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BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VIII ZR 6/08
Verkündet am:
14. Juli 2010
Vorusso,
Justizhauptsekretärin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
-2-
Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 17. März 2010 durch den Vorsitzenden Richter Ball, die Richterin
Hermanns sowie die Richter Dr. Achilles, Dr. Schneider und Dr. Bünger
für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil der 9. Zivilkammer
des Landgerichts Oldenburg vom 29. November 2007 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
1
Die Parteien streiten um die Wirksamkeit von Gaspreiserhöhungen, die
von der Beklagten, einem regionalen Energieversorgungsunternehmen, einseitig vorgenommen wurden. Der Kläger wurde von der Beklagten zum Sondertarif
S I leitungsgebunden mit Erdgas beliefert. In diesem Tarif erhöhte die Beklagte
den Arbeitspreis zum 1. September 2004 von 3,00 Cent/kWh auf 3,40
Cent/kWh, zum 1. August 2005 auf 3,88 Cent/kWh und zum 1. Februar 2006
auf 4,26 Cent/kWh (jeweils zuzüglich Mehrwertsteuer).
2
Der Kläger hat beantragt festzustellen, dass der in dem zwischen den
Parteien geschlossenen Gaslieferungsvertrag zum 1. September 2004 von der
Beklagten geänderte Gastarif S I insgesamt unbillig und unwirksam ist. Das
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Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landgericht hat die dagegen gerichtete Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Klageantrag weiter.
Entscheidungsgründe:
3
Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
4
Das Berufungsgericht (LG Oldenburg, RdE 2008, 63) hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:
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Der Feststellungsantrag sei zulässig. Der Kläger sei nicht darauf beschränkt, die Einrede der unbilligen Leistungsbestimmung im Rahmen eines
Rückforderungsprozesses geltend zu machen.
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Die von der Beklagten festgesetzten Gaspreise unterlägen in - zumindest
entsprechender - Anwendung des § 315 Abs. 3 BGB der gerichtlichen Billigkeitskontrolle. Ein Leistungsbestimmungsrecht im Sinne des § 315 BGB hätten
die Parteien der Beklagten zwar nicht ausdrücklich eingeräumt, gleichwohl ergebe sich dieses aus der AVBGasV, die auf das Lieferverhältnis der Parteien
Anwendung finde. Zwar handele es sich bei dem Kläger nicht um einen allgemeinen Tarifkunden, denn er habe mit der Beklagten den Sondertarif S I abgeschlossen. Der Kläger werde aber im Rahmen dieses Tarifs auf der Grundlage
der allgemeinen Anschluss- und Versorgungspflicht zu den jeweils öffentlich
bekannt gemachten Tarifen und Allgemeinen Bedingungen versorgt. Hierbei
stehe der Sondertarif S I den Endverbrauchern als Allgemeinheit in gleicher
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Weise zur Verfügung wie der Allgemeine Tarif. Die nur formale Bezeichnung als
Sondertarif S I könne nicht zu einer abweichenden rechtlichen Einordnung führen. Die Preisanpassungsregelung des § 4 AVBGasV finde daher zwischen den
Parteien direkt Anwendung.
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Unabhängig davon seien die Bestimmungen der AVBGasV bei den Klägern als Sondertarifkunden in das Vertragsverhältnis mit einbezogen worden.
Die Regelungen der AVBGasV seien im Verhältnis der Parteien als Verordnung
einzuordnen und unterlägen keiner Inhaltskontrolle. Allein der Umstand der
Einbeziehung einer solchen einem Leitbild entsprechenden Verordnung in ein
Vertragswerk mache diese nicht zu allgemeinen Vertragsbedingungen, die einseitig bestimmt worden seien, und selbst wenn man davon ausginge, läge jedenfalls weder eine Benachteiligung der Kunden vor noch könne von einer
Überraschungsklausel ausgegangen werden.
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Im Rahmen der Billigkeitsprüfung nach § 315 Abs. 3 BGB sei anerkannt,
dass jedenfalls die Weitergabe von gestiegenen Bezugskosten an die Tarifkunden im Grundsatz der Billigkeit entspreche. Vorliegend habe die Beklagte zu
den Bezugskostensteigerungen, die den umstrittenen Preiserhöhungen zu
Grunde lägen, dezidiert vorgetragen und diese durch Vorlage entsprechender
Wirtschaftsprüfungsberichte unabhängiger Wirtschaftsprüfer nachgewiesen.
Hierzu hätten die Kläger nicht weiter substantiiert dargelegt, warum diese Unterlagen nicht aussagekräftig sein sollten oder welche weiteren Unterlagen sie
für erforderlich gehalten hätten. Das pauschale Bestreiten der ermittelten Ergebnisse sei in diesem Zusammenhang daher nicht beachtlich. Die vorgelegten
Unterlagen belegten, dass die vorgenommenen Preiserhöhungen zum 1. September 2004, 1. August 2005 und 1. Februar 2006 nicht einmal die eingetretenen Bezugskostensteigerungen vollständig an die Kunden weitergäben, wes-
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halb die Erhöhungen akzeptabel seien und sich innerhalb des der Beklagten
aus § 315 Abs. 3 BGB zuzubilligenden Entscheidungsrahmens bewegten.
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Die Preiserhöhungen seien auch nicht deshalb unbillig, weil etwa die bereits vor der Preiserhöhung geforderten Tarife der Beklagten unbillig überhöht
gewesen wären. Eine Überprüfung dieser Tarife komme nicht in Betracht, denn
es habe sich insoweit nicht um einseitig bestimmte, sondern um vereinbarte
Preise gehandelt. § 315 BGB finde auf einen zwischen den Parteien vereinbarten Anfangspreis keine unmittelbare Anwendung. Etwas anderes ergebe sich
auch nicht, wenn es sich bei den vor dem 1. September 2004 geltenden Tarifen
um solche gehandelt habe, die in der Vergangenheit durch von der Beklagten
einseitig vorgenommene Preiserhöhungen zustande gekommen seien. Einer
Überprüfung früherer Erhöhungen stehe entgegen, dass der Kläger die auf diesen Tarifen basierenden Jahresabrechnungen unbeanstandet hingenommen
habe.
II.
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Diese Beurteilung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Mit der vom
Berufungsgericht gegebenen Begründung kann die Wirksamkeit der vom Kläger
beanstandeten Preiserhöhung nicht bejaht werden.
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1. Allerdings hat das Berufungsgericht zutreffend angenommen, dass die
Klage zulässig ist. Insbesondere hat der Kläger ein rechtliches Interesse (§ 256
Abs. 1 ZPO) an der Feststellung, dass die ihm gegenüber vorgenommenen
Gaspreiserhöhungen unwirksam sind. Auf eine Leistungsklage kann er schon
deshalb nicht verwiesen werden, weil das Rechtsschutzziel der hier gegebenen
negativen Feststellungsklage mit einer Leistungsklage nicht erreicht werden
kann (BGHZ 172, 315, Tz. 10).
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2. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts war die Beklagte
nicht unmittelbar aufgrund des gesetzlichen Preisänderungsrechts (vgl. dazu
Senatsurteile vom 15. Juli 2009 - VIII ZR 225/07, WM 2009, 1717, zur Veröffentlichung in BGHZ 182, 59 vorgesehen, Tz. 19, und VIII ZR 56/08, WM 2009,
1711, zur Veröffentlichung in BGHZ 182, 41 vorgesehen, Tz. 20) gemäß § 4
Abs. 1 und 2 AVBGasV zur Preisänderung befugt. Die bis zum 7. November
2006 geltenden Vorschriften der Verordnung über Allgemeine Bedingungen für
die Versorgung von Tarifkunden mit Gas (AVBGasV; außer Kraft getreten gemäß Art. 4 der Verordnung zum Erlass von Regelungen des Netzanschlusses
von Letztverbrauchern in Niederspannung und Niederdruck vom 1. November
2006, BGBl. I, S. 2477) sind nicht von Gesetzes wegen Vertragsbestandteil der
zwischen den Parteien bestehenden Versorgungsverträge. Denn bei dem Kläger handelt es sich nicht um einen Tarifkunden (§ 1 Abs. 2 AVBGasV), sondern
- wie die Beklagte in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat klargestellt
hat - um einen Sonderkunden (vgl. Senatsurteil vom 15. Juli 2009 - VIII ZR
225/07, aaO, Tz. 12).
13
3. Für die Wirksamkeit der von dem Kläger beanstandeten Preiserhöhungen kommt es deshalb darauf an, ob die Beklagte sich wirksam vertraglich
ein Preisänderungsrecht vorbehalten hat. Dazu hat das Berufungsgericht keine
rechtsfehlerfreien Feststellungen getroffen.
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Zwar hat das Berufungsgericht ausgeführt, die Bestimmungen der
AVBGasV seien bei dem Kläger als Sondertarifkunde in das Vertragsverhältnis
mit einbezogen worden. Zur Begründung heißt es weiter, die Regelungen der
AVBGasV seien im Verhältnis der Parteien als Verordnung anzusehen; es handele sich nicht um allgemeine Vertragsbedingungen, die einseitig bestimmt
worden seien.
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Diesen Ausführungen lässt sich indessen nicht entnehmen, dass die Regelungen der AVBGasV - sei es durch individuelle Vereinbarung, sei es durch
eine den Anforderungen des § 305 Abs. 2 BGB genügende Einbeziehung als
Allgemeine Geschäftsbedingungen - Inhalt des zwischen den Parteien bestehenden Vertragsverhältnisses geworden sind.
III.
16
Nach alledem kann das angefochtene Urteil keinen Bestand haben; es
ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Die Sache ist, da der Rechtsstreit nicht zur
Endentscheidung reif ist, an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, damit
die erforderlichen Feststellungen zum wirksamen Vorbehalt eines vertraglichen
Preisänderungsrechts getroffen werden können (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Sollte im Streitfall ein vertraglich vorbehaltenes einseitiges Preisänderungsrecht
der Beklagten bestehen (vgl. dazu Senatsurteile vom 15. Juli 2009 - VIII ZR
225/07, aaO, Tz. 19, 23 f. m.w.N.; vom heutigen Tage - VIII ZR 246/08, unter B
I 3 a bb), weist der Senat mit Blick auf die im weiteren Verfahren vorzunehmende Billigkeitskontrolle (§ 315 Abs. 3 BGB) auf Folgendes hin:
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1. Der Senat hat zu einseitigen Preiserhöhungen in einem Tarifkundenvertrag entschieden: Eine Preiserhöhung kann auch deshalb der Billigkeit widersprechen, weil die bereits zuvor geltenden Tarife des Gasversorgers unbillig
überhöht waren. Das gilt jedoch nicht, wenn die Preise bis zu der streitgegenständlichen Preiserhöhung von dem Versorger nicht einseitig festgesetzt, sondern zwischen den Parteien vereinbart worden sind (BGHZ 172, 315, Tz. 28 f.;
178, 362, Tz. 15). Wenn der Kunde eine auf der Grundlage einer öffentlich bekannt gegebenen einseitigen Preiserhöhung vorgenommene Jahresabrechnung
des Versorgungsunternehmens akzeptiert hat, indem er weiterhin Gas bezogen
hat, ohne die Preiserhöhung in angemessener Zeit gemäß § 315 BGB zu bean-
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standen, wird der zum Zeitpunkt der Jahresabrechnung geltende, zuvor einseitig erhöhte Tarif zu dem zwischen den Parteien vereinbarten Preis. Er kann
deshalb nicht mehr gemäß § 315 Abs. 3 BGB auf seine Billigkeit überprüft werden (BGHZ 172, 315, Tz. 36; vgl. auch BGHZ 178, 362, Tz. 15 f.).
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Dieser Grundsatz ist - sollte eine wirksame Einbeziehung der AVBGasV
mit dem sich hieraus ergebenden Preisänderungsrecht in das zwischen den
Parteien jeweils bestehende Vertragsverhältnis zu bejahen sein - auch im vorliegenden Fall anzuwenden, soweit der Kläger geltend macht, die umstrittenen
Preiserhöhungen seien unbillig im Sinne des § 315 BGB. In dogmatischer Hinsicht besteht insoweit kein entscheidungserheblicher Unterschied zwischen
Sonderkundenverträgen einerseits und Tarifkundenverträgen oder Grundversorgungsverträgen andererseits, denn auch bei Sonderkundenverträgen sind
konkludente vertragliche Vereinbarungen möglich. Der Senat hält es daher
auch bei Sonderkundenverträgen für interessengerecht, nach Übersendung
einer auf der Grundlage einer einseitigen Preiserhöhung vorgenommenen Jahresabrechnung durch das Versorgungsunternehmen und anschließender Fortsetzung des Gasbezugs durch den Kunden ohne Beanstandung der Preiserhöhung gemäß § 315 BGB in angemessener Zeit den zum Zeitpunkt der Jahresabrechnung geltenden, zuvor einseitig erhöhten Preis nicht mehr gemäß § 315
Abs. 3 BGB auf seine Billigkeit zu überprüfen. Die erforderliche Bestimmtheit
des Preises ist bei einer unveränderten Übernahme des gesetzlichen Preisanpassungsrechts gemäß § 4 Abs. 1 und 2 AVBGasV (jetzt: § 5 Abs. 2 GasGVV)
in einen Sonderkundenvertrag aufgrund der Veröffentlichungs- und Mitteilungspflichten des Versorgungsunternehmens gewährleistet.
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2. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat die Beklagte zur
Billigkeit der einseitig vorgenommenen Preiserhöhungen vorgetragen, sie habe
damit jeweils gestiegene Bezugskosten weitergegeben, und hat zur Substantiie-
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rung dieses Vortrags unter anderem eine Bestätigung einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft vorgelegt. Damit hat die Beklagte den Anforderungen an die
schlüssige Darlegung einer Bezugskostensteigerung als Grundlage einer im
Sinne von § 315 BGB billigem Ermessen entsprechenden Preiserhöhung genügt (vgl. dazu BGHZ 178, 362, Tz. 31 ff.). Allerdings vermag die Wirtschaftsprüferbestätigung als solche, anders als das Berufungsgericht meint, die Bezugskostensteigerungen nicht zu beweisen. Die Bestätigung ist einem Privatgutachten vergleichbar, bei dem es sich um Parteivortrag, nicht um ein Beweismittel im Sinne der §§ 355 ff. ZPO handelt (vgl. Senatsurteil vom 8. Juli
2009 - VIII ZR 314/07, WM 2009, 1957, Tz. 21 f.).
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Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kann der Kläger den
Vortrag der Beklagten zu den Bezugskostensteigerungen einschließlich des
Inhalts der Bestätigung der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft pauschal bestreiten. Eine Partei darf sich über Tatsachen, die - wie hier die Entwicklung der Bezugskosten der Beklagten für den Kläger - nicht Gegenstand ihrer eigenen
Wahrnehmung gewesen sind, nach § 138 Abs. 4 ZPO mit Nichtwissen erklären.
Sie ist grundsätzlich nicht verpflichtet, diese Tatsachen zu überprüfen, um sich
näher zu ihnen äußern zu können. Der Kläger muss daher nicht weiter substantiiert darlegen, warum die in der Bestätigung der Wirtschaftsprüfungsgesell-
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schaft benannten Unterlagen nicht aussagekräftig sein sollen und welche weiteren Unterlagen er für erforderlich hielte (vgl. Senatsurteil vom 8. Juli 2009, aaO,
Tz. 23).
Ball
Hermanns
Dr. Schneider
Dr. Achilles
Dr. Bünger
Vorinstanzen:
AG Oldenburg, Entscheidung vom 19.12.2005 - E7 C 7289/05 (X) LG Oldenburg, Entscheidung vom 29.11.2007 - 9 S 59/06 -