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BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
VIII ZR 88/11
vom
11. Oktober 2011
in dem Rechtsstreit
-2-
Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 11. Oktober 2011 durch den
Richter Dr. Frellesen als Vorsitzenden, die Richterin Dr. Milger, die Richter
Dr. Achilles
und
Dr. Schneider
sowie
die
Richterin
Dr. Fetzer
beschlossen:
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin wird das Urteil
des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 3. Februar
2011 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde,
an einen anderen Senat des Berufungsgerichts zurückverwiesen.
Der Streitwert für das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde
wird auf 24.109,20 € festgesetzt.
Gründe:
I.
1
Die Klägerin verlangt nach einer mit Schreiben vom 24. Januar 2006 wegen Zahlungsverzugs erklärten fristlosen Kündigung restliche Zahlung aus einem Leasingvertrag über eine Parkettfertigungsstraße. Das Landgericht hat den
Beklagten unter Abweisung der weitergehenden Klage zur Zahlung von
24.109,20 € nebst Zinsen verurteilt. Auf die Berufung des Beklagten hat das
Oberlandesgericht die Klage insgesamt abgewiesen.
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Zur Begründung seiner Entscheidung hat das Berufungsgericht ausgeführt, dass der Klägerin ein Anspruch auf Ersatz der geltend gemachten Sicherstellungskosten nicht zustehe, weil sie nicht im Einzelnen dargelegt habe, wofür
diese angefallen seien. Auch im Übrigen stehe der Klägerin ein Anspruch aus
dem Leasingvertrag nicht zu, weil die vom Beklagten erklärte Aufrechnung
durchgreife. Die Klägerin habe gegen ihre vertragliche Nebenpflicht, sich um
den bestmöglichen Verkauf der Maschinen zu bemühen, verstoßen und sei
deshalb dem Beklagten zum Schadensersatz verpflichtet. Die Maschinen seien
weit mehr wert gewesen als der zwischen den Parteien noch streitige Betrag
von rund 25.000 €; ein Erlös in mindestens dieser Höhe hätte durch einen Verkauf an den Zeugen R.
auch erzielt werden können.
II.
3
Der Nichtzulassungsbeschwerde ist stattzugeben, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 ZPO, § 544 Abs. 6 und 7 ZPO). Das
Berufungsgericht hat den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör (Art. 103
Abs. 1 GG) in entscheidungserheblicher Weise verletzt. Dies führt gemäß § 544
Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
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Das Gebot des rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu
ziehen. Geht das Gericht in seinen Entscheidungsgründen auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags einer Partei zu einer Frage nicht ein, die für
das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, so lässt das auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt
-4-
des Gerichts unerheblich oder aber offensichtlich unsubstantiiert war (BVerfGE
86, 133, 145 f.; BGH, Beschluss vom 6. April 2009 - II ZR 117/08, NJW 2009,
2139 Rn. 2, 5 f.). Ein solcher Verstoß fällt dem Berufungsgericht hier zur Last.
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1. Das Berufungsgericht hat aufgrund der Aussage des - erstmals in der
Berufungsinstanz vernommenen Zeugen R.
- einen Schadensersatzan-
spruch des Beklagten wegen unsachgemäßer Verwertung der Leasingsache
bejaht, ohne sich mit den Aussagen der von der Klägerin benannten und in der
ersten Instanz vernommenen Zeugen M.
Vortrag der Klägerin zum Schreiben der S.
und S.
und dem
GmbH vom 17. Novem-
ber 2006 auseinanderzusetzen.
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a) Die mit der Sicherstellung der Leasingsache beauftragte S.
GmbH berichtet in dem genannten Schreiben vom 17. November 2006, dass es
sich bei dem Leasinggut um gebrauchte Maschinen (Baujahr 1985) handele;
von den zu der Fertigungsstraße gehörenden Maschinen seien vier (näher bezeichnete) Maschinen gar nicht mehr vorhanden, die übrigen Maschinen stünden seit einem Jahr in einer feuchten und unzureichend beheizten Halle und
befänden sich in einem schlechten Zustand. Ein Verkauf in Westeuropa sei
ausgeschlossen, weil die Maschinen zu viel Energie benötigten, zu langsam in
der Produktion seien und überdies Ausbau- und Transportkosten anfielen; es
sei deshalb eine Veräußerung zum Schrottwert angezeigt. Die Vorstellungen
des Leasingnehmers über einen Verkauf nach Rumänien zu einem Kaufpreis
von 165.000 € - der zudem im Wege der Lieferung von Parkett entrichtet werden solle - seien völlig unrealistisch; die Anlage habe nur noch einen Wert von
schätzungsweise 2.000 €.
7
Das Berufungsgericht führt zu diesem Scheiben lediglich aus, dass es
den an ein Sachverständigengutachten zu stellenden Anforderungen nicht ge-
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nüge, weil es die einzelnen Maschinen und die vorhandenen Mängel nicht konkret beschreibe. Im Übrigen meint das Berufungsgericht, dass das Schreiben
der S.
GmbH die Klägerin wegen der darin erwähnten Bemühungen
des Beklagten um einen Verkauf zum Preis von 165.000 € hätte veranlassen
müssen, Möglichkeiten zur Erzielung eines höheren Erlöses nachzugehen.
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Dabei hat das Berufungsgericht verkannt, dass die S.
GmbH,
die ausweislich ihres Briefkopfs als Sachverständige für Maschinenbewertung
tätig ist, einen derartigen Erlös für die Fertigungsstraße aus nachvollziehbar
dargelegten Gründen (Alter, schlechter Zustand, Fehlen mehrerer Maschinen)
als völlig unrealistisch bezeichnet und eine Verwertung der noch vorhandenen
Teile zum Schrottwert von ca. 2.000 € angeraten hat. Hinzu kommt, dass bei
dem vom Beklagten ins Auge gefassten Verkauf nach Rumänien der Kaufpreis
durch Lieferung von Waren beglichen werden sollte, die vom Käufer mit Hilfe
der Fertigungsstraße nach deren Lieferung erst noch hätten produziert werden
müssen. Damit hat das Berufungsgericht bezüglich des Schreibens der S.
GmbH den Kern des Sachvortrags der Klägerin verkannt.
9
b) Auf die Aussagen der in erster Instanz vernommenen Zeugen M.
und S.
geht das Berufungsgericht nicht ein, obwohl das Land-
gericht es aufgrund der Aussage des Zeugen M.
als bewiesen erachtet
hat, dass die Klägerin beziehungsweise das von ihr beauftragte Unternehmen
die vom Zeugen geschilderten umfangreichen Verkaufsbemühungen (etwa: Anschreiben von 400 Holz verarbeitenden Betrieben) unternommen und ihre
Pflicht zur angemessenen Verwertung der Leasingsache nicht verletzt habe. Da
eine Partei sich regelmäßig ein für sie günstiges Beweisergebnis zu Eigen
macht, verletzt das Übergehen eines solchen Beweisergebnisses den Anspruch
der Partei auf rechtliches Gehör, sofern es entscheidungserheblich ist (BGH,
Beschluss vom 10. November 2009 - VI ZR 325/08, NJW-RR 2010, 495 Rn. 6;
-6-
Beschluss vom 7. Dezember 2010 - VIII ZR 96/10, NJW-RR 2011, 704 Rn.13).
Dies ist hier der Fall, denn eine Vertragsverletzung bei der Verwertung des
Leasinggutes fällt der Klägerin nicht zur Last, wenn dieses schon zwei Jahre
vor der späteren Verwertung nur noch einen Schrottwert von etwa 2.000 € hatte.
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Davon abgesehen hätte das Berufungsgericht der Aussage des erstmals
in der Berufungsinstanz vernommenen Zeugen R.
nicht folgen dürfen,
ohne die von der Klägerin benannten und bereits in der ersten Instanz vernommenen Zeugen erneut zu hören. Denn das Landgericht hatte die Angaben des
Zeugen M.
, die von der Fertigungsstraße beim Beklagten noch vorhan-
denen Teile hätten bereits Ende 2007 nur noch einen Schrottwert von etwa
2.000 € gehabt, für glaubhaft erachtet und hierauf entscheidend abgestellt.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss das Berufungsgericht einen vom erstinstanzlichen Gericht vernommenen Zeugen gemäß
§ 398 Abs. 1 ZPO selbst erneut vernehmen, wenn es dessen Aussage anders
würdigen will als das erstinstanzliche Gericht; auch ein Verstoß hiergegen ist
als Verletzung des rechtlichen Gehörs der davon nachteilig betroffenen Partei
zu werten (vgl. Senatsbeschluss vom 14. Juli 2009 - VIII ZR 3/09, NJW-RR
2009, 1291 Rn. 4 mwN).
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2. Auch die Verneinung eines Anspruchs der Klägerin auf Ersatz der vom
Landgericht zugesprochenen "Sicherstellungskosten" in Höhe von insgesamt
1.147,44 € durch das Berufungsgericht beruht auf einer Verletzung des rechtlichen Gehörs der Klägerin. Denn die Klägerin hatte zur Notwendigkeit dieser
Auslagen eingehend in den Schriftsätzen vom 22. April 2009 und vom 29. Oktober 2009 vorgetragen. Die erste Fahrt nach D.
damit erklärt worden, dass die S.
ist von der Klägerin
GmbH telefonisch niemanden habe
erreichen können. Diesen Vortrag hat das Berufungsgericht übergangen, indem
-7-
es die Fahrtkosten mit der Begründung abgelehnt hat, der Standort der Maschinen hätte auch telefonisch in Erfahrung gebracht werden können.
Dr. Frellesen
Dr. Milger
Dr. Schneider
Dr. Achilles
Dr. Fetzer
Vorinstanzen:
LG Verden, Entscheidung vom 11.03.2010 - 4 O 77/09 OLG Celle, Entscheidung vom 03.02.2011 - 5 U 57/10 -