weil es nicht nur den Aufbau
einer Sprachverbindung ermöglicht, sondern auch das Kaufen und Herunterladen eines Films.
38
Wie auch die Berufung im Ansatz nicht verkennt, ist in NK18 nicht nur
der Vorgang des Herunterladens des Videomaterials offenbart, sondern auch
dessen Kauf (purchase). Dass in NK18 nicht näher beschrieben ist, wie dieser
Kauf erfolgen soll, und dass es nach dem Vorbringen der Berufung im Zeitpunkt
der Veröffentlichung noch keine Bezahlsysteme wie PayPal oder dergleichen
gab, führt nicht zu einer abweichenden Beurteilung. Auch das Streitpatent enthält keine näheren Festlegungen dazu, auf welche Weise die in Merkmal 7 vorgesehene Bestellung getätigt wird. Es sieht auch nicht den Einsatz eines bestimmten Bezahlsystems vor, sondern lässt unter anderem eine Abbuchung
genügen. Diese Möglichkeiten stehen auch bei dem in NK18 offenbarten System zur Verfügung. Dass sie dort nicht ausdrücklich genannt werden, sondern
- 15 die nähere Ausgestaltung dem Fachmann überlassen wird, ist unerheblich, weil
sich auch das Streitpatent insoweit mit allgemein gehaltenen Vorgaben begnügt.
39
Eine abweichende Beurteilung kann auch nicht daraus abgeleitet werden, dass die Möglichkeit eines Videokaufs in NK18 nur als mögliche Erweiterung (ramification) des dort im Fokus stehenden Systems erwähnt wird. Dieser
Umstand und die eher allgemein gehaltenen Formulierungen ("One can envisage …") belegen zwar, dass das in NK18 offenbarte System hierfür keine besonderen, vom Stand der Technik abweichenden Mittel umfasst. NK18 geht
aber davon aus, dass es im Stand der Technik bereits Mittel zum Erwerb von
Filmen im Internet gab und dass die Nutzung dieser Mittel mit Mobilgeräten lediglich eine Internetverbindung mit hinreichender Bandbreite voraussetzt, die
durch das in NK18 offenbarte System zur Verfügung gestellt wird. Angesichts
dessen handelt es sich nicht um eine bloße Spekulation über mögliche künftige
Weiterentwicklungen, sondern um einen hinreichend konkreten Hinweis zur
Nutzung des offenbarten Systems in einem im Stand der Technik bereits zur
Verfügung stehenden Kontext.
40
Dass in NK18 keine weitergehenden Vorschläge unterbreitet werden, etwa dahin, auch die Tankrechnung über die eingerichtete Netzwerkverbindung
zu bezahlen, steht der Offenbarung der Merkmale 7 und 8 entgegen der Auffassung der Berufung ebenfalls nicht entgegen. Wie bereits das Patentgericht
zutreffend dargelegt hat, erfordern diese Merkmale nicht, dass schlechthin jede
denkbare Art von Waren oder Dienstleitungen auf diesem Weg beziehbar sein
muss. Zwar ist der Kreis der Waren und Dienstleistungen in Patentanspruch 1
nicht eingeschränkt. Daraus folgt aber gerade, dass die Merkmale 7 und 8
schon dann erfüllt sind, wenn zumindest eine bestimmte Dienstleistung auf diesem Wege bestellt, geliefert und bezahlt werden kann. Den genannten Merkmalen kann hingegen nicht entnommen werden, dass diese Vorgänge bei jedem
- 16 erfindungsgemäßen System hinsichtlich jeder beliebigen Art von Waren oder
Dienstleistungen möglich sein müssen.
41
dd) Nicht offenbart ist hingegen Merkmal 5.
42
In der Beschreibung von NK18 wird ausgeführt, wenn sich aus den auf
CTA und Server vorhandenen Daten keine Zugangsberechtigung ergebe, werde der Benutzer informiert und in die Lage versetzt, seine Vorgaben (preferences) zu ändern und einen neuen Verbindungsversuch zu starten (NK18
S. 15 Abs. 1 Mitte).
43
Hieraus ergibt sich entgegen der Auffassung des Patentgerichts nicht,
dass ein bislang nicht registrierter Benutzer auf diese Weise die Möglichkeit
erhält, sich ohne Registrierung anzumelden. Die angesprochene Möglichkeit
zur Änderung von Vorgaben bezieht sich vielmehr lediglich auf die bereits hinterlegten Informationen, die für das Zustandekommen einer Verbindung von
Bedeutung sind und die beispielhaft in Figur 3 aufgelistet werden. So kann der
Aufbau einer Verbindung zum Beispiel daran scheitern, dass der Nutzer einen
hohen Verschlüsselungsgrad verlangt oder dass ein vorgegebenes Kostenbudget überschritten wird. In diesem Fall kann der Nutzer durch Ändern der
betreffenden Vorgaben doch noch eine Verbindung zustande bringen. All dies
setzt aber voraus, dass der Nutzer bereits registriert ist und für ihn ein Konto
angelegt wurde, in dem er die in Rede stehenden Informationen hinterlegen
kann.
44
Zur Registrierung eines neuen Nutzers wird bei dem in NK18 offenbarten
System eine auf dem Server eingerichtete Web-Schnittstelle angesprochen
(NK18 S. 12 unten). Dies setzt einen bereits bestehenden Zugang zum Server
voraus. Die Registrierung ist also nicht möglich, wenn der CTA die Einrichtung
einer Verbindung wegen fehlender Benutzerdaten nicht zulässt. Sie muss über
eine andere Internetverbindung erfolgen. Zwar könnte der in NK18 offenbarte
- 17 CTA so konfiguriert werden, dass er Zugriffe auf die Registrierungsseite stets
zulässt. Eine solche Ausgestaltung ist in NK18 jedoch nicht offenbart.
45
b) Zumindest nicht zweifelsfrei ist die Auffassung des Patentgerichts, alle Merkmale von Patentanspruch 1 seien in NK19 offenbart.
46
aa) In NK19 sind ein Verfahren und ein System zur Anbindung von mobilen Endgeräten an vorhandene breitbandige Netzwerkanschlüsse offenbart.
47
In der Beschreibung von NK19 werden mobile Netzwerkzugänge wegen
der relativ großen Radien der Funkzellen und der begrenzten Bandbreite als
nachteilig eingestuft. Die damals in Entwicklung befindlichen Netze der dritten
Generation (3G, d.h. UMTS) werden ebenfalls als nicht in jeder Hinsicht befriedigend angesehen (NK19 Abs. 6). Als Alternative werden WLAN nach dem Protokoll IEEE 802.11b und Bluetooth aufgezeigt. Als Nachteil dieser Systeme wird
angeführt, diese seien in erster Linie für die Nutzung von lokalen Netzen vorgesehen und verfügten noch nicht über effektive Methoden zum leichten Wechsel
zwischen verschiedenen Netzen (NK19 Abs. 7).
48
Zur Überwindung dieser Probleme wird in NK19 ein System vorgeschlagen, bei dem mobile Endgeräte wie zum Beispiel ein Mobiltelefon, ein PDA oder
ein mobiler Computer über WLAN oder Bluetooth Kontakt mit einem Zugangspunkt (wireless access point, WAP) aufnehmen, sobald sie in dessen Funkbereich gelangen. Zur Identifikation übermittelt das mobile Endgerät die ihm zugeordnete Hardware-Adresse (media access control address, MAC). Der Zugangspunkt leitet den Datenverkehr an einen Zugangsserver (network access
server, NAS) weiter. Dieser überprüft anhand einer lokalen Datenbank und erforderlichenfalls zusätzlich durch Kontaktaufnahme mit einem anderen Dienstleister (integration operator distributed services, IODS), ob das Endgerät über
eine Zugangsberechtigung verfügt. Wenn dies der Fall ist, löst der Zugangsserver den Aufbau einer verschlüsselten Verbindung aus, über die das Endgerät
- 18 Zugang zu einem öffentlichen Netz erhält (NK19 Abs. 40 bis 49). Darüber hinaus ermöglicht der Zugangsserver den Aufbau von Sprachverbindungen über
VoIP, eine ISDN-Schnittstelle oder über öffentliche leitungsvermittelte Netze
(PSTN, NK19 Abs. 51). Wenn die übermittelte MAC-Adresse weder in der lokalen noch in der entfernten Datenbank auffindbar ist, wird dem Mobilgerät ein
eingeschränkter Zugang eröffnet. Dieser führt zu einer Registrierungsseite, über
die sich der Benutzer unter Angabe der dafür erforderlichen Informationen wie
zum Beispiel Name, Adresse und Kreditkartennummer registrieren kann (NK19
Abs. 52).
49
Der Aufbau einer Sprachverbindung kann durch den Zugangsserver
selbst oder durch den Server eines anderen Anbieters erfolgen. Hierbei kann
der Zugangsserver hinterlegte Präferenzen zu den Kosten oder zur Verbindungsqualität berücksichtigen. Informationen über geführte Gespräche und dafür angefallene Entgelte speichert der Zugangsserver in einer lokalen Datenbank, damit sie dem Benutzer in Rechnung gestellt werden können (NK19
Abs. 113 bis 122). Hierzu werden zum Beispiel die Adresse des mobilen Endgeräts, der Zeitpunkt des Verbindungsaufbaus, die angerufene Nummer und die
Dauer der Verbindung gespeichert. In einer weiteren Tabelle werden Informationen über gestellte Rechnungen und erfolgte Zahlungen vorgehalten (NK19
Abs. 137 bis 138).
50
bb) Damit sind, wie auch die Berufung nicht in Zweifel zieht, die Merkmale 1 bis 6 und 9 bis 12 offenbart.
51
cc) Zumindest nicht zweifelsfrei erscheint die Auffassung des Patentgerichts, dass auch die Merkmale 7 und 8 offenbart seien.
52
Die Beurteilung dieser Frage hängt davon ab, ob es sich bei den angebotenen Waren oder Dienstleistungen im Sinne der Merkmale 5, 7 und 8 zwingend um andere Leistungen handeln muss als den in den Merkmalen 9 bis 12
- 19 näher beschriebenen Zugang zum Internet. Diese Frage könnte abweichend
vom Patentgericht zu beantworten sein, weil die beiden Leistungsarten in der
Beschreibung des Streitpatents unabhängig voneinander geschildert werden
und die Möglichkeit, über das lokale Netzwerk Waren zu kaufen und zu bezahlen, schon in den einleitenden Abschnitten (Abs. 16) als zusätzlicher Vorteil
herausgestellt wird.
53
c) Diese Frage bedarf jedoch keiner abschließenden Entscheidung.
Selbst wenn sie abweichend vom Patentgericht zugunsten des Beklagten beantwortet wird, sind die Merkmale jedenfalls durch eine Zusammenschau von
NK18 und NK19 nahegelegt.
54
aa) NK18 und NK19 betreffen Systeme, deren Aufbau und Funktion sich
weitgehend decken. Der mit der Weiterentwicklung eines solchen Systems betraute Fachmann hatte mithin Anlass, beide Entgegenhaltungen im Zusammenhang zu betrachten und sich die Frage zu stellen, ob einzelne Merkmale, die
nur in einer der beiden Entgegenhaltungen offenbart sind, auch bei dem jeweils
anderen System ergänzt werden können.
55
bb) Bei dieser Betrachtung ergab sich für den Fachmann, dass er die in
NK18 offenbarte Möglichkeit, neben der Einrichtung von Sprachverbindungen
die Bestellung, Lieferung und Bezahlung anderer Waren oder Dienstleistungen
zu ermöglichen, auch mit dem in NK19 offenbarten System realisieren kann.
Umgekehrt ergab sich, dass die in NK19 offenbarte Möglichkeit, einen noch
nicht registrierten Benutzer auf eine Registrierungsseite zu leiten und ihm auf
diese Weise den Zugang zum Netz zu ermöglichen, auch bei dem in NK18 offenbarten System eingesetzt werden kann. Beide Überlegungen legten dem
Fachmann den Gegenstand des Streitpatents nahe.
- 20 56
cc) Der von der Berufung geltend gemachte Gesichtspunkt der Kombinationserfindung führt nicht zu einer abweichenden Beurteilung.
57
Entgegen der Auffassung der Berufung sind die Merkmale des Streitpatents in NK19 nicht nur in inhaltlich nicht zusammenhängender Kumulation offenbart, sondern in einer aufeinander abgestimmten Kombination. Entsprechendes gilt für die in NK18 offenbarten Merkmale.
58
IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 PatG und § 97
Abs. 1 ZPO.
Meier-Beck
Grabinski
Hoffmann
Bacher
Deichfuß
Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 11.07.2013 - 5 Ni 37/11 (EP) -